Finn

  • Emily hob langsam ihren Kopf und blickte sich verwirrt um. Wie lange war sie denn weggetreten? Vorsichtig suchte sie auf dem Fußboden nach ihrer Armbanduhr. „Oh Gott...schon so spät.“, stieß sie aus und sprang von der Couch auf. Ihr Hund, der Riesenschnauzer Angus, hob interessiert den Kopf und sah seiner jungen, flippigen Herrin nach. „Ich komm zu spät, ich komm zu spät.“, stieß sie aus, entledigte sich ihrer sämtlichen Kleidung und sprang unter die Dusche. Schnell war sie geduscht und in ein warmes Handtuch gehüllt. Wider sah Angus sie durch die Wohnung zum großen Wäscheschrank hüpfen. Das Handtuch flog im hohen Bogen durch die Luft und landete auf der Nase des Riesenschnauzers, der erschrocken in die Luft fuhr und versuchte, das nasse und schwere Handtuch von seinem Kopf zu ziehen. Dabei stolperte er durch die Wohnung und riss, wie sollte es auch anders sein, eine Gitarre um. „Nein Angus...“, stieß Emily erschrocken aus, als sie das Poltern hörte. „Das war Bens Gitarre...du Abrissbirne auf vier Beinen...“, schimpfte sie und zog das Tuch vom Kopf des Hundes. Der Riesenschnauzer blickte mit seinen treuen Augen zu seinem Frauchen auf, legte sich auf den Bauch und ließ den Kopf hängen. Die großen Kulleraugen blickten Emily flehend und um Verzeihung bittend an. „Oh nein...sieh mich nicht so an...das...das ist schlimm.“, kam es von Emily und schon legte sich die Hand auf den wuscheligen Kopf von Angus. „Wie kann man dir noch böse sein? Aber Ben wird das gar nicht gefallen.“, meinte Emily und sah die entzwei gegangene Gitarre an. „Verdammt, ich muss ins Theater...“, stieß sie aus, warf sich ihre Sachen über und schnappte sich Tasche, Leine und Angus und verließ überstürzt das Haus. Was zurückblieb war die zu Bruch gegangene Gitarre und der Wohnungsschlüssel auf der Kommode.


    Ben wachte langsam wieder aus seiner Ohnmacht auf und blickte sich erschrocken um. Aus einer Ecke hörte er Schluchzen und Weinen. Ben versuchte, seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen und blinzelte einige Male. In der Ecke saß eine zusammengekauerte Person mit langen, blonden Haaren. „Susanne?“, fragte er vorsichtig. Die zierliche Person drehte den Kopf. Die Haare fielen aus dem Gesicht und Ben bemerkte neben dem mit Erde verschmierten Gesicht und den verweinten Augen auch den Striemen in ihrem Gesicht. Finn hatte sie also verschleppt und sogar geschlagen. Wut stieg in dem jungen Hauptkommissar auf und sofort versuchte er, sich zu bewegen, doch es ging einfach nicht. Metall klapperte an seinen Händen. Da wusste er, seine eigenen Handschellen hielten ihn von seiner freien Bewegung abhielten. „Ben? Hat er dich auch verschleppt?“, fragte die Sekretärin. „Ich hab ihn nicht verschleppt.“, kam es dann von oberhalb. Susanne und Ben sahen nach oben. Jetzt erst merkten sie. Sie waren in einer Art Erdloch, dass mit Holzpanelen ausgekleidet war. „Finn, was soll das? Lass uns raus hier. Meine Kollegen kriegen dich sowieso.“, rief Ben nach oben und musste von der ihn blendenden Sonne blinzeln. „Ben, Ben, Ben...das versucht die Polizei in achtzehn verschiedenen Staaten schon und bisher ist es ihnen noch nicht gelungen. Was soll man mir auch vorwerfen?“, fragte Finn und kletterte langsam runter. Unter seiner narbenverzierten Nase war ein deutliches Grinsen zu erkennen. „Ich habe die Welt nur besser gemacht, habe den Menschen Gerechtigkeit gegeben, wo das Gesetz sie ihnen verwert hat. Niemals sind unschuldige Unbeteiligte zu schaden gekommen.“, meinte er und kniete sich vor den Beiden hin.
    Ben lachte verächtlich auf. „Ach wirklich? Du hast mit deiner kleinen Maschine meinen Freund und Kollegen Semir in den Rücken getroffen. Die Ärzte wissen nicht, ob er überleben oder jemals wieder laufen wird. Zwei andere Kollegen liegen wegen dir eben im Krankenhaus.“, stieß Ben aus. Finn entgleisten sämtliche Gesichtszüge. Was erzählte ihm sein Freund da? War sein Plan doch nicht so narrensicher. „Also halt deine verfluchte Klappe und erzähl mir nicht, dass du die Welt verbessern willst. Wenn Semir das nicht überlebt, werde ich dich jagen und finden.“, fauchte Ben ihn an und wollte aufspringen. Finn wich zurück. „Ben, das... das... ich hab nie Unschuldigen etwas tun können. Nur den schlimmsten Verbrechern, die durch das Gesetz geschützt wurden, trachtete ich nach dem Leben. Doch jetzt das. Susanne, ich hab dich wirklich geliebt.“, meinte Finn und drehte den Kopf zur Sekretärin. „Aus uns hätte ein schönes Paar werden können. Mit dir hätte ich meinen Frieden finden können. Ben, es tut mir alles so Leid.“ „Spar dir dein Mitleid. Was hast du jetzt mit uns vor? Willst du uns auch umbringen?“, fauchte Ben Finn an.


    Fin ließ den Kopf sinken und erhob sich. „Nein, das will ich nicht. Ich werde eure Kollegen anrufen und sagen, wo sie euch finden. Was mich angeht, so werde ich mich nicht in die Hände der Justiz begeben. Tut mir Leid, Ben, aber du kennst mich. Ich lasse mich nicht gern einsperren. Ich werde einen anderen Weg zum Richter finden. Also, macht’s gut und habt noch ein schönes Leben. Susanne, ich hoffe, du findest irgendwann den Mann fürs Leben. Glaub mir.“, meinte Finn mit seinem smarten Lächeln. Kurz darauf kletterte er wieder die Leiter hinauf und war verschwunden. „Finn, hey, du kannst uns doch nicht hier unten lassen. Finn...komm zurück, du Scheißkerl...“, schrie Ben wütend und versuchte, die Stahlfesseln abzustreifen. Doch es war sinnlos. Wütend trat Ben einen Stein durch das enge Erdloch. Susanne zuckte zusammen, als sie den Einschlag dicht neben sich spürte. „Ben, Vorsicht...“, knurrte sie. „Sorry Susanne...wir müssen wohl eine Weile hier ausharren und darauf warten, dass die Chefin uns findet.“ „Was meinst du? Wird er...wird er uns töten?“, kam es mit zittriger Stimme von der Sekretärin. Doch Ben wusste darauf keine Antwort. Wenn sein Freund zu so vielen Morden fähig war, würde er sicherlich auch zwei lästige Zeugen ins Jenseits schicken. Einen Moment hörten sie nichts. Alles war still, doch dann ein Knall und der Geruch von Feuer lag in der Luft. „Verdammt, was war das?“, stieß Ben aus und sah zum Rand des Loches nach oben. „Finn...HEY FINN!!!“, schrie er aus voller Kehle. Doch nichts. Nichts rührte sich. Was lag da in der Luft?


    ...

  • „Chefin, eben kam ein Anruf rein.“, stieß Bonrath aus, als er ins Büro von Kim trat. „Ein anonymer Zeuge hat einen Mann in ein Haus am Rand von Leverkusen eindringen sehen. Die Beschreibung passt auf Ben.“ Kim sprang sofort auf und schnappte sich ihre Jacke. „Wo liegt das Haus genau? Hat der Anrufer die Straße genannt?“, fragte Kim, während sie ihre Waffe aus dem Schreibtisch nahm und nochmals überprüfte. „Alte Waldstraße 108.“, erwiderte Dieter. „Gut, Sie und Frau Dorn folgen mir.“, forderte sie und kurze Zeit darauf waren Kim und ihre Beamten unterwegs zum Haus. Dass es sich bei dem Anrufer um Finn von Wehrmeister handelt, konnte sie noch nicht wissen. Als sie in die Alte Waldstraße einbogen sahen sie schon eine Rauch- und Flammensäule aufsteigen. Bitte lass das nicht das Haus sein, wo Ben ist, dachte Kim laut und erschrocken. Doch das Navi war da anderer Meinung. „Sie haben ihr Ziel erreicht.“, schnarrte die weibliche Stimme aus dem Gerät. „Cobra 1 für Zentrale. Ich brauche die Feuerwehr in Leverkusen, Alte Waldstraße 108...und zwar schnell. Schicken sie auch gleich einen RTW mit.“, forderte Kim über Funk und sprang dann aus dem Wagen. Sie wollte in das Haus rennen, doch schon schlugen ihr die Flammen entgegen. „Ben...sind sie hier drin?“, schrie sie aus voller Kehle. Sie hoffte, dass es nicht so war. Ansonsten war der junge Hauptkommissar nicht mehr am Leben.
    „Hier....hier sind wir.“, erklang plötzlich eine Stimme aus einer Grube. Durch das Prasseln des Feuers waren die Schreie erst dumpf zu hören. Doch Kim hörte das dumpfe Rufen dennoch und ging dem Ganzen nach. „Ben...Susanne...ich lasse ihnen sofort eine Leiter bringen.“, stieß die Chefin aus. „Geht nicht...wir sind gefesselt. Sie müssen jemanden runterschicken, bitte.“, forderte Susanne und blickte erleichtert nach oben. Ben sah Susanne kurz an und nickte ihr zu. „Gleich sind wir hier wieder raus.“, meinte er aufmunternd. „Endlich...lange hätte ich das nicht mehr länger ausgehalten. Bevor du hier warst, hat er mich im Dunkel sitzen lassen. Er...er hat mich förmlich lebendig begraben.“, stieß Susanne aus und zitterte am ganzen Körper. Ben fühlte sich an sein eigenes Erlebnis im Sarg zurückversetzt. „Wenn wir hier raus sind, trinken wir einen, Susanne. Das hilft.“, meinte er mit einem kurzen Schlucken. Kurz darauf wurde eine Leiter runtergelassen und Jenny stieg in die Grube hinunter. „Hallo Fans...kann ich helfen?“, fragte die junge Polizistin. „Schließ endlich die Dinger auf.“, forderte Ben und drehte sich hastig um. „Was...was brennt denn da?“, fragte er dann. „Das Haus...scheinbar wurde es angesteckt oder es gab eine Explosion. Im Moment versucht die Feuerwehr es zu löschen.“ Ben überkam sofort ein beschissenes Gefühl. Finn...wenn er im Haus war...oder hat er es selbst angesteckt? Aber, sich selbst zu verbrennen... Als die Handschellen fielen, kletterte Ben hastig die Sprossen hinauf und rannte auf das Haus zu. Trotzt allem war Finn sein Freund. „Finn...FINN!“, schrie Ben und wollte ins Haus stürzen, als ihn zwei Feuerwehrmänner packten. „Sind sie wahnsinnig? Sie können da nicht rein. Das Feuer ist zu stark. Der Rauch würde sie binnen kurzer Zeit umbringen.“, stieß einer der Männer aus. „Da drin...da muss noch jemand drin sein. Lassen sie mich los.“, forderte der junge Hauptkommissar und versuchte, sich aus dem Griff der Feuerwehrmänner zu befreien. „Ben, hören sie auf. Es ist vorbei.“, meinte Kim beruhigend. Nein...Ben konnte es nicht fassen. Finn hatte sich bei lebendigem Leibe verbrannt.


    Als das Feuer gelöscht war, blieb vom Haus nur noch eine rauchende Ruine übrig, deren verbliebene Balken innen noch glimmten. Ben saß auf einem umgestürzten Baum und blickte mit leeren Augen auf die Trümmer, unter denen sein Freund begraben liegt. „Ben?“ Der Angesprochene sah auf und blickte einer verständnisausstrahlenden Kim Krüger ins Gesicht. „Er hat es getan. Ich hab bei ihm Waffen und Munition mit Farbspritzern gefunden. Er hat alles zugegeben.“, erklärte der junge Hauptkommissar mit rauer Stimme und sah, wie Susanne von den Sanitätern in einen Krankenwagen gebracht wurde. „Ja, ich weiß. Das hing dort am Baum. Wir haben es erst gar nicht gesehen. Die Feuerwehr hat uns drauf aufmerksam gemacht.“, meinte sie und reichte den großen, schweren Umschlag an Ben weiter. Dieser nahm ihn mit einem verwirrten Ausdruck in seinen Augen an sich und öffnete ihn. „Halt...hier die Handschuhe...“, mahnte Kim und reichte ein Paar der durchsichtigen Latexdinger an Ben weiter. Schnell waren der schützende Stoff über die Finger gestülpt und Ben griff hinein. „Die Waffe und die Patronen...all seine Aufzeichnungen...das hat er mir aber doch alles wieder abgenommen.“, kam es von Ben. „Warum lässt er sie uns jetzt zukommen?“ „Vielleicht erklärt es das hier. Der Brief war vor das Paket geheftet.“, meinte Kim und reichte ihn an Ben weiter. Dieser faltete ihn auseinander und fing an, zu lesen.
    „Hallo, alter Kumpel. Ich weiß, es ist Feige, sich seiner Verantwortung nicht zu stellen. Aber sei dir gewiss, ich gehe da hin, wo man mich richten wird. Da du mich aber so gut wie überführt hast, will ich dir auch deine Beweise überlassen. Ben, du warst immer ein guter Freund und deshalb will ich sie dir als Abschiedsgeschenk überlassen. Sei versichert, dass ich für all meine Taten die Verantwortung übernehme. Jetzt aber wartet ein anderes Land auf mich. Pass auf dich auf, mein Bester. Finn...“, las Ben laut vor und blickte zur Chefin auf. „Frau Krüger...wir haben im Haus nichts gefunden.“, meinte ein Feuerwehrmann. „Bitte? Aber es muss jemand drin gewesen sein.“, stieß Ben aus. „Tut mir Leid, aber wir haben keine Überreste gefunden. Das Feuer war nicht so stark, als dass es alles vernichtet hat.“ Ben sprang auf, blickte mit einem immer wütender werdenden Gesicht auf Kim und den Feuerwehrmann und rannte dann zu seinem Wagen. „Ben, bleiben sie hier...Ben...“, fauchte Kim. „Chefin, ich denke, ich habe eine Idee. Lassen sie von der Wasserschutzpolizei sämtliche Zufahrten zum Yachthafen Düsseldorf abriegeln.“, rief Ben, saß kurz darauf in seinem Wagen und rauschte mit Blaulicht über die Straßen. Kim tat, was Ben verlangte, auch wenn sie noch nicht wusste, warum. Der junge Hauptkommissar schoss in seinem Mercedes förmlich über die Straßen. Was hatte Finn neulich gesagt? Er wollte mit einem eigenen Schiff nach Australien. Wenn er nicht im Haus war, dann hatte er seinen Tod nur vorgetäuscht. Von seinen Aufträgen konnte er sich doch ein großes Boot leisten, ohne dass jemand Fragen stellte. Und Ben kannte nur eine Reederei, die solch großen Boote verkaufte. Hoffentlich täuschte ihn seine Intuition nicht.


    ...

  • „Sie bezahlen bar?“, fragte die junge Frau hinter dem Tresen. Der Mann mit dem Schnauzer, der randlosen Brille und der markanten Narbe auf der Nase nickte und zog einen Koffer hervor. „Allerdings...ich will mir ja nicht nachsagen lassen, dass meine Schecks nicht gedeckt sind.“, lächelte er und sah auf den Tragekäfig hinunter, aus dem es laut mauzte. „Herr Krause, gleich geht es ab aufs Schiff und dann ab nach Süden.“, lächelte er und reichte das Geld an die Frau weiter. Die Frau hinter dem Tresen nahm das Geld und reichte den Schlüssel an den Käufer weiter. „Ich danke...“, meinte er und nahm seinen Koffer und den Tragekäfig. „Wir haben zu danken. Sollte irgendwas mit dem Boot unterwegs sein. Mit dieser Chipkarte können sie, nur gegen Zahlung des Monteurtarifes, ihr Boot reparieren lassen.“ „Danke... sehr freundlich...Das wird mir helfen.“, erwiderte der Mann und ging hinaus zu den Anlegestellen. „Tja, das war es, Deutschland. Schade, aber einmal muss man Abschied sagen.“, lächelte Finn und zog den falschen Schnauzer von seiner Oberlippe. „Den brauche ich nicht mehr.“ Finn ging auf den großen Zweimaster zu und stieg über die Rehling an Bord. Dann mal los...Australien, ich komme, dachte er lachend und sah sich auf dem Schiff um. Alles war vom Edelsten und Feinsten. Die Armaturen waren aus Mahagoniholz gefertigt und bis auf Hochglanz poliert. „Dann stechen wir mal in See, bevor...“, Finn sah nach draußen, als er Reifen quietschen hörte. „Bist ja doch schneller, als ich dachte.“, murmelte er und rannte sofort wieder an Deck, löste die Leinen und startete den Motor. Der Motor wollte aber nicht so, wie Finn wollte. Panik stieg in ihm auf, da das wimmernde, nicht gerade leise Geräusch des Motors Bens Aufmerksamkeit auf Finn zog.
    Ben stieg in die Eisen und sprang aus seinem Wagen. Diese Nummer....seinen eigenen Tod vortäuschen, das war einer von Finns Streichen auf dem Internat vor den Abiturprüfungen. Er stieg aufs Dach vom Internat, zog alle Blicke auf sich und veranstaltete einen Auftritt, der filmreif war. Er rezitierte Caesars Rede aus dem Bellum Gallicum vor den Augen des Lateinlehrers und sprang dann auf der anderen Seite des Gebäudes hinunter. Alle dachten, er wäre in den Tod gesprungen. Doch nein, Ben wartete zwei Stockwerke weiter unten mit einem gespannten Tuch auf ihn. Finn sprang punktgenau rein und kletterte dann durch ein Fenster in den Speicher. Schnell war das Tuch wieder eingeholt und Ben und er sahen, wie sich die Meute um eine lebensechte Puppe mit den gleichen Sachen wie Finn und Himbeersaftwunden beugten. Als der Schwindel aufflog wurden beide Männer zum Direktor zitiert und beinahe, kurz vor dem Abitur, rausgeworfen. Nur die Intervention ihrer beiden Väter rettete sie vor dem Rauswurf und so konnten sie Abitur machen. Ben hörte den startenden Motor und fixierte seinen Freund auf einem Boot. „Finn...“, schrie Ben und rannte auf den Steg hinaus. Finn sah sich gehetzt um. Er schnappte sich seinen Rucksack und sprang auf den Steg, rannte auf ein gerade ankommendes Motorboot zu, schlug den Besitzer ins Wasser und drückte den Motorhebel runter. Finn sah sich um. Ben sprintete den Steg hinunter und machte einen gewaltigen Satz durch die Luft. „Wuaaaaaahhhh...“, stieß er aus und landete tatsächlich auf dem Boot. „Das schaffst du nicht ein zweites Mal.“, stieß Finn aus und sofort ging er Ben an. Dabei ließ er das Boot aber steuerlos.


    Das Boot steuerte führerlos durch den Rhein, während auf der Rückbank Finn und Ben miteinander kämpften. „Gib es auf, Ben. Du weißt, ich bin stärker als du.“, knurrte Finn und quetschte mit seiner Hand Bens Kehle zu. Der junge Hauptkommissar röchelte und bekam kaum noch Luft. Panisch suchte er mit seiner freien Hand nach einem Gegenstand, um Finn zu schlagen. Ehe er aber reagieren konnte, raste das Boot über eine schräg angelegte Kaimauer und flog über die Absperrung direkt auf einen belebten Platz. Krachend und scheppernd setzte es auf dem Asphalt auf. Ungewollt lösten sich Finn und Ben voneinander. Beide wurden in eine andere Ecke des Bootes geschleudert. Bens Kopf schlug gegen den Motorblock. Der junge Hauptkommissar blieb benommen liegen. Mit verschwommenen Blicken sah er sich um, versuchte, seine Umgebung wieder vollends wahrnehmen zu können. Er konnte nur erkennen, wie Finn aus dem Boot sprang und Richtung Altstadt rannte. Langsam rappelte sich Ben auf, schüttelte sich und stieg aus dem Boot. Taumelnd versuchte er, Finn zu Folgen. Mit jedem Schritt klärte sich sein Blick wieder, doch Finn war noch immer ein zu guter Sprinter, als dass Ben ihn einholen konnte. In der Altstadt waren zu der Zeit aber zu viele Touristen, um die Schusswaffe einzusetzen. „Finn...bleib stehen...oder ich schieße.“, schrie Ben. „Tut mir Leid, Benny, aber das ist nicht drin.“, kam prompt die Antwort aus einiger Entfernung. „Chefin, ich hab ihn. Finn rennt Richtung Düsseldorfer Stadttheater...“, stieß Ben durchs Telefon aus, nachdem er sein Handy hervorgeholt und gewählt hatte. „Wir kommen zu ihnen, Ben. Versuchen sie ihn, in die Enge zu treiben.“, forderte Kim und legte auf. Doch genau das war das, was Ben unter allen Umständen vermeiden wollte. Er kannte Finn nur noch aus der Schule. Sein Freund hatte sich sehr verändert. Doch eins war sicher, Finn würde nicht zögern, sich mit einer Geisel seine Freiheit zu bewahren. Ben ahnte noch nicht, dass genau dies jemanden treffen sollte, dem er ein Versprechen geben wollte.


    ...

  • Emily streifte sich den letzten Fetzen Kleidung ab und atmete tief ein. „Eine gute Probe...“, meinte sie zu ihrem Kollegen. „Allerdings...dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend....mit deinem Freund.“, murrte er die letzten drei Worte herunter. Emily grinste ihn an und wusch sich die Schminke vom Gesicht. „Otto, du kannst hinter mir zuschließen. Ich bin die Letzte im Raum.“, rief die Schauspielerin dem Portier zu, der weiter hinten in seiner Stube noch Kaffee kochte. „Alles klar, Kleine. Ich schließe dann zu. Wenn ich meinen Kaffee fertig habe.“, lächelte der weißhaarige, dickliche Mann. Die junge Engländerin verließ das Theater und zog sich ihre Jacke über. Es war eigentlich viel zu warm für eine Jacke, doch sie wollte sie auch nicht über die Schulter nehmen. In den Schatten der Altstadtgebäude war es doch noch leicht kühl und windig. Sie stand noch auf den Stufen des Theaters und ließ ihre Blicke schweifen. Viele Touristen nutzten das letzte, schöne Wetter aus und tummelten sich in den vielen Cafés und Biergärten der Bars. Warum musste Ben eigentlich so lange arbeiten? Dann könnten sie mit ihm jetzt das schöne Wetter ausnutzen, am Rhein entlang gehen und in einem wunderschönen Café sitzen und ihrem Freund verliebt in die Augen sehen. War es das? War das die Liebe ihres Lebens, nach der sie schon so lange suchte? Ja, gab sie sich selbst zur Antwort. Ja, Ben war die Liebe ihres Lebens. Mit ihm wollte sie alt werden, Kinder kriegen und gute wie schlechte Zeiten durchleben. Schlechte Zeiten...dabei fiel ihr wieder ihre Entführung ein. Wie sehr hat Ben um sie gekämpft, ist den Entführern sofort hinterher und hat seine Emily schließlich gerettet. Noch ahnte sie nicht, dass ihr eine solche Tortur gleich wieder bevorstehen sollte. Emily ging die erste Stufe runter und sah nach vorne. Nanu, da kam Bens Freund auf sie zu. Wieso rannte er so schnell? „Finn, was ist...“ Ehe sie den Satz vollenden konnte, packte er sie und drückte ihr eine Waffe an die Stirn. „Okay Ben...jetzt spielen wir nach meinen Regeln.“
    Ben stoppte abrupt und eiste in seiner Stellung vollkommen ein. Sein Adrenalin wurde durch den Körper gepumpt und schoss durch sämtliche Bahnen seines Kreislaufes. „Finn, lass den Scheiß und nimm sofort deine Hände von Emily.“, fauchte er schreiend zu seinem Freund hinüber. „Sorry Benny, das kann ich nicht machen. DU solltest deine Leute zurückpfeifen und deine Waffe runternehmen.“, schrie Finn, als er merkte, wie zwei Streifenwagen auf den Platz fuhren und sich andere mit lautem Martinshorn noch näherten. „Ben...hilf mir...bitte...“, rief Emily flehend zu ihrem Freund hinüber. „Keine Angst, meine Süße. Es ist gleich vorbei.“, versuchte Ben seiner Freundin Mut zu machen. „Was hast du vor, Kleiner? Willst du schießen? Bist du so ein guter Schütze?“, fragte Finn und ging mit seiner Geisel immer weiter rückwärts. Ben überlegte, was er tun sollte. „Okay Finn...lass sie gehen. Du kriegst mich dafür. Ein Bulle ist doch für dich wertvoller.“ Ben hob seine Waffe weit über den Kopf, kniete sich hin und legte sie ab. Mit einem gezielten Tritt feuerte er die Pistole quer über den Platz zu einem Beamten hin. Finn grinste ihn an, ließ aber nicht von Emily ab. „Dann komm hoch. Die Hände halte so, dass ich sie sehen kann.“, forderte er und drehte sich mit Emily in Bens Richtung, ließ aber die anderen Polizisten nicht aus den Augen. „Los, geh rein da.“, forderte Finn. „Lass Emily frei.“, forderte Ben mit energischer Stimme. „Du sollst rein gehen.“, knurrte Finn und presste Emily die Kanone heftig an die Schläfe. „Oder soll ich abdrücken?“


    Kim stoppte ihren Wagen und sprang aus dem Mercedes. Sie konnte gerade noch sehen, wie Ben in das Theater getrieben wurde und Finn mit Emily ebenfalls im Gebäude verschwand. „Was ist da los?“, fragte Kim einen der Beamten. „Herr Jäger hat sich als Geisel angeboten. Im Austausch für das Mädchen...aber der Kerl hat sie beide mit sich ins Theater geschleift.“, erklärte der Polizist vor Ort. „Gut, Kim Krüger...ich übernehme die Einsatzleitung hier. Rufen sie bitte das SEK an und sperren sie den gesamten Platz ab. Und dann brauche ich einen Grundriss vom Theater.“, wies sie in strengem Ton an. „Sehr wohl, Frau Krüger...“ Sofort setzte sich der Polizist an den Funk und übermittelte das, was man ihm Sekunden zuvor aufgetragen hatte. Kim blickte nervös zum Theater hinüber. Das war doch echt ein beschissener Tag. Drei Beamte niedergeschossen, zwei Tote und Semir im Krankenhaus mit schwersten Verletzungen an der Wirbelsäule. Und jetzt auch noch Ben in einer Geiselnahme. „Die Beiden lassen aber auch kein Vergnügen aus.“, murmelte Kim und rieb sich die Augen. Das war definitiv nicht der Tag der Beiden.


    Andrea saß nach wie vor am Krankenbett und blickte auf Semirs geschundenen Körper hinunter. Die Zeit raste an ihr vorbei. Stunde um Stunde verging und langsam wurde es Abend. „Frau Gerkan, wollen sie nicht nach Hause fahren? Ich werde mich schon melden, wenn sich eine Veränderung ergibt.“, meinte Dr. Janine Drescher. Die Frau drehte sich zu der Ärztin um und blickte mit ihren verweinten, feuerroten Augen die weiß gekittelte Frau an. „Das...das kann ich nicht. Ich...ich will hier sein, wenn er aufwacht.“, meinte Andrea und blickte noch einmal auf ihren Mann. „Das wird er sicherlich nicht mehr heute, Frau Gerkan. Kommen sie, sie brauchen auch ihren Schlaf. Sie sehen vollkommen fertig aus.“ Fürsorglich hob Dr. Drescher Andrea am Arm hoch und geleitete sie von der Intensivstation. „Aber...aber ich muss doch bei meinem Mann sein, wenn er aufwacht. Er ist mein Ein und Alles.“, stieß Andrea aus und wollte sich losreißen. „Ja, das können sie auch. Sie sollen sich nur ausruhen. Ich bringe sie in ein freies Zimmer. Da sind sie ungestört und können in Ruhe schlafen. Soll ich jemanden für sie anrufen?“, fragte die Medizinerin. „Nein...meine Kinder sind bei ihrer Großmutter. Also gut...ich...ich leg mich hin.“, meinte Andrea sichtlich erschöpf. „Na sehen sie...soll ich ihnen etwas zum Schlafen geben?“ Andrea verneinte dies vehement. Dr. Drescher nickte und führte die zweifache Mutter zu einem unbelegten Zimmer, schlug die Bettdecke zurück und drückte Andrea sanft ins Bett. Andrea legte sich hin und war binnen weniger Minuten eingeschlafen. Sie war zu erschöpft, als dass sie über das heute Passierte nachdenken wollte. Doch, was wenn Semir nie wieder laufen konnte?


    ...

  • Finn drängte Ben und Emily weiter in den Bühnenraum. Den Pförtner schickte er nach draußen, ließ sich die Schlüssel geben und schloss das große Hauptportal ab. „Was soll das, Finn? Lass Emily gehen.“, forderte Ben erneut. „Nein...das kann ich nicht. Sie ist der Garant dafür, dass du keine Dummheiten machst. Und jetzt...deine Handschellen raus und an die Säule da.“, forderte Finn und ließ Emily noch immer nicht los. Ben zögerte, beobachtete seinen alten „Freund“ genau. Keine Miene verzog sich, von Nervosität keine Spur. Er schien eiskalt wie ein Eisblock zu sein. „Benny, du solltest mich am Besten nicht reizen. Also, mach, was ich dir sage....bitte.“, kam es mit Nachdruck von Finn. Der junge Hauptkommissar blickte Emily in die Augen. Sie sah ihren Freund flehend an. Tränen standen ihr in den Augen und ihre Lippen bebte. „Okay...aber bitte...lass Emily los.“, forderte Ben. Finn entspannte seinen Arm und ließ tatsächlich Emily auf einen Sessel im Parkett fallen. Danach drängte er Ben zur Säule und nahm ihm die Handschellen ab, die dieser aus seinem Halfter holte. Schnell waren Bens Hände um die Säule gezogen und kurz darauf rasteten die Handschellen ein. Finn drehte sich um und schritt wütend auf Emily zu. „Lass das lieber.“, fauchte er, als sie einen Hammer von der Bühne nehmen wollte. Die junge Schauspielerin ließ das Werkzeug fallen und wurde sofort von Finn gepackt und zu Ben gestoßen. „Finn, was...was soll das alles? Warum...warum bist du so geworden? Du bist kein Mörder...du nicht.“, kam es von Ben. Finn lachte kurz auf. „Ereignisse verändern einen. Ich hab auch mal so ein Mädchen wie Emily gehabt.“, fing Finn an.
    „Sie hieß Mathilde...und war eine bildschöne Italienerin. Ich liebte sie abgöttisch. Bis sie von diesem Kerl einfach auf offener Straße erschossen wurde. Einfach so.“, stieß Finn verzweifelt aus und ließ das erste Mal die Waffe sinken. „Die Polizei wollte mir nicht helfen, schien die Suche nach dem Mörder nicht wirklich ernst zu nehmen. Da kamen in mir das erste Mal diese Gefühle auf. Rache...ich wollte blinde, eiskalte Rache an diesem Kerl nehmen, der Mathilde einfach so von meiner Seite gerissen hat. Ich besorgte mir also die Waffe, die du bei mir gefunden hast und suchte den Kerl.“ Finn machte eine dramatische Pause, setzte sich auf den Klavierhocker oben auf der Bühne und legte die Waffe auf das Instrument. „Ich fand den Kerl...er kam gerade aus einem Restaurant an einer vollkommen überlaufenen Straße in Rom. Tage zuvor habe ich immer wieder Schießen geübt und mir bei jeder getroffenen Dose vorgestellt, wie der Kerl blutend zusammensackte. Jetzt, wo es soweit war, wurde die Waffe in meiner Hand vollkommen schwer und mein Finger steif, so als sollte ich nicht schießen. Ich ging auf den Mann zu und hob die Waffe. Er sah mich nicht einmal an. Ich schoss ihm drei Mal in den Rücken und verschwand dann im Gewimmel der übervollen römischen Straßen. Tage später erfuhr ich, dass dieser Kerl der führendste Mafiapate von ganz Mittelitalien war. Er hat Mathilde als Warnung erschossen, damit ihre Eltern ihre Schulden bei ihm zahlten. Und die Polizei? Die hat nicht nach ihm gesucht, weil sie in seinem Sold stand. Nach seinem Tod tanzten in den Nachrichten die Menschen auf den Straßen. Da wurde mir klar...überall wo das Gesetz versagt, Verbrecher durch ihre Maschen schlüpfen lässt, muss ich eingreifen. Und das habe ich getan.“, erklärte Finn. „Und das hast du unter dem Deckmantel eines Portraitmalers getan.“, kam es von Ben. Finn grinste kurz auf. „Niemand verdächtigt einen Maler sein Modell erschossen zu haben. Das war die perfekte Tarnung für die Aufträge. Das Geld konnte ich immer mit dem Bild im Zusammenhang bringen. Ein genialer Plan.“, lächelte Finn und griff wieder zur Waffe, als Bens Handy klingelte.


    Kim blickte zum Theater. Der alte, sichtlich geschockte Pförtner wurde gerade von einem Notarzt untersucht, während Kim Bens Handy anwählte. Sie hoffte, dass er es bei sich hatte und dass der Entführer ranging. „Hallo...wer ist da und was wollen sie?“, kam eine fremde Stimme aus dem Hörer. „Hier spricht Kim Krüger...die Chefin von Ben Jäger. Mit wem spreche ich?“, fragte sie. „Das wissen sie doch sicherlich schon. Also, lassen sie die Spielchen, Frau Krüger und sagen sie, was sie wollen.“, knurrte Finn. „Gut Herr von Wehrmeister...ich möchte, dass sie Ben und Frau Christie freilassen. Dann können wir das Ganze unblutig beenden und ich lege beim Staatsanwalt ein gutes Wort für sie ein.“, erklärte Kim. „Sorry...aber für diesen Deal habe ich zu viel auf dem Kerbholz. Jetzt versuche ich mein Glück. Wenn sie Ben und seine Freundin wiederhaben wollen, lassen sie meine Sachen und meinen Kater vom Boot holen und stellen es vor die Tür. Sie haben eine Stunde Zeit, ansonsten gibt es hier drin den nächsten Verletzten.“, kam es energisch und entschlossen vom Mann und im nächsten Moment war die Leitung tot.
    Kim fluchte innerlich und sah auf das Handy. Dieser Finn...sie musste mehr über den Mann wissen, bevor sie etwas unternahm. „Bonrath, lassen sie die Sachen von diesem Wehrmeister vom Boot holen. Es liegt im Yachthafen Düsseldorf.“, wies Kim den hochgewachsenen Polizisten an. Dieter nickte und fuhr los. „Frau Dorn...fahren sie bitte ins Revier zurück und suchen alles heraus, was sie über einen Finn von Wehrmeister haben.“ „Alles klar, Chefin...“, erwiderte Jenny und brauste ebenfalls davon. Kim blickte zum Theater. Kurz darauf kamen vier schwarze Wagen auf den Platz gefahren. „Alex...da seid ihr ja.“, begrüßte Kim den langjährigen Leiter des SEKs, der sie schon so manches Mal aus einer brenzlichen Situation befreit hatte. „Hallo Kim...wen von den Beiden darf ich denn heute retten? Semir oder Ben?“, fragt er keck und stemmte seine Arme tatenbereit in die Hüften. „Ben ist da drin und seine Freundin. Semir liegt im Krankenhaus seit heute morgen. Hast du nichts vom Anschlag vor unserer PASt gehört?“ Alex Lachen verschwand und er schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment war er über alles im Bilde. „Und der Kerl ist jetzt mit Ben da drin?“ Kim nickte. „Gut, dann lasse ich meine Leute ausschwärmen. Habt ihr schon ein Grundriss vom Theater?“, fragte er. „Ich habe bereits einen angefordert. Er müsste jeden Moment hier sein.“, erwiderte Kim. Im nächsten Moment kam Dieter wieder auf den Platz gefahren. Auf der Rückbank befanden sich die Koffer und noch etwas. „Chefin...den Grundriss hier hat mir ein Kollege mitgegeben. Den wollten sie doch haben oder nicht?“ „Danke Bonrath...Hier Alex, jetzt können wir anfangen.“, meinte Kim. Der Angesprochene nickte und stellte sein Funkgerät ab. „Hast du einen Anhaltspunkt, wo sich der Täter mit den beiden Geiseln befindet?“ „Er hat vorhin mit mir telefoniert und es hat ziemlich gehallt. Ich denke mal, dass sie auf der Bühne sind.“, erklärte Kim. „Gut, dann können wir wenigstens bis zum Foyer vordringen. Aber erstmal müssen wir reinkommen.“, meinte Alex und instruierte seine Männer.


    ...

  • Finn sah Ben an. „Finn, lass uns gehen. Ich kann mich für dich einsetzen. Du müsstest ins Gefängnis, aber nicht so lange. Lass dir doch helfen.“, forderte Ben energisch und zog an seinen Fesseln. Emily blickte zu ihrem Freund auf. „Nein Ben...das kann ich nicht.“, meinte Finn. „Aber...ich werde euch gehen lassen. Ich will nicht noch mehr unschuldiges Blut auf meine Schultern laden.“, erklärte er und suchte in Bens Hosentaschen nach dem Schlüssel. Im nächsten Moment fielen die Handschellen, doch ehe Ben reagieren konnte, war die Pistole da. „Ganz ruhig bleiben, alter Freund.“, forderte Finn und drängte Ben und Emily Richtung Tür. Er drehte den Schlüssel rum und zog die Tür einen Spalt auf, achtete dabei aber darauf, dass er nicht ins Visier der sicher schon eingetroffenen Scharfschützen geriet. „Finn bitte...“, fing Ben erneut an. „Raus mit euch, ehe ich es mir anders überlege.“, knurrte er und stieß seine beiden Geiseln förmlich in die Freiheit. Schnell schloss er die Tür wieder und lehnte sich dagegen. Was jetzt Finn?, fragte er sich selbst. Was jetzt? „Nicht schießen...das sind Ben und Emily.“, stieß Kim erschrocken aus. „An alle Einheiten...nicht schießen. Wiederhole...kein Feuerbefehl...nicht schießen.“, befahl Alex durch sein Funkgerät. Alle Polizisten nahmen ihre Waffen runter und zwei SEK-Beamte brachten Ben und Emily in Sicherheit. „Ben, geht es ihnen gut?“ „Danke...soweit ja. Bringen sie bitte Emily nach Hause.“ Kim nickte. „Schatz, warte dort auf mich. Ich komme so schnell wie möglich nach.“, meinte er zu seiner Freundin. Emily wollte antworten, als einer der Beamten schrie, dass die Tür aufging. „Was macht der Idiot denn da?“, stieß Ben erschrocken aus, als er sah, dass Finn die Waffe noch immer in der Hand hielt und keine Anstalten machte, sie wegzuwerfen. „Was...NEIN FINN NEIN!!“, schrie Ben und wollte losrennen, doch es war zu spät.


    Fin atmete tief ein und wieder aus. Dies war ein schwerer Schritt, doch ins Gefängnis wollte er nicht. Langsam wanderte sein Blick zur Waffe in seiner Hand. Die Männer dort draußen waren darauf trainiert zu schießen, wenn sie eine Bedrohung für ihr Leben sahen. Wieder atmete er tief ein, steckte die Waffe in den Hosenbund und zog seine Jacke aus. Nichts sollte die Kugeln bei ihrem Weg in seinen Körper stören. Er strich sich durch seine Haare und fuhr mit der Hand zu der Narbe hinunter, die er sich beim Kampf im Internat zugezogen hatte. Damals verteidigte er einen Schwachen gegen mehrere Schläger. Damals fing eigentlich alles an. Und das war jetzt sein Leben? Mit 34 Jahren endete es auf den Stufen des Düsseldorfer Theaters. Finn umklammerte die Klinke und zog die schwere Tür auf. Wie in einem tranceartigen Zustand trat er auf die Stufen hinaus, nahm die Stimmen um sich gar nicht wahr, die ihn anschrieen, er solle die Hände hoch nehmen. Gleich...gleich ist alles vorbei, dachte er, schloss die Augen und griff blitzschnell nach seiner Waffe und schwang sie hoch in die Luft. Er sah nur noch das erste Mündungsfeuer aufblitzen und spürte einen dumpfen Schlag in seiner Brust. Seine Knie gaben nicht nach...wieso gaben seine Knie nicht nach? Haben die ihn nicht getroffen? Finn wusste nicht mehr, was er tat. Er steuerte seinen Arm mit der Waffe nach vorne. Dann aber gab etwas nach. Er merkte, wie er taumelte und die Welt um ihn herum so friedlich wurde. Dass sein Körper blutüberströmt von den unvermittelt immer weiter einschlagenden Einschüssen war, ließ ihn kalt. Er war endlich erlöst. Seine Hand glitt nach unten und schlug auf den Treppenansatz auf. Die Waffe löste sich aus den Finger und fiel noch drei Stufen hinunter, ehe sie dann in einer kleinen Pfütze liegen blieb. Seine Augen reckten sich gen Himmel. Wolken zogen schnell vorüber, doch dann ließen sie einige Sonnenstrahlen durch. „Ich...ich komme zu dir, Mathilde...gleich...gleich sind wir wieder vereint.“, röchelte Finn, ehe sich sein Kopf zu Seite neigte und das Leben für immer aus ihm wich.


    Ben starrte auf die Treppe, als die Schüsse verhallt waren. Einer der Polizisten hatte die Nerven verloren und alles danach war nur noch eine Kettenreaktion. Er wollte zu dem Leichnam laufen, doch seine Beine bewegten sich keinen Zentimeter. Finn war ein Mörder. Noch schlimmer...ein Serienkiller. Selbst die Motive seiner Taten, dass das alles nur Verbrecher waren, die sich ihre Freiheit erkauft hatten oder andere Menschen quälten, ohne, dass das Gesetz etwas unternahm, rechtfertigten die Morde in keinster Weise. Und dennoch, es war sein Freund, der da auf den Stufen verblutete. Bens Beine gehorchten ihm langsam wieder und er schritt auf den leblosen Körper zu. Langsam kniete er sich zu Finn hinunter und blickte ihn an. Die Schusswunden waren über den ganzen Brustbereich verteilt. Drei, vier, fünf, sechs, sieben Einschüsse zählte der junge Hauptkommissar. Er streckte seinen Arm aus und nahm Finns Hand, während er mit der anderen die noch starr geöffneten Augen schloss. Dann legte er ihm beide Hände auf die Brust. „Mach's gut, alter Freund.“, murmelte Ben und ging zurück zu Kim und Emily. „Ist...ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Emily. Ben sah sie an und fasste unweigerlich in seine Tasche. Der Ring war immer noch da. Mit einem leicht erschöpften Lächeln blickte er Emily an, nahm ihr Gesicht vorsichtig in die Hände und küsste sie. „Jetzt ja.“, meinte er. Emily umarmte ihn lieblich und sah auf den Körper, der eben von einem Polizisten mit einer Decke abgedeckt wurde. Finn...dieser Name würde ihr noch lange im Gedächtnis bleiben.


    ...

  • Wochen später versammelten sich Ben, Emily, Andrea und die Chefin um Semirs Krankenbett. Mittlerweile hatten die Ärzte ihn auf eine Schaummatte gelegt. So konnte der Deutschtürke wieder auf dem Rücken schlafen. Doch noch immer lag er im Koma. Aus dem holten ihn die Ärzte jetzt langsam raus. Alle starrten wie gebannt auf den Patienten. Dr. Drescher nahm sämtliche Schläuche Zugänge aus Semirs Körper und blickte mit einer Lampe in die Augen des Mannes. „Wir haben ihm vor drei Stunden das Aufwachmittel über die Kanüle eingeführt. Er sollte jetzt langsam wieder zu sich kommen.“, meinte sie und blickte die Gruppe an. Andrea wischte sich eine an der Wange herunterkullernde Träne weg. „Wird er...wird er wieder ganz gesund werden? Ich meine, wird er sich vollständig bewegen können?“, fragte sie die Ärztin. „Das kann ich noch nicht sagen. Tut mir Leid. Wir müssen die Motorik erst überprüfen und einen kompletten Scan der Wirbelsäule vornehmen.“ Dies war keine Antwort, die Andrea wirklich befriedigte. Ehe sie aber antworten konnte, stöhnte Semir auf und bewegte leicht die Augenlider. „A...Andrea? Be...Ben?“, röchelte es leicht und der Kopf bewegte sich leicht nach links. „Wir sind hier, Semir.“, stieß Andrea vollkommen aufgelöst aus und nahm vorsichtig den Kopf ihres Mannes in die Hände. „Ich...ich kann meine Füße nicht richtig bewegen.“, murmelte er leicht und hob den Kopf an, blickte auf seine Füße hinunter. Andreas Ausdruck im Gesicht änderte sich und wurde entsetzt. Hilfesuchend blickte sie zu Ben. „Hey Partner...du hast uns allen einen Schreck eingejagt. Gut, dass du wieder da bist.“, meinte er mit schwerer Stimme. „Ben...wieso...wieso bewegen sich meine Beine nicht?“ „Herr Gerkhan...mein Name ist Dr. Drescher. Ich bin ihre behandelnde Ärztin. Sie wurden angeschossen und eine Kugel hat das Rückenmark verletzt. Daraufhin trat Flüssigkeit aus, was die Lähmung verursacht. Wir werden einen Körperscan vornehmen und danach werden wir weitersehen.“


    Der Körperscan und die Kontrolle sämtlicher motorischer Funktionen brachten fundierte Erkenntnisse. „Herr Gerkhan...die Lähmung ist durch die Rückenmarksverletzung bedingt. Allerdings ist sie nicht inoperabel. Der Hauptnerv ihrer Beine ist durch die Schädigung des Rückenmarks mit Flüssigkeit angeschwollen und geborsten. Wir werden operieren müssen.“ Semir schloss die Augen. Wieso...wieso er? Wieso immer wieder er? „Was...was für Risiken birgt die OP?“, fragte er und hielt mit seiner zitternden Hand die Hand seiner Frau fest umklammert. „Wie alle Operationen an den Nerven, kann es sein, dass sie dauerhaft und dann inoperabel beschädigt werden können. Dies ist aber nur der schlimmste Fall. Wir werden einen Schnitt machen, die Flüssigkeit in diesem Bereich absaugen und den Nerv stabilisieren. Danach kommen sie in eine Reha-Klinik und werden erst mal wieder lernen müssen, ihre Beine zu bewegen.“, erklärte die Ärztin. Semir blickte an seine Beine hinunter, die nun nichts weiter waren, als zwei Stück mit Fleisch behangene Knochen, die nun nicht mehr wollten. Wie sollte er jetzt noch seinen Beruf ausüben? Wie noch Autofahren oder über Mauern hechten. Seine wichtigsten Werkzeuge, neben Hände und Auto, verweigerten ihm den Dienst. Er blickte Andrea an und sie nickte ihm mit tränenreichem Gesicht zu. „Ich will diese OP.“, forderte er mit fester Stimme. „Gut, dann werden wir übermorgen operieren.“ Semir blickte der Ärztin nach und sah dann zu seiner Frau. „Andrea...“ „Semir, ich weiß, was du sagen willst.”, meinte sie und küsste ihren Mann zärtlich auf die Wange. Lächelnd blickte Semir zu Ben und Emily. „Und? Hast du sie schon gefragt, Kumpel?“, platzte er mit der Tür ins Haus. Alle sahen verwirrt zu Ben, dessen Kopf einer Tomate gleich kam. „Was...was wolltest du mich fragen, Ben?“, wollte Emily wissen.
    Ben räusperte sich und fasste in seine Jackentasche. All die Wochen hatte er den Ring nicht herausgenommen und eigentlich wollte er einen romantischeren Moment abwarten. Aber Semir musste ja die Bombe platzen lassen. „Ähm Emily...ich...ich wollte eigentlich damit bis zu einem romantischen Moment warten.“, meinte er und kniete sich hin. „Emily...wir...wir sind jetzt über zwei Jahre zusammen. Wir haben gute und schlechte Momente miteinander erlebt. Deshalb möchte ich dich fragen, willst du den Rest deines Lebens mit mir verbringen? Willst du mich heiraten?“, fragte Ben und hielt seiner Angebeteten die geöffnete Schachtel hin. Emily blieb die Luft weg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Ben...das ist...das ist...der Ring ist wunderschön.“ Vorsichtig steckte sie den Ring auf. Er passte tadellos. „Ja...ja, ich will dich heiraten.“, weinte sie und umarmte ihren nun Verlobten. Alle Anwesenden klatschten und wünschten den frisch Verlobten alles Gute.


    Die OP von Semir dauerte mehrere Stunden, doch als die Ärzte rauskamen, sahen sie sehr zufrieden aus. „Frau Gerkhan...die OP ist gut verlaufen. Jetzt werden wir noch die Motorik ihres Mannes testen und dann muss er zur Reha.“, erklärte Dr. Drescher. Andrea nickte und war sichtlich erleichtert. Susanne, die ihre Verletzungen auskuriert hatte, stand ihr zur Seite und nahm ihre Freundin in den Arm. „Ich bin froh, dass alles vorbei ist.“, meinte sie. „Noch nicht...erst muss die Motorik testen und dann muss Semir wieder laufen lernen.“ „Du weißt doch, wie er ist. Semir ist eine Kämpfernatur. Er wird es schaffen.“, versicherte Susanne. Andrea nickte zustimmend. Wie recht ihre Freundin doch hatte. Wenn Semir etwas war, dann kämpferisch. Die Motorikprüfung fand drei Stunden später statt. „So Herr Gerkhan...dann bewegen sie mal bitte die linke große Zehe.“, forderte Dr. Drescher. Semir versuchte es mit aller Kraft. „Es...es geht irgendwie nicht.“ „Ganz ruhig...bleiben sie ganz ruhig und versuchen sie sich zu entspannen.“ Andrea sah mit Besorgnis auf das Ganze, doch dann bewegte sich der Zeh, zwar steif und unkoordiniert, doch er wackelte. „Na sehen sie...“, meinte Dr. Drescher. Semir lächelte leicht. Auch die Beine konnte er annähernd bewegen und auch die anderen Zehen ließen sich steuern. „Gut, dann können sie nach der vollständigen Abheilung auf die Rehabilitation gehen. Ich wünsche ihnen alles Gute für die Zukunft, Herr Gerkhan.“, lächelte Janine Drescher und verließ das Zimmer. Semir und Andrea blieben glücklich im Zimmer zurück. Es sollte aber weit über 18 Monate dauern, bis Semir seine Beine wieder vollständig bewegen konnte.



    Ende


    Aber Semir und Ben ermitteln weiter ... „Der Wahrheit verpflichtet“

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