Time of Revenge

  • Zurück auf dem Krankenhausflur sah er eine dunkelhaarige Person, die wie ein Krankenpfleger der Uni-Klinik gekleidet war, die einen Rollstuhl vor sich herschob und Julias Zimmer ansteuerte. Beim Klopfen an der Tür dachte Semir bei sich, merkwürdig, Bens Schwester hatte mit keinem Ton erwähnt, dass eine Untersuchung anstand. Er wusste nicht warum, sein Bauchgefühl meldete sich und auf einmal schrillten beim die Alarmsirenen. Der Türke beschleunigte seine Schritte. Die letzten Meter legte er rennend zurück, was ihm das Kopfschütteln einer Krankenschwester einbrachte, die er fast über den Haufen gerannt hatte. Als der Türke vor Julias Zimmertür angekommen war, vernahm er einen Hilfeschrei der jungen Frau. Semir drückte die Türklinke und stieß mit einem Ruck die Tür auf, so dass diese mit einem lauten Knall gegen die Wand schlug. Mit einem Blick hatte er die Situation erfasst und erlebt fast ein Déjà-vu.


    Julia hatte sich an den äußersten Bettrand in Richtung ihres Kindes hingedrängt. Dort lag sie zusammengerollt, die Hände in einer Abwehrhaltung vor dem Körper, als könne sie damit die Messerklinge aufhalten, die auf sie zuraste. Ihre Hilfeschreie erstarben auf ihren Lippen. Der Attentäter zuckte bei der unerwarteten Unterbrechung zusammen und hielt einen Sekundenbruchteil inne und versuchte sich zu orientieren, wer ihn da störte!


    Bei Semir war alles, was er tat, eine instinktive Handlung. Bevor der Dunkelhaarige wusste wie ihm geschah, hatte ihn Semir mit voller Wucht von hinten angesprungen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Angegriffene taumelte und wollte den Angreifer hinter sich, so schnell wie möglich loswerden und stürzte mit ihm zu Boden. Dabei verlor er seine Brille, als er mit dem Kopf gegen den Rollstuhl knallte. Im darauffolgenden Kampfgetümmel zwischen ihm und Semir trat der Türke unabsichtlich auf die Brille. Der falsche Krankenpfleger wollte sich benommen vom Boden aufrappeln und zum Gegenangriff mit dem Messer übergehen. Dabei gelangte er in die Reichweite von Semirs Fäusten. Der Türke fackelte nicht lange und verpasste dem Verdächtigen ein paar Faustschläge ins Gesicht und in die Magengegend. Der letzte Schlag ließ den Südländer zusammenklappen. Pfeifend entwich die Luft seinen Lungen. Kompromisslos verpasste ihn der Kommissar noch einen finalen Schlag auf die Kinnspitze, der ihn ins Land der Träume beförderte.
    Julia saß kreidebleich und wie versteinert im Bett. Die Szene hatte sich binnen einer Minute vor ihren Blicken abgespielt.


    „Bist du in Ordnung Julia?“, vergewisserte sich Semir, während er den Bewusstlosen untersuchte. Der Autobahnpolizist entdeckte den Sender im Ohr des Krankenpflegers, der vorher geschickt durch die halblangen Haare verborgen gewesen war. Seine Taschen waren leer. Nur an seinem Oberteil war ein Ausweis befestigt, der ihn als Mitarbeiter der Uni-Klinik auswies, auf dem Michael stand.


    Angelockt vom Krach kam der Krankenpfleger Sebastian, dicht gefolgt von der Hebamme Maria ins Zimmer gestürmt. Während sich die Hebamme um Julia Jäger und ihr Baby kümmerte, fesselte Basti mit Hilfe von Leukoplast dem Verdächtigen die Hände auf den Rücken. Er bestätigte dem Autobahnpolizisten, dass er den Kerl noch nie hier am Klinikum gesehen hatte und dieser bestimmt nicht zum Pflegepersonal der Privatstation gehöre. Der alarmierte Sicherheitsdienst des Krankenhauses nahm den Verdächtigen bis zum Eintreffen der alarmierten Polizei in Gewahrsam.


    Semir hatte sowohl Frau Krüger, als auch Konrad Jäger von den Ereignissen in der Uni-Klinik telefonisch unterrichtet. Unruhig wie ein angeketteter Wachhund lief der Türke den langen Krankenhausgang auf und ab. Er erwartete die Beiden vor Julia Jägers Zimmer, die sich zwischenzeitlich unter der Obhut der Hebamme Maria beruhigt hatte. Konrad Jäger traf noch vor Frau Krüger ein und hatte es in der kurzen Zeit geschafft, über einen privaten Sicherheitsdienst zwei Bodyguards zum Schutz seiner Tochter und seines Enkels zu engagieren. Die Chefin hatte neben Jenny auch Hartmut mit seiner kompletten Mannschaft im Schlepptau, die sich sofort an die Arbeit machten. Julia wurde mit ihrem Baby kurzfristig in ein anderes Zimmer verlegt, während die Spurensicherung ihre Arbeit aufnahm. Die Kollegen von der Streife den Verdächtigen führten ab.


    Nachdem sich Konrad Jäger davon überzeugt hatte, dass es seiner Tochter und seinem Enkel gut ging, näherte er sich dem Kommissar. Tiefe Sorgenfalten hatten sich in die Stirn des alten Herrn eingegraben.
    „Herr Gerkan, haben sie etwas von Ben gehört? …. Eine Spur? … Einen Hinweis, wo er abgeblieben ist? ….“

    Semir schüttelte den Kopf. Er räusperte sich, ein dicker Kloß schien in seinem Hals zu stecken.
    „Es tut mir leid, Herr Jäger! Wir wissen zurzeit nur eines sicher, Ben ist und war unschuldig.“
    Mit knappen Sätzen informierte er Konrad Jäger über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Als sich der Autobahnpolizist verabschieden wollte, legte der Grauhaarige ihm die Hand auf die Schulter. Man konnte sehen, wie er innerlich mit sich kämpfte, bevor er die nächste Frage stellte. Die Zeit drängte, der Türke wollte unbedingt, den Verdächtigen auf der PAST selbst verhören. Von dem Südländer erhoffte er sich einen entscheidenden Hinweis auf den Verbleib von Ben.


    „Herr Gerkan, bitte!“, eisern hielt er den Freund seines Sohnes an dessen Schulter fest. Der Ausdruck seiner Augen spiegelte die Sorge und Angst um seinen Sohn wieder. „Glauben sie, dass Ben noch lebt?“


    Das Bimmeln des Handys ersparte dem Autobahnpolizisten die Antwort. Ein Blick auf das Display wies Kim Krüger als Anruferin aus. „Moment bitte, Herr Jäger!“ Angespannt lauschte er den Worten seiner Chefin. Am Ende des Gesprächs entfuhr ihm eine Serie türkischer Flüche, als er mit seiner Faust gegen die Wand im Flur hämmerte. Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, erklärte er Konrad Jäger, was geschehen war.


    „Der Verdächtige wurde zum Verhör auf die PAST gebracht. Direkt vor dem Eingang der Dienststelle wurde er von einem Scharfschützen durch einen Kopfschuss getötet!“


    Wieder löste sich eine hoffnungsvolle Spur auf der Suche nach Ben im Nichts auf.

  • Irgendwo …

    Bens Blick blieb förmlich wie gebannt am Bildschirm haften. Die Szenen, die sich vor ihm abspielten, waren eindeutig. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er, wie jemand, den er nicht erkennen konnte, ins Krankenzimmer stürmte, den Attentäter von hinten angriff und zu Fall brachte. Die ersten Sekunden des Kampfes konnte er live am Bildschirm mehr erahnen als mitverfolgen. Dann wurde der Monitor schwarz. Ein kleiner Funken von Hoffnung und Erleichterung machte sich in ihm breit.


    Die Veränderung von Bens Verhalten war auch Gabriela nicht entgangen. Ihr Blick glitt hinüber zum Monitor. Doch statt Zeugin des erhofften Mordes zu werden und die blutüberströmte Leiche von Julia Jäger zu sehen, flackerte dort auf einmal ein schwarzes Bild. Ihre Euphorie wich schlagartig und ihr Gesicht verwandelte sich in eine hässliche Fratze. Mit einer gewissen Erleichterung registrierte der Polizist, dass sich ihr Zorn zuerst gegen den jungen Albaner richtete.


    „Was hast du Trottel gemacht?“, keifte sie aufgebracht den schwarzhaarigen Mann an. „Was hast du gemacht?“


    Bevor der Schwarzhaarige ihr eine Antwort geben konnte, dudelte ein Handy in Gabrielas Hosentasche los. Sie fischte mit ihrer Linken nach dem Smartphone. Als sie die Nummer auf dem Display erkannte, nahm sie das Gespräch sofort an, dabei blieb ihr Blick auf Ben fixiert. Erhoffte sie sich von dem Gespräch diese eine Nachricht: Julia Jäger ist tot. Sie bereitete sich innerlich darauf vor, den Lautsprecher anzustellen, um Ben Jäger diese Botschaft übermitteln zu können.


    „Was ist passiert Remzi?“ herrschte sie ihren Gesprächspartner an. „Was? … Was?... Was sagst du da?“, brüllte sie lauthals los, „Julia Jäger lebt!“


    Sie sah das freudige Aufleuchten in Bens Augen und wechselte zur Fortführung des Gespräches in ihre Muttersprache. Die Kroatin drehte sich von Ben weg und stapfte in Richtung der Tür. Ben verstand leider kein Wort mehr. Die Antwort am Telefon schien der Kroatin nicht gefallen zu haben. Es erfolgte ein heulender Aufschrei von Gabriela, der sich im Treppenhaus des riesigen Hauses verlor. Ihre geifernde Stimme, die sich überschlug, entfernte sich und verstummte schließlich. Die Tür zur Folterkammer fiel ins Schloss.


    Stille breitete sich aus.


    Ben atmete befreit auf. Das Schicksal war gnädig gewesen und hatte Julia verschont. Ihm war im gleichen Moment auch klar, dass es sich nur um eine Galgenfrist handelte, die im nächsten Augenblick abgelaufen sein konnte. Sein Blick fiel auf den jungen Albaner, der hektisch auf seiner Tastatur rumhämmerte. Dessen Augen loderten ihn hasserfüllt an, wenn er in seine Richtung schaute. War das der Weg, das drohende Unheil von Julia und Anna abzuwenden. Während der Nacht, als ihn seine Schmerzen wach gehalten hatten, war die Idee entstanden. Er war sich der Tragweite seiner Absicht bewusst und benötigte noch einige Sekunde, um diese endgültig zuzulassen. Für den Bruchteil einer Sekunde schloss er die Augen, ging in sich und atmete kontrolliert aus. Wenn er das Spiel begann, würde es kein Zurück mehr geben.
    Ben traf seine einsame Entscheidung.

  • Die Gewissheit, dass sein Opfer Gabriela einen Strich durch die Rechnung machen würde, gab ihm die mentale Kraft und nahm ihm die Furcht vor dem was kommen würde. Wen er nicht mehr am Leben war, würde eine Ermordung von Julia und Anna würde für die Kroatin keine Bedeutung mehr haben. Ben war sich sicher, nur so konnte er die beiden Menschen, die er am meisten liebte, retten.


    So gut es ging, versuchte sich der Polizist aufzurichten. Sein gesundes linkes Bein trug sein Gewicht. Das Adrenalin verabschiedete sich langsam aus seinem Körper, der Schmerz kehrte erbarmungslos wieder. Ben verdrängte ihn in die hintersten Winkel seines Bewusstseins. Seine Stimme glich zu Beginn seiner Ansprache mehr einem Krächzen. Doch mit jedem Satz bekam sie einen festeren Klang.


    „Hey, du Balkanbauernfresse, funktioniert deine Technik mal wieder nicht?“, sprach Ben den jungen Mann provozierend an. Der richtete sich hinter seinem Bildschirm auf und glotzte in Richtung des Polizisten, der unbeirrt weiter redete.

    „Remzi hatte schon Recht! Du bist echt ein Versager! … Dein Vater hätte dir halt nicht nur ein paar Püppchen zum Spielen geben sollen, wie einem Mädchen, sondern Spielzeug für echte Männer! … Eine Knarre, zum Beispiel!“

    Das Gesicht des Albaners färbte sich dunkelrot vor Zorn. Seine Atmung wurde hörbar lauter.
    „Halt’s Maul du Bullenschwein! … Sonst stopfe ich dir die Fresse!“, blaffte er zurück und trat einen Schritt hinter seinem Computertisch hervor.


    Ermutigt von der Reaktion seines Widersachers legte Ben noch einen drauf. Tief in seinem Inneren mobilisierte er seine letzten Kraftreserven.
    „Du … mir die Fresse stopfen? … Das ich nicht lache! … Du Weichei, kannst mich ja nicht einmal richtig anschauen ohne dass du gleich kotzen musst!“


    Ein verächtliches Lachen kam über die Lippen des Gefolterten.


    „Hör auf! … Hör auf, du Bullenschwein! … Niemand redet so mit mir! … Niemand!“ Rashid ging drei Schritte auf Ben zu. Sein Blick irrte durch den Raum … er suchte etwas … er lauschte. „Keiner hat das Recht so mit mir zu reden!“, bekräftigte er in einem schrillen Tonfall seine Aussage. „Schon gar nicht DU, der am Unglück meiner Familie schuld ist.!“
    Seine Rechte tastete dabei hinten am Rücken herum. Im Hosenbund steckte, verdeckt durch sein überhängendes Hemd eine kleinkalibrige Pistole, die er wie aus dem Nichts hervorzauberte, in seiner Hand hielt und auf Ben zielte.

    Dieser lachte bei dem Anblick des Albaners erneut verächtlich auf. „Was willst du Warmduscher denn mit einer Knarre in der Hand?“ … Ben lachte wieder und hustete dabei leicht. Er ließ dem jungen Mann all seine Verachtung spüren. „Pass bloß auf, dass du dir vor lauter Angst nicht in die Hose pisst! … Oder noch viel schlimmer! … Wenn die Waffe geladen ist, dass du dir aus Versehen dein Ding wegschießt!“

    Ben grinste und feixte vor sich hin, als würde er sich das in einer Art Kopf-Kino gerade vorstellen. Der Albaner entsicherte die Waffe. Jeder einzelne Satz reizte ihn, stachelte seinen Hass auf Ben Jäger an. „Weißt du Rashid, so heißt du doch? … Wie konnte ein Mann wie dein Vater nur solch einen Weichling wie dich zeugen? … Im Suff? … Oder ist deine Mutter eines der Callgirls gewesen, die es mit jedem in einem von euren Freudenhäusern trieb?“


    Bens letzte Aussage, die eine Beleidigung seiner geliebten Mutter war, hatte mental eine Grenze bei seinem Gegenüber überschritten und brachte das Fass zum Überlaufen. Rashid war schlichtweg blind vor Wut und Hass und nicht mehr Herr seiner Sinne. Die Situation eskalierte.

    Der Polizist verfolgte, wie sich der Zeigefinger des Albaners krümmte und auf den Abzugshahn Druck ausübte. Ein Knall zerriss die Luft, als das Geschoss den Lauf verlies. Ben schloss die Augen und wartete darauf, dass die Kugel in seinen Körper eindringen würde und seinem Leid ein Ende bereiten würde.


    Bens Gedanken waren in den letzten Sekunden seines Lebens bei seiner großen Liebe Anna. Vor seinem geistigen Auge tauchte ihr Gesicht vor ihm auf. Ihre sinnlichen Lippen, was hätte er darum gegeben, diese noch einmal zu küssen. Noch einmal in ihre dunklen Augen blicken, mit denen sie ihn so liebevoll und verträumt angeschaut hatte, verzaubert hatte. Der Wunsch, seine Freundin in den Armen zu halten, die Wärme ihres Körpers zu spüren, ihren Geruch in seiner Nase. Das Wissen, dass er Anna in diesem Leben nicht mehr sehen würde, trieb ihm die Tränen in die Augen. Langsam rann eine einsame Träne seine Wange hinunter.


    Rashid war ein grottenschlechter Schütze, selbst auf diese kurze Distanz. Seine Schusshand zitterte und der Rückschlag der Waffe riss ihm fast die Pistole aus der Hand. Die Kugel streifte Bens linke Schulter und riss diesen an den Seilen hängend herum. Erneut zog der Albaner den Abzug durch, die Kugel landete irgendwo hinter Ben im Putz der Wand. Ein erneuter Knall … Zuerst war der Schlag an seinem Bauch … die Wucht des Einschlags brachte ihn endgültig aus dem Gleichgewicht. Eine merkwürdige Ruhe breitete sich in ihm aus. Er hörte den lauten Knall, als der Albaner weitere Kugeln auf ihn abfeuerte. Etwas streifte seine Hüfte und hinterließ ein heißes Brennen. Ben konnte einfach nicht mehr klar denken und wünschte sich nichts inständiger, als dass diese eine tödliche Kugel aller Qual ein Ende bereiten würde.

    Er wartete sehnsüchtig darauf, dass der Tod eintreten würde. Das Leben sich auch aus der letzten seiner Körperzellen verabschieden würde und sich irgendwo ein Tunnel öffnete, an dessen Ende ein helles Licht erscheint und ihn mitnahm, auf eine Reise in eine andere Welt ohne Schmerzen und Leid. Oder wie beschrieben es all diese durchgeistigten Typen in diesen komischen Fernsehsendungen, sein Leben würde wie ein Film vor seinem inneren Auge ablaufen.

  • Zuerst setzte der Schmerz nur ansatzweise ein. Instinktiv wollte er mit seinen Händen danach greifen, es ging nicht. Sein Blick wanderte nach unten. Um seine Körpermitte entstand ein kleiner Blutfleck, der sich ständig vergrößerte. Hinzu kam ein gleißendes Feuer, das sich von seinem Nabel aus auf den restlichen Körper ausbreitete, jede Zelle schien davon betroffen zu sein. Er hatte das Gefühl innerlich zu verbrennen. Seine Beine konnte sein Gewicht nicht mehr tragen, er sackte in sich zusammen.


    Die Stricke an seinen Händen hielten ihn erbarmungslos aufrecht. Doch der Schmerz an seinen Handgelenken, in seinen Armen war nichts im Vergleich zudem was sich in seinem Unterleib abspielte. Die Schmerzen kamen in Intervallen, raubten ihn den Atem … raubten ihn fast den Verstand. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Haut. Er wollte schreien … es ging nicht, wollte sich zusammen krümmen …es ging nicht. Ein Schleier legte sich vor seinen Augen und ließ alles verschwimmen. Die Geräusche seiner Umgebung nahm er nur noch gedämpft wie durch Watte wahr.


    Aufgeschreckt von den Schüssen eilte Gabriela in den Kellerraum zurück. Wutentbrannt hatte sie das Telefongespräch mit Remzi beendet. Der Anblick, der sich ihr bot, schockte sogar die abgebrühte Kroatin. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit. Ein halbtoter Ben Jäger hing an den Stricken. Der sich ständig vergrößernde Blutfleck in seiner Körpermitte war unübersehbar. Gabriela hatte in ihrem Leben schon genug Schussverletzungen gesehen, um sich darüber im Klaren zu sein, dass diese Verletzung mit der größten Wahrscheinlichkeit tödlich enden würde.


    Der Schock saß tief bei ihr. Von einem Augenblick zum anderen waren ihre sorgsam ausgetüftelten Rachepläne im Hinblick auf Ben Jäger zu Nichte gemacht worden.


    „Du A.rsch! … Du hirnverbrannter A.rsch! … Was hast du H.urensohn nur angerichtet!“ schrie sie außer sich vor Wut den jungen Albaner an, der mit weit aufgerissenen Augen vor ihr stand und abwechselnd sie und den Polizisten anstarrte. Es folgte noch eine Serie von Flüchen und Beschimpfungen der übelsten Art in ihrer Muttersprache.


    Rahsids Hände zitterten, sein kompletter Körper begann zu zittern. Seine sämtlichen Härchen stellten sich auf. Mit einem Schlag war die Ernüchterung für den Albaner gefolgt. Ihm wurde klar, zu was er sich hatte hinreißen lassen und welche Konsequenzen dies für ihn haben würde. Sein Herz raste wie wild und kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Der Polizist hatte ihn überrumpelt. Gleichzeitig hatte er sich von seinen Rachegefühlen hinreißen lassen. Die Augen der Kroatin leuchteten wie irre vor Hass auf. Ihm war klar, sie würde Vergeltung von ihm einfordern. Eine tödliche Vergeltung! Er richtete seine Kanone auf die Kroatin, die völlig ungedeckt vor ihm stand. Hektisch drückte er den Abzug durch. Es gab nur ein leises Klicken. Die Pistole war leer geschossen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Paukenschlag. Anfängerfehler! Er hatte nicht mitgezählt, wie oft er auf den Polizisten geschossen hatte. Kraftlos entfiel die Waffe seinen Händen und landete klappernd auf dem Boden. Abwehrend hob er die Hände auf Schulterhöhe, als sollten diese seine Unschuld bezeugen und die Kroatin um Gnade anflehen.


    „Tut mir leid Gabriela … Das wollte ich nicht! … Glaube mir doch! … Ich wollte das nicht!“ versuchte er sich zu rechtfertigen. „Der Bulle hat mich provoziert … er hat mich beleidigt … unsere Familienehre beleidigt. Bitte …!“ Seine Worte blieben ihm im Hals stecken, als er erkannte, wie die Frau aus einem Holster hinter ihrem Rücken mit der linken Hand eine Pistole zückte und auf ihn anlegte.


    „Das hättest du dir früher überlegen sollen Jüngelchen! … Ben Jäger war MEIN! … Verstehst du … MEIN! …MEIN … MEIN!“ Die letzten Worte schrie sie mit einer sich überschlagender Stimme hinaus. Der junge Albaner wich langsam zurück, ging rückwärts, in der Hoffnung dem Unausweichlichen doch noch entgehen zu können. Die Wand stoppte seine scheinbare Flucht.

    Sein letzter Aufschrei „NEEEEEEEEEEiiiiiiiiiiiiiin!“, verhallte ungehört in dem Kellerraum.

    Wie in Zeitlupentempo zog sie den Abzug der Waffe durch. Die Kugel verließ den Lauf und drang in die Stirn des jungen Mannes ein, zerfetzte den Schädelknochen. Die einstmals weiße Wand wurde überzogen mit Teilen seines Gehirns und den Knochenfragmenten. Blut spritzte umher. Mit aufgerissenen Augen sank er zu Boden und war schon tot, bevor sein Körper aufschlug.

    „Misch dich niemals in meine Pläne ein Jüngelchen! Diese Lektion hast du nun wohl verstanden!“
    Gabriela legte den Kopf seitlich und begutachtete die Leiche.

  • Camil, der sich im Obergeschoss aufgehalten hatte, benötigte einige Minuten länger um in den Keller zu gelangen. Er stieß die Tür zur Folterkammer auf. Mit einem Blick hatte er erfasst, was sich zu getragen hatte. Der Schnauzbärtige hielt es für klüger, die Kroatin nicht anzusprechen.
    Gabriela stand in der Mitte des Raumes und starrte auf Ben Jäger. Kaum hörbar murmelte sie in ihrer Muttersprache eine Serie von Verwünschungen und Hasstriaden vor sich hin.
    Der irre Glanz in ihren Augen war unübersehbar. Ihr Atem ging keuchend und ihr Körper bebte vor Erregung. Sie wirkte auf Camil wie eine Stange Dynamit, an der man die Lunte angezündet hatte und die jeden Moment explodieren und alles in ihrem Umkreis vernichten würde.
    Er schlich sich förmlich an ihr vorbei und schritt zu dem Polizisten. Er tastete nach dessen Puls und brummte zufrieden, als er an der Halsschlagader ein schwaches Klopfen fühlen konnte. Rücksichtslos riss er die Reste des Shirts vom Oberkörper runter und begutachtete die Schussverletzungen.


    „Bullshit!“, entfuhr es ihm, als er das Einschussloch im Bauchraum begutachtete. Auf Höhe des Bauchnabels, seitlich versetzt, war die Kugel in den Körper eingedrungen. Unaufhaltsam quoll ein dunkelroter Blutstrom aus dem ausgefransten Einschussloch. Er brauchte kein Arzt zu sein, um sich vorzustellen, welchen Schaden das Geschoss in den Eingeweiden des Polizisten angerichtet hatte. Selbst wenn man den Verletzten sofort in ein Krankenhaus schaffen würde, war es seiner Ansicht nach fraglich, ob der diese Verletzungen überleben würde. Eine weitere Kugel hatte die Schulter gestreift und ein weiteres Geschoss schien sich auf Höhe des Hüftknochens in das Fleisch des Polizisten gebohrt zu haben. Er schnaufte tief durch. Aus einer der zahlreichen Taschen seiner Kampfhose zog er ein Klappmesser und durchschnitt die Fesseln des schwer Verletzten. Der Verwundete stöhnte vor Schmerz auf, als er ihn langsam zu Boden geiten ließ. Der Schnauzbärtige kniete sich neben Ben nieder und untersuchte nochmals eingehend Schussverletzungen. Dabei bemerkte er, dass der Polizist ins Reich der Schatten hinüber geglitten war.


    Gabriela beobachtete die Szene schweigend. Erwartungsvoll blickte sie ihren Helfer an.

    „Der macht es nicht mehr lange!“, mit diesem einem Satz fasste Camil alles zusammen, was sie befürchtete. Die Kroatin nickte wortlos und dachte nach. Hinter ihrer Stirn arbeitete es fieberhaft. Ihre Rachepläne, die sie sich in den letzten Monaten so wunderbar ausgedacht hatte, bis ins letzte Detail ausgemalt hatte, teilweise umgesetzt hatte, mit einem Mal waren sie dahin, wie eine Seifenblase zerplatzt und hatten sich im Nichts aufgelöst.

    Sie biss sich auf die Lippen und schüttelte fast schon ungläubig den Kopf. Es war wie verhext. Ihr prüfender Blick blieb auf den geschundenen Körper des verletzten Polizisten haften.

    „Verbinde ihn! ... Schaff ihn hier raus!“, ordnete sie befehlsgewohnt an. „Vor allem! ... Sorge dafür, dass er am Leben bleibt!“

    Camil fuhr aus der Hocke in die Höhe und schritt auf Gabriela zu.

    „Wie stellst du dir das vor, ich bin kein Arzt! ... Wohin soll ich ihn schaffen? Zurück in sein Kellerloch? Da kann ich ihn auch gleich hier verrecken lassen!“, gab er ihr leicht genervt zur Antwort.

    „Pfff ... Lass dir was einfallen!“

    Camil schaute sich suchend im hinteren Teil des Raumes um. Irgendwo mussten doch Remzis Ausrüstungsgegenstände aus Armeezeiten rumliegen. Seine Folterwerkzeuge lagen auf dem Tisch, doch der Rest seiner Ausrüstung, einschließlich des Erste-Hilfe-Rucksacks, musste sich ebenfalls hier im Raum befinden. Er entdeckte den kleinen unscheinbaren Rucksack mit dem roten Halbmond auf weißem Untergrund seitlich neben einem der Sofas auf dem Boden liegen. Rasch entnahm er das Verbandsmaterial, das noch aus Militärbestanden stammte.

    Routiniert verband er die Schussverletzungen des Polizisten. Das synthetische Verbandsmaterial aus Militärbeständen enthielt Quickclot, welches die Blutungen relativ schnell stillen würde. Keine Aussicht auf Rettung, waren seine Gedanken dabei, in seinen Augen war Ben Jäger bereits ein toter Mann. Wenn man gnädig wäre, würde man ihm gleich eine Kugel durch den Kopf jagen und das qualvolle Sterben in den nächsten Stunden ersparen. Aber er hatte hier nichts zu melden. Momentan schwebte der Polizist in tiefster Bewusstlosigkeit. Kein Laut war über dessen Lippen gekommen, als Camil seine Schussverletzungen verbunden hatte.

    „Und wohin mit ihm Gabriela?“ fragte er nochmals nach. Er hatte die Arme des Polizisten gepackt und wartete auf ihren Befehl.

    „Schaff ihn rüber in den Fitnessraum und kümmere dich um ihn! …“ Gabriela war im Begriff in den Raum zu verlassen. Einen Augenblick hielt sie inne und drehte sich um. „Den Narr da hinten!“ Ihr Zeigefinger deutete auf die Leiche von Rashid. „Entsorge ihn! … Ich will den Kerl nicht mehr sehen! … Lass mich in Ruhe nachdenken! … Remzi wird der nächsten Stunden auch hier ankommen! Wir reden später darüber, wie es weiter geht! Und vor allem, lüfte und mach hier sauber! Ich ertrage nicht diesen widerlichen Gestank nicht länger!“


    Nach diesen Worten verließ sie endgültig den Raum und begab sich in ihr Schlafzimmer im ersten Stock. Rücksichtslos zog der Schnauzbärtige den Verletzten an seinen Armen über den Gang. Eine Schleifspur aus Blut blieb auf den weißen Marmorfliesen zurück.

    Der Fitnessraum im Kellergeschoß und befand genau auf der gegenüberliegenden Seite des ehemaligen Partyzimmers am Ende des Flures. Camil hatte dort in den vergangenen Tagen des Öfteren auf der Ruderbank oder an den Gewichten trainiert. Die Ausstattung ließ keine Wünsche offen und machte jedem Fitnessstudio Konkurrenz. In einem daran angrenzenden Nebenraum befand sich ein kleines Badezimmer mit Dusche, um sich nach dem Training sofort wieder frisch zu machen. Auf der großen Bodenmatte, die der früheren Hausbesitzerin für ihre Yoga-Übungen gedient hatte, legte er den Verletzten ab, überzeugte sich kurz, ob die Verbände ihre Wirkung erzielt hatten und die Blutungen gestillt wurden. Achtlos warf er eines der großen Badelaken über den Polizisten.

    Anschließend zündete er sich eine Zigarette an und inhalierte bei jedem Zug tief den Rauch. Ohne eine Spur von Mitleid betrachtete Camil den Bewusstlosen. Sein Aufenthalt hier in der Villa war für ihn nur ein gut bezahlter Job, der es ihm ermöglichen würde, sich seinen Traum von einer kleinen Ferienwohnanlage am Meer in seiner Heimat zu erfüllen. In Kroatien wartete eine neue Zukunft. Wenn er in seine Heimat zurückkehrte, wollte er seine langjährige Freundin heiraten, eine Familie gründen. Das war alles, was für ihn zählte und wichtig war.

    Ein gellender Aufschrei hallte durch die Kellerräume und riss ihn aus seinen Gedanken.

  • Gabriela schoss es ihm durch den Kopf. …
    Camil eilte nach draußen und sah die junge Russin in der Tür zum Partyraum stehen. Er rannte auf die junge Frau zu, die völlig außer Fassung wie angewurzelt da stand. Ihr Blick war starr auf die Leiche des Albaners gerichtet. Sie zitterte und stand völlig unter Schock. Er fasste sie an den Schultern an und schüttelte sie kurz. Sie schrie hysterisch weiter.

    „Scht … Beruhige Dich! … Hör auf zu schreien, Mädchen!“, sprach er beruhigend auf sie ein, „Du kannst es nicht mehr ändern. Der Narr ist selbst schuld an seinem Schicksal!“

    Es half nichts. Sie schrie einfach weiter und er verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Elena schluchzte und erstarrte … sie schluckte ihre Tränen hinunter und blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    „Egal was der Kerl dir versprochen hatte, es ist aus und vorbei. Verstanden! …. Er wird dich nicht mehr beschützen. … Verstanden! … Hast du mich verstanden!“ sprach er energisch auf sie ein, umfasste ihre Schultern und schüttelte sie. „Wenn du hier lebend rauskommen willst, dann reiß dich zusammen! … Gabriela ist unberechenbar, halte dich so gut es geht in den nächsten Stunden von ihr fern!“

    Elena nickte eingeschüchtert. Sie verstand die deutsche Sprache besser, als sie diese sprach.
    „Bringe mir Putzzeug!“, forderte er die Russin auf, „und dann verzieh dich in dein Zimmer!“


    Angelockt vom Blutgeruch schwirrten etliche Schmeißfliegen, die ihren Weg durch die geöffnete Terrassentür in den Partyraum herum. Wenn es neben Ratten etwas gab, was Camil hasste, dann waren es diese Plagegeister. Wenn sich diese Viecher und anderes Ungeziefer nicht im Haus breit machen sollten, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als den Befehl der Kroatin auszuführen den Partyraum gründlich zu säubern. Er verzog angewidert das Gesicht bei dem Gedanken und stieß ein paar derbe Flüche in seiner Heimatsprache aus.
    ****
    Remzi traf nach dem Mord an den Attentäter alleine in der Villa ein. Sascha und die anderen Gehilfen aus der Bande von Stojkovicz hatten sich auf Gabrielas Anweisung hin, in eine Tarnwohnung im Kölner Zentrum zurückgezogen. Camil fing ihn bereits in der Eingangshalle ab und informierte seinen Freund über die Begebenheiten, die sich vor zwei Stunden im Keller abgespielt hatten. Der grauhaarige Söldner fluchte lauthals vor sich und bebte vor Wut. Dieser Rachefeldzug verlief alles andere als planmäßig.

    „Wo ist sie?“, fragte der Ältere.

    „Oben! … Sie tobt und ist völlig neben der Spur! Nimm dich in Acht, Remzi! Die Frau spinnt im höchsten Grad!“, knurrte Camil als Antwort zurück. Wie zur Bestätigung hallte das Zerbersten eines Spiegels durch die Eingangshalle.

    „Ich kümmere mich darum!“, brummte Remzi.


    Zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, stürmte der Söldner die Freitreppe nach oben. Der Lärm, den ihre Zerstörungswut verursachte, zeigte ihm den Weg zu der Kroatin. Unter dem Türrahmen blieb er erst einmal stehen und betrachtete das Schlachtfeld und Gabriela. Ihr Gesicht hatte sich zu einer hässlichen Fratze verzerrt. Aus ihren Augen sprach der unverhohlene Wahnsinn.
    Remzi fragte sich, was war aus der Frau geworden, die er ausgebildet hatte, mit der er in früheren Jahren Attentate geplant und etliche Überfälle durchgeführt hatte. Damals hatte er ihren messerscharfen Verstand und ihren gewissen Hang zur Genialität bewundert. Sie hatte weder Moral noch Skrupel beim Durchführen ihrer Pläne und Mordaufträge gekannt. Doch niemals hätte sie sich zu solch einer unkontrollierten Zerstörungsaktion hinreißen lassen. Die Ereignisse des letzten Jahres schienen sie komplett verändert zu haben.


    „Sag mal geht’s noch!“, brüllte er die Kroatin in ihrer Muttersprache an. „Haben sich bei dir einige Schrauben gelockert?“
    Er deutete dabei mit der flachen Rechten an seine Schläfe. In ihrem Wutausbruch hatte Gabriela vorher das Schlafzimmer des Albaners verwüstet und stand schweißgebadet und keuchend in Mitten des Raumes. Das Zimmer glich einer Trümmerlandschaft, über die ein Wirbelsturm hinweggefegt war und alles zerstört hatte, was auf seinem Weg lag.

    Gabriela ließ das Fläschchen Eau de Toilette, welches sie in der Hand hielt, achtlos auf den Boden fallen und starrte ihren alten Weggefährten an. Der Geruch des Rasierwassers verbreitete sich im Raum. In diesem Moment war Remzi das nächste willkommene Ventil für sie, um sich abzureagieren. Sie überschüttete ihn mit Vorwürfen, weshalb der Anschlag auf Julia Jäger fehlgeschlagen war. Remzi und die Kroatin gerieten in eine heftige verbale Auseinandersetzung. Anfangs ließ der Söldner die Beschimpfungen schweigend über sich ergehen, in der Hoffnung Gabriela würde sich dadurch beruhigen. Doch das Gegenteil war der Fall. Sie steigerte sich gleich einem Rauschzustand immer mehr hinein und als sie nur noch geifernd, sabbernd und schäumend vor Wut vor ihm stand, platzte ihm der Kragen.

    „Mensch beruhige dich doch endlich wieder Gabriela“, blaffte Remzi die Jüngere ziemlich lautstark und unbeherrscht an und trat einige Schritte auf sie zu. „Was ist los mit dir? Hat dir dein Wahn nach Rache sämtlichen Gehirnzellen frittiert oder kannst auch noch mal einen Moment klar denken?“


    Er umfasste mit einem brutalen Griff ihre Schultern und schüttelte sie. Gabriela heulte schrill vor Schmerz auf. Ihr Körper vibrierte und in ihren Augen verlosch der irre Glanz. Sie atmete keuchend ein und aus und der Grauhaarige hatte das Gefühl, dass sie langsam wieder in der Wirklichkeit ankam. Mittlerweile wusste er, wer den Anschlag im Krankenhaus in letzter Sekunde vereitelt hatte. Ihm war klar, dass diese Nachricht der Kilic nicht gefallen würde. Doch ihre Reaktion darauf übertraf alles.

    „Es konnte keiner voraussehen, dass ausgerechnet dieser kleine Giftzwerg Gerkhan im Krankenzimmer von Julia Jäger auftauchen würde!“

    „Gerkhan!“ fauchte sie wie eine wildgewordene Raubkatze und fletschte dazu ihre Zähne. Ihre Augen fielen ihr fast aus den Augenhöhlen vor Wut. „Gerkhan … Gerkhan ist in Köln! … Ihr Idioten, ihr Taugenichtse, wer von euch hat behauptet der Autobahnbulle wäre in der Türkei? … Oh Gott, wenn ich den in meine Finger bekomme! …Schau her!“, geiferte sie und riss sich den Bolero vom rechten Oberarm. „Er ist dran schuld, dass ich wie Monstrum aussehe, vor dem sich Männer ekeln! Gerkhan ist an allem schuld!“


    Sie holte mehrmals Luft, schnaubte vor sich hin, wie ein wild gewordener Stier und begann auf ein Neues den Älteren mit einer Ansammlung übelster kroatischer Schimpfwörter zu belegen. Mit ihrer Linken hämmerte sie auf die Brust des Mannes ein. Nun wurde es Remzi zu bunt. Er verpasste der jüngeren Frau links und rechts einige schallenden Ohrfeigen, was sie vor Schmerz aufheulen ließ und umfasste ihr Kinn. Den Kräften Remzis hatte sie nichts entgegenzusetzen. Mit einem eisernen Griff zwang er Gabriela ihm in die Augen zu schauen. Seine grünen Augen loderten sie an. Die Schärfe seines Tonfalls ließ sie verstummen.

    „Vergiss nicht, mit wem du redest Gabriela! … Ich bin keines deiner Schoßhündchen, die du in den vergangenen Jahren um dich gescharrt hattest, wie diesen Nicholas Schneider oder deinen Cousin Mario!“ Er hob dabei drohend wie ein Lehrer den Zeigefinger. „Verstanden!“ Sie nickte andeutungsweise in seinen eisernen Griff hinein. „Gut! … Also überlege dir genau, was du mir vorwirfst! … Ich hatte dich von Anfang an gewarnt, diese Albaner mit ins Boot zu holen. Doch du wolltest wieder mal schlauer sein, als alle anderen und gleich für die Polizei den perfekten Bösewicht mitliefern. Das ist wohl gründlich in die Hose gegangen! Mit unseren eigenen Leuten wäre das nicht passiert!“

    Er ließ ihr Kinn los, auf dem sich die Druckstellen seiner Fingerkuppen abzeichneten. Sie machte einen Schritt rückwärts. Ihre Wangen waren von seinen Schlägen gerötet.

    „Ab jetzt gelten auch meine Spielregeln, sonst bin ich hier schneller weg, als du piep sagen kannst verstanden!“

    Sie biss sich auf die Lippen und bewegte den Kopf auf und ab.

  • „Vorerst kein Wort zu den Albanern, dass dieser Rashid tot ist, vor allem dieser Sascha Celik darf nichts davon wissen. Es reicht, wenn die komplette Polizei von Nordrhein-Westfalen hinter dir her ist. Da brauchen wir diese albanischen Hackfressen nicht auch noch im Genick!“ Wieder nickte sie zustimmend. „Gut, dann hätten wir ja einiges geklärt!“ brummte er.

    In Gabrielas Mimik arbeitete es. Entgegen ihrer sonstigen so dominanten Art verhielt sie sich zurückhaltend und schweigsam. Daher legte er noch einen nach.
    „Hast du überhaupt schon mal einen Gedanken daran verschwendet, was du nach deinem Rachefeldzug unternehmen willst? … Zurück in den Knast gehen, wo wir dich rausgeholt haben? …. Was? …. Sag mir was?“


    Als Antwort erntete er ihr Schweigen.


    Im einem scharfen Tonfall brüllte er sie an: „Also, ich höre! … Welche Pläne hast du für deine Zukunft Gabriela? Camil oder ich möchten wieder nach Kroatien oder Serbien, wenn diese Aktion hier zu Ende ist und nicht in irgendeinem deutschen Gefängnis bis an unser Lebensende vermodern.“


    Sie schluckte, ihr Körper vibrierte und etwas kleinlaut gestand sie ihrem ehemaligen Ausbilder: „Darüber habe ich mir noch keine endgültigen Gedanken gemacht!“


    „Keine! Ich glaube es nicht!“, er lachte lauthals und voller Ironie auf und schüttelte ungläubig den Kopf, „Dann wird es wohl langsam Zeit! Laut Camil macht es der Kerl da unten im Keller nicht mehr lange! Ein paar Stunden vielleicht noch oder er hat den Löffel bereits abgegeben! Einen nochmaligen Mordanschlag an Julia Jäger kannst du dir mal aus dem Kopf schlagen. Die wird, wie der Rest der Familie Jäger, wie das Gold in Fort Knox bewacht. Also, was hast du vor? Wer steht noch auf deiner Liste des Todes? Gerkhan?“ Dabei deutete er auf ihren verstümmelten rechten Oberarm, „Wenn du mich fragst, sollten wir hier unsere Zelte abbrechen und schleunigst verschwinden! Gib dem Bullen im Keller den Gnadenschuss und schmeiß seine Leiche seinen Bullenkollegen auf die Autobahn. Dort können sie seine Reste vom Asphalt zusammenkratzen.“ Er legte eine kleine Pause ein und suchte Blickkontakt mit ihren Augen. Seine Stimme klang milder. „Lass uns für einige Monate untertauchen und Gras über die Sache wachsen. Der Türke läuft dir nicht weg.“


    Remzi drehte sich um und wollte das Zimmer verlassen. Unter dem Türrahmen hielt einen Moment inne und wendete sich der Kroatin nochmals zu.


    „Also denk nach, Gabriela! Ich reinige mit Camil in der Zwischenzeit den Kellerraum, beseitige alle verräterischen Spuren im Haus und entsorge die Leiche. Bis zum Abend erwarte ich eine Entscheidung von dir oder ich bin morgen früh weg!“


    Nachdenklich stapfte der Serbe in den Keller zu seinem Freund Camil.
    Remzis Laune war an dem absoluten Tiefpunkt angelangt, als er den Kellerraum betrat und sie besserte sich auch nicht, als er die Leiche des Albaners sah.


    „Schöne Sauerei!“, kommentierte er.


    „Hey, rauch erst einmal eine Kippe!“, meinte Camil und hielt ihm auffordernd die Zigarettenschachtel hin. „Beruhigt die Nerven!“

    Die beiden Söldner durchschritten den Raum zur geöffneten Terrassentür. Während sie am Türrahmen lehnend tief den Rauch der Zigaretten inhalierten, informierte Remzi seinen Freund über das Gespräch mit Gabriela und das Ultimatum, das er ihr gesetzt hatte. Zustimmend nickte der Jüngere. Daraufhin beratschlagten die beiden, wohin sie die Leiche entsorgen könnten.

    „Wo ist die kleine Russin?“, fragte der Grauhaarige nach. „Hat Gabriela sie auch gekillt?“
    Er blickte sich suchend im Raum um.

    „Nein, der ist nichts passiert! Ich habe sie nach oben auf ihr Zimmer geschickt!“

    „Sehr gut!“ Genüsslich leckte sich Remzi über die Lippen. „Die gehört heute Nacht mir oder bist du auch auf sie scharf?“

    „Warum nicht?“, meinte der Schnauzbärtige grinsend, „Wenn du mir was übrig lässt ist oder habe ich Vortritt? Vielleicht so wie in alten Zeiten? Gegen so ein Häschen im Bett hätte ich nichts einzuwenden. Was Maria nicht weiß, macht sie nicht heiß!“


    Spöttisch lachte er auf und sein Freund fiel in das Lachen mit ein. Voller Vorfreude glitzerten seine Augen.


    „Übrigens, wie geht es dem Bullen? Lebt er noch?“, erkundigte sich Remzi, als er seine dritte Kippe achtlos nach draußen in Richtung des leeren Pools schnippte.

    „Bevor du runter kamst, war ich bei ihm. … Ja, er lebt noch. Der Bursche ist unglaublich zäh. Trotzdem, die Nacht wird er mit den Verletzungen nicht überleben!“ Er klopfte seinem Kumpel auffordernd auf die Schulter, „Komm lass uns anfangen, sonst werden wir niemals fertig. Ich denke morgen früh geht es zurück in die Heimat.“


    *****

    In seinem Kopf breitete sich plötzlich ein schallendes Gelächter aus. Das Lachen wurde lauter und lauter. Gehässig … bösartig …
    „Na wie gefällt dir das Jägerlein?“, drang die Stimme der Kroatin zu ihm durch. Er wandte seinen Kopf suchend umher und erblickte seine Schwester.
    „Julia!“, entfuhr es ihm. Völlig entsetzt blickte er in ihre Richtung. Sie lag in einem Krankenbett und ihr Nachthemd, die Zudecke und das Kopfkissen waren blutdurchtränkt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Bruder anklagend an.
    „Du bist schuld Ben! … Du bist schuld daran, dass sie mich umgebracht haben!“ hauchte Julia. Sie verstummte und aus ihren Augen wich das Leben.

    „Nein! … Nein!“, schrie er, „das ist doch alles nicht wahr!“

    „Na, wie fühlt sich das an, der Mörder seiner Schwester zu sein, Jägerlein?“, wisperte Gabriela, die neben dem Totenbett auftauchte. Ihr Tonfall troff vor falschem Mitleid.

    „Neiiiiiiin!“, brüllte Ben nochmals lauthals. „Neiiiiiin! …. Juliaaaaaaaaaaa!“


    Er schlug seine Hände vor das Gesicht, um seine Augen zu bedecken. Er konnte diesen grausamen Anblick nicht länger ertragen. Von einer Sekunde zur anderen verstummte das schauderhafte Gelächter der Kroatin.


    Stattdessen verbreitete sich ein unsagbarer Schmerz in seinem Körper, schien ihn förmlich innerlich aufzufressen. Ben riss die Augen auf und blinzelte den Nebel, der davor waberte, weg. Er fand sich liegend auf einem weichen grauen Untergrund wieder. Einzelne Erinnerungsfetzen kamen auf … da waren wieder die Szenen des Attentats auf Julia … der Schuss des Albaners … auf einmal war alles wieder da. Er war bereit gewesen, das größte Opfer zu bringen, welches ein Mensch für andere geben kann: Sein Leben. Er wollte sterben, um das Leben derer, die er am meisten liebte zu retten.


    Welchen Preis sollte er noch zahlen?


    Was verlangte das Schicksal noch von ihm?


    Warum hatte dieser hasserfüllte Narr nur so daneben gezielt und sein Leid, seine Qualen noch vergrößert? Warum?


    Unbarmherzig brandete in Intervallen eine neue Feuerlohe aus Schmerz nach der anderen durch seinen Körper, wütete in seinem Leib. Ben krümmte sich zusammen, brüllte seine Höllenpein hinaus. Dabei kam nur ein klägliches Wimmern über seine Lippen. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, die sich einsam ihren Weg über seine Wangen suchten. Mit den Fingern seiner rechten Hand tasteten er über seinen Bauch, spürte den weichen Mull des Verbandes. Herzzerreißend stöhnte er auf … eine Frage hämmerte in seinem Kopf herum … Wie lange würde seine Leidenszeit noch dauern, bis es endgültig vorbei ist.

    Ben war beseelt von dem Wunsch zu sterben … es sollte einfach vorbei sein … er konnte, nein er wollte nicht mehr kämpfen. Langsam schwand sein Bewusstsein und er driftete ab in die Schattenwelt.

    Ende des zweiten Teils ….

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