Angst und Vertrauen

  • Das Rattengesicht fluchte und flitzte zu Lorenz. Der hatte sich in einem der Nachbarzimmer schlafen gelegt.
    Mit der Faust schlug er gegen die Tür und brüllte: „Lorenz, wachen Sie auf! Wir haben ein Problem!“


    Lorenz schreckte aus dem Schlaf und torkelte zur Tür.
    ‚Wenn das jetzt nicht wichtig ist und der mich wegen einer Lappalie weckt, erwürge ich ihn mit seinen gottverdammten Kabeln!’ dachte er schlaftrunken.
    Er riss die Tür auf, an die immer noch das Rattengesicht hämmerte und raunzte ihn an: „Verdammt noch Mal! Was soll das Theater?
    „Borchert hat’s versaut! Kommen Sie mit, dann zeig ich es Ihnen!“ Damit trippelte das Rattengesicht davon.


    Augenblicklich war Lorenz hellwach. Er schnappte sich seine Hose, zog sie sich im Laufen an und stopfte das Hemd hinein. Gerade als er den Gürtel zumachte, betrat er das Zimmer mit den Monitoren. Auf den ersten Blick sah für ihn alles OK aus. Was sollte also die Aufregung?


    Das Rattengesicht hantierte an einem Gerät herum und zeigte anschließend auf einen kleinen Monitor. „Hier, sehen Sie selbst. Dann wissen Sie was ich meine!“
    Mit minütlich wachsendem Entsetzen sah sich Lorenz die Aufnahme an. Wie konnte das passieren? Wie konnten sie sich so austricksen lassen?
    Plötzlich packte ihn die Wut und er griff zum Telefon. Während er wählte, stand er auf und lief wie ein eingesperrter Tiger hin und her.


    „Gib mir Borchert ans Telefon!“ brüllte er ohne Begrüßung in den Hörer. „Ach, er will nicht gestört werden!… Dann sag ihm, das er Mist gebaut hat und wenn er sich nicht sofort zum Telefon bewegt, er die nächsten Jahre mehr Ruhe haben wird als ihm lieb sein wird… Und jetzt hol ihn mir, verdammt noch Mal, ans Telefon!“ Seine Stimme überschlug sich fast.


    Er war inzwischen auf den kleinen Flur gegangen und schlug fluchend seine Faust wieder und wieder gegen die Wand.
    „Dieser Idiot! Er versaut die ganze Sache!“ zischte er zwischen den Zähnen.


    Keine Minute später meldete sich Borcherts müde Stimme. „Warum machst Du so eine Hektik? Stehen etwa gleich die Bullen vor der Tür?“ Es folgte ein herzhaftes Gähnen.


    Das brachte das Fass zum überlaufen. Lorenz merkte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg und seine Adern an den Schläfen zu pochen anfingen.
    Brüllend ließ er seiner Wut freien Lauf: „Ja, Du Vollidiot! Wenn Du Pech hast, stehen nachher wirklich die Bullen bei Euch vor der Tür. Die Schlampe hat Euch ausgetrickst!“


    Jetzt hatte er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit von Borchert. Der fragte mit angehaltenem Atem: „Was meinst Du damit?“
    „So wie ich es gesagt habe. Das durchtriebene Luder beherrscht anscheinend die Gebärdensprache und hat es geschafft, den Bullen mit dem Video eine Nachricht zukommen zu lassen. Und das vor Eurer Nase!“


    Borchert konnte nicht glauben, was er hörte. „Verflucht! Bist Du Dir ganz sicher? Wissen die schon was genaues?“
    „Ja, ich bin mir sicher. Ich habe vor ein paar Minuten die Aufzeichnung gesehen. Und Nein. Sie müssen erst einen Dolmetscher organisieren, der für sie übersetzt. Doch dieser Ritter hat die Worte ‚alt’ und ‚vier’ erkannt. Reicht Dir das an Beweisen oder willst Du warten, bis sie bei Euch an die Tür klopfen?!“ Lorenz konnte den Sarkasmus in seiner Stimme nicht verbergen.


    Borchert holte scharf Luft. „Das wird dem Flittchen teuer zu stehen kommen. Die mache ich fertig!“
    Mit einem Zischen stieß er die Luft wieder aus: „Ich sage meinen Männern Bescheid. Sie sollen alles einpacken und die Spuren so weit wie möglich verwischen. In einer knappen Stunde sind wir hier weg. Wir weichen ins andere Versteck aus. Gib mir Bescheid, wenn Du näheres erfährst.“


    „Mach ich“, antwortete Lorenz. Mit warnender Stimme fuhr er fort: „Und denk daran, das wir die Frau noch mindestens zwei Tage lebend brauchen. Also reiß Dich zusammen! Tu nichts unüberlegtes… Hast Du mich verstanden?“
    Wie ein beleidigtes Kind schmollte Borchert: „Ja!… Hab schon verstanden!“
    „Wenn alles vorbei ist, kann Du mit ihr machen was Du willst. OK?“ tröstete ihn Lorenz. „Wir bleiben in Kontakt! Und versau es nicht noch einmal!“


    Er legte auf und ging zum Rattengesicht ins Zimmer. „Gibt’s was Neues?“
    Als der Angesprochene den Kopf schüttelte, holte er sich einen starken Kaffee und machte sich auf eine lange Nacht gefasst. An Schlaf war jetzt sowieso nicht zu denken. Er wollte es sofort erfahren, wenn die Polizisten etwas heraus fanden.


    Zum ersten Mal beglückwünschte er die Ratte für den brillanten Einfall, die Dienststelle zu verwanzen und Kameras anbringen zu lassen. Eigentlich waren sie dazu gedacht, Gehlens perfide Rachegelüste zu befriedigen.
    Wer hätte geahnt, das sie dadurch rechtzeitig gewarnt wurden!
    Er bekam wieder das Gefühl, die Kontrolle zu haben….





    In ihm brodelte es wie ein Vulkan, der kurz vorm Ausbruch stand.
    ‚Der werde ich es zeigen! Mich so vorzuführen!... Aber nicht mit mir!’


    Borchert sprach den Mann mit dem Mausgesicht an, der ihn geweckt hatte und nun vor der Tür wartete.
    Mit ärgerlichem Ton gab er seine Anweisungen: „Wir müssen von hier verschwinden. Sag den Männer Bescheid. Sie wissen was zu tun ist. Bau Deine Kamera im Schankraum auf. Du darfst unseren Abschied filmen. Der ‚Doc’ soll mit seiner Tasche zu mir kommen. Er bekommt Arbeit!“


    Kaum war der Mann verschwunden, ballte Borchert die Hände zu Fäusten und schlug wütend auf die Matratze. „Dieses Miststück!… Der erteile ich eine Lehre, die sie so schnell nicht vergisst!“


    Er erinnerte sich an die Warnung von Lorenz. Mit einem sadistischem Grinsen dachte er bei sich: ‚Er hat ja nichts von den Kindern gesagt!’
    Dann machte auch er sich an die Arbeit…

  • So schnell war selbst Semir noch nie bei der KTU gewesen. Was bestimmt auch an den relativ leeren Strassen zu der späten Stunde lag. Mit raschen Schritten liefen sie zu Hartmuts Büro und stellten dort erstaunt fest, das er schon einen Dolmetscher aufgetrieben hatte.


    Hartmut stellte ihnen Holger Berg und seine Frau Lydia vor.
    „Herr Berg ist gehörlos und hat sich bereit erklärt, uns zu helfen. Seine Frau übersetzt für uns in die Lautsprache.“


    Sie begrüßten einander und Frau Berg fragte Chris: „Sie sind der Bruder von der Frau auf dem Video?“
    Als Chris sie mit erstaunt gerunzelter Stirn anblickte und nickte, lächelte sie: „Sie haben die gleichen Augen!“


    Herr Berg hatte sich inzwischen wieder dem Video gewidmet. Ab und zu hielt er den Film an und beratschlagte sich mit seiner Frau. Er machte sich einige Notizen auf einem Blatt Papier.


    An Chris und Semir gewandt erklärte Hartmut mit gedämpfter Stimme: „Aufgrund ihrer Situation konnte Chris’ Schwester nur kleine, manchmal nur angedeutete Gebärden machen. Daher sind einige nicht so klar und Herr Berg versucht ihren Sinn zu erkennen. Ich habe ihm gesagt, das er uns jede Möglichkeit aufzeigen soll. Vielleicht ergibt das eine oder andere auch erst einen Sinn, wenn wir die Fakten, die wir haben mit einbeziehen.“


    Mit einer nickenden Bewegung seines Kopfes fragte Semir: „Und wie lange sind sie schon daran?“ Fasziniert beobachtete er, wie sich die beiden lautlos unterhielten.
    Seinem Blick folgend antwortete Hartmut: „Noch nicht lange. Sie sind auch erst kurz vor Euch hier angekommen. Das ist sein zweiter Durchlauf.“


    Nach einer kurzen Pause fügte er nachdenklich hinzu: „Wusstet Ihr eigentlich, dass die Gebärdensprache eine vollkommen eigene Grammatik hat und es das Wort ‚sein’ gar nicht gibt? Oder das die Deixis, also das Zeigen, eine wichtige Rolle bei der Bestimmung von Eigentum und Ansprache spielt? Oder das gleiche Gebärden durch die Veränderung des Mundbilds und der Mimik eine ganz andere Bedeutung bekommen? Und…“


    „Hartmut… bitte!“ unterbrach ihn Semir. „Das mag bestimmt alles interessant sein, aber bitte nicht jetzt.“
    Dabei deutete er leicht mit dem Kopf in Richtung Chris.


    Der hatte sich inzwischen auf einen Stuhl am anderen Ende des Büros gesetzt und beobachtete die Bergs mit unbeweglichem Gesicht bei ihrer Arbeit.
    Verlegen nickte Hartmut und nuschelte leise: „Sorry!“


    Franz, der Kaffee holen war, kam zurück und verteilte die Becher. Anschließend herrschte eine ganze Weile gespannte Stille im Raum.
    Chris wagte kaum zu atmen. Er spürte seine Ungeduld, die sich wieder in ihm meldete. Fest umklammerte er seinen Becher in dem Versuch sich zu beruhigen. Er atmete ein paar Mal tief durch.


    Semir ließ seinen Blick zwischen den Bergs und Chris hin und her wandern. Er hoffte für seinen Partner, das sie etwas herausfanden, was ihnen weiter helfen konnte.
    Endlich, nach scheinbar unendlich langen Minuten, sagte Frau Berg zu Hartmut: „Ich glaube, wir haben es soweit übersetzt.“


    Während die Männer näher traten und sich um den Schreibtisch, an dem Herr Berg gearbeitet hatte, sammelten, erläuterte sie weiter: „Es war teilweise recht schwierig. Da Ihre Schwester…“ dabei blickte sie Chris an, „… nur einen verkleinerten Gebärdenraum nutzt, damit es nicht auffällt, sind viel Wörter nicht gut zu erkennen. Durch fehlendes Mundbild und Mimik war es wirklich nicht einfach. Bei zwei Gebärden mussten wir raten beziehungsweise schätzen was gemeint war, da sie für uns keinen Sinn ergeben. Aber vielleicht helfen sie ja Ihnen weiter.“


    Chris nickte: „Ich verstehe. Trotzdem… danke für Ihre Mühe!“
    Sie lächelte ihn aufmunternd an und sagte an alle gewandt: „Mein Mann wird das Band noch mal ablaufen lassen und Ihnen die Gebärden, die wir erkennen konnten, zeigen und ich übersetze.“


    Schon startete er das Video. Alle starrten gebannt auf die Hände von Chris’ Schwester.
    Nach einiger Zeit strich sie die linke Hand über den Handrücken der rechten, wobei sie den Zeigefinger der rechten Hand leicht nach unten zog. Das Band wurde angehalten.


    „Wir vermuten, das es ‚Keller’ heißen soll. Es gäbe auch andere Bedeutungen, wie zum Beispiel ‚tief’, ‚unten’, ‚U-Bahn’, ‚hier’ oder auch ‚tauchen’. Die Gebärden sehen so ähnlich aus. Aber sie ergeben im Kontext mit den anderen keinen Sinn.“


    Das Band lief weiter. Gaby strich mit dem Daumen an der Nase entlang in Richtung Mundwinkel. Es sah aus, als würde sie eine Träne wegwischen. „Das bedeutet ‚alt’.“
    Einen Moment später legte sie die Zeige- und Mittelfinger wie beiläufig im rechten Winkel aufeinander und tippte sie aneinander. „Das ist eine Version für ‚Kneipe’.“


    Sie berührte ihre Wunde und spreizte die Finger nach unten zeigend auseinander. Das Band hielt an. „Das ist eine Gebärde, die für uns keinen Sinn ergibt. Eine ähnliche…“, sie zeigte sie ihnen, „bedeutet ‚Sonne’ oder ‚Licht’. Aber im Kontext mit den anderen ist sie nicht vereinbar. Wir haben verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen, sind aber nicht weiter gekommen. Sagt Ihnen das vielleicht was?“
    Fragend schaute sie Chris an. Der schüttelte ratlos den Kopf. Er konnte sich auch keinen Reim darauf machen.


    Sie fuhren fort und so zeigte sie ihnen noch folgenden Gesten: ‚Nähe’; ‚Kirche’; ‚vier’; ‚Männer’; ‚rot’; ‚Nummer’; ‚23’ und die eventuell anderen Bedeutungen.
    Als sie endete, reichte sie den Männern den Zettel mit den Notizen. Dort waren noch einmal alle aufgeführt.


    Semir ergriff das Wort: „Also, es dürfte soweit klar sein, das sie im Keller einer alten Kneipe gefangen gehalten werden. In der Nähe scheint eine Kirche zu stehen und sie werden von vier Männern bewacht. Die 23 könnte sich auf die Hausnummer beziehen und rot auf die Farbe des Hauses. Sind wir uns soweit einig?“ Alle nickten.


    „Weißt Du eigentlich wie viele Kneipen und Kirchen es allein im Kölner Raum gibt?“ gab Hartmut zu bedenken. „Von den umliegenden Städten und Gemeinden ganz zu schweigen. Wo willst Du da anfangen zu suchen?“


    „Und was bedeutet ‚Sonne’?“ Frustriert schlug Chris auf die Arbeitsplatte.
    Er hatte das Gefühl zwar einen Schritt nach vorn gekommen zu sein, aber das sie bereits wieder auf der Stelle traten. Als er sah, wie alle zusammen zuckten, entschuldigte er sich sofort. „Es tut mir leid!… Es ist nur… Sie hätte es doch bestimmt nicht erwähnt, wenn es nicht wichtig wäre, oder?“


    Franz wagte einen Versuch: „Vielleicht ein Bild, Logo oder Poster in der Nähe der Kneipe?“
    Herr Berg, der das Gespräch mit Hilfe seiner Frau verfolgte, machte einen Vorschlag.
    Seine Frau gab es weiter: „Wie wäre es mit einem Namen oder zumindest einem Teil eines Namens? Vielleicht ein Straßenname, der Name der Kneipe oder eines Hotels, der Name einer Ortschaft oder ähnliches.“


    „Gute Idee!“ Semir nahm den Gedanken begeistert auf und kramte sein Handy hervor. „Ich rufe Andrea an. Vielleicht bekommt sie was heraus.“
    Während er mit Andrea sprach und ihr die neusten Erkenntnisse mitteilte, rätselten die anderen Männer darüber, was die Farbe rot eventuell noch bedeuten könnte.


    Chris hörte nur mit halben Ohr zu. Immer wieder ging sein Blick hoffnungsvoll zu Semir. Als dieser endlich auflegte, schaute er ihn fragend an.
    „Andrea meldet sich, sobald sie was heraus findet.“
    Semir kam zu ihnen zurück, vermied aber jeden Augenkontakt mit Chris. Er wusste, dass er gerne gute Nachrichten hören würde, aber die konnte er ihm im Moment nicht geben.
    Den enttäuschten Blick, den Chris ihm zuwarf, spürte er auch so.


    Chris schloss die Augen. Seine Ungeduld gewann immer mehr an Überhand.
    Und leise, ganz leise schlichen sich Schuldgefühle in sein Bewusstsein. Wie hatte er das nur übersehen können? Seine Schwester und die Kinder verließen sich auf ihn und er ließ sie im Stich! Schon vor Stunden hätte er ihre Nachricht bemerken müssen. Vielleicht hatten sie jetzt kostbare Zeit verloren! Er durfte nicht daran denken, was sie gerade durchmachten. Es machte ihn fast verrückt!
    Er versuchte sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. Doch so richtig gelang es ihm nicht.


    Nach nicht allzu langer Zeit klingelte plötzlich Semirs Handy. Erstaunt nahm er es zur Hand und sah, das es Andrea war.
    Er entfernte sich vom Tisch und mit einem „Hallo, mein Schatz! Das ging aber schnell!“ meldete er sich.


    Während er zuhörte, verstummte das Gespräch der anderen Männer und alle starrten gebannt in seine Richtung. Er hatte ihnen den Rücken zugedreht. So konnten sie nicht in seinem Gesicht lesen.
    Mit einem Stift schrieb er etwas auf ein Blatt Papier und nickte ab und zu. „Andrea, Du bist großartig! Danke! Sag der Engelhardt, das wir auf dem Weg sind.“


    Semir drehte sich um, kam mit großen Schritten zum Tisch und stütze seine Hände darauf. Er schaute von einem zum anderen und sein Blick blieb bei Chris hängen.
    „Andrea hat etwas Interessantes heraus gefunden! Unser Freund Borchert ist bei seinem Onkel in Pulheim aufgewachsen. Der hatte in den Achtzigern eine Kneipe in einem Vergnügungsviertel etwas außerhalb der Stadt. Und jetzt rate mal, wie sie hieß?“


    Als Chris ahnungslos, aber ungeduldig den Kopf schüttelte, fuhr er nach einer kleinen Kunstpause fort: „’Sunshine’!“
    Sofort erhellte sich das Gesicht von Chris. „Sonne! Sonnenschein! Das ist es! Das hat Gaby bestimmt gemeint! ‚Sunshine’, das englische Wort für Sonnenschein. Warum haben wir nicht gleich daran gedacht!… Hat Andrea sonst noch etwas heraus bekommen?“


    Eifrig nickend fuhr Semir fort: „Sein Onkel ist vor einigen Jahren pleite gegangen und seit dem steht die Kneipe leer. Auch die umliegenden Gebäude stehen leer. Das gesamte Viertel ging Ende der Neunziger den Bach runter, als in der Innenstadt neue Clubs und Szenekneipen eröffnet wurden.“


    „Mit anderen Worten: Ein ideales Versteck um jemanden für einige Tage verschwinden zu lassen“, ergänzte Chris.
    Er sprang auf: „Worauf warten wir noch? Lass uns hinfahren und nachschauen!“


    Er war schon fast aus dem Raum verschwunden, als Semir hinter ihm herrief: „Die Chefin hat bereits das SEK informiert. Sie schicken eine Einheit und wir sollen nichts ohne sie unternehmen!… Auch wenn es zwecklos ist Dir das zu sagen!“ murmelte Semir ihm hinterher.


    Er ging ebenfalls zur Tür, blieb stehen und drehte sich noch einmal kurz um.
    „Hartmut,… Herr und Frau Berg,… Franz… Gute Arbeit! Danke! Ohne Euch hätten wir das nicht so schnell heraus bekommen.“
    Die vier Angesprochenen lächelten und Frau Berg wünschte ihnen viel Glück und Erfolg bei ihrer Suche.
    Semir bedankte sich und folgte seinem Partner…

  • Etwa zur gleichen Zeit, als Chris und Semir in der KTU ankamen, erwachte Gaby aus einem unruhigen Traum.
    Verwirrt blickte sie sich um. Als sie erkannte, wo sie war, setzte sie sich mit einem Seufzer auf und lehnte sich mit dem Rücken zur Wand.
    Ein Blick auf Richards Uhr sagte ihr, das es bereits 22.48 Uhr war. Erschrocken stellte sie fest, das sie über zwei Stunden geschlafen hatte.


    Ihr Kopf tat immer noch weh, aber nicht mehr so heftig wie vor einigen Stunden. Sie fühlte sich ausgelaugt und matt.
    Als sie die Hand an die Stirn legte, stellte sie erschrocken fest, das die Schwellung nicht besser geworden war. Sie fühlte eine klebrige Substanz. Angewidert betrachtete sie das gelbliche Zeug an ihren Fingern und erkannte angeekelt: ‚Igitt,… Eiter!’


    Mit dem Taschentuch versuchte sie trotz der Schmerzen, den Eiter wegzuwischen. Dabei biss sie sich fest auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien. Sie wollte die Kinder nicht wecken. Sie sollten sich keine Sorgen um sie machen.


    Nachdem der Schmerz etwas nachgelassen hatte, ließ sie liebevoll ihren Blick über die Kinder wandern.
    Jakob und Johanna lagen auf der hinteren Matratze und schliefen fest. Jakob hatte den Arm um seine Schwester gelegt, als könnte er sie so vor allem Bösen dieser Welt beschützen.
    Richard hatte bei ihr auf der Matratze geschlafen und war nun durch ihre Bewegungen wach geworden.


    „Mama, alles in Ordnung?“ wollte er leise wissen und setzte sich ebenfalls auf.
    Gaby beugte sich zu ihm und beruhigte ihn: „Psst, Schatz. Alles OK. Leg Dich wieder hin und schlaf weiter.“
    Dabei drückte sie ihn sanft herunter, zog ihm die Decke bis zum Kinn und streichelte über seinen Kopf. „Es wird alles gut werden!“


    Während Richard nickend und leise lächelnd die Augen schloss und Gaby ihn so betrachtete, bekam ihr Herz einen kleinen Stich.
    ‚Er wird seinem Vater mit jedem Tag ähnlicher!’ dachte sie und bei der Erinnerung an ihren verstorbenen Mann wurde sie noch trauriger.


    Sie veränderte ihre Sitzposition und legte den Kopf ihres Sohnes auf ihren Schoss.
    Gedankenverloren spielte sie mit einer Haarsträhne, so das sie die schnellen Schritte von oben zuerst nicht wahr nahm.
    Erst als Richard leise fragte: „Mama, was ist denn da oben los? Warum machen die so einen Krach?“, wurde sie darauf aufmerksam.


    Voller Hoffnung lauschte sie.
    Hatte Chris sie endlich gefunden?...
    Kam er sie zu befreien?...
    Ihr Herz fing vor Freude an schneller zu schlagen und für einige Sekunden hielt sie die Luft an.


    Doch dann wurde es wieder still…
    Gespenstisch still…
    Kein Laut war zu hören…


    Ihre Freude schlug in Furcht um. Waren die Männer verschwunden und hatten sie hier zurückgelassen? Würden sie jetzt hier unten sterben?
    Sie lächelte schwach, als sie versuchte Richard zu beruhigen: „Vielleicht haben die da oben eine Maus gejagt?!“


    Bei der Vorstellung daran kicherte Richard und kuschelte sich anschließend näher an seine Mutter.
    Gaby legte ihren Arm um ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Versuch zu schlafen, mein Schatz!“


    Als sie sah, das er seine Augen schloss, lehnte sie den Kopf an die Wand und schaute zur Decke.
    Langsam machte sich Verzweiflung in ihr breit und heftig schluckend kämpfte sie gegen die aufsteigenden Tränen an. Sie musste sich eingestehen, das ihr Plan nicht funktioniert hatte.


    Sie bekam Angst… Angst besonders um die Kinder. Bei dem Gedanken, was mit ihnen passieren würde, wenn das alles vorbei war, ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
    Immer wieder sah sie vor sich diese grässlichen Augen, die so voller Hass und Mordgier waren.
    Augen, die vor nichts zurück schreckten!


    Und sie hatte große Angst um Chris. Sie wusste um seine persönliche Hölle und hoffte, das dies alles allein um seines Willen wegen gut ausging.
    Er hatte es zwar einmal geschafft dieser Hölle zu entrinnen,… aber ob er sie ein zweites Mal schaffte?
    Vor allem wenn niemand da war, der ihm half?… Der ihm beistand?… Der ihm neuen Mut machte?


    Sie dachte an Semir. Doch sie wusste auch, dass das Vertrauen von Chris zu ihm noch nicht stark genug war.
    Sie bezweifelte, das es reichen würde.


    Doch sie durfte den Mut nicht verlieren. ‚Vertrauen! Hab Vertrauen in deinen Bruder! Er wird schon kommen!’
    Mit diesem Gedanken schöpfte sie neue Hoffnung.
    Sie sollte nicht lange anhalten…

  • Borchert gab seinen Männern ein Stockwerk höher die letzten Instruktionen. Alles war vorbereitet und jeder wusste, das ihr Verschwinden zügig von statten gehen musste. Allerdings wollte Borchert den Bullen noch eine Nachricht hinterlassen. So viel Zeit nahm er sich; egal wie sehr sie auch drängte.


    Die Vorfreude, auf das was gleich geschehen würde, ließ ihn vor Erregung wohlig erschauern.
    Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen abartigen Fantasien.


    „Ja?“ gab er verärgert statt einer Begrüßung von sich. „Was ist los?“
    „Du wolltest es doch wissen, wenn ich mehr erfahre“, antwortete ihm Lorenz mit unheilschwingender Stimme. „Wie weit seit ihr für die Abfahrt?“


    „In zehn Minuten sind wir hier weg. Eine Sache muss allerdings noch erledigt werden.“ Jens Borchert klang zuversichtlich und selbstsicher und mit befehlsgewohnter Stimme hinterfragte er: „Was genau hast Du in Erfahrung bringen können?“


    Lorenz hasste es, wenn Borchert so mit ihm sprach. Jedem anderen hätte er deswegen eine Kugel zwischen die Augen gejagt.
    Aber Borchert war zur Zeit für ihn unentbehrlich. Daher ließ er es sich von ihm gefallen.


    In seinem Ton vibrierte Wut, als er ihn ins Bild setzte: „Dieser Gerkhan hat eben auf der Dienststelle angerufen und mitgeteilt, dass sie die Nachricht entschlüsselt haben. Und Du wirst nicht glauben, was die denen alles erzählt hat. Hier,… ich spiel es Dir mal vor, damit Du es mit eigenen Ohren mitbekommst.“


    Borchert hörte mit wachsender Wut zu. Am Schluss umkrallte er das Handy krampfhaft.
    ‚Na, warte! Wenn ich gleich mit Dir fertig bin, wirst Du das alles bitter bereuen!’
    Er wollte Schluss machen, als ihn Lorenz durchs Telefon rief.
    „Warte mal kurz… Irgend etwas passiert gerade. Sie scheinen etwas neues in Erfahrung gebracht zu haben.“


    Im Hintergrund hörte man Stimmen. Plötzlich tönte ein gepresster Fluch an sein Ohr.
    „Scheiße! Sie haben es heraus bekommen. Sie wissen wo ihr steckt! Also,… was immer Du noch zu erledigen hast, mach es schnell und dann verschwindet von da. Diese Engelhardt ruft in diesem Moment das SEK an!… Meldet Euch, wenn ihr im anderen Versteck angekommen seid.“
    Damit war das Gespräch beendet.


    Borcherts Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammen gekniffen und die Lippen fest zusammen gepresst.
    Seine Männer kannten diesen Ausdruck. Wenn er nicht gleich etwas fand, an dem er seine unterdrückte Wut auslassen konnte, ließ er sie in der Regel an einem von ihnen aus. Diese bittere Erfahrung hatte bereits fast jeder von ihnen gemacht.


    Doch ihr Boss schien sich im Griff zu haben. Nach einigen tiefen Atemzügen, drehte er sich zu dem Mann, den sie alle nur ‚Doc’ nannten.


    ‚Doc’ war ein Schönling, wie er im Buche stand!
    Sein durchtrainierter Körper hätte so manchem Model aus ‚Men’s Health’ den Rang abgelaufen und mit seiner, mit blonden Strähnchen aufgepeppten Mähne, könnte er glatt einer Boygroup entstammen.
    Doch seine schöne, gepflegte Fassade hatte eine rabenschwarze Seele! Und die nutze Borchert gern für seine Zwecke.


    „Bist Du soweit?“ fragte er ihn.
    Der ‚Doc’ legte eine Spritze mit klarer Flüssigkeit bereit. Als er aufschaute, warf er seine Haare mit einer lässigen Bewegung seines Kopfes nach hinten. Mit einem charmanten Lächeln, das blendend weiße, wohlgeformte Zähne aufblitzen ließ, sagte er mit kalter Stimme, die so gar nicht zu seinem Äußeren passte: „Bereit wie immer!“


    Mit erhobenem Zeigefinger deutete Borchert auf seine Männer: „Holt mir die Frau mit ihren Gören. Ihr schnappt Euch zwei von denen und verschwindet mit ihnen. Ihr wisst was ihr zu tun habt!“
    Sofort trabten sie los, um den Befehl auszuführen.


    „Und Du bist auch soweit?“ wollte er von seinem Mann hinter der Kamera wissen.
    Der grinste breit: „Sobald die da vorne aus der Tür kommen, starte ich die Kamera. Wir wollen doch nichts verpassen, oder?“ Dann zog er sich die Maske ins Gesicht.


    Zufrieden brachte sich Borchert in Position. Die nächsten fünf Minuten würde er geniessen…

  • Die Schritte kamen bedrohlich näher und es waren viele Männer. Das konnte Gaby hören und ihr schwante nichts Gutes.
    Die Tür zu ihrem Gefängnis wurde so hart aufgestoßen, das die Tür mit einem lauten Knall gegen die Wand prallte.


    Vier Männer drangen mit lauten Stimmen in den kleinen Raum und während sie brüllten: „Los, aufstehen! Alle, und zwar schnell!“, rissen sie ihnen die Decken weg und packten sie an den Armen. Unsanft wurden sie hochgezerrt.


    Jakob, der aus seinem Schlaf gerissen wurde, schlug unbewusst um sich und traf einen der Männer ins Gesicht.
    Wütend holte der Mann aus, als ihn ein Schrei aufhielt: „Nein! Tun Sie das nicht! Bitte!“


    Gaby, die sich irgendwie losgerissen hatte, stellte sich schützend vor Jakob und sah den Mann mit flehenden Blick an.
    Dann drehte sie sich zu Jakob und Johanna um. Der Junge stand mit schreckensweiten Augen da, während sich das Mädchen verängstigt an ihren Bruder klammerte.
    Beruhigend sprach sie auf die beiden ein. „Keine Angst! Es wird bestimmt alles gut! Bleibt ganz ruhig!“


    Jemand packte sie grob am Arm und zog sie von den Kindern weg. „Genug von dem Geschwafel! Und jetzt raus mit Euch!“
    Sie wurden aus dem Raum gezerrt und die Kerle stießen sie vor sich her. Man brachte sie nach oben.


    Als sie den ehemaligen Schankraum betraten, sah Gaby noch mehr Männer. Sie zählte weitere fünf vermummte Personen.
    ‚Oh Gott! Wo kommen die denn her? Und was haben die mit uns vor?’ dachte sie entsetzt bei sich.


    Einer der Männer hatte keine Maske auf und sie erkannte ihn sofort an den kalten Augen wieder. Es war der brutale Schläger, der sie zu der Videobotschaft gezwungen hatte. Die markante Narbe am Kinn fiel ihr als nächstes auf.


    Er hatte ein hinterhältiges Lächeln auf dem Gesicht, als er sich zur Kamera umdrehte.
    Mit ausgebreiteten Armen sprach er ins Objektiv: „Sehr geehrte Damen und Herren von der Polizei, hallo Mark Jäger…. Oh, Entschuldigung, ich vergaß… Sie heißen ja Ritter. Wie ich heiße, haben sie ja schon heraus bekommen… Ich habe sie unterschätzt. Genau wie ich ihre Schwester unterschätzt habe… Sie dürfen sich übrigens bei ihr für diese extra Showeinlage bedanken. Lehnen sie sich also zurück und geniessen sie… Ich jedenfalls, werde es tun!“


    Jede seiner Aussagen unterstrich er mit gekünstelten Gesten. Bei seinem letzten Satz nahm seine Miene ein zufriedenes, sadistisches Aussehen an, während es in seinen Augen erwartungsvoll aufblitzte. Er verneigte sich leicht, machte einige kleine Schritte zur Seite und wandte anschließend der Kamera den Rücken zu.


    Der Kameramann schwenkte rüber zu Gaby. Auf sein Zeichen hin, ließen die Männer die Kinder los.
    Sofort drängten sie sich an Gaby, die ihre Arme um sie legte und sie tröstend an sich drückte.


    „Verabschiede Dich von Deinen Kindern. Du wirst sie so schnell nicht wieder sehen!“
    Die Stimme des Mannes ohne Maske war kalt und grausam und zeigte keinerlei Mitgefühl.


    Gabys Herz setzte für einen Schlag aus. Sie hat das Gefühl, ihr würde der Boden unter den Füßen gerissen. Sie wollte die Tragweite der Worte nicht glauben.
    Doch die Augen des Sprechers ließen keinen Zweifel aufkommen.


    Schnell nahm sie jedes der Kinder in den Arm, drückte es und gab ihm einen Kuss. Während sie ihre Gesichter streichelte, versuchte sie tröstende Worte zu finden, obwohl sie selber mit den Tränen kämpfte.


    Plötzlich kamen zwei Männer packten sich Johanna und Jakob und zogen sie fort.
    „Ist doch egal, wen wir mitnehmen, oder?“ versicherten sie sich bei ihrem Boss.
    Ohne den Blick von Gaby abzuwenden, zuckte Borchert gleichgültig mit den Schultern.
    „Das ist vollkommen egal. Das Ergebnis ist das Gleiche! Jetzt macht, das Ihr loskommt. Ihr wisst, was zu tun ist.“


    Johanna kreischte ängstlich auf, versuchte sich loszureißen, um zu Gaby zu kommen: „Nein, ich will nicht!… Nein, ich will bei meiner…“
    Mit einem kräftigen Ruck wurde sie von dem Mann, der sie festhielt, zurück gerissen.
    „Es reicht jetzt!“ brüllte er sie an. Dann hob er sie einfach hoch und trug das um sich schlagende und tretende Mädchen hinaus.


    Der Mann, der sich Jakob geschnappt hatte, machte es sich einfacher. Er hielt ihm ein langes, gefährlich aussehendes Messer vors Gesicht, setzte es ihm anschließend an die Kehle und flüsterte: „Du machst bestimmt keine Probleme, oder?“
    Jakob schüttelte mit panischer Angst in den Augen langsam seinen Kopf. „Braver Junge!“
    Dann gingen auch sie zum Ausgang und waren verschwunden.


    Gaby, die versucht hatte, zu ihnen zu kommen, wurde von zwei bulligen Typen zurück gehalten. Mit eisernem Griff hielten sie ihre Arme fest.
    Verzweifelt schaute sie ihnen hinterher.


    „Wo bringen Sie die Kinder hin?… Was haben Sie mit ihnen vor?“
    Doch man antwortete ihre nicht. Das letzte was sie hörte, waren Johannas ängstliche Schreie.
    Eine Wagentür wurde zugeschlagen und kurz darauf brauste ein Auto davon.


    In der Zwischenzeit war der Mann an sie heran getreten und weidete sich an ihrem ängstlichen Gesichtsausdruck.
    „Schade,… ich dachte Du wärst klüger gewesen.“
    Das Lächeln, das er ihr schenkte, erreichte nicht seine Augen. Sie blieben kalt und hart.
    „Ich dachte wirklich, ich hätte mich bei unserem letzten Gespräch klar und deutlich ausgedrückt. Doch leider hast Du nicht auf mich gehört und jetzt musst Du dafür bezahlen!“
    Seine Stimme klang am Schluss des Satzes fast zärtlich.


    Panik stieg in Gaby hoch, aber sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
    „Was meinen Sie? Ich habe doch getan, was Sie von mir verlangten.“
    Mit letzter Willensstärke hielt sie seinem Blick stand. Sie machte sich darauf gefasst, das er sie gleich schlagen würde.


    Doch mit einem harten Lachen wandte er sich von ihr ab. Nach ein paar Schritten drehte er sich mit einer fast tänzerischen Drehung wieder ihr zu.
    Wie beiläufig sagte er: „Oh ja, das hast Du… Und so ganz nebenbei noch eine Nachricht für Deinen Bruder hinterlassen!“


    Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, versuchte zu leugnen: „Nein, das habe ich nicht! Ich weiß nicht, was sie meinen!“
    Borchert legte seinen Zeigefinger auf seine Lippen und bedeutete ihr damit, das sie still sein sollte.
    Mit hochgezogenen Augenbrauen belehrte er sie: „Ich sage nur: Gebärdensprache!“
    Er machte wedelnde Bewegungen mit den Händen, als ob er sie imitieren würde.


    ‚Oh Gott, sie wissen Bescheid!’ stellte sie mit Entsetzen fest. Sie spürte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich und die Angst ihr den Atem nahm. Verzweifelt schnappte sie nach Luft.
    „Und jetzt wird eines Deiner Kinder für Deinen Ungehorsam bezahlen!“ Dabei deutete er mit seinem Kopf in Richards Richtung.


    „Nein!“ schrie Gaby hysterisch auf und versuchte sich aus dem Griff der beiden Männer zu befreien.
    „Nein! Lasst ihn in Ruhe! Er hat doch nichts getan… Bitte!“ bettelte sie leise hinterher. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein flehender Gesichtsausdruck ab.
    „Bitte,… nicht meinen Sohn! Nehmen Sie mich! Ich… ich werde alles tun, was sie verlangen.“ Ihr zittrige Stimme erstarb in einem Flüstern.


    Langsamen Schrittes kam Borchert auf sie zu, blieb dicht vor ihr stehen und betrachtete sie einen Moment.
    Er genoss diesen Augenblick… das Gefühl, Macht über jemanden zu haben war erhebend!


    Plötzlich packte er mit einem hartem Griff ihr Gesicht, krallte seine Finger in ihre Wangen und zwang sie, ihn anzusehen.
    „Das hättest Du Dir vorher überlegen sollen!“ zischte er und stieß sie von sich.
    An den ‚Doc’ gewandt meinte er kühl: „Du kannst anfangen!“


    Ohne zu zögern griff dieser zur Spritze und ging auf den Jungen zu.
    Richard wich erschrocken zurück. Weit kam er nicht. Zwei Männer packten ihn und zwangen ihn sich auf einen Stuhl zu setzen. Mit all seiner kindlichen Kraft versuchte er sich aus dem Griff zu winden. Doch sie hielten ihn erbarmungslos fest. Voller Angst suchte er mit seinen Augen seine Mutter und schaute sie verzweifelt an. Die Angst lähmte ihn so sehr, dass er kein Wort über die Lippen bekam.


    Als Gaby die Spritze sah, drehte sie fast durch. „Was haben sie vor? Lassen Sie ihn in Ruhe. Was wollen sie ihm da spritzen?“
    Hysterisch überschlug sich ihre Stimme und ihr Gesicht war vor lauter Angst verzerrt.


    Schreckliche Bilder kamen in ihr hoch. Sie dachte an Chris und wollte unter allen Umständen verhindern, das ihrem Sohn das gleiche Schicksal widerfuhr.


    Mit aller Kraft versuchte sie frei zu kommen. Doch die Männer verstärkten ihren Griff, das sie plötzlich das Gefühl hatte, ihr Arme steckten in Schraubzwingen. Vor Schmerz schrie sie auf, gab aber ihren Versuch nicht auf zu Richard zu kommen.
    Als die Männer merkten, sie würde nicht klein beigeben, drückten sie sie auf den Boden und fixierten sie dort. Einer presste sogar sein Knie in ihren Rücken.
    Sie konnte sich kaum noch bewegen.


    Wimmernd bettelte sie um Gnade für ihr Kind… bat darum, das man sie bestrafte… doch die Männer ließen sich nicht erweichen.
    Statt dessen verstärkten sie sogar noch ihre Griffe.
    Verzweifelte Tränen liefen über ihre Wangen, doch sie spürte sie nicht.
    Tatenlos musste sie mit ansehen, was als nächstes geschah.


    Von all dem unbeeindruckt ging der ‚Doc’ unbarmherzig auf den Jungen zu. Er nickte einem der Männer zu und der zog den Ärmel des Pullovers nach oben.
    Ohne Zögern stach der ‚Doc’ die Nadel in den Oberarm und drückte den Inhalt in den Muskel.
    Mit einem zufriedenen Lächeln zog er die Spritze wieder heraus, machte einen Schritt zurück und wartete mit leuchtenden Augen darauf, dass die Substanz ihre verheerende Wirkung tat.
    Er gab den Männern ein Zeichen und sie ließen den Jungen sofort los.


    Richard stand taumelnd auf. Nach einigen unsicheren Schritten gaben seine Beine nach und er fiel auf die Knie. Mit letzter Kraftanstrengung hob er einen Arm und versuchte seine Mutter zu berühren.


    Borchert gab den Männern, die Gaby fixiert hielten einen Wink und sie ließen sie los.
    Eilig kroch sie auf allen vieren zu ihm und ergriff seine Hand. „Richard… Richard, hörst Du mich?“


    Hilflos musste sie mit ansehen, wie ihr Sohn die Augen verdrehte und zur Seite kippte. Seine Hand erschlaffte und er blieb regungslos liegen.
    „Richard?“ Vorsichtig berührte sie seinen Arm, doch sie bekam keine Reaktion.


    „Richard? Sag doch was!“ Sie schüttelte ihn an der Schulter. Sein schlaffer Körper rollte auf den Rücken, so das der Kopf hin und her kullerte.


    Entsetzt starrte Gaby ihr Kind an. Sie konnte und wollte nicht glauben was sie sah.
    Heftig atmete sie stoßweise ein und aus, bekam kaum Luft.
    Unsäglicher Schmerz breitete sich in ihr aus. Sie hatte das Gefühl, jemand hätte ihr das Herz bei lebendigem Leibe heraus gerissen.
    Tief aus ihrem Inneren bahnte sich ein Schrei heraus: „NEIN!… NEIN!… NEIN!“


    Schluchzend und am ganzen Körper bebend streckte sie die Arme nach ihrem Sohn aus.
    Sie wollte ihn in den Arm nehmen,… ihn trösten,… darauf hoffend, das er wieder erwachte,… ihn einfach nur halten und berühren… wollte nicht glauben, das er tot war…


    Immer wieder flüsterte sie: „Richard, es tut mir leid! Das wollte ich nicht! Verzeih mir! Richard, bitte wach auf!“
    Doch ihr Sohn gab keinerlei Reaktion von sich.


    Sie ergriff seine schlaffe Hand, legte sie an ihr Gesicht und küsste seine Handinnenfläche.
    Mit der anderen Hand streichelte sie mit zittrigen Fingern seinen Arm, strich ihm über die Haare, sein Gesicht… es war weiß wie ein Laken.
    Einige ihrer Tränen fielen darauf.


    Sie wollte sie gerade wegwischen, als zwei Paar kräftige Hände sie plötzlich packten und sie gewaltsam von ihrem Kind wegzogen.
    Mit aufbäumender Kraft wehrte sie sich mit Händen und Füßen. Sie schlug und trat um sich.
    Sie schrie… schrie immer wieder seinen Namen. Wollte unter allen Umständen bei ihm bleiben.
    Sie schrie ihre gesamte Verzweifelung heraus und weinte hemmungslos.


    Ohne den Hauch eines Erbarmens wurde sie zur Tür gezerrt. Mit allerletzter Kraft krallte sie sich am Rahmen fest, doch ein brutaler Schlag gegen die Fingerknöchel ließ diesen Versuch schnell scheitern.


    Den leblosen Körper ihres Sohnes auf dem dreckigen Fußboden einer heruntergekommenen Kneipe liegend war das letzte Bild, was sie von Richard sah.
    Dann fiel die Eingangstür zu und sie wurde durch die dunkle Nacht gezerrt...

  • Man schmiss sie in einen Van und knallte die Türen zu. Verzweifelt rüttelte und trat sie an die Tür. Doch sie ließ sich nicht öffnen.


    Mit ihren Fäusten schlug sie immer wieder gegen die Seitenwände, so das sie nicht mitbekam, wie der Motor gestartet wurde. Als der Fahrer scharf anfuhr, verlor sie den Halt. Mit voller Wucht schlug sie auf der Ladefläche auf.


    Dann fuhr das Auto rasant in eine Kurve, so das sie in eine Ecke rutschte. Dabei donnerte ihr Kopf gegen die Wand. Ein heißer, scharfer Schmerz durchzuckte sie.
    Ihr wurde schwarz vor Augen und sie fiel in eine tiefe Ohnmacht…






    Kaum war die Tür zugefallen, stolzierte Borchert vor die Kamera. Wie ein Zirkusdirektor zog er einen imaginären Hut.


    „So, meine Damen und Herren von der Polizei, Herr Ritter… Ich hoffe, sie hatten genauso viel Spaß wie ich und konnten die Show geniessen. Und seien Sie gewiss, das dies erst der Anfang war! Bei weiteren Zuwiderhandlungen ihrerseits sehen wir uns gezwungen, Ihnen weitere Vorstellungen zu zeigen. Es liegt also an Ihnen... Ich wünsche Ihnen noch eine gute Nacht und träumen Sie süß!“


    Er warf eine Kusshand in Richtung seines ‚Publikums’ und machte eine tiefe Verbeugung.
    „OK, ist alles im Kasten!“ Das Mausgesicht nahm das Gerät vom Stativ, ging damit zum Büro und schloss es dort an den Computer. Während das Programm lief, fing er an, alles einzuräumen.


    In der Zwischenzeit hatten Borcherts Männer die restlichen Sachen in den Autos verstaut und waren bereits abgefahren.


    Der ‚Doc’ schulterte sich den schlaffen Körper des Jungen und warf ihn in den Kofferraum seines Wagens. Ein so tolles Versuchsobjekt bekam man nicht alle Tage. Außerdem hatte Borchert ihm versprochen, das er noch weiter mit dem Kind experimentieren durfte. Er holte seine Tasche von drinnen, verabschiedete sich von Borchert und fuhr ein Liedchen pfeifend davon.


    Das Mausgesicht und Borchert warteten noch ab, bis der Film auf dem Computer kopiert war. Als das erledigt war, griffen sie sich die Kamera und machten sie als letzte aus dem Staub.


    Ihr Wagen war noch keine drei Minuten vom Hof gefahren, als die ersten SEK-Leute eintrafen und in Stellung gingen…

  • Semir trat das Gaspedal bis zum Boden durch. Sie schossen auf der A57 entlang in Richtung Pulheim. An der Abfahrt Worringen bogen sie von der Autobahn ab und nahmen die Strasse nach Pulheim.


    ‚Gott sei Dank ist um diese Uhrzeit nicht mehr so viel los’, dachte Semir, während er sich darauf konzentrierte möglichst schnell vorwärts zu kommen. Er warf einen besorgten Blick zu Chris.
    Mit versteinerter Miene starrte er aus dem Fenster. Seit sie die KTU verlassen hatten, hatte er kein Wort gesprochen.


    Etwa dreihundert Meter vom vermeintlichen Aufenthaltsort der Geiselnehmer wurden sie von einem Polizisten angehalten. Nachdem sie ihre Ausweise vorgezeigt hatten, wies er sie an, sich an den Leiter der SEK zu wenden.
    „Sie finden ihn dort drüben im Einsatzwagen. Er erwartet sie bereits!“ Dabei zeigte er auf einen schwarzen Van, der als Kommandozentrale diente.


    Semir bedankte sich und parkte das Auto. Eilig stiegen sie aus und liefen zum Van. Ein drahtiger Mann, so etwa Mitte Vierzig, kam ihnen entgegen.
    „Sie sind bestimmt die Herren von der Autobahnpolizei? Mein Name ist Thorsten Landwehr, ich bin der Einsatzleiter vor Ort. Wir haben sie bereits erwartet.“


    Semir stellte sich und Chris vor und erkundigte sich, wie Lage die sei.
    Landwehr führte sie zur Kommandozentrale, während er ihnen die Situation erklärte.
    „Wir haben das Gelände weitläufig umstellt und alle Eingänge gesichert. Meine Männer beobachten das Haus schon seit einiger Zeit. Aber bis jetzt ist nichts auffälliges passiert. Sind Sie sicher, das dies das richtige Haus ist?“


    Semir lenkte ein: „Nun, so ganz sicher sind wir natürlich nicht, aber…“
    „Es ist das richtige Haus!“ schnitt ihm Chris mit scharfer Stimme das Wort ab.
    Erstaunt schaute Semir ihn von der Seite an und hakte nach: „Woher willst Du das wissen?“


    Wortlos zeigte Chris auf die gegenüber liegende Häuserwand. Trotz der Dunkelheit konnte man eine rote '23' erkennen.
    Wie, um Chris’ Worte zu unterstreichen, schlug in der Nähe eine Kirchturmuhr an.


    An den Einsatzleiter gewandt, nickte Semir: „Wir sind uns sicher.“
    Landwehr zuckte mit den Schultern: „Es ist nur, das sich dort drüben noch nichts getan hat. Unsere Ankunft müsste eigentlich schon bemerkt worden sein. Aber niemand regt sich.“
    „Vielleicht schlafen sie?“ vermutete Semir, obwohl er wusste, das die Wahrscheinlichkeit dafür gering war.
    Sein Blick ging zu Chris.


    Der hatte seine Augen die ganze Zeit auf das Gebäude richtet. Seine Miene verriet verbissene Entschlossenheit. Er erinnerte Semir an einen Jagdhund, der die Beute fest im Auge hatte und nur auf das Kommando seines Herrchen wartete.
    „OK…“, meinte er zu Landwehr gewandt, „legen wir los!“


    Während sie sich Schutzwesten anlegten und Anweisungen bekamen, wie sie vorgehen sollten, kam Anna Engelhardt in Begleitung von Hotte. Sie wünschte ihnen noch viel Glück, dann verschwanden die Männer in der Dunkelheit.
    Von einem Mitarbeiter im Van bekam sie ein Headset, so das sie im ständigen Funkkontakt mit ihren Männern stand und hören konnte, was vor sich ging. Nervös setzte sie sich hin und hoffte, das dieser Albtraum bald ein Ende hatte.


    Landwehr hatte inzwischen seinen Leute das Kommando gegeben, das Haus zu stürmen. Das eingespielte Team wusste, was zu tun war und innerhalb von Sekunden drangen sie durch Türen und Fenster ins Haus. Sie sicherten sich gegenseitig und durchsuchten alle Räume.
    Schnell wurde klar, das die Gangster ausgeflogen waren.


    Fluchend steckte Semir seine Waffe weg und ging zum Einsatzleiter, der sich von zwei seiner Männern berichten ließ.
    „… können noch nicht lange weg sein“, hörte Semir den einen sagen, als er hinzu trat. „Der Computer im Büro ist auf Stand-by und ist noch warm. Sie sind wohl recht hastig aufgebrochen, denn in der Wohnung, die hier drüber liegt, haben wir einige Feldbetten mit durcheinander geworfenen Decken gefunden. Und in der Küche stand eine Kanne mit warmem Kaffee.“


    „Schicken Sie die Sachen bitte in die KTU. Vielleicht finden unsere Leute was!“
    Anna Engelhardt kam zu ihnen. Nachdem sie über Funk von dem Misserfolg erfahren hatte, wollte sie sich selbst ein Bild machen. „Außerdem schicke ich gleich die Spurensicherung.“


    Landwehr nickte zustimmend und drehte sich zu dem zweiten Mann. „Was habt ihr gefunden?“
    „Die Gangster hatten anscheinend vor, sich hier für einen längeren Zeitraum aufzuhalten. Darauf lassen die Vorräte und die Einrichtung der Zimmer oben schließen. Unten im Keller sind drei Räume vorbereitet gewesen, um Gefangene zu halten. Einer scheint aber nur benutzt worden zu sein.“
    Er schaute Semir an. „Übrigens,... Ihr Partner sitzt dort unten und will niemanden hinein lassen.“


    Erschrocken bemerkte Semir erst jetzt, das Chris nicht an seiner Seite war...

  • Sofort sprintete er die Treppe hinunter. Am Ende des Ganges standen drei SEK-Leute und murmelten leise miteinander. Als sie Semir kommen sahen, verstummten sie und machten ihm Platz.


    Mit einer Kopfbewegung deutete er ihnen an, sich etwas zurück zu ziehen. Sie traten einige Schritte den Gang weiter runter und warteten dort… bereit jederzeit eingreifen zu können.


    Semir machte einen vorsichtigen Schritt auf die Tür zu. Als er in den Raum schaute, sah er Chris an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzend. Er hielt eine Kinderjacke in den Händen und hatte sein Gesicht darin vergraben.
    Langsam ging er auf seinen Partner zu.


    Plötzlich hob Chris den Kopf und ohne Semir anzuschauen bellte er mit rauer Stimme: „Verschwinde!“
    Wie angewurzelt lieb Semir stehen. Er hob beschwichtigend die Hände. „Chris, … bitte!… Lass uns reden!“


    Ein bitteres Lachen war die einzige Antwort, die von Chris kam. Mit leeren Augen beobachtete er die hin und her schwingende Lampe.
    Semir versuchte es erneut mit sanfter Stimme: „Chris,… bitte!“
    Als sein Partner nicht reagierte, fügte er mit festem Ton hinzu: „Chris, komm schon. Ich brauche Deine Hilfe, denn…“


    Mit einem verächtlichen Schnauben unterbrach ihn Chris. „Vergiss es!“
    Entsetzt schaute Semir ihn an. „Was meinst Du damit?… Du willst doch nicht aufgeben?… Oder?“
    „Doch!“ Chris wendete seinen Blick Semir zu und in seinem Gesicht zeigte sich Entschlossenheit. „Ich werde tun was die Entführer verlangen.“
    „Was?… Das kannst Du nicht machen. Wir…“


    „Wir? Du scheinst mir nicht zuzuhören!“ Chris hob drohend den Zeigefinger. „Ich rede von mir und ich werde tun, was ich für richtig halte. Und das wirst weder Du,… noch die Engelhardt,… noch sonst wer mir ausreden!“
    Dabei gestikulierte er mit seinem Finger in der Luft herum.


    Semir war sprachlos und in seinen Augen lag maßlose Enttäuschung.
    Nach einer Weile fragte er leise: „Was ist mit Gaby? Und den Kindern? Meinst Du nicht sie wären enttäuscht, wenn Du…“


    Langsam wurde Chris wütend. „Sag mal… kapierst Du es immer noch nicht? Ich tue das für Gaby und die Kinder. Ich will sie bei mir haben und Du hast sie auf dem Video gehört. Sie haben Angst!“
    Er warf den Kopf nach hinten und lehnte ihn an die Wand. Er atmete zwei, drei Mal tief durch, dann flüsterte er mit zittriger Stimme: „Ich habe versagt. Hätte ich Gabys Nachricht rechtzeitig erkannt, wären ich früh genug hier gewesen. Dann wären sie jetzt alle in Sicherheit.“


    Die Erkenntnis, das Chris Schuldgefühle hatte, traf Semir wie ein Blitz. Ungläubigkeit spiegelte sich auf seiner Miene als er seinen Partner anschaute.
    ‚Er hat doch nichts falsch gemacht. Niemand von uns hat das!’
    Er glaubte Tränen in Chris’ Augen zu erkennen.


    Langsam schüttelte er den Kopf, machte ein paar Schritte auf seinen Partner zu und hockte sich neben ihn.
    „Nein, Chris! Dich trifft keine Schuld. Da bin ich fest von überzeugt.“
    Er legte eine Hand auf seine Schulter und drückte sie leicht. „Gib jetzt nur nicht auf. Bitte!… Noch können wir es schaffen… zusammen!“


    Chris regte sich nicht. Er schien mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein. Die Hoffnungslosigkeit, die sich in ihm ausbreitete, war deutlich in seinem Gesicht zu sehen.
    ‚Er darf jetzt nicht den Mut verlieren!’ Verzweifelt überlegte Semir, wie er ihm neue Hoffnung schenken könnte.


    Schlagartig fiel ihm etwas ein, was er seit dem Gespräch mit Landwehr im Kopf hatte. „Ich glaube, das sie gewarnt wurden.“
    Für einen Moment waren Chris’ Auge klar und er staunte: „Wie kommst Du darauf?“


    Semir berichtete, was die SEK-Leute entdeckt hatten und endete mit dem Satz: „…Für mich sieht das nach übereiltem Aufbruch aus. Oder was meinst Du?“
    Chris versuchte nachzudenken, aber seine Gedanken waren schon wieder nicht bei der Sache. Er rieb sich die Augen. Unentschlossen zuckte er mit den Schultern: „Kann schon sein. Doch was nützt uns das? Sie sind weg und wir wissen nicht wo sie jetzt sind.“


    „Dann lass es uns herausfinden!“ Semir stand entschlossen auf und hielt ihm die Hand hin. „Wir stehen das gemeinsam durch. Ich lass Dich nicht im Stich! Versprochen!“
    Chris schaute ihn kurz von unter her an, ergriff dann seine Hand und ließ sich von Semir hochziehen.
    „Danke!“ war alles was er sagen konnte.


    Semir zwinkerte ihm zu und meinte leichthin: „Schon OK! Wofür sind Partner da!“
    Mit einem leichten Klaps auf den Rücken forderte er ihn auf nach oben zu gehen. „Lass uns mal sehen, was die da oben heraus gefunden haben.“

  • Bin wieder da!! :baby:
    Weiterhin viel Spass! :]
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    Anna Engelhardt, die Semir folgen wollte, als er zu seinem Partner in den Keller ging, wurde von einem Polizisten aufgehalten.
    „Frau Engelhardt, wir haben da etwas gefunden, das sollten Sie sich unbedingt ansehen.“ Die Dringlichkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.


    Sie schaute Semir nachdenklich hinterher und war zuerst versucht, ihm zu folgen. Es ging schließlich um Chris Ritter und nach seinem emotionalen Ausbruch im Büro, befürchtete sie immer mehr, das er dem allen nicht mehr gewachsen war.
    Doch sie hatte sehr großes Vertrauen in Semir und war fest davon überzeugt, das er mit der Situation zurecht kam und auch Chris zu nehmen wusste.


    Sie nickte dem Polizisten zu und er führte sie in das schäbige Büro. Zwei Beamte waren dabei die Papiere und ähnliche Utensilien nach Hinweisen zu durchsuchen und anschließend in Kisten zu verpacken.
    Ein anderer saß am Computer und durchsuchte die Dateien. Als sie den Raum betrat, blickte der Mann am Computer auf und bat sie mit einem Wink zu ihr.


    „Das Gerät war auf Stand-by und so konnte ich schnell auf die Dateien zugreifen. Zuletzt haben die Täter an einer Videodatei gearbeitet. Dabei habe ich folgendes entdeckt.“
    Er bediente einige Tasten und stand dann auf.
    „Sie sollten sich besser setzen. Was jetzt kommt ist ziemlich heftig.“


    Mit einem mulmigen Gefühl nahm Anna den ihr angebotenen Platz und blickte zum Bildschirm.
    Sie erkannte Borchert, als er seine Ansage machte, sah Chris’ Schwester mit den Kindern und mit Entsetzen nahm sie das nun folgende, grausame Schauspiel wahr.
    Als der Film endete, war sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht gewichen.


    Mit schreckensweiten Augen sah sie den Beamten an.
    „Sorgen Sie dafür, das Herr Ritter unter keinen Umständen diesen Film nicht zu sehen bekommt! Und kein Wort zu niemandem! Haben sie mich verstanden?“
    Dabei blickte sie jeden einzelnen Polizisten eindringlich an. Alle nickten stumm ihr Einverständnis.


    Sie dachte kurz nach. „Können Sie mir eine Kopie davon machen?“
    „Hier nicht. Aber sobald wir alles im Labor haben, werde ich dafür sorgen, das Sie so schnell wie möglich eine bekommen.“
    „Aber nur an mich. Denken Sie bitte daran!“


    Sie wollte sich nicht ausmalen was passieren würde, wenn Chris diesen Film zu sehen bekam. Einen Amok laufenden Polizisten war für sie die reinste Horrorvorstellung.


    Sie rieb sich die Schläfen und überlegte, wie sie als nächstes vorgehen könnten.
    Aber die Bilder von letzten Video ließen sie nicht so einfach in Ruhe. Immer wieder hörte sie die verzweifelten Schreie.
    Mit geschlossenen Augen versuchte sie sich auf etwas anderes zu konzentrieren.


    Plötzlich legte sich einen Hand auf ihre Schulter. Vor Schreck zuckte sie heftig zusammen.
    „Chefin, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ hörte sie Semirs besorgte Stimme.
    „Ja, ja… alles klar!“ kam ihre recht verwirrte Antwort.
    Als Semir sie skeptisch von der Seite her anschaute, beeilte sie sich schnell hinzuzufügen: „Es war ein harter Tag und langsam spüre ich die Müdigkeit.“


    Sie warf einen Blick zur Uhr. Sie zeigte bereits weit nach Mitternacht an.
    „Wir sollten uns etwas ausruhen. Ein paar Stunden Schlaf würde uns allen gut tun! Ich schlage vor, jeder fährt nach Hause und ruht sich aus.“


    Ein synchrones Kopfschütteln von Semir und Chris war die Antwort.
    „Ich fahre zu Andrea auf die PAST. Schließlich habe ich sie extra dorthin kommen lassen“, erinnerte sie Semir.
    „Und ich werde bestimmt nicht nach Hause fahren.“ Verbissene Entschlossenheit war in Chris’ Stimme zu hören. „Ich möchte in der Nähe sein, wenn es etwas Neues gibt!“


    Ergeben seufzte Anna: „OK, meine Herren, sie haben gewonnen. Wir werden uns die Nacht in der PAST um die Ohren schlagen. Aber,… und darauf bestehe ich, jeder von Ihnen versucht etwas Schlaf zu bekommen. Wenn Sie möchten, werde ich in der Früh bei der Staatsanwältin anrufen und ihr den Sachverhalt erläutern. Vielleicht können Sie den Termin ausfallen lassen und Kraft für die Anhörung sammeln.“


    „Nein!“ war Chris scharfe Antwort, während er vehement den Kopf schüttelte. „Wir werden den Termin wahrnehmen und uns an die Regeln der Entführer halten. Sie haben gehört, das sie ihnen etwas antun werden. Ich will nicht, dass das passiert!“
    Semir nickte zustimmend. „Wir wissen nicht, wie weit sie wirklich gehen und ihre Drohung wahr machen. Das sollten wir nicht riskieren.“


    Die grauenvollen Bilder des Videos kamen Anna wieder in den Sinn.
    ‚Ich weiß wie weit sie gehen!’ dachte sie mit Entsetzen.
    Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken und unwillkürlich musste sie sich schütteln.


    Als sie Semirs sorgenvolle Miene bemerkte, wimmelte sie schnell ab und mit scheuchenden Bewegungen jagte sie die Männer vor sich her aus dem Büro.
    Im Vorbeigehen warf sie dem einen Beamten noch einen Blick zu. Der nickte unmerklich. Er wusste, was er zu tun hatte...

  • Maria Becker brauchte heute ungewöhnlich lange, um die Büroraume der PAST zu putzen. In dem Augenblick, als sie die Dienststelle betreten hatte, hatte sie gemerkt, das etwas anders war als sonst.


    Normalerweise, wenn sie in den Abendstunden kam, herrschte eine ruhige, lockere Atmosphäre. Doch heute lag eine Anspannung in der Luft, die man regelrecht spüren konnte.
    Einige Beamten liefen hektisch hin und her, andere telefonierten ständig und wieder andere tauschten die gewonnen Informationen unter einander aus.


    Schnell bekam sie mit, was passiert war und sie hatte Mühe, Ruhe zu bewahren. Vor allem, als sie hörte, das Kinder betroffen waren, krampfte sich ihr Magen zusammen.
    Sie hatte selber zwei Töchter und konnte sich daher gut vorstellen, wie es Herrn Ritter ergehen musste.


    Und die Vermutung, das sie eine gewisse Mitschuld hatte, versetzte ihr einen kalten Stich ins Herz.
    Sie ahnte, das die Männer dahinter steckten, die sie gezwungen hatten, die Kameras und Wanzen anzubringen.
    Sie war versucht, sich Frau Engelhardt anzuvertrauen, aber die Angst vor den Konsequenzen ließ sie zurück schrecken.


    Die Männer hatten bewiesen, das sie ihre Drohungen wahr machten.
    Und sie hatte sehr große Angst davor, dass die unbekannten Männer die Drohung gegen sie wahr machen würden!


    Sie war gerade dabei die Schränke in der Teeküche auszuwaschen, als sie hinter sich ein erstauntes Rufen hörte: „Maria, Sie sind ja immer noch hier!“
    Erschrocken drehte sie sich um und sah Andrea in der Tür stehen.
    „Huch,… haben Sie mich erschreckt!“ japste Maria und hob die rechte Hand an ihren Hals.
    „Oh, das wollte ich nicht!“ entschuldigte sich Andrea. „Doch mal ehrlich, was machen Sie noch hier? Sie sind doch schon längst fertig.“
    „Och, die Schränke habe ich mir schon lange mal vornehmen wollen, aber immer vor mir her geschoben“, log Maria. „Bin hier aber sofort fertig, dann können Sie wieder Kaffee kochen.“


    Hastig arbeitete sie weiter. Andrea setzte sich an den kleinen Tisch und stieß einen müden Seufzer aus. Verstohlen warf Maria ihr einen Blick zu und sah, wie traurig sie wirkte.
    „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragte sie vorsichtig nach. Dabei stellte sie die Tassen zurück in den Schrank.
    Andrea schüttelte abwehrend ihren Kopf: „Es geht schon. War nur ein sehr aufregender Tag!“


    Während Maria die verschiedenen Kaffee- und Teedosen einräumte, meinte sie mit leiser Stimme: „Ich habe gehört was passiert ist. Schreckliche Angelegenheit! Auch die Sache mit Ihnen… es tut mir furchtbar leid!“
    „Es muss ihnen nicht leid tun“, versicherte ihr Andrea. „Sie hatten ja nichts damit zu tun.“


    Maria rutschte der Zuckerbehälter aus der Hand, so das er mit einem lauten Knall auf der Arbeitsplatte aufschlug. Andrea einen entschuldigenden Blick zuwerfend, nahm sie die Dose zur Hand und stellte sie mit zitternden Händen in den Schrank.


    Andrea bemerkte die plötzliche Nervosität der anderen Frau und wollte gerade nachhaken, als Dieter seinen Kopf zur Tür reinstreckte. Sein ohnehin langes Gesicht wirkte durch den niedergeschlagenen Ausdruck darauf noch länger: „Hotte hat sich gerade gemeldet. Leider hatten sie kein Glück. Die Geiselnehmer waren bereits ausgeflogen.“
    „Oh nein!“ erwiderte Andrea und in ihrer Stimme schwang Enttäuschung und Traurigkeit. „Haben sie schon eine neue Spur?“


    Bonrath zog die Mundwinkel nach unten und rümpfte die Nase. „Nee,…“ sagte er während er ratlos den Kopf schüttelte, „aber die Spurensicherung ist schon vor Ort und sucht nach Hinweisen.“
    „Und wie geht es Herrn Ritter?“ Marias Frage war fast ein Flüstern.
    „Nicht besonders,… wie man sich denken kann. Ist wohl ziemlich am Boden zerstört.“


    Für einige Augenblicke lag eine bedrückende Stille im Raum, dann zuckte Dieter hilflos mit den Schultern.
    „Sie sind jetzt auf den Weg hierher zurück. Die Chefin hat einige Stunden Ruhe angesagt.“
    Damit drehte er sich um und ging zurück zu seinem Arbeitsplatz.


    Maria schloss die Schranktür und packte eilig ihre Putzutensilien zusammen. Mit einem leisen Nuscheln verabschiedete sie sich von Andrea und brachte die Sachen in die Besenkammer.
    Ihren Mantel zog sie sich mit fahrigen Bewegungen an und schmiegte ihn sich eng an den Körper. Mit vor der Brust verschränkten Armen und gesenktem Haupt verließ sie die PAST.


    Andrea schaute ihr nachdenklich hinterher. Ihr weibliche Intuition sagte ihr, das etwas nicht stimmte. Doch sie konnte nicht genau sagen was…

  • Paul schreckte aus seinem Schlaf auf. Schlaftrunken blickte er sich um. Wovon war er wach geworden? Er lauschte in die dunkle Nacht.


    ‚Dämliche Katzen! Veranstaltet eure Revierkämpfe draußen.’
    Missmutig drehte er sich auf die andere Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Doch nach einigen Augenblicken drangen gedämpfte Stimmen an sein Ohr.


    So schnell es seine alten Knochen zuließen, setzte er sich auf. Er versuchte zu hören, wer da unten war, vernahm aber nur dumpfe Gesprächsfetzen. Es war kein konkretes Wort zu verstehen.


    „Verdammte Jugendliche!“ grummelte er sich in seinen ergrauten Bart. „Haben die kein Zuhause?! Die wollen doch nicht jetzt noch um diese Uhrzeit ein Besäufnis starten?!“


    Schnaufend und mit knackenden Knochen erhob er sich von seinem Bettlager. Mit leisen Schritten ging er zur Tür, trat hinaus auf den Flur und trippelte vorsichtig zum Treppengeländer.


    Von unten waren mehrere Männerstimmen zu hören. Eine davon erkannte er wieder.
    ‚Sind sie also doch jetzt hierher gekommen. War das andere Versteck nicht sicher genug?’ dachte er schadenfreudig.


    Er hörte, wie sich zwei der Männer in der Eingangshalle stritten, doch er verstand nicht, worum es ging. Einige Augenblicke später war es stiller geworden und er hörte eilige Schritte.
    ‚Hauptsache, sie bleiben da unten und lassen mich in Ruhe!’ dachte er ärgerlich und ging zurück in sein „Zimmer“.


    Er wusste, das er hier oben recht sicher war. Bis jetzt war noch nie jemand bis ganz nach oben in den sechsten Stock gegangen. Das Treppenhaus des alten Motels war ab der vierten Etage vielen nicht geheuer.
    Wackelige oder fehlende Geländer, Risse in den Wänden, heruntergefallener Putz und heraus gebrochene Mauerstücke ließen selbst den Mutigsten zurückschrecken.
    Selbst die Leute vom Abrissunternehmen hatten sich nicht getraut.


    Dass das Motel über kurz oder lang abgerissen würde, war Paul klar. Aber im Moment gab es wohl einige Komplikationen. Bei einem der letzten Ortstermine hatten sich die einzelnen Vertreter ziemlich in die Haare bekommen.
    Er hatte was von ‚Entsorgung’, ‚Asbest’, ‚Kosten’ und ähnlichem verstanden.
    Also auf gut deutsch: Es konnte noch eine Weile dauern!


    Ihm war es recht. Wenn er für den Winter noch einen Bleibe hatte, war er zufrieden. Im Frühjahr sah er dann weiter.


    Paul mochte sein Leben als Landstreicher. Früher, als er noch jünger war, war er wirklich durch die Lande gezogen und hatte dabei, und davon war er felsenfest überzeugt, mehr gesehen, als so mancher Weltenbummler.


    Aber mit dem Alter wurde es auch schwieriger. Mit seinen 58 Jahren war er nicht mehr der schnellste und die harten Bedingungen hatten seine Knochen steif werden lassen.


    Doch er beklagte sich nicht. Er war zufrieden mit seinem Leben. Er war nie ein Säufer geworden (wie so manch andere in seinem Bekanntenkreis), ist nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten und hat sich sein Essen immer mit kleinen Aushilfsjobs verdient.


    Seit einigen Jahren war er ‚sesshaft’ geworden. Er suchte sich alte Gebäude, richtete sich einigermaßen gemütlich ein und erst wenn er merkte das der Bau- bzw. Abrisstrupp anrückte, suchte er sich ein neues Plätzchen.


    So war es auch mit diesem alten Motel gewesen. Bereits vor zwei Monaten hatte er es entdeckt und sich eingerichtet. Schließlich brauchte er etwas, um den Winter zu überstehen.
    Ab und zu kamen Jugendliche hierher um abzufeiern oder andere Landstreicher, die für eine Nacht blieben. Sogar ein Liebespärchen hatte sich mal hierher verirrt. Aber alle ließen ihn unbehelligt und so ließ er sie gewähren.


    Vor ein paar Wochen waren allerdings diese Typen aufgetaucht, die jetzt anscheinend da unten herumfuhrwerkten. Er hatte damals nur verstanden, das sie für ein paar Tage ein Versteck brauchten.
    Worum es bei der Sache ging, interessierte ihn nicht.


    ‚Solange sie dann wieder verschwinden, ist mir das alles egal!’ dachte Paul bei sich. Er wollte keinen Ärger haben.
    Er legte sich auf seine alte Matratze, kroch in seinen Schlafsack und schlief bald wieder ein...

  • Der ‚Doc’ fluchte. Seine gute Laune war wie weggeblasen. Eigentlich wollte er mit seinem Versuchsobjekt in sein heimliches ‚Labor’ und seine Experimente beginnen.


    Doch der Anruf von Borchert klang dringend. Das Mädchen heulte in einer Tour und der Frau ging es nicht gut. Er solle vorbei kommen und sich der Sache annehmen. Schließlich würden sie noch gebraucht.
    ‚Klasse!’ dachte er ärgerlich bei sich. ‚Was hat er erwartet? Das anschließend Friede, Freude, Eierkuchen herrsche?’


    Dabei müsste Borchert es doch am besten wissen! Sie hatten es oft genug erlebt.
    Wenn die kleinen Asiatinnen kapierten, wo sie rein geraten waren, hatte es oft unschöne Szenen gegeben. In solchen Fällen war er meist mit seinem Koffer gekommen und hatte die Mädchen ‚behandelt’.


    Mal musste es eine starke Beruhigungsspritze sein, um sie gefügig zu machen. Dann mal wieder musste auch die eine oder andere Verletzung verarztet werden, wenn einer der Männer wieder zu heftig zugeschlagen hatte.


    Zwanzig Minuten später fuhr er, inzwischen äußerst übel gelaunt, am Hintereingang des Motels vor. Die Autotür fest zuschlagend stapfte er auf das Gebäude zu.


    „Der Boss erwartet Sie schon!“ Einer der Handlanger stand an Tür Wache und hielt ihm diese nun auf.
    Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stürmte er an ihm vorbei. Er ging in die Eingangshalle und brüllte: „Jens, wo steckst Du?“


    Sekunden später trat Borchert aus einem der Zimmer. „Brüll hier nicht so rum! Einige meiner Männer versuchen zu schlafen.“
    „Das interessiert mich einen Scheißdreck!“ fauchte der ‚Doc’. „Du weißt, das ich jetzt etwas anderes vorhatte. Also, was ist los? Dann kann ich schnell wieder abhauen.“


    „Du wirst noch genug Zeit für Deine perversen Spiele haben! Aber im Moment brauchen wir Deine fachlichen Fähigkeiten.“ Borcherts Stimme klang zynisch.
    Die Augen des ‚Doc’ blitzten zornig auf. „Wenn Du Dich über mich lustig macht, kannst Du Deine Drecksarbeit allein machen! Fragt sich nur, ob Lorenz es gut findet, wenn Euer Druckmittel plötzlich nicht mehr da ist.“


    Bedrohlich trat Borchert auf den ‚Doc’ zu. „Und wenn Du mir drohst, weißt Du genau was passieren wird. Also zügle Deine Zunge. Verstanden?“
    Beide Männer starrten sich an. Jeder wusste vom anderen, das er ihn ins Verderben reißen konnte. Aber sie wussten auch, dass sie einander brauchten. Sie maßen sich mit misstrauischen Blicken.


    Erst nach dem Räuspern eines der Männer wendeten sie sich voneinander ab.
    Fragend blickte ihn Borchert an. „Die Kleine hat sich inzwischen etwas beruhigt. Aber wir bekommen die Frau nicht wach.“


    Aufmerksam geworden drehte sich der ‚Doc’ zu ihm. „Wie meinst Du das? Ihr bekommt sie nicht wach?“
    „Als wir hier ankamen, lag die Frau ohnmächtig im Wagen. Wir haben versucht sie wach zu bekommen, aber ohne Erfolg.“


    Besorgt schaute der ‚Doc’ auf die Uhr. „Schon so lange? Bringt mich zu ihr!“
    Eiligen Schrittes folgte er dem Mann in die erste Etage, wo sie in den linken Flur gingen.
    Aus dem rechten Flur, hinter einer der ersten Türen, konnte man leise Stimmen und das Weinen eines Kindes vernehmen.


    Sie folgten weiter ihrem Flur und am Ende bogen sie nach rechts. Als der Gang endete, blieb der Mann vor einer Tür stehen und öffnete sie. Der ‚Doc’ trat ein.


    Auf einem Feldbett lag die Frau und rührte sich nicht. Ihr Gesicht war aschfahl, die Lippen blass und ihr Atem ging sehr flach. Er hockte sich neben sie und fühlte ihren Puls. Er war schwach und unregelmäßig. Mit einer Hand kontrollierte er die Stirn und stellte erhöhte Temperatur fest.


    Borchert, der inzwischen auch im Zimmer angekommen war, fragte: „Was ist mit ihr?“
    Statt einer Antwort kramte der ‚Doc’ seinen Autoschlüssel heraus, warf ihn dem Mann zu, der ihn hergeführt hatte und sagte: „Los, schnell,… hol meinen Koffer aus dem Auto. Er steht auf der Rückbank.“


    Kaum war der Mann verschwunden wandte er sich wieder Gaby zu. Während er sie weiter untersuchte, erklärte er Borchert die Situation: „Sie hat einen schweren Schock und liegt in Ohnmacht. Wenn ihr noch länger gewartet hättet, wäre sie Euch vermutlich gestorben. Mit so was ist nicht zu spaßen.“


    Er zeigte auf die Kopfwunde. „Wie ist denn das passiert?“
    Borchert erzählte ihm, wie es dazu gekommen war. Der ‚Doc’ nickte: „Wahrscheinlich kommt noch einen leichte Gehirnerschütterung hinzu. Hat sie über Kopfschmerzen und Übelkeit geklagt?“
    „Was weiß ich!“ schnaubte Borchert verächtlich. „Ich habe sie nicht gefragt und es interessiert mich auch nicht.“


    „Das hättest Du aber. Wie oft muss ich Euch sagen, das mit solch „harmlosen“ Sachen nicht zu sorglos umgegangen werden darf.“
    Weiter kam der ’Doc’ nicht, da in diesem Augenblick der Mann mit dem Koffer zurückkam.


    Sofort machte er sich an die Arbeit und verabreichte ihr einige Spritzen. Während er die Kopfwunde reinigte, versorgte und ein Pflaster drauf klebte, kontrollierte er wieder und wieder ihre Vitalfunktionen.


    Nach einigen Minuten nickte er zufrieden. „Wir warten jetzt ein, zwei Stunden und hoffentlich wird sie dann von allein wach. Wenn nicht, muss ich zu weiteren Mitteln greifen. Mein Repertoire ist noch nicht erschöpft. Ich werde wohl die Nacht hier bleiben und ab und zu ein Auge auf sie werfen. Könntet ihr mir ein Zimmer geben?“


    Mit einem fiesen Grinsen antwortete Borchert: „Such Dir eins aus. Wir sind zur Zeit nicht voll belegt!“
    Er nahm sich das Zimmer genau gegenüber und ging dann zu seinem Wagen.
    Mit dem Körper des Jungen kehrte er zurück, schloss die Tür, kramte aus seinem Koffer einige Utensilien hervor und gab sich genussvoll seinen Experimenten hin...

  • Maria saß, seit sie die PAST verlassen hatte, in ihrem Auto und bitterliche Tränen rollten über ihr Gesicht.
    ‚Was habe ich da nur angerichtet?’ dachte sie zum wiederholten Mal bei sich.


    Immer wieder überlegte sie, wie sie aus dieser Situation heraus kommen konnte.
    So gern würde sie sich jemandem anvertrauen, aber sie wusste nicht wem.
    Sie wusste nur: Wenn sie jemanden etwas sagte, bedeutete das, dass die Erpresser ihrem Mann die Fotos zuspielen würden. Und das durfte auf keinen Fall geschehen!

    Langsam beruhigte sie sich etwas und wollte gerade den Motor starten, als mehrere Autos auf den Parkplatz einbogen. Sofort erkannte sie den BMW von Herrn Gerkhan sowie verschiedene Zivil- und Streifenwagen.


    Erschrocken rutschte sie in ihrem Sitz nach unten. Nachdem die Fahrzeuge geparkt und die Scheinwerfer ausgeschaltet waren, wagte sie sich langsam aus ihrer geduckten Stellung hervor.
    Sie beobachtete, wie die Insassen mit müden Bewegungen ausstiegen und sich zum Gebäude begaben.


    Das kalte Licht der Neonleuchten, die über dem Eingang das Wort ‚Autobahnpolizei’ illuminierten, warf ein gespenstiges, bleiches Licht auf die niedergeschlagenen Gesichter der Ankömmlinge. Ihre gebeugten Häupter und die schweren Schritte zeigten deutlich ihre Niedergeschlagenheit. Keiner sprach ein Wort und nach wenigen Augenblicken waren alle Personen in der Dienststelle verschwunden.


    Irgendwie hatte Maria der Anblick an einen Trauerzug erinnert. Niedergeschlagen starrte sie in Richtung Tür und ihre Miene nahm einen ernsten Ausdruck an.
    Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte: Sie musste die Wahrheit sagen!


    Auch wenn es für sie bedeutete, alles zu verlieren, woran ihr Herz hang: Ihren Mann, ihre Töchter, ihre Arbeit, all die netten Menschen, die sie hier kennen gelernt hatte…


    Sie musste sich überlegen, wie sie es am besten anstellen konnte. Es tat ihr zwar in der Seele weh, wenn sie daran dachte, was sie zu tun gedachte und die daraus konsultierenden Konsequenzen. Aber sie konnte auch nicht länger mit diesem Wissen leben. Sie hatte gesehen, was sie angerichtete hatte und hatte das Bedürfnis, es wenigstens etwas wieder gut zu machen.


    Etwas erleichtert wischte sie sich die letzten Tränen aus den Augen und entschlossen startete sie den Motor.
    Mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf die PAST fuhr sie los…

  • Lorenz beobachtete die Rückkehr von Gerkhan, Ritter und Anna Engelhardt auf den Monitoren. Er wusste inzwischen von Borchert, das sie in ihrem neuen Versteck angekommen waren und er wusste auch von dem neuen Film.
    Gespannt wartete er auf die Reaktionen.


    Doch nach einigen Minuten wurde er unruhig. Alles lief zu normal ab.
    Dieser Gerkhan war direkt zu seiner Frau gegangen und nachdem seine Chefin ihm eine gute Nacht gewünscht hatte, in einem der Räume verschwunden.


    Ritter begab sich ohne Umschweife an den Schreibtisch und wühlte in den Akten. Ab und zu rieb er sich die Augen oder stütze seinen Kopf in den Händen ab. Er wirkte müde und erschöpft, aber nicht am Boden zerstört.
    Und die Reaktion hatte Borchert auf jeden Fall erwartet!


    ‚Komisch’, dachte er bei sich. ’Irgend etwas stimmt da nicht!’
    Sein Blick ging zu dem Monitor, wo die Vorgesetzte zu sehen war. Sie saß auf der Couch und starrte gedankenverloren vor sich hin. Sie seufzte ein paar mal tief und rieb sich die Schläfen. Ihre Stirn war in tiefe Sorgenfalten gelegt.
    Nach einigen Minuten legte sie sich auf das Sofa und machte die Augen zu.


    „Das gibt es doch nicht! Was machen die da?“ murmelte er ärgerlich.
    Nach weiteren Minuten, in denen nichts ungewöhnliches geschah, griff Lorenz ungeduldig zum Telefon und wählte Borcherts Nummer.


    „Sag mal, was habt Ihr gemacht? Ich dachte Ihr wolltet den Film so platzieren, das ihn die Bullen finden?!“
    Borcherts Stimme klang gereizt, als er antwortete: „Das haben wir auch. Jeder Idiot konnte ihn finden. Warum?“


    „Weil die hier keinerlei Reaktionen zeigen! Teilweise schlafen die sogar!“ empörte sich Lorenz.
    „Sie werden ihn über kurz oder lang finden. Also mach Dich nicht nass! Sag uns lieber Bescheid, wenn es etwas Neues gibt. Ansonsten lass uns in Ruhe. Wir haben hier so unsere eigenen Probleme.“


    „Was ist denn bei Euch los?“ hakte Lorenz alarmiert nach.
    „Nichts für Dich von Belang. Der ‚Doc’ kümmert sich schon darum. Man hört sich.“
    Dann war das Gespräch beendet. Ärgerlich schmiss Lorenz das Handy auf den Tisch und fluchte vor sich hin.


    Nachdem er eine Zeit lang wütend vor sich hinmurmelnd hin und her gewandert war und das Rattengesicht sichtlich nervös gemacht hatte, setzte er sich schwerfällig auf einen Stuhl und starrte die Bildschirme an.
    Grübelnd holte er eine Zigarre hervor und zündete sie sich an. Doch nach einigen Zügen verzog er angeekelt das Gesicht. Irgendwie schmeckte sie ihm nicht.
    Er wusste auch woran das lag: Ihm fehlte das stimulierende Begleitprogramm!


    Er erinnerte sich, wie dieser Ritter sein Büro auseinander genommen hatte.
    Das war eine tolle Show gewesen!
    In tiefen Zügen hatte er den Rauch inhaliert und genüssliche Wolken ausgestoßen, die sich schwerfällig in dem kleinen Raum bewegt hatten.


    Doch was er jetzt geboten bekam, war ja wohl fade! Ärgerlich über die verschwendete Zigarre, drückte er sie frustriert aus.


    Da er merkte, das bei den Bullen im Moment nichts passieren würde, raunzte er die ‚Ratte’ an: „Da tut sich heute Nacht wohl nichts mehr. Gib mir Bescheid, wenn sich das ändert!“ Damit stapfte er hinaus und ging in sein Zimmer.
    Von ihm unbemerkt, atmete das Rattengesicht erleichtert auf.

  • Sie saßen auf einem nicht gerade Vertrauen erweckenden, alten Bett und spendeten sich gegenseitig Trost, ohne das sie es merkten.


    Jakob hielt seine Schwester im Arm und wiegte sie sanft hin und her. Mit einer Hand streichelte er ihr immer wieder vorsichtig über die Haare. Dabei sprach er leise und beruhigend auf sie ein.
    Er hatte dieses Verhalten oft bei seiner Tante beobachtet und musste jetzt mit Erstaunen feststellen, das es tatsächlich wirkte.


    Johanna war vor wenigen Minuten erschöpft eingeschlafen. Ihr tränennasses Gesicht hatte sie an seine Schulter gelehnt und beide Arme um seine Hüfte geschlungen.


    Sie hatte immer wieder nach Richard und ihrer Tante gefragt. Doch er wusste auch nicht wo sie waren. Er ahnte nur, das etwas schreckliches passiert sein musste.
    Die Aussagen des Mannes mit der Kinnnarbe waren mehr als bedrohlich gewesen!


    Kurz nachdem sie hier eingesperrt worden waren, hatte er hektische Stimmen und Fußgetrappel gehört, wusste sie aber nicht einzuordnen. Außerdem war er zu sehr mit Johanna beschäftigt gewesen.


    Ein Gefühl von Einsamkeit und Verzweiflung überkam ihn.
    Was sollte er jetzt machen? Was sollte er machen, wenn die Gangster wiederkamen und einen von ihnen holten? Und warum kam nicht wenigstens Richard wieder?


    Als man sie hier eingesperrt hatte, hatte er vorsichtig nach seinem Cousin gefragt.
    Einer der Kidnapper hatte ihn mit einem Blick angeschaut, den er nicht deuten konnte und unheilvoll gemeint: „Sei froh, das Du nicht da bist wo Dein Bruder jetzt ist. Hier geht es Dir wesentlich besser!“


    Er wollte noch wissen, was damit gemeint war, aber keiner gab ihm eine Antwort. Statt dessen war die Tür zugeschlagen worden und man hatte sie allein gelassen.
    Johanna hatte gefragt, was der Mann damit gemeint hätte, aber Jakob konnte und wollte ihr die Frage nicht beantworten.
    Er ahnte Schreckliches, wollte aber seine Schwester nicht noch mehr ängstigen!


    Jabob verspürte große Angst um seinen Cousin, der für ihn wie ein Bruder war. Eigentlich war er viel, viel mehr: Kumpel, Freund, Kamerad,…kurzum, jemand mit dem man Pferde stehlen konnte!
    Er hoffte, das es ihm gut ging.


    Seiner Tante hatte er versprochen, auf die beiden Kleinen aufzupassen. Und er war fest entschlossen, dieses Versprechen wenigstens bei seiner Schwester einzuhalten. Johanna sollte nichts geschehen. Das schwor er sich.


    Behutsam legte er sich mit Johanna auf die von Ratten, Mäusen und anderem Ungetier angenagte Matratze. Er war dabei so vorsichtig, das sie nicht aufwachte. Seufzend schloss er die Augen und seine letzten Gedanken, bevor auch er einschlief, galten seinem Vater und dessen Partner: ‚Bitte findet uns!!’

  • Semir warf sich unruhig auf der Pritsche im Bereitschaftsraum hin und her. Er fühlte sich erschlagen und ausgelaugt, aber die innere Unruhe ließ ihn nicht richtig in den Schlaf kommen.


    In seinem Kopf drehte sich immer noch alles um die Frage, wieso die Geiselnehmer so überhastet ihren letzten Aufenthaltsort verlassen hatten. Auf der Rückfahrt zur PAST hatte er schon versucht, mit der Engelhardt darüber zu sprechen. Aber sie hatte irgendwie abwesend gewirkt.


    Irgendwer musste sie gewarnt haben. Doch wer? Hatten sie etwa eine Laus im Pelz?
    Den Gedanken verwarf Semir jedoch sofort. Für seine Kollegen würde er die Hand ins Feuer halten! Das waren alles gute Beamte.


    Doch wie haben die Gangster davon erfahren können? Woher wussten sie, das sie kommen würden?
    Etwas stimmte nicht,... das sagte ihm sein Instinkt!


    Er schaute zur Uhr und die roten Zahlen des Radioweckers zeigten ihm 4.37 Uhr an.
    Seufzend ging sein Blick zu Andrea. Sie schlief ruhig auf der anderen Pritsche.


    Der Vollmond warf sein mystisches Licht durch das Fenster auf ihre Haare, was seine Frau in einem geheimnisvollen Szenario erscheinen ließ. Der Anblick faszinierte ihn und er betrachtete sie eine Zeit lang.
    Um seinen Mundwinkel flog ein sanftes Lächeln und er seufzte glücklich. Es fiel ihm schwer, sich von dem Bild zu lösen.


    Er drehte sich auf den Rücken, starrte zur Decke und versuchte noch einmal nachzudenken.
    Doch es brachte alles nichts. Er musste mit jemandem reden, musste jemandem seine Gedankengänge mitteilen. Vielleicht war ja die Chefin wach.
    Zur Not würde er auch mit Bonrath oder Hotte darüber reden.


    Die Decke zurückwerfend, stand Semir leise auf. Er warf einen kurzen Blick zu Aida, die im Reisebettchen selig vor sich hinschlummerte. Er fühlte unendliche Dankbarkeit, das er sie bei sich haben konnte.
    Im selben Augenblick überkam ihn aber auch ein schlechtes Gewissen. Er musste an Chris denken und was er wohl gerade durchmachte.


    Auf Zehenspitzen schlich er zur Tür und ging hinaus.
    Im großen Büroraum war kein Mensch zu sehen. Wahrscheinlich machten sie gerade alle ihr Runden.


    In ihrem gemeinsamen Büro brannte noch Licht. Als er den Raum betrat, huschte ein mitleidiges Lächeln über sein Gesicht.
    Chris hatte die Arme auf dem Tisch verschränkt und sein Kopf ruhte darauf. Er schien fest zu schlafen. Um ihn herum lagen in einem heillosen Durcheinander Akten, Berichte und andere Papiere.


    ‚Wahrscheinlich hat er versucht eine neue Spur zu finden’, dachte Semir bei sich.
    Vorsichtig schaltete er die Schreibtischlampe aus, schlich sich wieder hinaus und zog leise die Tür hinter sich zu.


    Die Chefin schien tatsächlich noch wach zu sein. Das gedimmte Licht der Deckenleuchte erhellte schwach ihr Büro und er konnte ihre Gestalt am Schreibtisch erkennen.
    ‚Uns befiehlt sie, das wir uns ausruhen sollen, aber selber... !’ In Gedanken schüttelte Semir den Kopf.


    Gerade überlegte er, ob er zu ihr ins Büro gehen sollte, um noch einmal mit ihr über seine Vermutung zu sprechen, als eine Person die PAST betrat. Erstaunt stellte er fest, das es sich um Franz, dem Assistenten von Hartmut, handelte.
    Er hielt einen großen, braunen Umschlag in der Hand. Semir ging auf ihn zu.


    „Hallo Franz! Was machen Sie denn hier? Haben Sie nicht schon längst Feierabend?“
    Franz schüttelte den Kopf: „Nein, ich war sowieso für die Nachtschicht eingeteilt. Hartmut dagegen sitzt seit fast 24 Stunden im Labor und wertet eine Probe nach der anderen aus. Diese Sache lässt ihn nicht los.“


    Verständnisvoll nickte Semir: „Diese Sache lässt uns alle nicht richtig zur Ruhe kommen.“
    Er zeigte auf den Umschlag: „Sind das die neuesten Ergebnisse? Habt Ihr was interessantes herausgefunden?… Warum schickt Ihr das nicht wie sonst per Mail? Geht doch viel schneller!“


    Verlegen druckste Franz herum: „Ja, schon…“ Plötzlich straffte er die Schultern, richtete sich gerade auf, schob das Kinn nach vorn und sagte bestimmt: „Aber ich habe nun einmal die Anweisung diesen Umschlag Frau Engelhardt persönlich zu überreichen. So lautet die strikte Order!“


    Semir machte vor Erstaunen große Augen. Dann trat er beiseite, machte eine ausholende Geste in die Richtung, wo Engelhardts Büro lag und meinte mit einer angedeuteten Verbeugung: „Dann will Dich nicht länger aufhalten.“


    Franz blinzelte nervös, ging dann aber mit großen Schritten an Semir vorbei und klopfte an die Tür. Nachdem er ein leises „Herein!“ vernommen hatte, betrat er das Büro.
    Während er die Tür schloss, fiel sein Blick auf Semirs Gesicht. Dort konnte er einen lauernden Ausdruck erkennen.


    Als die Tür ins Schloss fiel, wandte er sich der Chefin zu: „Frau Engelhardt,… hier sind die neusten Berichte und die Sache, um die Sie gebeten hatten.“
    Damit reichte er ihr den Umschlag.


    Anna nahm ihn entgegen und bedankte sich. Sie ließ sich von ihm mit kurzen Worten auf den neusten Stand bringen.
    Bevor er sich verabschiedete, richtete sie ihm noch Grüße an Hartmut aus und die Order, dass er sich nicht übernehmen solle.


    Franz zuckte hilflos mit den Achseln: „Sie wissen doch wie er ist: Wenn er sich in einer Sache verrannt hat, gibt er so schnell nicht auf!“
    Mit einem schiefen Lächeln hob er zum Abschied die Hand und verließ das Büro.
    Das gleiche tat er auch bei Semir, der sich inzwischen auf Susannes Stuhl gesetzt hatte und nachdenklich mit einem Stift spielte.


    Kaum hatte Franz das Gebäude verlassen, hielt es Semir nicht mehr auf seinem Platz und er tigerte im Hauptbüro auf und ab.
    ‚Was hat das alles zu bedeuten? Die Engelhardt lässt sich die Ergebnisse persönlich vorbei bringen? Und das mitten in der Nacht? Sonst macht sie nicht so viel Aufsehen wegen ein paar Berichten!’ dachte er aufgewühlt bei sich.


    Er nahm all seinen Mut zusammen, klopfte an und öffnete die Tür einen Spalt.
    „Chefin, darf ich kurz stören?“
    Verwirrt schaute Anna von den Papieren auf: „Semir! Was machen Sie denn hier? Warum schlafen Sie nicht?“
    „Das gleiche könnte ich Sie auch fragen.“ Dabei betrat er den Raum und grinste sie flüchtig an.


    Anna nickte ergeben: „Sie haben recht!“ Sie zeigte auf einen Stuhl und Semir nahm Platz. „Aber ich habe auf die Ergebnisse gewartet. Leider keine konkreten Hinweise... Es ist zum verrückt werden!“


    Wütend warf sie bei den letzten Worten die Untersuchungsergebnisse auf den Tisch.
    Der Umschlag wurde durch den Luftzug zur Seite bewegt und darunter kam eine CD zum Vorschein. Das es sich um eine andere CD handeln musste, erkannte Semir sofort... Auf dieser war ein Aufdruck der KTU zu sehen!
    „Was ist das?“ fragte er neugierig.


    Anna, die zuerst versuchte, so schnell wie möglich die CD wieder zu bedecken, schaute Semir fest in die Augen. Sie schien zu überlegen, nahm gedankenverloren die CD zur Hand und wiegte sie hin und her.


    Sie wusste, das sie Semir vertrauen konnte. Auf ihn war hundertprozentig Verlass!
    ‚Wenn das bei seinem Dienstwagen auch mal so wäre!’ dachte sie flüchtig amüsiert, bevor sie wieder ernst wurde.
    In ihren Gedanken wägte sie das Für und Wider miteinander ab, dann hatte sie sich zu einem Entschluss durchgerungen.


    Stockend sagte sie: „Das hier… ist eine neue Nachricht der Entführer!“
    Semir riss die Augen auf. „Was? Woher wissen Sie das?“
    „Ich habe sie schon gesehen.“ Ihre Stimme klang belegt.
    „Wann?“ Semir war irritiert. Wie konnte seine Chefin ihnen etwas so wichtiges vorenthalten?


    Anna schluckte: „Vorhin… im verlassenen Versteck der Entführer… Als Sie unten bei Chris waren.“
    „Aber warum sagen Sie uns nichts?“ brauste Semir auf.
    Gleichzeitig nahm er ihre bedrückte Miene wahr und hakte nach: „Was fordern die Entführer jetzt?“


    „Es ist weniger was sie fordern, als das was sie androhen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden, was mir Sorge macht.“
    In Annas Stimme schwang Entsetzen mit, wie Semir besorgt registrierte.
    Alarmiert setzte er sich auf, beugte sich nach vorn und fragte vorsichtig: „Warum? Was ist darauf zu sehen?“


    Anna schloss die Augen und wägte in Gedanken noch einmal ihre Möglichkeiten ab. Dann gab sie sich einen Ruck, sah Semir ernst an und reichte ihm die Hülle.
    „Schauen Sie es sich an. Aber Sie müssen mir um Gottes Willen versprechen, Chris davon nichts zu sagen! In seinem jetzigen Zustand wären die Folgen fatal. Wenn ich an die Reaktion bei der letzten Nachricht denke, darf ich mir gar nicht ausmalen, was er tun würde, bekäme er die hier zu sehen.“


    Mit einem unguten Gefühl nahm Semir sie entgegen und legte sie in das Laufwerk des Computers ein.
    Anna bat ihn, sich mit seinem Stuhl zu ihr zu setzen. Er kam der Aufforderung nach und startete die CD.


    Semir, der noch immer die Bilder der ersten Nachricht im Kopf hatte und sich nicht vorstellen konnte, dass das hier schlimmer sein sollte, wurde eines besseren belehrt.


    Derjenige, der das Video gedreht hatte, verstand sein Handwerk. Meist in der Totale gefilmt, hatte er an den entscheidenden Stellen heran gezoomt. Deutlich konnte man die Angst der Kinder, das Entsetzen von Gaby und die Erbarmungslosigkeit dieses Borchert sehen.


    Als die Stelle kam, wo Richard zusammenbrach, stieg in Semir panisches Entsetzen und Übelkeit empor. Er konnte es nicht glauben.
    Wie konnte ein Mensch so gnadenlos sein? Es war doch noch ein Kind!


    Gabys Schreie und Borcherts Verhöhnung hallten noch lange in seinem Kopf nach, nachdem das Video geendet hatte. Wie benommen saß er da.


    „Sie haben Recht!“ sagte er nach einer Weile mit belegter Stimme. „Wenn das Chris zu sehen bekommt…“
    Er ließ den Satz unvollständig. Beide konnten sich ausmalen was passieren würde…

  • Das Ratten- und das Mausgesicht begrüßten sich mit einem kurzen Händedruck.
    „Na, Bruderherz“, flüsterte die Maus. „Alles so weit klar hier?“
    Die Ratte grinste, legte den Kopf schief und flüsterte zurück: „Klar, jetzt schon!“


    Dabei zeigte er mit seinem Kopf zur Tür.
    „Seit der Lorenz sich in sein Zimmer zurückgezogen hat, habe ich endlich meine Ruhe!“
    „Warum?… Was war los?“ wollte die Maus wissen.
    Er zog sich dabei die Jacke aus und machte es sich auf einem Stuhl bequem.


    Genervt hob die Ratte die Brauen, verdrehte die Augen und seufzte: „Du weißt doch wie er ist. Sobald er das Gefühl hat, die Sache läuft aus dem Ruder, wird er gleich panisch. Zuerst reagierten die Bullen nicht so wie er es gerne gehabt hätte, dann bekam er eine Abfuhr von Borchert. In seinem Frust wollte er doch glatt da anrufen und die Bullen auf die Aufnahme aufmerksam machen! Konnte ihn noch so gerade davon abhalten!“


    „Amateur!“ war die geringschätzige Antwort der Maus.
    „Du sagst es!“ stimmte ihm die Ratte zu. „Sag mal,… was ist denn bei Euch passiert? Borchert sprach von kleinen Problemen?“


    „Ach,… keine Ahnung! Bevor ich abgefahren bin, habe ich nur mitbekommen, das die Frau in Ohnmacht liegt und sie den ‚Doc’ gerufen haben. Mehr weiß ich auch nicht. Ich habe lieber zugesehen, das ich hierher komme, um Dich ein paar Stunden abzulösen. Mich brauchen sie erst wieder gegen Mittag. Sagt zumindest Borchert. Also,… gibt es irgend etwas besonderes?“


    Während die Ratte aufstand und damit seinem Bruder den Platz frei machte, erklärte er kurz die aktuelle Sachlage.
    „Wie Du sehen kannst, ist es im Moment relativ ruhig.“ Dabei zeigte er auf die Monitore.
    „Dieser Gerkhan und seine Chefin haben sich vor einiger Zeit das Video angeschaut. Übrigens… Mal wieder eine Meisterleistung von Dir!“ Er hob zustimmend den Daumen.
    „Sie diskutierten eine Zeit lang, ob und wenn ja, wie sie es diesem Ritter beibringen sollten. Haben sich aber fürs erste dagegen entschieden.“


    Nach einem Blick auf die Uhr fuhr er fort: „In einer knappen Stunde ist Schichtwechsel. Ich glaube nicht, das bis dahin noch etwas dramatisches passieren wird. Wenn doch,… ich bin nebenan und versuche etwas zu schlafen!“


    Das Mausgesicht machte es sich bequem, packte seine Utensilien aus einem Rucksack auf die Arbeitsfläche und hob lässig die Hand. „Keine Sorge! Ich pass schon auf.“
    Das Rattengesicht hob ebenfalls eine Hand und schlug in die dargebotene Hand ein.
    „Das weiß ich!“ Dann verschwand er aus dem Raum.


    Während sein Bruder schlief, bereitete das Mausgesicht eine CD für Gehlen vor.
    ‚Wenn wir hier fertig sind, gibt es wieder eine tolle „Best of“-Scheibe für unsere Sammlung’, dachte er vergnügt bei sich.


    Seit er sich erinnern konnte, drehten er und sein Bruder kleine Filme. Zuerst mit der 8mm Kamera ihres Vater, später mit der vom Taschengeld zusammen gesparten Videokamera und jetzt natürlich Digital.


    Für sie lag der besondere Reiz darin, heimliche Filme zu drehen. Wenn die Menschen sich unbeobachtet fühlten, waren ihre Reaktionen echt und nicht gekünstelt.
    Im Laufe der Jahre hatten sie sich so zu wahren Experten in diesem Gebiet gemausert,... was ihnen aber nicht geholfen hatte, einen vernünftigen Job zu finden.


    Aus allen Sicherheitsfirmen waren sie wegen den gleichen Problemen herausgeflogen. Die Bosse hatten ihr technisches Know-how und ihre Kenntnisse so lange zu schätzen gewusst bis heraus kam, das sie Aufzeichnungen mit nach Hause nahmen und für ihre Sammlung zurecht schnitten.
    Sie hatten es auch bei einigen Produktionsfirmen versucht, allerdings war ihnen ihr Ruf schon vorausgeeilt und alle lehnten ab.


    Als sie sich den dunklen Kreisen der Gesellschaft zugewandt und dort Fuß gefasst hatten, hatten sie sich sehr schnell einen Namen gemacht. Nun gehörten sie zu den gefragtesten ihrer Branche!


    Als das Mausgesicht eine halbe Stunde später zufrieden seine Arbeit betrachtete, erstrahlte auf seinem Gesicht ein seliges Lächeln...

  • Gaby wollte nicht wach werden. Wo sie gerade war, herrschte Ruhe und Frieden. Sie hatte keine Schmerzen und in ihren Träumen sah sie die Kinder fröhlich im Garten spielen. Nein,… sie wollte hier nicht weg!


    Doch etwas zwang sie aus ihrer heilen Welt. Der scharfe Geruch in der Nase trieb einen Keil zwischen ihre schönen Gedanken und zwang sie, sich der Realität zu stellen.
    Sie wehrte sich dagegen, doch der Geruch blieb hartnäckig. Sie hörte aus weiter Ferne eine Stimme, die sie aufforderte wach zu werden.


    Mit einer Hand schlug sie nach der Geruchsquelle und hörte anschließend dumpf, wie jemand fluchte. Wie durch einen dichten Nebel nahm sie wahr, wie jemand ihre Handgelenke packte und ihr die Arme an den Körper presste.


    Langsam kam sie zu sich. Sie hatte Schwierigkeiten ihren Blick klar zu bekommen und blinzelte gegen die Helligkeit an. Nach einigen Sekunden erkannte sie eine Gestalt und fokussierte ihren Blick darauf. Sie erkannte einen Mann mit einer Maske.
    Schlagartig fiel ihr alles wieder ein!


    Mit vor Angst verzerrtem Gesicht versuchte sie sich gegen den Griff zu wehren,... versuchte zu entkommen,... wollte fliehen,... doch sie war zu geschwächt.


    Ihre Seele schrie verzweifelt auf – sie wollte nicht hier sein!
    Wollte nicht mit der grausamen Wahrheit konfrontiert werden.
    Wollte nicht noch mehr Schmerzen erleben… wollte keinen Tod mehr sehen…
    Wollte nicht noch einmal gezwungen werden, einen Abschied für immer nehmen zu müssen.


    In ihrem Kopf spielte alles verrückt und so tat das Hirn das einzig richtige: Es blockierte die verwirrenden Eindrücke. Ihre Gedanken wurden gefangen.


    Sie sah vor ihrem inneren Auge ihren toten Mann und ihren toten Sohn, hörte die Schreie von Johanna und glaubte zu sehen, wie Jakobs Kehle von einem Messer durchtrennt wurde.


    Im nächsten Augenblick sah sie sich mit ihrem Mann und den Kindern, wie sie gemeinsam lachend eine Radtour unternahmen oder beim Schwimmen im See unten im Dorf eine riesige Wasserschlacht veranstalteten.


    Die Bilder wechselten sich ab und sie schwankte zwischen abgrundtiefer Traurigkeit und grenzenloser Freude. Von der Außenwelt drang nichts mehr in ihre kleine, verwirrte Welt…

  • „Was hast Du jetzt gemacht, Du Quacksalber?“ Die Panik in Borcherts Stimme war nicht zu überhören.
    Der ‚Doc’ riss sich die Maske vom Kopf und schmiss die Ampulle mit dem Riechsalz in seine Tasche.
    „Ich habe Dir gleich gesagt, das es riskant ist, sie jetzt schon zu wecken. Aber Du wolltest ja nicht hören. Jetzt haben wir den Salat!“


    „Was ist denn mit ihr?“ wollte Borchert wissen, während er ihre Handgelenke losließ.
    Er schaute die Frau an. Sie lag da und starrte ihn mit einem leeren Blick an. Hätte er nicht gesehen, das sie atmet, wäre er fest davon überzeugt, das die Frau tot wäre.


    „Um es einfach auszudrücken: Ihr Hirn hat dicht gemacht“, erklärte der ‚Doc’, während er gleichgültig mit den Schultern zuckte.
    Entgeistert schaute ihn Borchert an: „Was soll das heißen?… Wie lange bleibt sie in diesem Zustand?“


    Wieder ein Schulterzucken: „Kann ich Dir nicht sagen… Stunden?… Tage?… Wochen?… Wer weiß das schon! Es gibt Fälle, da fanden die Menschen nie in die Realität zurück.“
    Borchert packte den ‚Doc’ am Arm und riss ihn herum: „Dann sorg dafür, das sie wieder zurück findet. Wir brauchen sie noch und das weißt Du!“


    Der ‚Doc’ schüttelte die Hand ab, als säße dort eine Schmeißfliege: „Beruhige Dich. In den meisten Fällen kommen sie wieder, wenn sie Hunger oder Durst verspüren. Also gib ihr ein, zwei Tage Zeit!“
    Borchert fauchte: „Du weißt genau, das wir so viel Zeit nicht haben. Wir brauchen sie noch als Druckmittel. Sollen wir sie etwa in diesem Zustand filmen? Die glauben doch sie wäre tot!“


    „Ich dachte, Du hättest so viel Fantasie?!“ Der ‚Doc’ konnte sich einen ironischen Unterton nicht verkneifen. „Erzähl denen eine dramatische Geschichte… von wegen Giftspritze und sie braucht das Gegenmittel… Oder eine Amnesie…!“ Kumpelhaft schlug er ihm auf die Schulter. „Dir wird schon was einfallen! Du bist doch sonst nicht so arm an Ideen!“
    Ein fieses Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.


    Nachdem er ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte, verließ Borchert missmutig den Raum.
    Er hatte sich schon so sehr auf ein weiteres Spielchen mit der Frau gefreut. In ihren Augen spiegelten sich so herrlich ihre Angst, ihre Hilflosigkeit und ihre Panik. Doch in diesem Zustand war sie zu nichts zu gebrauchen.
    Innerlich fluchend ging er den Gang zurück und blieb plötzlich an der Tür stehen, hinter der die beiden anderen Kinder gefangen waren.


    Er überlegte, ob er es vielleicht mit der Tochter versuchen sollte. Aber den Gedanken verwarf er gleich wieder.
    ‚Die heult nur rum. Das macht keinen Spaß!’
    Dann fiel ihm der Junge ein. ‚Ein Versuch wäre es wert!’ dachte er mit einem sadistischen Grinsen.


    Zufrieden lächelnd ging er die Treppe hinunter und sah auf seine Armbanduhr. Es wurde Zeit, seine Leute zu wecken.
    ‚Heute wird bestimmt ein schöner Tag!’

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