Angst und Vertrauen

  • Gespannt lauschten alle Anwesenden als der Anrufer antwortete: „Ah,… Herr Ritter!“ Die Männerstimme klang überheblich arrogant und weckte in Chris eine verborgene Erinnerung.
    Er wagte einen Schuss ins Blaue: „Lorenz!… Was wollen Sie?“


    Für den Bruchteil einer Sekunde war es still in der Leitung und Chris wusste, er hatte richtig getroffen.
    Als nächstes war ein krankes Kichern zu hören: „Oh Mann, Ritter, Sie sind gut. Wirklich!… Woher wissen Sie, das ich es bin?“


    Verächtlich stieß Chris die Luft aus: „Wo Borchert ist, sind Sie meist nicht weit! Ohne Ihren Handlanger kriegen Sie doch nichts auf die Reihe! Und Sie haben sich noch nie gern die Hände schmutzig gemacht.“
    „Ritter,… Sie sollten vorsichtig sein, mit dem was Sie sagen!“ mahnte Lorenz. „Sie sollten nicht die Hand beißen, die man Ihnen reicht!“


    „Was wollen Sie?“ Chris klang gereizt.
    Knurrend antwortete Lorenz: „Na, na,… warum so ungeduldig? Ich dachte, das wir uns erst nett unterhalten… Aber OK, ich will mal nicht so sein. Doch bevor ich ihnen meine Informationen mitteile, sagen Sie ihrer Vorgesetzten, das sie den Lautsprecher ausschalten soll.“


    Anna warf Semir und Hartmut einen erstaunten Blick zu. Wie konnte der Mann wissen, das der Lautsprecher an war?
    Sie konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn der Mann sprach bereits weiter: „Bei solchen Gelegenheiten schalten Sie doch immer die Lautsprecher ein. Ich kenne Eure Methoden!… Und jetzt machen Sie schon!“


    Mit einer schnellen Handbewegung schaltete Chris den Lautsprecher am Telefon ab und fauchte in den Hörer: „Ist bereits passiert. Und jetzt lassen Sie hören!“
    „Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren zu erfahren, was Ihre Kollegen vor Ihnen verheimlichen“, ließ Lorenz ihn betont siegessicher wissen.


    Jetzt war es an Chris zu schweigen. Kalt schaute er von einem zum anderen. Semir und die Chefin warfen sich einen ratlosen Blick zu und Hartmut schaute verlegen zu Boden. Chris presste die Lippen zusammen und drehte ihnen anschließend den Rücken zu. Er fühlte sich verraten und wollte nicht länger in ihre verlogenen Gesichter sehen.
    ‚Also doch!’ dachte er verbittert bei sich. Sein Blick ging zum Fenster hinaus. Er registrierte die aufziehenden, dunklen Wolken am Himmel, bevor er antwortete: „Ich höre!“


    „Wenn Sie wissen möchten, was Ihre Kollegen schon längst wissen, bitten Sie Ihre Chefin, Ihnen die CD aus der obersten Schublade ihres Schreibtisches zu geben. Alles weitere sehen Sie dort.“
    Noch ehe Chris etwas fragen konnte, vernahm er ein Knacken und die Leitung war tot.


    Eine Zeit lang regte er sich nicht und seine Hand umkrallte den Hörer. Er konnte nicht klar denken… spürte nur, wie negative Gefühle in ihm hoch kochten. In seinem Inneren breitete sich Angst aus, die sich mehr und mehr mit Wut vermischte.
    Eine fatale Mischung und das wusste er. Mit ein paar tiefen Atemzügen versuchte er seine Emotionen unter Kontrolle zu bekommen. Doch es gelang ihm nur mäßig.


    Langsam drehte er sich um und starrte die Chefin kurz mit zusammen gekniffenen Augen an. Sein Versuch, sich zu beherrschen, misslang.
    Plötzlich knallte er den Hörer auf die Gabel.
    „Schluss mit den Lügen! Ich will jetzt alles wissen!“ tobte er laut, während er seine Hände an die Hüften stemmte. In seinen Augen sprühten gefährliche Funken...

  • Über den Ausbruch mindestens genauso erschrocken wie seine Chefin, legte Semir in dem Versuch ihn zu beruhigen, eine Hand auf Chris’ Arm.
    „Was ist los? Was hat er gesagt?“ wollte er von ihm wissen.


    Ohne Semir zu beachten, schüttelte er dessen Hand mit einer abwehrenden Geste ab. Seine Augen blieben die ganze Zeit an der Chefin heften,… ließen nicht von ihr ab.
    Diesmal war er nicht gewillt sich mit irgendwelchen Ausreden abspeisen zu lassen!
    „Ich will endlich die Wahrheit erfahren! Was ist auf der CD in Ihrem Schreibtisch zu sehen?“ Dabei deutete er mit einer wilden Geste seiner rechten Hand in die Richtung, in der er die CD vermutete, bevor er sie wieder an seine Hüfte stemmte.


    Annas Gesicht wurde schlagartig aschfahl und sie zog hörbar die Luft ein. „Woher wissen sie davon?“ fragte sie tonlos.
    „Was darauf zu sehen ist, will ich wissen!“ forderte Chris laut, ohne auf ihre Frage einzugehen.


    Sie tauschte einen Blick mit Semir, der ergeben die Schultern zuckte. Mit einem Seufzer senkte sie den Kopf und nickte leicht.
    „Ich gebe Ihnen die CD. Aber nur unter zwei Bedingungen:…“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und sah ihn ernst an. „Erstens: Sie geben mir Ihre Waffe! Und Zweitens: Sie verlassen nicht die PAST!“
    Verwirrt starrte Chris sie an: „Was soll das?... Vertrauen Sie mir nicht?“


    Annas anschließendes Schweigen und ihr verschlossenes Gesicht sagten mehr als tausend Worte.
    Chris fühlte sich, als hätte er eine schallende Ohrfeige erhalten und wich unbewusst zurück! Sekundenlang, die allen Anwesenden wie eine Ewigkeit vorkam, stand Chris da, wie vom Donner gerührt. Das einzige, was sich an ihm bewegte, waren seine bebenden Nasenflügel und der mahlende Unterkiefer. Sie zeigten deutlich, wie sehr er um seine Fassung rang.


    Ohne seine wütend dreinschauenden Augen von ihr abzuwenden, zog er abrupt seine Waffe aus dem Holster am Gürtel, entfernte das Magazin und legte beides demonstrativ auf die Arbeitsplatte des Schreibtisches. Aggressiv schaute er die Chefin an, hielt ihr die rechte Hand hin und forderte: „Und jetzt her mit der CD!“


    Anna wusste, das es ein Fehler war, doch sie hatte keine andere Alternative. Chris’ Waffe an sich nehmend, zog sie die Schublade auf, legte sie hinein und holte die CD hervor. Mit einem müden Seufzer hielt sie ihm die Scheibe hin.
    Doch ehe Chris danach greifen konnte, nahm Semir sie ihr ab.


    „Was soll der Scheiß?“ fluchte Chris und funkelte seinen Partner angriffslustig an.
    Semir blieb ruhig und antwortete mit sanfter Stimme: „Bitte Chris,… lass mich Dir ein paar Dinge erklären, bevor Du Dir das anschaust.“
    Chris stemmte wieder seine Hände in die Hüfte, reckte sein Kinn nach vorn und zischte: „Ach,… plötzlich willst Du reden? Ein bisschen spät, findest Du nicht?“


    Geflissentlich überhörte Semir den aggressiven Ton und bevor er antwortete, sah er einen Moment verlegen zu Boden. Danach suchten seine Augen wieder Kontakt mit Chris: „Ich weiß, ich hätte früher mit Dir reden sollen. Das tut mir jetzt auch furchtbar leid. Aber ehrlich gesagt, wusste ich nicht,…“
    „…wussten wir nicht…“, warf Anna ein.


    Ihr einen kurzen, dankbaren Blick zuwerfend an, fuhr Semir fort: „… wussten wir nicht, wie wir es Dir beibringen sollten. Du hast gestern nach der ersten Botschaft so extrem emotional reagiert,… warst so voller Schmerz und Verzweiflung… Und dann die Enttäuschung gestern Abend, als wir feststellen mussten, das wir die Kidnapper nur knapp verpasst hatten... Du hast so viel einstecken müssen und warst am Boden zerstört… da wollten wir Dir nicht noch mehr zumuten.“


    Er hielt kurz inne. In Gedanken schien er nach den richtigen Worten zu suchen, dann fügte er mit flehender Stimme hinzu: „Und als Dein Partner und als dein Freund bitte ich Dich: Schau Dir diesen Film nicht an!“


    In Chris’ Augen flackerte es. Hatte er richtig gehört? Semir hatte ihn als Freund bezeichnet?
    Er versuchte abzuschätzen, in wie weit er es ernst gemeint haben könnte und betrachtete ihn eingehend. Doch weder in seiner Miene noch in seinen Augen konnte er eine falsche Absicht erkennen. Semir sah ihn offen und ernst an. Er schien es ehrlich zu meinen.


    Chris’ Abwehr bröckelte. Auf seinem Gesicht spiegelte sich für einen Augenblick seine Verwirrung.
    Aber auch etwas anderes blitzte kurz auf: Hoffnung!… Hoffnung auf Freundschaft, auf Vertrauen, auf Geborgenheit… Dinge, nach denen er sich schon so lange sehnte…
    Sollte seine Sehnsucht endlich gestillt werden? Jetzt, in dieser dunklen, verzweifelten Stunde?
    In diesem, wie es für ihn schien, wahr gewordenen Albtraum?


    Es gab nur einen Weg, das heraus zu finden!
    „Was ist auf dem Film zu sehen?“ fragte er mit rauer Stimme.


    Semir, der die ganze Zeit Chris ansah, hatte natürlich seine Emotionen beobachten können.
    Er spürte, das dies ein wichtiger Punkt für ihre weitere Partnerschaft bedeutete und so schmerzhaft auch die Wahrheit war: Er musste sie ihm jetzt sagen!
    Es war seine Chance, Chris zu beweisen, das er ihm vertrauen konnte. Sonst war alles verloren,… das wusste er.


    Chris fest in die Augen schauend, antwortete er: „Richards Tod!“
    Plötzlich legte sich eine lähmende Grabesstille über den Raum…

  • In Chris’ Kopf rasten die Gedanken... er versuchte diese ungeheuerliche Aussage zu fassen,... zu verstehen,... ihr eine Struktur zu geben,...doch es gelang ihm nicht.
    Langsam schüttelte er ungläubig den Kopf und stieß mit versagender Stimme hervor: „Nein!… Nein, Semir!… Sag, dass das nicht wahr ist!… Sag, das Du Dich da irrst!“


    Erschrecken stand Semir ins Gesicht geschrieben, als er Chris anschaute: Er sah einen Mann, der am Abgrund stand!
    Fassungslosigkeit und Verzweiflung verzerrten Chris’ Miene,… spiegelten wider, was in seinem Innersten vorging.


    Tief empfundenes Mitgefühl durchwallte ihn und er hätte einiges darum gegeben, hätte er Chris dieses ersparen können. Doch er hatte diesen Pfad gewählt und er musste ihn nun zu Ende gehen,… auch wenn es ihm schwer fiel.
    Bedauernd hob er hilflos seine Schultern, als er leise antwortete: „Es tut mir leid, Chris… Ich bin mir sicher!“


    Eine eisige Hand umfasste Chris’ Herz und krallte sich dort fest... ließ es für eine Sekunde aussetzen.


    Kalte Wellen blanken Entsetzens brandeten über ihn... nahmen ihm die Luft zum Atmen.


    Er hatte das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren... der Raum verzerrte sich vor seinen Augen... alles um ihn herum drehte sich.


    Er taumelte und suchte schwankend nach festem Halt... doch seine Hände griffen ins Leere... er spürte, wie er haltlos in ein tiefes, dunkles Loch fiel...


    Plötzlich packten ihn zwei kräftige Paar Hände... gaben ihm Halt... hielten ihn fest… boten ihm Sicherheit…
    Eine Stimme aus weiter Ferne sprach beruhigend auf ihn ein… Er versuchte seine Sinne darauf zu konzentrieren und sich der Stimme zuzuwenden…




    Nach Semirs Antwort waren alle Augen auf Chris gerichtet. Sie konnten sehen wie ihn das blanke Entsetzen packte, als er realisierte, was sein Partner gesagt hatte und sie befürchteten den nächsten emotionalen Ausbruch.
    Semir wappnete sich in Gedanken schon mal auf eine bevorstehende Attacke und Anna hoffte inständig, das die Einrichtung ihres Büros nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen würde.


    Doch Chris stand zunächst wie versteinert da,… blass,… seine Augen vor Schreck weit aufgerissen. Sein Blick haftete sekundenlang auf Semir, bevor er sich aus seiner Erstarrung löste. Er stieß seinen Atem keuchend aus und hektisch blinzelnd fingen seine Augen an, sich suchend umzuschauen. Sie schienen aber nichts wahrzunehmen,... schauten ins Leere. Er tat zwei, drei Schritte rückwärts,… fing an zu taumeln,… sackte anschließend in sich zusammen.


    Sofort erkannte Semir was los war und hastete zu ihm. „Oho! Schnell, Hartmut,… hilf mir mal!“ rief er dem jungen Mann zu. Dieser ließ auch prompt seine Tasche fallen und eilte ihm zur Hilfe.
    Während Semir Chris am linken Arm nahm, griff Hartmut nach dem Rechten und gemeinsam ließen sie Chris langsam zu Boden nieder und lehnten seinen Oberkörper an die Wand.


    Semir kniete sich neben ihn und mit leichten Ohrfeigen versuchte er, Chris wach zu halten und seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dabei sprach er die ganze Zeit im fordernden Ton auf ihn ein: „Chris!… Chris, komm schon!… Mach jetzt nicht schlapp, hörst Du?…Chris!“


    Er öffnete die obersten Knöpfe von Chris’ Hemd und wedelte ihm frische Luft zu. „Verdammt…!“ fluchte er leise vor sich hin. „War wohl doch etwas wenig, was er heute morgen gegessen hat. Ich hätte darauf bestehen sollen, das er die andere Hälfte vom Brötchen auch noch isst. Kein Wunder, das er jetzt abklappt!“


    Anna hatte in der Zwischenzeit hastig ein Glas Wasser eingeschenkt und reichte es nun Hartmut: „Hier, geben Sie ihm das zu trinken.“
    Hartmut hockte sich, sichtlich überfordert mit der Situation, auf die andere Seite von Chris. Während er ihm unbeholfen das Gefäß an die Lippen hielt und versuchte ihm die Flüssigkeit einzuträufeln, stammelte er vor sich hin: „ Rein technisch gesehen ist so ein Kreislaufkollaps nichts anderes, als der Versuch des Körpers seine Funktionen neu zu booten.“


    Plötzlich kramte Hartmut in seiner Hosentasche und brachte eine Packung Traubenzucker zum Vorschein. „Hier Chris, nimm ein paar davon… das wird Dir auf die Sprünge helfen… Ist in etwa so, wie wenn ich in meinen PC eine hyperschnelle Software installiere, die das hochfahren beschleunigt.“


    Als er bemerkte, das die Engelhardt und Semir ihn verwirrt anschauten, versuchte er zu erklären: „Ich haben immer Traubenzucker dabei. Das hilft enorm beim Denken!… Auch einen?“ fragte er kleinlaut und hielt den beiden die Packung hin.


    Doch die beiden Angesprochenen starrten ihn nur an und schüttelten die Köpfe.
    Das war mal wieder typisch Hartmut! Wenn er überfordert war, redete er oft für andere unverständliches Zeug! Verlegen griff Hartmut wieder nach dem Glas und reichte es Chris. Nach einigen kleinen Schlucken, wurde Chris’ Blick langsam wieder etwas klarer.


    Erleichtert atmeten die drei auf.
    „Ganz ruhig, Chris!… Gleich geht es Dir besser!… Bleib einfach ein paar Minuten sitzen, OK?… Das wird schon wieder!“ sprach Semir beruhigend auf ihn ein.


    Chris nickte leicht und strich sich mit zitternden Händen über die Stirn. Nach einigen tiefen Atemzügen, suchte er Blickkontakt mit Semir. Stumm schaute er ihn traurig an und Semir wusste, was er ihn seinem Gesicht zu finden hoffte. Doch eine Antwort auf die Frage nach dem ‚Warum’ konnte er ihm auch nicht geben.
    Schließlich war auch für ihn das Ganze noch unfassbar.
    Er griff nach der Hand seines Partner, drückte sie kurz und wiederholte mitfühlend: „Chris,... es tut mir so leid! Das musst Du mir glauben!“


    Auf Chris’ Miene zeichnete sich eine andere Frage ab und Semir ahnte, was er wissen wollte. Mit einem leichten Schütteln seines Kopfes antwortete er: „Ich weiß nicht was mit den anderen Kindern ist. Auf dem Film wird nur gezeigt, wie sie weggebracht werden. Ich weiß nicht was mit ihnen geschehen ist. Das gleiche gilt auch für Deine Schwester.“


    Semir konnte beobachten, wie Chris vor Verzweiflung die Augen schloss und seine Lippen zusammen presste. Er legte seinen Kopf in den Nacken, lehnte ihn an die Wand und schluckte schwer. Ein gutturaler Laut erklang in seiner Kehle, fast wie ein unterdrückter Schrei. Nach einigen Sekunden stieß er die Luft stoßweise durch die Nase aus, einem unterdrückten Schluchzen gleich.


    Seine Knie an den Körper ziehend, stütze er seine Ellenbogen darauf und legte seinen Kopf in die Hände. Mit den Fingern fuhr er sich durch die Haare und krallte sich dort fest. Ein Beben ließ seinen Körper erzittern. Jeder spürte, wie er mit aller Gewalt versuchte seine Gefühle in den Griff zu bekommen...

  • Besorgt wandte sich Anna leise an Semir: „Ich werde mal zur Sicherheit einen Arzt kommen lassen. Er soll sich Chris anschauen und vielleicht kann er ihm eine Beruhigungsspritze oder so was ähnliches geben.“


    Semir nickte zustimmend und die Chefin wollte sich gerade erheben, als sie plötzlich am Arm zurück gehalten wurde. Erstaunt stellte sie fest, das es Chris’ Hand war, die nach ihr gegriffen hatte. Trotz seiner momentanen Schwäche war sein Griff fest und mit einem leichten Kopfschütteln sagte er leise, aber bestimmt: „Kein Arzt! Keine Spritze!… Es geht schon wieder.“


    Skeptisch sah sie ihn an und auch an Semirs Miene konnte man erkennen, das er anderer Meinung war.
    „Ich kann das nicht verantworten, Herr Ritter! Sie sehen mir im Moment nicht so aus, als ob es Ihnen nachher besser gehen würde. Ich möchte gern, das ein Arzt nach Ihnen schaut“, meinte die Chefin und fügte mit einem Lächeln hinzu: „So eine Spritze ist auch nichts Schlimmes! Glauben Sie mir!“
    Sie hoffte, mit diesem kleinen Witz die Situation etwas aufzulockern.


    Doch in Chris’ Augen loderte Wut auf und mit erstaunlich lauter Stimme sagte er: „Ich brauche keinen Arzt und schon gar keine Spritze!“
    Etwas in seinem Ton ließ die anderen erstaunte Blicke austauschen.
    Semir versuchte es noch einmal: „Es ist doch nur zu Deinem besten. Danach geht es Dir bestimmt besser.“


    Chris’ Miene nahm einen entschlossenen Ausdruck an und er machte Anstalten aufzustehen.
    Hartmut räusperte sich, berührt seinen Arm und stammelte: „ Ähm,... Chris,... das solltest Du noch nicht machen. Dein Kreislauf ist noch nicht stabil genug. Du kippst sonst wieder um.“


    Der harte Blick, den Hartmut traf, ließ ihn erschrocken die Hand zurückziehen.
    „Du sagst mir nicht, was für mich am besten ist. Verstanden?“ fauchte Chris, während er sich langsam erhob. Semir bot ihm seine Hand, doch er ignorierte sie.
    Er wollte ihnen beweisen, das er es alleine schaffen konnte!


    Als er aufrecht stand, rauschte es bedrohlich in seinen Ohren und der Raum fing wieder gefährlich an zu schwanken. Ein paar Mal atmete er tief durch und schloss kurz die Augen. Als er sich stabil fühlte, öffnete er die Lider und bemerkte die Blicke der anderen.
    „Es geht schon wieder“, murmelte er leise.


    „Den Eindruck habe ich aber nicht!“ widersprach ihm die Engelhardt und schaute ihn entrüstet an. Mit einer empörten Geste deute sie auf seine Hände, die sich krampfhaft um die Rückenlehne eines Stuhles klammerten. „Ich bin immer noch der Ansicht, dass ein Arzt nach Ihnen schauen sollte.“


    In Chris fing es an zu brodeln. Er hasste es, wenn ihn jemand auf seine Schwächen aufmerksam machte,… sie gewaltsam ans Licht zerrte,… auf ihnen herum trampelte,.. ihn damit vor allen bloßstellte…
    Und er hatte es satt, sich bevormunden zu lassen. Schließlich musste er doch wohl am besten wissen, was für ihn gut war!


    Es war ihm klar, das die anderen keine Ahnung von seinem ‚Problem’ hatten! Aber konnten sie es nicht einfach akzeptieren, wenn er „Nein“ sagte?
    Er war kein kleines Kind mehr!


    Wütend stieß er den Stuhl von sich und zischte gefährlich: „Sollten Sie es wagen, mir einen Arzt auf den Hals zu hetzen, dann garantiere ich für nichts! Niemand…“, Chris hob drohend den Finger seiner rechten Hand, „… und ich wiederhole, niemand verabreicht mir eine Spritze! Das lasse ich nicht zu! Habe ich mich klar ausgedrückt?“
    Ohne auf eine Antwort oder Reaktion zu warten, stürmte Chris aus dem Büro.


    Verdattert schauten sich die anderen im Raum an. Keiner wusste sich auf diese überzogene Reaktion von Chris einen Reim zu machen.
    Semir starrte ihm hinterher und sah, wie er in den Toilettenräumen verschwand. Er nahm sich vor, ihm etwas Zeit zu geben, damit er sich beruhigen konnte. Dann würde er ihm folgen und versuchen mit ihm zu reden.


    Annas Blick verfolgte Chris, bis er aus der Tür verschwunden war. Dann blieb er an den verlassenen Schreibtischen im Hauptbüro hängen. Erleichtert stellte sie fest, dass die anderen Kollegen noch immer auf ihren Runden waren, so das sie diesen erneuten Ausbruch nicht mitbekamen. Noch mehr gereizte Stimmung konnte sie im Moment beim besten Willen nicht gebrauchen!


    „Tja,… ich würde mal sagen, der Kreislauf ist wieder in Schwung!“ kam es in diesem Augenblick trocken von Hartmut. Dafür erntete er prompt ungläubige Gesichter von Anna und Semir.
    Verlegen räuspernd senkte er den Blick, sammelte seine Tasche vom Boden auf und deutete hilflos in Richtung Tür: „Ich mache mich mal wieder auf den Weg zurück zur KTU. Mal sehen, was meine Männer in der Zwischenzeit heraus gefunden haben.“


    Nachdem ihm Anna zustimmend zugenickt hatte, ging er aus dem Büro und wollte sich auf dem Weg nach draußen noch von Susanne und Andrea verabschieden.
    Doch von beiden fehlte jede Spur! Selbst Aida war nicht mehr da…

  • Dieses kleine Stückchen gönne ich Euch heute noch... so als Gute-Nacht-Geschichte! ;)

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    Lorenz johlte vor Vergnügen: „Hast Du das gesehen?… Kippt einfach aus den Latschen!… Herrlich!“
    Er wischte sich mit beiden Händen die Lachtränen aus den Augen und versuchte sich zu beruhigen. Noch immer kicherte er irre vor sich hin. Nach einigen Augenblicken breitete sich auf seiner Miene ein gehässiger Ausdruck aus: „Und dann erst die Suspendierung!… Hast Du das dumme Gesicht gesehen?“


    Wieder schüttelte er sich vor Lachen und boxte der Ratte leicht an den Oberarm. Den geringschätzigen Blick, den er Lorenz anschließend zuwarf, konnte dieser nicht sehen. Lorenz war viel zu sehr mit Lachen beschäftigt.


    Nachdem er sich einigermaßen unter Kontrolle hatte, rieb er sich die Hände und seine Augen leuchteten voller Erwartung sadistisch auf: „Ich kann es gar nicht abwarten, bis er den Film sieht. Dann tickt er wahrscheinlich ganz aus!“


    Als die Ratte stumm nickte, fuhr er eifrig fort: „Mach sofort einen Zusammenschnitt fertig. Das wird unserem Kunden bestimmt gefallen!“
    „Bin schon dabei“, knurrte die Ratte und konnte es immer noch nicht glauben, das dieser Kerl so viel Glück hatte…

  • Etwa zur selben Zeit, als Semir und Hartmut an der PAST ankamen, hielt der Fahrer das Taxi am Straßenrand an. Skeptisch schaute er in den Rückspiegel: „Und Sie sind sicher, das Sie hier aussteigen wollen?“
    Die Frau nickte stumm, kramte einen Geldschein hervor und bezahlte. Als er ihr das Wechselgeld geben wollte, schüttelte sie sanft den Kopf und sagte leise: „Stimmt so!“


    Verwundert blickte er sie an. Die Frau war irgendwie komisch. Während der ganzen Fahrt hatte sie kein Wort gesprochen. Statt dessen hatte sie immerzu den Brief in ihrer Hand angestarrt und mit ihren Gedanken schien sie meilenweit weg zu sein. Ab und zu hatte sie abgrundtief geseufzt. Sie schien eindeutig Sorgen zu haben, aber sein Versuch, mit ihr ein Gespräch anzufangen war gescheitert.


    Sie hatte sich von ihm zu dieser abgelegenen Adresse an der Koblenzer Strasse bei Uedesheim fahren lassen. Hier war absolut nichts!
    Etwas weiter vorn konnte man die ersten Häuser der kleinen Ortschaft erkennen, aber was wollte sie hier?


    Die Frau öffnete die Tür und als sie ausstieg, hakte der Fahrer noch einmal nach: „Sie wollen ganz sicher hier aussteigen? Ich kann Sie auch gern noch bis den Ort fahren, wenn Sie möchten?! Ich muss sowieso in die Richtung.“


    Mit einem leichten Lächeln schüttelte die Frau ihren Kopf und meinte traurig: „Nein, nein. Ich bin hier genau richtig. Ab jetzt komme ich allein zurecht.“ Sie stieg aus, beugte sich noch einmal durch die offene Tür und lächelte den Fahrer sanft an: „Trotzdem,... danke für das Angebot.“ Damit warf sie die Tür zu und machte einen Schritt vom Wagen weg.


    Dem Fahrer war nicht wohl bei der Sache, aber nach einem kurzen Zögern legte er den Gang rein und fuhr los. Im Rückspiegel sah er noch, wie die Frau ihm kurz nachschaute, sich dann umwandte und den Weg zurück ging…



    Maria Becker schaute dem Taxi einige Sekunden hinterher und beobachtete, wie es immer kleiner wurde. Dann richtete sie ihren Blick ’gen Himmel und seufzte tief. Sie wusste, dass sie fast ihr Ziel erreicht hatte und neben der berechtigten Angst fühlte sie hauptsächlich Erlösung. In ihren Augen war das, was sie vor hatte, das einzig richtige.


    Entschlossen drehte sie sich um und ging die Strasse mit großen Schritten ein Stück zurück. Nach einigen Minuten kam sie zu einer Brücke, die über die A46 führte. Als sie diese zur Hälfte überquert hatte, blieb sie stehen und blickte geraume Zeit dem darunter brausenden Verkehr hinterher.


    Tränen wollten ihr in die Augen steigen, doch sie schluckte sie entschlossen hinunter. Keiner sollte sie nicht mit tränenverheultem Gesicht sehen… weder ihre Familie noch die Kollegen von der PAST.


    Die PAST… ihr fiel ihr letzter sehnsüchtiger Blick auf das Gebäude ein,… wie sie sich gefühlt hatte, als die Beamten mitten in der Nacht durch das grelle Licht der Neonröhren zum Eingang gingen,… ihre gespenstischen Gesichter voller Traurigkeit und Niedergeschlagenheit,… an Andreas müde Stimme,… an Susannes fahle Miene… und die vielen Sorgenfalten, die sie bei den anderen Kollegen beobachten hatte…
    Und das alles nur, weil sie einmal etwas Dummes getan hatte!


    In Gedanken versunken, griff sie in ihre rechte Manteltasche, zog den Brief heraus und starrte ihn an. Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie der Aufschrift auf dem Umschlag nach und formte mit ihren Lippen die einzelnen Buchstaben. Wäre jemand in der Nähe gewesen, der von den Lippen ablesen konnte, hätte er erfahren: „Für Anna Engelhardt persönlich! Wichtig: Nicht in der Dienststelle öffnen!“


    Maria hoffte, dass das ausreichen würde. Die PAST lag ganz in der Nähe und sie wusste, das die Beamten von dort zu diesem Unfallort gerufen werden. Die würden den Brief hoffentlich möglichst schnell an Frau Engelhardt weiterleiten.


    Sie drückte den Umschlag an ihre Brust, schloss die Augen und betete inständig ein letztes Gebet. Nachdem sie geendet hatte, steckte sie ihn wieder in ihre Tasche, ging einige Meter weiter, bis sie sich mittig über den beiden linken Fahrstreifen befand.


    Ohne ihre Augen von der Strasse nehmend, umfasste sie mit beiden Händen entschlossen das Geländer, schwang sich darauf und brachte sich in eine sitzende Position. Ihre Beine baumelten über der Strasse und für einen flüchtigen Augenblick wurde ihr schwindelig. Schnell richtete sie ihren Blick nach vorn, atmete zweimal tief durch und stieß sich ohne zu zögern ab.


    Während sie fiel, waren ihre Gedanken bei ihrer Familie und sie wusste, sie würden es nicht verstehen. Aber es beruhigte sie zu wissen, das sie niemals erfuhren, was sie als junges Mädchen getan hatte.
    ‚Mit der Trauer werden sie besser fertig werden, als wenn sie sich wegen meiner schämen müssten!’
    Das letzte was ihre Seele erfüllte, war unendliche Erleichterung.


    Ihr Körper knallte in dem Augenblick auf den harten Asphalt, als Semir Chris die schlechte Nachricht mitteilte…

  • Nachdem Susanne der Chefin bestätigt hatte, das diese nicht gestört werden möchte, als sie hinter Chris die Tür schloss, hatte sie sich wieder ihrer Arbeit zugewandt. Ab und zu warf sie mal einen verstohlenen Blick in Richtung Engelhardts Büro, konnte aber nicht erkennen, um was es ging.


    Kurz darauf hatte das Telefon geklingelt und der unbekannte Anrufer verlangt mit Chris zu sprechen. Sie hatte wieder so ein eigenartiges Gefühl dabei, aber sie konnte nicht erklären, was es war.
    Nachdem sie das Gespräch weitergeleitet hatte, nahm sie sich die Akten, die nicht mehr gebraucht wurden, unter den Arm und wollte sie zurück ins Archiv bringen.


    Auf dem Weg in den Keller begegnete ihr Andrea, die, mit in einer dicken Jacke vermummten Aida auf dem Arm, zum Ausgang ging.
    „Wo willst Du denn hin?“ fragte Susanne erstaunt.
    Verwirrt über die Frage antwortete Andrea knapp: „Raus!“
    Susanne holte erschrocken Luft: „Lass das bloß nicht Semir sehen. Der flippt sonst aus!“


    Andrea hob in gespielter Entrüstung ihre Augenbrauen: „Ich will nur ein paar Minuten vor die Tür, um etwas frische Luft zu schnappen und Aida braucht mal ein bisschen Abwechslung. Mehr nicht. Den ganzen Tag in diesen geschlossenen Räumen macht mich wahnsinnig.“


    Susanne grinste: „Hast Du das früher auch so empfunden, als Du noch hier gearbeitet hast?“
    Andrea lachte laut auf: „Nein! Damals war ich ja freiwillig hier.“ Dann wurde sie etwas ernster und seufzte: „Jetzt ist das was anderes…“


    Nachdenklich nickte Susanne. Sie wusste was sie meinte und hatte etwas Mitleid mit ihr. Entschlossen drehte sie sich um und rief über ihre Schulter: „Warte einen Moment! Ich gehe mit Dir mit.“
    Sie legte die Akten auf den nächsten Schreibtisch, schnappte sich ihre Jacke und bevor sie Andrea folgte, sagte sie im Vorbeieilen noch schnell Siggi Bescheid.


    Gemeinsam traten sie vor die Tür und unwillkürlich zog Andrea die Luft tief ein: „Ah, tut das gut!“
    Sie nahm Aida von ihrem Arm und stellte sie auf ihre Beinchen. Sie an beiden Händen festhaltend gingen sie langsam Schritt für Schritt auf dem Weg vor der PAST, der zu den Parkplätzen führte.


    Susanne warf einen bedenklichen Blick nach oben. Immer mehr graue Wolken zogen auf.
    „Das sieht nach Regen aus“, brachte sie ihre Sorge zum Ausdruck.
    Einen kurzen Blick zu den Wolken werfend, meinte Andrea: „Ach, halb so schlimm. Und wenn doch was runter kommt, sind wir ja schnell im Gebäude. So weit wird das kleine Fräulein wohl nicht mit uns laufen!“
    Die beiden Frauen sahen sich an und kicherten.


    Andrea wollte die Schritte ihrer Tochter nach links lenken, um mit ihr von den Autos weg zu kommen. Aber genau die Fahrzeuge vor dem Haus hatten es ihr angetan und so steuerte sie zielstrebig mit tapsigen, unsicheren Schritten darauf zu.
    Dabei brabbelte sie die ganze Zeit aufgeregt: „Papa!… Papatüt!… Papa!… tüttüt!“


    Stöhnend verdrehte Andrea die Augen: „Da hat Semir ihr vielleicht einen Floh ins Ohr gesetzt! Seit er ihr vor ein paar Wochen ein Spielzeug - Polizeiauto geschenkt hat, spielt er ihr jeden Abend seine Verfolgungsjagden nach und macht dabei die unmöglichsten Geräusche. Und je lauter Aida vor Vergnügen quiekt, desto mehr Spaß hat er bei der Sache! Jetzt macht unsere Tochter, immer wenn sie einen Streifenwagen sieht, die gleichen Geräusche!“
    Susanne lachte auf: „Da fragt man sich doch, wer das eigentliche Kind ist, oder?“


    Wieder kicherten die beiden und minutenlang unterhielten sie sich über Allgemeines. Die letzten Stunden voller Anspannung, Hektik und Angst waren für einige Minuten vergessen und es tat gut, die Gedanken einfach mal schweifen zu lassen.


    Als Aida etwas später anfing zu nörgeln, weil sie nicht mehr Laufen wollte, nahm ihre Mutter sie auf den Arm und gemeinsam mit Susanne gingen sie langsamen Schrittes zurück. Sie hatten fast den Eingang erreicht, als plötzlich...

  • So, dann will ich Euch mal erlösen.... :P
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    ... Hartmut zur Tür heraus kam. Mit einem erleichternden Aufatmen ging er auf die beiden Frauen zu: „Hier seid Ihr! Ich habe mir schon Sorgen um Euch gemacht!“


    „Um uns? Aber warum machst Du Dir Sorgen um uns?“
    „Um uns brauchst Du Dir wirklich keine Sorgen machen!“ kam es gleichzeitig von Andrea und Susanne.


    Doch Hartmut schien nicht überzeugt: „Nachdem was in den letzten…“. Während er kurz rechnete, verdrehte er überlegend die Augen nach oben und fuhr dann fort: „… in den letzten knapp 30 Stunden passiert ist, mache ich mir nur noch mehr Sorgen.“


    Susanne fiel sofort sein ernster Tonfall auf und fragte: „Was ist los, Hartmut? Ich konnte Eure bedrückten Gesichter in Engelhardts Büro sehen.“
    Hartmut schluckte und druckste nervös herum: „Du, Susanne,… das kann ich Dir nicht erzählen. Ich weiß nicht, in wie weit die Chefin das möchte. Am besten fragst Du Sie selbst.“


    „Hat es was mit diesem komischen Anrufer zu tun? An dem ist irgend was faul. Die Art und Weise, wie er redet,… da stimmt was nicht!“
    Susanne erinnerte sich an das seltsame Gefühl was sie bei seinen Anrufen verspürt hatte und es ärgerte sie ein wenig, das sie nicht darauf kam, was sie störte.
    Hartmut wurde aufmerksam: „Wie meinst Du das?“


    Doch Susanne schüttelte nur leicht den Kopf: „Ich kann Dir nicht genau sagen, was mich gestört hat. Er hat etwas gesagt, was mich hat stutzig werden lassen. Aber ich kann Dir beim besten Willen nicht sagen, was es war…“
    Mit einem Nicken gab er ihr zu verstehen, das er wusste was sie meinte. Ihm ging es ähnlich: Etwas passte nicht zusammen… nur was?
    Der ganze Fall war seltsam. Nachdenklich zog er die Stirn in Falten.


    „Es hat was mit dem letzten Video zu tun, nicht wahr?“ hörte er Andrea besorgt fragen und registrierte aus den Augenwinkeln Susannes erstauntes Gesicht.
    Als er Andrea irritiert fragend anschaute, antwortete sie: „Semir hat mir heute morgen davon erzählt.“
    Verstehend nickte der rothaarige Mann und nach einer kurzen Pause wollte Andrea leise wissen: „Weiß Chris Bescheid?“


    Betrübt nickte Hartmut: „Er hat den Film noch nicht gesehen, aber Semir hat ihm gesagt, was darauf zu sehen ist.“
    Andrea zog angespannt die Luft ein: „Wie hat er es aufgenommen?“
    Unbeholfenes Schulterzucken: „Ist zusammen geklappt!“


    „WAS?“ riefen beide Frauen entsetzt aus einem Mund und starrten ihn mit weit ausgerissenen Augen an.
    Beschwichtigend hob Hartmut die Hände: „Es geht ihm aber schon wieder besser. Er hatte bereits seinen nächsten Wutanfall!“
    „Oh, nein!“ rief Susanne aus. „Hat er wieder das Büro auseinander genommen?“
    „Nee!“ beruhigte er sie. „Aber er scheint seine Wut an den Toiletten auszulassen. Als ich gerade daran vorbei ging, konnte ich ihn toben hören!“


    Für einige Augenblicke herrschte betretendes Schweigen.
    Hartmut wollte gerade dazu ansetzen, sich von den beiden Frauen zu verabschieden, als Anna mit eiligen Schritten aus dem Gebäude kam und direkt auf ihn zueilte. Auf ihrem Gesicht zeigte sich Besorgnis.


    „Hartmut, gut das Sie noch da sind! Sie müssen sofort mit mir zu einem Unfall mitkommen. Ich habe bereits Ihre Kollegen informiert. Die bringen die benötigten Sachen zur Spurensicherung mit.“
    „Aber ich muss doch zurück, um die Pläne…“, gestikulierte Hartmut in Richtung Lucy.
    „Machen Sie sich keine Gedanken darum“, unterbrach ihn Anna. „Ich habe bei einem Kollegen einen Gefallen eingefordert und in diesem Augenblick sind drei Beamte auf dem Weg in die KTU, um Ihre Mitarbeiter zu unterstützen. Ich brauche Sie dringender!“


    „Was ist passiert?“ fragte Andrea besorgt. Sie kannte die Chefin lange genug, um zu merken, das etwas furchtbares passiert sein musste. So schnell ließ sich normalerweise eine Anna Engelhardt nicht aus der Ruhe bringen. Und wenn sie persönlich zu einem Unfall fuhr, musste es schon was besonderes sein.


    „Angeblich hat sich hier in der Nähe eine Frau von einer Brücke auf die Autobahn gestürzt“, erklärte Anna knapp. „Sie hatte eine Nachricht an mich adressiert bei sich.“
    „Weiß man, um wen es sich handelt?“ fragte Susanne atemlos.


    Anna schaute die beiden Frauen ernst an: „Nein, noch nicht. Die Identifizierung erweist sich wohl als etwas schwierig, da mehrere Autos über den Körper der Frau gefahren sind.“
    Erschrocken schlug sich Susanne die Hand vor den Mund, während ihr Gesicht um einige Nuancen blasser wurde: „Oh mein Gott!“


    Anna fuhr fort: „Die Kollegen vor Ort haben einen Brief bei ihr entdeckt, auf dem mein Name steht. Ich hoffe nur, dass das nicht mit der Entführung im Zusammenhang steht!“
    Andrea starrte die Chefin mit schreckensweiten Augen an und fragte tonlos: „Sie glauben doch wohl nicht, das es sich um die Schwester von Chris Ritter handeln könnte?“


    Mit zusammen gekniffenen Lippen zuckte Anna Engelhardt hilflos mit den Schultern.
    „Ich hoffe wirklich, das dem nicht so ist!“ seufzte sie, packte anschließend Hartmut am Arm und zog ihn zum Auto. Kurz darauf waren sie mit dem Wagen der Chefin verschwunden.
    Susanne und Andrea blickten ihnen nach und nachdem sie einen sorgenvollen Blick ausgetauscht hatten, gingen sie betreten schweigend zurück ins Gebäude...

  • Chris hatte die Tür zu den Toiletten mit aller Wucht hinter sich zugeknallt. Das laute Geräusch war von den gefliesten Wänden abgeprallt und sekundenlang durch den Raum gewabert. Der schwächer werdende Hall, hatte noch lange in seinen Ohren nachgeklungen.


    Wütend war er im vorgelagerten Waschraum hin und her gelaufen und hatte dabei zornig geschnaubt. Zwei-, dreimal hatte er inne gehalten und seine frustrierte Wut mit einem kehligen Schrei abgelassen. Nach einer Minute hatte er sich umgewandt und war mit großen Schritten zu den Toilettenkabinen gegangen.


    Allen Zorn in seine Schläge legend, hatte er mit den Fäusten gegen die Türen geschlagen, so das sie laut krachend gegen die Kabinenwände geknallt waren. Anschließend war er zur rückwärtigen Wand gegangen, um dort mit seiner Attacke fortzufahren.


    Als er das sechste oder siebte Mal zugeschlagen hatte, war an seinen linken Handknöcheln die Haut aufgeplatzt. Obwohl sich sofort auf den weißen Fliesen blutige Flecken gezeigt hatten, hielt er nicht inne. Er war so von Sinnen, das er noch nicht einmal den scharfen Schmerz spürte, der seine Hand durchfuhr.


    Inzwischen war es nicht mehr Wut die ihn antrieb, sondern verdrängte Angst!
    Alles in ihm schrie verzweifelt auf...


    Bei dem Gedanken an Beruhigungsspritzen, kamen sie wieder zum Vorschein…
    all die albtraumhaften Erinnerungen, die er so gerne vergessen würde:


    An Lemercier und sein süffisantes Lächeln, als er ihn verriet…


    an die grobschlächtigen Männer, die gnadenlos auf ihn einprügelten, als er nichts verraten wollte…


    an die medizinischen Instrumente, die kalt aufblitzten, bevor sie seinen Körper malträtierten,...


    an den blonden Mann, dessen blendend weiße Zähne strahlten, als er ihm unter höhnischem Gelächter die Drogen verabreichte…


    an die harten Einschläge der Kugeln in seinen Rücken, als er versuchte zu fliehen…


    an die irrsinnigen Schmerzen bei seinem Entzug…



    Langsam, ganz langsam fand er zurück zur Realität und seine Schläge gegen die Wand wurden schwächer. Er lehnte seine Stirn an die kalten Fliesen und sie kühlten sein erhitztes Gemüt.


    Eine leise Stimme in ihm wurde immer lauter und er hörte Semir permanent die Worte wiederholen: „Richards Tod!… Richards Tod!“
    Mit der flachen Hand schlug er noch einmal gegen die Wand und stöhnte: „Warum?“


    Wie betäubt stand er da, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Nach endlos langen Sekunden spürte er etwas warmes auf seinem Handrücken.
    Wie in Trance fokussierte er seinen Blick darauf, bemerkte das Blut, ging zum Waschbecken und ließ kaltes Wasser darüber laufen. Aus einem Reflex heraus wusch er sich die Hand, ohne aber zu realisieren, was er da eigentlich tat. Er starrte dem rot gefärbten Wasser hinterher, wie es gurgelnd im Abfluss verschwand.


    Vor seinem geistigen Auge erlebte Chris ein Deja-vu: Hatte er nicht, nachdem er erfahren hatte, das Bernd tot war, auch über einem Waschbecken gestanden?
    Er erinnerte sich an die empfundenen Gefühle von bodenloser Fassungslosigkeit, beklemmender Panik und der kalten Angst um sein Leben. In seinem Mund meinte er den galligen Geschmack des Erbrochenen zu schmecken und wieder überrollte ihn eine bittere Welle von Übelkeit.


    Mit beiden Händen schöpfte er kaltes Wasser, trank es gierig, in der Hoffnung diesen widerlichen Geschmack weg zu bekommen und spritzte es sich anschließend ins Gesicht. Doch es wurde nicht besser. Statt dessen vermischten sich die ängstlichen Gefühle mit den verzweifelten Empfindungen und liefen Amok in ihm.


    Sie brachten seinen ganzen Körper zum zittern und er musste sich krampfhaft am Becken festhalten. Sein Atem ging keuchend und alle Versuche, sich auf etwas Positives zu konzentrieren und zu beruhigen, waren vergebens. Er kannte das und wusste, das es im Moment nur eine Möglichkeit gab, damit es besser wurde.


    Mit flatternden Händen griff er in die Innentasche seines Jacketts und holte sein Medikament hervor. Nachdem er sich zwei Pillen auf die bebende Hand geschüttet hatte, zögerte er kurz und schaute wie hypnotisiert darauf.


    Sein Gewissen meldete sich und versuchte ihn davon abzuhalten: ‚Denk daran, was Du versprochen hast. Du brauchst sie nicht. Du schaffst das auch so!’


    Doch ein innerer Dämon lachte ihn hämisch aus: ‚Los, Versager, nimm sie! Du brauchst sie, sonst bist Du wieder ein nervliches Wrack… ein Schwächling!’


    ‚Schwäche zu zeigen ist auch eine Form von Stärke!’ gab das Gewissen mit Gabys Stimme zu bedenken.


    ‚Schwäche macht einen angreifbar!’ höhnte der Dämon in Lemerciers arroganter Art.


    ‚Zu seinen Schwächen zu stehen, erfordert mehr Mut als umgekehrt!’ ermutigte ihn die sanfte, beruhigende Stimme seiner Schwester.


    ‚Schwäche bedeutet Angst und Angst wird aus Schwäche geboren!’ verlachte ihn sein Verräter.


    „Stop! Seid ruhig!“ keuchte Chris und umklammerte die Pillen so fest, das sich die Fingernägel in seine Handinnenflächen bohrten. Er presste die geballte Faust an seine Schläfe, so als könne er damit das Stimmengewirr ausschalten. „Stop!“ wiederholte er noch einmal leise in einem verzweifelten Ton.


    Mit den Augen suchte er Blickkontakt mit seinem Spiegelbild. Verschwommen nahm er sich als einen am ganzen Körper zitternden Junkie wahr. Wie oft hatte er dieses Bild während seines Entzuges gesehen und wie sehr hatte er sich dafür gehasst!


    Seine andere Hand auf den Spiegel legend, versuchte er diese grauenhafte Erinnerung auszublenden.
    Er wollte sich so nicht sehen! Das war nicht er im Spiegel! So wollte er nicht sein… so wollte er nie wieder sein!
    Und wenn er jetzt diese Pillen nahm, war er wieder auf dem besten Wege ein Verlierer zu werden!


    Doch er wusste auch, wenn er sie nicht nahm, würde er die nächsten Stunden nicht überstehen. Woher sollte er auch die Kraft nehmen?
    Normalerweise würde er, wenn er in dieser Situation wäre, seine Schwester anrufen. Ihre beruhigende Stimme und ihre tröstenden Worte hatten ihm stets neuen Halt und Orientierung gegeben.
    Oder er hätte das Gespräch mit Bernd Simon gesucht. Sein väterlicher Rat war ihm oft eine große Hilfe gewesen.
    Doch beide waren nicht verfügbar: die eine entführt, der andere tot.


    An wen sollte er sich jetzt wenden? Wem konnte er vertrauen? Wer würde sein Geheimnis bewahren? Wer würde Verständnis für seine Lage aufbringen?


    Die Engelhardt?… Nein! Sie müsste ihn auf der Stelle suspendieren und der Dienstaufsicht melden. Unmöglich!


    Semir?… Semir…
    In seinen Gedanken zögerte Chris… Vielleicht Semir?!…
    Er hörte seinen Partner von Freundschaft sprechen, von Vertrauen…
    Die Ehrlichkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören,… er meinte es wirklich ernst!


    Etwas ihn ihm ließ ihn weich werden,… seine beklemmende Angst löste sich,… ließ ihn wieder freier atmen. Er spürte aufglimmende Erleichterung,… eine sanfte Ruhe, die sich in ihm ausbreitete,… die sich auch auf seinen zitternden Körper übertrug und das Beben schwächer werden ließ,… seine Atmung normalisierte sich…


    Er war drauf und dran, es zu riskieren… es zu wagen…
    ...als sich vor Semirs Gesicht die fratzenhafte Grimasse Lemerciers schob und ihn auslachte: ‚Du willst ihm vertrauen? So wie Du mir vertraust hast?’


    Chris stöhnte erschrocken auf und augenblicklich verspürte er die alte Angst in sich aufschreien. So etwas würde ihm nicht noch einmal passieren…
    Nein! Er sah für sich im Moment keine andere Möglichkeit…


    Chris ließ seine Hand, die auf dem Spiegel lag, etwas nach unten gleiten, so das er sich in die Augen schauen konnte. Mit einem Blick bat er sich um Verzeihung, doch sein Spiegelbild antwortete ihm mit Enttäuschung.


    Schamhaft senkte er seine Augen und flüsterte sich selbst mit versagender Stimme zu: „Nur noch dieses einmal. Versprochen!“
    Ein ängstliches Zittern durchlief seinen Körper, dann schloss er die Augen und warf sich die Pillen ein. Nachdem er sie mit Wasser hinunter gespült hatte, lehnte er sich gegen die Wand und wartete mit gesenktem Kopf auf Erlösung. Es dauerte nicht lange und die beruhigende Wirkung trat ein.


    Als er spürte, wie er sich entkrampfte, öffnete er langsam die Lider und schaute sich erneut im Spiegel an.
    Er sah seine dunklen Augenringe unter den rot geäderten Augen,...
    sah den glanzlosen Schimmer darin, der seine Hoffnungslosigkeit andeutete...
    die tief gefurchte Stirn, die Verzweiflung zeigte,...
    die steile Falte zwischen den Augenbrauen, die seine Angst signalisierte,...
    die graue Gesichtsfarbe, die ihn müde aussehen ließ,...
    der zusammengepresste Mund, der seine Sorge zum Ausdruck brachte...
    Alles Synonyme seines Versagens… seiner Schwäche! Wie er diesen Anblick hasste!


    Während er in den Spiegel starrte, breitete sich tiefe Enttäuschung in ihm aus. Den Kopf in den Nacken werfend und stieß er einen gepressten Fluch heraus.
    Nach einigen Augenblicken nahm seine Miene wieder ihren unbeweglichen Ausdruck an und er wagte es wieder sein Spiegelbild zu betrachten.


    Sich selbst fest in die Augen schauend, versuchte er sich Mut zu machen... Mut für das, was er als nächsten tun wollte,... nein, tun musste,... ob er wollte oder nicht,...


    Entschlossen stieß er sich vom Becken ab und ging zur Tür. Er hatte gerade seine Hand auf die Klinke gelegt und die Tür einen Spalt geöffnet, als in seinen Gedanken wieder Semirs Stimme ertönte: „Richards Tod!“


    Eine eisige Woge schwappte über ihm zusammen. Schwer atmend stieß er die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
    Er wollte niemanden zu sich herein lassen,… er wollte aber auch nicht durch diese Tür hinausgehen,… denn hinter dieser Tür war der unumstößliche Beweis, das er versagt hatte!


    Während Chris in Zeitlupe an der Tür hinunter glitt, fand eine einsame Träne den Weg aus seinen Augen und rollte ihm leise über die Wange.
    Er wollte niemanden sehen, mit niemanden sprechen… wollte einfach nur so lange mit seiner gezügelten Wut und seinem gedämpften Schmerz allein sein, bis die Medikamente ihre betäubende Wirkung voll und ganz entfaltet hatten.


    Er spürte, wie seine Gefühle immer dumpfer wurden…

  • Fast zeitgleich fuhren Bonrath und Hotte das letzte Stück der ihnen eingeteilten Route ab. Bis jetzt waren sie erfolglos auf der Suche nach einem Hinweis gewesen.
    Egal wo und wen sie fragten: Keiner hatte etwas gesehen oder gehört! Niemandem war etwas aufgefallen! Bei den anderen Kollegen sah es nicht besser aus. Bis jetzt waren keine positiven Meldungen durchgegeben worden.


    Auf dem Beifahrersitz gähnte Hotte lautstark und schaute anschließend auf seine Uhr. Es war bereits 14.10 Uhr und er verspürte Hunger.
    Mit einem Seitenblick auf Bonrath schlug er vor: „Was meinst Du? Sollen wir, wenn wir gleich am neuen Autohof unsere Befragung abgeschlossen haben, dort zu Mittag essen?“


    „Gute Idee!“ nickte Dieter. „Langsam bekomme ich auch Hunger. Und wer weiß, ob wir nachher auf der PAST die Zeit finden was zu essen. Ganz bestimmt hat die Chefin neue Arbeit für uns.“
    „Bestimmt!“ nickte Hotte, fügte aber seufzend hinterher: „Ist aber auch eine schreckliche Angelegenheit das Ganze!“


    Bonrath brummte bestätigend. Eine Zeit lang hing jeder von ihnen seinen Gedanken nach.
    Sie hatten gerade ein großes Hinweisschild hinter sich gelassen, auf dem hingewiesen wurde, das in zwei Kilometer ein Autohof kommt, als sich Hotte an Bonrath wandte: „Sag mal, Dieter, weißt Du was mit dem alten Motel passiert? Das steht jetzt seit Monaten leer und keiner scheint sich drum zu kümmern.“


    Nach einem unterdrückten Gähnen antwortete Bonrath gelangweilt: „Ehrlich gesagt, ist mir das im Augenblick ziemlich egal. Aber in der Zeitung habe ich vor kurzem gelesen, das es im Frühjahr abgerissen werden soll. Und wenn Du mich fragst, hätten sie es gleich nach der Schließung wegreißen sollen. Ist ein echter Schandfleck in der Gegend.“


    In diesem Augenblick fuhren sie daran vorbei und Hotte warf einen Blick in die Richtung.
    Durch die Bäume konnte er das graue, klobige im typischen Stil der 70er Jahre gebaute und inzwischen halb verfallene Gebäude erkennen.
    Dann richtete er sein Augenmerk wieder nach vorne auf die Strasse und grummelte: „Du hast Recht! Es ist wirklich ein Schandfleck!“


    Bonrath nickte nur, setzte den Blinker, reihte sich nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel in die rechte Spur ein und nahm kurz darauf die Ausfahrt zum Autohof. Er fuhr den Wagen auf den Parkplatz vor das helle, moderne Gebäude mit riesigen Glasfronten und nachdem sie Siggi ihre Position durchgegeben hatten, stiegen sie aus. Sie schauten sich um.


    Der große Ansturm zur Mittagszeit schien vorbei zu sein. Nur vereinzelte LKWs sowie drei Reisebusse standen auf dem hinteren Parkplatz, der sich links vom Gebäude erstreckte.
    Eine große Seniorengruppe kam in diesem Augenblick eifrig schwatzend aus einem der Busse und marschierte auf den Haupteingang zu.


    Rechts sah man eine große Wiese, in deren Mitte ein riesiger Spielplatz darauf wartete, das sich Kinder vor Vergnügen kreischend auf ihn stürzten.
    Zur Zeit tobten allerdings nur eine Handvoll Jungen auf dem Klettergerüst und einige Mädchen spielten im Sand oder nutzten die Schaukeln. Die Eltern saßen auf den umliegenden Picknickbänken und beobachteten ihre Kinder, während sie sich für die Weiterfahrt stärkten.


    „Was meinst Du?… Sollen wir erst reingehen und die Angestellten befragen? Die können dann, während wir hier draußen weiter machen, unsere Bestellung fertig machen“, schlug Hotte vor.
    „Gute Idee!“ stimmte ihm Bonrath zu. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg ins Gebäude, als Hotte ihn plötzlich anstieß.


    „Guck mal! Paul ist auch wieder da!“ Dabei winkte er dem Landstreicher zu, der zwischen den Bäumen mit einer Picke den Müll aufsammelte. „Dem muss ich nachher unbedingt einen Kaffee spendieren. Sein Tipp letztens,… Du weißt schon, der mit den Autoschiebern,… der war Gold wert!“


    Bonrath, der inzwischen an der Tür angekommen war, öffnete diese und während er Hotte den Vortritt ließ, schaute er in die angegebene Richtung und hob zum Gruß seine Hand. Dann ging er hinter Hotte her ins Gebäude und sah nicht mehr, wie Paul versuchte die beiden zu sich zu winken…

  • Unschlüssig darüber, was er als nächstes tun sollte, saß Semir in seinem Büro am Schreibtisch und grübelte vor sich hin. Die Chefin hatte nach dem erhaltenen Anruf besorgt ausgesehen, ihm aber nicht gesagt, worum es ging. Noch im Hinauseilen hatte sie ihn gebeten, ein Auge auf Chris zu halten, dann war sie verschwunden.
    Bei Siggi hatte er sich anschließend erkundigt, ob es was Neues gab. Doch weiterhin Fehlanzeige!


    Daraufhin war er zu den Toilettenräumen gegangen und wollte nach Chris schauen und mit ihm reden. Doch der hatte die Tür von innen verschlossen gehalten und auf seine Frage, ob alles in Ordnung sei, nur die leise, aber kratzbürstige Antwort bekommen: „Lass mich in Ruhe!“
    „Ich bin in unserem Büro, wenn Du reden möchtest.... Ich bin für ich da!“ hatte er ihm noch gesagt und seit dem saß er hier.


    Er schaltete seinen Computer ein und nachdem er hochgefahren war, verglich er mehrere Notizen und Hinweise mit den Akten im Hauptrechner. Doch eine richtig heiße Spur war nicht dabei. Anschließend nahm er sich seufzend einige Akten vor, die Susanne ihnen auf den Schreitisch gelegt hatte.


    Das vor ihm liegende Papier versuchte er zum wiederholten mal zu lesen, aber es war vergebens. Die geschriebenen Worte kamen nicht in seinem Hirn an. Statt dessen rotierten in seinem Kopf die Gedanken. Frustriert klappte er die Akte zu und schmiss sie ärgerlich zurück auf den Stapel, der sich neben ihm aufhäufte.


    Er war wütend.
    Wütend auf sich,… auf Chris,… auf diese gottverdammte Situation,… einfach auf alles!


    Wie hatte er nur so dumm sein können? Er wusste, das Vertrauen eine wichtige Rolle in Chris’ Leben spielte und er hatte dieses, für seinen Partner so wichtige Bedürfnis, mit Füßen getreten. Doch was hätte er sonst tun sollen? Warum konnte Chris nicht akzeptieren, das er es zu seinem Schutz getan hatte? War das nicht auch ein Beweis von Freundschaft?
    Egal wie er es drehte oder wendete: Wäre Chris nicht so stur, sähe die Lage anders aus!


    Doch die alles entscheidende Frage summte in seinem Kopf wie ein wütender Hornissenschwarm:
    Warum war sein neuer Partner nicht wie Tom?


    Seine Wut richtete sich auf Chris, weil dieser ihn nicht an sich ranließ.
    Warum blockte er immerzu?…
    Weshalb machte er so ein Geheimnis um seine Vergangenheit?…
    Was konnte so schlimm sein, das er es ihm nicht erzählen konnte?…
    Wovor hatte er so eine Angst?…
    Wie viel Vertrauen musste er ihm noch entgegen bringen?…


    Semirs Gedanken schweiften in die Vergangenheit…
    in eine glückliche und vertrauensvolle Vergangenheit…
    in eine Vergangenheit, in der Partner für einander da waren, miteinander lachten, miteinander redeten…
    in der es keine Geheimnisse voreinander gab…
    in der Verlässlichkeit selbstverständlich war…
    in der Kommunikation ohne Worte funktionierte…


    ‚Gott, wie ich diese Zeit vermisse!’ dachte Semir sehnsüchtig bei sich und sein Blick fiel auf das Foto auf seinem Schreibtisch. Erlebte Momente, die schon lange vorbei waren, kamen, begleitet von freudigem Herzklopfen, in sein Gedächtnis…


    Seine Erinnerungen zeigten ihm Bilder von Tom, die er sein Leben lang nicht vergessen würde:
    an seinen wehenden Mantel, wenn er mal wieder verspätet ins Büro gehetzt kam…
    an sein unvergleichliches Lächeln, bei dem sich immer kleine Fältchen um seine Augen gebildet hatten…
    an seinen schelmischen Humor, den er auch in ernsten Situationen nie verloren hatte,…
    an seine wachen Augen, die stets die Welt mit klarem Blick angeschaut hatten…
    an seine energische Miene, wenn sie eine heiße Spur verfolgten,…
    an seinen entschlossenen Gesichtsausdruck, wenn sie einen Verdächtigen festgenommen hatten,…
    an seine beruhigende Stimme, mit der er oft die Opfer getröstet hatte,…
    an seine Hilfsbereitschaft, die ihm letztendlich sogar das Leben gekostet hatte…


    Wie oft hatte Tom in seinem Beruf den Menschen geholfen,… sie beschützt,… ihnen zur Gerechtigkeit verholfen,… ihnen beigestanden,… ihnen neue Hoffnung gegeben…? Wie oft hatte er für wildfremde Personen sein Leben riskiert?
    Zählte das denn alles plötzlich nichts?


    Zorn wallte in Semir hoch. Seine Brauen zogen sich eng zusammen und in seinen braunen Augen funkelte es dunkel.
    Warum musste ausgerechnet Tom sterben? Warum nicht jemand anderes? Es gab dort draußen genug Menschen, die mit ihrem Leben nichts sinnvolles anfingen.
    Hätte es nicht einen von denen treffen können? Gab es nicht genug Verbrecher oder Nichtsnutze, die es eher verdient hätten zu sterben?


    Verbissen presste Semir seine Lippen zusammen und seine Wangenmuskulatur arbeitete heftig. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und richtete seinen Blick mit einem tiefen Seufzer aus dem Fenster.


    Wäre Tom nicht tot, würde er sich jetzt auf den Feierabend freuen, bei dem er mit seinem besten Kumpel ein Bier trinken gehen würde,… er würde bei dieser Gelegenheit mit seinem Freund den nächsten Urlaub planen,… er würde sich anschließend auf einen netten Abend mit seiner Frau freuen, bei dem sie in trauter Zweisamkeit sich auf dem Sofa zusammenkuscheln würden,… er würde sich auf den nächsten Arbeitstag freuen, bei dem er sich auf seinen Partner hundertprozentig verlassen konnte…


    Doch was hatte er statt dessen?


    Wut,...


    Leere,...


    Einsamkeit,...


    Schweigen...


    ‚Warum…? Warum war jetzt alles anders?’ dachte Semir mit verbittertem Zorn.


    Mit halbem Ohr hörte er Susanne und Andrea, wie sie leise redend ins Hauptbüro kamen. Er drehte sich um und sah, wie Susanne mit einem Stapel Akten verschwand. Andrea zog gerade Aida eine Jacke aus und führte sie anschließend an der Hand mit langsamen Schritten in den Raum, in dem sie geschlafen hatten.


    Fassungslos starrte er seine Frau an, sprang plötzlich auf und murmelte ärgerlich: „Das gibt es doch nicht!“
    Mit langen, ausholenden Schritten stapfte er hinterher...

  • Er riss die Tür auf und registrierte, wie Andrea erschrocken zusammen fuhr. Sie saß mit der Kleinen auf dem Boden und zog ihr gerade die Schühchen aus.
    Semir zeigte anklagend auf seine Tochter und fauchte gereizt: „Jetzt sag bloß, Du bist mit Aida draußen gewesen?“
    Andrea nickte verdattert.


    Semir riss die Augen auf: „Sag mal: Geht’s noch?“
    Wie immer, wenn er sich aufregte, kiekte seine Stimme ein Tonlage höher, als er weiter tobte: „Ich versuche Euch zu beschützen und Du wanderst mit unserer Tochter seelenruhig da draußen herum! Ist Dir nicht klar, was da hätte passieren können?!“


    Seine Frau fing sich wieder, stand auf, nahm Aida auf den Arm und ging zum Reisebettchen. Während sie die Kleine hineinlegte, ihr einen Teddy in den Arm drückte und zudeckte, versuchte sie ihren Mann zu beruhigen: „Ich war doch nicht allein. Susanne ist mitgegangen. Und wir waren nur auf dem Parkplatz und immer in der Nähe des Hauses.“


    Semir schnaubte: „Ach? Und das soll mich jetzt beruhigen? Was, wenn die Kerle auf der Lauer gelegen hätten und Dich jetzt auch geschnappt hätten? Glaubst Du, ich mache mir nicht schon genug Sorgen?“


    Langsam wurde auch Andrea ärgerlich und ihre Augen funkelten gefährlich, als sie ihn anblaffte: „ Was ist Dein Problem? Du selbst hast gesagt, das die nicht so dreist sein und mich hier nicht überfallen werden… Außerdem brauchte Aida mal ein bisschen frische Luft und etwas Abwechslung.“


    „Aber dann hättest Du mir Bescheid sagen sollen! Ich wäre mit Dir raus gegangen!“
    Semir wurde immer lauter und gestikulierte wild umher. „Was glaubst Du wohl, wie wenig Ihr beiden Frauen hättet ausrichten können?“


    „Jetzt übertreibst Du es aber!“ rief Andrea zornig und stampfte mit dem Fuß auf.
    „Ausserdem: Du warst in einer Besprechung… Schon vergessen? Und die Sache mit Chris und seiner Familie hat ja wohl im Moment absoluten Vorrang!“
    „Aber doch nicht auf Kosten meiner Familie!“ schrie Semir.


    Einige Sekunden funkelte Andrea ihn wütend an und sie war drauf und dran ihrem Mann die Meinung zu sagen, da nahm ihre Miene plötzlich einen traurigen Ausdruck an. Ihre angespannten Schultern sanken herab und sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
    Die Hände langsam ausbreitend, deutete sie hilflos auf den kahlen Raum und meinte leise: „Hat es das nicht schon bereits?“


    Sprachlos starrte Semir seine Frau an, als er realisierte:
    Sie hatte absolut Recht!


    Normalerweise wären Andrea und Aida jetzt zu Hause und könnten sich sicher fühlen. Sie würden warten, bis er nach Hause kam,… gemeinsam würden sie Abendessen,… würden sich dabei gegenseitig erzählen wie der Tag war,… sie würden gemeinsam lachen oder Pläne für die nächsten Tage schmieden,… er würde mit Aida spielen, während Andrea vom Sofa aus zuschaute...


    Doch statt dessen mussten sie in einem unpersönlichen Raum auf unbequemen Liegen nächtigen, hatten kaum Bewegungsfreiraum, bekamen die ganze Hektik und Aufregung mit, hatten kaum Ruhe… kurzum:
    Sie waren selber „Gefangene“!


    Auf Semirs Miene verpufften die ärgerlichen Rauchwolken und seine Augen schauten sie flehentlich um Verzeihung bittend an.
    „Es tut mir so leid!“ stöhnte er, ging zu ihr hin und nahm sie in den Arm. „Es tut mir wirklich leid!“ wiederholte er leise an ihrem Ohr und drückte sie sanft.


    Andrea erwiderte seine Umarmung und seufzte: „Schon gut… Ich weiß, das Du es gut gemeint hast!“
    „Ich mache mir einfach nur große Sorgen um Euch!“ gab er kleinlaut zu.
    Andrea löste sich etwas aus seiner Umarmung und blickte ihn liebvoll an.
    „Und dafür liebe ich Dich!“ lächelte sie und strich ihm sanft übers Gesicht.


    Als Semir erneut mit seinen Selbstvorwürfen ansetzten wollte, würgte sie diese kurzerhand mit einem zärtlichen Kuss ab. Semir gab sich endgültig geschlagen und sekundenlang gaben sich die beiden dem Zauber des Momentes hin...

  • Sie wurden unterbrochen, als es an der Tür klopfte und Susanne ihren Kopf durch den Spalt steckte. Leicht errötend räusperte sie sich und sagte: „Entschuldigt, das ich Euch störe…“
    Dann richtete sie ihr Augenmerk auf Semir, schaute ihn fest an und fuhr in aufgebrachten Ton fort: „Semir, ich glaube Du solltest besser kommen. Chris hat sich trotz meines Protests etwas vom Schreibtisch der Chefin genommen. Der kann doch nicht einfach...“


    „Was hat sich Chris genommen?“ unterbrach Semir Susanne alamiert.
    Susanne stutzte kurz: „Eine CD. Und jetzt sitzt er bei Euch im Büro und will sie sich anschauen...“
    Entsetzt schauten sich Andrea und Semir an. „Oh Gott, der zweite Film… Ich muss sofort zu ihm!“ entfuhr es Semir und er rannte aus dem Raum.


    Irritiert blickte Susanne ihm hinterher: „Welcher zweite Film?“
    Sie schaute zu Andrea, die noch immer erschrocken ihre Hand vor den Mund hielt. „Etwa der, von dem auch Hartmut sprach?“
    Andrea löste sich mit einem leichten Nicken aus ihrer Starre und meinte mit belegter Stimme: „Lass mich erst Aida für ihr Mittagsschläfchen ins Bettchen bringen, dann komme ich und helfe Dir. Dabei erzähle ich Dir, was ich weiß, ok?“


    Susanne nickte verhalten und auf dem Weg zurück an ihren Schreibtisch kam sie an einem verwirrt dreinschauenden Siggi vorbei, der hinter der Funkstation hervor lugte.
    „Weißt du, was da schon wieder los ist?“ fragte dieser und zeigte mit dem Daumen in die Richtung, in der Semir verschwunden war.
    Doch Susanne konnte nur ratlos mit den Schultern zucken…




    Durch die Scheibe konnte er sehen, das Chris an Semirs Schreibtisch saß und die CD am Computer schon gestartet hatte. Er stürzte zu Tür herein und rief: „Chris! Was machst Du da?“
    Er erkannte auf dem Monitor die Szene, wo Gaby sich von den Kindern verabschieden sollte und atmete erleichtert auf. Vielleicht war er noch nicht zu spät.


    Doch Chris reagierte nicht und blickte weiterhin starr auf den Bildschirm. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.
    Rasch legte Semir seine Hand auf die Maus und stoppte den Film.


    Sofort drehte sich Chris zu ihm um und sah ihn fragend an: „Was soll das?“
    Mit leichtem Erstaunen registrierte Semir den ruhigen Ton in Chris’ Stimme und schaute ihn eingehend an.
    Die Miene seines Partners war steinern, aber gefasst und in den Augen konnte er zwar Furcht, aber auch Entschlossenheit erkennen.


    „Was das soll? Das gleiche könnte ich Dich fragen!“ ereiferte sich Semir. Er seufzte, holte tief Luft, um sich zu beruhigen und fuhr im ruhigeren Ton fort: „Chris,… ich bitte Dich noch einmal. Tu Dir das nicht an. Als Dein Partner rate ich Dir davon ab. Es ist wirklich nicht schön anzusehen.“


    Langsam gingen Chris’ Augen zurück zum Monitor. Darauf waren die Kinder zu sehen, wie sie Gaby umringten, um von ihr umarmt zu werden. Deutlich konnte man ihre angsterfüllten Gesichtszüge erkennen.
    Chris hob seine Hand, fuhr mit dem Finger um die einzelnen Gesichter und flüsterte ihre Namen. Fast schien es so, als ob er sie trösten wollte.


    Semir unterdessen verfolgte die Geste mit Verwirrung: Bildete er sich das ein oder wirkte Chris gleichgültig?
    Er hatte erwartet, das er ausrasten, jähzornig herumtoben, ihn wüst beschimpfen oder sonst was machen würde… doch er war fast teilnahmslos!
    Es war das zweite Mal heute, das er ihn so erlebte. Da stimmte irgend etwas nicht!


    „Chris,… ist alles in Ordnung mit Dir?“ fragte Semir verwundert und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Noch immer reagierte Chris nicht, der mit seinen Gedanken meilenweit weg zu scheinen schien.


    Aus den Augenwinkeln fiel Semirs Blick auf die verletzte Hand und er ahnte, was sich in den Toilettenräumen abgespielt haben musste. In Gedanken vermerkte er sich, das er Susanne später um Verbandszeug bitten musste.
    Nach einigen Sekunden übte Semir mit seiner Hand einen leichten Druck auf Chris’ Schulter aus und hakte besorgt nach: „Chris?“


    Ohne seine Miene zu verändern, sagte Chris leise: „Als mein Partner solltest Du verstehen, das ich mir diesen Film anschauen muss…“. Langsam drehte er den Kopf und richtete er seinen Blick erwartungsvoll auf Semir. Der sah in Chris’ Augen einen Funken Hoffnung aufglimmen, als er fortfuhr: „… und als mein Freund würdest Du mich dabei unterstützen...“

  • Zögerlich zog Semir die Hand zurück und machte unbewußt einen Schritt nach hinten. Er senkte für einen kurzen Moment den Kopf und während er tief Luft holte und traurig seufzte, ging sein Blick zurück zu Chris.
    Stumm schauten sie sich an.


    Ihre Augen ruhten aufeinander und jeder suchte im Gesicht des anderen eine Bestätigung,... einen kleinen Funken dessen, was sie von einander erhofften:
    Semir erwartete, das Chris ihm endlich Vertrauen schenkte und mit ihm über seine Sorgen redete.
    Chris’ Augen sprachen von der Hoffnung auf Sicherheit und Freundschaft.


    Unsicherheit und Zweifel spiegelten sich deutlich in Semirs Gesicht und man sah, wie er mit sich rang. Er erinnerte sich an seine Entscheidung, Chris die Wahrheit zu sagen.
    Beinhaltete das auch, ihm jetzt diese CD zu zeigen? Er wußte, das der Inhalt Chris noch mehr seelische Schmerzen zufügen würde.
    Konnte und wollte er ihm das zumuten? Etwas in ihm verneinte die Frage vehement.
    Doch gab es keinen größeren Vertrauensbeweis, wenn er ihm jetzt Beistand schenkte? Jetzt, in diesen schweren Stunden? Vielleicht erkannte Chris dann endlich, das er auf ihn bauen und ihm vertrauen konnte.


    Er nickte langsam, als er einen Entschluß fasste: „Auch wenn ich es für einen Fehler halte, respektiere ich Deinen Wunsch.“
    Chris’ Augen leuchteten dankbar auf, doch sofort Semir sprach eindringlich weiter: „Aber bitte... versprich mir, Dich unter Kontrolle zu halten. Wenn die Chefin heraus bekommt, das Du wieder ausgerastet bist, lässt sie Dich von einem Arzt ruhig stellen! Egal, wie sehr Du Dich dagegen wehrst!“


    Ein leises, aber kaltes Lächeln umspielte Chris’ Mundwinkel: „Keine Angst! Ich werde mich beherrschen!“
    Semir kniff leicht die Augen zusammen und schaute seinen Partner skeptisch an.
    Da war er wieder,... dieser lauernde Unterton,... der fast schon wie eine Warnung klang,... der einen an den wahrheitsgemäßen Sinn seiner Worte zweifeln ließ...


    Doch ein weiterer Blick auf Chris’ Miene ließ nichts verdächtiges mehr erkennen.
    „OK,…“, gab Semir zögerlich nach, „…aber zuerst kümmern wir uns um Deine Hand!“
    Mit einer auffordernden Geste bat er Chris aufzustehen. Dieser schien für einen Moment protestieren zu wollen, doch nach einem kurzen Blick auf seinen blutverschmierten und geschwollenen Handrücken, gab er mit einem Nicken nach.

    Als sie das Büro verließen, sprach Semir Susanne an: „Kommst Du mal gerade mit? Du musst mir einen Gefallen tun!“
    Stutzig dreinschauend stand Susanne auf und folgte den beiden. Sie gingen in die Teeküche, in der an der Wand ein Verbandskasten hing.


    Semir bedeutete Chris, das er sich setzen sollte und er holte aus dem Erste-Hilfe-Kasten die benötigten Sachen. Mit einem entschuldigenden Lächeln drückte er sie Susanne in die Hand und fragte, nach einem kurzen Seitenblick auf Chris, bittend: „Könntest Du Dich bitte um seine Hand kümmern?“
    Er druckste kurz herum und flüsterte dann: „Ich kann nicht so gut Blut sehen!“


    Susanne, die bereits davon gehört hatte, schmunzelte, nahm ihm die Sachen ab und setzte sich zu Chris an den Tisch.
    Ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken, ließ er sich von Susanne behandeln. Einmal jedoch meinte Susanne, als sie seine Wunde reinigte, in seinen Augen ein schmerzhaftes Aufflackern zu sehen. Doch es war im selben Augenblick verschwunden. Ansonsten blieb seinen Miene die ganze Zeit unbewegt.


    Während sie sich um seine Verletzung kümmerte, kramte Semir eine Packung Kekse aus dem Schrank und stellte sie vor Chris.
    „Hier, iss!“ befahl er ihm mit strengem Ton. „Ich möchte nicht, das Du mir noch einmal wegkippst. Und keine Widerrede!“
    Chris’ Blick, den er Semir zuwarf, war eine Mischung aus verhaltenem Zorn und belustigendem Aufleuchten. Dann griff er wortlos in die Schachtel und mümmelte vor sich hin.


    Nachdem Chris’ Hand bandagiert war, bedankten sie sich bei Susanne und gingen zurück in ihr Büro. Semir zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben seinen Partner. Er schaute ihn ernst an: „Und Du willst das wirklich?“


    Als Chris stumm nickte, seufzte er verhalten und erinnerte Chris an sein Versprechen.
    Nachdem dieser ein leises, aber ungeduldiges: „Ja!“ gemurmelt hatte, gab er ihm mit einem aufmunternden Kopfnicken zu verstehen, das er bereit war ihm beizustehen und Chris ließ den Film fortfahren...

  • Und Chris hielt Wort: Er blieb ruhig. Zumindest äußerlich.
    Aber auf seinem Gesicht und an seinen verhaltenen Gesten war mehr als deutlich zu erkennen, was wirklich in ihm vorging.


    Er hielt angsterfüllt die Luft an, als Jakob mit dem Messer bedroht wurde,...
    seine Hände ballten sich wütend zu Fäusten, als seine Schwester auf den Boden gepresst wurde,...
    Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen, als Richard zusammenbrach und Gaby ihn vergeblich schüttelte,...
    er hob die Hand vor den Mund, als er die verzweifelten Schreie hörte,…
    auf seinem Gesicht zeichnete sich abgrundtiefer Hass ab, als Borchert seine Schlussrede hielt...


    Kaum hatte das Video geendet, stand Chris abrupt auf und marschierte angespannt im Büro auf und ab. Semir beobachtete argwöhnisch, wie Chris’ Atem heftig ging und er sich nur durch das zusammenpressen der Lippen davon abhalten konnte, seine Wut hinaus zu schreien.
    Mit seinen Hände fuhr er sich ab und zu hektisch raufend durchs Haar und ansonsten hielt er sie die meiste Zeit in den Taschen zu Fäusten geballt.


    Einmal hob er seine rechte Faust, stellte sich vor die Wand und für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als ob er zuschlagen wollte. Doch nach einigem Zögern senkte er den Arm und setzte sein herum tigern fort.


    Man spürte regelrecht, unter welcher Anspannung Chris stand und noch immer wartete Semir auf den großen Knall. Doch noch schien sich Chris im Griff zu haben, was ihn etwas verwunderte.


    Plötzlich verharrte Chris abrupt in seinen Bewegungen und stand wie zur Salzsäule erstarrt. Seine Miene veränderte sich schlagartig, als er zu realisieren schien, was er da gerade eben gesehen hatte und schlug seine Hände vors Gesicht.
    Er wurde ganz bleich und zuerst befürchtete Semir, das sein Partner wieder zusammen klappen wurde. Alarmiert stand er langsam auf.


    Doch nach einem gequältem Aufstöhnen, setzte sich Chris zitternd an seinen Schreibtisch. Er beugte sich darüber, legte seine Unterarme auf der Arbeitsplatte ab und faltete, nein… verkrampfte, seine Hände ineinander. Sein Gesicht legte er auf die kompakte Faust und presste seine Augenlider zusammen. An seiner stoßweißen Atmung konnte Semir erkennen, das er Mühe hatte sich zu beherrschen.


    Er meinte zu ahnen, was in ihm vorging und konnte es gut nachvollziehen. Mitfühlend ging er zu ihm hin, legte ihm eine Hand auf die Schulter, redete leise auf ihn ein und versuchte ihn zu beruhigen.
    Doch Semir konnte nicht ahnen, das er mit seiner Vermutung gänzlich falsch lag.


    Chris bekam von all dem nichts mit…
    Denn in dessen Innerstem hatte sich ein tiefer, schwarzer Abgrund aufgetan und ließ ihn kalt erschaudern.


    Ein egoistischer Gedanke fraß sich durch sein Hirn,… machte sich wie ein ekelhaftes Geschwür breit…
    Er schämte und hasste sich für diesen Gedanken zutiefst!
    Nein,… er wollte ihn nicht denken,… wollte, das er wieder dort hin verschwand, wo er hergekommen war.


    Doch je mehr er versuchte, gegen diesen dämonischen Gedanken vorzugehen, desto hämischer lachte dieser aus seinen höllischen Tiefen.
    Wie konnte er nur so kaltherzig sein, während seine Schwester unerträgliche Qualen erleide musste?


    Seine Schwester!… Er sah sie vor seinem geistigen Auge,…
    wie sie um ihr einziges Kind kämpfte,…
    es verlor und beweinte,…
    hörte ihren unendlichen Schmerz in ihren klagenden Schreien,…
    meinte ihre verzweifelte Hilflosigkeit zu spüren…


    Ihre sonst sanfte Stimme ertönte kalt und verbittert in seinen Ohren: „Wie kannst Du nur?“
    Chris atmete schwer… In seinen Gedanken versuchte er sie um Verzeihung zu bitten, doch er bekam keine Antwort.


    Denn das Einzige, was er immer und immer wieder zutiefst beschämt mit grenzenloser Erleichterung dachte, war:
    ‚Gott sei Dank!… Es war keines von meinen Kindern!’

  • Jakob und Johanna hatten den ganzen Tag verängstigt in ihrem Gefängnis ausgeharrt. Man hatte ihnen zu Essen und zu Trinken gebracht, sie zur Toilette begleitet, aber ansonsten nicht beachtet. Keiner der Kidnapper war vorbei gekommen,… keiner hatte mit ihnen gesprochen.


    Sie wussten nicht, was als nächstes passieren sollte oder was noch mit ihnen geschehen würde.
    Sie fühlten sich schrecklich einsam und verlassen. Beide sehnten sich nach Trost und so sehr sie sich auch bemühten, ihn sich gegenseitig zu spenden, war es nicht genug.


    Sie wären jetzt gern bei ihrer Tante. Sie würde sie in den Arm nehmen und ihnen mit ihrer leisen Stimme und sanften Worten ein Gefühl von Sicherheit, Wärme und Geborgenheit vermitteln. Ihre Hände würden zärtlich über ihre Köpfe streichen und ihr aufmunterndes Lächeln würde neuen Mut spenden. Sie könnten sich an ihren warmen Körper kuscheln und spüren, wie sie allein durch ihre Umarmung alle Ängste vertrieb.


    Doch ihnen wurde jeglicher Kontakt untersagt! Jakob hatte einen der Männer gefragt, ob sie zu ihrer „Mutter“ dürften, doch als patzige Antworte hatte er nur bekommen: „Nee, das könnt Ihr vergessen. Eure Mutter war eine böse Frau und hat sich nicht an das gehalten, was der Boss von ihr wollte. Dafür wurde sie bestraft. Ihr könnt Euch, wenn Ihr sie das nächste Mal seht, bei ihr bedanken!“
    Der Mann und sein Kumpel hatten gefeixt und waren verschwunden.


    Johanna hatte anschließend fürchterlich geweint. Zuerst hatte sie immer wieder nach ihrem Vater gefragt und darauf gehofft, das er sie bald hier heraus holen würde. Doch er war bis jetzt nicht gekommen, um sie zu retten.
    Dann der Verlust von Richard, der für sie wie ein Bruder gewesen war und ihre Tante, die für sie wie eine Mutter war. Von beiden hatten sie seit der letzten Nacht nichts mehr gehört oder gesehen.


    Die darauf folgende Zeit saßen sie meistens auf dem Bett und Jakob versuchte seine kleine Schwester abzulenken, während er in Gedanken nach einer rettenden Idee suchte.


    Denn auch Jakob war nach dieser Aussage geschockt gewesen. Die Andeutungen der Männer waren nicht ganz eindeutig, doch sie konnten auch heißen, das seine Ahnungen wahr geworden waren.
    Seit der letzten Nacht hatten sie Richard und ihre Tante nicht mehr gesehen.


    Er wusste noch nicht einmal wo sie jetzt waren. Waren sie in diesem Gebäude oder hatte man sie ganz woanders hingebracht? Waren die beiden tot?…
    Nein! Er wollte das nicht glauben! Er hoffte, dass es eine andere Erklärung gab… nein,… es musste einfach eine andere Erklärung geben.
    Doch was, wenn es wahr war? Sollte vielleicht einer von ihnen als nächster sterben?
    Immer wenn Schritte vor der Tür zu hören waren, setzte sein Herz für einen Moment aus und er stellte sich immer wieder die selbe bange Frage: ‚Kommen sie jetzt, um uns zu holen?… Wen von uns beiden holen sie als nächstes?’


    In Jakob breitete sich Angst aus, doch nach einiger Zeit regte sich auch Entschlossenheit in ihm: ‚Ich muss Johanna hier irgendwie raus bekommen!’


    Er war froh, das Johanna seinen grübelnden Gesichtzug nicht bemerkte, denn sie nahm seine Spiele und Geschichten dankbar an. In ihrem Kopf schwirrten ganz viele Fragen, auf die sie keine Antworten bekam… das sah er ihren Augen an. Und er wusste, dass sie es hasste, wenn sie über eine Sache im unklaren war!


    Wie oft hatte ihre Tante angenervte Lehrerinnen besänftigen müssen, weil die mit dem, wie es nannten, „aufgeweckten Wirbelwind“, nicht zurecht kamen?
    Wie oft hatte Johanna ihren Vater damit zur Verzweiflung gebracht, wenn er bei einem seiner seltenen Besuche ihrer Fragerei hilflos ausgeliefert war?
    Er erinnerte sich an den Besuch bei Semir vor vier Tagen und wie sie ihn mit ihren vielen neugierigen Fragen gelöchert hatte, als er ihnen von Erlebnissen erzählt hatte, die vor der Partnerschaft mit seinem Vater geschehen waren.


    Plötzlich hielt er gespannt die Luft an. Ihm war etwas eingefallen: ‚Hatte Semir nicht in einer Geschichte erzählt, wie er sich mit einem Sprung durchs Fenster gerettet hatte?’


    Sein Blick ging zum vernagelten Fenster.
    Er hatte bereits versucht die Bretter abzureißen. Aber jedes Brett war rechts und links mit je zwei Schrauben fest in der Wand verankert. Durch die schmalen Ritzen, die gerade groß genug waren, um genügend Tageslicht herein zu lassen, hatte er nicht viel erkennen können.


    Langsam stand er auf und ging zu dem verrammelten Fenster hin. Nachdenklich stand er davor und schätzte seine Möglichkeiten ab.
    „Es wäre zumindest ein Versuch wert“, murmelte er nach einiger Zeit leise. Er schaute sich im Zimmer um und suchte nach geeigneten Hilfsmitteln. Die Decken, mit denen sie sich letzte Nacht zugedeckt hatten und das alte, wackelige Bett, erregten seine Aufmerksamkeit.


    Grübelnd dachte er nach, dann fragte er seine Schwester: „Johanna,… weißt Du noch letzte Nacht, als wir hierher gebracht wurden…? Kannst Du Dich noch erinnern, wie viele Treppen wir hochgegangen sind?“
    Johanna, die zusammengekauert auf der alten Matratze saß, schaute ihn verwirrt an: „Warum willst Du das wissen?“
    Sie bemerkte seine nachdenkliche Miene und fügte zaghaft hinzu: „Außerdem konnte ich keine Stufen zählen. Der eine Mann hat mich über seiner Schulter getragen.“


    Jakob schüttelte den Kopf: „Nicht die Stufen. Ich will wissen, wie viel Treppen es waren?“
    Nach einer kurzen Überlegung meinte Johanna: „Wenn ich mich recht erinnere, war es eine Treppe.“
    Bestätigend nickte Jakob: „Ich meine nämlich auch, das wir einen Treppenabsatz hinauf gegangen sind.“
    „Aber warum willst Du das wissen?“ hakte seine Schwester noch einmal nach.
    „Weil ich gern wissen möchte, wie hoch wir hier sind“, erklärte er ihr. „Ich hätte da vielleicht eine Idee, wie wir hier heraus kommen. Dafür brauche ich aber Deine Hilfe.“


    Sofort sprang Johanna vom Bett und kam auf ihn zu: „Was hast Du vor?“
    Grob umriss er ihr seine Idee und am Ende schaute sie ihn ängstlich an. „Und was ist, wenn die uns erwischen?“ fragte sie tonlos.
    Sanft legte Jakob seine Hände auf ihre Schultern und blickte sie fest an: „Deswegen brauche ich Deine Hilfe. Du musst lauschen und mir Bescheid geben, sobald Du etwas hörst. Meinst Du, Du schaffst das?“


    Zögerlich nickte seine kleine Schwester. In ihren Augen war deutlich zu sehen, das sie Angst und Zweifel hatte. Aber sie vertraute ihrem großen Bruder. Er würde schon wissen, was er tat.
    Mit einem leichten Beben in der Stimme fragte sie: „Und was ist mit Richard und Tante Gaby? Wir können sie doch nicht einfach hier lassen?“


    Traurig erwiderte Jakob, nachdem er sie eine Weile stumm angeschaut hatte: „Aber Johanna. Wir wissen doch gar nicht wo sie sind?“
    Als er ihre Enttäuschung sah, fügte er schnell hinzu: „Sobald wir hier heraus sind, gehen wir zur Polizei und holen Hilfe. Einverstanden?“
    Er wollte ihr noch nichts von seinen Befürchtungen sagen. Statt weiterer Angst wollte er ihr lieber Hoffnung geben.


    Johannas Augen leuchteten freudig auf: „Kommt Papa dann auch?“
    „Bestimmt!“ erwiderte Jakob.
    Erleichtert lächelte Johanna: „OK! Dann lass uns anfangen.“
    Sie drehte sich um, hüpfte zur Tür, hockte sich davor und legte ihr Ohr daran. Nach einer Weile nickte sie ihrem Bruder zu: „Alles still. Du kannst anfangen.“


    Jakob löste sich aus seiner nachdenklichen Haltung. Er wusste, das er Johanna über kurz oder lang die Wahrheit, oder das was er für die Wahrheit hielt, sagen musste… Über seine schlimme Ahnung, was mit Richard und ihrer Tante geschehen war.


    Doch jetzt musste er sie erst einmal hier heraus bekommen. Eifrig begab er sich an seinen Befreiungsplan…

  • Nachdem Aida recht schnell eingeschlafen war, machte sich Andrea vorsichtig auf den Weg nach draußen. Leise schloss sie die Tür hinter sich und ging zu Susanne. Die saß an ihrem Schreibtisch und tippte Daten in ihren Computer. Zwischendurch blickte sie unauffällig durch die Scheibe in das Büro von Semir und Chris.


    Andrea konnte sehen, wie Semir den Bildschirm seines Computer ausschaltete, zu Chris hinging und ihm eine Hand auf die Schulter legte.
    ‚Also hat Chris doch den Film gesehen!’ dachte sie traurig.
    Sie selber hatte ihn noch nicht gesehen, doch sie musste sich nur an das entsetzte Gesicht ihres Mannes erinnern, als er ihr heute Morgen davon erzählt hatte, um zu erahnen, was für schreckliche Bilder dort zu sehen sind.


    Und Susannes Gesichtszüge ließen in diesem Augenblick ganz deutlich erkennen, das es auch sie hart getroffen hatte.
    „Alles in Ordnung mit Dir?“ fragte Andrea ihre Freundin, als sie beim Schreibtisch ankam. „Du siehst blass aus.“
    Susanne atmete tief durch, dann schaute sie zu Andrea auf: „Es geht schon wieder.“
    „War es sehr schlimm?“ wollte Andrea wissen und als sie Susannes irritierten Blick bemerkte, ergänzte sie: „Ich meine den Film!“


    Erschüttert nickte Susanne und warf einen erneuten Blick ins Büro: „Ja. Zumindest, was ich sehen konnte.“
    Sie schüttelte sich, als ob sie frieren würde. „Wieso tötet jemand ein Kind?!“ ereiferte sie sich. „Und überhaupt: Wie kann man ein Kind vor den Augen der Mutter umbringen?“
    „Besonders schrecklich ist die Tatsache, das es sich dabei um das einzige Kind von Gaby handelt. Sie hat sonst niemanden mehr“, sagte Andrea wie zu sich selbst, während sie zu Semir schaute.


    Susannes Kopf ruckte herum. Sie starrte Andrea an und mit erstickender Stimme fragte sie: „Was sagst Du da?“
    „Ja, die anderen beiden sind die Kinder von Chris. Seine Schwester hat sie bei sich aufgenommen, als seine Frau bei einem Unfall ums Leben kam“, antwortete diese und ihr Blick ging zurück zu Susanne.
    Sie nahm den erstaunten Gesichtsausdruck von ihr wahr: „Hast Du das nicht gewusst?“


    „Nein!“ hauchte Susanne erschrocken.
    Andreas betretene Miene sprach Bände: „Oh,... ich dachte, man hätte Euch das erzählt.“
    Wortlos schüttelte Susanne den Kopf, blickte zu Chris und murmelte leise: „Das erklärt einiges!“
    Auch Andrea schaute in die Richtung und beide Frauen beobachteten stumm die Männer.





    Lorenz stutze. Hatte er sich etwa verhört?
    Er warf einen Blick zum Rattengesicht, das ihn ebenfalls verdutzt anschaute.
    „Habe ich das richtig verstanden?“ fragte er noch einmal zur Sicherheit nach.


    Ohne zu antworten, bediente die Ratte einige Knöpfe und auf einem der Monitoren spulte das Gespräch mit Mickey - Mouse - Stimme zurück. Nach einigen Sekunden hielt er den Film an und ließ die Sequenz noch einmal ablaufen.


    Sofort waren alle Zweifel verflogen. Tatsächlich…! Sie hatten richtig gehört!
    Auf ihren Gesichtern machte sich ein hämisches Grinsen breit, wobei sich das von Lorenz immer mehr in ein siegessicheres Lächeln verwandelte.
    In seinen Augen funkelte es erwartungsvoll, als sie sich wieder dem Monitor zuwandten, auf dem sie beobachten konnten,…

  • …, wie in diesem Augenblick Chris langsam aufstand und sich ans Fenster stellte. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und starrte mit düsteren Augen hinaus. Seine ganze Körperhaltung wirkte angespannt und verkrampft.


    Semir stand noch immer regungslos an seinem Platz und schien ratlos. Seine Aufmerksamkeit wurde auf die beiden Frauen gelenkt und er schaute Andrea hilfesuchend an. Doch auch die konnte nur mit ihren Schultern zucken.


    Mit einer plötzlichen Bewegung drehte sich Chris um und ging mit großen Schritten an ihm vorbei zur Tür hinaus. Semir, der hinter ihm hergeeilt war, packte ihn am Arm und hielt ihn fest. „Wo willst Du hin?“ fragte er fordernd.
    Mit unterdrückter Wut in der Stimme funkelte Chris ihn an: „Was geht Dich das an?!“
    „Eine ganze Menge!“ erwiderte Semir und versuchte ruhig zu bleiben. „Schließlich hast Du der Chefin versprochen nicht die PAST zu verlassen und ich soll auf Dich aufpassen.“
    „Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst!“ raunzte Chris gereizt.


    „Hey! Reiß nicht mir den Kopf ab!“ rief Semir und hob abwehrend die Hände. „Ist ein Befehl von der Chefin!“
    Mit einer wegwerfenden Handbewegung tat Chris den Einwand ab: „Das ist mir egal!“
    „Das sollte es aber nicht“, gab Semir zu bedenken. „Du weißt, was Dir droht, wenn Du Dich der Anordnung widersetzt!... Also komm, sein vernünftig...“


    Etwas in Semirs Stimme ließ Chris’ Aggressionen etwas abklingen. Er senkte den Kopf und schloss für einen Moment die Augen. Er spürte die nervösen Blicke von Susanne, Andrea und Siggi auf sich.
    Ärger über sich selbst kam in ihm hoch, da er fühlte, wie sich in seinem Innersten trotz der Medikamente schon wieder Ungeduld und Zorn breit machten.
    ‚Du musst Dich beherrschen!’ mahnte er sich. ‚Es ist niemandem geholfen, wenn sie Dich kaltstellen und von Dienst suspendieren!’


    Er holte zwei-, dreimal tief Luft, schaute in Richtung Ausgang und dann zurück zu jedem einzelnen.
    An Semir blieb sein Blick einige Sekunden haften, dann sagte er mit bitterem Ton: „Ich wollte doch nur vor dieTür... eine rauchen!“
    Mit einem Lächeln atmete Semir, die Augen verdrehend, erleichtert auf: „Oh Mann, Chris,… es wird Zeit, dass Du Dir das abgewöhnst!“
    Dann gab er ihm einen leichten Klaps auf die Schulter und ging mit ihm gemeinsam vor die Tür...





    Lorenz jubelte laut auf: „Das wird ja immer besser! Wenn Borchert rausbekommt, das dieses Weibsstück ihn schon wieder angelogen hat, dann Gnade ihr Gott! Was würde ich darum geben dabei zu sein, wenn er sie fertig macht!“
    Lachend griff er zum Telefon und wählte Borchert an. Während er auf eine Verbindung wartete, ließ er die letzten Minuten Revue passieren…


    Zuerst war er sehr enttäuscht gewesen, als er gesehen hatte, wie beherrscht dieser Ritter die letzte Videobotschaft verarbeitet hatte.
    Kein Tobsuchtsanfall, kein verwüsten des Büros, kein Geschreie… nichts!
    Die paar verhaltenen Reaktionen waren im Vergleich zum ersten Mal langweilig.


    Doch als er das Gespräch der Frauen mitbekam, wusste er: Sie hatten soeben den Royal Flush in ihrem Pokerspiel entdeckt! Damit war dieser Ritter endgültig erledigt!


    Borcherts Stimme meldete sich und Lorenz registrierte sofort die bessere Laune seines Gesprächspartners.
    Nach der Begrüßung war dessen erste Frage: „Sag mal, wo bleibt der Freak? Ich brauch ihn hier.“
    „Der fährt in einigen Minuten von hier los“, ließ Lorenz seinen besten Mann wissen. „Zuerst bringt er dem Anwalt unseres Kunden eine CD, die gerade fertig gestellt wird. Danach kommt er zu Euch.“
    „Gut! Ich habe nämlich vor, eine weiteres Band zu drehen. Die Frau ist gerade in der richtigen Verfassung. Sie wird ihrem Bruder schön was vorheulen!“ kicherte Borchert.


    „Und ich habe eine Information für Dich, mit der Du die Frau noch mehr zum Heulen kriegen kannst“, gluckste Lorenz.
    Begierde schwang in Borcherts Stimme, als er fragte: „Was für eine Information?“
    Lorenz genoss die Situation weidlich aus und erzählte Borchert jedes Detail.
    Als er endete, hörte er ihn wütend schnauben: „Willst Du mir damit sagen, das dieses Luder uns die ganze Zeit an der Nase herum geführt hat? Trotz meiner Warnung, trotz der Schläge, trotz der Sache mit ihrem Sohn, trotz…?“
    Weiter sprach Borchert nicht. Statt dessen drang ein grimmiges Grollen an Lorenz’ Ohr.


    ‚In der Haut der Frau möchte ich jetzt nicht stecken’, dachte Lorenz still bei sich. Dann stieß er ein gemeines Lachen aus und antwortete laut: „Wahrscheinlich warst Du noch nicht deutlich genug!“
    Ein ärgerliches Knurren war zu hören, dann, nach einigen stillen Augenblicken, kam Borcherts nachdenkliche Stimme aus dem Hörer: „Sag mal,... was hältst Du von folgendem Vorschlag?“


    Während er seine Idee Lorenz unterbreitete, fingen dessen Augen an zu leuchten und am Schluss strahlte er über das ganze Gesicht, als er sagte: „Geniale Idee! So machen wir das! Gib mir Bescheid, wenn Ihr soweit seid. Ich rufe dann diesen Ritter an.“

  • Etwa zur gleichen Zeit wie Susanne Semir Bescheid gab, das sich Chris die CD genommen hatte, erreichten Anna Engelhardt und Hartmut den Unfallort.
    Ihnen bot sich, als sie ausgestiegen und sich umgesehen hatten, das gewohnte Bild.


    Mehrere Fahrzeuge hatten sich ineinander geschoben und verkeilt, andere Autos standen kreuz und quer auf der Fahrbahn und überall lagen Scherben oder abgerissene Autoteile. Der scharfe Geruch von verbranntem Plastik, ausgelaufenem Benzin und Öl sowie der heiße Abrieb vom Gummi der Autoreifen stieg in ihre Nasen.
    Die vielen Bremsspuren zeigten deutlich, wie verzweifelt einige Autofahrer versucht hatten, dem Unglück auszuweichen.


    Ein weißer Kleintransporter war auf einen Golf aufgefahren und hatte ihn gegen den Brückenpfeiler geschoben.
    Rettungskräfte der Feuerwehr schnitten den eingeklemmten Fahrzeuginsassen mit Hilfe von Spezialwerkzeug heraus, während der Notarzt eine Infusion legte und beruhigend auf den Mann einredete.
    Andere Feuerwehrmänner schütteten Bindemittel auf ausgelaufenes Öl oder rollten die nicht mehr genutzten Schläuche auf.


    Mehrere Polizeibeamte kümmerten sich um die Absperrungen, vernahmen Zeugen oder leiteten den Verkehr an der Unfallstelle vorbei.
    Einige Sanitäter legten den zahlreichen Verletzten Verbände an oder andere führten geschockte Menschen zum Krankenwagen, damit sie von den Notärzten behandelt werden konnten.


    Ein Notfallseelsorger sprach mit einer jungen Mutter, die blass auf der Leitplanke saß, ihr weindes Baby im Arm hielt und es durch sanfte Schaukelbewegungen zu beruhigen versuchte. Dabei zitterte sie selber am ganzen Leib und ihre stockende Erzählung wurde durch ein traurige Schluchzer unterbrochen.


    Die Männer von der Spurensicherung machten Fotos, erstellten eine Skizze vom Unfallort oder, zumindest meinte Anna das zu erkennen, entnahmen mithilfe einer Pinzette vom Kühlergrill eines Toyota Hautreste und Haarbüschel.
    Zwei Mitarbeiter befanden sich oben auf der Brücke und sicherten in einem abgesperrten Bereich am Geländer Spuren und nahmen Fingerabdrücke ab.


    Die Chefin und Hartmut warfen sich einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu und wandten sich dann ihren Aufgaben zu. Hartmut ging sofort zu seinen Kollegen und während er sich einen Overall überstreifte, ließ er sich von einem Mitarbeiter ins Bild setzen.


    Annas Blick schweifte über das Chaos und sie erkannte Lothar, der gerade in seinem Streifenwagen saß und eine Information über Funk einforderte.
    Circa zehn Meter von ihm entfernt, lag am linken Straßenrand ein Körper. Das weiße Tuch, das die Leiche abdeckte und die große, dunkle Blutlache, die sich darum gebildet hatte, zeigte jedem, das hier jede Hilfe zu spät kam.
    Die schlanke Hand, die darunter hervor lugte, gehörte ganz eindeutig einer Frau. Es musste sich dabei um diejenige handeln, die sich von der Brücke gestürzt haben soll.

    ‚Bitte, lieber Gott, lass es nicht die Schwester von Herrn Ritter sein!’ flehte Anna und schickte ein Stoßgebet ´gen Himmel.
    Sich vorsichtig zwischen den Trümmern hindurch bewegend, näherte sie sich der Leiche.
    Als sie dort ankam, beendete Lothar seinen Funkspruch, stieg aus dem Wagen und stellte sich zu ihr.


    „Hallo, Frau Engelhardt“, sagte er und berührte zur Begrüßung mit einer Hand den Rand seiner Mütze.
    „Hallo, Lothar“, begrüßte ihn Anna und deutete auf den toten Körper. „Wissen wir inzwischen, um wen es sich handelt?“
    „Ja, wir konnten sie anhand eines in ihrer Nähe gefundenen Ausweises identifizieren“, seufzte Lothar und fuhr mit belegter Stimme fort: „Leider ist es jemand, den wir kennen.“


    Anna riss die Augen auf und in Gedanken sah sie ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden. Tonlos fragte sie: „Wer?“
    Ihr Gegenüber holte aus seiner Jackentasche eine kleine Plastiktüte, in der ein Personalausweis zu sehen war.
    „Den haben wir im Graben gefunden. Muss wohl aus ihrer Tasche gefallen sein. Es handelt sich um unsere Putzfrau Maria Becker.“

  • Anna, die nach dem Ausweis greifen wollte, hielt, als sie den Namen hörte, erschrocken inne und starrte ihren Beamten entsetzt an. Ungläubig schüttelte sie mit dem Kopf: „Sind Sie ganz sicher?“


    Lothar nickte traurig und gab ihr das Tütchen. Das Bild von Maria Becker lächelte ihr entgegen und ließ jeden Zweifel verschwinden.
    Für einen kurzen Moment spürte Anna Erleichterung, das es sich nicht um Chris Ritters Schwester handelte. Doch dann überkam sie eine tiefe Traurigkeit.


    Sie machte zwei Schritte, bis sie seitlich von der Leiche stand und hockte sich daneben. Mit der rechten Hand griff sie nach dem Tuch und bevor Lothar sie davon abhalten konnte, hob sie es so weit an, das sie das Gesicht erkennen konnte… oder zumindest das, was davon übrig geblieben war.
    Erschrocken hielt sie sich die linke Hand vor den Mund und flüsterte entsetzt: „Oh mein Gott!“


    Das Gesicht war als solches nicht mehr zu erkennen. Tiefe, klaffende Wunden, unzählige Abschürfungen und Risse sowie mehrere gebrochene Gesichtsknochen hatten das Gesicht in eine deformierte Masse verwandelt.
    Sie hob das Tuch noch etwas weiter an und erkannte, das der restliche Körper, und ganz besonders der Oberkörper, nicht besser aussah.
    Die zerfetzte Kleidung war an mehreren Stellen vom Blut durchtränkt und ließ schwere Verletzungen erkennen. Die Autos, die sie mitgeschleift oder über sie hinweg gerollt waren, hatten ganze Arbeit geleistet!


    Nachdem sie einen letzten traurigen Blick auf die tote Frau geworfen hatte, senkte sie das Tuch und verharrte für einige Sekunden in dieser Position. Dann richtete sie sich langsam auf und schaute anschließend Lothar fragend an: „Und es ist ganz sicher Selbstmord gewesen?“
    Dieser nickte, bevor er antwortete: „Zeugen haben ausgesagt, das sie sich allein auf der Brücke befand und die Spurensicherung hat bis jetzt dort oben auch keinerlei Kampfspuren feststellen können.“


    Noch immer konnte Anna es nicht glauben: Warum sollte sich Maria von einer Brücke stürzen?
    Sie kannte sie als eine nette, vertrauensvolle und zuverlässige Frau, die ihre Arbeit gerne verrichtet hatte. Die Beamten der Dienststelle hatten ihre zurückhaltende, diskrete Art gemocht und geschätzt.


    Ab und zu hatte Anna mit ihr ein paar Worte zwischen Tür und Angel gewechselt. Sie erinnerte sich, wie sie oft mit verhaltenem Stolz in der Stimme von ihren Kindern gesprochen hatte.
    ‚Waren es nicht zwei Mädchen?’ grübelte Anna. Bei dem Gedanken an die Kinder, versetzte es ihrem Herz einen Stich.
    „Weiß die Familie schon Bescheid?“ fragte sie leise.
    Lothar nickte leicht: „Harald ist gerade mit einer Kollegin auf dem Weg zu ihrem Mann, um ihm die Nachricht vom Tod seiner Frau zu überbringen.“


    In seiner Stimme schwang Beklemmung mit und sie wusste, was er meinte. Das Überbringen von Todesnachrichten war eine der Aufgaben, die kein Polizist gerne tat. Die Trauer der Hinterbliebenen und Angehörigen hinterließen bei jedem einzeln mehr oder weniger Spuren.


    Besonders schlimm war es, wenn es sich dabei um eine Person handelte, die man selber kannte. In solchen Situationen war man immer doppelt betroffen.
    Und wenn dann die Frage nach dem ‚Warum’ nicht geklärt werden konnte, so wie es das oft bei Selbstmord war, war die Belastung besonders hoch.
    Lothar war froh, das sein Partner diesmal die Aufgabe übernommen hatte.


    „Aber warum hat sie das gemacht?“ Fassungslos schüttelte Anna mit ihrem Kopf. „In den letzten Tagen… und auch gestern… es schien alles in Ordnung! Es gab keinerlei Anzeichen dafür, das sie etwas bedrückte. Jedenfalls nicht, das es mir aufgefallen wäre.“
    Wobei sich Anna in Gedanken sofort eingestand, das ihre Gedanken gestern bei einer ganz anderen Sache waren. Aber trotzdem,… hätte sie es nicht bemerkt, wenn es einem ihrer Leute schlecht ging?


    Lothar holte aus seiner anderen Jackentasche eine weitere Tüte und reichte sie Anna mit den Worten: „Das haben wir ebenfalls bei ihr gefunden. Es steht Ihr Name darauf. Vielleicht steht ja da eine Erklärung drin.“


    Nachdem sie die Tüte zur Hand genommen hatte, konnte Anna einen Briefumschlag erkennen, auf dem ihr Name stand. Verwirrt las sie den Hinweis, das sie ihn nicht in der Dienststelle öffnen sollte.
    Sie ließ sich von Lothar ein Paar Handschuhe geben und nachdem sie sich diese übergestreift hatte, holte sie den Kuvert heraus.


    Vorsichtig öffnete sie den Umschlag und zog einen von Hand beschriebenen Zettel hervor. Sie faltete ihn auseinander und begann zu lesen. Bereits nach den ersten Zeilen weiteten sich ihre Augen und Erstaunen spiegelte sich in ihrer Miene.
    Doch je weiter sie las, desto mehr wandelte sich ihr Gesichtsausdruck in Entsetzen...

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