10. Blind vor Liebe

  • Gina saß in Bens Wohnung und versteckte den Koffer mit ihrer Waffe in Bens Wandschrank. Sie hoffte, dass sie ihn nun nicht mehr brauchen würde. Von ihrer Last befreit setzte sie sich vor den Fernseher und schaltete das Gerät auf einen der lokalen Sender ein. Sie hatte sich einen Cappuccino gemacht und wollte gerade die Tasse zum Mund führen, als sie auf den Bildschirm den Charakterkopf ihres Opfers sah, dass sie heute Mittag erschossen hatte. Schlagartig ließ sie die Tasse los, diese zerschellte auf den Boden und der Kaffee ergoss sich über das Lamynaht. Sie stellte den Ton lauter und hörte schon die leicht gequälte deutsch sprechende Stimme von Roberto Saviano, der auf die Antworten des Interviewers mit scharfer Zunge antwortete und so die Familien der Mafia und deren Geschäfte in Italien und in Deutschland enttarnte. „Verdammt, wenn das Do Guido herausfindet.“, stammelte sie und merkte nicht, wie ihr Handy vibrierte und Alarm schlug. Dann endlich ging sie ran. „Gina... siehst du auch das, was ich gerade im Fernsehen sehe?“, fragte er wütend. „Das kann ich mir nicht erklären... ich... ich habe geschossen. Er müsste tot sein.“, stammelte sie und sah immer wieder gebannt auf den Fernseher, wo Roberto sein Interview gab. „Es ist mir egal, ob du geschossen hast. Fest steht, dass er noch lebt. Sorge dafür ,dass sich das ändert oder wir werden dir einen Besuch abstatten und du kannst sicher sein, dass wir dir keinen Höflichkeitsbesuch abstatten.“, fauchte Guido, der sonst so sanft zu dieser Frau war, und legte dann auf.
    Gina überlegte dann, nahm sich den Plan, den sie aus Bens Computer gezogen hatte, zur Hand. Akribisch arbeitete es in ihrem Hirn und sie überlegte, wie sie es beim nächsten Mal anstellen würde. Dieses Mal musste es klappen, denn Don Guidos Worte waren keine leeren Drohungen. Da... die Signierstunde im Buchladen... viele Menschen, jede Menge Versteckmöglichkeiten und sicherlich verwinkelte Fluchtwege. Dieses Mal musste es klappen. Sie würde nicht noch eine dritte Chance bekommen. Nein, dieses Mal musste es funktionieren oder sie konnte selbst sich die Kugel geben.


    Ben und Semir standen im Foyer des Senders und warteten auf Roberto. „Scheiße Semir, was, wenn ....“, Ben rang nach den richtigen Worten. Er musste seinem Partner reinen Wein zwecks seines Verdachtes des Computers einschenken. „Was wenn ich schuld daran bin, dass Luca tot ist.“, kam es von Ben und schlagartig drehte sich Semir um. „Sei nicht albern Ben. Das kann doch kaum sein.“, lachte er zynisch. „Doch... Susanne hat heute erzählt, dass ich mal wieder mein Computer angelassen habe.... und meine Freundin hat mich im Büro gesucht. Es kann doch sein... ich sag so was nicht gerne... aber was, wenn sie etwas damit zu tun hat?“, stieß Ben aus und schüttelte gleichzeitig mit dem Kopf. „Ben... ich dachte, du kennst sie schon seit zwei Monaten. Hast du je etwas auffälliges an ihr bemerkt... etwas, dass dich an ihr zweifeln ließ?“, fragte Semir und hatte seine Stimme mit Besorgnis angereichert. „Nein, hat sie nicht.“, erwiderte Ben und sah mit bedrücktem Gesicht auf Semir runter. „Na siehst du... ich wette, da gibt es eine andere Erklärung dafür. Hartmut wird schon was finden und in zwei Tagen haben wir es auch überstanden.“, meinte er und sah dann wieder zur Tür, als Roberto herauskam. Sein Gesicht war von Fertigkeit und Erschöpfung gezeichnet und seine Stirn war vom Schweiß übersäht.
    „Ich habe es überstanden. Auch wenn Luca dafür sein Leben geben musste.“, meinte er nur und sah betreten zu der Stelle, wo die Kreidemarkierungen die letzten Umrisse seines Freundes und Leibwächters kennzeichneten. „Kommt, lasst uns nach Hause fahren. Es war ein schwerer Tag und wir sollten für morgen alle noch besser ausgeruht sein.“, meinte Semir nur und fuhr mit Roberto und Ben zu sich nach Hause. Ben fuhr gleich weiter. Er wollte den Abend mit Gina verbringen und sich einfach nur entspannen.


    ...


    Frohe Weihnachten euch allen und stressfreie Feiertage

  • Kim saß im Büro und machte die letzten Akten fertig. Semir hatte sie über den Vorfall am Studio informiert und sie musste es ans BKA weitergeben. Natürlich waren die Herren nicht sehr erfreut darüber, aber sie gaben sich damit zufrieden, dass der Zielperson nichts passiert war. Dennoch wollte Kim endlich wissen, was hier gespielt wird. Zu diesem Zweck hatte sie den Mann in den Verhörraum bringen lassen, der sie überfallen hatte und den Semir bei der Befreiung angeschossen hatte. „Der Mann ist jetzt im Verhörraum, Frau Krüger.“, gab Susanne bekannt, als sie ihren Kopf zur Tür hereinstreckte und die Chefin tief in den Berichten vertieft vorfand. „Ist gut Susanne, sie können dann Feierabend machen.“, erwiderte Kim und ging in den hinteren Teil der Station, wo sich die Verhörräume befanden. Durch die Tür sah sie den Jungen dort sitzen. Sie trat ein.
    „Ah, die fesche Polizistin.“, höhnte er. „Ich hoffe, wir haben ihnen nicht zu viel Angst eingejagt.“, kam es lachend von ihm. Doch Kim blieb ganz ruhig, obwohl sie diesem Mistkerl gerne für die durchgestandene Angst den Hals umgedreht hätte. „Mein Name ist Kim Krüger... sie werden mir jetzt sagen, was ich wissen will.“ „Oder was? Ich glaube nicht, dass du mir drohen kannst, Schätzchen?“, zischte der junge Mann. Doch wenn er glaubte, Kim damit irgendwie beeindrucken zu können, war er mit diesem Ton an der ganz falschen Adresse bei ihr. Kim lächelte kühl, aber bedrohlich. „Glauben sie, sie sind hier drin sicher? Was, wenn ihre Mafiakollegen herausfinden, dass sie bei der Polizei sind, dass sie womöglich plaudern könnten... Glauben sie, die würden lange fackeln, sie zu töten? Nein, sie sind nur ein kleiner Fisch... ein Sicherheitsrisiko, das beseitigt werden muss.“, gab Kim von sich und sah, wie der Mann immer mehr in sich zusammenfiel. Sein smartes, freches Auftreten war damit weg. „Wollen sie nun reden oder sollen wir warten, bis ihr ominöser Anwalt auftaucht und sie dieses Zimmer nicht mehr lebend verlassen?“, fragte Kim drohend und beobachtete jegliche Reaktion des Jungen.
    „Okay... okay, ich sag ihnen was sie wissen wollen, dafür verlange ich aber Polizeischutz.“, forderte der Junge. „Erst will ich wissen, wie gut die Information ist, dann lässt sich darüber reden.“, meinte Kim kühl und setzte sich vor den Jungen hin. „Wer ist für das Attentat und den Überfall auf mich verantwortlich? Wer hat die Limousine auf der Autobahn überfallen?“, fragte sie und sah mit ernstem Blick auf den jungen Mann von etwa Mitte zwanzig. „Es waren die Männer von Don Guido Brenacese, er ist der, der hinter allem steckt. Ich habe zwar nur kurz für ihn gearbeitet, aber so viel weiß ich, er scheint von der Camorra einen Killer geschickt bekommen zu haben.“, erzählte der junge Mann, den Susanne noch als Peter Kleiner identifiziert. „Moment, die Italiener haben einen Killer nach Deutschland geschickt? Warum?“, wollte Kim wissen und sah Peter eindringlich an. Ihr Blick ließ jedoch keinerlei Kompromiss zu und so musste Peter weiter reden. „Dieser Killer ist auf Roberto Saviano angesetzt.“ „Wie sieht er aus? Ist es ein Mann oder eine Frau?“, wollte Kim wissen und ließ sich durch die Fertigkeit des Jungen nicht beeindrucken. Sie blieb eisern. „Ich weiß es nicht.“, gab Peter von sich. „Verdammt, entweder hilfst du uns oder die Mafia ist schneller als wir und dann bist du wegen Beihilfe zum Mord dran.“, fauchte Kim und setzte so den Jungen weiter unter Druck, doch nach einigen weiteren Bemühungen gab sie auf. Er schien den Attentäter nie gesehen zu haben. Doch wenigstens wusste sie, wer hinter all dem Ganzen steckt.


    Don Guido saß in seinem Zimmer und grübelte angestrengt über die Ereignisse von heute nach. Ihm war der Fehlschlag mehr als unangenehm, denn sicherlich hatten davon schon die Familien in Süditalien von der Schlappe erfahren. Er hoffte, dass dies nicht der Fall war, denn dann war er tot. Dann konnte er alles vergessen, was er sich hier aufgebaut hatte. Guido war nur ein Handlanger der Camorra in Deutschland und konnte demnach sehr wohl ausgetauscht werden. Das wollte er auf jeden Fall verhindern. Moment mal... hatte dieser türkische Bulle nicht Familie? Sein Spitzel hatte doch so was erzählt. Ja klar... das war es. Wenn Gina versagen sollte, würde er einfach sich die Frau und das Kind dieses Bullen holen und ihn zwingen, für deren Leben das Leben von Roberto Saviano auszuknipsen. Er griff zum Telefonhörer. „Sergio... finde doch mal raus, wo sich im Moment die Familie von Gerkhan aufhält... Frag nicht, tu es einfach.“, zischte er und legte wieder auf. Das war ein guter Plan... dieser würde nicht scheitern. Das wusste er, doch erstmal wollte er Ginas Erfolg abwarten. Es war eine gute Idee von ihm, dass sie sich an diesen jungen Bullen ranmachen sollte, um an Informationen zu kommen.


    ...

  • Guido stand auf, sah in die Nacht hinaus und überlegte dann wieder. Verdammt, da war doch noch der Junge, den die Bullen kassiert haben. Das war ein Sicherheitsrisiko... Er musste diesen Peter Kleiner loswerden und das hieß, Sergio und Vincenzo mussten ran. „Sergio... Vincenzo...“, rief er nach seinen Männern und nach wenigen Minuten kamen die beiden Schränke in das Zimmer ihres Bosses. „Sie haben uns rufen lassen?“, fragte Vincenzo seinen Chef und dieser nickte nur. „Ich habe einen Auftrag für euch.“, erwiderte Guido und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. „Was sollen wir tun? Wen sollen wir umbringen?“, fragte Sergio, der sofort mit seinem Messer oder seiner Pistole bei der Stelle war. „Den Kleinen... Peter Kleiner... er ist bei der Polizei und könnte zum Sicherheitsrisiko für uns werden.“, erklärte Guido und zog an seiner Zigarre. Sergio schluckte auf, auch Vincenzo sah seinen Boss mit anderen Augen an. „Chef... der ist bei der Polizei... wie sollen wir das machen?“, fragte der Mann. „Lasst euch was einfallen. Glaubt ihr, ich bezahle euch monatlich zehntausend Euro, damit ich eure Arbeit machen muss?“, fauchte er und schlug auf den Tisch, sodass die Bilder seiner Familie fast umfielen. „Okay, wir werden ihn erledigen.“, gab Sergio bekannt und ging dann mit Vincenzo aus dem Zimmer heraus.
    „Wie willst du das machen?“, fragte Vincenzo Sergio. „Ganz einfach... wir werden uns als Bullen ausgeben und ihn da rausholen. Dann werden wir ihn zu einem Rastplatz bringen und einfach erschießen. So einfach ist das.“, lachte Sergio und überprüfte seine Waffe. „Wo haben wir die falschen Ausweise?“, fragte Sergio und suchte in den Schubladen nach den Ausweisen. „Das wird niemals klappen.“ Vincenzos Pessimismus war deutlich in seiner Stimme spürbar. „Doch... vertrau mir... Das wird es... wir machen uns sofort auf den Weg.“, kam überzeugt von Sergio und schon im nächsten Moment fuhren sie los.


    Hotte gähnte und streckte sich. „Man... warum müssen die Nächte immer so lang sein?“, fragte er und ging zur Kaffeemaschine. „Bringst du mir auch einen mit?“, fragte Dieter und nahm seine Brille von der Nase. „Ja... mach ich.“, kam es müde vom beleibten Polizisten und dieser stapfte in die Küche. Dieter widmete sich wieder seiner Arbeit und sah erst gar nicht, dass zwei Personen die PASt betraten. Bonrath sah auf, als vor ihm zwei Herren im Anzug standen. „Kann ich ihnen helfen?“, fragte Dieter und sah von seiner Schreibarbeit auf. „Das können sie... BKA... wir wollen den Mann haben, der bei ihrer Chefin eingebrochen hat.“, forderte der Mann und zeigte seinen Ausweis. Dieter sah misstrauisch auf den Wisch. „Sie wollen wen holen?“, fragte er und sah zu den beiden Männern misstrauisch auf. Irgendwas stimmte mit den Beiden nicht... schon allein dieser verblichene, aber noch immer erkennbare italienische Akzent. „Tut mir Leid, ohne schriftliche Erlaubnis darf ich ihnen den Gefangenen nicht aushändigen.“, gab Dieter wieder und reichte den Ausweis zurück. Doch das war genau die falsche Reaktion.
    Sergio reichte jetzt diese Sturheit von diesem Schreibtischbullen. Er griff zu seiner Waffe und richtete sie auf Dieter. Dieser stand sofort auf und hob die Hände. „Keinen Mucks...“, stieß Sergio aus und nahm dem langen Polizeibeamten die Waffe aus dem Halfter. „Los, und jetzt holen wir uns Peter Kleiner...“, fauchte er und drückte Dieter nach hinten. Dieser ging langsam und sah zu Hotte, der immer noch in der Küche stand und Kaffee kochte. „Beweg dich und wehe, du machst einen Mucks.“, fauchte Vincenzo, der nicht sah, wie Hotte aus der Küche kam. Hotte sah, dass Dieter mit zwei Männern nach hinten ging. Er spürte gleich, dass hier etwas faul war. Mit gezogener Waffe ging er hinterher und folgte den Dreien auf leisen Füßen. Hotte sah, wie Dieter mit den Beiden in den Zellentrakt ging. Hotte folgte. Er hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache.


    ...

  • Peter Kleiner sah erschrocken auf, als er die beiden Italiener vor der Zelle sah. Schnell wich er in die letzte Ecke zurück, doch es war vergebens. „Los... mach auf und dann hol ihn raus.“, zischte Sergio und stieß Dieter vorwärts. Er merkte nicht, wie sich Hotte von hinten anschlich und immer näher kam. Die Männer drehten sich nicht zu ihm um und schienen ihn wirklich nicht zu bemerken. „Hände hoch ... Polizei.“, stieß Hotte aus, als er dicht bei den Männern war und drückte dem Mann mit der Waffe in den Rücken. Sergio zuckte zusammen und auch Vincenzo ruckte rum. „Denk nicht einmal dran.“, fauchte Hotte und Dieter griff sich die Waffe aus Sergios Hand und hielt ihm die Waffe auf den Bauch. „Das war's dann wohl.“, zischte nun auch Dieter. Peter Kleiner atmete auf. „Okay, langsam umdrehen und die Waffe auf den Boden.“, fauchte Hotte und die beiden taten, was der Polizist verlangte. Schnell war Dieter mit den Handschellen bei der Sache und fesselte die beiden Eindringlinge. „Wow Dieter... da haben wir aber einen großen Fischfang gemacht. Und jetzt bringen wir sie hoch und rufen Frau Krüger an.“, meinte Hotte und packte den einen, steckte ihn dann in die Zelle nebenan und Dieter verfrachtete Vincenzo in die andere Zelle gegenüber von Peter Kleiner. „Hotte, wir haben die Welt gerettet.“, stieß Dieter aus und beide gingen wieder in die Büroräume. „Darauf haben wir uns einen Kaffee verdient.“, meinte Hotte und ging in die Küche zurück, holte die beiden Tassen und dazu ein paar Kekse. „Oh... die Kekse mit Marmelade... du bist klasse.“, stieß Dieter aus. „Ich weiß doch, wie du es magst.“, lachte der dickliche Beamte.


    Sie saßen wieder in ihrem Büro und feierten ihren Sieg, als Kim ins Büro zurück kam und die ausgelassene Stimmung bei beiden sah. „Ich sehe, sie machen sich die Nachtschicht etwas angenehmer... darf man fragen, wieso?“, wollte sie mit einem kühlen Lächeln wissen. Hotte schluckte den Bissen von seiner Makrone hinunter und lächelte die Chefin an, während noch einige Krümel im Bart hingen. „Wir haben gerade zwei dümmliche, falsche Polizisten in Haft genommen.“, lachte er und wischte sich die Krümel aus den Barthaaren. „Noch mal?“, forderte Kim und ließ sich in den Stuhl vor Hottes Tisch fallen. Dieter und Hotte erklärten ihr, was vorgefallen war. Kim hörte gespannt zu und ihr Gesicht fing zu strahlen an. „Endlich kommen wir in diesem Fall vorwärts.“, meinte Kim und stand dann auf. „Ich werde die beiden morgen in Anwesenheit der Staatsanwältin verhören und ihre Arbeit besonders loben. Meine Herren, da ist bestimmt eine Beförderung für sie drin.“, gab Kim von sich. Hotte und Dieter sahen auf. „Glauben sie wirklich, Chefin?“, fragten beide im Chor und strahlten über beide Gesichter. „Ich bespreche das mit der Staatsanwältin, aber ich sehe da keinerlei Bedenken.“, meinte Kim und fuhr dann wieder nach Hause. „Hotte, jetzt haben wir es geschafft.“, beglückwünschte er seinen Freund.


    Semir saß in seinem dunklen Wohnzimmer und starrte auf die sternenklare Nacht hinaus. Wer... wer war für das heutige Attentat verantwortlich? Sollte an Bens Aussage etwas dran sein? Sollte wirklich seine Freundin damit etwas zu tun haben? Was, wenn es wirklich so wäre... er musste es herausfinden. Er griff zu seinem Telefon und wählte das Büro an. „Ja Hotte, ich bin es... sag mal, könntest du für mich in der Personenkartei etwas nachsehen?“, fragte Semir und warf einen kurzen Blick ins Gästezimmer. Roberto schlief tief und fest. Die Ereignisse des heutigen Tages hatten an seiner Nervenkraft gezehrt und schienen ihn völlig ermüdet zu haben. „Moment Semir... wie heißt denn Bens Freundin?“, wollte Hotte nun wissen. Semir stockte... stimmt ja, er wusste ja nur den Vornamen. Nicht, wie sie mit Nachnamen hieß. Verdammt. Oder... stopp mal... Ben hatte doch so viel von ihr erzählt. Da musste doch der Nachname bei sein. Semir überlegte angestrengt und nahm, da er von seinem Haustelefon aus sprach, sein Handy in die Hand und ging die ganzen Simsen von Ben durch. Doch auch da war kein Hinweis auf den Nachnamen. „Hotte, ich weiß leider nur den Vornamen... Gina.“ „Semir, das hilft mir nicht sehr viel.“, gab Hotte durch. „Ich weiß, aber...“, plötzlich kam ihm eine Idee. „Warte mal, Ben hat erzählt, dass sie an seinem Computer war. Ruf sofort Hartmut an. Er soll die Tastatur nach Fingerabdrücken untersuchen und alle durch die Kartei jagen.“, wies Semir seinen Kollegen an. „Jetzt noch?“, kam es erstaunt und erschrocken zugleich von Hotte. „Ja... jetzt noch. Hartmut soll mir das Ergebnis aufs Handy schicken. Es ist eine blöde Idee... aber vielleicht hat sie damit was zu tun. Ich hoffe es allerdings für Ben nicht. Er ist so glücklich mit ihr.“, meinte Semir und legte dann auf. Bitte, flehte er, bitte lass mich dieses Mal unrecht haben.


    ...

  • Hotte legte auf und rief Hartmut an. Zwar war es schon weit nach ein Uhr, aber er wusste, dass der Techniker noch arbeitete. „Hartmut... Hotte hier, hör mal, du sollst mal bitte herkommen und von Bens Tastatur sämtliche Fingerabdrücke nehmen, die sich darauf befinden.“, gab Hotte durch. „WAS?“, stieß Hartmut wütend aus. „Gibt es dafür einen guten Grund, dass ich mich mitten in der Nach zu euch in die PASt bewegen muss?“, kam es vom rothaarigen Techniker. „Tu Semir einfach den Gefallen... Es scheint sehr dringend zu sein.“, meinte Hotte nur und nahm immer wieder ein kleinen Schluck aus seinem Kaffeebecher. Er hörte, wie es am anderen Ende der Leitung einen genervter Stöhner entwich. „Also gut...ich hab ja sowieso kein Privatleben.“, murrte der Techniker und legte dann auf.


    Keine zehn Minuten später war Hartmut in der PASt und ging schnurstracks in das Büro der Kommissare, jedoch nicht ohne ein gequältes „Morgen“ zwischen den Zähnen hervorzuquetschen. „Morgen Hartmut.“, erwiderten Hotte und Dieter, die von ihrem Schreibtisch und ihren Monitoren kurz aufsahen. „Also, wo ist das Ding?“, fragte er und stellte seinen Koffer auf Bens Schreibtisch ab, nahm einen Pinsel und etwas Rußpulver und trug es mit dem Pinsel auf die Tastatur und die Unterlage auf. Mit Klebestreifen sicherte er dann die hervorgehobenen Kontraste. Nach einigen Minuten war er fertig, steckte seine Utensilien wieder in den Koffer und verschwand. „Sag Semir, ich bringe ihm die Ergebnisse morgen vorbei.“, murrte er und wollte schon gehen, als Hotte ihn zurückpfiff. „Nein Hartmut... Semir will die Ergebnisse auf sein Handy haben. Er will es vorerst für sich behalten.“, meinte Hotte nur. „Gut... wie der Herr wünscht. Dann bis morgen.“, verabschiedete sich Hartmut und stieg in seine Lucy, fuhr in die KTU zurück und machte sich sofort an die Arbeit. Das würde eine kurze Nacht werden.


    Ben stand im Bad und hatte sich gerade zur Nacht fertig gemacht, als er über das nachdachte, was heute passiert war. Das mit dem Computer ließ ihn keine Ruhe und so beschloss er, Gina darauf anzusprechen. Nur mit seiner Pyjamahose bekleidet und der Zahnbürste im Mund, ging er ins Wohnzimmer, wo Gina im Pyjamaoberteil saß und mit einer Decke um die Beine geschlungen. „Gina... du warst heute auf meinem Revier, oder?“, wollte Ben mit der Zahnbürste im Mund wissen. Sie saß da, die Hände umschlangen eine Schale mit Schokoladeneis und sah ihren Freund mit aufgeschlagenen Augen an. „Ich wollte dich nur besuchen und dich zum Mittag abholen, aber du warst nicht da.“, erwiderte sie und zog zärtlich die braunkalte Masse mit ihren Lippen vom Löffel. Be nickte, ging zurück ins Bad und putzte sich seine Zähne zu Ende. Dann kam er wieder. „Sag mal, war, als du in meinem Büro warst, mein Computer an?“, wollte er dann wissen und kuschelte sich unter die Decke. Gina sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Ben... stimmt irgendwas nicht?“, wollte sie wissen und sah ihn fragend an. Er fühlte sich ertappt, räusperte sich nur und sah dann verstohlen in der Gegend umher. „Nein... alles okay... Nur, Susanne erzählte mir, dass du im Büro warst und da ich immer vergesse, meinen PC auszuschalten, wollte ich es nur von dir wissen.“, erwiderte er schnell abwimmelnd und klaute seiner Freundin den letzten Haps Schokoladeneis vom Löffel, grinste dabei frech. „Hey, mein Eis.“, zischte sie grinsend. „Ben... ich war nicht an deinem Platz. Ich hab nur einen kurzen Blick in euer Büro geworfen und bin dann sofort wieder gegangen.“, meinte Gina und rieb verliebt ihre Nase an Bens Wange entlang. Dieser kicherte verliebt und umschlang sie nur mit seinen Armen. Beide ließen sich nach hinten fallen und gaben sich den gemeinsamen Zärtlichkeiten hin. Verliebt tropfte der Regen an die Scheibe und draußen wechselten sich Blitz und Donner passend zu den Ereignissen unter der Decke ab.


    ...

  • Durch einen Donnerhall wurde Ben aufgeschreckt und sein mit verwuschelten Haaren gezeichneter Kopf hob sich aus der Decke. Er sah mit verschlafenen Augen aus dem Fenster und dann auf die schlafende Gina. Ein Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht und er stand kurz auf, huschte ins Schlafzimmer, um die Kissen zu holen. Schnell war das geschehen und er war wieder im Wohnzimmer. Doch die Decke war auf einmal leer. „Gina?“, fragte Ben und sah sich um. Sie war weg. „GINA?“, rief er dann etwas lauter und stiefelte in Richtung Bad. Doch da sah er schon das Licht aus der Rille fallen und erleichtert hob er den Kopf. Verschlafen ging er wieder zur Couch zurück, schmiegte sich in seine Decke und wartete, bis Gina wiederkam. Als sie wieder da war, zog er sie kräftig an sich und zog die Bettdecke über sich und seine Freundin und beide ließen sich von den leidenschaftlichen Gefühlen ihrer Liebe leiten. „Ben, ich liebe dich.“, hauchte sie ihm immer wieder ins Ohr, wenn sie daran knabberte. Alle Gedanken Bens über Gina und den Computer waren vergessen. Er hatte sich einfach geirrt. Das stand für ihn fest, Gina war die große Liebe seines Lebens.


    „Nein.“, schrie Roberto auf italienisch und wachte schweißgebadet auf. Keuchend saß er im Bett und tastete nach dem Lichtschalter. Endlich erhellte die kleine Nachttischlampe das Gästezimmer und Roberto schwang sich aus der Bettdecke. Er konnte jetzt nicht schlafen. Zu stark waren die Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse des Tages. Luca, sein Leibwächter, sein Freund, den einzigen Menschen, den er noch hatte und dem er vertrauen konnte, war tot. Die Alpträume... da waren sie wieder, diese Alpträume, die ihn seit dem ersten Tag nach der Morddrohung, seit dem Tag, an dem man ihn von seiner Familie getrennt hatte, verfolgten. Er strich sich über seinen kahlrasierten Kopf. Schweiß bedeckte seine Stirn und lief ihm über die Stirn. Das Wasserglas, was neben ihm auf den Nachttisch stand, war schon leer. So schlich er vorsichtig in die Küche und drehte den Wasserhahn mit dem kalten Wasser auf und ließ das kühle, erfrischende Nass in sein Glas laufen. Immer wieder sah er sich um, ging dann zum großen Terrassenfenster, doch dann zog ein lautes Schnarchen seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Blick zur Couch verriet ihm, wer dieses Geräusch verursachte. Sein Bewacher, Semir Gerkhan, lag dort, die Waffe unter dem Kopfkissen, die rechte Hand auf den Griff ruhend, und schlief. Roberto lachte kurz auf, ließ sich jedoch dazu hinreißen, auf dem Couchtisch Platz zu nehmen und seinen Bewacher zu beobachten.
    Roberto grinste, hielt dabei das Wasserglas fest in seiner Hand. Semirs Brustkorb hob und sank sich gleichmäßig, sein Mund war ein Spalt geöffnet und vielsagende Geräusche schienen in Scharen aus dieser Rille zu entfleuchen und sich wie der Hölle entsprungene Poltergeister im Zimmer zu verteilen und stimmten ihren höhnischen Gesang an. Das, was normale Leute als Schnarchen betitelten, kam Roberto wie eine dimensionale Kreissäge vor, die versuchte Granit durchzusägen und dabei eher versagen würde. Roberto wollte sich nun einen Spaß draus machen und näherte sich mit Daumen und Zeigefinger Semirs Nase, hielt sie zu, bis der Kommissar anfing zu röcheln und ließ dann wieder los. Das Spiel ging vier- fünfmal so weiter, bis Semir von dem Gekicher wach wurde. „Hey, was soll das?“, zischte Semir verschlafen und hob langsam den Kopf, schlug dabei die Augen auf. Roberto lachte. „Entschuldige, aber ich konnte nicht schlafen. Ich war mir nur ein Glas Wasser holen und hörte dich schlafen.“, erklärte Roberto und sah Semir an. Dieser hob sich und ging zum Waschbecken, nahm sich dann auch einen Schluck Wasser. „Semir... ich habe Angst.“, gestand Roberto dann mit tiefernster Stimme. Der Deutschtürke drehte sich um und sah mit seinen braunen Augen auf den Italiener hinüber. „Die Mafia hat einen sehr langen Arm... ich... ich kann einfach nicht mehr. Semir, ich bin fertig.“, stieß er aus und leerte das Glas in einem Zug. Semir nickte und führte sein Glas zum Mund, als seine Aufmerksamkeit auf einen sich bewegenden Schatten außerhalb des Hauses fiel.


    „Was war das?“, fragte er sich und zog seine Waffe unter dem Kissen hervor, schnellte barfuss in den Garten hinaus und sah sich um. Verdammt, was war das? War hier jemand? Er hatte doch einen Schatten gesehen? Roberto kam ihm zur Terrassentür nach, doch Semir fauchte ihn an, er solle in sein Zimmer gehen und dort bleiben, bis er wiederkomme. Ohne zu zögern, tat dies der Italiener und verschwand in seinem Zimmer. Semir blieb draußen, sein Herz klopfte gegen die Brust und die kühle, neblige Luft wehte ihm über die Schultern, sein Hemd flatterte mit. Mit seinen nackten Fußsohlen stapfte er durch das feuchte Gras und schlich um das Haus. Er hatte doch etwas gesehen. Da war er sich ganz sicher. Da... da war er wieder... Der Schatten. Semir hielt inne, die Waffe fest umklammert und schritt weiter durch das Gras. Plötzlich hörte er ein leichtes Fauchen und er schreckte beiseite, drückte sich an die Hauswand und wartete. Wieder ein Fauchen und dann kam ihm der orange-gestreifte Kater seiner Nachbarn um die Ecke. Wie jeden Morgen, wenn er Semir in der Auffahrt sah, so fauchte er ihn auch jetzt an und machte dann einen großen Bogen um den Deutschtürken. „Du kleines Biest.“, stieß Semir aus und holte mit dem Fuß nach dem Katzentier aus. Doch es war schon in die dunkle Nacht entschwunden. Lächelnd ging er wieder ins Haus, sah sich aber nochmals mit strengem Blick um. Es war nur ein Irrtum... dieser dumme Kater aber auch. Muss der ausgerechnet seine Nachttour durch Semirs Garten machen? Abermals schüttelte Semir den Kopf und schloss die Terrassentür gut ab. „Und?“, fragte Roberto, als er den Kopf zur Tür rausstreckte. „Nur der Kater von nebenan.“, entgegnete Semir und legte die Waffe auf den Tisch ab. Der Italiener lachte auf. „Was?“, fragte er und sah Semir nur an. „Der Kater meiner Nachbarin macht immer einen Streifzug durch unseren Garten. Das war der Schatten.“, erklärte Semir und Roberto nickte nur. Der Italiener drehte dann auf dem Absatz um und ging wieder in sein Zimmer zurück. Auch Semir legte sich wieder in sein Nachtlager, zog die Decke über den Kopf und schlief.


    ...

  • Am nächsten Morgen wachte Semir als erstes auf. Schnell ging er ins Bad, duschte und zog sich an. Als er wieder ins Zimmer kam, sah er, wie Roberto am großen Fenster stand und in den Garten hinaussah. Erschrocken fuhr Semir ihn an. „Geh bitte von der Scheibe weg.“, zischte er und zog den Mann schützend weiter ins Innere des Wohnzimmers zurück. Roberto jedoch sah ihn weder böse noch sonst irgendwie vorwurfsvoll an. Das kam Semir komisch vor. „Ist was mit dir, Roberto?“, wollte der Deutschtürke wissen und sah den Italiener nur an. Doch dieser blickte wieder nur aus dem Fenster. „Semir, ich...“, fing er an. „Ich habe heute Nacht eine Erscheinung gehabt. Es wird bald vorbei sein... Bald darf ich meine Familie wiedersehen, da bin ich mir ganz sicher.“, gab Roberto bekannt. Semir wusste nicht, was er sagen soll, denn es war so gut wie unmöglich, dass die Mafia in Italien von heute auf morgen verschwinden würde. Sie saß dort schon seit etlichen hundert Jahren. Warum sollte sie jetzt auf einmal das Feld räumen? „Ich muss kurz weg. Bitte, halte dich von den Fenstern und Türen fern und lass niemanden ins Haus, bis ich wieder da bin. Dieter wird, solange ich weg bin, auf dich aufpassen.“, meinte Semir eindringlich und Roberto nickte. Nachdem Dieter eingetroffen war, machte Semir sich auf dem Weg und stand, nach einer ihm ewig lang vorkommenden Fahrt, in der KTU bei Hartmut.
    „Ah hallo Semir...“, begann Hartmut mit einem knurrenden Gesicht. Semir sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Was ist denn mit dir?“, wollte er wissen. „Ich habe mir mit deiner Aufgabe die ganze Nacht um die Ohren geschlagen.“, zischte er. „Und? Hast du was gefunden?“, wollte der Deutschtürke gleich wissen. „Allerdings... und du wirst staunen.“, meinte er nur und ging mit Semir zu seinem Computer rüber, tippte einige Male auf der Tastatur herum und gab dann den Blick für den Hauptkommissar frei. Semir sah auf dem Bildschirm und dann fragend zu Hartmut, der sofort und ohne ein weiteres Wort mit seinen Erklärungen anfing. „Was du hier siehst, sind die Fingerabdrücke, die ich genommen hab. Bens konnte ich leicht isolieren und diese hier stammen von der Person, die am Rechner deines Kollegen war.“, erklärte er und klickte dann einige Male mit der Maus umher und rief dann eine Rasterfahndung von Interpol auf. „Sieh her...“, bat der rothaarige Techniker den Deutschtürken. Sofort, als er auf den Bildschirm sah, weiteten sich Semirs Augen. Das konnte nicht sein... Nein, das durfte nicht sein.


    „Hartmut, bist du dir vollkommen sicher?“, fragte Semir nur und sah sich immer wieder den Bildschirm an. „Semir... die Fingerabdrücke lügen nicht.“, erklärte er. „Aber wie konnte sie dann so lange unentdeckt bleiben. Ich meine...“, Semir suchte nach den richtigen Worten. Auf dem Bildschirm war deutlich Gina abgebildet. Zwar hatte Semir sie und Ben nur ein einziges Mal von weitem gesehen, doch das Gesicht hatte er nicht vergessen. Es war so warmherzig, so voller Liebe und Freundlichkeit, dass er sich kaum vorstellen konnte, sie wäre eine eiskalte Killerin. Aber dieses Fahndungsblatt von Interpol Rom sagte es deutlich. „Semir... und ich habe da noch etwas. Bens Computer wurde gehackt und zwar ziemlich professionell.“, gab Hartmut bekannt. „Was? Und wie und von wem?“, wollte Semir wissen und sah dann wieder auf den Bildschirm. „Offensichtlich ist Bens PC von einem Handy mit Internetverbindung geknackt worden.“ „Weißt du, was aufgerufen wurde oder welche Daten geklaut wurden?“, kam die nächste Frage von Semir. „Das ist es ja... es wurde nichts gestohlen. Nur einige Sicherheitsdaten, die er mit seinem persönlichen Passwort gesichert hatte, wurden zu allgemeine Dateien umgewandelt. Was es war kann ich dir auch sagen. Der Terminplan von eurem Bodyguardeinsatz.“, erklärte Hartmut. „Hast du die Handynummer rausgefunden?“ „Hältst du mich für ein Anfänger.“, kam es nur von Hartmut und dieser hielt Semir die aufgeschriebene Nummer hin. Der Deutschtürke nahm sie an sich und sah drauf. Was passierte, wenn er jetzt diese Nummer wählen würde? Mit schnellen Griffen hatte Semir die Nummer in sein Handy eingetippt und wartete nun darauf, dass sich jemand am anderen Ende der Leitung melden würde. „Hallo... hier ist die Mailbox von Gina Colucci... Ich bin gerade nicht zu sprechen... bitte hinterlassen sie mir eine Nachricht. Danke.“, hörte Semir und dann das überall berühmte Piepsen. „Verdammt.“, stieß Semir aus. „Druck mir das Fahndungsblatt bitte aus.“, forderte der Hauptkommissar mit ungeduldiger Stimme. Jetzt hatte sich Bens Verdacht doch irgendwie bestätigt und seiner auch... er wünschte, es wäre nicht so gewesen. Wieder würde Ben eine Liebe verlieren und das schmerzte Semir ebenso. Doch vorher würde Ben ihm nicht glauben, wenn er ihm das alles erzählen würde. Er würde auf ihn losgehen, so impulsiv wie Ben war, wenn es darum ging, Freunde oder andere ihm nahestehende Personen zu verdächtigen. „Das gibt Stunk.“, prophezeite Semir, als er wieder im Wagen saß und ins Büro fuhr, wo er Ben vermutete. Er sollte mit seiner Weissagung recht behalten.


    ...

  • Ben kam gerade ins Büro und legte sein mitgebrachtes Brötchen auf den Schreibtisch, als er den Rußstaub darauf bemerkte. Wundernd strich er mit dem Zeigefinger das Zeug auf und zerrieb es mit dem Daumen. Dann entdeckte er es auch auf der Tastatur und ahnte, was hier passiert war. Just in diesem Moment kam Semir zur Tür rein, unter dem Arm einen ziemlich dicken Aktenordner. „Semir... was ist das hier?“, wollte er sofort wissen und hielt seinem Partner den mit Ruß beschmierten Zeigefinger hin. Semir atmete tief ein und sah seinen Partner mit niedergeschlagenem, vielsagenden Blick an. „Ben... ich muss dir was sagen.“, fing er an. Ben wurde stutzig. Was sollte das nun wieder bedeuten? „Semir, was ist los? Und warum bist du überhaupt hier? Hast du Roberto etwa allein gelassen?“, fragte Ben entsetzt. „Nein ... Dieter ist bei ihm. Ben, ich bin deinem Verdacht nachgegangen. Ich habe Hartmut gebeten, von deiner Tastatur Fingerabdrücke zu nehmen und deinen Computer untersuchen zu lassen.“, gestand Semir und sah, wie Ben seine Augen aufriss und den Deutschtürken mit einem alles durchbohrenden, fast tödlichen Blick ansah. „Semir... das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“, fauchte er und sein Gesicht nahm eine gefährlich rötliche Farbe an. „Ben... bitte hör mich an. Hartmut hat die Fingerabdrücke deiner Freundin auf der Tastatur gefunden und außerdem hat sie sich mit ihrem Handy in deinen Computer eingeloggt und so die Daten freigeschaltet.“, erklärte Semir sachlich und mit ruhiger Stimme. Er wusste genau, wie aufbrausend Ben wurde, wenn er sich angegriffen fühlte.
    „Semir... nein nein nein... Gina hat nix mit der Sache zu tun, okay? Also hör auf, sie zu beschuldigen.“, schrie Ben seinen Freund und Partner zusammen. Semir ließ es über sich ergehen, doch auch ihm fiel es schwer, diese harschen Worte zu hören. „Ben... es reicht.“, schrie er dann auch und knallte ihm die Akte vor die Nase, schlug sie auf. „Hier... sieh her. In ganz Europa wird sie wegen diverser Mordanschläge gesucht. Bei einem ihrer Verbrechen ließ sie einen Fingerabdruck zurück und Hartmut hat nun das Gegenstück dazu gefunden. Ben, glaube mir, sie ist es. Es tut mir Leid.“, meinte Semir. Ben lachte verächtlich. „Es tut dir Leid? Das glaub ich nicht. Du hältst mir das vor die Nase, meinst, es wäre ein Beweis und sagst, es täte dir Leid. Schieb dir dein Mitleid in den Allerwertesten.“, fauchte Ben, schnappte sich sein Brötchen und verschwand. „Ben... BEN.“, schrie Semir hinter ihm her, doch es war zu spät. Ben war schon aus der Station gerannt und Semir hörte nur noch die quietschenden Reifen des Mercedes und wie er vom Parkplatz fuhr.


    Ben steuerte seinen Wagen zu seiner Wohnung. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Das Bild in der Akte zeigte sie. Eindeutig sie... Gina, seine Freundin. Aber das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. „Gina?“, rief er durch die Wohnung, als er den Schlüssel im Schloss umdrehte und die Wohnung betrat. Doch keine Reaktion. „GINA?“, schrie er und klapperte jeden Raum ab. Doch nichts. Im Schlafzimmer endete seine Suche. Ben stand vor seinem Bett, wo die Decke und die Kopfkissen wieder ordentlich beieinander lagen und alles unbenutzt aussah. Ben wollte gerade wieder zurück ins Wohnzimmer, als er dabei mit seinem Fuß gegen einen Koffer unter dem Bett stieß. Er hob den Koffer unterm Bett hervor, legte ihn auf seine Seite und besah ihn sich genau. Was war das? War das Ginas Koffer? Warum versteckte sie ihn unterm Bett? Fragen über Fragen schossen Ben durch den Kopf, auf die er nur eine Antwort erhalten konnte, wenn er den Koffer öffnete. Er fackelte nicht lange, drehte am Verschluss auf der linken Seite, bis es klack machte und dann das gleiche mit dem auf der rechten Seite. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend hob er den Deckel an und warf einen Blick hinein. Schnell weiteten sich die Augen des jungen Hauptkommissars, als er sah, was sich im Koffer befand. Eine Waffe und eine blonde Perücke. „Bitte nicht.“, stieß Ben aus, doch ehe er diese Gedanken zuende führen konnte, ereilte ihn ein Schlag in den Nacken und der junge Hauptkommissar ging der Länge nach neben seinem Bett zu Boden.


    ...

  • Semir ging in seinem Büro auf und ab. Verdammt, er hatte gewusst, dass es soweit kommen würde. Er hätte Ben es nicht mit dem Holzhammer beibringen sollen. Sondern sachte und als sein Freund, nicht als sein Kollege. Warum konnte er solche Sachen nie? Warum schlug er immer wie die Axt im Walde um sich? Er musste ihm nach. Oder doch... nein, zuerst musste er mal Dieter wieder ablösen. Er wollte gerade los, als ihm die Chefin über den Weg lief. „Semir... was machen sie denn hier?“, fragte sie, halb entsetzt und halb wütend. „Chefin, ich habe neue Erkenntnisse über den Attentäter und wollte sie nur kurz hier hinterlegen.“, erklärte er schnell. „Wer ist bei Saviano?“, wollte sie im Gegenzug wissen. „Dieter... also, ich meine Herr Bonrath.“, erwiderte Semir und Kim nickte zufrieden. „Gut... dann würde ich diese Ergebnisse gerne hören, bevor sie ihn wieder ablösen.“, forderte sie und zog Semir mit sich in das Büro, schloss die Tür hinter ihm und setzte sich in ihren Sessel.


    „Also Semir... dann mal bitte.“, forderte Kim und betastete sich ihren Hals. Noch immer schmerzte die Wunde und die Erinnerungen an diese Nacht und das Erlebnis auf dem Parkplatz ließen sie kaum zu einem normalen Schlaf finden. „Chefin?“, riss Semir sie aus ihren Gedanken. „Alles in Ordnung?“, wollte der Deutschtürke wissen. „Ja... nun erzählen sie schon.“, forderte sie wieder in ihrer forschen Art und sah dann den Deutschtürken abwartend an. „Okay... Hartmut hat festgestellt, dass Bens Computer gehackt wurde. Anscheinend von einem Handy aus. Es wurden wichtige Daten freigegeben und derjenige hat sich dann Zugang zu Bens Computer verschafft und den Ablaufplan für die Termine ausgedruckt.“, erklärte Semir und sah, wie Kim immer regungsloser wurde. „Wissen wir schon, wer sich da in unser System eingehackt hat?“, fragte Kim und ließ einen Kugelschreiber in ihrer Hand kreisen. „Ja... Ich hatte Hartmut darum gebeten, von Bens Tastatur Fingerabdrücke zu nehmen. Es sind die von Bens Freundin.“, erklärte Semir und sah, dass Kim nun doch überrascht zu Semir rübersah. „Bitte? Sagen sie das noch mal? Bens Freundin soll der Attentäter sein?“, fragte sie und war genauso geschockt, wie Semir im ersten Moment. „Leider besteht keinerlei Zweifel. Hartmut hat mit dem Fingerabdruck einen Aufruf von Interpol Rom gefunden, indem ihr eindeutig Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden, in deren Auftrag sie schon mehrere Morde in Italien, der Schweiz und Deutschland begangen haben soll.“, erwiderte Semir mit schwerer Stimme. Noch immer konnte er es nicht glauben, wollte es nicht wahr haben, aber die Tatsachen sprachen eindeutig gegen sie. Was sollte er da nur tun? Sein Bullenverstand sagte ihm, sie sei schuldig, wie die Katze, aus deren Mund noch die Federn des gefressenen Kanarienvogels hingen. Kim nickte nur. „Gehen sie der Sache nach. Ich werde Herzberger als Verstärkung zu Bonrath schicken. Finden sie diese Attentäterin, bevor noch mehr passiert.“, forderte Kim. Semir nickte und verließ das Büro. Wo sollte er anfangen? Am Besten in Bens Wohnung... Sicherlich würde sie da jetzt wohnen. So stieg er in seinen Wagen und fuhr los, in der Hoffnung, Ben habe sich ein wenig abreagiert.


    ...

  • Stöhnend wachte Ben aus seiner Ohnmacht auf und versuchte sich zu rühren. Sein Schädel brummte und sein Nacken schmerzte ungemein. Nur langsam taten sich die Augen auf und der junge Hauptkommissar sah sich vorsichtig um. Er war noch in seiner Wohnung und er lag in seinem Bett. Halbnackt. War das alles nur ein böser Traum? Ben versuchte sich aufzurichten, doch dann merkte er schnell, dass er gefesselt war. Gefesselt mit seinen eigenen Handschellen, an sein Bettgestell. Wütend riss er daran, doch es hatte kein Sinn. Die Fesseln saßen fest und das Gestell würde nicht nachgeben. „Sorry Ben, aber du hast meine Tarnung entdeckt.“, erklang dann fast wie eine Entschuldigung die Stimme seiner Freundin Gina. „Gina, was soll das? Bind mich sofort los.“, zischte er und riss wieder an den Handschellen. Doch Gina lächelte ihn nur an, strich mit ihrem Finger über Bens Wangen, am Kinn entlang und den Hals hinunter, bis sie schließlich auf seiner Brust gelandet war. „Warum?“, fragte er nur und sah sie mit einem fast tödlichen Blick an. „Hast du mich nur benutzt? War ich von Anfang an dein billiges Werkzeug?“, fing er mit tiefbrodelnder Stimme an, doch Gina antwortete nicht. Im Gegenteil, das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht und sie wendete sich von Ben ab. „Sieh mich an.“, forderte Ben. Doch Gina tat nichts dergleichen. Im Gegenteil, sie wich Ben aus. „Verdammt, Gina sieh mich an.“, schrie er und wirklich tat sie, was er verlangte.


    Ben versuchte in ihren Augen zu lesen. „War das alles nur gespielt?“, fragte er getroffen. „War das alles nur Teil deines Plans? Sich bei einem Bullen einzunisten, um so einfacher an Informationen zu kommen?“, fragte er mit teils niedergeschlagener Stimme. Gina lächelte nur. „Weißt du, Ben, du kamst mir von Anfang an immer sehr naiv vor.“, fing sie an und strich über Bens Bauch. Dieser wehrte sich dagegen. „Weißt du, ich habe schon vielen Männern das Herz gebrochen, aber bei keinem tat es mir so Leid, wie bei dir.“, säuselte sie, sah ihren Gefangenen mit ihren großen Augen an. Dann verfinsterte sich ihr Gesichtsaudruck. „Aber du musstest ja auch unbedingt so neugierig sein und den Koffer finden.“, schrie sie und schlug mit der flachen Hand auf Bens Bauch. Dieser stieß einen kurzen, aber heftigen Schrei aus. „Wieso? Wieso konntest du nicht die Zeit genießen, die uns noch blieb? Ich hätte dir bestimmt kein Leid angetan, nein.“, schwor sie und rannte vor dem Bett auf und ab. „Aber jetzt... tut mir Leid Sonnyboy. Jetzt musst du leider dran glauben.“, meinte sie und zog die Waffe aus dem Koffer, legte dann auf Ben an. Dieser versteifte sich und sah mit entsetztem Blick in den Lauf der Waffe. „Du wirst es ja doch tun. Na los... bring es schon hinter dich. Schieß mir in mein gebrochenes Herz. Du hast es ja eh schon als Spielball benutzt.“, schrie er sie an und ließ die Waffe nicht eine Minute aus den Augen. Gina schien sich aber anders entscheiden zu vollen.


    „Nein... weißt du was, ich werde dich noch eine Weile genießen. Jetzt. Ich werde jetzt mit dir schlafen, dann werde ich meinen Auftrag erledigen und dann ein letztes Mal deine starke Männlichkeit genießen, bevor ich dir dann das Licht ausknipse.“, meinte sie und mit diesen Worten schmiss sie die Pistole beiseite, entledigte sich all ihrer Kleider und stieg zu Ben ins Bett, der sich zwar gegen die liebevollen Annäherungsversuche dieser Schlange zu wehren versuchte, doch es war sinnlos. Wie auch, schließlich war er ihr hilflos ausgeliefert. Seine Hände ans Bettgestell gefesselt und seine Füße mit dem baumwollenen Gürtel seines Bademantels an das untere Teil seines Bettes fixiert. Was er früher genoss, kam ihm nun wie eine Vergewaltigung vor. Er ließ es über sich ergehen, hoffte nur, dass es schnell vorbei war und sie von ihm ablassen würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit stieg sie aus dem Bett und zog sich an. Ein letzter Blick auf Ben. „Eigentlich schade, dass ich dich töten muss. Du bist ein verdammt guter Liebhaber.“, lachte sie und kam dann an Ben heran. „Ich werde jetzt gehen, aber ich will ja nicht, dass du das ganze Haus zusammenschreist.“, und mit diesen Worten drückte sie Ben einen seiner eigenen Socken in den Mund und fixierte ihn mit Klebeband. Ben wehrte sich, so gut es ging, dennoch schaffte sie es, den Knebel zu befestigen. „Arrivederci Bennyboy.“, lachte sie und küsste ihn ein letztes Mal. Ben stieß einen gedämpften Schrei in den Knebel, als sie die Tür zum Schlafzimmer schloss. Wieder begann er an den Fesseln zu reißen, bis seine Handgelenke schon ganz wundgescheuert waren. Es war vergebens. Er konnte nur hoffen, dass jemand nach ihm suchen würde. Semir... Semir war seine einzige Hoffnung. Würde sein Freund nach ihm sehen, nachdem Ben ihn so dermaßen angeschrieen hatte?


    ...

  • Semir fuhr auf die Autobahn und lenkte seinen Wagen in Richtung Bens Wohnung. Er musste sich mit seinem Freund aussprechen und hoffte, dass Ben sich inzwischen wieder abreagiert hatte und wenigstens mit Semir sprechen würde. Die Fahrt kam ihm ewig vor und immer wieder musste er an diesen Streit denken. Hätte er lieber nichts sagen sollen? Wäre das eine Alternative gewesen? Nicht wirklich, er versuchte eher eine Entschuldigung für sich zu suchen, doch es war klar, er musste Ben die Wahrheit sagen. So sehr sie auch schmerzte. Sie waren nun schon ein gutes Jahr Partner, sahen sich 325 Tage im Jahr und verbrachten sogar ihre freien Wochenenden miteinander. Nein, diese Freundschaft war schon zu tief, um sie durch einen so dummen Streit zu zerstören. Das wollte er auf keinen Fall. Schon parkte er seinen BMW vor Bens Haus, stieg aus und ging zum Klingelschild. Auf dem Parkplatz sah er Bens Mercedes stehen. Er war also in seine Wohnung gefahren. Noch einmal zögerte er, doch das währte nur einen kurzen Augenblick. Mit einem zügigen Druck tippte er auf das Klingelschild mit der Aufschrift „Jäger“. Doch lange passierte nichts. „Verdammt Ben, ich weiß, dass du da bist.“, fauchte Semir und sah am Haus hoch. Er konnte die Fenster von Bens Wohnung sehen, doch nicht, ob sich in der Wohnung jemand bewegte. „Shit.“, stieß er aus und griff zum Handy, wählte Bens Nummer, doch auch weder auf dem Handy noch auf dem Haustelefon war Ben zu erreichen. „Okay, jetzt reicht’s.“, meinte er und klingelte einfach bei einem anderen Mitbewohner. „Ja?“, kam es gedrückt aus der Sprechanlage. „Ja hallo, würden sie mich bitte reinlassen. Ich habe hier ein Paket für Herrn Jäger.“, meinte Semir durch die Sprechanlage. „Die Post war doch schon da.“, erklang es zweifelnd zurück. „Ich bin auch nicht von der Post.“, erwiderte Semir leicht genervt. „Okay, warten sie einen Moment...“, kam es dann von dem Mitbewohner und schon im nächsten Moment ertönte der Summer. Semir war im Haus.
    Mit dem Fahrstuhl fuhr er ins obere Stockwerk, wo Ben seine Wohnung hatte. Semir klingelte an der Tür und klopfte gleichzeitig. „Ben, ich bin's. Mach auf.“, forderte er mit lauter Stimme, doch von drinnen kam keine Antwort. Semir wartete nur kurz, dann wiederholte er die Prozedur, nur etwas länger. „Ben, jetzt lass das Spielchen und mach die verdammte Tür auf oder ich komm rein und hol dich.“, drohte Semir, lehnte sich dabei dicht an den Türrahmen, um nicht so brüllen zu müssen. Wieder kam jedoch keine Antwort. Langsam wurde Semir wütend. Er konnte ja nicht ahnen, dass sein Partner ihm nicht antworten konnte. „Okay, das reicht mir jetzt aber.“, schnaubte er und suchte in seinen Taschen nach dem Schlüssel, den Ben ihn für den Notfall gegeben hatte. Damit wäre er ja auch unten reingekommen, aber er wollte es auf die friedliche Weise versuchen. Doch scheinbar war sein Partner sturer, als er dachte.


    Ben hob seinen Kopf, als es an der Tür klingelte. „Mmmmmmmmmhhhh.“, stieß er aus, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch wie? Die Socke in seinem Mund, das Klebeband darüber und die geschlossene Tür zum Schlafzimmer dämpften jegliche Geräusche, die man hätte vor der Tür hören können. Doch deutlich konnte er die Stimme erkennen. Semir, sein Freund und Partner. Semir war gekommen. Sicherlich, um sich mit ihm auszusöhnen. Er würde lachen, wenn er ihn jetzt so sehen könnte. Das war ihm aber egal. Irgendwie musste er seinen Partner vor der Tür auf ihn aufmerksam machen. Womöglich würde er sonst wieder weggehen und das wollte Ben nicht. Denn dann wäre er dem Tod geweiht. Gina würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken umbringen, das war für ihn so sicher, wie sein Gehaltscheck. Er versuchte, seine Füße zu befreien. Immer und immer wieder zog und zerrte er an sämtlichen Fesseln, die ihn am Bettgestell festhielten. Doch die Knoten und die Handschellen saßen Bombenfest. Gina schien diese Spielart nicht zum ersten Mal zu praktizieren. Er wollte jetzt aber nicht näher darüber nachdenken. Immer und immer wieder ruckte er seine Füße gegen die Fesselung an, doch nichts rührte sich. „Mmmmmmmmhhhhhhh.“, stieß Ben immer wieder in den Knebel, in der Hoffnung, seinen Partner vor der Tür auf sich aufmerksam zu machen. Er wusste ja nicht, dass Semir gleich bei ihm sein würde.


    ...

  • Semir schloss auf und ging in die Wohnung. „Ben?“, rief er in das Tief der Räume rein. Doch keine Antwort. Der Hauptkommissar ging weiter in die Wohnung und rief wieder und wieder seinen Namen. Dann blieb er stehen, lauschte in den Raum hinein. War da ein Geräusch? War Ben hier? Konnte er nicht antworten? „Ben? Verdammt, wo bist du?“, schrie Semir und dann war ein Poltern aus dem Schlafzimmer zu hören. Semir ging flinken Schrittes auf die Tür zu und klopfte. „Ben?“, fragte er. „Mmmmmmmmmmhhhhhhhhh.“, kam es erwidernd aus dem Zimmer durch die Tür. Sofort umschlang Semir die Türklinke, drückte sie herunter und fiel in den Raum hinein. Für Semir bot sich ein komisches Bild. Sein Kollege, mit den Handschellen ans Bett gefesselt und geknebelt. Er wusste nicht, ob er darüber lachen oder schweigen sollte. Ben jedoch stieß wütende Laute in den Knebel und zappelte in seinen Fesseln hin und her. „Okay... okay, ich befreie dich.“, meinte Semir, schüttelte sich kurz und suchte in seinen Taschen nach dem Schlüssel für die Handschellen. „Im Moment kann ich die Schlüssel nicht finden.“, kicherte Semir, doch Ben fand das gar nicht lustig. Er warf seinen Kopf nach hinten ins Kissen und stöhnte wütend auf. „Ich löse dir erstmal den Knebel.“, grinste der Deutschtürke und zog Ben das Klebeband ab. Sofort spuckte dieser die mit Speichel durchtränkte Socke aus dem Mund. „Verflucht Semir, sag mir, dass du den Schlüssel dabei hast, oder ich fresse dich.“, fauchte Ben, als er endlich den Knebel los war.
    Grinsend durchsuchte Semir noch einmal seine Taschen und fand dann die kleinen Schlüssel. „Okay, halt still.“, bat der Deutschtürke und schloss die Schellen an Bens Handgelenken auf. „Na endlich... ich dachte schon, dieses Weib würde mich noch einmal brutal vernaschen.“, zischte Ben, erhob sich, nachdem er die Fußfesseln gelöst hatte, und rieb sich die Handgelenke. „Was ist passiert?“, wollte Semir wissen und holte Ben einige seiner Sachen aus dem Schrank, während Ben sich auf sein Bett wieder fallen ließ und die ausgespuckte Socke in eine Ecke warf. „Semir... du hattest Recht.“, kam es kleinlaut von Ben. Semir drehte sich um und ließ sich neben Ben nieder. „Semir, sie... sie hat mich vom ersten Moment an ausgenutzt. Sie...“, er stockte und musste sich eine Träne verkneifen. Semir hörte zu und strich seinem Freund aufmunternd über den Rücken. Er spürte, wie Ben bebte und zitterte und Semir hörte das Schluchzen. Es war ein bitterliches Schluchzen. Wieder war Ben das Herz schmerzlichst gebrochen worden. Semir fühlte sich, als wäre es sein Herz, was da in tausende von Teilen zersprungen ist. „Semir... wie konnte ich das nicht erkennen?“, weinte er und sah seinen Partner mit glasigen Augen an. „Wie konnte mein Menschenverstand das nicht sehen?“, wollte er wissen und presste seine Hände ineinander. Er sah Semir an, wischte sich dann wieder die Tränen aus den Augen. Semir sah ihn an. „Ben... du warst verliebt. Liebe... diese Kraft... sie macht mit unseren Gedanken die verrücktesten Dinge. Ben, du weißt doch, wie sehr sie uns verwirrt.“, versuchte Semir seinen Freund zu beruhigen. Dieser stieß nur ein verächtliches Lachen aus. „Semir... dieses Mal dachte ich, es war die große Liebe und die Monate, die ich mit ihr verbrachte, waren die schönsten meines Lebens. Nach Saskias Tod, da war ich...“, er fand nicht die richtigen Worte. „Du warst am Boden und sie gab dir das Gefühl, wieder zu leben.“, eröffnete Semir ihm und Ben nickte. „Doch jetzt... jetzt hat sie mich verletzt, nein, sie hat mich getötet, Semir. Ganz bewusst hat sie mir ein Messer in mein Herz gestoßen und genüsslich umgedreht... jedes Mal, wenn wir hier lagen.“, zischte Ben und deutete aufs Bett. „Ben... was hat sie vor? Wo ist sie hin?“, wollte Semir wissen. Sein Partner hob sein Kopf. „Sie wollte in die Buchhandlung und beenden, was sie... Scheiße Semir, sie will es noch einmal versuchen.“, stieß Ben aus, riss Semir die Sachen aus der Hand und zog sich an. „Okay, ich benachrichtige Hotte und Dieter. Sie sollen mit dem Termin warten.“, meinte Semir und griff zu seinem Handy, wählte Hotte an, doch dieser meldete sich nicht. „Verdammt... Ben, mach hin. Ich glaube, da ist was passiert.“, stieß Semir aus und stiefelte in den Flur hinaus. „Wie lange ist Gina schon weg?“, wollte der Deutschtürke wissen. „Etwa eine halbe Stunde, wenn nicht mehr.“, erwiderte Ben. „Das lässt uns nicht viel Zeit.“, stieß Semir aus. „Semir, wir müssen sie aufhalten, ehe sie es wirklich schafft. Und ich werde ihr die Handschellen persönlich anlegen.“, zischte Ben und nahm die Dinger vom Bettgestell. „Vergiss die Socke nicht, die du ihr dann in den Mund stopfst.“, lachte der Deutschtürke. „Ich stopf sie dir gleich in den Mund.“, schnaubte Ben wütend, aber auch lachend. Sie rannten zum Wagen und fuhren los.


    Gina kam eine Stunde vor der Veranstaltung im Buchladen an. Ihren kleinen Koffer hatte sie im Wagen gelassen, die Pistole trug sie nun in ihrer Handtasche. Der Laden war so geschnitten, dass der zweite Stock etwas verlagert war, sodass man von einem Geländer, hinab in das Erdgeschoss blicken konnte. Gina sah vom Geländer aus auf die Sitzplätze vor einem Tisch und wusste, dass sie hier gut positioniert war. Eine Pappfigur des neuen Harry-Potter-Buches gab ihr genügend Schutz vor neugierigen Blicken von unten. So war sie perfekt vorbereitet und es war noch eine gute Stunde Zeit, ehe der finale Akt in Roberto Savianos Leben über die Bühne gehen würde. Nur noch weniger, als fünfzig Minuten und sie würde ihren Job erledigt haben. Danach konnte sie sich wieder Ben widmen, der, so war sie sicher, noch gefesselt und auf seiner Socke kauend, im Bett liegend, auf sie warten würde. Wenn dieser Auftrag beendet war, würde sie noch einmal ihren Spaß mit ihm haben, bevor sie ihm das Licht auspusten würde. Er wusste einfach zu viel. Er war ein lästiger Zeuge, aber ein Zeuge, der gut aussah und eine unerschöpfliche Manneskraft im Bett besaß. Ihr Handy klingelte, gerade, als sie sich Bens Tod in den schönsten Farben ausmalte.


    ...

  • „Hallo?“, meldete sie sich. „Hier ist Guido... ich hoffe, du hast mich nicht vergessen, Gina.“, hörte sie die drohende Stimme ihres Dons durch das Telefon. Sofort stand ihr der Angstschweiß auf der Stirn. „Nein, nein, natürlich hab ich dich nicht vergessen. Nur leider hab ich im Moment viel zu tun.“, erwiderte sie mit zittriger Stimme. „Ich hoffe, du erfüllst deinen Auftrag.“, kam es gefährlich durch den Hörer. „Sicher... ich will doch nicht die Familie enttäuschen.“, erwiderte sie und versuchte, ihre Stimme fest klingen zu lassen. „Die Familie wäre auch sehr enttäuscht, wenn es wieder schief gehen würde.“, knurrte Guido durchs Telefon. „Nein, dieses Mal wird es nicht schief gehen.“, versicherte sie ihm. „Das will ich auch hoffen... deinetwegen.“, stieß er aus und legte auf. Nur noch das bedrohliche Tuten der toten Leitung war zu hören. Gina wusste, wenn sie dieses Mal wieder Mist baute, war es das mit ihrem Leben.


    Don Guido legte den Telefonhörer auf und sah seinen Gegenüber an. „Marco... du bist doch ein guter Schütze oder?“, wollte er von seinem Mitarbeiter wissen. Dieser nickte. Marco sprach nicht viel, dafür war er einer der grausamsten Menschen, die Guido unter seinem Kommando hatte. „Ich habe einen Auftrag für dich. Roberto Saviano wird heute sterben. Von Ginas Hand. Sie ist in der großen Buchhandlung am Westviertel in Düsseldorf.“, erklärte der Mafiaboss, griff in seine Schublade und holte eine Pistole mit einem Schalldämpfer heraus. „Hier... sorge dafür, dass Gina nach ihrem Auftrag die Bücherei nicht lebend verlässt. Sollte dir das gelingen, gebe ich dir viel Geld.“, ermunterte er den nicht sehr gesprächigen Mann. Dieser nickte, steckte die Waffe ein und ging zu einem der vielen Wagen, die auf dem Kiesbett vor der Villa parkten. Guido wusste genau, dass Gina mittlerweile ein Sicherheitsrisiko war. Die großen Familien in Italien wollten sie nicht mehr unterstützen, doch sie war die beste Killerin, die sie nun einmal hatten. Nun würde, nach ihrem Tod, ein anderer diesen Platz einnehmen. Es war riskant, aber es musste getan werden, das wusste der Mafioso genau. Sie war zwar, wie eine Tochter für ihn, aber das alles zählte nicht, wenn es Beschluss der Großen war und keiner stellte sich gegen die Großen aus Italien, wenn er keine 9mm-Kugel in seinem Kopf haben wollte.


    Hotte und Dieter trafen mit Roberto pünktlich zum Terminbeginn ein. Es war jetzt vierzehn Uhr und noch immer hatte Semir seine Kollegen nicht erreicht. Das Böse lauerte bereits und eine weitere Person bezog einige Meter von Gina versteckt ihre Position. „Hallo, wir sind von der Autobahnpolizei und sind mit Frau Neiders verabredet.“, meinte Hotte zu der kleinen Verkäuferin hinter dem Tresen. Diese nickte, nahm den Hörer in die Hand und wählte die Chefin an. Nur wenige Minuten später kam eine schlanke, zierliche Frau in einem sehr eleganten Kostüm die Treppe hinunter und begrüßte die Drei. „Signore Saviano, ich freue mich, sie hier zu haben. Darf ich ihnen den Platz zeigen, wo sie lesen werden?“, fragte sie freundlich und der Italiener nickte nur. Sie führte ihn, Hotte und Dieter zum vorgesehen Platz vor dem großen Schaufenster. „Ist das hier ihr einziger Platz?“, wollte Dieter wissen und sah sich um. Es war ein geradezu perfekter Präsentierteller. „Einen anderen haben wir nicht. Wir dachten, wir nutzen die Nachmittagssonne aus, um eine etwas passende Atmosphäre zu erzeugen.“, erwiderte sie. „Schon, aber hier läuft Herr Saviano Gefahr, angegriffen zu werden.“, erklärte Hotte. „Ich versichere ihnen, wir haben an alles gedacht. Die Sicherheitsleute sind in höchster Alarmbereitschaft.“, lächelte sie. Dieter neigte sich zu Hotte. „Was meinst du... wir müssen es einfach riskieren.“ „Es bleibt uns keine Wahl.“, stimmte Hotte zu. „Okay, wir müssen es so machen.“, gab Dieter mit Robertos Einverständnis bekannt. Dieser sah sich um. „Bene, wir werden es so machen.“, gab er bekannt und zog sich den Stuhl zurecht.


    ...

  • Frau Neiders setzte sich daneben und langsam sammelten sich die Schaulustigen und füllten die Buchhandlung. Gina sah aus ihrem Versteck und wartete. Sie wartete, bis sich ihr Opfer im Buch vertieft hatte. Dann würde sie zuschlagen und schnell verschwinden. Der Hinterausgang war auch über die zweite Etage zu erreichen und so würde sie sicher zu ihrem Wagen gelangen, der hinter der Buchhandlung, in einer Seitenstraße geparkt, auf sie wartete. Noch einmal überprüfte sie ihre Waffe und besah sich die Munition. Aus ihrer Handtasche holte sie den Schalldämpfer und schraubte ihn auf die Waffe. Jetzt war gleich der finale Augenblick da. Sie würde es schnell hinter sich bringen und dann verschwinden. Sie ahnte ja noch nicht, dass sie einen Schatten hatte.


    Semir stieg voll in die Eisen, als sie vor der Bücherei waren und sofort sprang Ben aus dem Wagen. Sie sahen durchs Fenster, wie Roberto da saß und aus seinem aktuellen Buch vorlas. „Okay, wir müssen ihn da rausholen, ehe eine Katastrophe passiert.“, stieß Semir aus und sofort rannten sie in die Buchhandlung. Ben sah sich nach einem geeigneten Schussplatz um und verharrte mit den Augen an der Harry-Potter-Pappfigur. „Semir.“, zischte er und deutete auf die Figur. Semir sah genauer hin und entdeckte den Schalldämpfer. „Scheiße Ben.“, schrie er und rannte auf die Tribüne zu. Sofort sahen ihn alle erschrocken. „Weg...weg...weg.“, stieß er aus und machte einen Hechtsprung auf den entsetzt dreinblickenden Roberto. Doch schon im nächsten Moment spürte er einen Einschlag in seiner Schulter. „Ahhhhhhh.“, schrie er und fiel direkt auf Roberto hinauf, blieb auf ihn regungslos liegen. Sofort entstand ein panikartiger Tumult, die Leute rannten durcheinander und stießen aneinander, rannten panisch aus der Buchhandlung. Hotte und Dieter stellten sich schützend um Roberto und sahen auf die beiden hinunter. Während Dieter die Umgebung mit seiner gezogenen Waffe überwachte, fühlte Hotte Semirs Puls. „Semir, alles in Ordnung?“, fragte er und drehte den Deutschtürken auf den Rücken. Ein leiser Stöhner entfleuchte ihm. „Hotte?“, kam es gequält von Semir. „Ich bin hier, Junge.“, erwiderte der dickliche Polizist. Semir winkte ihm dichter zu sich heran, Hotte fügte sich und kam dichter. „Geh von meiner Hand runter.“, fauchte er nun. „Oh...entschuldige Junge.“, stammelte Hotte und stand auf. „Danke... helft mir mal auf.“, kam es gequält von Semir und sofort wurde er sanft hochgezogen. „Alles okay?“, wollte Roberto wissen und sah seinen Retter mit großen Augen an. Semir nickte. „Ist nur ne Fleischwunde.“, erwiderte der kleine Polizist.
    Ben rannte die Treppe rauf, seine Waffe im Anschlag. Er war fast an der Pappfigur, als diese auf ihn umgestoßen wurde. Er fiel mit der Figur um, rappelte sich aber schnell wieder auf. „Gina, bleib stehen.“, schrie er, als er sah, dass die Italienerin zur Treppe flüchtete, die Richtung Dach führte. „Warum immer nach oben?“, dachte er nur knurrend und rannte hinterher. Doch auch der Schatten von Gina rannte hinter den Beiden her und erreichte nach Ben das Dach, versteckte sich hinter einem Lüftungsschacht. „Gina, bleib stehen.“, schrie Ben und nahm die Waffe in Anschlag. Doch Gina blieb nicht stehen, im Gegenteil, sie feuerte einige Male mit ihrer Waffe ungezielt in Bens Richtung. Der junge Kommissar warf sich zu Boden, schoss aber nicht zurück. Nein, er wollte Gina lebend haben. Irgendwann gab die Waffe von Gina den Geist auf. „Shit.“, zischte sie und warf sie weg. Darauf hatte Ben gewartet. Er sprang auf und rannte mit seiner Waffe weiter. Bald hatte er seine Freundin eingeholt, sie erreichte bald den Rand des Daches. „Verdammt, Gina, bleib stehen.“, schrie er und gab einen Warnschuss in die Luft ab. Schlagartig blieb die Italienerin stehen und hob ihre Hände. „Ben, du würdest doch nicht auf mich schießen, oder?“, fragte sie mit zittriger Stimme und drehte sich langsam um.


    „Darauf würde ich mich nicht verlassen, Gina. Du hast Menschenleben auf dem Gewissen, hast mich getäuscht. Du wirst deiner gerechten Strafe nicht entgehen.“, fauchte Ben und ging langsam auf Gina zu. Seine Waffe dabei immer im Anschlag. Keiner der beiden merkte, wie sich Marco aus seinem Versteck erhob und auf Gina anlegte. Er hatte freie Schussbahn. Nur ein kurzer, eiskalter Blick und sein Finger krümmte sich. Der Schuss hallte über das ganze Dach und erschrocken ging Ben in die Knie, sah, wie Gina getroffen zusammenbrach. „NEIN!!“, schrie er und drehte sich um. Marco war ohne Deckung und legte nun auf den Polizisten an, doch Ben war schneller und schoss ihm drei Mal in die Brust. Er kümmerte sich gar nicht erst um den Mann, sondern rannte gleich weiter zu Gina, die röchelnd am Boden lag. In ihrer Brust klaffte eine blutrote Wunde, die langsam den blauen Pullover, ein Geschenk von Ben, rot färbte. „Be...Ben.“, keuchte sie und schluckte schwer. „Gina... ich... ich bin hier.“, schniefte er. Er schluckte und versuchte seine Tränen zurückzuhalten, doch seine Freundin so zu sehen. Das war zuviel für ihn. Wieder wurde ihm das Liebste genommen. „Ich... ich... ich habe dich immer geliebt, Ben. Das...musst...das musst du mir glauben.“, stockte sie und ein Schwall Blut kam beim Husten aus ihrem Mund. „Shhht, nicht sprechen... der Arzt kommt gleich. Hör zu, du musst durchhalten. Bitte Gina... halte durch.“, flehte Ben und spürte gar nicht, wie sich die Tränen einen Weg aus seinen Augen bahnten. Doch innerlich wusste er, es war zu spät. Sie schüttelte den Kopf. „Ich gehe den Weg, den ich gehen muss.“, hauchte sie, zog sich dann aber an Bens Schulter hoch. „Ben... hör zu. Don Guido... er ist Mitglied der Mafia und für all das verantwortlich... er ... er hat mich auf dich... ich... ich... liebe...“, dann jedoch fiel ihr Körper kraftlos nach hinten, die Augen schlossen sich und jegliches Leben war aus ihr gewichen.


    ...

  • „Nein...NEIN...“, stieß Ben aus und weinte, nahm sie fest in seine Arme. Er drückte den kleinen, leblosen Körper an sich, in der Hoffnung, dadurch sie wieder zum Leben zu erwecken. Doch es war zu spät. Wieso... wieso musste das Schicksal so grausam zu ihm sein? Nie würde er sie vergessen. Auch, wenn sie ihn benutzt hatte, sie hatte ihn geliebt und sie war die erste Frau, zu der er, nach Saskias Tod, die drei kleinen Worte sagen konnte, in denen so viel Macht, so viel Ausdrucksstärke steckte und die jeder hören wollte, die jeder von seinem Partner erwartete. Wie oft hatte er diese drei Worte „Ich liebe dich“ zu Gina gesagt? Er wusste es nicht mehr. Langsam kam die Realität wieder zu ihm zurück und er ließ Gina los, verabschiedete sich aber mit einem Luftkuss von ihr, das war ihr Ritual, wenn Ben immer morgens zur Arbeit musste und Gina aus dem Fenster sah.


    Langsam ging er wieder in die Buchhandlung zurück, wo Semir gerade verarztet wurde. Zum Glück stellte sich alles nur als harmloser Streifschuss heraus. „Ben... alles in Ordnung?“, wollte sein Kollege wissen, als Ben an Semir vorbeiging. Semir sah sofort, dass er geweint hatte. „Bestens.“, grummelte dieser nur und ging vor den Bücherladen. Semir sah den Doc an, zog seine Jacke über den Verband und ging Ben hinterher. Als er näher kam, hörte er das Schluchzen. „Ben?“ „Sie ist tot Semir, tot.“, weinte er und sah seinen Partner mit roten Augen an. „Sie haben einen Killer geschickt, um sie zu töten. Ich hab ihn nicht gesehen. Er hat sie heimtückisch erschossen.“, keuchte Ben und trat gegen einen Stromkasten. „Ich konnte sie nicht retten.“, weinte er und ließ sich an ihm hinuntergleiten, bis er auf dem Asphalt saß. Semir sah seinen Partner an. „Das... das tut mir Leid, Junge. Ich weiß, sie hat dir viel bedeutet.“, versuchte Semir im ruhigen Ton. „Das hat sie... Sie... Sie war einfach...“, Ben suchte nach den richtigen Worten. Doch, als er an sie dachte, musste er wieder weinen. Die Tränen überrannten ihn und liefen unentwegt über die Wange. Er hielt sich schützend die Hände vor, wollte nicht, dass jemand sah, wie er weinte. Semir kniete sich neben ihn und zog Ben an seine Schulter, so wie er es schon einmal getan hatte. Der junge Hauptkommissar ließ es geschehen. Er brauchte jetzt diesen Halt und es war gut, dass er so einen Freund wie Semir hatte.
    Dann jedoch verfinsterte sich sein Blick. „Semir... ich weiß, wer sie umgebracht hat und den werde ich mir jetzt kaufen.“, stieß er aus. „Ben... beruhig dich bitte.“, versuchte Semir und packte seinen Partner bei der Schulter, doch dieser stieß den Deutschtürken weg. „Beruhigen? Vergiss es? Ich werde diesen Mörder mit meinen eigenen Händen zur Strecke bringen.“, schrie er Semir an und sah seinen Partner an. „Ben... zerstör dich nicht selbst.“, bat Semir, doch Ben riss sich von Semir wieder los, kam dabei gegen die frische Wunde an der Schulter. „Ahhh.“, stieß der Deutschtürke auf und hielt sich die Schulter, sah Ben vorwurfsvoll an. Reuig blickte Ben auf seinen Freund. „Es tut mir Leid.“, hauchte er. „Ben... lass mich die Chefin anrufen. Was hat Gina gesagt, wer hat sie umgebracht?“, wollte Semir wissen. „Es soll Guido Brenacese dafür verantwortlich sein.“, meinte Ben mit leicht beruhigter Stimme. „Okay, ich ruf jetzt die Chefin an und die wird ihn verhaften.“, meinte Semir und hielt Ben sanft am Arm fest. Ben machte keine Versuchung, sich loszureißen. Er wollte Semir nicht noch mehr verletzen, als er schon jetzt durch die Kugel war. Er sah durch das Schaufenster und sah, wie die Sanitäter die verdeckte Leiche von Gina vom Dach trugen und in den Leichenwagen brachten. „Chefin, Semir hier. Es gab ein weiteres Attentat, aber Saviano ist unverletzt.“, meinte er. „War es Bens Freundin, die geschossen hatte?“, wollte Kim wissen und wartete auf eine Antwort. „Leider ja... Chefin, sie wurde von Guido Brenacese dafür angeheuert und bezahlt.“, erklärte Semir. „Das gleiche haben mir seine Leute auch im Verhör erzählt. Konnten sie diese Gina festnehmen?“, kam die nächste Frage aus dem Mund der Chefin durch das Telefon an Semirs Ohr. „Nein... dieser Brenacese hat sie erschießen lassen. Chefin, sie müssen ihn festnehmen, bevor er sie absetzen kann.“, bat Semir und Kim veranlasste das Nötigste. Semir legte wieder auf.
    „Ben... ich... es tut mir Leid.“, meinte Semir nur und legte seine Hand vorsichtig auf die Schulter von Ben. Dieser sah ihn an und nickte. „Semir... stört es dich, wenn ich jetzt ein wenig allein sein will?“, fragte er, doch Semir zeigte Verständnis. Er schüttelte nur den Kopf und Ben ging. Er ging einfach die Straße runter, die Hände tief in den Taschen vergraben, den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen. So ging er teilnahmslos an den Leuten vorbei. Ohne Ziel, ohne Zeitgefühl. Er brauchte einfach Abstand. Abstand vom ganzen Beruf, von den ganzen Ereignissen, die gerade passiert waren. Er kam zur kleinen Bar, wo sich Gina und Ben kennen gelernt hatten. Er sah sich beide vor seinen inneren Auge auf den Stuhl sitzend, Wein trinken und lachen. Damals war es, als hätten sie sich gesucht und gefunden. Doch es war nur eine Lüge... eine Scharade, um an Ben ranzukommen. Dennoch konnte er nicht anders. Er setzte sich auf den Platz, wo er damals gesessen hatte und ließ einfach die Erinnerungen schweifen. Den freundlichen Kellner schickte er ohne eine Bestellung wieder weg. Er wollte jetzt einfach alleine mit sich und seinen Gedanken sein.


    Don Guido stand an seinem Schreibtisch und zog an seiner Zigarre. Es war alles aus. Er hatte es gerade von seinem Spitzel erfahren und er hörte auch schon die Sirenen der Polizei auf ihn zukommen. Seine „Herrschaft“ war zu Ende. Die Waffe lag schon vor ihm ,denn er wollte nicht verhaftet werden. Das würde mit Sicherheit sein Todesurteil sein. Die Familien in Italien verstanden in dieser Sache keinen Spaß – er musste diesen Ausweg wählen. Es war kein ehrenhafter Tod, doch es war der einzige Weg. Guido nahm die Waffe in seine Hand, warf sie kurz hoch und fing sie wieder auf. Schon hörte er das Klacken der Autotüren und das Krachen der Haustür... sie waren im Haus, gleich würden sie bei ihm sein. Schnell umklammerte er den Griff, steckte sich den Lauf in den Mund und schoss. Das Blut und seine Gehirnmasse spritzten ans Fenster und sein Körper sackte in den Stuhl zurück. „Polizei... Hände hoch.“, stieß Kim aus, als sie in den Raum trat und die Waffe auf dem Schreibtisch liegen sah. Der Bürostuhl drehte sich noch und darin, die Leiche von Don Guido Brenacese. „Verdammt, wir sind zu spät.“, stieß Kim aus, doch einerseits war sie froh darüber, dass es vorbei war. Sie steckte ihre Waffe ins Halfter zurück und verließ das Zimmer.


    Ben saß immer noch im Café und hing in Gedanken an Gina fest. Immer wieder sah er auf den Platz, der ihm gegenüber war. Da hatte Gina sich frech hingesetzt und ihn einfach angesprochen. Warum musste das Schicksal nur so grausam zu ihm sein? Ben fragte sich schon in Gedanken, ob er jemals die Partnerin fürs Leben finden würde. Oder war es das Schicksal, sein Schicksal, einsam zu sein, einsam zu bleiben? Er warf einen Fünfer auf den Tisch, klemmte ihn unter den Aschenbecher und verließ das Café. Würde sein Leben wirklich so aussehen?



    Ende.


    Aber Ben und Semir ermitteln weiter ... „Das Gold der Mönche“

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