Angst und Vertrauen

  • Auf dem Weg zu Semirs Haus war Chris seltsam still. Er schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein.


    Semir fiel es zunächst nicht auf. Er konzentrierte sich auf den Verkehr und versuchte möglichst schnell zu sich nach Hause zu kommen. Sie waren schon spät dran und er hasste Unpünktlichkeit.


    Sie waren fast da, als Semir stichelte: „Na, machst Du Dir jetzt doch Sorgen um Dein Auto?“
    „Hmm?“ Verständnislos hob Chris die Augenbrauen.
    „Du bist so still. Versteh mich nicht falsch… Du bist sonst auch still, aber heute bist Du extrem still!“
    Noch immer schien Chris nicht zu verstehen.
    „Dein Auto?… Angst drum?…“ half Semir ihm auf die Sprünge.


    Chris schüttelte den Kopf und seufzte: „Das ist es nicht. Im Moment bin ich doch angespannter, als ich es mir zugestehen möchte. Ich will nur endlich, das der Fall Gehlen ins Laufen kommt. Dann geht es mir besser.“
    Mit einem spitzbübischen Grinsen fuhr er fort: „Ausserdem,… warum sollte ich mir Sorgen machen? So wie Du im Moment fährst, solltest Du Dir lieber Sorgen um dein Auto machen!“


    Semir blieb die Antwort schuldig. Denn in diesem Augenblick fuhren sie bei seinem Haus vor und erstaunt sah er einen weißen Lieferwagen in der Einfahrt stehen.
    ‚Komisch!’, dachte er bei sich und parkte das Auto auf dem Bürgersteig, ‚Andrea hat gar nicht erzählt, das heute Handwerker kommen.’


    „Bin gleich wieder da. Ich hole nur schnell mein Handy.“, sagte Semir und stieg aus.
    „Hab ich Zeit für `ne Zigarette?“, rief Chris hinter ihm her.
    „Nein! Ich bin in zehn Sekunden wieder draußen!“ Genervt schlug er die Tür zu. Chris’ Qualmerei ging ihm manchmal auf den Keks!


    Auf dem Weg zur Haustür suchte er in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel. Plötzlich stutzte er. Was war das für ein Geräusch gewesen?
    Da… wieder… als ob etwas zerbrechen würde. Dann gellte ein Schrei durchs Haus. Semir war sich sicher, das es Andrea’s Stimme war!


    Geistesgegenwärtig zog er seine Waffe und gab Chris ein Zeichen. Der sprang sofort aus dem Wagen, zog ebenfalls seine Waffe und kam geduckt auf Semir zu.
    „Was ist los?“, fragte er besorgt.


    Statt einer Antwort ertönte von innen ein weiterer, verzweifelter Schrei.
    Chris wartete nicht. Im Laufen rief er Semir leise zu: „Ich gehe nach hinten und schneide ihnen den Weg ab.“ Dann war er auch schon um die Ecke verschwunden.
    Semir fluchte: „Verdammt, Chris, gewöhn Dir das langsam mal ab! Wir sind Partner.“


    Dann öffnete er leise mit dem Schlüssel die Tür. Mit vorgehaltener Waffe ging er vorsichtig ins Haus und schaute sich nach allen Seiten um.
    Aus dem Wohnzimmer konnte er Kampfgeräusche hören. Schnell eilte er den Flur entlang, immer auf Deckung bedacht. An der Ecke blieb er kurz stehen und verschaffte sich einen Überblick.


    Das Wohnzimmer war ziemlich verwüstet. Das kleine Tischchen und eine Lampe waren umgestürzt und der Sessel lag auf der Seite. Überall lagen Glasscherben von der zerbrochenen Terrassentür.


    Andrea wehrte sich mit Händen und Füßen gegen zwei Kerle. Beide trugen Skimasken. Plötzlich zog einer der beiden eine Pistole aus seinem blauen Overall und hielt sie Andrea vors Gesicht.
    „Jetzt reicht es mir!“, brüllte er sie an. „Entweder hältst Du jetzt still oder ich knall Dich ab!“
    Schlagartig hörte Andrea auf sich zu wehren. Mit angsterfüllten Augen blickte sie ihre Peiniger an.


    „So ist es schon viel besser!“, höhnte der Kerl mit der Waffe. Er raunzte seinen Kumpan an: „Los, fessle sie und dann machen wir, das wir von hier weg kommen.“

    In diesem Augenblick kam Semir aus seinem Versteck, richtete seine Waffe auf die Verbrecher und rief: „Gerkhan, Kripo Autobahn. Sie sind verhaftet. Nehmen sie sofort die Waffe runter!“


    Für den Bruchteil einer Sekunde waren die beiden Männer erschrocken, doch dann fingen sie sich. Der mit der Waffe drehte sich blitzartig um und schoss auf Semir. Dieser spürte ein scharfes Brennen am rechten Oberarm, bevor er schnell in Deckung ging. Nur am Rande registrierte er einen Streifschuss, doch schnell schob er die Gedanken daran zur Seite.
    Verzweifelt dachte er darüber nach, wie er am besten vorgehen könnte. Am liebsten hätte er zurück geschossen, aber er hatte Angst seine Frau zu treffen.


    Der andere Mann packte Andrea am Arm und zerrte sie brutal zur Terrassentür hinaus, wobei er sie als menschliches Schutzschild benutzte. Sie schrie vor Schreck laut auf.


    In dem Augenblick trat Chris hinter einem Mauervorsprung hervor und drückte dem Mann seine Waffe in den Rücken.
    „Eine falsche Bewegung und Du bist tot!“ sagte er gefährlich ruhig. „Und jetzt lass die Frau los!“


    Für einige Sekunden erstarrte der Mann, dann löste er den Griff um Andreas Arm. Chris wollte gerade seine Handschellen hervor holten, als plötzlich wieder Schüsse im Haus fielen. Ein Aufschrei war zu hören und jemand schlug mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.


    Diese kurze Ablenkung nutzte der Gangster, packte wieder Andreas Arm und schleuderte sie gegen Chris. Anschließend rannte er los und war schnell um die Ecke verschwunden.
    Chris, der reflexartig Andrea auffing, setzte sie vorsichtig auf den Boden.
    „Bei Dir alles klar?“ fragte er hastig.
    Andrea nickte nur. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammen gepresst und sie war sehr blass im Gesicht.


    Aufmunternd drückte Chris kurz ihre Schulter, sprang dann auf und nahm die Verfolgung des Flüchtigen auf.
    Doch als er in der Einfahrt ankam, fuhr der weiße Lieferwagen gerade mit quietschenden Reifen um die Ecke. Schnell rannte er auf den Bürgersteig zu Semirs Wagen, setzte sich hinein und startete den Motor. Er legte den Rückwärtsgang ein, wendete das Auto in der Einfahrt und mit aufheulendem Motor raste er hinterher.
    Als er an der Straßenkreuzung ankam, blickte er sich suchend nach allen Seiten um. Von dem Lieferwagen war keine Spur mehr zu sehen. Er fuhr ein paar Straßen weiter, musste sich aber bald eingestehen, das er den Wagen verloren hatte.


    Wütend schlug Chris mit beiden Händen aufs Lenkrad. Frustriert gab er über Funk eine Suchmeldung raus.
    Dann fiel ihm Semir siedend heiß ein. Schnell wendete er und fuhr zum Haus zurück.
    Er rannte hinein und rief besorgt: „Semir...?“

  • Dann will ich Euch mal erlösen.... :D
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    „Hier!“ kam die Stimme seines Partners aus dem Wohnzimmer.


    In der Zwischenzeit hatte Semir den Gangster entwaffnet und mit Handschellen gefesselt. Dieser lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden und biss die Zähne aufeinander. Aus einer Wunde am Oberschenkel tropfte Blut auf die Fliesen.


    Semir saß mit seiner Frau auf dem Sofa, hielt sie in den Armen, streichelte ihr wieder und wieder über den Rücken und versuchte sie zu beruhigen. Sie hatte ihr Gesicht an seiner Schulter vergraben und weinte bitterlich.


    Chris ging zu den beiden, hockte sich daneben und schaute Semir fragend an. Der schüttelte nur leicht den Kopf.
    „Sie weiß nicht, wer die Kerle waren und was sie von ihr wollten.“


    Chris blickte über die Schulter zu dem am Boden Liegenden. In ihm brodelte es. Abrupt stand er auf, ging zu ihm und schaute nachdenklich von oben auf ihn herab.


    „Hast Du schon Verstärkung und einen RTW gerufen?“, fragte er Semir betont beherrscht.
    Als der zur Bestätigung nickte, hakte er nach: „Was schätzt Du? Wie lange brauchen die noch, bis sie hier sind?“
    „Keine Ahnung… vielleicht fünf, sechs Minuten?!“ Ratlos blickte er Chris an. „Warum fragst Du?“


    „Das wird reichen!“, sagte Chris wie zu sich selbst. Entschlossenheit zeigte sich auf seinem Gesicht. „Ich möchte jetzt, das Du mit Andrea nach oben gehst. Und da bleibt Ihr! Egal was passiert!“
    In den Augen von Semir spiegelte sich Panik. „Was hast Du vor?“
    Schroff gab Chris zurück: „Stell jetzt keine Fragen! Tu einfach, was ich Dir sage. Verstanden? So kannst Du später immer behaupten, Du hast von allem nichts gewusst.“


    Semir zögerte. Das gefiel ihm gar nicht. Er wusste, dass wenn Chris wütend war, der sich nicht immer im Griff hatte. Er ahnte, das Chris etwas tun würde, was nicht den Regeln entsprach.


    Andrea, die sich etwas beruhigt und das Gespräch halb mitbekommen hatte, merkte, dass was nicht stimmte. Sie schaute von einem zum anderen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stand plötzlich auf.
    Sie ging zu dem Mann am Boden und blickte ihn kalt an. Doch der Mann beachtete sie nicht.
    Sie sah anschließend zuerst Chris fest in die Augen, dann ihrem Mann.
    „Ich gehe jetzt nach oben und schaue nach Aida. Ich werde die Türen schließen.“
    Entschlossen drehte sie sich um und ging die Treppe hinauf.


    Semir war sprachlos. So hatte er seine Frau noch nie erlebt!
    Chris stellte sich neben ihn und fragte leise flüsternd: „Willst Du nicht lieber auch …?“
    „Nein!“, unterbrach ihn Semir und in seiner Stimme schwang ein bedrohlicher Unterton mit. „Ich bleibe hier… Und wenn Du zu weit gehst….“
    Er ließ das Ende offen, aber Chris ahnte, was er sagen wollte. „Ich kann nichts versprechen. Das hängt von unserem Freund ab.“
    „Chris…!“ warnte ihn Semir.


    Der beachtete seinen Einwand nicht mehr, sondern ging zu dem Verletzten und zog sich unterwegs ein Paar Einweghandschuhe an.
    Wie nebenbei fragte er: „Haben Sie starke Schmerzen?“
    Als keine Antwort kam, fügte er hinzu: „Der Krankenwagen ist gleich da; dann werden Sie versorgt.“


    Er kniete sich neben ihn, ließ seinen Blick über ihn schweifen. „Wer hat Euch geschickt?“
    Der Mann am Boden lachte höhnisch auf. „Komm mir nicht mit der Tour! Das zieht bei mir nicht. Ich werde Dir bestimmt nichts sagen… Bulle!“ Dann spuckte er ihn an.


    Chris schüttelte leicht den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
    „Tja, das war leider die falsche Antwort. Aber ich gebe Dir eine zweite Chance... Also, wer hat Euch geschickt?“
    Er blieb verdächtig ruhig dabei, aber in seinen Augen glühte eine verbissene Entschlossenheit. Semir war auf der Hut.
    Mit einem verächtlichen Schnauben fauchte der Mann: „Du kannst mich mal!“


    Chris senkte für einen Moment den Kopf. Fast sah es aus, als ob er resignieren würde. Plötzlich schnellte seine rechte Hand nach vorn und er presste seinen Daumen in die Schusswunde. Der Mann schrie vor Schmerzen auf.
    Eiskalt fragte er ihn noch einmal: „Wer hat Euch geschickt? Ich will einen Namen!“


    Semir, der in einigem Abstand hinter Chris stand, hatte gar nicht so richtig mitbekommen, was passiert war. Als der Mann aufschrie, war er erschrocken zusammen gezuckt. Entsetzen packte ihn, als er sah, was Chris tat. Mit schnellen Schritten war er bei ihm und riss ihn an der Schulter zurück.


    „Chris! Sag mal spinnst Du?“ schrie er ihn an.
    Chris’ wütender Blick sagte alles. Semir ließ ihn erschrocken los. Dieser wandte sich wieder dem Gefangenen zu und beugte sich über sein Gesicht.
    Der Mann hatte aufgehört zu schreien und keuchte heftig. Mit vor Wut zusammen gebissenen Zähnen zischte Chris:
    „Wenn Du mir jetzt nicht sofort eine noch so kleine Information gibst, werde ich dafür sorgen, das die Sanitäter richtig gut zu tun bekommen. Hast Du mich verstanden?“


    In den Augen des Verletzten blitzte schiere Angst auf. Er sah, das Chris es ernst meinte.
    „Ich weiß nicht wer dahinter steckt. Wir sollten uns nur die Frau und das Kind schnappen und beide später an einen weiteren Fahrer übergeben.“


    Semir’s Gedanken überschlugen sich: ‚Die wollten nicht nur Andrea!… Die wollten auch Aida!’
    Der Gedanke entsetzte ihn. Er richtete seinen Blick wieder auf den Mann.


    Chris fragte knapp: „Wer und wo?“
    „Ich weiß es nicht. Die Informationen hatte mein Partner. Wir wurden nicht weiter ins Bild gesetzt und stellten keine Fragen. Uns interessierte nur das Geld!“
    Er merkte, dass ihm die beiden Polizisten nicht glaubten und sah, wie sich die Hand des Größeren zum Bein bewegte. Mit schriller Stimme fuhr er fort: „Ehrlich!! Ich weiß nichts. Wirklich!! Der Kontakt war nur telefonisch.“


    In diesem Moment hörten sie mehrere Wagen mit Sirenen vorfahren. Innerhalb weniger Augenblicke füllte sich das Haus mit Polizisten, Sanitätern und den Leuten von der Spurensicherung. Selbst Anna Engelhardt erschien Minuten später.


    Während Semirs Wunde von einem Sanitäter versorgt wurde und er sich anschließend um seine Familie kümmerte, setzte Chris sie ins Bild. Mitten in seiner Schilderung rief Herzberger an, und berichtete ihm, das eine Streife den gesuchten Lieferwagen einige Straßen weiter gefunden hatte. Anna gab Anweisungen, wie weiter verfahren werden sollte und forderte von Hartmut einen möglichst schnellen Bericht.


    In der ganzen Aufregung bemerkte Chris nicht, das er eine SMS bekam…

  • Ich setze Euch heute Abend noch einen neuen Teil ein, da ich nicht weiß, ob ich es morgen schaffe.
    Viel Spaß damit! :baby:
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    Etwa zur selben Zeit wie Chris und Semir Andreas Schreie bemerkten, ging Gaby mit den Kindern aus dem Haus.
    Die Jungen lieferten sich ein Wettrennen zum Auto, welches Jakob gewann. „Ha! Erster!“, rief er triumphierend. „Ich darf vorne sitzen!“
    „Dann sitze ich auf dem Rückweg vorn!“, bestimmte Richard.


    Sie setzten sich ins Auto und Gaby startete nervös den Motor. Für ihren Geschmack hatte das Ding viel zu viele PS! Chris hatte sie gestern extra ein bisschen im Auto fahren lassen, damit sie sich sicherer fühlte.
    Er hatte ihnen auch ein Parkhaus in der Innenstadt als Zielort im Navigationsgerät eingespeichert. So folgte Gaby den Anweisungen und sie kamen zügig aus dem Wohnviertel heraus.


    Nach einer kurzen Wegstrecke empfand sie den Wagen nicht mehr so monströs und entspannte sich. Es fing ihr sogar an Spaß zu machen und alberte mit den Kindern herum. Gemeinsam malten sie sich aus, was wohl passieren würde, wenn sie einen der vielen Knöpfe drücken würden.


    Gerade, als sie durch ein Industriegebiet fuhren, überholte sie ein dunkler Kombi mit hoher Geschwindigkeit, scherte knapp vor ihnen wieder ein und bremste scharf.
    Laut fluchend trat Gaby auf die Bremse: „So ein Vollidiot!“ Sie reckte den Hals und versuchte zu erkennen, was der Grund für das Bremsmanöver ihres Vordermannes war.


    Im selben Augenblick kam direkt neben ihnen ein schwarzer Lieferwagen zum stehen. Die Seitentür wurde aufgezogen und zwei Männer mit Sturmhauben sprangen heraus. Einer der Männer hatte ein dickes Eisenrohr in der Hand und holte zum Schlag aus.

    Johanna auf der Rückbank kreischte auf. Gaby, die den Lieferwagen noch nicht bemerkt hatte, schaute irritiert über ihre rechte Schulter zu dem Mädchen. Dabei fing sie den entsetzten Gesichtsausdruck von Jakob auf, der an ihr vorbei aus ihrem Fenster blickte. Schnell drehte sie den Kopf, um zu sehen, was die Kinder erschreckte.


    Das nächste was sie hörte, war splitterndes Glas und dann fühlte sie einen harten Schlag oberhalb ihrer linken Augenbraue. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sie; danach hörte sie alles wie durch einen dicken Nebel.


    Während die Kinder panisch schrieen, brüllten die Männer irgendetwas im Befehlston und rissen die Türen auf. Gaby spürte, wie sich jemand zu ihr in den Wagen beugte, den Gurt löste und sie aus dem Sitz zerrte. Sie stolperte. Dumpfe Geräusche drangen an ihr Ohr, konnte sie aber nicht zuordnen. Grob wurde sie hochgehoben und heftig in den Van gestoßen.


    Indes waren die Kinder total verschreckt. Als die Scheibe eingeschlagen wurde und sie sahen, wie Gaby am Kopf getroffen wurde, bekamen sie Angst.
    Die steigerte sich noch mehr, als Gabys Kopf benommen nach hinten fiel und sie mit Entsetzen sahen, das Blut aus einer Wunde über dem Auge floss.
    Der gebrüllten Anweisung aus den Auto zu steigen, gingen sie zitternd nach.


    Sie mussten ihre Taschen leeren und anschließend in den Van zu Gaby klettern.
    Der Mann mit der Stange stellte sich drohend vor die Türöffnung und deutete damit auf jeden einzelnen. „Einen falschen Ton und Eure Mutter bekommt noch eins über den Schädel. Kapiert?“


    Eingeschüchtert nickten die Kinder, dann rutschte die Tür hinter ihnen mit einem lauten Knall zurück ins Schloss. Wenige Sekunden später fuhr der Wagen mit durchdrehenden Reifen los.


    Johanna weinte und die beiden Jungen versuchten zu begreifen, was hier los war. Während Richard schützend seinen Arm um Johanna legte, kroch Jakob zu seiner Tante und berührte sie an der Schulter.


    Noch immer benommen, nahm Gaby die Berührung wahr und sie versuchte sich aufzusetzen. Ihr Kopf dröhnte. Mit der linken Hand betastete sie die schmerzende Stelle. Sie war feucht.
    Irritiert zog sie Hand weg und verwirrt sah sie Blut an den Fingerspitzen. ‚Ist das etwa mein Blut?’ Sie versuchte ihre Gedanken zu sortieren. Nach einigen Minute konnte sie wieder einigermaßen klar denken.


    Eindringlich befragte sie die Kinder: „Haben die irgend etwas gesagt? Haben die gesagt, was die von uns wollen?“
    Alle schüttelten den Kopf. „Aber sie glauben, das Du unsere Mutter bist.“ gab Jakob zurück.


    Gaby rieb sich die rechte Stirnseite. Ihr Kopf tat immer noch höllisch weh.
    Sie überlegte. Dann fasste sie einen Entschluss: „Lassen wir sie in dem Glauben. Ihr wisst, was das bedeutet?“
    Eindringlich schaute sie Jakob und Johanna an. Beide nickten. Sie konnten sich noch sehr gut an das Gespräch mit ihrem Vater erinnern.


    „Wahrscheinlich wollen sie was von Papa, nicht wahr?“ hinterfragte Jakob.
    „Das befürchte ich!“, nickte Gaby. „Also, ab jetzt ist es nur Onkel Chris für Euch. Denkt immer daran!“
    Sie lehnte sich an die Seitenwand des Van und breitete die Arme aus. „Kommt her! Alles wird gut. Keine Angst!“ Die Kinder setzten sich neben sie und Gaby legte die Arme um sie.
    ‚Hoffentlich!’ dachte sie besorgt bei sich.


    Die Fahrt dauerte nicht lange. Mit einer scharfen Bremsung kam das Auto circa fünfzehn Minuten später zu stehen.
    Türen knallten, als die Männer ausstiegen. Stimmen wurden laut. Männerstimmen. Einer war wohl wütend – er tobte regelrecht.
    Gaby versuchte zu verstehen, was gesprochen wurde. Doch sie schnappte nur Fragmente auf, mit denen sie nichts anfangen konnte.


    Schritte näherten sich der Seitentür. Ängstlich rückten die Kinder näher zusammen.
    Ermutigend flüsterte Gaby: „Keine Angst! Ich bin bei Euch!“
    Dabei hatte sie selber eine Heidenangst. Aber für die Kinder musste sie mutig sein.


    Die Tür wurde geöffnet und sie blinzelten gegen das Licht an. Eine raue Männerstimme erklang spöttisch: „Was für ein reizender Anblick! Bleibt so!“
    Mit einem Fotohandy schoss er ein Bild und warf es anschließend jemandem zu, den sie nicht sehen konnten. „Hier,… schick es an den Bullen. Das bekommst Du ja wohl noch hin, oder? Danach werd das Ding los und lass die Fahrzeuge verschwinden!"


    ‚War das nicht mein Handy?’ Gaby konnte nicht weiter über die Frage nachdenken, denn der Mann vor der Tür wandte sich ihnen wieder zu und machte eine ungeduldige Handbewegung.
    „Los! Raus mit Euch!“


    Sie mussten in ein anderes Fahrzeug umsteigen, das auf einer einsamen Landstrasse stand. Nichts in der näheren Umgebung zeigte ein besonderes Merkmal. Kaum waren die Türen verschlossen, legte der Fahrer den Gang rein und raste mit seiner ‚Ware’ davon.

  • Warum bekomme ich keine Feeds mehr? ?( ;(:( ;(
    Naja, trotzdem nochmal ein kleines Stück...
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    Borchert riss sich die Sturmhaube vom Kopf und schmiss sie wütend in sein Auto. Er blickte dem davonrasenden Wagen hinterher. Dann drehte er sich zu den anderen Männern um. Einen fixierte er mit seinem Blick und trat ganz nah an ihn heran.


    „Was ist da bei Euch schief gelaufen?“ brüllte er ihn an.
    „Die Frau hat sich heftig gewehrt… Und plötzlich war Ihr Mann wieder zurück... Sein Partner hatte mich schon fast… Ich konnte nur knapp entkommen…“, stammelte der Mann.


    „Zwei Männer werden mit einer Frau nicht fertig?“ Verachtung troff aus Borcherts Stimme. Dann machte er zwei Schritte zurück.
    „Sorry, aber Versager kann ich nicht gebrauchen!“ Ohne Vorwarnung zog er seinen Revolver und schoss ihm in die Brust. Tödlich getroffen fiel der Mann auf den Asphalt.
    Mit einem verächtlichen Lächeln steckte er die Waffe weg, deutete auf die Leiche und sagte zu den anderen Männern: „Räumt das weg!“
    Während die Männer den toten Körper in den Graben warfen, rief Borchert Lorenz an: „Wir haben ein kleines Problem…!“




    Chris klopfte an die offene Schlafzimmertür und lugte hinein.
    „Semir… Andrea… Wir sind fast fertig. Die meisten Kollegen sind bereits weg und die Spurensicherung packt nur noch ihr Zeug zusammen. Zwei Beamte bleiben zur Sicherheit fürs erste noch hier. Die Engelhardt hat auch schon einen Glaser organisiert, der Euch die Terrassentür repariert. Braucht Ihr sonst noch was? Die Chefin und ich fahren nämlich jetzt zurück zur PAST.“


    „Ich komme mit!“ Entschieden stand Semir auf. „Ich will dieses Schwein fassen!“
    Er schnappte seine Jacke, gab Andrea einen Kuss und ging entschlossen an Chris vorbei nach unten.


    Der schaute ihm verblüfft hinterher und wollte einen Einwand erheben, aber Andrea schüttelte leicht den Kopf.
    „Chris,… lass ihn! Hier hätte er keine Ruhe, würde wie ein gefangenes Tier herum laufen und uns alle verrückt machen.“
    „Aber was ist mit Dir?“ Besorgt schaute er sie an.


    „Ich bin OK… Ehrlich!“ fügte sie hinzu, als Chris sie skeptisch anblickte. „Ausserdem habe ich eine Freundin angerufen. Sie kommt gleich vorbei. Und mit den Beamten im Haus fühle ich mich sicher… Also, bitte,… lass Semir mitgehen.“ Flehend schaute sie ihn an.
    „Wenn Du meinst…!“ gab zögernd Chris zurück. Als Andrea nickte, wandte er sich zum Gehen.


    „Übrigens, Chris…“. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn. „Danke, das Du mich gerettet hast!“
    Verlegen lächelte Chris: „Hey, Nomen est Omen!“
    Andrea blickte ihn verdutzt an: „Was meinst Du?“
    Sein verlegendes Grinsen wurde noch breiter: „Der Name ‚Ritter’ verpflichtet. Es ist meine Bestimmung hübschen Frauen das Leben zu retten!“




    Auf der PAST herrschte inzwischen helle Aufregung. Der Überfall auf Semirs Frau hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Alle wollten helfen die Sache aufzuklären. Schließlich hatten die meisten von ihnen lange mit Andrea zusammen gearbeitet.


    Als Herzberger bei Chris anrief, um die Meldung mit dem Fahrzeug durchzugeben, erkundigte er sich, wie es ihr ging. Erleichtert hörte er, das alle wohlauf waren und sie sogar einen der Verbrecher dingfest gemacht haben.
    Als die Kollegen das hörten, kehrte wieder etwas Ruhe ein und sie gingen ihrer gewohnten Arbeit nach.


    Circa eine halbe Stunde später, die Engelhardt hatte gerade durch gegeben, das sie mit den Kollegen Gerkhan und Ritter zurück kommt, bekam Siggi, der am Funkgerät saß, eine seltsame Meldung. Verwirrt ging er zu Bonrath und Herzberger.
    „Sagt mal, ist Chris noch bei der Chefin?“
    „Ja… warum fragst Du?“


    Siggi schaute auf seinen Zettel. „Eine Funkstreife hat Chris’ Wagen mit eingeschlagener Scheibe in einem Industriegebiet nahe seiner Wohnung gefunden. Am Türrahmen war Blut und es gibt weitere Anzeichen für einen Kampf. Die Spurensicherung ist schon auf dem Weg dorthin.“


    Bonrath streckte die Hand aus. „Zeig mal her!“ Er überflog die Notiz. „Hier steht, als Zielort im Navi wird ein Parkhaus in der Kölner Innenstadt angezeigt.“
    Verwirrt schauten sich die drei an. Hotte zog fragend die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. Plötzlich lachte Bonrath laut auf. Irritiert richteten Siggi und Herzberger ihre Blicke auf ihn.


    „Ich wette, ich weiß was passiert ist!“ Er gluckste vor sich hin. „Wetten, dass Jugendliche den Wagen aufgebrochen haben, um damit eine Spritztour zu machen? Wahrscheinlich haben sie sich unterwegs in die Haare bekommen und sich gegenseitig die Rüben eingeschlagen.“


    Die beiden anderen Männer schauten sich erst skeptisch an, dann fingen sie an breit zu grinsen.
    „Möglich wär’s! Wenn das die Chefin erfährt, gibt es wieder ein Donnerwetter!“
    Schadenfreudig rieben sie sich ihre Hände.

  • Lorenz hatte die Nachricht relativ gefasst entgegen genommen. Das war zwar jetzt alles nicht so wie er es sich gedacht hatte, erfüllte aber auch seinen Zweck.
    „Hauptsache, alles weitere klappt so, wie wir es besprochen haben. Mach Dir mal ein paar Gedanken. Vielleicht findest Du ja noch eine andere Möglichkeit, an die Frau heran zu kommen. Dein Schaden soll es nicht sein, das weißt Du! Sobald ihr im Versteck seid, führt Teil zwei des Planes aus. Ich bleibe auf unserem Beobachtungsposten und genieße die Show!“


    Nachdem er das Gespräch beendet hatte, drehte er sich den Monitoren zu. Sein Techniker hatte ihm nicht zu viel versprochen. Die Bilder waren erstklassig und man konnte jedes Wort verstehen, was den Büroräumen der Dienststelle gesprochen wurde.
    „Und Du zeichnest auch wirklich alles auf?“ Sein Techniker, ein junger Mann mit dem spitzen Gesicht einer Ratte, nickte eifrig.
    Genüsslich zog Lorenz an seiner Zigarre: „Showtime!“





    Auf der PAST angekommen, holten sich Chris und Semir einen Kaffee und gingen zur Engelhardt ins Büro. Gemeinsam wollten sie überlegen, wie sie als nächstes vorgehen würden.


    Als sie eintraten, sah sich Anna gerade die Notizen durch, die man ihr während ihrer Abwesenheit auf den Tisch gelegt hatte. Bei einer Notiz stutze sie und legte die Stirn in Falten. Sie las sie noch mal durch. Bonrath hatte seine Vermutung Chris' Wagen betreffend in kleiner Schrift hinzu gefügt.
    Mit dem leichten Anflug eines Lächelns wandte sie sich an Chris.


    „Sie sind doch heute morgen mit dem Kollegen Gerkhan gefahren, stimmt’s?“
    „Ja,… warum?“ kam es zögerlich von Chris.
    „Tja,“ meinte sie leichthin, „wären Sie mit Ihrem Auto gefahren, wäre es vermutlich nicht geklaut worden.“
    Chris und Semir setzten sich augenblicklich aufrecht und sahen sich an. Bei beiden schrillten die Alarmglocken.


    Unruhig fragte Chris: „Wie meinen sie das?“
    „So wie es aussieht, haben Jugendliche die Seitenscheibe eingeschlagen und eine Spritztour gemacht. Weit sind sie aber nicht gekommen. Man hat Ihren Wagen in der Nähe ihrer Wohnung gefunden und…“
    Weiter kam sie nicht. Auf die Reaktion, die nun folgte, war sie beim besten Willen nicht gefasst!


    Während Semir aufsprang und den Zettel an sich nahm, fiel Chris’ Tasse mit lauten Scheppern hin. Er war leichenblass und starrte sie entsetzt an. In seinem Kopf rasten die Gedanken, aber er konnte keinen klaren fassen.


    Verdutzt fragte sie: „Was ist? Ist doch nur `ne kaputte Scheibe…“
    Semir unterbrach sie scharf: „Hier steht was von Blut!“
    Im selben Moment bereute er es. Chris riss ihm den Zettel aus der Hand, überflog ihn und wurde noch blasser.
    „Oh, mein Gott!“ flüsterte er geschockt. Die Worte auf dem Zettel verschwammen vor seinen Augen.


    Plötzlich… - ein hoffnungsvoller Gedanke! ‚Vielleicht hat es mit Gaby und den Kindern nichts zu tun… Vielleicht sitzen sie noch zu Hause… Vielleicht ist das alles passiert bevor sie losgekommen sind… Vielleicht sind es wirklich Jugendliche gewesen…!’


    Er sprang auf, wühlte in seiner Jackentasche und kramte sein Handy raus.
    „Wen rufst Du an?“ fragte Semir und schaute hinter Chris her, der auf dem Weg zur Tür war.
    Doch kaum war der ein paar Schritte gegangen, blieb er wie angewurzelt stehen und starrte auf das Handy in seiner Hand.


    Er hatte eine Nachricht von Gaby! Erleichterung glomm in seinen Augen auf.
    Hastig drückte er einige Knöpfe, um die Nachricht zu lesen. Dort stand nur: „Gotcha!“
    Irritiert registrierte er das Zeichen für einen Fotoanhang und öffnete die Datei.


    Auf das was er sah, war er nicht gefasst. Eine Woge des Entsetzens brandete über ihn. Er taumelte. Schnappte nach Luft.
    Augenblicklich war Semir bei ihm, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn.
    „Was ist los?“ fragte er eindringlich.
    Chris’ Augen waren vor Schreck geweitet. Er blickte Semir schmerzerfüllt an.
    „Sie haben sie!“ flüsterte er. Wie in Trance reichte er Semir das Handy.


    Auf dem Display waren Gaby und die Kinder zu erkennen, wie sie verängstigt in einer Ecke kauerten. Gabys Gesicht war blutverschmiert. Wo das Blut herkam, ließ sich nicht erkennen. Dafür war das Display zu klein.
    Semir schluckte und fluchte durch zusammengebissenen Zähnen: „Scheiße!“


    Annas scharfe Stimme riss beide in die Realität zurück. „Hätten Sie beide bitte die Güte mich aufzuklären? Was soll die ganze Aufregung?“
    Statt einer Antwort lief Chris plötzlich zur Tür, riss sie auf und rannte aus dem Gebäude.
    Semir wollte gerade hinterher, als ihn Anna anraunzte: „Semir! Was ist hier eigentlich los, verdammt noch mal?!“


    Semir blieb kurz stehen, hob beschwichtigend die Hände. „Bitte,... Chefin,… ich… wir erklären es ihnen nachher. Ich muss mich erst um meinen Partner kümmern!“
    Er drehte sich um und rannte hinter Chris her.


    „Semir!… Semir!…“ Ärgerlich rief Anna hinter ihm her. Als sie merkte, das es zwecklos war, knallte sie den Stift in ihrer Hand wütend auf den Tisch.
    Plötzlich bemerkte sie die angespannte Stille und schaute nach links. Alle Augen im Hauptbüro waren auf sie gerichtet. Sie ging zur Tür und mit einem: „Haben Sie nichts Besseres zu tun, meine Herren?“ schlug sie diese zu.
    Hastig machten sich alle wieder an ihre Arbeit.





    Semir fand Chris auf dem Parkplatz. Er rüttelte vergebens an der Wagentür des BMW. „Wo willst Du hin?“ fragte er ihn.
    „Ich will zum Tatort. Ich muss wissen was passiert ist… Ich…“ Verzweifelt fuhr sich Chris mit der rechten Hand durch die Haare. Ein Flehen lag in seinem Blick. „Bitte!“
    Semir nickte verständnisvoll: „Komm, ich fahr Dich hin.“
    Er öffnete den Wagen und binnen Sekunden waren sie vom Parkplatz verschwunden.





    Lorenz schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „Das war einmalig! Und das ist erst der Anfang! Ich freue mich schon auf den nächsten Part.“
    An das Rattengesicht gewandt sagte er froh gelaunt: „Los, mach eine Kopie von da an, wo sie das Büro betreten. Unser Freund soll auch seinen Spaß haben!“
    Kurze danach war eine DVD auf dem Weg zu Gehlens Anwalt.

  • Dieses Stück müsst Ihr Euch wieder übers Wochenende aufteilen. Ich fahre gleich mit meiner Kinder- + Jugendgruppe zu einem Aikido-Lehrgang auf die Wewelsburg. :baby:
    Wenn ich Sonntag Abend fit bin, gibt es den nächsten Teil. Bis dahin! :baby:
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    Zur gleichen Zeit hielt ein Auto bei einem verlassenen Gebäude. Drei vermummte Männer mit halbautomatischen Waffen kamen heraus und postierten sich. Der Fahrer stieg aus, zog sich die Maske ins Gesicht und öffnete die Tür.
    „Aussteigen! Wir sind da. Willkommen in Eurem neuen zu Hause für die nächsten Tage.“


    Gaby kletterte heraus, gefolgt von den Kindern. Sie blickte sich um.
    Als erstes fiel ihr auf der anderen Straßenseite ein Gebäude ins Auge, auf dem eine riesige ‚23’ in roter Farbe prangte. Dann schaute sie sich das Haus an, vor dem sie ausgestiegen waren. Es wirkte alt und verfallen. Über dem schäbigen Eingang hing eine zerbrochene Leuchtreklame. „Sunshine“ konnte sie gerade noch entziffern.
    Dann bekam sie einen Stoss in den Rücken. „Bewegung! Wir wollen hier keinen Wurzeln schlagen!“


    Sie wurden ins Haus und durch einen dunklen Schankraum geführt. Tische und Stühle waren an den Wänden entlang aufgestapelt. Einige kaputte Stühle lagen wild durcheinander in einer Ecke.
    ‚Sieht nach einer alten Kneipe aus’, vermutete Gaby in Gedanken.


    Durch eines der trüben Fenster konnte sie auf der rückwärtigen Seite eine Kirche erkennen. Hinter der Theke mussten sie durch eine Tür und dann eine steile Treppe nach unten gehen. Im Keller roch es muffig und nach altem, abgestandenen Bier.


    Am Ende des Ganges öffnete einer der Männer zwei gegenüber liegende Türen. Er deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf die Kinder.
    „Ihr hier rein!“, und schwenkte den Lauf nach links. Dann deutete er mit dem Kopf nach rechts und richtete den Lauf auf Gaby. „Du hier rein!“


    Johanna riss entsetzt die Augen auf. „Nein, bitte, ich will bei meiner… Mama bleiben. Bitte!“ Schluchzend klammerte sie sich an der Hand ihrer Tante fest.
    Auch die Jungen drängten sich zu ihr.


    Schützend legte Gaby ihre freie Hand um die Kinder. Sie schaute ihre Entführer an.
    „Bitte!… Wenigstens für eine kurze Zeit…. Die Kinder sind der Situation nicht gewachsen. Sie würden die ganze Zeit weinen… Bitte!… Wir tun auch was Sie sagen!“ Ihre Stimme zitterte.


    Die Männer wechselten Blicke untereinander. Dann sagte einer entschieden: „Ich habe keine Lust auf schreiende Gören. Von mir aus können sie erst zusammen in einen Raum. Aber,…“, sein Tonfall wurde bedrohlich, „wenn gleich der Boss kommt und der was anderes sagt, werdet ihr getrennt. Ist das klar?“


    Dankbar nickten alle und sie wurden in den linken Raum geführt. Hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss und ein Schlüssel wurde umgedreht. Einige Worte wurden gewechselt, die sie aber nicht verstanden, dann entfernten sich die Schritte.


    Sie blickten sich in dem länglichen, fensterlosen Raum um. Bis auf zwei Matratzen und Decken, die rechts von ihnen auf dem dreckigen Boden lagen, war der Raum leer. Von der Decke hing eine einzelne, schwache Glühbirne, die ein wenig Licht spendete.


    Sie setzten sich auf die Matratzen. Gaby nahm Johanna auf ihren Schoss und schaukelte sie sanft hin und her. Dabei sprach sie beruhigend auf sie ein.
    „Euer Vater holt uns ganz sicher hier heraus. Bestimmt setzt er gerade alle Hebel in Bewegung um uns zu retten. Versprochen!“


    Insgeheim sprach sie sich damit selber Mut zu. Im Inneren war sie verzweifelt und überlegte, wie sie hier wieder raus kommen könnten. Aber der Gedanke an die Männer mit den Waffen erschreckte sie. Nach einigen Minuten hörte das Mädchen auf zu weinen.


    Richard, der bis jetzt kein Wort gesagt hatte, kniete sich neben seine Mutter: „Mama, Dein ganzes Gesicht ist voller Blut und deine Wunde über dem Auge sieht nicht gut aus. Tut es sehr weh?“
    Dabei bewegte er die rechte Hand zu ihrem Gesicht. Abwehrend drehte Gaby den Kopf zur Seite und schlug seine Hand weg.
    „Nicht!“ sagte sie schärfer als sie beabsichtigte. Erschrocken zog Richard die Hand zurück.


    Sofort entschuldigte sie sich bei ihm. „Es tut mir leid! Ich wollte Dich nicht erschrecken.“ Sie streichelte ihm übers Gesicht. „Ja, ich habe Schmerzen. Ich befürchte sogar, das einige Glassplitter in der Wunde sind. Jedenfalls fühlt es sich so an... Aber macht Euch keine Sorgen. Das wird schon wieder.“
    Sie versuchte zuversichtlich zu klingen, obwohl ihr der Kopf fürchterlich weh tat. Dann saßen sie minutenlang schweigend da.


    Plötzlich waren Schritte zu hören. Jemand öffnete die Tür und trat in den Raum.
    „Sie da!“ Er zeigte auf Gaby. „Mitkommen!“


    Sie stand langsam auf, beugte sich noch einmal zu den Kindern und gab jedem einen Kuss auf die Stirn. „Bleibt ganz ruhig. Ich bin bestimmt gleich wieder da!“
    An Jakob gewandt sagte sie: „Pass auf die Kleinen auf.“ Dabei blickte sie im fest in die Augen. Der Junge legte seine Arme um Johanna und Richard und nickte ernst.
    Sie richtete sich auf, ging zur Tür hinaus und versuchte, sich nicht ihre Angst anmerken zu lassen.


    Sie wurde nach oben geführt. Man brachte sie in einen kleinen Raum, der früher wohl mal so was wie ein Büro gewesen war. Ein alter Schreibtisch, drei klapprige Stühle, ein Schrank dessen Türen schief in den Angeln hingen und ein paar vergilbte Bilder an der rückwärtigen Wand waren von der Einrichtung übrig geblieben.


    Sie musste sich auf einen der Stühle setzen. Nervös und ängstlich rieb sie sich die schweißnassen Hände an der Kleidung ab.
    Kurze Zeit später betrat ein Mann den Raum, gefolgt von einem anderen, der sofort herum wieselte und anfing etwas auf dem Schreibtisch aufzubauen.
    Gaby erinnerte sein Verhalten an eine Maus, die schnuppernd um ein Stück Käse läuft und nicht weiß, an welcher Ecke sie zuerst anbeißen soll. Die kleinen Knopfaugen, die durch die Sehschlitze der Maske zu erkennen waren, bestärkten sie in ihrem Bild, dass der Mann das Gesicht einer Maus hatte.


    Der erste Mann sprach sie an: „Ich hoffe, Sie sind mit ihrer Unterbringung zufrieden.“
    Gaby antwortete ihm nicht. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte plötzlich so ein Gefühl, als wäre ihre Kehle zugeschnürt.


    Ohne Vorwarnung holte der Mann aus und schlug sie mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Schlag traf sie so hart, das sie fast mit dem Stuhl nach hinten kippte. Vor Schreck und Schmerz schrie sie auf. Entsetzt blickte sie ihren Peiniger an, als sie merkte, das Blut aus ihrer Nase tropfte.


    Abwehrend hob sie die Hände, als der Mann einen Schritt auf sie zutat. Grob packte er ihre langen Haare, riss ihren Kopf nach hinten und zwang sie so ihn anzuschauen. Sie zitterte am ganzen Leib.


    „Um mal eins klar zu stellen: Ich bin hier der Boss! Und wenn ich eine Frage stelle, erwarte ich auch eine Antwort.“ Er zischte die Worte wütend aus. „Und wer nicht hören kann, muss fühlen. Haben wir beide uns jetzt verstanden?“
    Etwas in seinen Augen funkelte gefährlich auf und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Gaby nickte langsam. In ihr stieg Panik hoch.
    Der Mann ließ sie los und trotz der Maske konnte man hören das er lächelte, als er im zufriedenen Ton sagte: „Na also, geht doch!“


    Er drehte sich zu dem Mann am Schreibtisch. „Wie weit bist Du?“ fragte er.
    „Fast fertig. Gib mir noch zwei, drei Minuten.“


    Obwohl voller Angst, wagte es Gaby einen Blick in die Richtung zu werfen und erkannte…
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    Na, dann ratet mal! Was vermutet Ihr? ?( Schönes Wochenende!! :P

  • So, hier kommt die Auflösung... :)
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    ‚Eine Kamera!’
    Schnell überlegte sie. Eine Idee keimte in ihr auf. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken: ‚Das könnte klappen… Ich muss es nur richtig anstellen… Hoffentlich merken die nichts!… Der Kerl bringt mich dann wahrscheinlich um!… Die bringen uns alle um!’


    Trotz ihrer panischen Angst entschloss sie sich es zu versuchen. ‚Ich muss es wagen!… Chris wird es hoffentlich erkennen. Vertrauen, denk an Vertrauen!’
    Sofort hatte sie etwas Hoffnung; hoffte aber, dass man es ihr nicht ansah.


    Sie senkte den Kopf. Mit zittrigen Händen versuchte sie das Blut von ihrer Nase zu wischen. Doch sie merkte, das sie es nur noch schlimmer machte. Ihr fiel das Taschentuch ein, welches in ihrer Hosentasche war und suchte danach.


    Der Typ, der sie aus dem Keller geholt hatte und nun als Wache an der Tür stand, sah ihre Bewegung. Er riss seine Waffe aus dem Holster, richte sie auf sie und schrie: „Hey, was machen Sie da?“
    Gaby nahm erschrocken ihre Hände hoch und stammelte: „Ich wollte… mein Taschentuch… Mir das… Gesicht reinigen.“


    Derjenige, der sich als der Boss bezeichnet hatte, kam mit einem großen Schritt auf sie zu.
    Gaby wappnete sich gegen einen weiteren Schlag. Sie hielt ihre Hände zum Schutz vors Gesicht, zog den Kopf ein und schloss die Augen.
    Doch nichts passierte. Statt dessen spürt sie seinen Atem an ihrem Ohr.


    Vorsichtig öffnete sie die Augen und nahm die Hände etwas herunter. Der Kerl hatte sich zu ihr nach vorne gebeugt und betrachtete sie nun eingiebig. Dabei konnte sie in seine eisblauen Augen blicken. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
    Vielleicht war es ihre Angst, aber in diesen Augen erkannte sie nur Härte und Gnadenlosigkeit. Unbewusst hielt sie die Luft an.


    „Dein Gesicht ist so, wie es ist, perfekt. Dann weiß Dein Mann gleich, das mit uns nicht zu spaßen ist.“
    „Meinen Mann?“ Sie hatte es geahnt, trotzdem konnte sie das Erstaunen in ihrer Stimme nicht verbergen. „ Mein Mann ist tot. Sie meinen wohl meinen Bruder!“
    Die Augen vor ihr wurden leicht zusammen gekniffen. Die Stimme hinter der Maske zischte gefährlich: „Bruder?… Dieser Chris Ritter ist Ihr Bruder?“


    Zaghaft nickte Gaby.
    „Und die Kinder?“ kam die bedrohliche Frage.
    Unweigerlich musste sie schlucken. Ein Schluchzen bahnte sich durch ihre Brust nach oben und Tränen stiegen ihr in die Augen.
    „Das sind meine!… Bitte, tun Sie ihnen nichts!… Wir wollten hier doch nur die Ferien verbringen.“


    Einen Moment lang blieben diese eiskalten Augen auf sie gerichtet, dann, mit einem Ruck, richtete sich der Mann auf.
    Mit der geballten Faust drohte er ihr: „Ich warne Sie! Wenn ich raus kriege, das Sie hier mit mir ein Spielchen treiben, werden Sie es bitter bereuen. Dann wird es mir ein großes Vergnügen sein, mir Ihre Kinder vorzunehmen.“
    Gabys Augen weiteten sich vor Angst als sie zur Bestätigung nickte.


    Der Mann hinter der Kamera räusperte sich: „Ich wäre dann so weit.“
    „Gut. Wo ist der Zettel?“
    Seinen Blick immer noch auf Gaby geheftet, streckte er seinen Arm nach hinten. Sofort wurde ihm ein Blatt Papier in die Hand gegeben.


    Er gab es ihr. „Das liest Du jetzt vor. Und keine Tricks!“
    Dann trat er hinter den Schreibtisch, um nicht im Bild zu sein. Augenblicklich leuchtete eine rote Lampe an der Kamera auf.


    Mit zitternden Händen nahm Gaby das Papier entgegen und warf einen Blick darauf. Ihr stockte der Atem, als sie realisierte um was es sich bei der ganzen Sache handelte.
    „Das können Sie nicht von meinem Bruder und seinem Partner verlangen“, stieß sie ohne Nachdenken mit leiser Stimme hervor. „Das kann nicht Ihr Ernst sein… Das kann ich nicht tun…“


    Weiter kam sie nicht. Mit einem Satz über den Tisch stand plötzlich der Schläger vor ihr und drückte ihr die Kehle zu. Er schäumte vor Wut.


    „Wenn Du jetzt nicht sofort anfängst zu lesen, werde ich mir eins von Deinen Scheißgören holen! Eigentlich sollte hier auch noch die Frau des anderen Polizisten neben Dir sitzen. Doch leider haben meine Männer Bockmist gebaut. Daher musst Du allein herhalten... Und Du scheinst es immer noch nicht zu kapieren!... Ich dulde keine Widerrede!“
    Beim letzten Satz betonte er jedes Wort, schüttelte sie heftig und drückte noch fester zu. Er holte schwer atmend Luft, brüllte plötzlich: „Und jetzt lies!!“
    Dann ließ er von ihr ab.


    Gaby holte hustend Luft und hielt sich mit der linken Hand den Hals. Ihre Augen waren blutunterlaufen und tränten.
    Das Entsetzen, was sich auf ihrem Gesicht spiegelte, gab nicht annähernd das wieder, was sich in ihrem Inneren abspielte. Jetzt wusste sie, dass sie das Ganze nicht überleben würden.
    Sie hatte es in diesen kalten Augen gelesen! Wenn das hier vorbei war, würde der Kerl sie alle töten!
    Sie musste etwas tun, damit sie und die Kinder wenigstens den Hauch einer Chance hatten. Sie hatte eine Heidenangst, aber sie musste es riskieren.
    Am ganzen Leib zitternd und mit schluchzender Stimme fing sie stockend an zu lesen…


    Dabei gingen ihre bebenden Hände oft zum Gesicht, als ob sie sich das Blut oder eine Träne wegwischen wollte. Mal glitt ihr Daumen neben der Nase herunter, mal berührte sie mit schmerzerfüllten Gesicht die Wunde oberhalb des Auges und spreizte die Finger. Sie bewegte ihre Hände die meiste Zeit nervös umher.


    Nach knapp zwei Minuten war sie fertig. Sofort schaltete der Kameramann das Gerät aus, nahm es vom Stativ und verließ den Raum. Der andere Mann ging zu Gaby, nahm ihr den Zettel ab und strich ihr in einer fast zärtlichen Geste über den Rücken.
    „Das war doch jetzt nicht so schwer, oder?“


    Gaby schüttelte leicht den Kopf und unterdrückte ein Schluchzen.
    Der Mann deutete dem Wachposten mit einer Kopfbewegung an, das er sie wieder in den Keller bringen sollte.


    Kaum waren sie außer Sichtweite, nahm Borchert die Maske ab und legte sie mit einer fast feierlichen Bewegung auf den Schreibtisch. Er holte tief Luft.
    Manchmal hasste er es, wenn er so die Kontrolle über sich verlor. Aber… auf der anderen Seite genoss er es, die Panik in den Augen seiner Opfer zu sehen.
    Und gerade hatte er einen Hochgenuss erlebt! Befriedigt schloss er die Augen und schwelgte in der Erinnerung...

  • Der BMW stand noch nicht, da öffnete Chris bereits die Tür und sprang hinaus. Er bahnte sich einen Weg durch die Schaulustigen, zeigte einem Beamten seinen Ausweis und bückte sich unter der Absperrung hindurch.


    Er vermied es in die Richtung zu schauen, in der das Auto stand. Aus dem Augenwinkel registrierte er, wie ein Techniker Proben aus dem Innenraum nahm und in einer Skizze etwas notierte.
    Sein suchender Blick fand Hartmut, der gerade Fotos machte und anschließend etwas vom Boden aufhob, um es einzutüten. Mit langen Schritten ging er zu ihm. „Kannst Du mir schon irgend etwas sagen?“


    Erstaunt hob Hartmut den Kopf. „Oh, hallo Chris! Willst Dir wohl den Schaden an Deinem Auto anschauen?!“ Er deutete mit seinem Oberkörper in die entsprechende Richtung.
    „Nein. Ich will von Dir wissen, was hier passiert ist!“ Chris Stimme klang ärgerlich.


    Hartmut schluckte. ‚Was ist dem denn jetzt schon wieder über die Leber gelaufen?’ Laut sagte er: „Hey, Jungs… das kann ich Euch das erst sagen, wenn ich alle Spuren ausgewertet habe. Das wisst Ihr doch!“


    Semir, der inzwischen dazu gekommen war, hob beschwichtigend eine Hand. „Ja, ja, schon klar! Aber inoffiziell,… was kannst Du uns da sagen?“
    Hartmut blickte von einem zum anderen. Etwas stimmte nicht, das sagte ihm sein Instinkt. Er sah aber auch, das er von den Beiden nichts erfahren würde und seufzte. „Also gut. Ein paar Spuren sind schon recht seltsam.“


    „Seltsam? Wieso?“ In Chris’ Gesicht zeigte sich Ungeduld.
    „Nun ja, dem ersten Anschein nach hat hier ganz eindeutig ein Überfall statt gefunden. Es gibt Spuren von zwei verschiedene Autos, die den Mercedes ausbremsten... Die Scheibe wurde eingeschlagen, denn die meisten Scherben befinden sich im Wageninneren… Vermutlich wurde dabei der Fahrer verletzt, da sich nur Blut auf dieser Seite des Wagens finden lässt.“
    Jede seiner Erläuterungen unterstrich er mit einer großen Handbewegung.


    „Weißt Du schon, von wem das Blut stammt?“ fragte Semir.
    Hartmut verdrehte die Augen: „Nein, natürlich nicht! Du weißt, das dauert ein paar Stunden. Aber eine Probe davon ist schon auf dem Weg zum Labor.“


    Chris hatte bei der Schilderung die Augen geschlossen und die Stirn in tiefe Falten gelegt. Noch immer wehrte er sich innerlich dagegen, das Auto näher anzuschauen. Er wollte nicht der Tatsache ins Auge schauen, das dies wirklich passiert war.


    Er holte tief Luft, blickte Hartmut ärgerlich an.
    „Nun komm, Du wolltest uns erzählen was sonderbar ist!“ Chris wurde immer ungeduldiger und hob fragend die Hände. „Jetzt lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen, Herr Gott nochmal!“ Er wurde immer lauter.


    Hartmut wich unbewusst einen Schritt zurück. „Sonderbar?... Ach ja... das...“, haspelte er. „Dein…ähm… dein Wagen wurde nicht kurzgeschlossen, der Schlüssel steckte im Schloss… Ähm… ausserdem wir haben noch einige Handys, einen kleinen Rucksack und eine Handtasche gefunden, sowie...“


    „Wo sind die Sachen?“ unterbrach ihn Chris ruppig und blickte sich suchend um.
    „Dort drüben, im Wagen der Spurensicherung.“ Hartmut zeigte in die Richtung. „Aber..“
    Ohne den Einwand abzuwarten marschierte Chris zur anderen Straßenseite.


    „Semir, was ist hier los?“ fragte Hartmut mit hochgezogenen Augenbrauen.
    Semir, der besorgt hinter Chris herblickte, fasste einen Entschluss.
    „Komm mit! Chris braucht dringend unsere Hilfe!… Ich erkläre es Dir gleich!“, fügte er hinzu, als Hartmut zu einer Frage ansetzen wollte.


    Als sie bei Chris ankamen, hielt er eine Tüte in der Hand, in der die Handys zu sehen waren. Chris schloss die Augen und versuchte sich zu beherrschen. Am liebsten hätte er seinen innerlichen Schmerz hinausgeschrieen. Er spürte eine Hand auf seinem Arm.


    „Alles klar, Partner?“ hörte er Semirs besorgte Stimme.
    „Nein!“ Chris schüttelte den Kopf. „Es sind ihre Handys!“ stieß er mühsam hervor.
    „Bist Du Dir sicher? Ich meine die Dinger sehen doch irgendwie alle gleich aus.“


    Statt einer Antwort holte Chris sein eigenes Handy hervor und drückte eine Nummer im Kurzwahlspeicher. Drei, vier Sekunden später ertönte eine Melodie aus der Tüte. Er hielt sie Semir so hin, das er sehen konnte, was auf dem Display zu lesen war: „Papa ruft an!“.
    Chris schaltete ab, legte die Tüte zurück, zeigte auf eine andere und sagte mit versagender Stimme: „Gabys Handtasche.“


    Plötzlich schlug er mit der flachen Hand wütend gegen das Auto, drehte sich um und ließ sich mit dem Rücken dagegen lehnend auf den Boden gleiten. Er nahm seinen Kopf in beide Hände und versuchte sich zu beruhigen.
    In seinem Innern fand gewaltiger Kampf statt, bei dem sich Wut und Schuldgefühle abwechselten.


    Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf: ‚Sie hätten nicht herkommen dürfen. Es ist allein Deine Schuld. Du hättest sie beschützen müssen. Warum hast Du nicht auf Dein Bauchgefühl gehört? Du hättest es verhindern können!’


    Er bemerkte, wie sich Semir neben ihn hockte und eine Hand auf seine Schulter legte. „Chris, bitte, beruhige Dich. Wir finden sie. Ganz bestimmt!“
    Langsam hob er den Kopf und sah seinen Partner verzweifelt an. „Wer tut so was? Ich meine, die haben doch niemandem etwas getan.“


    Semir drückte seine Schulter und meinte mit ernster Miene: „Ich weiß es nicht. Lass es uns herausfinden.“
    Dann stand er auf und reichte ihm die Hand. „Komm, Hartmut wird uns helfen.“ Hartmut, der zwar gar nichts verstand, nickte zustimmend.


    Fünf Minuten später hatten Chris und Semir ihm die Situation erklärt. Sie zeigten ihm das Bild auf Chris’ Handy, welches er sich sofort auf sein Laptop kopierte („Vielleicht kann ich was im Hintergrund erkennen!“).


    Zuerst wusste er nicht, was er sagen sollte, dann meinte er ernst: „Jungs… sobald ich was heraus finde, seit Ihr die ersten, die es erfahren! Versprochen!“
    Mit Feuereifer warf er sich in die Arbeit und trieb seine Leute an sich zu beeilen.


    Semir und Chris fuhren zurück zur PAST. Sie mussten mit der Chefin reden…

  • Gaby stand vor einem fast blinden Spiegel und untersuchte mit zittrigen Fingern ihre Wunde über dem Auge. Noch immer bebte sie am ganzen Körper.
    Als man sie in den Keller zurück bringen wollte, hatte sie darum gebeten, auf die Toilette gehen zu dürfen. Ihr Bewacher hatte sie hin geführt und sie musste sogar die Türen offen lassen, damit er sie im Auge behalten konnte.
    Noch nie hatte sie sich so erniedrigt gefühlt!


    Mit dem rostigen Wasser, was aus der alten Leitung kam, wusch sie sich so weit es ging das Blut aus dem Gesicht.
    ‚Wahrscheinlich sterbe ich jetzt eher an einer Blutvergiftung als an einer Kugel’, dachte sie sarkastisch.
    Langsam beruhigte sie sich etwas.


    Sie wandte sich wieder der Wunde zu. Sie gefiel ihr gar nicht. Das Gewebe rundherum war dunkelrot, angeschwollen und fühlte sich heiß an. Die kleinste Berührung tat höllisch weh.
    ‚Scheint eine mächtige Entzündung zu geben.’ Besorgt ertastete sie zwei, drei harte Gegenstände unter der Kruste. ‚Wie ich vermutet habe… Glassplitter!’


    Bevor sie sich jedoch weitere Gedanken mache konnte, wurde sie zurück in den Keller gebracht. Die Kinder umringten sie sofort; wollten wissen, wo sie war. Sie wich den Fragen aus und versuchte die Kinder durch kleine Spiele abzulenken.
    Die nächsten Stunden zogen sich ewig hin…





    Seit Minuten lief Lorenz ungeduldig in dem kleinen Raum hin und her und schaute in regelmäßigen Abständen auf die Uhr.
    „Warum ruft der nicht an?“ fauchte er immer wieder. „Hat er es jetzt auch versaut?“


    Das Rattengesicht verdrehte von Lorenz ungesehen die Augen. Er hatte ihm schon vor einer halben Stunde erklärt, dass das was er wollte, seine Zeit brauchte.
    Er beobachtete seine Monitoren.


    Im Büro dieser Engelhardt klingelte das Telefon. Er konnte hören wie sie jemandem am anderen Ende der Leitung einige Fragen stellte. Zwischendurch schrieb sie sich Notizen auf einen Zettel.
    Nach einer Minute legte sie auf und rief die Sekretärin herein. Er hörte, wie sie ihr die Anweisung gab, etwas über einen Volker Klein heraus zu finden.


    Als Lorenz den Namen vernahm, fluchte er. Mit einem ungeduldigen: „Jetzt reicht es mir!“ griff er zum Telefon.
    Als Borchert sich meldete, legte er gleich los: „Wolltest Du mich nicht anrufen?… Ach, gleich? Gut!… Wann kommt das Päckchen an?… Gut, wir sind bereit… Noch was, die Bullen haben den Namen des Versagers heraus bekommen. Sorg dafür, das sie nichts mehr von ihm erfahren können… Im Marienhospital… Ja, gut… Bis dann!“
    Mit einem gemeinen Grinsen lächelte er das Rattengesicht an: „In einer guten halben Stunde kommt das Päckchen an. Das darf ich auf keinen Fall verpassen!“





    Alle Köpfe drehten sich zu Semir und Chris, als sie die PAST betraten. Die beiden Männer versuchten die fragenden Blicke zu ignorieren.
    Als die Chefin die beiden kommen sah, ging sie zur Tür, riss sie auf und wollte gerade zu einer Standpauke ansetzen, als ihr die Worte im Halse stecken blieben.
    Die Gesichter von Semir und Chris sprachen Bände. Irgend etwas war passiert.


    Wortlos trat sie beiseite und ließ sie in ihr Büro. Sie schloss sogar die Jalousien. Irgendwie ahnte sie, dass das was jetzt kam, nicht für jeden bestimmt war.
    Die Männer setzten sich auf die kleine Couch, während sie im Sessel Platz nahm. Sie studierte ihre Gesichter einen Moment lang: Semir sah besorgt aus und Chris schaute mit scheinbar leerem Blick aus dem Fenster.


    Dann ergriff sie das Wort: „Können Sie mir jetzt sagen, was das eben sollte?“
    Keiner sagte etwas; sie schienen mit ihren Gedanken weit weg.
    Zuerst hob Semir zum Sprechen an: „Chefin, wir…“ Er wusste nicht wie er anfangen sollte und verstummte wieder.
    Es herrschte eine gespenstische Ruhe im Raum.


    ‚Die Ruhe vor dem Sturm?’, fragte sich Anna gerade.
    „Jemand hat meine Schwester mitsamt den Kindern entführt!“ Chris’ Stimme war hart wie ein Peitschenknall. Anna zuckte unwillkürlich zusammen.


    Er holte sein Handy hervor, zeigte ihr das Bild und fuhr fort: „Und ich vermute, das die versuchte Entführung von Andrea heute morgen damit im Zusammenhang steht. Da will uns jemand mundtot machen!… Ich kann mir auch schon denken wer…“


    Anna schüttelte verwirrt den Kopf und hob die Hände: „Halt! Stop!… Bitte der Reihe nach…“
    Sie schaute ihn erstaunt an und zeigte auf das Display: „Sie haben eine Schwester?“


    Chris nickte stumm, stand auf und ging zum Fenster. Wie oft hatte er sich in den letzten Wochen in Gedanken ausgemalt, wie dieses Gespräch ablaufen könnte. Doch jetzt wo er damit konfrontiert wurde, versagte ihm die Stimme.


    Semir sah zu Chris. Mit befremdlichen Erstaunen hatte er registriert, dass Chris nicht erwähnte, das zwei der Kinder seine eigenen waren. Er konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, aber wenn Chris seine Gründe dafür hatte, würde er sie respektieren. Er beschloss, dieses Detail erst einmal für sich zu behalten und musterte seinen Partner.
    Der stand da, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf; die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt.


    ‚Was würde ich wohl gerade tun, wenn diese Kerle Andrea jetzt in ihrer Gewalt hätten?’ seufzte er in Gedanken, dann ergriff er das Wort:
    „Chefin,… Ich habe seine Schwester vor zwei Wochen kennen gelernt, als wir den Gefangenen nach Hamburg gebracht haben. Sie heißt Gaby und wollte mit den drei Kindern die Ferien hier verbringen.“


    „Aber wieso haben Sie nie etwas von ihnen erzählt?“ wandte sich Anna an Chris.
    „Ich hatte meine Gründe!“ kam es knapp zurück.


    Er fing an im Büro herumzutigern. Plötzlich drehte er sich zu Semir um: „Weißt Du jetzt was ich meine? Genau hiervor habe ich sie immer beschützen wollen!“
    Chris’ Stimme klang verbittert. „Ihr alle mit Eurem Vertrauen. ‚Hab Vertrauen!’… Ha… das ich nicht lache. Ich hab immer gesagt, dass das nicht gut ist. Und jetzt?… Jetzt haben wir die Bescherung!… Und was machen wir?“
    Er riss in einer hilflosen Geste die Hände aus den Taschen, breitete sie fragend aus und wurde immer lauter, als er weiter sprach: „Nichts!… Wir sitzen hier und tun nichts! Wir sollten da draußen sein und sie suchen!“


    Er richtete sein Augenmerk auf Anna: „Haben wir schon etwas von dem Gefangenen aus Semirs Haus erfahren?“
    Die Chefin schüttelte den Kopf: „Nein, er wurde operiert. Sobald er vernehmungsfähig ist, bekommen wir Bescheid.“


    „Was ist mit seinem Hintergrund? Haben wir etwas über ihn im Computer? Haben wir überhaupt einen Namen?“ fragte er gereizt.
    Anna versuchte seinen aggressiven Ton zu überhören und antwortete ruhig: „Sein Name ist Volker Klein. Susanne ist an der Sache dran.“


    Chris schnaubte wütend: „Toll! Und mehr haben wir nicht? Klasse!“
    Er lief wieder durchs Büro. „Wir wissen doch, wer hinter all dem steckt. Warum gehen wir nicht zu ihm und setzen ihn unter Druck?“


    Semir, der bis jetzt ruhig war, setzte sich auf: „Wen meinst Du?… Gehlen?“
    „AH…Der Kandidat hat hundert Punkte!“ Chris konnte seinen Sarkasmus nicht verbergen. „Denk doch mal nach? Da kann nur Gehlen hinter stecken.“
    Chris wurde immer zorniger. „Warum gehen wir ihn nicht fragen?“


    Anna stand auf, machte einen Schritt auf Chris zu: „Bitte, Herr Ritter! Beruhigen Sie sich.“
    In den Augen von Chris loderte Wut auf: „Beruhigen? Ich soll mich beruhigen? Haben Sie nicht das Foto gesehen?“ Er schrie fast.


    Semir sprang auf, ging zu Chris und berührte ihn am Oberarm. „Chris, bitte…“
    Doch Chris war jetzt in Rage und war nicht mehr für vernünftige Argumente zugänglich. Er schüttelte wütend Semirs Hand ab und hob drohend den Zeigefinger. Seine Nasenflügel bebten.
    „Fass mich nicht an!“ zischte er gefährlich.


    Semir wich etwas zurück, blickte seinen Partner erschrocken an. Dann wurde er auch wütend: „Jetzt reiß Dich mal zusammen! Wenn Du hier ausrastest ist niemandem geholfen.“
    „Du hast gut reden… Die haben ja auch nicht Deine Familie! Sondern meine!… Meine!“ Beim letzten Wort schlug sich Chris mit der rechten Hand auf die Brust. Dabei beugte er sich nach vorne und brachte sein Gesicht auf die gleiche Höhe wie Semirs. Provokativ starrte er ihn an.


    Genau darauf war Chris aus gewesen: Konfrontation… eine Gelegenheit, um seinem inneren Druck ein Ventil zu verschaffen!
    Er wusste genau: sagt Semir jetzt nur ein falschen Wort, wäre es um seine Beherrschung endgültig geschehen. Und darauf hoffte er insgeheim! Denn er wollte sich nicht mehr beherrschen,… er wollte seine ganze Wut und seinen ganzen Frust rauslassen!
    Die Spannung im Raum war zum reißen gespannt...

  • Hier Eure versprochene Belohnung!
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    Semir hielt dem Blick stand. Auch er war zornig, konnte aber nachvollziehen, was gerade in Chris vorging. Nach einigen Augenblicken entspannte sich sein Gesicht und nahm einen Ausdruck von Mitgefühl an.


    Mit leiser, sanfter Stimme sprach er: „Ich weiß, Chris,… ich weiß. Und glaub mir… ich mache mir bestimmt genau so viele Sorgen wie Du!… Ich kenne sie ja noch nicht lange, aber sie sind mir wirklich ans Herz gewachsen. Vor allem die kleine Johanna… Ich werde alles tun, um sie zu befreien. Versprochen!“
    Einige Sekunden verharrten sie so. Anna hielt die Luft an und wartete angespannt.


    Chris blinzelte. Das hatte er nicht erwartet!
    Er wendete sich abrupt ab und holte tief Luft. Mit fahrigen Händen fuhr er sich durchs Haar.
    Er war verwirrt, wusste nicht mehr, was er denken sollte...
    Spürte die Blicke von Semir und der Chefin in seinem Rücken...
    Spürte die Blicke der Kollegen draußen im Büro...
    Meinte sie tuscheln zu hören...
    Er musste hier raus...
    Fühlte sich plötzlich eingesperrt...
    „Ich brauche frische Luft!“ stieß er gepresst hervor und wollte zur Tür.


    Doch Semir versperrte ihm den Weg und mit einem besorgten Blick sagte er eindringlich: „Chris, bitte… renn nicht wieder weg. Wir sind hier um Dir zu helfen!… Und wir werden Dich bestimmt nicht im Stich lassen bei dieser Angelegenheit!… Ausserdem habe ich mit den Kerlen auch noch eine Rechnung offen. Niemand greift ungeschoren meine Familie an!… Lass uns das gemeinsam durchstehen… Bitte!“


    Anna ergriff das Wort: „Semir hat Recht! Allein schaffen Sie das nicht und wir alle werden unser Möglichstes tun. Das verspreche ich Ihnen!“
    Chris senkte einen Augenblick den Kopf, schloss die Augen, dann nickte er langsam.
    „Danke!“ Er flüsterte fast. „Und es tut mir leid. Ich wollte nicht… Es ist nur…“


    Anna und Semir sahen sich erleichtert an.
    Milde blickte Semir Chris mit schräg gelegtem Kopf an. „Schon gut! Ich würde genauso reagieren, wenn ich in Deiner Situation wäre.“
    Ernster meinte er: „So,… Du nimmst also an, das Gehlen dahinter steckt?“


    Mit seiner rechten Hand strich sich Chris über das Gesicht und rieb sich kurz die Augen. Er versuchte seine Gedanken zu sortieren, dann nickte er entschlossen: „Ja. Überleg doch mal… Kurz bevor wir eine für ihn belastende Aussage machen, werden unsere Familien angegriffen. Damit wollen die uns einschüchtern!“


    „Aber warum haben die sich noch nicht bei uns gemeldet?“ wollte Semir wissen.
    „Und wer sind diese Leute? Ich dachte, man hätte damals Gehlens kompletten Ring hochgenommen“, gab Anna zu bedenken.


    Chris machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich habe der Staatsanwaltschaft wiederholt gesagt, dass sie sich da nicht sicher sein können. Gehlens Ring war riesig! Viele seine Hintermänner habe ich gar nicht kennen gelernt. Einige kenne ich nur vom sehen.“
    Er dachte kurz nach. „Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich einige Erkundigungen einziehen. Ein paar Kontakte habe ich noch. Vielleicht können die mir helfen.“


    Anna nickte erleichtert. „Das ist eine gute Idee. Versuchen sie es!“ Ermunternd lächelte sie ihm zu. „Ich informiere jetzt die Kollegen. Sie sollen die Augen aufhalten. Vielleicht erfährt der eine oder andere etwas.“


    Ohne ein weiteres Wort verließ Chris den Raum und ging an seinen Schreibtisch.
    Anna atmete erleichtert auf. ‚Das wird ihn ablenken. Wer weiß, vielleicht hat er ja auch noch Glück!’
    An Semir gewandt sagte sie: „Bleiben Sie in seiner Nähe. Ich möchte nicht, das er was Dummes anstellt.“


    Semir, der noch immer hinter Chris herblickte, meinte ernst: „Ich werde es versuchen. Aber so wie ich ihn einschätze, lässt er sich im Moment durch nichts aufhalten.“ Dann folgte er ihm.





    Solche Jobs hasste er. Kunden mit Extrawünschen! Sie waren ihm ein Dorn im Auge.
    Und dieser Kunde hatte eine Menge Extrawünsche. Sonst würde er bestimmt nicht so viel springen lassen. Und wenn er das Geld nicht dringend bräuchte, hätte er dem Kunden gesagt, er solle doch sein doofes Päckchen mit der Post schicken.
    So wichtig, wie er tat, konnte es gar nicht sein. Dafür sah der Kerl zu gewöhnlich aus.


    Thomas Abel meinte nämlich die Menschen aufgrund seines Jobs als Kurierfahrer gut einschätzen zu können.
    Doch wie immer hatte er zwar in Gedanken viel Mut, aber wenn es drauf ankam kuschte er. Widerwillig nahm er den Auftrag an.


    ‚Toll! Raus auf die Autobahn zu einer abgewrackten Dienststelle. Ich hasste Polizisten!’
    Seine Erfahrungen mit denen waren nicht die besten. Die konnten einfach nicht verstehen, worauf es bei seinem Job ankam. Nämlich auf Schnelligkeit!
    Er schrieb denen doch auch nicht vor wie sie ihren Job zu erledigen hatten.
    Missmutig machte er sich auf den Weg.

  • Ein extra langes Stück zur Wiedergutmachung!
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    Nachdem sich die meisten Polizisten und Susanne im Besprechungsraum versammelt hatten, setze Anna Engelhardt sie ins Bild: „Was ich Ihnen jetzt mitteile, bleibt fürs Erste unter uns. Verstanden?“ Alle Anwesenden nickte.


    „Im Moment kann ich Ihnen nicht allzu viel sagen. Nur schon einmal folgendes: Der Überfall auf Andrea heute morgen war wohl eine versuchte Entführung. Denn die Schwester von Herrn Ritter ist allem Anschein nach mit ihren Kindern entführt worden.“


    Ein Raunen durchlief den Raum. Sie sah, wie sich alle fragend anblickten.
    Mit einem lauten Räuspern verschaffte sie sich wieder Gehör.


    „Bevor Sie fragen: Ich habe auch erst heute erfahren, das der Kollege Ritter eine Schwester hat. Seine Gründe, nicht von ihr zu erzählen, werde ich im Moment noch nicht hinterfragen. Ich kann mir zwar denken warum, aber Kollege Ritters Wunsch müssen wir zur Zeit respektieren! Wie dem auch sei: Wie Sie sich vorstellen können, steht er im Moment unter starker Anspannung. Daher meine Bitte an Sie: Halten Sie ihm so weit das möglich ist den Rücken frei. Unterstützen Sie ihn, wenn er Ihre Hilfe braucht. Aber bitte,… stellen Sie ihm keine weiteren Fragen. Ich habe es ihm versprochen.“


    Anna verteilte Blätter, auf denen ein Bild mit Gaby und den Kindern zu sehen war. Chris hatte es ihr kurz vor der Besprechung gegeben, nachdem sie ihn darum gebeten hatte.
    Wie sich herausstellte, hatte er immer ein Bild von ihnen in seinem Spind. Nur das er seins nicht offen hineinhängte, sondern es in der hintersten Ecke versteckt hielt. Seine Beweggründe hatte sie nicht weiter hinterfragt.


    „Ich möchte Sie nur bitten, Ihre Augen offen zu halten. Wenn Sie irgend etwas ungewöhnliches hören oder sehen, teilen Sie es mir bitte mit. Fragen Sie Ihre Informanten, ob sie etwas wissen. Jeder noch so kleine Hinweis kann wichtig sein.“


    Als weitere Fragen geklärt waren, verließen die Kollegen schweigend den Raum. Einige warfen verstohlene Blicke zum Büro von Chris und Semir, machten sich aber sofort an ihre Arbeit.
    Susanne ging zu ihrem Schreitisch und machte Druck bei der Akte von diesem Volker Klein.


    Zehn Minuten später klopfte sie an die Tür der Chefin. „Frau Engelhardt, ich habe hier den Ausdruck von der Akte Volker Klein.“
    Nachdem die Chefin sie reingewunken hatte, gab sie ihr eine kurze Zusammenfassung: „Bis jetzt ist dieser Klein nicht besonders aufgefallen. Einige kleinere Diebstähle oder Einbrüche; nichts großartiges. Er hat bis vor sechs Monaten in der JVA Ossendorf gesessen. Wurde wegen guter Führung vorzeitig entlassen und ist seit dem nicht wieder auffällig geworden.“


    Sie reichte der Chefin den Ausdruck, die einen weiteren Blick darauf warf.
    „Hier steht, er hätte vor seiner Verhaftung ein Problem mit Glücksspielen gehabt. Vielleicht hatte er Schulden und hat sich deswegen auf die Sache eingelassen. Den Kollegen Gerkhan und Ritter gegenüber erwähnte er, ihn hätte nur das Geld interessiert.“
    Sie hob den Blick. „Haben wir schon eine Nachricht aus dem Krankenhaus?“


    Susanne nickte: „Er ist aus der OP und kann in ein, zwei Stunden vernommen werden.“
    Anna dachte kurz nach. „Schicken Sie Bonrath und Herzberger. Sie sollen sich darum kümmern. Sie sollen am besten jetzt gleich fahren. Je eher wir etwas erfahren, um so besser. Ich will alles wissen; also richten Sie den beiden aus, sie sollen eine gründliche Befragung durchführen. Die Kollegen Gerkhan und Ritter kann ich nicht schicken. Die sind zu sehr in der Sache involviert.“


    Susanne nickte, verließ das Büro und gab die Order an Bonrath und Hotte weiter. Die beiden Polizisten machten sich umgehend auf den Weg ins Krankenhaus.
    Susanne begab sich zurück an ihren Schreibtisch und vertiefte sich in ihre Arbeit.


    Nach einigen Minuten wurde sie davon aufgeschreckt, das etwas vor ihr auf die Schreibtischplatte geknallt wurde. Ärgerlich schaute sie auf.
    „Hier, Süße!… Unterschreiben! Zustellung für einen Ritter. Ich soll es ihm eigentlich persönlich geben, aber Sie sehen so aus, als ob Sie das für mich erledigen könnten. Stimmt’s?“


    Angewidert ließ Susanne ihren Blick an dem Mann, der vor ihrem Schreibtisch stand, von oben nach unten wandern. Sie hatte schon oft Kuriere erlebt, die sich für tolle Hechte hielten.
    Aber dieses Exemplar war anscheinend besonders von sich eingenommen!


    Betont lässig lehnte er sich auf die Lehne des Stuhles, der vor ihrem Tisch stand und hielt ihr mit einer, wie er vermutlich dachte, coolen Geste einen Kugelschreiber hin. Dabei kaute er auf einem Kaugummi herum und ließ seine Augenbrauen immer wieder nach oben zucken.
    Wäre sie gerade nicht so ärgerlich, hätte sie wahrscheinlich schallend aufgelacht.
    „Was wollen Sie denn zustellen?“ fragte sie nach einigen Augenblicken argwöhnisch.


    Der Kurier hielt einen kleinen, braunen Umschlag hoch, auf dem Susanne deutlich „Ritter/Gerkhan“ lesen konnte.
    Er wedelte damit herum, beugte sich zu ihr herunter und flüsterte lasziv: „Ich kann es Ihnen auch nach Dienstschluss vorbei bringen. Dann machen wir uns einen netten Abend!“


    Susanne beugte sich ebenfalls nach vorne und antwortete im gleichen Tonfall: „Und Sie scheinen zu vergessen, wo Sie sich befinden. Ein Wort von mir und meine Kollegen werden sich mit Freude mit Ihnen befassen.“
    Sie änderte ihre Stimmlage und fuhr wütend fort: „Glauben Sie mir, Sie haben sich dafür genau den richtigen Tag ausgesucht! Einige sind hier heute besonders gereizt und für jemanden, an dem Sie Ihren Frust ablassen könnten, wären sie äußerst dankbar. Also rate ich Ihnen, machen Sie Ihren Job und verschwinden Sie!“


    Beleidigt richtete sich Thomas Abel auf und sagte: „Man wird sich doch mal einen Spaß erlauben dürfen.“
    Dann tippte er auf die Liste. „Dort muss von diesem Ritter unterschrieben werden. Könnten Sie das veranlassen?… Bitte?“


    Susanne schaute über ihre rechte Schulter in das Büro von Semir und Chris. Beide waren am telefonieren.
    Sie überlegte einen Moment, hielt dann die Liste hoch und deutete Chris mit einer Geste an, das er unterschreiben müsste. Er winkte sie herein.
    Während sie zu ihm ging, hörte sie wie er mit Hartmut telefonierte. Seine Stimme klang müde: „…und sonst war nichts zu erkennen?… Hartmut, warte mal kurz.“
    Er legte die rechte Hand über die Sprechmuschel und sah Susanne erschöpft an.


    „Tut mir leid, Chris, aber dieser Kurier sagt, Du müsstest persönlich unterschreiben. Er hat einen Umschlag, auf dem Eure Namen stehen, wobei Deiner unterstrichen ist.“


    Chris wurde hellhörig. Er nahm die Hand von der Sprechmuschel: „Du, Hartmut, ich muss mich hier gerade um eine andere Sache kümmern. Nochmals Danke. Gute Arbeit! Und wenn Du weitere Informationen hast, melde Dich bitte… Ja, mache ich…Tschau!“


    Er legte auf und sah Susanne fragend an: „Hat dieser Kurier gesagt, von wem der Umschlag ist? Oder um was es sich dabei handelt?“
    Susanne schüttelte den Kopf. „Nein, warum?“


    Ohne zu antworten stand Chris auf und ging zur Tür hinaus. Als Semir bemerkte, das sein Partner raus ging, beendete er rasch sein Telefonat und folgte ihm hinterher.


    Kaum stand Chris vor Thomas Abel, richtete er sich zu seiner vollen Körpergröße auf und fragte ungeduldig: „Sie haben was für mich? Lassen Sie mal sehen.“
    „Wenn Sie Herr Ritter sind, soll ich Ihnen diesen Umschlag ausliefern.“ Dabei hielt der Kurier das Objekt der Begierde hoch.


    „Von wem haben Sie den Umschlag bekommen?“ Chris’ Stimme nahm einen lauernden Ton an.
    Thomas Abel bemerkte den veränderten Tonfall und antwortete vorsichtig: „So ein Typ hat ihn mir in die Hand gedrückt, den doppelten Preis gezahlt und mir gesagt, ich soll Ihnen das Ding persönlich in die Hand drücken. Weitere Fragen durfte ich nicht stellen!“


    „Wie sah der Mann aus? Hatte er einen Namen? Wo hat er Ihnen den Umschlag gegeben? Was genau hat er Ihnen gesagt?“
    Chris wurde langsam ungeduldig.


    Semir merkte das und trat neben ihn. Er legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm und gab einem in der Nähe sitzenden Kollegen einen Wink, der auch sofort zu ihnen kam.
    „Sie geben uns jetzt diesen Umschlag und unser Kollege wird Ihnen weitere Fragen stellen. Mit seiner Hilfe können Sie auch ein Phantombild erstellen. Dann dürfen Sie wieder gehen.“


    Er hielt ihm seine Hand hin und nach einigen abwägenden Augenblicken legte Thomas Abel ihm den Umschlag auf die offene Hand.
    „Und was ist mit meiner Unterschrift?“ maulte er. „Ich habe es doch gleich geahnt, das ich mit Euch wieder nur Stress habe!“
    Susanne, die die Liste die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, unterschrieb für Chris, drückte ihm seine Unterlagen in die Hand und hauchte: „Hier,… Süßer! Jetzt hast Du wenigstens ein Andenken von mir.“


    Während der verdutzt dreinblickende Thomas von einem Polizisten weg geführt wurde, wollte Chris nach dem Umschlag greifen. Semir zog schnell die Hand zurück.
    „Chris,… nicht! Wir wollen doch keine Beweise vernichten. Vielleicht findet Hartmut Fingerabdrücke. Wir machen das jetzt schön nach Vorschrift!“


    Er ging an ihm vorbei zu seinem Schreibtisch, legte der Umschlag vorsichtig ab und holte aus einer Schublade ein Paar Handschuhe. Chris kam hinter ihm her und schloss die Tür.
    Er tigerte durchs Büro und beobachtete Semir, wie dieser den Umschlag vorsichtig öffnete und eine CD herausholte. Am liebsten hätte er danach geschnappt, aber er wusste, das Semir Recht hatte mit den Beweisen.
    Er raufte sich die Haare und lief weiter im Büro auf und ab. Er ahnte nichts Gutes und sein Herz raste...

  • Eure "Dealerin" liefert! :D :baby:
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    Nach einigen Sekunden, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, öffnete Semir die Hülle und holte die silberne Scheibe heraus.
    „Vielleicht sollten wir das erst der Chefin zeigen?“ gab Semir zu bedenken.
    Chris fauchte gereizt: „Semir,… mach was Du willst, aber leg endlich die CD in das Laufwerk!“
    Als er Semirs skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er noch ein flehendes: „Bitte!“ hinterher.


    Semir sah ihn einen Moment an. Er ahnte auch, was sie auf dieser CD zu sehen bekamen und er hatte Angst vor Chris’ Reaktion. Er wusste aber auch, das je länger er es jetzt hinaus zögerte, es nur noch schlimmer wurde.


    Mit einem Seufzen legte er die Scheibe in den Computer. Während dieser die Daten las, kam Chris mit großen Schritten zu ihm.
    Semir stand auf und sagte zu Chris: „Hier, setz Dich. Ist glaube ich besser.“
    Als Chris protestieren wollte, fügte er hinzu: „Setz Dich hin oder ich nehme die CD und bringe sie direkt zur Chefin. Also, bitte…!“
    Kaum saß sein Partner, ließ er die CD starten.


    Das erste, was sie sahen war Chris’ Schwester. Als Chris ihr Gesicht bemerkte zog er scharf die Luft ein und hielt sich die Hand vor den Mund. Auch Semir war erschrocken, über das was er sah.
    Er legte daher schnell Chris eine Hand tröstend auf seine Schulter. Er wollte ihm zeigen, das er nicht allein war.


    Sie hörten, wie Gaby etwas sagte und im nächsten Augenblick jemand ins Bild kam, auf sie zusprang und würgte. Chris konnte sich fast nicht beherrschen. Er atmete schwer und wäre Semir nicht in der Nähe gewesen, wer weiß wie er reagiert hätte.


    Auch Semir war über die brutale Szene entsetzt. Besonders als der Mann die andere Frau erwähnte und er realisierte, das damit Andrea gemeint war, wurde ihm ganz flau im Magen.


    Nachdem sich der Kerl beruhigt hatte und wieder aus dem Bild verschwunden war, hörten sie, wie Gaby hustend und schluchzend vorlas:
    „Chris,… Semir…! Ich soll Euch …folgendes mitteilen:… Bei Eurem Termin… morgen… bei der Staatsanwaltschaft… sollt Ihr Euch nichts… anmerken lassen… Aber am Mittwoch,… bei der Anhörung,… sollt Ihr… Eure Aussagen… zurück ziehen… Sobald die Anklage… gegen Gehlen… fallen gelassen wird, kommen wir frei… Solltet Ihr… Euch nicht an… die Anweisungen halten,… werden die uns… töten… Sie werden… sich zuerst die Kinder… vornehmen… Ihr sollt keine… Tricks versuchen!… Chris, bitte!… Hilf uns… die Kinder… und ich... Wir haben Angst!“


    Das Bild brach abrupt ab und auf dem Monitor erschien wieder die normale Anzeige.
    Beide Männer waren wie unter Schock.
    Semir löste sich zuerst aus seiner Erstarrung und flüsterte: „Oh, mein Gott!“


    Chris starrte verzweifelt auf den Bildschirm. Er konnte immer noch nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Er hatte so eben seinen schlimmsten Albtraum wahr werden sehen. Sein Atem ging stoßweise und er hatte das Gefühl, sein Herz würde jeden Augenblick zerreißen. In seinem Kopf herrschte ein emotionales Chaos. Wut und Schmerz stieg in ihm auf. Er konnte sich nicht mehr beherrschen.


    „AARGH!“
    Mit einem lauten Schrei sprang er so heftig auf, das der Stuhl gegen die Wand knallte. Mit einer wütenden Handbewegung fegte er die Papiere vom Schreibtisch und warf einen Ordner mit voller Wucht gegen die Scheibe. Die schepperte heftig, zerbrach aber nicht.
    Er war so in Raserei, das er nicht hörte, wie ihn Semir immer wieder rief. „Chris,… Chris! Bitte beruhige Dich!… Chris!“


    Alle anderen im Hauptbüro waren erschrocken zusammen gezuckt, als Chris’ Schrei erklang. Entsetzt schauten sie in die Richtung und sahen wie ihr Kollege in seinem Büro tobte.
    Auch Anna, die den Tumult mitbekommen hatte, sprang auf und lief hinüber. Sie riss die Tür auf und rief an Semir gewandt: „Was ist passiert?“


    Doch der versuchte immer noch seinen Partner zu beruhigen.
    Chris stand schwer atmend mit gesenktem Kopf an seinem Tisch und stütze sich mit beiden Armen ab. Seine Hände umkrallten die Tischkante und sein Oberkörper wippte hin und her.
    Ein weiterer unterdrückter Schrei drang aus seiner Kehle. Er stieß sich ab, drehte sich um, lehnte sich an die Tischplatte, fuhr mit beiden Händen durch seinen Haare und krallte sich dort fest. Sein ganzer Körper zitterte heftig.


    Anna und Semir schauten sich besorgt an. Anna handelte als Erste. Mit einem bösen Blick in Richtung der Gaffenden schloss sie die Tür. Sie sah, wie sich alle sofort ihrer Arbeit widmeten.


    Semir war in der Zwischenzeit neben Chris getreten. Vorsichtig legte er ihm eine Hand auf die Schulter. Er erwartete fast, das Chris wieder ausrastete, doch er schien ihn gar nicht wahr zu nehmen. Er hörte, wie Chris vor sich hin murmelte.


    „Chris!“ Semirs Stimme war sanft, aber bestimmt. „Chris, bitte!... Gaby und die Kinder brauchen Deine Hilfe… Und ich auch. Allein schaffe ich das nicht… Ich weiß, es fällt Dir jetzt schwer, aber so hilfst Du ihnen nicht!“


    Chris reagierte nicht. Sein Zittern hatte nachgelassen, aber sein Atem ging noch immer recht schnell. Der gebeugte Oberkörper und der gesenkte Kopf sprachen Bände.
    Anna warf Semir einen fragenden Blick zu. Er gab ihr mit einer Geste zu verstehen, das sie sich noch kurz gedulden müsse.


    Semir versuchte weiter mit Chris zu reden:
    „Hey,… Du hast mir erzählt, das Deine Schwester eine tapfere Frau ist und sich durch nichts unterkriegen lässt. Und so habe ich sie auch kennen gelernt; als eine starke Frau… Gaby hat mir erzählt, das Euer großes Vertrauen zueinander darauf beruht, das Ihr Euch immer aufeinander verlassen konntet. In den schweren Krisen habt Ihr Euch immer gegenseitig unterstützt. Das stimmt doch, oder?“
    Nach einigem Zögern nickte Chris fast unmerklich und ein leises, raues „Ja!“ kam aus seinem Mund.


    Semir nickte leicht und fuhr mit ernster, aber bestimmter Stimme fort: „Gaby braucht jetzt Deine Hilfe. Sie vertraut darauf, das Du ihr und den Kindern hilfst. Also komm,... lass uns die Sache gemeinsam packen.“


    Seine braunen Augen blickten Chris hoffnungsvoll an. Chris hob den Kopf und schaute ihn an. In seinen Augen war Mutlosigkeit zu sehen, aber auch ein Hauch von Dankbarkeit. Er nickte stumm und drehte sich um.


    Als er das Chaos im Raum bemerkte, wollte er aus einem Reflex heraus anfangen, die Papiere aufzuheben.
    Doch Anna hielt ihn davon ab. „Lassen Sie. Das können Sie später noch machen. Gehen wir in mein Büro. Dort setzen Sie mich bitte erst einmal ins Bild, über das, was passiert ist!“


    Sie ging mit Chris schon einmal vor, während Semir die CD aus dem Computer holte.
    Dabei fiel ihm etwas siedend heiß ein: ‚Andrea! Die wollten Andrea. Vielleicht versuchen sie es noch einmal. Ich muss sie warnen. Nur zur Sicherheit!’


    Er rief bei seiner Frau an und erklärte ihr mit knappen Worten die Lage.
    Dann forderte er sie auf: „Pack die nötigsten Sachen für Dich und Aida ein und lass Dich von den Kollegen hierher bringen. Ich möchte Dich in meiner Nähe wissen… Ich liebe Dich!“


    Dann folgte er seiner Chefin und seinem Partner…

  • Bonrath und Hotte fragten sich in der Zwischenzeit im Marienhospital durch einige Stationen. Endlich hatten sie die richtige gefunden. Sie erkundigten sich im Schwesternzimmer nach Volker Klein.


    Eine robuste Schwester in mittlerem Alter gab ihnen die nötigen Informationen:
    „Herr Klein liegt auf Zimmer 315. Er ist vor einer halben Stunde aus dem Aufwachzimmer hierher verlegt worden. Er wird noch etwas müde sein, aber er ist sicher ansprechbar. Sie können ja ihr Glück versuchen. Sollte er noch nicht so weit sein, können sie sich gerne bei einer Tasse Kaffee hier im Schwesternzimmer die Zeit vertreiben.“
    Dabei lächelte sie die beiden vergnügt an.


    Die beiden Männer lächelten dankbar zurück und gingen den Gang hinunter.
    „Hast Du gesehen, wie die mich angelächelt hat?“ Verträumt blickte Bonrath über seine Schulter zurück.
    Hotte sah ihn skeptisch an. „Dich? Ich hatte eher den Eindruck, das sie uns beide meinte und sie einfach nur höflich war.


    „Quatsch!“ Bonrath war entrüstet. „Die hat mich gemeint.“
    Sein Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an: „Das habe ich genau gespürt. Zwischen uns stimmte die Chemie, in dem Augenblick wo wir uns sahen!“
    „Pah!“ höhnte Hotte. „Chemie… das ich nicht lache. Du weißt doch gar nicht, wie das geschrieben wird.“


    Sie waren am Zimmer angekommen. Über der Tür leuchtete eine rote Lampe. Wahrscheinlich war gerade ein Arzt oder eine Schwester bei diesem Klein. Also setzten sie sich auf eine kleine Bank in der Nähe und während sie warteten, kabbelten sie sich weiter.


    Nach ein paar Minuten kam ein breitschultriger Arzt heraus, dessen Kittel im Rückenbereich stark spannte.
    Als er die beiden Polisten sah, zuckte er kurz zusammen, fasste sich aber sofort.
    Mit einem Nicken wandte er sich zum Gehen.


    Bonrath rief hinter ihm her: „Wie geht es dem Patienten?“
    Der Arzt blieb kurz stehen und antwortete über die Schulter: „Er war erst sehr unruhig, aber ich habe ihm ein Mittel gegeben. Jetzt schläft er fest.“
    Dann ging er zur Tür die ins Treppenhaus führte und verschwand.
    Bonrath wollte sich noch für die Auskunft bedanken, aber da war der Arzt schon weg.


    „Komischer Kauz!“, murmelte er. „Und sonderlich gut zu verdienen, scheint er auch nicht.“
    „Warum sagst Du das?“ fragte Hotte nach.
    „Na,… hast Du nicht den Kittel gesehen? Der war ihm mindestens zwei Nummern zu klein.“
    Hotte grinste: „Deine Hosen passen Dir auch nicht immer. Behaupte ich deswegen, Du wärst ein komischer Kauz?! Obwohl…“
    Den Kopf hin und her wiegend ging er zur Zimmertür und öffnete sie.


    Bonrath kam protestierend hinterher. Plötzlich lief er auf Hotte auf, der abrupt stehen geblieben war. Mit einem Blick erkannte er den Grund.
    Volker Klein lag in seinem Bett und ein großer Blutfleck breitete sich auf dem Laken aus. Die weit aufgerissenen Augen starrten tot zur Decke.


    „Mist!“ fluchte er, drehte sich auf dem Absatz um und rannte zur Treppenhaustür. Er riss die Tür auf und überlegte, in welche Richtung er laufen sollte. Von unten hörte er eilige Schritte.
    So schnell ihn seine langen Beine trugen, rannte er hinterher. Beim Ausgang angekommen, schaute er sich schnaufend nach allen Seiten um. Doch von dem falschen Arzt war keine Spur zu sehen. Bonrath fluchte.
    Als er kurze Zeit später wieder bei Hotte im Zimmer war, riefen sie die Spurensicherung und gaben Susanne Bescheid.

  • Das Rattengesicht hatte gerade eine Kopie für Gehlen vorbereitet und reichte sie Lorenz: „Mit den besten Wünschen des Hauses!“
    Grinsend nahm Lorenz sie entgegen und wedelte damit herum: „Daran wird unser Freund bestimmt seine Freude haben!“
    Er rief seinen Fahrer und beauftragte ihn, die CD zu Gehlens Anwalt zu bringen. „Wenn er sie ihm heute Abend noch zukommen lässt, hat unser Kunde eine schöne Gutenachtgeschichte. Davon kann er sicher gut schlafen!“


    Kaum war der Fahrer weg, klingelte sein Handy.
    Er hörte eine Weile zu und sagte dann: „Gut gemacht. So kann er wenigstens nichts mehr verraten… Du, pass mal auf, ich habe da noch einen Auftrag, der etwas heikel ist. Die Frau des einen Polizisten, die von diesem Gerkhan, wird nachher in die Dienststelle gebracht. Ihr Mann will sie bei sich in Sicherheit haben. Vielleicht bekommst Du das irgendwie hin, dass… Du weißt schon!… Ich weiß, das es kurzfristig ist, aber vielleicht siehst Du eine Möglichkeit. Ein Versuch ist es jedenfalls wert!… OK!“


    Mit einem zufriedenen Lächeln legte er auf und schenkte den Monitoren wieder seine komplette Aufmerksamkeit. Auf dem einen war die Sekretärin zu sehen, wie sie die Papiere vom Boden aufhob, sortierte und auf Semirs Schreibtisch ablegte.
    Lorenz zeigte darauf: „Reizend, nicht wahr? So eine Frau könnte mir auch noch gefallen! Eine, die alles hinter mir wegräumt!“


    Das Rattengesicht nickte nur kurz. Er konzentrierte sich auf den Monitor, der das Büro der Chefin zeigte. Dort saß sie gerade mit diesem Gerkhan am Schreibtisch und ließ sich das Video zeigen.


    Dieser Ritter lief im Büro auf und ab und sein Gesichtsausdruck war schmerzerfüllt. Er konnte es sich anscheinend nicht noch einmal anschauen, denn er vermied jeglichen Sichtkontakt mit dem Bildschirm.
    Nachdem das Video beendet war, herrschte einen Moment Schweigen im Raum.


    Auch diese Engelhardt wirkte betroffen, dann fasste sie sich und entschlossen sagte sie: „Semir, lassen Sie sofort eine Kopie davon machen und schicken Sie die Sachen anschließend zu Hartmut in die KTU. Er soll sich darum kümmern. Vielleicht findet er was.“


    Das Rattengesicht lachte leise in sich hinein: ‚Mein Bruder ist kein Amateur! Da werdet Ihr nichts finden. Aber sucht mal schön! Dann habt Ihr wenigstens was zu tun!’


    In der Zwischenzeit war die Chefin neben Ritter getreten und sprach leise mit ihm. Ritter nickte einige Male. Anschließend setzten sie sich auf die Sitzgruppe bei der Tür. Gerkhan betrat wieder den Raum und hielt der Frau einen Zettel hin.


    „Da leistet jemand gründliche Arbeit! Hotte und Bonrath haben vorhin angerufen – unser Verdächtiger, dieser Volker Klein, ist im Krankenhaus ermordet worden. Da will jemand jegliche Spuren verwischen.“
    „Aber wer?“, fragte die Chefin verwundert.
    „Na,… Gehlen! Das Video beweist es doch, oder nicht?“ Gerkhan machte eine bedeutende Geste zum Computer.


    Engelhardt schüttelte den leicht Kopf. „Ich wüsste nicht wie. Ich habe mich im Gefängnis erkundigt und mir die Besucherliste durchgeben lassen. Der einzige, der ihn regelmäßig besucht ist sein Anwalt, ein gewisser Kurt Janzen.“


    Ritter stieß verächtlich die Luft aus. „Janzen!… Janzen ist ein Feigling! Tat zwar immer recht großspurig, doch in meiner Gegenwart hat er immer den Schwanz eingezogen. Der würde so was gar nicht bewerkstelligen können. Der wüsste gar nicht wie!“


    „Und einmal hatte er Besuch von einem Frank Lorenz“, fuhr die Chefin fort.
    „Lorenz?“ Ritters Stimme klang erstaunt und abschätzig.
    „Ja,… warum?“
    „Weil Gehlen diesen Lorenz nicht ausstehen konnte…“


    Schnell schielte das Rattengesicht zu dem Mann neben sich.
    Dessen Miene war versteinert. Aber in den Augen funkelte Zorn auf.


    „… Er hielt ihn für einen Nichtskönner. Er hat immer gesagt, Lorenz wäre zu nichts zu gebrauchen, wenn er nicht die richtigen Leute kennen würde.“


    ‚Richtig erkannt!’, dachte das Rattengesicht gehässig und unterdrückte ein Grinsen.


    „Hätte er denn wohl die richtigen Leute um solche Aktionen durchzuführen?“ mischte sich Gerkhan ins Gespräch ein.
    Ritter schien zu überlegen, wiegte mit dem Kopf hin und her. „Möglich wäre es. Aber ich habe mit diesem Lorenz nicht allzu viel zu tun gehabt. Mein Augenmerk lag damals mehr bei dem alten Gehlen und seinem Sohn. Ich habe ihn nie näher kennen gelernt.“


    „Dafür lernst Du mich jetzt umso mehr kennen!“ zischte Lorenz wütend. „Warte, bis ich mit Dir fertig bin!“


    „Aber welchen Nutzen hätte dieser Lorenz, wenn er sich für Gehlen stark macht?“ fragte die Engelhardt weiter.
    „Geschäfte!“ antwortete Ritter ohne zu zögern. „Bei solchen Leuten zählen fast nur die Geschäfte. Wahrscheinlich laufen die bei diesem Lorenz nicht mehr, seit Gehlen sitzt. Und wenn er ihm jetzt raus hilft, hofft er, das es wieder bergauf geht.“


    „Und Du kennst niemanden aus Lorenz’ Umfeld?... Jemand bei dem wir vielleicht ansetzen könnten?“ fragte Gerkhan hoffnungsvoll.
    Ritter überlegte und schüttelte den Kopf. „Nein, nicht das ich wüsste.“


    Engelhardt stand auf, öffnete die Tür und rief die Sekretärin herein.
    „Susanne, könnten Sie bitte alles über einen Frank Lorenz in Erfahrung bringen. Besonders seine Kontakte interessieren uns.“
    Nach einem Blick auf die Uhr fügte sie hinzu: „Und besorgen Sie uns bitte was von der Pizzeria. Wir haben anscheinend alle vergessen wie spät es ist. Und eine Stärkung tut uns allen gut. Danke Susanne!“


    Ritter rieb sich die Augen und die Stirn. „Ich brauche nichts zu essen. Ich brauche einen starken Kaffee. Ich werde lieber noch mal Hartmut anrufen. Vielleicht hat er inzwischen etwas heraus bekommen.“
    Er stand auf und verließ den Raum ohne die Einwände der anderen zu beachten.


    Die Engelhardt und Gerkhan tauschten einen besorgten Blick aus.
    „Ich mache mir ein bisschen Sorgen um ihn.“
    „Chefin, ich kann ihn verstehen. Wenn ich heute morgen nicht das Handy vergessen hätte… ich darf gar nicht daran denken! Ich wäre wahrscheinlich wie er.“ Er versuchte zu lächeln.


    „Ach, noch etwas, Chefin“, sagte Gerkhan, als er schon fast zur Tür hinaus war, „ich habe Andrea gebeten mit Aida hierher zu kommen. Sie haben ja gehört, was der Kerl auf dem Video gesagt hat. Ich habe Angst, das sie es vielleicht noch einmal versuchen. Hier weiß ich sie in Sicherheit. Ich hoffe, dass das für Sie OK ist?“
    Engelhardt nickte: „Das geht schon in Ordnung.“
    Gerkhan lächelte dankbar: „Danke, Chefin!“ und verschwand.


    „Freu Dich nicht zu früh! Wenn Du Pech hast, bekommen meine Männer sie zuerst!“ spottete Lorenz. „Und dann werden wir ja sehen, ob Du genauso reagieren wirst wie Dein Partner.“

  • Da ich heute Abend das Glück habe, den Computer nutzen zu dürfen, gibt es einen weiteren Teil!
    Viel Spass damit :] und gute Nacht! :baby:
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    Die beiden Kollegen Harald und Lothar, die bei Andrea aufpassten, halfen ihr die Sachen im Auto zu verstauen. Andrea verabschiedete sich von ihrer Freundin, die noch solange bleiben wollte, bis der Glaser mit seiner Arbeit fertig war. Erst als sie im Streifenwagen saßen und losfuhren, konnte sie etwas klarer denken.
    Semirs Anruf hatte sie doch sehr erschreckt. Vor allem die Nachricht, das Gaby und die Kinder entführt wurden, hatte sie ziemlich aus der Fassung gebracht.


    Ihre Gedanken kreisten ständig um die Frage: ‚Was wäre gewesen, wenn Semir nicht zurück gekommen wäre? Was wäre, wenn ich mich nicht gewehrt hätte? Was wäre,…?’
    Sie lehnte ihren Kopf nach hinten an die Kopfstütze und holte tief Luft.
    Zärtlich dachte sie an ihren Mann. Sie liebte ihn für seine Fürsorge… auch wenn er es manchmal übertrieb! Leise lächelte sie vor sich hin.


    Dann musste sie an Chris denken und ihre Stimmung schlug in Sorge um. ‚Hoffentlich geht alles gut!’ dachte sie.


    Beim Blick aus dem Fenster stellte sie fest, das sie bereits auf der Autobahn waren. ‚Gut, dann sind wir gleich da!’
    Sie beugte sich zu Aida „Gleich sind wir beim Papa!“


    Aus den Augenwinkeln registrierte sie plötzlich die besorgten Blicke der beiden Polizisten.
    Harald schaute in den Rückspiegel und gab seinem Kollegen mit einer Kopfbewegung ein Zeichen. Lothar schaute ebenfalls in seinen Rückspiegel und in seinen Seitenspiegel. Mit einem stummen Blick bestätigte er den Verdacht seines Partners.


    Ohne weitere Worte gab Harald etwas mehr Gas und sein Beifahrer griff zum Funk.
    „Cobra vier an Zentrale! Wir befinden uns auf dem Weg zurück zur PAST. Sind gerade in Höhe KM 287. Wir werden von einem blauen Jeep verfolgt. Kennzeichen ist nicht zu erkennen. Bitten um Verstärkung!“


    „Zentrale an Cobra vier! Haben verstanden. Verstärkung ist unterwegs. Bleiben in Kontakt.“
    „Danke. Cobra vier…Ende!“


    Unwillkürlich hatte sich Andrea umgedreht und nun sah auch sie den blauen Wagen. Er war mindestens noch zweihundert Meter hinter ihnen.
    „Keine Sorge, Andrea! Ist nur eine reine Vorsichtsmaßnahme. Hat vielleicht nichts zu bedeuten. Aber wir wollen sicher gehen, das wir Dich heil zu Deinem Mann bringen. Der reißt uns sonst den Kopf ab!“


    Lothar versuchte ein aufmunterndes Lächeln, aber Andrea sah, wie sich in seinen Augen die Sorge spiegelte.
    Sie nickte ihm leicht zu und beugte sich anschließend zu ihrer Tochter. Sie sprach tröstend auf sie ein.


    Harald fluchte leise: „Mist, wir haben da wirklich jemanden an uns hängen. Er kommt immer näher. Mir wird das zu heikel... Los, mach das Blaulicht an und dann machen wir, das wir hier weg kommen.“
    An Andrea gewandt fügte er hinzu: „Das kann jetzt etwas heftig werden und es tut mir auch leid, aber die Sache gefällt mir nicht. Also halt Dich am besten irgendwo gut fest.“


    Andrea war versucht zu sagen, das sie einen riskanten Fahrstil von ihrem Mann gewohnt sei, aber ihr blieben die Worte im Hals stecken. Statt dessen tat sie, was man ihr geraten hatte.


    Harald trat das Gaspedal durch und der Wagen schoss nach vorn. Das Blaulicht hatte den Vorteil, das ihnen recht schnell die Strasse frei gemacht wurde. Sie kamen gut voran.
    Allerdings hatte der Jeep dadurch auch freie Bahn. Sehr schnell hatte er Tempo aufgenommen und nutze ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer jede Lücke.
    Unaufhaltsam kam er näher. Sie konnten im Rückspiegel erkennen, das zwei Personen im Wagen saßen.


    „Cobra vier an Zentrale!… Verdammt, wo bleibt die Verstärkung? Wir bekommen hier langsam Probleme!“ rief Lothar ins Funkgerät.
    „Zentrale an Cobra vier!… Wo seid ihr genau? Ein Wagen müsste gleich bei Euch sein!“ kam es als Antwort aus dem Lautsprecher.


    Doch bevor Lothar antworten konnte, wurde ihr Auto von hinten gerammt. Die Insassen wurden heftig durch geschüttelt.
    Harald konnte mit viel Mühe den Wagen in der Spur halten. Er versuchte noch mehr aus dem Motor rauszuholen. Doch er hatte bereits das Pedal bis unten durchgetreten.
    Da sah er im Rückspiegel den verchromten Kuhfänger im Sonnenlicht aufblitzen und unaufhaltsam näher kommen. Im nächsten Moment knallte der Jeep ein zweites Mal auf sie drauf.


    Andrea schrie leise auf. Sie hatte Angst! Aber nicht um sich, sondern um ihre Tochter. Sie beugte sich wieder über sie und wollte sie um jeden Preis mit ihrem Leben beschützen.


    Gerade, als der Jeep zum dritten Rammversuch startete, ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher: „Cobra acht an Cobra vier!… Wo seit ihr? Wir müssten fast in Eurer Nähe sein!“


    Ohne Rücksicht auf Funketikette, schrie Lothar ins Mikro: „Verdammt, beeilt Euch!…Wir werden gerammt!…Wir sind gerade am gesperrten Rastplatz vorbei… Etwa fünf Minuten von der PAST entf…“


    Weiter kam er nicht...

  • Der Jeep hatte mit einem Aufjaulen des Motors zum Überholen angesetzt und rammte sie nun von der Seite. Der Streifenwagen schlingerte heftig. Harald lenkte dagegen und fing den Wagen einigermaßen wieder auf.


    Doch da kam der Jeep wieder gnadenlos heran und drückte sie in Richtung Leitplanke. Funken sprühten auf, als sich das Metall kreischend berührte und knirschend darüber schob. Das sich verformende Material der Tür gab schreckliche, markerschütternde Geräusche von sich.


    Lothar hob schützend den Arm, als das Seitenfenster dem Druck nicht mehr standhielt und mit einem dumpfen Knall platzte. Tausende von kleinen Splittern flogen wie Konfetti durch die Luft.


    Mit zusammen gebissenen Zähnen kämpfte Harald inzwischen gegen den anderen Fahrer an.
    Mit Entsetzen registrierte er weiter vorne einen großen Tanklastwagen. Wenn er nicht bald aus dieser Situation heraus kam, würden sie mit dem LKW kollidieren.


    Doch das war es, was der Fahrer des Jeeps wohl wollte. Harald konnte die eiskalte Entschlossenheit ihn ihrer ganzen Köperhaltung erkennen!
    ‚Denen ist es völlig egal, das wir hier ein Kind im Auto haben!’ dachte er entsetzt. Er musste sich unbedingt etwas einfallen lassen.


    „Festhalten!“ schrie er plötzlich und im selben Augenblick trat er kräftig auf die Bremse.
    Der Jeep schoss Funken sprühend an ihnen vorbei, wobei er noch den Seitenspiegel mitnahm und die Stoßstange aus der Halterung riss.
    Kaum war seine linke Seite frei, zog Harald das Auto nach links und gab wieder Gas.


    Im selben Augenblick ertönte hinter ihnen Blaulicht.
    ‚Endlich! Die Kavallerie ist da!’, dachte Lothar erleichtert. Er sah durch die Seitenscheibe, wie sich die Kollegen an den Jeep hängten.
    Der hatte erst versucht, nochmals an sie heran zu kommen, aber als der Fahrer das andere Blaulicht bemerkte, schnell Fersengeld gegeben.


    Lothar nahm mit zittrigen Händen das Funkgerät zur Hand: „Danke, Kollegen! Ihr habt was gut. Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde... Schnappt sie Euch!“
    „Wir werden es versuchen! Cobra acht… Ende!“


    „Zentrale an Cobra vier… wo seit Ihr? Ist alles klar bei Euch? Braucht Ihr Hilfe?“ Lothar konnte Semirs besorgte Stimme erkennen.
    Er schaute nach Andrea. Sie saß aufrecht, strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und als sie seinen Blick bemerkte, nickte sie leicht: „Bei mir ist soweit alles OK!“ Sie wirkte blass, aber gefasst.


    „Semir… Deiner Familie ist nichts passiert! Uns geht es soweit auch ganz gut. Etwas durchgeschüttelt, aber OK! Wir sind in circa zwei Minuten bei Euch.“


    Kaum kamen sie auf dem Parkplatz an und hielten den ramponierten Wagen vor der Eingangstür, da stürmten auch schon die ersten Kollegen heraus.
    Allen voran ein höchst besorgter Semir, der sich sofort um Andrea und Aida kümmerte. Mit seiner Tochter auf dem Arm führte er seine Frau ins Gebäude und in eines der leeren Besprechungszimmer.


    Susanne, die direkt hinter ihm her kam, nahm ihm wortlos Aida ab und gab ihm mit einem Blick zu verstehen, das seine Tochter in guten Händen sei.
    „Kümmer Du Dich um Andrea“, flüsterte sie ihm zu und deutete mit einem Kopfnicken in ihre Richtung. Leise schloss sie die Tür hinter sich.


    Semir trat zu Andrea, die ihn stumm mit ängstlichen Augen anschaute und nahm sie erleichtert in den Arm. Was hatte er in den letzten Minuten für Ängste um sie gehabt!


    Als Andrea seine Nähe spürte und sich in Sicherheit fühlte, konnte sie die Tränen nicht länger zurück halten. Zuerst liefen sie ihr leise über die Wangen. Doch je mehr die Anspannung nachließ, umso heftiger wurde ihr Weinen. Ihr Schultern zuckten und ihr Körper bebten unter jedem neuen Schluchzer.


    Semir führte sie zu einem Stuhl, ließ sie darauf Platz nehmen und beugte sich leicht zu ihr hinunter. Er legte seine Arme um sie und sprach leise tröstend auf sie ein. Während er ihr beruhigend über die Haare und den Rücken strich, spürte er, wie viel Angst sie gehabt haben musste.


    Zorn wallte in ihm hoch.
    Zorn auf die Männer, die das Leben seiner Familie bedrohten...
    Zorn auf Gehlen, der dafür verantwortlich war...
    Zorn auf sich, das er nicht in ihrer Nähe war, um sie zu beschützen...


    Schnell schob er die dunklen Wolken aus seinen Gedanken. Er musste einen klaren Kopf behalten. Doch insgeheim schwor er sich: ‚Wenn ich die Kerle kriege, dann Gnade ihnen Gott!’


    Er löste seine Umarmung, umfasste zärtlich Andreas Gesicht mit seinen Händen und strich ihr mit den Daumen immer wieder die Tränen fort.
    Sanft küsste er ihre Stirn und ihre Wangen. Seine Augen blickten sie sorgenvoll an.


    Langsam beruhigte sich Andrea, nahm seine Hände in die ihren und nach einigen Minuten fragte sie mit brüchiger Stimme: „Was ist eigentlich los? Was soll das Ganze? Wer waren diese Männer?“


    Noch während er ihr von den Vorkommnissen der letzten Stunden erzählte, kam Anna mit drei Tassen Kaffee hinein und setze sich zu ihnen.
    Als Semir geendet hatte, ergriff sie das Wort: „Andrea, nach den Ereignissen des Tages wäre es für alle das Beste, wenn wir Sie und Aida in eine Schutzwohnung bringen würden. Wenigstens so lange, bis diese Geschichte aus der Welt ist. Sie haben es ja gemerkt… mit diesen Kerlen ist nicht zu spaßen. Wir wissen nicht genau wer dahinter steckt, aber wir haben eine Vermutung und arbeiten daran. Doch solange wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben, wäre alles andere viel zu gefährlich.“


    Andrea, die noch immer die Hand ihres Mannes hielt, fragte verzweifelt: „Was ist mit Semir?“
    „Schatz,…“, Semir schaute ihr fest in die Augen, „…ich muss hier bleiben und helfen die Sache aufzuklären. Außerdem erwarten die Entführer, das wir morgen zu unserem Termin bei der Staatsanwaltschaft gehen. Die werden mir nichts tun, weil sie mich noch brauchen.“
    „Ich möchte aber in Deiner Nähe sein!“ bettelte Andrea.


    Anna hatte Mitleid und sagte mit nachgebender Stimme: „OK,… sie können zumindest heute Nacht hier in der Dienststelle schlafen. Sie können das Ruhezimmer benutzen. Die Kollegen sind bestimmt damit einverstanden.“


    Semir und Andrea schauten sich erleichtert an, als das Telefon an der Wand neben der Tür klingelte. Anna stand auf und nahm ab.
    „Frau Engelhardt“, meldete sich Susanne, „entschuldigen Sie, das ich störe, aber ich habe hier einen Anrufer in der Leitung, der unbedingt mit Ihnen sprechen möchte. Seinen Namen hat er nicht gesagt.“


    „Danke, Susanne!“ antwortete Anna. Sie beschlich ein mulmiges Gefühl.
    Das Knacken in der Leitung sagte ihr, das sie verbunden wurde. „Hallo?… Anna Engelhardt hier!“ meldete sie sich.


    „Frau Engelhardt,…“, meldete sich eine verzerrte Männerstimme, „… Ich möchte Sie nur daran erinnern, das wir unsere Forderungen ernst nehmen. Ich hoffe, dass Sie das auch tun. Wenn nicht, war der Vorfall vorhin auf der Autobahn erst der Anfang! Alles weitere, vor allem das Leben der Geiseln, liegt in Ihren Händen!“
    „Wer sind Sie?“ fragte Anna besorgt, aber die Leitung war bereits tot...

  • Mit nachdenklichem Gesicht hängte sie auf, entschuldigte sich bei Semir und Andrea und verließ den Raum. Sie ging raschen Schrittes zu Susanne:
    „Lassen Sie feststellen, von wo eben der Anruf kam. Es war auf jeden Fall jemand, der mit dieser ganzen Sache zu tun hat. Lassen Sie eine Fangschaltung legen. Sobald der Kerl noch einmal anruft, möchte ich, das wir ihn zurück verfolgen können.“


    „Wird erledigt.“ Susanne griff zum Telefon, als Anna noch etwas einfiel: „Was ist mit dem Jeep? Haben wir ihn?“
    „Nein“, kam es hinter ihr. Sie drehte sich um und sah Chris auf sie zukommen. „Ich hatte vor ein paar Minuten Kontakt mit den Kollegen von Cobra acht. Sie haben den Wagen verloren. Die Kennzeichen wurden vor zwei Wochen als gestohlen gemeldet. Ich nehme an, das Auto wird wahrscheinlich auch gestohlen sein. Aber das überprüft Siggi gerade.“


    Sie waren während seiner Ausführungen in ihr Büro gegangen. Frustriert verschränkte Anna die Arme vor der Brust und überlegte.
    Sie schaute aus dem Fenster und stellte erstaunt fest, das bereits anfing dunkel zu werden. Chris folgte ihrem Blick und meinte traurig mehr zu sich selbst: „Jetzt sind es schon fast acht Stunden und wir haben noch nichts erreicht.“


    Anna sah zu ihm herüber. „Geben Sie die Hoffnung nicht auf. Wir alle tun unser möglichstes.“
    Chris senkte den Kopf und murmelte: „Ich weiß, es ist nur….“
    Sie wollte ihm Mut machen, aber plötzlich fühlte sie sich ausgelaugt und müde. Sie wusste einfach nicht was sie sagen sollte.
    „Warum ruhen Sie sich nicht einen Moment aus? Das wird Ihnen gut tun. Sobald ich was weiß, gebe ich Ihnen Bescheid.“
    Von dem Anruf erzählte sie ihm erst einmal nicht.


    Doch Chris schüttelte den Kopf. „Susanne hat mir vorhin die Akte über Lorenz gegeben. Die nehme ich mir jetzt vor. Vielleicht finde ich was.“
    Er verschwand hinter seinen Schreibtisch.


    Annas Telefon klingelte. Susanne teilte ihr mit, das der Anruf nicht zurück verfolgt werden konnte. Vermutlich wurde er von einem Prepaid-Handy getätigt. Sie hätte aber eine Ortung beantragt, so das sie beim nächsten Anruf schnell reagieren könnten. Anna bedankte sich für die Information und legte seufzend auf.
    Hoffentlich hatten sie bald mal ein bisschen Glück. Sie könnten es gebrauchen….





    Gaby hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie hätte schwören können, das es bereits mitten in der Nacht war. Aber ein Blick auf Jakobs Uhr sagte ihr, das es erst kurz vor 17.00 Uhr war.


    Man hatte ihnen Mineralwasser und zu Essen gebracht. Die Kinder durften zwischendurch auch zur Toilette, aber ansonsten ließ sich niemand bei ihnen blicken.
    Richard und Johanna hatten etwas geschlafen. Die ganze Aufregung hatte sie doch sehr erschöpft. Jetzt saßen die drei Kinder auf der einen Matratze, kuschelten sich aneinander und erzählten sich leise Geschichten.


    Gaby saß auf der anderen Matratze, den Rücken an die Wand gelehnt und eine der Decken um ihren Körper gewickelt. Sie fror. Ob es vom Schock oder die ersten Anzeichen der Entzündung waren, konnte sie nicht sagen. Auf jeden Fall bekam sie Fieber. Das spürte sie ganz sicher.


    Ihr Kopf dröhnte und sie hatte manchmal das Gefühl, das sich der Raum drehte. Sie hielt die Augen geschlossen und versuche sich auszuruhen. Aber die Angst, die sie die ganze Zeit spürte, ließ sie nicht zur Ruhe kommen.


    Chris hatte ihr oft genug erzählt, mit was für Abschaum er sich herum schlagen musste. Auch wenn er ihr nie Details erzählen durfte, konnte sie doch an der Art und Weise, wie er seine Ausführungen schilderte, entnehmen, wie eiskalt und grausam Menschen sein konnten.


    Ihr fiel ein, wie ihm besonders der letzte Fall an die Nieren gegangen war.
    Menschenhändler, denen sogar das Leben eines Kindes nichts wert war. Und der Gedanke, in der Gewalt dieser skrupellosen Menschen zu sein, versetzte sie immer mehr in Panik.
    Verzweifelt dachte sie an Chris und hoffte, das er endlich die Nachricht verstand und sie bald hier raus holte…





    Zur gleichen Zeit bereitete Kurt Janzen im Besuchsraum der JVA seinen Laptop vor. Unter dem Vorwand, noch einige wichtige Dinge mit seinem Mandanten besprechen zu müssen, hatte man ihn herein gelassen.


    Nach einigen Minuten wurde Roman Gehlen hereingeführt. Kaum hatte der Wärter den Raum verlassen und die Tür hinter sich zu gezogen, beugte sich Gehlen erwartungsvoll nach vorn.


    „Hast Du was für mich?“
    Janzen nickte eifrig: „Ich habe zwei Videobotschaften für Dich. Ich glaube, Du wirst zufrieden sein.“
    Er ließ die beiden CDs abspielen und beobachtete Gehlens Reaktion.


    Der saß mit gebeugtem Oberkörper über dem Laptop und umklammerte mit seinen feisten Händen das aufgeklappte Display.
    Mit seinen Blicken sog er jedes Detail der Filme in sich auf. Seine Augen klebten gierig am Bildschirm und weideten sich an den Qualen, die dieser Ritter durchmachte. Besonders die Stelle, als Ritter verzweifelt in seinem Büro tobte, genoss er weidlich aus.


    „Na,… wie fühlt sich das an? Fühlst Du auch den Schmerz?“ In seinem Gesicht spiegelte sich zufriedener Hass.
    „Und das, mein Freund, war erst der Anfang!“ zischte er aufgeregt. „Warte bis wir uns bei der Anhörung gegenüber sitzen und Du mir ins Gesicht sagen musst, das Du Dich an nichts mehr erinnerst! Ich kann es kaum noch abwarten, in Dein gequältes Gesicht zu schauen!!“


    Ein hartes, unfreundliches Lachen kam aus seinem Mund.
    „Und wenn ich dann erst mal draußen bin, gebe ich Dir den Rest! Du wirst hinterher regelrecht darum betteln, Deinem Chef in den Tod folgen zu dürfen. Das verspreche ich Dir!“


    Er hielt den Film an und das Bild erstarrte. Mit Daumen und Zeigefinger formte er eine Pistole, richtete sie auf den Bildschirm und „drückte“ zweimal ab. Mit den Lippen machte er die dazu gehörigen Geräusche.


    Langsam senkte er die Hand, richtete seinen Blick auf seinen Anwalt und mit gefährlich leiser Stimme flüsterte er: „Und wenn es das letzte ist was ich tue: Die beiden Polizisten nehme ich mit ins Grab!“


    Janzen lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er wusste, das Gehlen es so meinte, wie er es sagte! Und er würde nicht eher ruhen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Davon war er felsenfest überzeugt…

  • Da ich die nächsten zwei Tage weg bin :baby:, stelle ich Euch noch einen neuen Teil ein.
    Viel Spass damit und vergesst die Feeds nicht! ;) Danke!
    Fortsetzung Samstag! :)
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    Mit gesenktem Kopf, den er auf seinen Händen abstützte, las Chris die vor ihm liegende Akte zu wiederholten Mal. Ab und zu rieb er sich sie Schläfen. Er konnte sich nicht richtig konzentrieren. Etwas in seinem Hirn sagte ihm mit leiser, aber beständiger Stimme, das er etwas übersehen hatte.
    Nur was?


    Semir kam herein und brachte ihm einen Kaffee sowie ein Stück aufgewärmter Pizza.
    „Ich soll Dir von Andrea ausrichten, dass, wenn Du jetzt nichts isst, sie kommt und Dich füttert.“


    Ein Schmunzeln lag auf seinem Gesicht, doch die Augen zeigten Sorge um seinen Partner.
    Chris sah schlecht aus. Das Gesicht wirkte grau und müde, die Sorgenfalten auf der Stirn wurden fast stündlich mehr und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Von den zerzausten Haaren und der unordentlichen Kleidung ganz zu schweigen.


    „Komm, Chris,… wenigstens etwas. Es bringt nichts, wenn Du uns hier abklappst.“ Dabei stellte er das Essen vor ihm hin.
    Chris reagierte nicht; blickte noch nicht einmal auf. Er hatte die Augen geschlossen.


    Mit einem Seufzer blickte Semir zu Andrea, die draußen bei Susanne stand und zuckte die Schulter. Beide Frauen bedeuteten ihm, es noch einmal zu versuchen.
    Er gestikulierte ihnen: ‚Wie?’.
    Empört stemmte Andrea die Hände an die Hüfte und deutete noch einmal energisch mit dem Kopf in Richtung Chris.
    Semir hob abwehrend die Hände, nickte und zog die Augenbrauen hoch.
    ‚Schon gut, schon gut!’ gab er ihr zu verstehen.
    ‚Die hat gut reden’, dachte er bei sich. ‚Ihr Kopf wird ja auch nicht abgerissen!’


    Er wandte sich wieder Chris zu und überlegte gerade, wie er am besten seine Aufmerksamkeit bekommen könnte, als Chris plötzlich die Augen aufriss, aufsprang und ihn anstarrte.
    Semir zuckte zusammen und für den Bruchteil einer Sekunde dachte er besorgt: ‚Jetzt wird er wahnsinnig!’


    Chris hob eine Hand und zeigte mit dem Finger auf ihn.
    „Die Stimme!“ sagte er rau. „Die Stimme!… Das ich da nicht eher drauf gekommen bin!“
    Seine Augen schienen etwas zu suchen, irrten wild umher.


    „Hä?… Wie bitte?“ Semir war völlig verwirrt. „Wovon redest Du?“
    „Die Stimme auf dem Video. Ich glaube ich kenne sie!“
    „Was?… Woher?“ Sofort war Semir ganz bei der Sache.
    „Ich weiß nicht.“ Chris’ Augen suchten noch immer umher. „Wo ist denn die CD? Ich möchte sie mir noch einmal anhören. Vielleicht erinnere ich mich dann.“


    Semir war schon auf dem Weg zur Tür. „Noch bei der Chefin. Ich hole sie schnell!“
    Als Semir zurückkam, hatte er Anna im Schlepptau.
    „Sie haben eine Spur?“ fragte sie hoffnungsvoll.


    Chris schüttelte den Kopf. „Nicht direkt, nur so eine Ahnung. Die Stimme auf dem Video… ich weiß nicht… an irgend jemand erinnert die mich. Glaube ich zumindest…“
    Semir, der inzwischen die CD eingelegt hatte, drückte auf Start und meinte: „Ein Versuch ist es wert. Es geht los.“


    Zuerst fiel es Chris schwer sich zu konzentrieren. Er hörte die Angst in der Stimme seiner Schwester und als der Kerl sie würgte, ihre verzweifelten Versuche zu atmen.
    Er schloss die Augen, blendete so das Bild aus.
    Mit einer Handbewegung bat er Semir, die Stelle zu wiederholen, wo der Mann sprach.


    Gespannt und mit angehaltenem Atem beobachteten Anna und Semir Chris. Keiner wagte zu sprechen. Chris hielt den Kopf schräg und brachte sein Ohr näher zum Lautsprecher. Auf seinem Gesicht zeigte sich Konzentration.


    Nach der dritten Wiederholung öffnete er abrupt die Augen, blickte sich suchend nach der Akte um und griff dann danach.
    Er murmelte leise vor sich hin: „Ich kenne Dich, aber woher. Wie ist Dein Name?“


    Sein Finger glitt an einer Liste mit Namen entlang. Plötzlich stockte er.
    „Da! Borchert, Jens Borchert! Lorenz’ rechte Hand!“ rief er.
    „Sind Sie sich sicher?“ hakte Anna vorsichtig nach.


    Chris zuckte leicht mit den Schultern. „Hundertprozentig natürlich nicht. Dafür ist die Stimme durch die Maske zu undeutlich. Aber er könnte es sein.“
    Das reichte ihr. Sofort ging sie zu Susanne. „Finden Sie alles über einen Jens Borchert heraus. Wenn es eine Akte gibt, fordern Sie sie an. Und beeilen Sie sich!“


    Susanne nickte: „Mach ich!“
    „Und ich helfe Dir!“ sagte Andrea. „Dann geht es schneller und ich kann mich etwas nützlich machen.“
    Zusammen machten sich die beiden Frauen an die Arbeit.


    Als Anna zu Chris und Semir zurück kehrte, fragte Semir gerade: „Was weißt Du über diesen Borchert?“
    Chris schüttelte den Kopf: „Eigentlich nichts. Ich habe ihn nur zwei-, dreimal gesehen. Einmal sind wir aneinander geraten, weil er eines der Mädchen, die Gehlen lieferte, nicht wollte. Sie war seiner Ansicht nach zu alt. Das Mädchen war keine sechzehn gewesen! Später habe ich gehört, er soll sie aus Wut tot geprügelt haben. Haben seine Männer mir jedenfalls erzählt.“


    „Und er ist Lorenz’ rechte Hand?“ wollte Anna wissen.
    „Eigentlich ist er das Hirn von Lorenz. Lorenz ist nur der Kopf. Hätte der nicht diesen Borchert, der für ihn die Drecksarbeit erledigt, wäre er nie eine große Nummer geworden. Lorenz macht sich nicht gern die Hände selber schmutzig.“


    „Gut, dann warten wir mal ab, was Susanne für uns über diesen Borchert heraus findet. Und in der Zwischenzeit…“, Semir deutete auf das inzwischen kalt gewordene Stück Pizza, „isst Du was. Sonst bekomme ich noch Ärger mit meiner Frau!“





    Frank Lorenz ging nervös auf und ab, als er darauf wartete, das Borchert ans Telefon ging.
    Endlich meldete der sich gelangweilt: „Hey, was ist los? Was soll die Aufregung?“
    „Dieser Ritter hat Deine Stimme erkannt.“
    „Na und?“


    Lorenz konnte regelrecht das Schulterzucken hören. Borcherts Ruhe brachte ihn aus der Fassung.
    „’Na und?’“ äffte er ihn nach, dann brauste er auf: „Sag mal spinnst Du? Was ist, wenn die was rauskriegen?“
    „Was sollen die denn rauskriegen? Ich glaube nicht, das sie diesen Ort finden werden. Und selbst wenn, kannst Du uns ja warnen. Dann weichen wir ins nächste Versteck aus… Also Mann, bleib cool!“ Borcherts Stimme klang gereizt.


    „Hoffentlich behältst Du recht!“ Lorenz war nicht überzeugt, als er auflegte.
    Er mochte es nicht, wenn er das Gefühl bekam, die Kontrolle über eine Sache zu verlieren…

  • So, da bin ich wieder! Mit sonnenverbranntem Gesicht geht's weiter! =)
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    In der KTU lechzte Hartmut nach seinem Cappuccino. Schon vor Minuten sollte ihm ein Mitarbeiter einen bringen. Doch der kam und kam nicht wieder.
    ‚Wenn man nicht alles selber macht!’ dachte er ärgerlich bei sich.


    Dabei könnte er gerade jetzt einen Muntermacher gebrauchen. Er hatte im Moment das Gefühl auf der Stelle zu treten. Seit er vor Stunden mit seinen Leuten zurück gekommen war, arbeiteten sie ununterbrochen an den gesammelten Materialien.


    Während sich zwei seiner Männer den Wagen vorgenommen hatten, versuchte er dem Bild Informationen zu entlocken. Doch leider war nicht viel zu machen gewesen. Er hatte Chris nur berichten können, dass es vermutlich das Innere eines Vans oder einem Wagen ähnlicher Bauweise war und das Blut auf dem Gesicht seiner Schwester aus einer Wunde über dem Auge stammte.


    Nirgendwo war eine Reflexion oder ähnliches zu erkennen gewesen, mit der man hätte arbeiten können.
    Das Blut war eindeutig von einer Frau und wies eine hohe Ähnlichkeit mit dem DNS Profil von Chris aus. Damit war klar gewesen, das es sich um seine Schwester handelte.


    Vor zwei Stunde war das Video bei ihm aufgetaucht und Hartmut hatte sich mit erneutem Eifer an die Arbeit gemacht. Die Fingerabdrücke hatten nichts ergeben. Es waren nur die des Boten und von Semir zu finden gewesen.
    Sowohl die CD als auch der Umschlag waren Massenwaren, die man in jedem Geschäft kaufen konnte.
    Er ließ sogar die Tinte untersuchen. Doch auch da Fehlanzeige. Sie stammte vermutlich aus einem Werbekuli, da es sich um Farbe minderwertiger Qualität handelte.


    Zur Zeit sah er sich zum wiederholten Male das Video an. Immer mal wieder hielt er an, zoomte die eine oder andere Stelle näher heran, in der Hoffnung etwas zu erkennen.


    Doch es war zum Verrückt werden. Nichts, absolut nichts!
    Er mochte es gar nicht, wenn er trotz seines umfassenden Wissens und seiner vielen Möglichkeiten kein befriedigendes Ergebnis bekam.


    Das einzige, was er heraus gefunden hatte, war, das Chris’ Schwester Nasen bluten hatte und die Marke des Overalls, den der Mann trug.
    Doch auch damit ließ sich nichts anfangen, da es sich auch hierbei um eine Ware handelte, die man in fast jedem Fachgeschäft für Handwerker erwerben konnte.
    Er war ja versucht gewesen noch anzumerken, das es dabei um eine hochwertige Marke handelt, die er auch bevorzugt benutzte. Doch das konnte er sich so gerade verkneifen.


    Er rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Eigentlich hatte er schon längst Feierabend, aber er hatte Chris und Semir versprochen an der Sache dran zu bleiben.
    Ausserdem hasste er es, mit einem unzufriedenen Gefühl nach Hause zu gehen. So etwas ließ ihm dann keine Ruhe!


    Er startete gerade wieder das Video, als es an der Tür klopfte. Sein Mitarbeiter Franz kam herein und brachte ihm seinen Cappuccino.
    „’tschuldige, Hartmut“, nuschelte er verlegen, „aber die Kantine war schon zu und die Maschine hier im Gebäude ist defekt. Bin daher extra in den Anbau gegangen. Die haben eine nagelneue Maschine von…“


    Hartmut nahm ihm den Becher ab. „Ja, ja,… ist schon gut. Hauptsache ich hab’ meinen Kaffee.“
    Dankbar nahm er einen Schluck von dem warmen Getränk und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
    ‚Ah,… das tut gut!’ dachte er bei sich. Er spürte, wie neue Energie in ihm geweckt wurde.


    Er bemerkte, das sein Mitarbeiter immer noch da war und auf den Monitor schaute, auf dem das Video lief. Hartmut hatte vor einiger Zeit den Ton weggeschaltet, um sich besser konzentrieren zu können.


    Franz zeigte auf den Bildschirm und meinte mehr zu sich selbst: „Sieht fast aus wie Gebärdensprache.“
    Hartmut stutzte, setzte sich ruckartig auf und wirbelte zu ihm herum. „Was hast Du da gerade gesagt?“


    Aus Angst, etwas Falsches gesagt zu haben, fing Franz an zu stottern: „Nichts!… Ich dachte nur,… etwas gesehen zu haben… Ist aber nicht wichtig!… Wahrscheinlich täusche ich mich auch nur!… Ich geh dann mal!“


    Doch Hartmut hielt ihn zurück. „Halt! Bleib hier! Erklär mir lieber, wie du darauf kommst, das es sich um Gebärdensprache handeln könnte.“
    „Bei uns in der Nachbarschaft wohnt ein Gehörloser. Und wenn der sich mit seiner Frau unterhält, sieht das so ähnlich aus“, erklärte Franz. „Ich kann mich aber auch irren!“ schob er schnell hinterher, als er Hartmuts Blick bemerkte.


    Doch der war schon mit seinem Drehstuhl zum Telefon gerollt und wählte eine Nummer.
    „Das lässt sich herausfinden!“ sagte er zu Franz, bevor er sich der Stimme am anderen Ende der Leitung zuwandte: „Chris, hier Hartmut!… Ja, vielleicht habe ich was. Sag mal, beherrscht Deine Schwester die Gebärdensprache?… Ehrlich?… Nun, einem meiner Mitarbeiter ist da was aufgefallen, was wie aus der Gebärdensprache aussieht… Nein, wir haben noch nichts konkretes. Könntest Du sie verstehen?... Nicht schlimm. Wir organisieren jetzt einen Dolmetscher und sobald wir was wissen, rufe ich Dich an…. Ja, ganz sicher!…Tschüss!“


    Hartmut legte auf und schaute grinsend zu Franz: „Du bist ein Genie! Und Du hattest anscheinend Recht. Sie hat sie vor einigen Jahren gelernt. Vielleicht hat sie uns ja wirklich auf diesem Weg eine Nachricht hinterlassen. Oder hat uns einen Hinweis gegeben, wo sie gefangen gehalten wird.“


    Er warf einen Blick auf die Wanduhr. „Verdammt, schon so spät! Wo bekommen wir jetzt noch einen Dolmetscher her?“
    Franz druckste herum. „Ich könnte meinen Nachbarn fragen. Er hilft bestimmt.“


    Sofort hielt ihm Hartmut den Hörer hin. „Ja, gute Idee! Hier, ruf ihn an und… oh!“
    Peinlich berührt ließ er den Hörer wieder sinken. „Ach nee, das geht ja gar nicht!“
    „Doch, das geht“, lächelte Franz, nahm Hartmut den Hörer aus der Hand und wählte eine Nummer. „Ich rufe seine Frau an und bitte sie, mit ihm hierher zu kommen.“


    Nach einer Minute legte er zufrieden auf. „Sie sind in zwanzig Minuten hier.“
    Hartmut atmete erleichtert auf. „Großartig! Dann wollen wir mal hoffen, das wir nicht total daneben liegen!"

  • Auf der PAST legte Chris nachdenklich den Hörer auf. „Hast Du noch die CD?“ fragte er Semir.
    Erstaunt blickte Semir auf. „Ja. Warum? Was hat Hartmut gesagt?“
    Doch Chris hielt ihm wortlos die Hand hin und deutete ihm an, das er die CD haben möchte.
    Widerwillig gab Semir sie ihm. „Was ist los?“


    Während Chris die CD einlegte und darauf wartete, das der Computer die Daten gelesen hatte, kam Andrea herein. Sie reichte Semir, der hinter Chris getreten war, einige Papiere.
    „Hier sind noch ein paar Hintergrundinformationen über diesen Borchert, die ich noch ausgegraben habe.“


    Mit einem verwunderten Blick nahm Semir sie entgegen. „Du? Wo ist denn Susanne?“
    Andrea zeigte auf ihre Uhr. „Hast Du mal auf die Uhr geschaut? Ich habe sie nach Hause geschickt. Sie hatte schon vor Stunden Feierabend. Eigentlich wollte sie nicht gehen. Meinte, sie müsste Euch helfen. Da ich aber sowieso heute Nacht hier bleibe, kann ich mich auch nützlich machen.“


    Semir und Chris schauten erst sich an und wandten dann ihren Blick durch die große Scheibe ins Hauptbüro. Erstaunt stellten sie fest, das dort inzwischen die Besetzung für die Nachtschicht saß. Sie hatten gar nicht gemerkt, wie der Schichtwechsel stattgefunden hatte.


    Andrea bemerkte ihre Blicke: „Die Chefin ist auch noch hier. Sie will nicht gehen, bis wir was konkretes wissen. Hotte und Bonrath sind gerade bei ihr und geben einen Bericht über die Ereignisse im Krankenhaus ab. Sie haben den Täter gesehen und werden ein Phantombild erstellen. Vielleicht landen wir ja einen Treffer. Auch sie haben ihre Hilfe angeboten und werden hier bleiben.“


    In Chris regte sich plötzlich das schlechtes Gewissen. All diese Menschen, die ihn eigentlich noch nicht lange kannten und denen er oft abweisend und schroff begegnet war, halfen ihm.
    Ohne Fragen, ohne Forderungen! Ließen ihn jetzt nicht allein!
    Eine Welle der Dankbarkeit durchflutete ihn. Er fühlte sich geborgen und wusste doch nicht, wie er damit umgehen soll. Er war verwirrt.


    Mit einem Seufzer sagte er zu Semir: „Warum machst nicht wenigstens Du Feierabend? Hast schon mehr als genug für mich getan. Du und Andrea,… ihr könnt Euch doch zurück ziehen.“
    Semir schüttelte energisch den Kopf. „Wir sind Partner! Schon vergessen? Ich helfe Dir, also keine Widerrede!“


    Auch Andrea schüttelte den Kopf und trat an Chris heran. Sie legte ihre Hand auf seine Hand und fügte mit einem Lächeln hinzu: „Nein, Chris. Wir bleiben hier und helfen Dir. Das musst Du nicht allein durchstehen. Ausserdem…“, sie legte ihren Kopf leicht schräg und blinzelte ihm verschmitzt zu, „… muss sich das hübsche Burgfräulein noch bei ihrem Ritter bedanken. Und wie kann sie das besser, als jetzt ihm zu helfen?!“


    Zu ersten Mal seit Stunden huschte ein leises Lächeln über Chris’ Gesicht. In seinen Augen zeigte sich ehrlich empfundene Dankbarkeit, als er Andrea anblickte.
    Semir, der zwar nicht ganz verstand, auf was sich seine Frau und Chris bezogen, registrierte die positive Veränderung.
    Als Andrea zu ihm schaute, erwiderte er ihren Blick voller Liebe. Dafür liebte er seine Frau! Sie fand immer die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt!


    Mit einen Räuspern lenkte er die Aufmerksamkeit wieder auf die aktuelle Situation und fragte Chris: „Was ist denn nun mit der CD? Was hat Hartmut entdeckt? Du wolltest sie Dir doch noch einmal anschauen.“
    Schlagartig fiel Chris ein, was Hartmut ihm gesagt hatte und wandte sich dem Monitor zu. „Ja, er meint, er hätte etwas entdeckt. Ich will sie mir noch einmal anschauen. Vielleicht kann ich seine Vermutung bestätigen.“
    Verwundert schaute ihn Semir an: „Was für eine Vermutung hat er denn?“


    Chris jedoch antwortete nicht. Er hatte bereits das Video gestartet und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Semir und auch Andrea stellten sich neben ihn und betrachteten die Bilder.


    Plötzlich ruckte Chris nach vorne. Mit großen Augen ließ er seinen Blick über den Bildschirm huschen und murmelte: „Das gibt’s nicht!… Hartmut hatte Recht... Wie konnte ich das übersehen!… Gaby,… was willst Du mir sagen?“


    Fragend tauschten Semir und Andrea einen Blick, zuckten mit den Schultern. Sie wussten nicht, was er meinte.
    Semir fragte vorsichtig: „Was hast Du gesehen?“
    Chris zeigte auf den Bildschirm: „Schau genau hin. Siehst Du das nicht!… Da! Hast Du das gesehen?“


    Irritiert versuchte Semir etwas zu erkennen. Doch er sah nur Gaby, deren Hände nervös flatterten. „Nein. Was soll denn da zu sehen sein?!“
    Das Video endete und Chris drehte sich zu den beiden um. Sie schauten ihn ratlos an.
    Doch Andrea stellte in Gedanken erstaunt fest: ‚Seine Augen leuchten voller Hoffnung!’


    „Meine Schwester hat uns eine Botschaft zukommen lassen.“ Chris’ Stimme bebte vor Erregung.
    „Hä?… Wie?… Wo?… Ich habe nichts gesehen!“ Semir verstand nur Bahnhof und auch Andrea konnte nicht ganz folgen.


    Mit eifriger Stimme erklärte Chris den beiden: „Meine Schwester lernt seit einigen Jahren die Gebärdensprache. Und soweit ich das erkennen kann, hat sie versucht uns eine Nachricht zu übermitteln.“
    „Ehrlich?“ Semir war verblüfft. „Kannst Du es verstehen?“
    Chris schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein. Ich beherrsche die Gebärden nicht. Allerdings habe ich eine erkannt.“
    „Welche?“ wollte Andrea wissen.
    Mit einer Drehung zurück zum Computer sagte Chris: „Ich zeig es Euch! Achtet auf ihre Hände!“


    Als das Video lief, wies er plötzlich auf den Bildschirm: „Hier,… wenn ich mich nicht irre, bedeutet diese Gebärde ‚alt’. Damit hat sie mich mal geärgert… Und diese könnte ‚vier’ heißen. Aber da bin ich mir natürlich nicht sicher. Das ist nur meine Interpretation.“


    Semir sah sich das Video bis zum Ende an. Erst jetzt erkannte er, das die fahrigen Handbewegungen nur dazu dienten, die einzelnen Gesten zu verbergen.
    Mit einem Lächeln meinte er zu Chris: „Das ist genial! Deine Schwester ist verdammt mutig. Klasse gemacht! Doch wie bekommen wir jetzt heraus, was sie uns sagen will?“
    „Hartmut organisiert einen Dolmetscher und gibt mir Bescheid, sobald er etwas weiß.“ Chris seufzte tief. „Am liebsten wäre ich dabei, wenn sie etwas heraus finden.“


    Semir tauschte einen Blick mit Andrea, die sofort nickte. Entschlossen ging er zu seinem Stuhl, nahm die Jacke von der Lehne und während er sie anzog, deutete er mit dem Kopf in Richtung Tür: „Worauf warten wir noch? Lass uns zur KTU fahren.“
    Augenblicklich stand Chris auf, zögerte aber kurz: „Bist Du sicher? Nicht das die Chefin…“


    Andrea schnitt ihm das Wort ab: „Ich erkläre es ihr. Ruft an sobald ihr was erfahren habt.“ Damit schob sie ihn zur Tür.
    Kurz darauf brausten sie mit Blaulicht davon…

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