Ein schreckliches Erbe

  • Nachdem aus dem Tank des Horrorhauses Gewebereste geborgen waren, fuhr Hartmut zurück in die KTU. Er hatte insgesamt Material für mehrere Wochen Arbeit, aber beginnen würde er mit der Gewinnung der DNA aus dem Tank und Susanne würde zugleich einen Abgleich der Vermisstenanzeigen vornehmen. Die Beschreibung des Opfers lag -von Zofia gegeben- auch vor, aber im Endeffekt hatten sie das schon fast gewusst-auch dieser Mann hatte beinahe ausgesehen wie Ben, das war Maria´s Beuteschema. Hartmut zog seinen weißen Labormantel an und machte sich an die Arbeit, als wenig später schon Susanne bei ihm anrief: „Hartmut-ich habe eine Vermisstenanzeige gefunden, die passen könnte. Ein Düsseldorfer Vertreter für Landmaschinentechnik ist vor drei Monaten verschwunden. Seine Frau hat das zwar gemeldet, aber ausgesagt, dass es auch möglich wäre, dass ihr Mann sich abgesetzt hätte, weil die Ehe gerade am Zerbrechen war und er wohl zuvor schon mehrfach fremd gegangen war. Deshalb haben die Kollegen da nicht intensiver ermittelt, aber es dürfte kein Problem darstellen, zum Vergleich eine DNA-Probe zu gewinnen, wenn du Ergebnisse hast“, informierte sie ihn und natürlich auch Frau Krüger. Die schickte gleich zwei Beamte in die Wohnung des Vermissten, um Material zu gewinnen und die kamen mit der Zahnbürste und anderen persönlichen Dingen des Mannes zurück.


    Während die Diagnosecomputer liefen, nahm sich Hartmut handgeschriebene Aufzeichnungen Mengele´s, die säuberlich in Ringbüchern abgeheftet waren, vor, glich manche Daten mit dem Internet ab und ein Schauer des Entsetzens nach dem anderen lief ihm über den Rücken. Zu welch beispielloser Grausamkeit war der Großvater der Verhafteten und ihres Bruders nur fähig gewesen? Er hatte reihenweise Kinder und Erwachsene getötet-vorwiegend Juden und ganze Zigeunersippen, schreckliche, schmerzhafte medizinische Versuche mit ihnen angestellt und sie dabei menschenverachtend noch als „meine Meerschweinchen“ bezeichnet. Dem Ganzen hatte er den Deckmantel medizinischer Forschung umgehängt und gerade seine Erkenntnisse und Theorien zur Irisheterochromie und zu Noma-dem sogenannten Wasserkrebs, hatten fast zwanghafte Züge gehabt. Er selber hatte wohl gleichfarbige dunkelbraune Augen besessen, aber sowohl Maria, als auch ihre Mutter und Großmutter wiesen dieses Merkmal der verschiedenen Irisfarben auf. Allerdings hatte er seine südamerikanische Frau wohl erst nach dem zweiten Weltkrieg kennen gelernt, als er 1949 über die sogenannten Rattenlinien nach Buenos Aires mit der North King geflohen war. Seine Ehe in Deutschland hatte seine Ehefrau annullieren lassen, aber sein Sohn Rolf hatte wohl bis zu Mengele´s Tod durch Ertrinken nach einem Schlaganfall beim Schwimmen im Meer 1979, mit ihm Kontakt gehalten und kannte vermutlich auch Maria und Elias Gregor und deren Mutter, seine Halbschwester. Es lag eine Heiratsurkunde von 1950 unter dem falschen Namen Helmut Gregor mit einer Anna de Fuentes aus Argentinien unter dem Peronregime vor, das musste Maria´s Großmutter gewesen sein. Die Aufzeichnungen würden ihn noch einige Tage beschäftigen, aber Hartmut dachte nicht daran, jetzt Feierabend zu machen-wenn seine Gerätschaften liefen, war die KTU sein Zuhause und notfalls würde er dort auch auf einer Isomatte unterm Schreibtisch übernachten.


    Sarah war vom Aufwachraum auf die Unfallstation verlegt worden. Man hatte ihr ein Einzelzimmer zukommen lassen, sozusagen ein Service des Hauses an seine Mitarbeiter. Kaum waren die Aufnahmeformalitäten erledigt, die Infusion abgestöpselt und die Schwester hatte das Zimmer verlassen, da schlüpfte Sarah aus dem Bett und holte unter merkwürdigen Verrenkungen ihre Jeans , die Schuhe und die Unterkleidung aus dem Schrank. Das blutige Oberteil hatte man aufgeschnitten und weg geworfen, aber als Blusenersatz würde das Krankenhaushemd schon gehen, der Arm steckte sowieso in einem straffen Verband, der ihn vor ihrer Brust festhielt und die Drainage war auch noch da. Mühsam zog Sarah sich an und versuchte zu ignorieren, dass es sie jetzt schon drehte-sie musste doch zu Ben! Als sie dann aber aufstand und Richtung Tür lief, ging es so schnell, dass sie nicht mehr rechtzeitig zurück wanken konnte. Eine junge Pflegeschülerin, die gerade an ihrer Zimmertür vorbei lief, hörte den Schlag und als Sarah wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Bett, der Stationsarzt und zwei Kolleginnen beugten sich über sie, ihr Blutdruck wurde gemessen und sie bekam eine gehörige Standpauke. „Sei froh, dass du dir nicht noch mehr getan hast-wie kann man nur so unvernünftig sein! Ich möchte nicht wissen, wie oft du selber deinen Patienten gepredigt hast, nach einer Operation zum ersten Mal nicht alleine auf zu stehen. Du bleibst jetzt liegen und wenn du zur Toilette musst, läutest du bitte. Auf der Intensiv, wo du wahrscheinlich hin wolltest, haben sie selber genügend Arbeit-wie wir auch, da brauchst du den Kollegen wirklich nicht noch mehr machen. Warte einfach ab-bis morgen früh hat sich dein Kreislauf vermutlich beruhigt und ansonsten kann dich vielleicht jemand vom Fahrdienst im Rollstuhl zu deinem Mann bringen. Aber jetzt ist deine eigene Gesundheit einfach wichtiger, du kannst für deinen Angehörigen sowieso nichts machen. Du kannst später mal auf deiner Station anrufen-dein Handy hast du ja und bei uns funktioniert das auch mit dem mobil Telefonieren, wir haben keine abgeschirmten Wände wie ihr auf der Intensivstation. Jetzt ruh dich aus, trink und iss erst mal was-wir bringen dir gleich das Abendessen und wir hoffen, du machst nicht gleich wieder Blödsinn!“, schärfte ihr die ältere Kollegin ein und der Stationsarzt konnte sich im Hinausgehen ein Schmunzeln nicht verkneifen, es war alles gesagt. Sarah presste ein „Entschuldigung!“, hervor und ließ sich unglücklich in ihre Kissen zurück sinken. Es stimmte ja-sie war wohl keine gute Patientin!


    Auf der Intensivstation hatte Andy inzwischen den Stationsarzt über seine Beobachtung informiert. „Ich schau mir das gleich an!“, versprach der und teilte dem Pfleger noch mündlich mit, zu welcher Therapieempfehlung die Antibiotikakonferenz gekommen war. Andy löste das verordnete Medikament sofort auf, steckte ein Infusionssystem an und trat wenig später gemeinsam mit dem Stationsarzt ins Zimmer, um bei der Untersuchung zu helfen. Ben schüttelte den Kopf, als der Stationsarzt, der bereits zwei Paar Einmalhandschuhe über gezogen hatte, ihn freundlich bat, sich seine Kehrseite anschauen zu dürfen. „Ich will meine Ruhe haben-jeder quält mich nur-ich dachte ich bin hier in einem Krankenhaus, dabei seid ihr nicht viel besser als meine Entführerin!“, weinte er beinahe und Semir und der Mediziner und der Pfleger sahen ihn betroffen an. Der Arme war wirklich mit den Nerven komplett am Ende!

  • Der Stationsarzt reagierte sofort, zog sich die Handschuhe wieder aus und holte einen Stuhl ans Bett. Auch wenn er eigentlich genügend Arbeit und kaum Zeit hatte-aber das war jetzt wichtig. „Andy, du kannst dich inzwischen mal um die Besucher im Nebenzimmer kümmern-die möchten gerne eine Auskunft. Erzähl ihnen was du weißt und wenn ihnen das nicht genügen sollte, müssen sie eben warten, ich habe jetzt etwas Wichtigeres zu tun und möchte nicht gestört werden!“, ordnete er an und als der Pfleger nun das Zimmer verließ, zuvor am Monitor die Privatbildschirmfunktion aktivierte und hinter sich die Schiebetür schloss, flog ein leises Lächeln über seine Züge-der junge Kollege hatte eine rasche Auffassungsgabe, das gefiel ihm.


    Die Monitorbeleuchtung war verschwunden, es war ruhig im Zimmer, nur durch die geschlossene Tür hörte man gedämpft die fast immer ein wenig hektischen Geräusche der Intensivstation. Ben, der voller Abwehr auf dem Rücken gelegen, die Pobacken zusammen gekniffen und unbewusst die Decke schützend über sich fest gehalten hatte, ließ ein wenig lockerer. Ganz bewusst ohne Körperkontakt, denn er war schließlich ein Fremder, anders als der türkische Polizist, der schützend seine Hand auf dem angespannten Oberkörper seines Freundes abgelegt hatte, begann der Arzt zu sprechen. „Herr Jäger-also zunächst einmal-niemand wird sie hier ohne ihre Einwilligung untersuchen und behandeln. Sie sind ein erwachsener Mensch, ihre Denkleistung ist nicht durch Medikamente eingeschränkt, sie sind freiwillig hier und können jederzeit gehen, wenn sie es schaffen, auch nur das Bett zu verlassen, oder sich alternativ auch in ein anderes Krankenhaus verlegen lassen, ohne dass ihnen deshalb irgendjemand, ich am Allerwenigsten, böse ist“, bemerkte er. Ben sah ihn verwundert an, er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Aussage. Auch Semir hörte gespannt zu, allerdings fiel ihm sofort jemand ein, der durchaus sauer wäre, wenn Ben sich verlegen ließe, nämlich Sarah, aber daran wollte er seinen Freund jetzt nicht erinnern. Anscheinend war der ältere erfahrene Arzt in psychologischer Gesprächsführung geschult und seine Rede klang ein wenig wie die eines Polizeipsychologen bei einer Geiselnahme.
    „Ihnen muss klar sein-wir alle gehen hier nur unserem Beruf nach und verdienen unser Geld damit, kranken oder verletzten Menschen mit den Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin dabei zu helfen, wieder gesund zu werden. Aber letztendlich gehen sie mit uns einen Behandlungsvertrag ein, der jederzeit von beiden Seiten beendet werden kann. Nur durch ihr Einverständnis sind medizinische Untersuchungen und Behandlungen keine Körperverletzung-und wie dieser Straftatbestand geahndet wird, wissen sie als Polizist am Allerbesten. Ich und auch keiner meiner Kollegen hat Interesse daran, sich vor dem Kadi wieder zu finden und deswegen ist hier die Rechtslage völlig klar-wenn ich gehen und sie in Ruhe lassen soll, werde ich das tun. Allerdings ist es meine Pflicht, sie zuvor darauf hin zu weisen, was dann passieren kann.


    Wie ich aus den Unterlagen ersehen habe, wurden sie von ihrer Entführerin auch rektal verletzt. Sowohl der Notarzt als auch der Urologe, der sie versorgt hat, haben das dokumentiert. Leider kam die akute Magenblutung dazwischen, die zwingend sofort behandelt werden musste und in der Hektik hat leider niemand mehr daran gedacht, sich das näher anzusehen, solange die Spinalanästhesie noch gewirkt hat. Erst Andy unserem Pfleger ist das vorhin aufgefallen, als er sie frisch gemacht hat. Ich weiß, dass sie in den letzten Stunden und Tagen mehr entwürdigende Eingriffe in ihre Intimsphäre aushalten mussten, als so mancher Mensch in seinem ganzen Leben. Ich kann sie verstehen und auf ganzer Linie nachvollziehen, dass es ihnen jetzt einfach reicht, sie todmüde und erschöpft sind und einfach nicht mehr können. Und ganz prinzipiell denke ich auch, dass wir eine eventuell notwendige Behandlung auch verschieben könnten, es ist nur ein Haken dabei: Durch die ganzen voran gegangenen Blutverluste ist ihr Hämoglobinwert inzwischen an einem grenzwertig niedrigen Punkt angekommen. Wenn er weiter absinkt, was durch einen kontinuierlichen Blutverlust der Fall ist, müssen wir ihnen Konserven geben und leider weiß man inzwischen, dass eine Transfusion gar nicht so gut fürs Immunsystem ist, das sie ja gerade absolut notwendig brauchen, um die Urosepsis zu überstehen. Wir sind gerade noch in einem Grenzbereich, wo man zuwarten kann und ihr Körper beginnt jetzt in diesem Augenblick auch schon damit, die Blutbildung im Knochenmark hoch zu fahren-hier greifen raffinierte Regelkreisläufe. Ich denke, wenn es uns nur gelingt einen weiteren Blutverlust zu vermeiden, was vielleicht zumindest mittelfristig sogar ohne operativen Eingriff gelingen könnte, gewinnen wir die Zeit, die ihr Organismus braucht, um sich mit unserer Unterstützung selber zu helfen. Genau aus diesem Grund würde ich mir jetzt gerne einfach nur ihren Po kurz ansehen, um mir ein Bild von der Stärke der Blutung und der Ursache dafür zu machen. Dann sage ich ihnen meine Einschätzung und wir sehen weiter. Wenn sie damit einverstanden sind, dann drehen sie sich einfach kurz um, ich verspreche, sie nicht an zu fassen-schauen sie-ich trage keine Handschuhe und wie sie sicher schon bemerkt haben, wird hier bei uns niemand freiwillig in Blut fassen, ohne sich selber zu schützen. Und sie brauchen sich auch nicht zu genieren-erstens sind wir hier Männer unter uns und zweitens habe ich in meinen knapp dreißig Berufsjahren als Arzt schon so viele nackte Hinterteile gesehen, dass ich mir da überhaupt nichts mehr dabei denke.“, beendete der nette Stationsarzt seine Rede.


    Ben´s Blicke wanderten unsicher vom Doktor zu Semir, aber dann ließ er die Decke, die er wie einen Schutzpanzer über sich gezogen hatte, los und drehte sich mit Semir´s Hilfe aufstöhnend zur Seite. Auf der Unterlage war schon wieder ein Blutfleck und aus der aufgerissenen Schleimhaut lief ein dünnes Blutrinnsal stetig vor sich hin. „Sie dürfen sich wieder zurück drehen-von Angesicht zu Angesicht spricht es sich leichter!“, bemerkte der Arzt und Ben ließ sich wieder in seine Ausgangsposition zurück rollen, nicht ohne sofort wieder nach der Decke zu greifen. „Also Stand der Dinge-der After ist eingerissen, wie weit der Defekt in die Tiefe geht, kann man nur durch eine eingehende Tastuntersuchung feststellen, aber ich denke, dazu sind sie aktuell nicht in der Lage, das auszuhalten. Es gibt nun zwei Möglichkeiten-erstens-der Schließmuskel ist beschädigt, dann muss man das sowieso in Narkose reparieren, wenn es ihnen insgesamt besser geht, aber da spielen ein paar Tage hin oder her dann keine Rolle. Oder alternativ, es ist nur ein Blutgefäß der Darmschleimhaut verletzt, das jetzt so leise vor sich hin schweißt. Also haben wir wiederum zwei Optionen: Erstens-wir lassen das einfach weiter bluten und hoffen, dass es irgendwann von selber aufhört, mit der Option, dass wir Erythrozythenkonzentrate brauchen, um sie zu stabilisieren-dann würde sie heute niemand mehr anfassen.
    Oder wir versuchen das jetzt mit blutstillender Gaze aus zu tamponieren, das wäre höchstens ein kurzer Schmerz, sie bekämen natürlich zuvor auch ein Opiat und höchstwahrscheinlich hört es dann zumindest mittelfristig zu bluten auf und wir sparen uns die Blutkonserve. Ich muss natürlich auch erwähnen, dass es keine Garantie gibt, dass mit der Tamponade die Blutung steht, manchmal muss man auch eine elektrische Blutstillung machen, aber wir hoffen nun einfach das Beste. Ich werde jetzt das Zimmer verlassen, lassen sie sich durch den Kopf gehen, wozu sie sich entscheiden wollen, beraten sie sich mit ihrem Freund und geben uns dann einfach Bescheid“, verabschiedete er sich freundlich und verließ den Raum, nicht ohne die Schiebetür wieder fest hinter sich zu zumachen. Natürlich hatte er zuvor die Laufzeit des Noradrenalins und der Trägerlösung gecheckt, wie lange das Antibiotikum noch brauchte und viele andere Kleinigkeiten, denn durch die verschlossene Türe würde man draußen, außer vom Monitor an der Zentrale, einen Alarm nicht hören, wenn die Perfusoren nicht vernetzt waren und daran arbeiteten sie erst.


    Hartmut hatte wieder zu den Aufzeichnung Dr. Josef Mengele´s gegriffen, weil seine Diagnosecomputer aktuell seine Bedienung nicht brauchten. Zugleich recherchierte er im Internet und wurde immer blasser und blasser-wenn dieser Teufel im Arztkittel seine Neigungen an seine Nachkommen vererbt hatte, durften die nie mehr auf die Menschheit losgelassen werden! Im Dritten Reich hatten anatomische Institute Präparate fürs Studium der Medizinstudenten oder als Ausstellungsstücke für Sammlungen einfach bei ihm bestellen können. Er hatte seine Opfer, darunter viele Kinder, mitleidlos geschlachtet, ausgeweidet und war von den Instituten noch wegen der Qualität seiner Arbeit belobigt worden. „Unwertes Leben“-hoffentlich würde es nie mehr in der Geschichte so eine menschenverachtende Einstellung zu anderen Individuen geben, die als einzige „Schuld“ nur einer differenten ethnischen Gruppierung angehörten!

  • Als Semir und Ben alleine im Zimmer waren, herrschte erst Schweigen. Ben hatte erschöpft die Augen geschlossen und erwartete fast, dass Semir ihn jetzt zu irgendetwas überreden würde, aber der schwieg und ließ einfach seine warme und tröstende Hand dort liegen wo sie war. Irgendwann begann dann Ben zu sprechen: „Semir-was soll ich tun? Eigentlich habe ich das Gefühl, dass ich jetzt einfach nichts, aber auch gar nichts mehr aushalten kann und würde dich jetzt am liebsten zum Arzt raus schicken, damit du ihm das ausrichtest und er dann meinetwegen eine Blutkonserve anhängen soll, aber dann wieder denke ich, dass ich mich wohl nicht so anstellen und das mit der Tamponade machen lassen sollte.“ Semir griff nun nach Ben´s Hand, nahm die fest in die seine und sagte ruhig: „Ben-es wird gemacht, was du möchtest. Ich werde dich zu nichts überreden, was du nicht selber willst. Klar denke ich im Augenblick, vielleicht würde ich an deiner Stelle die Option mit dem kleinen Eingriff wählen, aber ich war noch nie in einer Situation wie dieser und wurde über Tage missbraucht. Also kann ich einfach nicht beurteilen, wie es dir psychisch geht und werde jede deiner Entscheidungen kommentarlos mittragen und dir beistehen!“, sagte er fest und Ben stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er hatte befürchtet, Semir würde ihn unter Druck setzen, aber eigentlich schämte er sich jetzt fast dafür, so etwas auch nur gedacht zu haben. Sein bester Freund stand unbeirrbar zu ihm, egal was er machte, wie eigentlich immer, seit sie sich kannten.

    Ben schwieg nochmals eine Weile und fragte dann: „Meinst du das wäre sehr schlimm und dauert lange-diese Tamponade?“ und Semir konnte nur ehrlich sagen: „Ben-ich weiß es nicht, aber wenn das nicht auszuhalten wäre, hätte der Arzt es wohl nicht vorgeschlagen!“ Wieder überlegte der junge dunkelhaarige Polizist und erklärte dann leise: „Weißt du Semir-diese Maria hat mich die vergangenen Tage so fürchterlich gequält, ich hatte Schmerzen, dass ich meinte wahnsinnig zu werden und um eine erlösende Ohnmacht gebetet habe. Sie hat mir erst immer was gespritzt, was meine Muskeln so erschlaffen ließ, dass ich zwar atmen, mich aber nicht wehren oder schreien konnte. Aber ansonsten habe ich alles voll miterlebt und habe fürchterlich gelitten. Wahrscheinlich bin ich deswegen so mutlos und voller Angst. Aber eigentlich vertraue ich dem netten Arzt. Er wird mir- glaube ich- nichts zumuten, was ich nicht ertragen kann und ich muss mir selber immer wieder sagen, dass ich schließlich im Krankenhaus bin und nicht mehr im Horrorhaus und jeder mir eigentlich nur helfen will. Geh jetzt bitte raus und richte ihm aus, dass ich das mit der Tamponade machen lasse, aber sie sollen das bitte gleich erledigen, damit ich es hinter mir habe und endlich ausruhen kann, ich bin nämlich eigentlich sogar zu müde zum Sprechen!“, erklärte er und Semir nickte und erhob sich. Als er gerade die Schiebetüre öffnete, fügte Ben allerdings noch etwas hinzu, was Semir schmunzeln ließ: „Und außerdem weiß ich genau, was Sarah zu diesem Thema sagen würde!“ und konnte ihm im Stillen nur beipflichten.


    Der Stationsarzt war nirgends zu sehen, aber wenig später kam Andy aus dem Nachbarzimmer: „Herr Gerkhan-hat sich Ben zu etwas entschieden?“, fragte er freundlich und war anscheinend voll informiert. „Ja-er lässt das mit der Tamponade machen und möchte es schnell hinter sich haben!“, richtete Semir aus und der junge Pfleger nickte. „Geht in Ordnung-ich bereite gleich alles vor und gebe dem Stationsarzt Bescheid“, versprach er und Semir kehrte nun zu seinem Freund zurück.


    Keine fünf Minuten später traten der Arzt und Andy gemeinsam ins Zimmer und machten das helle Deckenlicht an, schlossen die Schiebetüre aber wieder hinter sich. Andy hatte einige Utensilien dabei, aber als erstes spannte er eine Perfusorspritze mit Piritramid, einem starken Schmerzmittel ein. Auf dem Nachttisch hatte der Arzt inzwischen die Fertigtamponadenpackung aufgeschnitten und zusätzlich noch den Inhalt einer kleinen Ampulle Adrenalin in eine Spritze aufgezogen. Eine stumpfe Einmalpinzette und eine frische Unterlage waren die restlichen Sachen, die benötigt wurden. „Wir helfen dir jetzt, dich zur Seite zu drehen!“, sagte Andy freundlich und nahm die Zudecke beiseite. Ein Schauer überlief Ben-plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob er das wirklich ertragen würde, aber da nahmen die Dinge schon ihren Lauf. Der Arzt hatte wie vorher zwei Paar Handschuhe über gezogen, Semir hielt Ben´s beide Hände und sah ihn fest an. „Du schaffst das!“, flüsterte er und auf ein Kopfnicken des Arztes hin, gab Andy ihrem gemeinsamen Patienten einen großzügigen Bolus Opiat. Als das anflutete, flüsterte Ben: „Mir wird ganz schwindlig!“ und verdrehte die Augen ein wenig. Man sah, wie die arteriell gemessene Blutdruckkurve sank und der Monitor, den man aus dem Privatmodus geholt hatte, sich anschickte Alarm zu geben, aber genau in diesem Moment, begann der Arzt ohne weitere vorherige Untersuchung die Tamponade in Ben´s Po zu stopfen. Andy hatte die Spritze zur Hand genommen und mit dem anderen Arm hielt er Ben´s Knie umfasst, damit der auch genau in dieser Position liegen blieb. Der plötzliche Schmerz brachte den Blutdruck sofort wieder zum Steigen und Ben stöhnte auf. Der Arzt deutete auf ein jetzt erkennbares blutendes Gefäß am After und Andy tropfte den Inhalt der Spritze darauf, was auch tatsächlich eine Wirkung erzielte, denn das Adrenalin verengte die Blutgefäße. Noch einige weitere Zentimeter Tamponade, dann legte man noch eine Vorlage vor, klebte die mit einem einfachen Pflasterstreifen fest, schob die frische Unterlage unter ihn und rollte ihn auf die andere Seite, woraufhin man die blutige herausziehen und die neue sauber glatt streichen konnte.
    Rasch deckte man Ben wieder zu, löschte das helle Licht und ließ nur noch ein kleines brennen. Draußen fiel die Dämmerung und als der Arzt, der inzwischen die Handschuhe ausgezogen und seine Hände desinfiziert hatte, sich über ihn beugte, lobte er: „Das haben sie gut gemacht-jetzt ruhen sie sich aus und schlafen ein bisschen, morgen ist ein neuer Tag, da sehen wir uns wieder-ich gehe jetzt auch nach Hause!“ und Ben nickte andeutungsweise mit dem Kopf, ließ dann die wohltuende, müde machende Wirkung des Opiats zu und war wenig später eingeschlafen.


    Als Semir ein wenig später auf den Flur trat, um sich etwas zu trinken und vielleicht eine Kleinigkeit zu essen zu besorgen, gab ihm Andy, der gerade am Telefon gewesen war, den Hörer in die Hand: „Herr Gerkhan-Sarah ist am Apparat, ich habe ihr schon gesagt, wie es Ben aus medizinischer Sicht geht und dass er stabil ist, aber vielleicht können sie ihr noch ein paar weitere Worte sagen, ich muss jetzt weiter machen“, bemerkte er und Semir konnte wenig später Sarah beruhigen. „Ben ist zwar fix und fertig, aber er schläft jetzt. Mach dir um ihn keine allzu großen Sorgen-ich bleibe auf seinen Wunsch bei ihm und hole mir gerade noch eine Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken. Wenn er wach wird, richte ich ihm einen Gruß von dir aus-wie geht’s denn dir-hast du die OP gut überstanden?“, fragte er dann nach und als Sarah ihm erklärt hatte, dass sie eigentlich so gut wie neu sei, nur der blöde Kreislauf noch nicht ganz mitspiele, sagte er mit einem Schmunzeln: „Sarah-ruh dich einfach aus-ich bin da und du kannst dich wirklich ganz auf deine eigene Genesung konzentrieren. Ich wünsche dir eine gute Nacht und schlaf dich gesund-so wie Ben das gerade tut!“, gab er ihr durch und als sie dann das Gespräch beendeten, nahm Andy, der mit gehört hatte und nebenbei ein paar Medikamente aufgezogen hatte, mit einem Schmunzeln den Hörer entgegen.
    „Danke-Sarah würde vermutlich am liebsten im Bett neben ihrem Mann stehen, aber das geht einfach nicht-sie ist selber krank. Ich stelle ihnen nachher den Mob-Stuhl mit Decke und Kissen rein, damit sie auch ein bequemes Plätzchen zum Schlafen haben-Kaffee und Wasser können sie gerne von mir haben und meine Kollegen aus der Spätschicht und ich möchten gleich ne Pizza bestellen-wollen sie sich anschließen?“, fragte er und Semir stimmte voller Freude zu-dann hätte er wenigstens nach diesem aufregenden Tag ein leckeres Abendessen. Er gab seinen Auftrag und als eine Stunde später der Pizzabote kam, bezahlte Semir und aß im Personalaufenthaltsraum gemeinsam mit dem diensthabenden Arzt und dem Pflegepersonal voller Genuss eine Meeresfrüchtepizza, während Ben selig schlief. Die Blutung stand, der Kreislauf war unter Noradrenalin und Flüssigkeit leidlich stabil und durch das Opiat waren auch die Schmerzen erträglich.

    Semir hatte nochmals mit Andrea telefoniert und ihr mit geteilt, dass er bei Ben bliebe, was sie absolut befürwortete-sie würde ihren Mann noch viele Nächte um sich haben, aber aktuell brauchte Ben ihn dringender!

  • Ben schlief den Erschöpfungsschlaf. Er wurde gelegentlich kurz wach, wenn zunächst Andy und dann die Nachtschwester aus der Arterie Blut abnahmen und daraus neben den Blutgasen den Hämoglobinwert und die Elektrolyte kontrollierten. Um Mitternacht drehte man ihn mit Semir´s Hilfe ein wenig zur Seite und kontrollierte die Verbände, aber die Blutungen standen, er erbrach auch kein Blut mehr, oder klagte über Übelkeit. Semir hatte es sich auf dem einladend her gerichteten Mob-Stuhl bequem gemacht und auch er schlief nach Mitternacht endlich ein, zum ersten Mal seit Tagen ohne Sorgen, wo Ben wäre, was seit dessen Entführung der beherrschende Gedanke in seinem Kopf gewesen war. Gott sei Dank war es ihnen gelungen ihn zu befreien und es war ein Hoffnungsschimmer am Horizont, dass er das Ganze gut überstehen würde.


    Es war 2.00 Uhr, die Schwester hatte gerade möglichst leise und ohne die beiden schlafenden Männer zu wecken, ihren Rundgang gemacht, die noch spärliche Urinausscheidung dokumentiert, die nächste Blutprobe abgezapft und auf Zehenspitzen den Raum wieder verlassen, als Ben plötzlich hoch schreckte. Alpträume hatten ihn heim gesucht, er sah sich wieder im Keller des Horrorhauses auf dem Bett fest gebunden. Unendliche Schmerzen, Angst, Ekel, alle diese Gefühle brachen plötzlich über ihn herein und ließen ihn mit einem Aufschrei hoch fahren. Sofort wachte Semir auf und flüsterte beruhigend: „Schhhh-Ben-du bist im Krankenhaus in Sicherheit!“, während er nach der Hand des Freundes tastete. Erleichtert ließ Ben sich in seine Kissen zurück fallen. Er fühlte sich zwar matt und müde, hatte auch Schmerzen, aber alleine Semir´s Stimme hatte ihm schon signalisiert, dass alles in Ordnung war-oder doch nicht? Irgendetwas war da in seinem Kopf, was ihm keine Ruhe ließ.

    Sein Unterbewusstsein hatte ihm die schrecklichen Bilder aus dem Keller nochmals sehen lassen, die nackte Maria mit Wahnsinn in den Augen, die über ihm kauerte und sein Auge haben wollte, die unendlichen Schmerzen zwischen seinen Beinen, das Blut, die medizinischen Instrumente, die gefüllten Spritzen… Ben runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach.


    Semir hatte sich inzwischen aufgerichtet und sagte im Flüsterton: „Wenn du dir um Sarah Sorgen machen solltest-die sind unbegründet. Ich habe mit ihr am frühen Abend, als du gerade eingeschlafen warst, telefoniert-sie liegt auf Normalstation, behauptet sie wäre schon wieder fast neu und du sollst dir keine Sorgen machen. Gestern nach der Narkose hat es noch nicht so geklappt mit dem Aufstehen bei ihr, aber ich habe ihr versprochen, sie heute abzuholen und zu dir zu begleiten-entweder zu Fuß oder mit dem Rollstuhl!“, versuchte er zu erahnen, was seinen Freund gerade so beschäftigte.
    Geistesabwesend und wegen Sarah fast ein wenig schuldbewusst erwiderte der: „Das wäre sehr schön und ich freue mich auch, dass es meiner Frau gut geht-aber Semir denk nach-was ist mit den Spritzen mit meinem Samen passiert? Habt ihr die geborgen?“ und Semir sah ihn verständnislos an. „Natürlich hat die Spurensicherung alles mitgenommen, die Beweislage ist doch auch eindeutig, du musst dir keine Sorgen machen-deine Entführerin wird ihre gerechte Strafe bekommen!“, versuchte er Ben zu beruhigen, der gerade rascher atmete und sich aufregte, so dass der Monitor Alarm schlug und die Schwester los lief, um nach dem Rechten zu sehen.


    Semir hatte auch noch einmal nachgedacht und versucht heraus zu finden, auf was Ben hinaus wollte. „Wie viele Spritzen lagen da, als wir ins Krankenhaus gefahren sind!“, fragte er und stöhnte erneut auf, weil eine Schmerzwelle über ihn herein flutet. Dazu stieg der Blutdruck leicht an und die Nachtschwester war auch schon ins Zimmer geeilt und schickte sich gerade an, ihm einen erneuten Opiatbolus zu geben, damit er weiter schlief und die Magenblutung nicht wieder anfing. Ben allerdings hob aufgeregt die Hand: „Schwester-bitte geben sie mir aktuell nichts, wo ich danach nicht mehr richtig denken kann-ich muss erst etwas klären!“, bat er und sein Atem beschleunigte sich. Die Pflegekraft reduzierte also nur das Noradrenalin und sofort sank der Blutdruck wieder-die körpereigenen Streßhormone glichen gerade die Katecholamindosierung aus. Allerdings wäre es doch für ihren Patienten viel angenehmer, wenn der einfach auf Wolke sieben schmerzfrei weiter schlummern würde-sie hätte das jedenfalls vorgezogen!


    Semir, der immer noch nicht wusste, auf was Ben hinaus wollte, dachte zwar nach, aber so genau hatte er nicht darauf geachtet. Eine Spritze hatte da eindeutig gelegen-aber warum war das jetzt gerade für Ben so eminent wichtig? „Ich habe die Spritze liegen sehen und die hat Hartmut sicher mit ins Labor genommen!“, versuchte er seinen Freund zu beruhigen. „Semir-das waren zwei, da bin ich ganz sicher! Die Verrückte hat in mir herum gefuhrwerkt, mir unendliche Schmerzen zugefügt und dabei noch was gebrabbelt von: „Links die Jungs und rechts die Mädchen!“-das waren zwei Spritzen. Und als Maria sich unter der Aufsicht der Frauen anziehen durfte, hat sie nach ihren Kleidern gegriffen, die lagen direkt neben den Instrumenten und den beiden Spritzen-ich habe Angst, dass sie eine mitgenommen hat. Sie hat zuvor immer geflüstert, dass heute der Tag der Tage sei, sie hoch fruchtbar wäre und wir gemeinsam das perfekte Kind zeugen würden. Nur hab ich da natürlich nicht mitgespielt und würde in hundert Jahren meine Sarah nicht betrügen, auch wenns um mein Leben ginge, aber ich hatte da ja noch keine Ahnung, dass sie zu so brutalen Mitteln greifen würde, um an meine Spermien zu kommen. Wenn sie das jetzt irgendwie geschafft haben sollte, eine der Spritzen an sich zu nehmen, wäre das ganz furchtbar für mich. Ich möchte mit dieser schrecklichen Frau kein Kind haben!“, weinte er fast und Semir überlegte. Nach einem Blick auf die Uhr erhob er sich, griff nach seinem Handy und sagte: „So wie ich Hartmut kenne, ist der heute Nacht nicht nach Hause gegangen. Ich gehe kurz raus, rufe in der KTU an und frage ihn-das lässt sich ja heraus finden!“ und war auch schon auf dem Flur verschwunden und hatte die Intensivstation verlassen. Inzwischen wusste er auch schon Plätze im Krankenhaus, wo man einigermaßen Netz hatte, ohne ins Freie zu müssen und so klingelte wenig später der Festnetzanschluss in der KTU. Sekunden später meldet sich ein leicht verschlafener Hartmut, er hatte gerade auf der Isomatte ein kleines Nickerchen gemacht. „Semir was gibt’s?“, fragte er nach einem Blick aufs Display seines Telefons.


    „Hartmut-Ben ist gerade aufgewacht und macht sich Sorgen-ansonsten geht es ihm so einigermaßen. Wie viele Spritzen mit seinem Samen haben wir sicher gestellt?“, fragte er und wie aus der Pistole geschossen antwortete der Techniker, der ein fast photographisches Gedächtnis hatte: „Eine-da bin ich ganz sicher!“ und nun fragte Semir zurück: „Wenn Ben aber Recht hat und da hätte es zwei gegeben-wo ist die zweite dann geblieben?“, überlegte er und nun hörte er Hartmut aufstehen und herum gehen. „Also ich habe mir gerade die Tatortfotos angesehen-als ich dort eingetroffen bin, lag da eine altertümliche Rekordspritze mit dicker Nadel drauf und die ist auch hier im Kühlschrank und muss erst noch untersucht werden. Aber warte-ich schaue mir gerade die Videoaufzeichnungen aus Maria´s Schlafzimmer an, die habe ich ja weiter laufen lassen und das Speichermedium habe ich inzwischen hier“, erklärte er und als er an die richtige Stelle gespult hatte, sagte er erschrocken: „Semir-Ben hat Recht! Da waren zwei Spritzen-aber wo ist dann die Zweite geblieben?“

  • Maria war mit dem Streifenwagen ins Gefängniskrankenhaus gebracht worden. Dort half man ihr mit allen Vorsichtsmaßnahmen, sich zu entkleiden, aber die Justizvollzugsbeamtinnen, die das gemeinsam mit einer Schwester im Aufnahmezimmer erledigten, hatten die Gummiknüppel griffbereit. Die Gittertore hatten sich hinter dem Fahrzeug geschlossen und Flucht war hier nicht möglich. Die Streifenbeamten erledigten derweil die Aufnahmeformalitäten, warnten vor der Gefährlichkeit der Frau und versprachen, sich um den Haftprüfungstermin zu kümmern. Innerhalb einer gewissen Zeitspanne musste die Staatsanwaltschaft ihre Anklage erheben und ein Richter würde dann entscheiden, ob Maria in Haft bliebe, oder bis zur Verhandlung gegen eine Kaution frei gelassen würde. „Diese Frau hat zwei Kollegen schwer verletzt, einen davon entführt und über Tage gefoltert, ich denke sie wird in Haft bleiben-aber das letzte Wort hat natürlich der Richter!“, erklärte der eine der Polizeibeamten, der ja von den Geweberesten im Tank noch gar nichts wusste und die diensthabende Beamtin nickte. „Wir werden gut auf sie aufpassen und wenn sie auch in ihrem schicken Kostüm und den Designerschuhen so normal aussieht-wir kennen unsere Pappenheimer und werden uns selber schützen-besteht irgendein Verdacht, dass sie Drogen bei sich trägt?“, fragte die Beamtin noch nach, aber das verneinten die Streifenbeamten.


    Als man Maria zunächst komplett auszog, sie von oben bis unten inspizierte und ihr dann erst einmal ein Krankenhaushemd anzog, bis der Arzt sich den Arm anschaute, fiel auf, dass ihr Slip blutig war. „Sie bekommen von uns Unterwäsche und Vorlagen oder Tampons-allerdings können wir natürlich nicht mit solch teurer Markenunterwäsche dienen!“, konnte die JVA-Beamtin es sich nicht verkneifen zu bemerken, aber über Maria´s Gesicht zog nur ein feines Lächeln. Die nächsten neun Monate würde sie keine Vorlagen mehr brauchen, aber das wussten diese Frauen natürlich nicht. Allerdings tat es ihr nach wie vor leid, dass sie nicht beide Spritzen an sich genommen hatte, als sie sich im Keller hatte ankleiden dürfen. Sie wusste auch nicht mehr-war das die rechte oder die linke gewesen-ihre höchst persönliche Theorie war nämlich, dass bei Männern im einen Hoden die Jungs und im anderen die Mädchen produziert wurden. Irgendwelche medizinischen Studien dazu interessierten sie nicht. So würde es eben eine Überraschung werden, welches Geschlecht ihr Baby haben würde, aber das Wichtigste war ja, dass ihr Zuchtprogramm begonnen hatte. Zur Geburt würde man sie sicher in eine normale Klinik bringen, bis dahin würde sie die mustergültigste Gefangene überhaupt sein und dann würde sie mit ihrem Kind in die südamerikanische Heimat fliehen.


    Der Arzt besah sich den Arm, der inzwischen dick geschwollen und von Blutergüssen überzogen war und ordnete eine Röntgenaufnahme an. Als sie auf einem Stuhl in der Röntgenabteilung saß, beharrte sie darauf, eine komplette Bleischürze anzuziehen und schulterzuckend akzeptierte man ihr Verlangen. Normalerweise bekamen Patienten, die geröntgt wurden, nur eine Halbschürze aus Blei, aber wenn es diese Gefangene glücklich machte-meinetwegen! Wegen einer Schwangerschaft brauchte man gar nicht zu fragen, denn sie hatte gerade ihre Periode, wie im Aufnahmebogen vermerkt war. Als die Röntgenaufnahme entwickelt war und der Arzt sie auf dem Bildschirm beurteilt hatte, sagte er: „Es sind zwar Elle und Speiche gebrochen, stehen aber gut-wir werden sie erst mit einer Gipsschiene versorgen und wenn das abgeschwollen ist, dann einen Zirkulärgips anlegen. In sechs bis acht Wochen dürften die Frakturen verheilt sein. Bis wir in ein paar Tagen umgipsen können, bleiben sie stationär hier im Gefängniskrankenhaus, wir lagern den Arm hoch, kühlen ihn ein wenig und sie bekommen Schmerzmittel-wollen sie gleich eine Tablette haben?“, fragte er, aber Maria schüttelte den Kopf, obwohl der Arm schweineweh tat. Sie würde ihrem Kind zuliebe nur die allernötigsten Medikamente nehmen und als sie wenig später in einem Krankenhausbett lag, ihr Abendbrot verspeist und für den morgigen Tag einen Termin mit ihrem Anwalt vereinbart hatte und durch das Hochlagern und das Eis die Schmerzen erträglich waren, schlief sie mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht ein. Die Beamtin, die von der Stationszentrale aus mittels Videoüberwachung in alle Krankenzimmer blicken konnte, wunderte sich-es schien, als würde ihrem Neuzugang die Haft überhaupt nichts ausmachen, aber die Psychokrise würde schon noch kommen, das wäre sonst sehr ungewöhnlich.


    Nach Hartmut´s Bestätigung war Semir betroffen. „Wir müssen unbedingt heraus bekommen, wo die zweite Spritze samt Inhalt geblieben ist. Ich denke aber, heute Nacht haben wir da keine Chance sie zu finden. Wenn Maria sie tatsächlich in dem ganzen Kuddelmuddel im Keller an sich genommen hat, muss sie ja irgendwo sein. Vielleicht hatte sie sie bei ihrer Einlieferung ins Gefängniskrankenhaus bei sich, wir werden nur jetzt mitten in der Nacht niemanden ans Telefon bekommen, der da so einfach ohne die Erlaubnis des Richters Auskunft gibt.
    Die zweite Möglichkeit wäre, ihren Fluchtweg, den man ja sicher rekonstruieren kann, abzusuchen, aber auch das ist in dieser Gegend mitten in der Nacht wenig erfolgversprechend-Hartmut ich danke dir, gehe jetzt zu Ben und versuche ihn zu beruhigen und du machst dir vielleicht auch nochmals Gedanken, wie wir das Problem lösen können!“, besprach er sich mit seinem Freund und kehrte dann nachdenklich zu Ben zurück. Der war inzwischen frisch gebettet worden und hatte auch, ein wenig gegen seinen Willen, ein Opiat und auf Anordnung des diensthabenden Stationsarztes ein leichtes Schlafmittel bekommen. „Wenn sich Herr Jäger so aufregt, fangen vielleicht der Magen und auch das Rektum wieder zu bluten an-er wird jetzt ein wenig runter gefahren, ob er das will oder nicht!“, hatte er außerhalb des Zimmers zu der betreuenden Pflegekraft gesagt und die hatte die Anweisungen ausgeführt. So fand Semir seinen Freund im Dämmerschlaf vor, der ihn mit Augen ansah, als hätte er zwei Promille. „Ben-ich kümmere mich um alles, mach dir keine Sorgen!“, sagte er dann, legte sich wieder neben seinen Freund und hielt seine Hand. Irgendwann siegten die starken Medikamente und Ben´s ruhiges, immer wieder von einem Hustenstoss unterbrochenes Atmen verriet, dass er eingeschlafen war.

  • Auch Sarah hatte gut geschlafen. Auf gutes Zureden ihrer Kollegin hatte sie ein starkes Schmerzmittel akzeptiert, das sie regelrecht weg gebeamt hatte und am Morgen war der Kreislauf nach mehreren Tassen starken Kaffees aus der Stationsküche-nicht der Krankenhausmuckefug-wieder völlig im Lot. Eine Krankenpflegeschülerin half ihr den Stützverband abzunehmen und nach der Körperpflege wieder anzulegen und wusch ihr den Rücken, den Rest konnte Sarah alleine, sie zog sich an und als der Stationsarzt grünes Licht gegeben hatte, denn der Wundverband würde heute dran bleiben und erst morgen nach dem Drainagenzug gewechselt werden, machte sie sich auf den Weg zur Intensivstation. Wie am Vortag schon ausprobiert, trug sie zwar Jeans und Schuhe, aber oben hatte sie das Krankenhaushemd lässig in den Hosenbund gesteckt und als sie auf ihrer Heimatintensivstation eintraf, schmunzelte ihre Kollegin. „Oh Sarah-schicke Designerbluse!“, spottete sie, wies ihr aber dann den Weg zu Ben, bei dem gerade die Morgenvisite stattfand. Der diensthabende Assistenzarzt stellte den neuen Fall gerade dem Chefarzt und dem Schwarm an anderen Ärzten vor und als sie durch die Menge an Weißkitteln spähte, sah sie Ben zwar blass und erschöpft, aber doch wach, in seinen Kissen liegen. Als die Visite weiter gezogen war, eilte sie an die Seite ihres Mannes und schenkte Semir ein freundliches Lächeln. „Schatz-wie geht es dir?“, fragte sie liebevoll und ein Lächeln überzog das Gesicht des mitgenommenen Patienten. „Danke der Nachfrage-und selbst?“, wich er der Frage aus, denn er wusste selber keine Beschreibung für seinen Zustand, mies war noch untertrieben. Aber was sein Denken gerade ausschließlich beherrschte, war die Frage, wo die zweite Spritze mit seinem Samen geblieben war.

    Vorhin, als die Schwester der Frühschicht ihn mit Semir´s Hilfe gewaschen und gebettet hatte, hätte er seinen Freund schon am liebsten los geschickt, denn er würde keine Ruhe haben, bevor diese Sache nicht geklärt war. Er hatte, als das Schlafmittel abflaute, auch bereits darüber nach gedacht, ob er Sarah davon erzählen sollte und war gemeinsam mit Semir zu dem Entschluss gekommen, das zu tun. Was sollte auch jegliche Heimlichtuerei-sie hatte Zugang zu seiner Krankenakte, er hatte schließlich nichts gemacht, wenn ihn auch trotzdem die Scham immer wieder heim suchte. Keinem Menschen gefiel es, sexuell bedrängt zu werden und Verletzungen unterhalb der Gürtellinie waren psychisch weit schlimmer zu bewerten, als andere. Aber Sarah würde Verständnis haben, das wusste er und wenn es zum Äußersten kam und er tatsächlich gegen seinen Willen ein Kind gezeugt hatte, wäre sie ja auch unmittelbar betroffen.


    Sarah strich ihm mit der gesunden Hand eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht und konstatierte sofort, dass er Fieber hatte. „Mir geht es ganz ordentlich, Ben. Ich habe nachts gut geschlafen, die Schmerzen halten sich in Grenzen, ich kann den Arm bewegen und mein Kreislauf ist wieder im Lot. Aber jetzt erzähl-wie geht es dir, du siehst ehrlich gesagt wie ausgekotzt aus!“, war sie gerade heraus und Semir musste schmunzeln. Das war eigentlich nicht das, was man von seinem Partner hören wollte und auch Ben erwiderte jetzt: „Danke für das Kompliment, das war exakt das, was ich hören wollte, aber genau so fühle ich mich leider auch!“. Er wusste ja, wer das gesagt hatte und wie sie es meinte.
    Nun redete er nicht mehr lange um den heißen Brei herum, sondern erklärte: „Sarah, die Frau die mich gequält hat, hat mir mit zwei Spritzen Sperma entnommen-die eine Spritze ist jetzt verschwunden und ich werde nicht eher zur Ruhe kommen, bevor ich nicht weiß, was damit geschehen ist. Semir soll sich jetzt darum kümmern-ich habe so Angst, gegen meinen Willen nochmal Vater zu werden und das wäre ja etwas, was unser ganzes Leben verändern würde!“, sagte er und nun sah seine Frau ihn fassungslos an. „Oh Gott!“, war momentan das Einzige was sie heraus brachte und Semir erhob sich jetzt und straffte den Rücken. „So-es ist jetzt nach acht, die Chefin ist inzwischen im Büro. Ich werde mit ihr telefonieren und mich auf die Suche nach der zweiten Spritze machen. Vielleicht hatte die Gregor sie bei sich, als sie ins Gefängniskrankenhaus eingeliefert wurde, oder auch sonst muss das Ding ja irgendwo sein. Ich sage euch Bescheid, sobald ich etwas weiß-und Ben, halt die Ohren steif!“, ermahnte er seinen Freund und war wenig später bereits auf dem Weg nach draußen.


    Sarah hatte sich auf den bequemen Stuhl gesetzt und Ben´s Hand ergriffen. Schweigend versuchte sie erst einmal Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, bevor sie leise sagte: „Ben-was auch geschieht, das Wichtigste ist, du bist in Sicherheit und wirst wieder ganz gesund“, aber das war es nicht, was ihn beschäftigte und in diesem Augenblick kam auch schon ihre Kollegin zur Zimmertüre herein. „Herr Jäger-sie sind zur Kontroll-ÖGD abgerufen, ich bereite sie jetzt vor!“, sagte sie freundlich und Ben, der sich angespannt ein wenig aufgesetzt hatte, ließ sich resigniert zurück sinken. Er wollte gar nicht daran denken, was ihn heute noch alles erwartete, aber er konnte es eh nicht ändern und klar war, das geschah alles nur zu seinem Besten!


    Semir hatte mit wenigen Worten der Chefin die Entwicklungen der Nacht mitgeteilt, die versprach ihm, sofort im Gefängniskrankenhaus anzurufen und ihn dann zu informieren. Während Semir sich in der Krankenhauscafeteria einen großen Kaffee und ein Croissant gönnte, gewann die Chefin erste Erkenntnisse und als sie ihn 15 Minuten später kontaktierte, sagte sie: „Herr Gerkhan-ich hole sie in etwa 10 Minuten, je nach Verkehr, am Haupteingang der Klinik ab. Maria Gregor hatte bei ihrer Einlieferung keine Spritze bei sich-wir beide werden uns jetzt auf die Suche danach machen“, und Semir erhob sich, zahlte und machte sich dann langsam auf den Weg zum Haupteingang. Hoffentlich fanden sie die Spritze mitsamt Inhalt, denn sonst wusste er nicht, was er tun sollte!

  • Ben war mulmig zumute. Er hatte gar nicht gewusst, dass er heute nochmals zur Magenspiegelung sollte-falls das gestern jemand gesagt hatte, hatte er das nicht mit gekriegt, aber was half es da zu lamentieren? Vom Kopf her verstand er ja die Notwendigkeit der ganzen Untersuchungen, Sarah hatte ihm nämlich gleich erklärt, dass man da immer nachschaute, ob die Blutung auch tatsächlich stand, oder vielleicht doch langsam vor sich hin sickerte. Außerdem brachte sie ein Argument, das bei ihm fast immer zog: „Wenn da jetzt nichts heraus kommt und die Blutung steht, darfst du bald wieder was essen und trinken“, hatte sie erklärt. Trotzdem beobachtete er mit Sorge, wie die Infusionen und Perfusoren umgebaut wurden, der Transportmonitor aus der Halterung genommen und an seinem Bett befestigt wurde und dann ein Assistenzarzt und die Schwester sein Bett packten und die Bremse lösten. Der Notfallrucksack war auch dabei, aber man hoffte natürlich immer, ihn nicht zu brauchen.


    Sarah schickte sich an, ihnen in die Endoskopieabteilung zu folgen, aber der junge Arzt schüttelte den Kopf. „Sarah-du bist selber Patientin. Geh bitte auf deine Station zurück. Du kannst deinen Mann nachher wieder besuchen, aber bei der Untersuchung wirst du nicht dabei sein!“ ordnete er an und zu Ben´s Erstaunen befolgte Sarah die Anweisung ohne Murren. Ehrlich gesagt war ihr jetzt ein wenig schwindlig und die Schulter begann vermehrt zu schmerzen-sie war fast froh, dass sie sich jetzt selber hinlegen und eine Schmerztablette einwerfen konnte. „Bis nachher Schatz-alles Gute!“, rief sie noch und dann waren Ben und seine Begleiter auch schon im Fahrstuhl verschwunden.


    Ben hatte die höchsten Befürchtungen und in seinem Bauch grummelte es, als er wie gestern in die Endoskopieabteilung gefahren wurde. Dann allerdings gab man ihm Midazolam und er kam erst wieder zu sich, als ihn jemand laut ansprach und in die Wange kniff. „Herr Jäger-aufwachen!“, hörte er wie aus weiter Ferne und als er ein wenig wacher wurde, bemerkte er erstens die Hektik um ihn herum und dann, dass er extrem kopftief im Bett lag und eine Sauerstoffmaske auf seinem Gesicht war. „Wir haben ihn wieder!“, hörte er dann und als er eine ganze Weile später immer noch benommen und völlig erschöpft, wieder verkabelt auf seinem Platz auf der Intensiv lag und plötzlich Sarah bei ihm war, erfuhr er den Grund für die Aufregung.
    „Als er zwei Milligramm Midazolam intus hatte, ist er uns mit dem Kreislauf dermaßen abgeschmiert, dass wir gedacht haben, wir kriegen ihn nicht mehr. Er hat sogar Supra gebraucht!“, erklärte die immer noch sehr besorgte Intensivschwester ihrer Kollegin. „Gott sei Dank hat der Internist trotzdem geistesgegenwärtig noch den Schlauch rein geschoben, als klar war, dass wir doch nicht intubieren müssen-vorbereitet hatte ich schon alles!“ beschrieb sie die Dramatik der Situation. „Wenigstens die Blutung steht und er darf von seiner Seite aus Wasser und Suppe haben und wir sollen ihn abführen, aber stabil ist was anderes, sein Kreislauf macht uns große Sorgen. Die Ausscheidung ist immer noch minimal und er kriegt gerade wieder Volumen, um ihn zu stabilisieren. Nachts wars unter Nor ja gar nicht so schlecht, aber jetzt müssen wir die Dosierung ständig steigern, um einen einigermaßen ordentlichen Druck her zu kriegen, die Sepsis ist also noch lange nicht unter Kontrolle!“, erklärte sie Sarah bedrückt, denn die war eine zu erfahrene Intensivschwester, um das nicht selber zu sehen. Als die junge Ehefrau bemerkte, dass Ben´s Augenlider flatterten und er zuhörte, strich sie ihm liebevoll über die Wange. „Schatz-ich bin da und passe auf dich auf!“, sagte sie und Ben nickte unmerklich, bevor er wieder in einen Dämmerschlaf fiel.


    Frau Krüger war mit Semir´s Wagen gekommen und als sie seinen Blick bemerkte, stieg sie aus und setzte sich schmunzelnd auf den Beifahrersitz. „Keine Sorge Herr Gerkhan, ich lege gar keinen großen Wert darauf, hinterm Steuer zu sitzen-ich fahre, weil ich wohin will, aber nicht aus reinem Spaß am Fahren und schon gar nicht im Kölner Stadtverkehr!“, sagte sie und beobachtete, wie der Kriminalhauptkommissar sich geschmeidig in den Verkehr einfädelte. Wenig später waren sie vor dem Horrorhaus angekommen, das mit einem Siegel verschlossen war und Frau Krüger wies in eine Richtung. „Dort zwei Querstraßen weiter wurde Sarah angeschossen, hier stand das Polizeifahrzeug, als Frau Gregor den Polizisten verletzt hat. Also müsste ihr Fluchtweg irgendwo dazwischen liegen-machen wir uns auf die Suche!“, sagte sie und gemeinsam schritten sie erst die Straßen ab.
    Semir erschauerte, als er die getrocknete Blutlache auf dem Boden sah-Sarah´s Blut! Er durfte gar nicht daran denken, wie knapp auch sie dem Tode entkommen war. Eines allerdings wusste er und das würde er Ben und seiner Frau auch bei Gelegenheit sagen-wenn mit den beiden etwas passieren würde, würden Andrea und er die Kinder zu sich nehmen, damit Konrad sie nicht ins Internat stecken konnte und sie genauso lieblos erzogen werden würden, wie Ben und Julia. Vielleicht sollten sie da mal eine notarielle Verfügung machen, damit das auch klar geregelt war. Aber dann schob er die trüben Gedanken beiseite-die beiden lebten und es sah ja auch gar nicht so schlecht aus. Er wusste ja Gott sei Dank nicht, was sich im Krankenhaus in der Endoskopieabteilung gerade für dramatische Szenen abspielten!


    Dann teilten die beiden sich auf und kontrollierten systematisch die Hauseingänge-und tatsächlich fanden sie einige offene Türen, von Junkies und Obdachlosen aufgebrochen, und konnten Maria´s Fluchtweg rekonstruieren. In einem ehemaligen Kohlenkeller, der zusätzlich mit einer Klappe von außen erreichbar war, sah Semir dann im Licht der Taschenlampe, die er aus dem Wagen mit genommen hatte, etwas glitzern. Er zog rasch Einmalhandschuhe an und bückte sich nach dem Gegenstand-es war die gesuchte metallene Rekordspritze-und sie war leer!

  • Langsam waren auch die letzten Reste des Beruhigungsmittels abgebaut und Ben merkte voller Verzweiflung, dass es ihm wirklich so richtig mies ging. Er bekam Schüttelfrost und konnte gar nicht so schnell mit den Zähnen klappern, wie er fror. Man gab ihm zwar eine zweite Decke und verabreichte ihm auch Paracetamol, aber sein Unterleib und Po zwickten und drückten und als dann fast gleichzeitig der Urologe und der Chirurg, der sich den Schließmuskel ansehen sollte, auf der Matte standen, wäre Ben am liebsten abgehauen-wenn er sich nur nicht so furchtbar krank gefühlt hätte.
    „Anscheinend greift das Antibiotikum noch nicht, oder ist auch das Falsche, aber wir würden jetzt gerne die Auswertung der Urinkultur abwarten, bevor wir erneut umstellen-zumindest hat das die Antibiotikakonferenz so besprochen“, teilte der Stationsarzt seinen Ärztekollegen mit und sah besorgt auf die Katecholamindosis. Die hatte man im Gegensatz zu heute Morgen fast verdreifachen müssen, drei Liter Bilanz waren ebenfalls in seinem schwer kranken Patienten verschwunden, aber weder die Urinausscheidung kam so richtig in Gang, noch stabilisierte sich der Kreislauf. Nur die Arme und Beine wurden langsam dicker und vermutlich drückte der Wundverband am Unterleib ebenfalls durch die Schwellung. Der musste dringend gewechselt werden, es war auch schon blutiges Sekret durch den Verband gesickert, aber leider musste man mit der Schmerzmittelgabe sehr vorsichtig sein und konnte ihm nur minimale Dosen Piritramid geben, weil er stark mit Blutdruckabfällen reagierte und ein Beruhigungs- oder Narkosemittel wie Midazolam oder Propofol verboten sich ebenfalls-man hatte ja gesehen, dass er das beinahe nicht überlebt hätte. Leider war bei allen die blutdrucksenkende Wirkung ein bekannter Mechanismus und das konnte man nicht noch einmal riskieren. Auch eine erneute Spinale kam nicht in Frage, da schmierte ebenfalls oft der Kreislauf ab und so vereinbarten die beiden Ärzte, Ben in einem kleinen Eingriffsraum zu untersuchen und zu behandeln und eine eventuell nötige Analgesie mit einer lokalen Einspritzung zu erreichen, so unangenehm das auch sein würde.


    Es wurde auch Zeit, dass die Tamponade im Rektum entfernt wurde, damit die Verdauung wieder funktionieren konnte, durch das teilweise sicher bereits verdaute Blut fanden im Darm Gärprozesse statt, Ben hatte auch Bauchschmerzen und man hoffte, dass es nicht gleich wieder zu bluten beginnen würde, wenn man den Streifen zog. Inzwischen würde man auch auf etwaige Proteste seinerseits keine Rücksicht mehr nehmen können, es war eine vitale Indikation und unter diesen Umständen war es rechtlich sogar möglich, einen Patienten ohne sein Einverständnis zu behandeln, aber natürlich würde man versuchen, ihm gut zu zureden.
    Sarah hatte angstvoll den Monitor im Auge, Ben machte ihr gerade große Sorgen, aber gleichzeitig merkte sie, dass ihre Schulter klopfte und pochte. Sie hatte ihm immer wieder die Lippen eingecremt, ihn gestreichelt und seine Hand gehalten, aber sie war selber am Ende ihrer Kräfte. Der Blutverlust schwächte auch sie und ihre Kollegin hatte besorgt die wächserne Blässe und die Schweißperlen auf ihrer Stirn bemerkt. Es war inzwischen später Vormittag und Sarah hoffte, dass Semir bald kommen und Entwarnung geben würde. Hoffentlich hatte er die Spritze gefunden und wenigstens dieser Alptraum hatte ein Ende.


    Semir hatte derweil die Chefin an der PAST heraus gelassen und für alle Fälle die Spritze mit den blutigen Resten darin, zu Hartmut in die KTU gebracht, bevor er sich schweren Herzens auf den Weg in die Klinik machte. Wie sollte er das Ben und Sarah erklären und wie groß war die Wahrscheinlichkeit tatsächlich, dass Maria sich sozusagen selber geschwängert hatte? Mit einem bitteren Auflachen erinnerte er sich an den Fall, der vor einigen Jahren durch die Presse gegangen war, als Boris Becker etwas von wegen „Samenraub“ getönt hatte. Niemand hatte ihm damals geglaubt, dass er in einer Besenkammer zum Sex regelrecht gezwungen worden sei-er und seine Freunde waren sich damals einig gewesen, dass so etwas nicht möglich war und der Tennisstar nur seinen Fehltritt vor seiner Ehefrau vertuschen wollte. Nun war Ben tatsächlich Opfer eines wahrhaften Samenraubs geworden, aber was sollten sie jetzt weiter unternehmen?

    Als er den BMW auf dem Klinikparkplatz abgestellt hatte und wenig später an der Tür der Intensivstation läutete, wurde er eilig herein gebeten. „Gut dass sie kommen, Herr Gerkhan“, sagte die Schwester, die Ben betreute. „Sarah klappt mir nämlich in Kürze zusammen, aber sie will ihren Mann verständlicherweise in seinem kritischen Zustand nicht alleine lassen. Wenn sie jetzt allerdings dableiben, hoffe ich, sie legt sich in ihrem Zimmer hin, bevor wir sie noch vom Boden aufkratzen müssen, aber sie kennen ja uns Krankenschwestern-wir sind da vermutlich alle stur und uneinsichtig, wenn es um unsere eigene Gesundheit geht-man kümmert sich eher um seine Patienten, als um sich selber!“, plapperte sie, während sie gemeinsam dem Zimmer, in dem Ben lag, zustrebten.
    Semir erschrak bis ins Mark als er sah, wie sehr sich Ben verschlechtert hatte, seitdem er ihn vor nicht ganz drei Stunden verlassen hatte. Voller Sorge eilte er an die Seite seines bibbernden Freundes, zugedeckt bis zum Hals, dessen Nase spitz aus dem Gesicht stach. Sarah sah ebenfalls wie ausgekotzt aus und als sie ihn erblickte begann sie leicht zu schwanken. „So Sarah-ich rufe jetzt den Fahrdienst, der soll dich im Rollstuhl in dein Zimmer bringen-du musst dich dringend ausruhen-so bist du deinem Mann keine Hilfe und sein Freund ist ja jetzt bei ihm“, erklärte die Kollegin und griff auch schon zum Telefon. Die junge Frau protestierte nicht, also musste sie sich wirklich nicht wohl fühlen und als Ben nun auch noch flüsterte: „Schatz-bitte ruh dich aus-es ist schließlich niemandem gedient, wenn wir beide flach liegen!“, setzte sie sich wenig später in den Rollstuhl und wollte nur noch eines-ein Bett.


    Inzwischen war ein Eingriffsraum in der Chirurgie mit einem kurzen Tisch vorbereitet, die Schwester hatte erneut die wichtigsten Infusionen und Perfusoren umgebaut und seufzte auf. Diese Fahrten durchs Haus kosteten viel Zeit und waren auch immer eine Gefährdung für den Patienten, aber es war klar, dass man einfach ohne speziellen Untersuchungsstuhl nicht dort ran kam, wo es notwendig war. „Herr Jäger“, hatten der Urologe und der Chirurg freundlich zu ihrem Patienten gesprochen. „Wir müssen jetzt den Verband am Hoden wechseln und die Tamponade am Po entfernen. Diese Wundkontrolle und auch die Beurteilung der Rektumverletzungen sind absolut notwendig, vermutlich drückt es da ja auch gewaltig. Wir bringen sie jetzt in einen Untersuchungsraum und wenn sie das überstanden haben, dürfen sie sich auch gleich wieder ausruhen!“, versuchte man ihm die Behandlung zu verkaufen und zu Semir´s Erstaunen sagte Ben, dem jetzt plötzlich heiß war-er hatte auch auf gefiebert auf 39,4°C: „Machen sie was notwendig ist, aber da unten tobt es, ich habe Bauchschmerzen, das kann ja nur besser werden.“
    Als er dann allerdings in das grün geflieste Zimmer-einen kleinen septischen OP- gefahren wurde und den Stuhl erblickte, begann er erneut zu zittern, aber diesmal vor Angst-gerade wurde ihm alles zu viel und die schrecklichen Erinnerungen brachen wieder über ihn herein.


    Als die Eingriffe erledigt waren, ein Darmrohr mit einem Beutel daran eingeführt war und Ben schweißüberströmt wieder in seinem Bett lag, bat er seinen Freund: „Semir-kannst du bitte nach Sarah schauen, ich mache mir große Sorgen um sie. Ich muss jetzt eine Runde schlafen und komme alleine zurecht!“, schickte er Semir regelrecht weg und nach kurzer Überlegung befolgte der kleine Türke die Bitte seines Freundes und machte sich auf den Weg zur chirurgischen Station zu Sarah-er musste auch dringend etwas mit ihr besprechen und war eigentlich froh darüber, dass Ben ihn bisher nicht nach der verschwundenen Spritze gefragt hatte.
    Sarah sagte „Herein!“, als er klopfte und sah auch schon ein wenig besser aus. Allerdings hatte auch sie jetzt Fieber bekommen und man war ebenfalls mit einem Antibiotikum eingestiegen, weil auch ihre Laborwerte auf eine bakterielle Infektion hinwiesen. Früher hätte man das schon vorsorglich gegeben, aber heute wartete man erst auf Symptome, um keine unnötigen Medikamente zu verabreichen. „Wie geht es Ben?“, fragte sie und Semir setzte sich auf einen Stuhl. „Er hat die Verbandwechsel und eine unangenehme Behandlung hinter sich gebracht und ruht sich gerade aus. Er hat mich extra zu dir geschickt, weil er sich Sorgen um dich macht!“, antwortete er ehrlich und Sarah seufzte auf. „Ja verdammt-das ist voll blöd, dass es uns beide erwischt hat, aber ich fühle mich schon ein wenig besser und werde ihn nachher auch wieder besuchen-aber jetzt erzähl-habt ihr die Spritze gefunden?“, wollte sie wissen und Semir nickte mit sorgenvollem Gesichtsausdruck. „Und?“, bohrte sie nach-verdammt, musste man ihm eigentlich alles aus der Nase ziehen? „Sie lag in einem Kohlenkeller und sie war leer!“, eröffnete er ihr und nun richtet sich Sarah entschlossen auf. „So-dann muss diese brutale Frau jetzt die „Pille danach“ bekommen-egal wie du das anstellst!“, sagte sie entschlossen und Semir sah sie erstaunt und fast ein wenig erleichtert an.

  • „Und wie komme ich an diese „Pille danach?“, wollte Semir wissen und machte sich in seinem Kopf schon einen Plan, was er der Chefin sagen wollte, warum er zu Maria musste. „Hm-seit einiger Zeit braucht man dafür kein Rezept mehr, sondern kann die einfach so in der Apotheke kaufen, allerdings muss einen der Apotheker beraten, bevor er sie abgibt-und es muss eine Frau sein, die sie kauft!“, sagte Sarah ein wenig verzagt. „Ich glaube ich schaffe das aktuell in meinem Zustand nicht, in einer Apotheke vor zu sprechen und mit diesem Verband und der Drainage glaube ich auch kaum, dass der Apotheker mir was verkauft-wir brauchen also eine Frau, die uns das Medikament besorgt!“, überlegte Sarah. „Ist das wirklich so einfach an eine Abtreibungspille zu kommen?“, staunte Semir und Sarah schüttelte jetzt den Kopf. „Ellaone mit dem Wirkstoff Ulipristalacetet ist keine Abtreibungspille, die verzögert nur den Eisprung und man sollte sie schnellstmöglich bis maximal 5 Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einnehmen. Die richtige Abtreibungspille kann man auch noch später nehmen, bis zum 63. Tag der Schwangerschaft, die muss aber ein Arzt in der Klinik verabreichen, an die kommt man nicht so einfach ran. Die Pille danach ist also eigentlich auch keine Abtreibung, denn sie verschiebt ja nur den Eisprung nach hinten und wenn ein Ei nicht befruchtet ist, ist da auch noch kein Leben!“, erklärte sie ihrem Freund und der staunte. Warum Sarah so genau darüber Bescheid wusste, fragte er lieber nicht-es gab einfach Sachen, die gingen ihn nichts an.


    „Vielleicht wäre es besser, du würdest dir zwei Tabletten besorgen, ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass diese Frau die freiwillig nimmt, du wirst tricksen müssen!“, überlegte Sarah und so kam es, dass wenig später sowohl Jenny, als auch Susanne in jeweils einer anderen Apotheke vorsprachen und diese ohne Probleme mit einer Pillenpackung verließen. Semir war es verdammt unangenehm gewesen, die beiden Frauen darum zu bitten, aber die beiden wechselten nur einen kurzen Blick, anscheinend war das bei beiden nicht das erste Mal.


    Semir hatte überlegt, ob er die Chefin völlig einweihen sollte, sich aber dann dagegen entschieden. Je weniger Leute von ihrem Plan wussten, desto besser. Allerdings sprach er, während Jenny und Susanne „ihre Pause nahmen“, bei Frau Krüger im Büro vor, die ihn erstaunt musterte. „Herr Gerkhan-mit ihnen hätte ich jetzt am Allerwenigsten gerechnet. Ich war der Überzeugung, sie weichen nicht von der Seite ihres Freundes und habe sie deswegen auch für Überstundenfrei eingetragen. Wie geht es Ben und Sarah denn und was führt sie zu mir?“, fragte sie und ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, dass Semir etwas vorhatte, wovon sie nichts wissen sollte. „Ben liegt auf der Intensivstation und ist nicht sonderlich stabil. Er hat auch schon einige schmerzhafte Eingriffe über sich ergehen lassen müssen, aber im Moment schläft er und Sarah leistet ihm Gesellschaft, solange bis ich wieder komme. Wurde denn Frau Gregor schon vernommen?“, fragte er unschuldig und Frau Krüger schüttelte den Kopf. „Im Augenblick befindet sie sich ja noch im Gefängniskrankenhaus und die Staatsanwaltschaft ist gerade dabei, die Anklage für den Haftprüfungstermin vor zu bereiten. Durch die Videoaufnahmen und die Aussagen aller Beteiligten vor Ort-sie eingeschlossen-müssen wir nicht befürchten, dass ein Richter auf dumme Gedanken kommt und sie auf Kaution frei lässt. Diese Frau ist eine Gefahr für die Allgemeinheit, eine mutmaßliche Mörderin und der zweite verletzte Polizist muss immer noch um sein Augenlicht bangen!“, teilte sie ihm mit und Semir nickte. „Frau Krüger-könnten sie es möglich machen, dass ich Frau Gregor kurz sprechen kann? Ich weiß, dass ihnen das jetzt komisch vorkommt, aber ich brauche sie unter vier Augen und möchte ihnen lieber nicht mitteilen, wozu, denn dann hätten sie vielleicht Bedenken-aber vertrauen sie mir-es ist zum Besten von Ben und uns allen, wenn sie das möglich machen!“, sagte er offen und nach kurzer Überlegung griff die Chefin zum Telefon und nach einigen Telefonaten sah sie ihn an. „Gerkhan-ich vertraue ihnen, dass sie keinen Blödsinn machen, der uns alle den Kopf kostet, oder eine rechtmäßige Verurteilung von Frau Gregor unmöglich macht. Sie können kurz zu ihr und ich habe ausdrücklich gesagt, dass es keine richtige Vernehmung ist, wozu sie sicher ihren Anwalt zuziehen wird. Wir vermuten, dass vielleicht ein zweites Kind noch irgendwo im Spiel ist und so ist das unbedingt nötig, dass sie sie befragen!“, teilte sie ihm mit leichtem Schmunzeln mit, aber Semir hatte ja schon voller Bewunderung gelauscht, was die Krüger den Verantwortlichen für eine Story angedreht hatte. Mein Gott-wenn sie nur wüsste, wie nahe sie der Wahrheit mit dem zweiten Kind kam!
    „Danke Chefin!“. rief er und sprang auf. Dann drehte er sich nochmals um. „Frau Krüger-kann ich Jenny mitnehmen?“, fragte er und die Chefin nickte. Es fiel ihr zwar schwer, nicht zu erfahren, worum es ging, aber eines wusste sie-wenn Gerkhan etwas machte, war es zum Besten von Ben, das stand außer Frage. Sie hatte sich geschworen, ihren engsten Mitarbeitern zu vertrauen, die hatten sie eigentlich auch noch nie enttäuscht.


    So kam es, dass Semir und Jenny wenig später vor einer Bäckerei anhielten und zwei große Kaffee to go erstanden. In einem davon lösten sie die Tablette auf und hofften, dass das am Geschmack nicht zu erkennen war. „Mein Gott Semir-stell dir mal vor, wie schlimm das wäre, wenn Ben gegen seinen Willen Vater werden würde! Ich werde alles tun, um dir zu helfen, das zu verhindern!“, sagte Jenny entschlossen.
    In der Schleuse des Gefängniskrankenhauses mussten sie sich ausweisen und ihre Waffen ablegen, Semir durfte aber die beiden Kaffeebecher mitnehmen. Als man sie auf die Station geleitet hatte, wo Maria in ihrem Zimmer im Bett lag, saß an der Zentrale ein älterer JVA-Mitarbeiter und behielt die Monitore, mit denen die Zimmer überwacht wurden, routinemäßig im Auge. Semir und Jenny nickten sich leicht zu und während Semir nun vom Schließer, der ihm die Tür öffnete, ins Zimmer gelassen wurde, ließ Jenny ihre weiblichen Reize spielen, setzte sich so auf den Schreibtisch, dass sie die Monitore verdeckte und verwickelte den Mann in ein Gespräch.


    Maria hatte überrascht aufgesehen, als sich die Türe öffnete und sich dann mit selbstgefälligem Lächeln in ihre Kissen zurück gelegt-was auch immer dieser kleine Polizist wissen wollte, sie würde nichts sagen und den mitgebrachten Kaffee lehnte sie natürlich ab. In der Schwangerschaft trank man keinen Kaffee!


    Ben war in einen unruhigen Dämmerschlaf gefallen. Irgendetwas nagte an ihm und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Die Eingriffe der letzten Stunden waren auf der ganzen Linie sehr belastend gewesen und er brauchte eigentlich dringend seinen Schlaf, kam aber einfach nicht so richtig zur Ruhe, ganz abgesehen davon, dass das Fieber gerade wieder stieg. Als wenig später Sarah herein huschte, ihm mit federleichter Hand eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht wischte, sich aber ebenfalls heiß anfühlte, machte er sofort die Augen auf und sah sie besorgt an. „Schatz-wie geht es dir?“, murmelte er und Sarah zuckte mit den Schultern, was sie sofort zum Aufstöhnen brachte-wie blöd konnte man denn sein? „Geht schon!“, flunkerte sie und ließ sich in den bequemen Stuhl fallen. „Und selbst?“, fragte sie dann und jetzt fiel Ben auf einmal siedend heiß ein, was er Semir die ganze Zeit hatte fragen wollen und warum ihn sein Unterbewusstsein nicht zur Ruhe kommen ließ. Was war mit der zweiten Spritze?

  • Semir sah enttäuscht auf den Kaffeebecher-Plan eins war also bereits fehl geschlagen. In der Tasche seiner Jeans hatte er die zweite Tablette-die musste Maria nehmen-koste es, was es wolle! Er überlegte fieberhaft, wie er das anstellen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass sie das freiwillig wohl nie machen würde. Jetzt konnte er nur hoffen, dass Jenny draußen den Wachmann ablenkte, wie vereinbart und das Datenmaterial auch nicht aufgezeichnet wurde. Er trat nahe ans Bett heran und fragte: „Wie viele Männer außer meinem Kollegen haben sie zuvor im Keller gefangen gehalten?“, um Maria nicht misstrauisch zu machen. Die Kamera war in seinem Rücken, direkt über der Tür angebracht, wie er beim Eintreten registriert hatte. „Selbstgefällig lehnte Maria sich in ihre Kissen zurück. „Das können sie selber heraus finden-ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts!“, gab sie schnippisch zurück und in diesem Moment schoss auch schon Semir´s Hand vor und drückte an ihrem Hals kraftvoll auf einen bestimmten Punkt, wie jeder Polizist im Selbstverteidigungstraining lernte. Maria machte noch den Mund auf, um zu schreien, aber dann wurde sie auch schon ohnmächtig.
    Blitzschnell zog Semir die winzige Tablette aus seiner Tasche, drückte sie aus dem Blister und steckte sie weit in Maria´s Rachen. Hoffentlich landete die nicht in der Lunge, dann wäre nämlich guter Rat teuer! Als Maria wieder zu sich kam, hielt er ihr das Wasserglas vor die Nase und sagte unschuldig: „Was war denn gerade mit ihnen los? Sie sind plötzlich ohnmächtig geworden?“, und Maria funkelte ihn böse an, hustete ein wenig, rang nach Luft und trank schnell einen Schluck Wasser. „Halten sie mich für total verblödet?“, fauchte sie ihn an. „Sie haben mich soeben mit einem Karategriff kampfunfähig gemacht, denken sie, ich habe das vergessen-was sollte das?“, fragte sie, aber Semir sah sie nur verächtlich an. Jetzt hieß es gut zu schauspielern, damit sie nicht Lunte roch. „Ich wollte ihnen nur einmal demonstrieren, wie es ist, wenn man sich nicht wehren kann, wie sie es mit meinem Kollegen gemacht haben. Aber nun zurück zum Thema: Wie viele Männer haben sie entführt und in ihrem Keller gequält und wie lange ging das schon?“, fragte er nochmal und Maria erwiderte: „Wie oft soll ich ihnen noch sagen-ohne meinen Anwalt sage ich kein Wort!“, und nun zuckte Semir mit den Schultern und trat den Rückzug an. „Wir sehen uns beim nächsten Verhör-dann meinetwegen gemeinsam mit ihrem Anwalt, aber seien sie versichert-sie werden sich da nicht heraus winden können, wir haben genügend Beweise!“, tönte er und trat rasch an die Zimmertür, klopfte und bat heraus gelassen zu werden.


    Jenny saß immer noch auf dem Schreibtisch und hatte den Beamten in ein angeregtes Gespräch verwickelt. Obwohl sie sehr schlank war, verdeckte sie durch den geschickten Winkel immer noch den Blick auf einen Teil der Monitore. Sie hatte vorher bemerkt, wie warm es wäre und die beiden obersten Blusenknöpfe geöffnet. Die Blicke des dicklichen Beamten ruhten begehrlich auf ihr und während er ihr von seinem Hund erzählte-Frau und Kinder unterschlug er natürlich- und sie beteuerte, wie sehr sie Tiere liebte, hatte sie gehofft, dass Semir schnell machte, bevor der Mann ihr zu nahe kam.
    „Und-warst du erfolgreich mit deiner Befragung, damit wir weiter ermitteln können?“, fragte sie den kleinen türkischen Polizisten als der Schließer ihm die Türe geöffnet hatte und der erwiderte: „Ohne ihren Anwalt sagt sie kein Wort und Kaffee wollte sie auch keinen-möchten sie?“, fragte er und stellte den verbliebenen Kaffeebecher auf den Tisch vor den Beamten. Natürlich hatte er den mit der aufgelösten Tablette zuvor im Waschbecken im Zimmer ausgeleert und den anderen nicht angerührt. „Oh ja-gerne, Kollege!“, strahlte der Mann und wandte sich dann noch plump an Jenny: „Wenn sie meinen Hund mal kennen lernen wollen, können wir uns gerne treffen!“, tönte er und Jenny nickte wortlos, knöpfte ihre Bluse zu und strebte Richtung Ausgang. „Ja vielleicht!“, sagte sie schnell und war heilfroh, als sie im nächsten Raum ihre Waffen wieder bekamen und auf dem Besuchsprotokoll unterschrieben.


    Endlich im Wagen angelangt, fragte sie Semir erwartungsvoll: „Warst du erfolgreich?“, und als der mit einem Grinsen nickte und ihr im Losfahren erzählte, wie er es angestellt hatte, berichtete Jenny ihrerseits, dass der Beamte ihr beinahe an die Wäsche gegangen wäre. „Ich habe nur gehofft, dass du schnell machst, aber ich bin sicher, der hatte keinen Blick für die Monitore!“, berichtete sie und Semir bedachte sie mit einem offenen Lächeln. „Nun sei nachsichtig-der ist auch nur ein Mann und sieh es als Kompliment für deine Attraktivität-aber danke Jenny-ich hätte nicht gewusst, was ich ohne dich gemacht hätte. Ich bringe dich jetzt in die PASt zurück und fahre dann wieder zu Ben ins Krankenhaus“, teilte er seine weiteren Pläne mit, aber da läutete sein Handy. Über die Freisprechanlage nahm er das Gespräch an-Hartmut war der Anrufer. „Einstein was gibt’s?“, fragte er und der sagte bedrückt: „Semir-kannst du bitte in der KTU vorbei kommen, ich habe keine guten Neuigkeiten!“, berichtete er und der kleine Türke beteuerte, dass er in wenigen Minuten dort sein würde.


    Ben sah aufgeregt zu seiner Frau: „Sarah-hat Semir die zweite Spritze gefunden? Ich war vorher so sehr mit mir selber beschäftigt, dass ich vergessen habe zu fragen. Ich habe ihn zu dir geschickt, aber jetzt kommst du zu mir und von Semir ist nichts zu sehen-weißt du was?“, fragte er und Sarah nickte. „Schatz-die Spritze wurde gefunden und sie war leer. Allerdings ist Semir gerade dabei, deiner Entführerin die „Pille danach“ zu verabreichen, mach dir keine Sorgen!“, sagte sie liebevoll und jetzt atmete er auf. Als er dann aber sah, wie Sarah plötzlich fröstelte und erneut immer blasser wurde, befahl er regelrecht: „Du gehst jetzt bitte sofort wieder auf dein Zimmer und legst dich hin. Ich werde hier gut versorgt und meines Wissens sind auch keine Eingriffe mehr geplant. Ich werde jetzt ein wenig schlafen-und du auch, wir müssen doch beide bald wieder fit werden-für unsere Kinder! Hast du von denen etwas gehört?“, fragte er und Sarah berichtete, dass sie kurz zuvor mit Hildegard telefoniert hatte. „Den Kindern geht es gut, der einzige, der ein wenig Sorgen macht, ist Lucky, der ist traurig und mag nicht fressen. Allerdings leckt und bewacht er die Lämmer, ich denke, sobald einer von uns die Klinik verlassen kann, kommt das schon wieder ins Lot, aber er ist doch ein sensibler Hund!“, berichtete sie und Ben nickte gedankenverloren. „Ja-er gehört einfach zu unserer Familie, wir müssen schauen, dass wir bald wieder hier raus kommen und ich bin so froh, dass wir Hildegard haben, so haben wir wenigstens wegen der Kinder keine Sorgen!“, bemerkte er und nun fielen ihm beinahe die Augen zu.

    Inzwischen war Schichtwechsel und Andy hatte seine Betreuung wie am Vortag übernommen. „Sarah-ich rufe den Fahrdienst-geh du wieder in dein Bett, ich passe schon auf Ben auf!“, bemerkte der und lagerte ganz nebenbei seinen Patienten neu, unterpolsterte dessen Unterkörper und legte auch eine dick eingepackte Kühlkompresse zwischen dessen Beine. „Hochlagern und kühlen hat der Urologe angeordnet“, erklärte er sein Tun und Ben ließ sich vertrauensvoll versorgen, auch wenn dort unten alles drückte und sich wund anfühlte. Als Sarah wieder mit dem Rollstuhl abgeholt worden war, fielen ihm endgültig die Augen zu und er hoffte einfach auf Semir. Der würde alles tun, damit diese Sache wieder in Ordnung kam!

  • Ein langer Schlaf war Ben nicht vergönnt. Kurz darauf begann er wieder zu frieren und weiter auf zu fiebern. Man gab ihm eine zweite Decke, Andy musste weiter mit den Katecholaminen nach oben gehen und der über die Temperatursonde am Monitor angezeigte Wert überstieg die 40°C-Marke. Trotz Volumen stabilisierte sich der Kreislauf nicht, man kippte das Bett in Kopftieflage, was Ben dann aber Atemprobleme bereitete und der zähe Schleim in seinen Bronchien war ebenfalls schmerzhaft und schwierig zum Abhusten. Die geprellten Rippen taten ein Übriges dazu.
    Man vernebelte mit einer speziellen Maske Medikamente, um ihm das Atmen zu erleichtern, aber der Assistenzarzt, der die Intensivstation heute versorgte, war bald am Ende seines Lateins angekommen und zog seinen Oberarzt hinzu. Man nahm erneut Blut ab und die Entzündungswerte waren regelrecht explodiert. „Fest steht-das verabreichte Breitbandantibiotikum deckt das Keimspektrum, das die Sepsis verursacht, nicht ab. Ich werde mit unseren Krankenhaushygienikern sprechen und nochmals in der Bakteriologie anrufen, ob die nicht wenigstens den Hauch einer Ahnung haben, um was für Keime es sich handeln könnte. Freilich ist die Zeit für ein Antibiogramm zu kurz, aber die haben vielleicht unterm Mikroskop einige der Keimarten identifizieren können, so dass wir mit einem neuen Antibiotikum nicht grundlos ins Blaue schießen“, überlegte er und griff auch schon zum Telefon. Als er die Mitarbeiterin der Bakteriologie am Telefon hatte, verband die ihn sofort mit dem leitenden Laborarzt.

    „Jetzt kommen sie mir sozusagen zuvor. Wir konnten schon einige Keime identifizieren, die Bebrütung läuft und die Bakterienrasen auf den Platten wachsen auch rege, allerdings ist ein Bakterium dabei, das versuchen wir gerade gemeinsam mit anderen Instituten zu klassifizieren-von uns hier hat das noch keiner gesehen!“,informierte er seinen Kollegen. „Das sagt deswegen nichts über seine Sensibilität gegen Antibiotika aus, aber interessant ist das sehr, ich halte sie auf dem Laufenden!“, teilte er dem Intensivarzt mit. Ja das war der Unterschied zwischen Medizinern, die nicht am Patienten arbeiteten und ihnen, die sozusagen an der Front standen. Der Laborarzt fand das interessant, während für ihn wichtiger war, dass die Antibiotika wirkten und seine Patienten wieder gesund wurden.
    Als er danach mit dem Krankenhaushygieniker sprach, gab der seiner Sorge vor dem multiresisistenten Superbakterium Ausdruck, vor dessen Entstehung die ganze Welt Angst hatte. „Ich würde sagen, solange wir noch nichts Näheres wissen, isolieren wir Herrn Jäger vorsichtshalber. Können sie nicht mehr solange warten, bis das Antibiogramm ausgewertet ist?“, fragte er dann, aber der Intensivmediziner verneinte. „Gut, dann gehen sie auf die nächste Stufe, ich würde sagen viermal täglich, ich unterschreibe das dann“, ordnete er an und als Andy wenig später das neue Antibiotikum anhängte und Ben, dem es einfach nur hundeelend ging und der immer noch entsetzlich fror, ein wenig anders lagerte, trug er einen quietschgelben Schutzkittel, eine grüne Maske und lila Schutzhandschuhe. Als Ben ihn verwundert anstarrte, sagte er: „Ich weiß-ich mache einem Papagei alle Ehre-aber du bist vorerst einmal sicherheitshalber isoliert, bis wir genau wissen, was diese Fieberschübe auslöst. Leider darf Sarah somit nicht zu dir, denn sie hat ja eine frische OP-Wunde. Dein Freund kann aber rein, wenn er wieder kommt-nur in Schutzkleidung dann, aber das zeige ich ihm!“ und so schloss Ben die Augen, litt weiter vor sich hin und wartete sehnsüchtig auf das Erscheinen von Semir, auch wenn der ja genauso wenig dafür sorgen konnte, dass es ihm besser ging, aber er würde ihn wenigstens ein wenig ablenken.


    Semir und Jenny waren inzwischen in der KTU angelangt, wo Hartmut im weißen Kittel im Labor stand und Tests an verschiedenen kompliziert aussehenden Apparaturen vornahm.
    „Einstein-was gibt es so Besorgniserregendes?“, fragte Semir als er näher trat. „Mehrere Dinge“, antwortete der. „Inzwischen haben meine Mitarbeiter aus dem Wohnhaus der Familie Gregor noch einige Sachen und Unterlagen zu mir gebracht und als ich die durch gesehen habe, wurde mir ganz anders. Außerdem habe ich systematisch die Gläser aus dem Schrank im Horrorhaus angeschaut-da waren nicht nur Augen, die aus der Zeit des Dritten Reichs datiert waren, sondern auch Laborgläser mit beunruhigenden Aufschriften darin, die erst kürzlich geöffnet worden sind. Dazu im Kühlschrank Proben mit Samenflüssigkeit ohne Spermien darin-ich befürchte Maria hat das Projekt Babyzüchtung überlegter durchgeführt, als ich das erwartet habe. Dazu muss ich sagen, dass diese Frau vermutlich genauso wie ihr Großvater hoch intelligent ist und auch damit rechnen konnte, dass Ben vielleicht nicht mit ihr auf normalem Weg verkehren würde.


    Als du mich nach der zweiten Spritze gefragt hast, konnte ich zwar deren Existenz anhand der Videoaufnahmen bestätigen, habe mir aber keine großen Sorgen gemacht. Fakt ist nämlich, dass man zwar Spermien zur künstlichen Befruchtung im Reagenzglas manchmal direkt aus den Hoden und Nebenhoden mit der Nadel entnimmt, die aber nicht beweglich sind, denn das macht alleine die Samenflüssigkeit, also das Prostatasekret, ein so komplexes Medium, das sogar Hormone enthält und bisher noch nicht künstlich hergestellt werden konnte. Ich bin also davon aus gegangen, dass überhaupt nichts passieren würde, wenn Maria sich den Inhalt der Spritze irgendwie-hm-zugeführt hätte!“, erklärte er und ein leichtes Erröten lief über sein Gesicht, als er auf Jenny sah, die gebannt seinen Worten lauschte.

    "Nun habe ich aber leider im Kühlschrank diese Gläschen mit Samenflüssigkeit, aber ohne Spermien gefunden und dazu bei ihren Aufzeichnungen eine von gestern datierte und anscheinend bar bezahlte Rechnung einer Samenbank hier in Köln. Ich habe keine Ahnung ob das die Spende eines unfruchtbaren Mannes ist, oder ob die die Spermien irgendwie abzentrifugiert oder bestrahlt haben, damit sie absterben-fakt ist-darin ist kein Erbgut enthalten, das ist ein reines Medium. Ich habe mir dann den Inhalt der zweiten Spritze angeschaut und darin sind neben dem Blut leider eine Menge sehr muntere funktionstüchtige Spermien-sie muss die Spritzen vorher schon mit einem Anteil an Samenflüssigkeit versehen haben, also könnte es durchaus zu einer Befruchtung gekommen sein!“, erklärte er niedergeschlagen seinen Mitarbeitern, aber jetzt überzog ein erleichtertes Grinsen das Gesicht von Semir. „Na dann haben Jenny und ich ja das Richtige getan! Wir kommen nämlich gerade aus dem Gefängniskrankenhaus und haben Maria die „Pille danach“, verabreicht!“, erklärte er frohgemut, aber Hartmut schüttelte mit ernster Miene den Kopf. „Das wird vermutlich nichts bringen, denn die wirkt so, dass sie den Eisprung etwa fünf Tage nach hinten verschiebt und dann keine befruchtungsfähigen Spermien mehr vorhanden sind. Maria war aber im Besitz eines modernen Fruchtbarkeitscomputers, der über eine Analyse des Morgenurins den Tag des Eisprungs genau anzeigt-und der war gestern. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass Maria trotz eurer Bemühungen bereits von Ben schwanger ist!“, erklärte er und jetzt wurden sowohl Semir als auch Jenny blass.


    „Und als ob das nicht schon genügen sollte-schaut mal-hier habe ich unter dem Mikroskop etwas ebenfalls sehr Beunruhigendes!“, zeigte er dann auf den Bildschirm eines seiner PCs, wo kleine Pünktchen, Stäbchen und andere merkwürdig aussehende Dinge in allen Farben durcheinander wuselten. „Was ist das?“, fragt Semir verwundert und Hartmut zeigte auf ein Gläschen, das unscheinbar in einer Nierenschale lag. Semir sah es sich an, aber die Aufschrift darauf sagte ihm momentan überhaupt nichts. „Noma“, stand darauf und jetzt wartete er, was Hartmut weiter erklären würde.

  • Nachdem das Haus der Gregors gründlich durchsucht worden war und man alle wichtig erscheinenden Unterlagen daraus entfernt hatte, waren die Wohnräume im ersten Stock versiegelt worden, aber man hatte der Bediensteten erlaubt dort zu bleiben-kein Richter würde einen Haftbefehl ausstellen, solange ihr nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie an irgendwelchen Verbrechen beteiligt war. Allerdings hatte die Chefin sie jetzt zur Befragung ins Revier bringen lassen und fragte bei Jenny telefonisch nach, wie weit sie wären. „Frau Krüger-Semir und ich sind gerade in der KTU!“, erklärte Jenny und die Chefin ordnete an, dass sie doch in ihr Büro kommen sollten, um als Zeugen bei zu wohnen. „Wir sind gleich da-Herr Freund muss uns nur noch was erklären“, beeilte sich die junge Polizistin zu sagen und Semir, der eigentlich sofort wieder zu Ben ins Krankenhaus hatte fahren wollen, verdrehte die Augen.


    „Einstein machs kurz und für Laien-du hast ja gehört wir müssen weg!“, bat er nun den Rotschopf und der sagte ernst: „Also ich habe ein wenig im Internet recherchiert. Neben der Beschreibung der Irisheterochromie war die Nomaforschung im Dritten Reich eines der Steckenpferde Mengeles. Er hat sogar Kinder in den KZs, die durch Mangelernährung entkräftet waren, durch Injektion von Eiter anderer Betroffener bewusst infiziert und sich an den Qualen seiner Opfer geweidet. Das Ganze unter dem Deckmantel der vermeintlichen Wissenschaft. Nachdem Noma, auch genannt Wasserkrebs oder nekrotisierend-ulceröse-Stomatitis nicht unter eine WHO-Klassifizierung fällt, gibt es keine genaue Datenlage darüber. Es ist aber in Entwicklungsländern mit schlechten hygienischen Bedingungen und Mangelernährung bei Kindern, wie auch manchmal Erwachsenen, weit verbreitet. Es kommt bei der Infektion zu Entzündungen im Mund-Gesichtsbereich, die schließlich absterben und große Defekte hinterlassen. Viele Krebsarten sehen in fortgeschrittenen Stadien ähnlich aus, daher auch der Name Wasserkrebs, dabei ist das eigentlich eine Infektionskrankheit. Ohne Behandlung kommt es meist zu Fieber, Sepsis, Lungenentzündung, blutigen Durchfällen und Tod. Etwa 90% der Betroffenen sterben jämmerlich. Je nach Stadium ist die Erkrankung aber durch Antibiotika und gute Ernährung heilbar, allerdings bleiben die Opfer oft im Gesicht entstellt-hier habe ich euch ein paar Bilder dazu. Die Keime, die das Ganze verursachen sind eine Mischung aus Aerobiern und Anaerobiern-also Bakterien und Einzellern, die teils Sauerstoff zum Überleben brauchen, teils nicht. Oft findet man-wie auch hier in der Probe, die ich mir gerade unterm Mikroskop ansehe-Spirochäten, Borrelien, Pseudomonaden, Enterokokken und als Besonderheit auch Fusobakterien. Hier ist allerdings ein Bakterium dabei, das ähnelt zwar einem Fusobakterium necrophorum, hat aber dennoch einige merkwürdige Eigenschaften-ich habe sowas noch nie gesehen!“, erklärte er und Semir sah Hartmut erschrocken an. „Willst du damit sagen, dass da ein Superbakterium 70 Jahre im Reagenzglas überlebt hat?“, aber Hartmut schüttelte den Kopf. „Diese Probe hier ist bei weitem nicht so alt-solche Präparategläser wie dieses hier, das mit einer fertigen Nährlösung versehen ist, gibt es noch gar nicht so lange. Ich vermute, Mengele hat seine Forschungen in Südamerika weiter betrieben und vermutlich seine Enkelin da auch mit einbezogen, auch wenn sie keine Ärztin ist“, teilte er seine Vermutung mit und bedrückt machten sich Semir und Jenny auf den Weg ins Büro.

    Dort saß schon die ältere Frau mit den dunkelgrauen, züchtig zu einem Dutt zusammen gefassten Haaren, eingeschüchtert vor dem Schreibtisch und gab Auskunft über ihre Personalien. Frau Krüger hatte sie extra nicht in einen Verhörraum bringen lassen, die Frau war ja keine Tatverdächtige, aber vielleicht konnte sie ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
    „Wo sind Maria und Elias-geht es ihnen gut?“, wollte sie als Erstes wissen. Sie sprach zwar langsam und bedächtig und mit portugiesischem Akzent, aber ihr Deutsch war fehlerfrei. „Frau Gregor befindet sich aktuell im Gefängniskrankenhaus und Herr Gregor wurde in eine psychiatrische Einrichtung zur Begutachtung gebracht!“, erklärte die Chefin und Semir sah sich die Frau stirnrunzelnd näher an. Hartmut hatte ihnen soeben Bilder von Patienten gezeigt, die Noma mit Entstellungen im Gesicht überlebt hatten und rund um die vernarbte Mundpartie sah es bei der Frau genauso aus. Als sie seine Blicke bemerkte, lächelte er sie an und sagte in freundlichem und mitleidvollen Ton: „Noma?“, und die Frau senkte den Kopf und nickte. „Der Dottore war zwar ein Teufel, aber mich hat er aus den Slums von Sao Paulo gerettet und geheilt und ich war dann die Kinderfrau und auch die engste Vertraute seiner Tochter Isabella-Gott hab sie selig!“, antwortete sie und die Chefin sah stirnrunzelnd von einem zum anderen.
    „Wissen sie-die beiden, Maria und Elias können nichts dazu, dass sie so sind, wie sie sind, auch sie sind nur das Ergebnis eines gezielten Zuchtprogramms mit dem der Dottore perfekte Menschen erschaffen wollte“, sagte sie leise und jetzt kam in Semir ein schrecklicher Verdacht auf. „Inzest?“, fragte er und mit Tränen in den Augen nickte Emanuela.


    Obwohl Ben ja jetzt ein anderes Antibiotikum bekommen hatte, ging es ihm fast minütlich schlechter. Er rang mühsam nach Atem, hatte überall Schmerzen und obwohl Andy ihm Wadenwickel machte und weitere Infusionslösungen anhängte, stabilisierte er sich kein bisschen. Abwechselnd warf er sich stöhnend im Bett herum und dann wieder wurde er völlig apathisch. „Wenn nicht bald eines der Medikamente greift, schwebt er in allerhöchster Lebensgefahr. Vermutlich werden wir ihn in Kürze intubieren müssen, aber dann bricht sein Kreislauf vielleicht vollständig zusammen-versuchen wir es noch ein bisschen so, denn wenn er uns dann abrauscht, wars das!“, befürchtete der Oberarzt, der durch die geöffneten Jalousien der jetzt verschlossenen Intensivbox blickte. Andy schaute, nachdem er seine Schutzkleidung wieder ausgezogen und entsorgt hatte, ebenfalls voller Sorge auf seinen Patienten. „Wenn das schief geht, möchte ich Sarah nicht unter die Augen treten, aber ich kann ihr jetzt auch schlecht Bescheid geben, dass es bei Ben so kritisch ist, sonst steht die auf der Matte, egal welche Vorschriften dagegen sprechen und zum Schluss hat sie dann die Infektion in der OP-Wunde, kriegt auch eine Sepsis und die Kinder müssen als Waisen aufwachsen!“, teilte er seiner Kollegin seine Gedankengänge mit. „Ich weiß auch nicht, was ich an deiner Stelle machen würde, aber vielleicht kommt ja sein Freund bald!“, hoffte die Pflegerin und Andy nickte gedankenverloren, während er zu seinem nächsten Patienten eilte.

  • Semir verließ das Büro der Chefin. „Egal was weiter ansteht, ich muss jetzt zu Ben!“, hatte er zuvor verkündet. Ein inneres Gefühl zog ihn zu seinem Freund. Unwillkürlich trat er das Gaspedal stärker durch als erlaubt und eilte, nachdem er den BMW abgestellt hatte, voller Unruhe zu dem jungen Polizisten. Als er an der Intensivtüre geläutet hatte, holte ihn Andy herein. „Ben ist inzwischen vorsichtshalber isoliert, denn die Sepsis wird durch irgendetwas ausgelöst, was die im Labor nicht genau kennen. Das bedeutet für uns alle in der Praxis, dass wir ihn nur berühren dürfen, wenn wir uns selber schützen. Hier in der Schleuse sind Einmalkittel, Mundschutz und Handschuhe-bitte das ab sofort immer anziehen, bevor sie ins Zimmer gehen. Die Tür zum Flur bleibt verschlossen, wir betreten die Intensivbox durch die Schleuse. Bitte nach dem Besuch die Schutzkleidung hier in diesem Müllsack entsorgen und die Hände desinfizieren. Wie gesagt-noch ist nicht bewiesen, dass das Bakterium, das wir nicht identifizieren konnten, übertragbar oder gefährlich ist, aber wir müssen unsere anderen Patienten, die ja auch schwer krank und teilweise immunsupprimiert sind, einfach schützen. Die meisten Keime sind für Gesunde auch nicht gefährlich, ich denke also nicht, dass sie sich wegen sich selbst Gedanken machen müssen-aber Ben ist wirklich schwer krank“, erklärte der junge Pfleger mit ernster Miene und jetzt zog Semir aufgeregt sein Handy aus der Tasche.


    „Moment mal-unser Kriminaltechniker hat in irgendwelchen Proben auch so ein merkwürdiges Bakterium gefunden-hier ist seine Nummer-können sie die aufschreiben und vom Festnetz aus anrufen? Mein Handy geht hier ja nicht. Vielleicht müssen da Fachleute mit Fachleuten sprechen-ich verstehe bei der ganzen Sache ja nur Bahnhof!“, sagte Semir und wenig später drückte Andy den Zettel mit Hartmut´s Nummer erst dem Intensivarzt in die Hand, der sie dann nach kurzer Überlegung an den Laborarzt weiter leitete-hier mussten wirklich die Spezialisten sich untereinander unterhalten-er würde deren Empfehlungen dann folgen und die geeigneten Medikamente anordnen.


    Der kleine türkische Polizist war inzwischen vermummt. Er musste keinen wasserfesten Kittel anziehen, so kam er in fast einheitlichem Grün daher. Allerdings reichte der Kittel bei ihm fast bis zum Boden und als er das Zimmer durch die Tür betrat, erschrak er bis ins Mark. Ben war in den wenigen Stunden, in denen er weg gewesen war, verfallen und sah aus wie ein Sterbender. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen und auch wenn seine Arme und Beine angeschwollen waren, weil die Urinausscheidung immer noch nicht funktionierte, waren seine Lippen rissig und er atmete röchelnd durch den halb geöffneten Mund. Erst reagierte er gar nicht, als Semir ihn berührte, öffnete dann aber mühsam die Augen und man merkte, dass das alleine ihm höchste Mühe bereitete. Auf dem Monitor, den Semir inzwischen bereits lesen konnte wie ein Fachmann, entdeckte er die Temperaturanzeige. 40°C stand da und so fühlte der Dunkelhaarige sich auch an. Er schien zu glühen, sein Herz jagte, der Blutdruck war trotz hoher Dosen Noradrenalin kaum über hundert und seine Zunge klebte wie ein Stück trockenes Holz in seinem Mund.
    „Wie geht’s dir denn-ausschauen tust du nicht gut“, fragte Semir voller Mitleid und als Ben krächzend antwortete, musste Semir sich ganz nahe über ihn beugen, um die Antwort zu verstehen. „Wenn ich ne Frau wäre, wäre ich jetzt beleidigt, aber vermutlich sehe ich so aus, wie ich mich fühle!“, war die Antwort und obwohl sich Semir´s Herz vor Sorge zusammen krampfte, musste er dennoch unter seinem Mundschutz schmunzeln. Immerhin hatte Ben seinen Humor noch nicht verloren, also war noch Hoffnung vorhanden. Suchend blickte Semir sich um und entdeckte auch auf dem Nachtkästchen die Mundpflegestäbchen und den Becher mit Wasser zum Befeuchten. Er wischte den Mund seines Freundes aus, was der mit einem flüsternden „Danke!“, quittierte und dann wieder erschöpft die Augen schloss. Semir setzte sich auf den bequemen Stuhl neben das Bett und als er sah, wie Ben´s Hand suchend nach ihm tastete, ergriff er sie mit seinen behandschuhten Händen und sagte leise: „Ich bin da Ben und stehe das mit dir durch-egal was kommt“, und ein angedeutetes Nicken quittierte seine Worte.


    Für den kleinen Türken stand fest-auch wenn die Welt draußen zusammen brechen würde, er wurde hier gebraucht und würde seinen besten Freund jetzt nicht mehr alleine lassen. Das mit Maria mussten andere regeln und wenn sie tatsächlich von Ben ein Kind bekommen würde, konnte das arme Wurm ja auch nichts für seine verrückte Mutter und man musste einfach hoffen, dass dann die guten Gene seines Freundes überwogen. Es war zwingend erforderlich, ihr ihre Taten nachzuweisen, was nach seiner Erfahrung aber in diesem Fall absolut wasserdicht war, dann würde sie vermutlich lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung bekommen, oder alternativ in der Forensik fest gehalten werden. Allerdings dachte er schon, dass sie voll schuldfähig war und ihr restliches Leben im Gefängnis verbringen würde. Kein Richter würde eine Abtreibung gegen den Willen der Mutter anordnen und so konnte man nur hoffen, dass vielleicht die Natur ein Einsehen hatte. Immerhin war Maria bereits Ende dreißig, vielleicht war ja auch ihr Plan nicht aufgegangen, sie war nicht schwanger und sie machten sich alle unnötig Gedanken deswegen. Die größte Sorge musste jetzt einfach Ben sein-er musste überleben und Semir hoffte von Herzen, dass Hartmut gemeinsam mit den Ärzten, wie schon so oft, eine rettende Idee hatte.


    Hartmut hatte sich inzwischen die Aufzeichnungen Mengele´s vorgenommen und tatsächlich-es fanden sich ab den sechziger Jahren Fallbeschreibung und menschenverachtende Experimente, speziell mit Eiter, den Mengele aus den Abszessen schwer kranker Slumbewohner gewann und damit ohne jegliches Mitleid Kinder, aber auch Erwachsene infizierte. Es fanden sich pseudowissenschaftliche Abhandlungen, ob es besser war, den Eiter auf die Schleimhäute auf zu tragen, intravenös zu spritzen, in Körperöffnungen ein zu bringen oder zu inhalieren. Bei der intravenösen Verabreichung starben alle „Probanden“, wie Mengele seine Opfer zynisch bezeichnete, binnen zwei Tagen, bei den anderen Infektionsformen gab es Unterschiede, Menschen die spontan überlebten, oder auch von Mengele mit den verschiedensten Heilmitteln und Antibiotika anbehandelt wurden-so waren vermutlich auch diese Resistenzen entstanden. Schreckliche Schwarz-Weiß-Fotos belegten die „Studien“ und als Hartmut weiter blätterte, entdeckte er voller Entsetzen, dass Maria nach dem Tod ihres Großvaters 1979 bereits als Teenager in den Neunzigern die „Studien“ fort geführt und dokumentiert hatte. Ein Menschenleben galt nicht viel in den Slums von Sao Paulo und für ein paar Pesos konnte man dort Kinder und Erwachsene kaufen, nach deren Verbleib sich nie mehr jemand erkundigte. In Hartmut stieg Übelkeit auf, als er las, was Maria mit den armen Menschen alles angestellt hatte und es war anzunehmen, dass die medizinischen Instrumente, die auch bei Ben zum Einsatz gekommen waren, voller Erreger und Geweberesten von Dutzenden schwer kranker Patienten gewesen waren. Voller Widerwillen und Ekel wühlte er sich mit Querlesen durch die Aufzeichnungen, trank immer wieder einen Schluck Kaffee, wenn die Übelkeit in ihm hoch stieg und plötzlich stieß er auf etwas, was ihn aufmerken ließ!
    Als wenig später sein Telefon klingelte und ein Labormediziner aus der Uniklinik sich mit ihm in Verbindung setzte, hatte er dem etwas Interessantes mit zu teilen.


    Bei Maria wurde derweil in der Klinik noch die Gipsschiene abgenommen, der Arm, auf dem Luckys Zahnabdrücke blutunterlaufen zu erkennen waren, kontrolliert und dann wieder neu verbunden.
    Erst hatte sie überlegt, ob sie wegen dem Angriff des kleinen türkischen Polizisten eine Beschwerde einreichen sollte, aber dann nahm sie davon Abstand-das würde nur unnötig Staub aufwirbeln und ihr und dem Baby war ja nichts passiert. Sie hatte was sie wollte und würde die nächsten neun Monate demütig ihre Strafe annehmen und zur Mustergefangenen im Frauengefängnis, oder der forensischen Klinik werden. Niemand würde einen Verdacht schöpfen und wenn sie zur Entbindung in die Klinik kam, würde sie mit ihrem Kind fliehen.
    „Von ärztlicher Seite aus können sie morgen in den Regelvollzug, also das Untersuchungsgefängnis verlegt werden!“, teilte ihr die Klinikärztin mit und Maria nickte.

    „Morgen ist ihr Haftprüfungstermin, wir werden sie direkt von der Klinik aus dem Richter vorführen. Sie dürfen ihren Anwalt anrufen und sich mit ihm besprechen!“, teilte ihr der JVA-Beamte wenig später mit mit und Maria nickte freundlich. „Dankeschön!“, sagte sie und ließ sich das Mobilteil des Festnetztelefons bringen. Die Telefonnummer eines bekannten Fachanwalts für Strafrecht, den sie sich bereits vorab aus dem Telefonbuch ausgesucht hatte, falls es einmal Probleme geben würde, hatte sie im Kopf und so wurden wenig später ihre Akten von dem bei der Staatsanwaltschaft angefordert. „Ich komme heute Abend noch bei ihnen vorbei und wir besprechen, was momentan notwendig ist!“, teilte er ihr mit und Maria stimmte zu. Die Dinge würden ihren Lauf nehmen, aber das Wichtigste war-sie war schwanger, sie wusste es so sicher, dass sie keinen Test brauchte!

  • Hartmut unterhielt sich mit dem Labormediziner in Augenhöhe, der nach wenigen Worten seines Gegenübers merkte, was für ein schlauer, gebildeter Kopf da am anderen Ende der Leitung war.
    „Herr Jäger hat eine massive Sepsis, wird bereits mit dem zweiten Breitbandantibiotikum behandelt, aber sein Zustand verschlechtert sich nach Aussage des Intensivarztes stündlich. Wir haben im Uricult und in der Blutkultur einen Erregernachweis und bebrüten gerade die Platten, um ein Antibiogramm erstellen zu können“, sagte er und kam zu dem Schluss, dass er Herrn Freund nicht erklären musste, was das war. Einem Laien hätte er jetzt beschrieben, dass man sich die Keime erst unterm Mikroskop ansah, sie auch einfärbte, um sie näher zu klassifizieren und dann auf fertigen Platten, die mit Nährmedien versehen waren, im Brutschrank bei 37°C vermehrte. Wenn sich dann Bakterienrasen gebildet hatte, gab man verschiedene gängige Antibiotika nach einem Standard darauf und besah sich dann die Platten wieder unterm Mikroskop. Dort wo die Bakterien abgestorben waren, wirkte das jeweilige Antibiotikum und das wurde dann auf dem Ausdruck als sensibel gekennzeichnet. Wo sich nichts tat und die Keime munter weiter wuchsen, waren Resistenzen gegen das Antibiotikum vorhanden, das wurde ebenfalls dokumentiert. Das Problem war-man brauchte eine gewisse Menge an Keimen, um die Prüfung durch zu führen und das dauerte einfach, bis die wuchsen und sich vermehrten. Leider fand derselbe Mechanismus auch parallel dazu im Patienten statt, wenn man nicht bei dem Schuss in Blaue zufällig das passende Antibiotikum erwischte, oder die körpereigene Immunabwehr mit dem Erreger fertig wurde. Anscheinend war das aber bei dem Polizisten noch nicht geschehen, sonst würde es dem nicht so schlecht gehen. Und was in diesem Fall noch eine Besonderheit war-es war ihnen bisher noch nicht gelungen, einen speziellen Keim zu klassifizieren, der hatte zwar unterm Mikroskop gewisse Ähnlichkeiten mit einem bekannten Anaerobier-dem Fusobakterium necrophorum, aber es gab doch einige Unterschiede, die sehr interessant waren.


    Genau diesen Keim hatte auch Hartmut gefunden und anhand der Beschreibung waren sich die zwei Männer binnen Kurzem einig, dass es sich vermutlich um dasselbe Bakterium handelte, das ihnen beiden Sorgen bereitete. „Ich habe die Aufzeichnungen der Verbrecherin, die meinen Kollegen wohl mit unsauberen medizinischen Instrumenten infiziert hat, aufmerksam durch gelesen. Sie und zuvor ihr Großvater haben anscheinend seit Jahrzehnten menschenverachtende Experimente mit Nomaerkrankten durch geführt, wodurch es vermutlich zu allerlei Resistenzen gekommen ist. Keines der gängigen Antibiotika wirkt wohl mehr gegen den Superkeim, den sie so gezüchtet haben. Allerdings gibt es laut der Täterin eine spezielle Orchideenart in den Regenwäldern Brasiliens, deren Inhaltsstoffe diesen Keim abtöten können-zumindest geht das aus den Aufzeichnungen hervor. Ich versuche jetzt schon die ganze Zeit übers Internet an diese Pflanze ran zu kommen, aber ich kann in ganz Europa keine auftreiben und außerdem ist mir auch nicht ganz klar, wie und in welcher Dosis man die dann verabreicht“, erklärte er. „Dann recherchieren sie bitte weiter-ich werde meine Kollegen anderer Institute befragen, ob die darüber etwa wissen“, beschloss nun der Labormediziner und ging, nachdem er das Gespräch mit Hartmut beendet hatte, auch gleich an den PC, verfasste eine Rundmail an seine Kollegen und sendete sie ab.


    Bei Hartmut war inzwischen Frau Krüger, die es nicht mehr im Büro gehalten hatte, aufgetaucht. Man hatte Emanuela wieder zurück ins Haus der Gregors gefahren und Jenny war jetzt gemeinsam mit Bonrath unterwegs, um die Aussage von Zofia im Frauenhaus auf zu nehmen, damit morgen beim Haftprüfungstermin auch alle wichtigen Informationen für den Richter beieinander waren.


    „Herr Freund-was gibt es für Neuigkeiten?“, fragte sie, denn der Rothaarige hatte natürlich Susanne um Hilfe bei der Recherche gebeten, der erzählt, wie lebensbedrohlich krank Ben immer noch war und die hatte darüber die Chefin informiert. Das war es eben auch, was die Arbeit in ihrem Team so schön machte. Bei allen alltäglichen Reibereien, die es wohl überall gab-man hatte ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Hartmut berichtete von den Orchideen und nach kurzer Überlegung richtete sich Frau Krüger auf. „Vielleicht weiß Emanuela wie man da ran kommt-irgendwie muss Frau Gregor sich die Pflanzen ja in Brasilien beschafft haben!“, überlegte sie. Obwohl inzwischen schon lange Zeit für den Feierabend war, redete keiner davon, nach Hause zu gehen und auch wenn Hartmut hundemüde war-er würde nicht eher ruhen, bevor er Ben nicht geholfen hatte und wenn er dazu noch eine weitere Nacht in der KTU verbringen musste-so mega unbequem war die Isomatte gar nicht!


    Als die Chefin im Hause der Gregor´s anrief, ging niemand ans Telefon, aber irgendwie war das ja auch verständlich-was sollte die Bedienstete irgendwelchen Anrufern auch mitteilen? „Frau Gregor ist im Gefängnis, Herr Gregor in der Psychiatrie und das kleine Mädchen, das ich betreut habe, war ein Entführungsopfer und ist zurück bei ihrer Mutter?“ So setzte sie sich kurzerhand in ihren A-Klasse-Mercedes und fuhr los, um Emanuela erneut um Hilfe zu bitten. Die öffnete dann auch nach einem Blick in die Torkamera sofort das Tor und wenig später saßen die beiden Frauen in der Küche bei einer Tasse Tee zusammen. Emanuela hatte ein Fotoalbum vor sich liegen, dass Maria und Elias als Kinder zeigte, ihre Mutter Isabella, die Maria täuschend ähnlich sah und Mengele, der auch in den Siebzigern noch eine stattliche Erscheinung gewesen war.


    „Es war in den siebziger Jahren, als ich-ein Kind armer Leute-meine Eltern verloren habe und um zu überleben, als Prostituierte in den Slums von Sao Paulo gearbeitet habe. Der Hunger und das Elend waren meine täglichen Begleiter und plötzlich bekam ich eine Zahnfleischentzündung, mein Mund war eine einzige offene Wunde, ich war schwer krank und wusste, ich würde bald an Wasserkrebs sterben, wie so viele in den Slums. Da kam der Dottore, wie er in Brasilien genannt wurde, hat mich in sein Haus geholt-vielmehr in ein Nebengebäude, in dem er seine Experimente durchgeführt hat und hat mir Medizin und Essen gegeben, bis ich wieder gesund war. Isabella, die ein sehr, sehr lieber Mensch und fast genauso alt wie ich war, hat mich entdeckt, als sie einmal beim Fenster herein gesehen hat, wir haben uns unterhalten und sie hat ihren Vater dann gebeten, dass ich nach meiner Genesung als Kinderfrau bei ihr bleiben darf. Elias war damals noch klein und ich habe ihn mit aufgezogen und bei Maria´s Geburt war ich dabei und habe geholfen. Isabella hat sehr viel geweint und hat mich ins Vertrauen gezogen, dass sie von ihrem eigenen Vater vielfach vergewaltigt wurde, allerdings hat er damit aufgehört, als Maria geboren war-sie war sein Zuchtziel, das perfekte Endprodukt.

    Wegen meiner Narben im Gesicht, hätte ich in meiner Heimat nie mehr Arbeit gefunden, ich hatte ja auch nichts gelernt und so bin ich nach Isabella´s frühem Tod bei Maria und Elias geblieben und auch vor ein paar Jahren mit ihnen nach Deutschland gegangen. Als Maria in den Neunzigern die Aufzeichnungen ihres Großvaters studiert hat, hat sie seine Forschungen weiter geführt, immer wieder hatten wir Patienten in dem Nebengebäude, Erwachsene und Kinder, die dann eines Tages nicht mehr da waren. Ich habe nicht weiter gefragt, denn ich wollte es gar nicht wissen, was sie mit ihnen gemacht hat. Ich habe nachts zu Gott gebetet, mich gegeiselt und ihn um Verzeihung für die Taten meiner anvertrauten Kinder gebeten“, beschloss sie ihre Rede.


    Betroffen hatte Kim Krüger den Erzählungen der Frau gelauscht. Freilich hätte man viele Menschenleben retten können, wenn Emanuela sich schon früher an die Polizei gewandt hätte, aber vermutlich hätte man ihr in Brasilien gar nicht geglaubt und ihr eigenes Schicksal war auch eng mit dem der Gregors verknüpft, man konnte verstehen, dass sie die Augen zu gemacht hatte, anscheinend hatte sie auch direkt von den Morden nichts mit bekommen.
    „Emanuela!“, sagte die Chefin nun-die grauhaarige Frau hatte um diese Anrede gebeten-noch nie hatte sie nämlich jemand mit ihrem Nachnamen angesprochen. „Maria hat einen unserer Kollegen mit Noma infiziert, der jetzt im Krankenhaus mit dem Tod ringt. Die gängigen Medikamente helfen nicht, aber anscheinend gibt es in den Regenwäldern ihrer Heimat eine Orchideenart, die diese Krankheit heilen kann-wissen sie, wie man da ran kommen könnte?“, fragte sie angespannt und als Emanuela nickte, musste die Chefin sich zügeln, beinahe wäre sie aufgesprungen. „In dem Vorort von Sao Paulo, wo wir gelebt haben, gibt es einen Heiler, der zwar kein Arzt ist, aber trotzdem mit Naturheilmitteln aus dem Dschungel viele Krankheiten behandeln kann. Ich weiß welches Pulver sie meinen, denn auch ich wurde damit gerettet. Allerdings hat der kein Telefon, ich könnte aber eine Nachbarin anrufen, damit die ihn sucht und nach der Medizin fragt!“, gab Emanuela bereitwillig Auskunft und nun streckte die Chefin ihr das Handy entgegen. Egal was die Telefonrechnung und alles andere kosten würde, wenn auch nur die geringste Chance bestand, Ben zu retten, wäre nichts zu teuer. „Sagen sie ihr, wir übernehmen natürlich alle Kosten, es gibt eine gute Bezahlung und wenn möglich soll man das Pulver direkt zum Flughafen zum Lufthansaschalter bringen, ich organisiere dann den Weitertransport!“, sagte sie aufgeregt.
    Sie hatte nämlich vorher noch kurz gegoogelt-es gab tägliche Direktflüge von Sao Paulo nach Frankfurt. Emanuela sah auf die Uhr-hier in Deutschland war es kurz nach sechs, in ihrer Heimat deshalb fünfzehn Uhr und als sie die Telefonnummer aus einer Küchenschublade gekramt hatte, hatte sie tatsächlich kurz darauf die Nachbarin am Apparat und ein Redeschwall auf Portugiesisch kam aus ihrem Mund. Wenig später lächelte sie und nachdem sie aufgelegt hatte, gab sie Auskunft: „Meine Freundin geht gleich zu unserem Heiler. Sie hat ihn mittags noch am Markt getroffen. Ihr Sohn wird dann das Pulver zum Flughafen bringen und wie sie gesagt haben, am Lufthansaschalter abgeben. Wegen der Bezahlung-Maria überweist der Nachbarin regelmäßig einen Betrag, weil die sich um das Anwesen kümmert, der Sohn dort den Garten in Ordnung hält und so die ganze Familie ein gutes Nebeneinkommen hat. Sie streckt das Geld für das Pulver und die Fahrt zum Flughafen erst einmal vor und ich habe ihr versprochen, sie bekommt dann für ihre Mühe eine gute Bezahlung“, klärte sie die Chefin auf, was sie soeben organisiert hatte. Die wäre Emanuela am liebsten um den Hals gefallen-es gab wieder Hoffnung für Ben! Dann fiel ihr noch etwas ein: „Wie viel von dem Pulver nimmt man denn, damit diese Krankheit geheilt werden kann?“, fragte sie und die Frau gab bereitwillig Auskunft: „Alle sechs Stunden einen Teelöffel voll mit viel Wasser, so hat es bei mir geholfen-die Besserung trat bei mir schon nach der vierten Dosis ein“, und mit diesen Informationen trat Frau Krüger den Rückweg an.

    Noch vom Auto aus rief sie die Servicehotline der Lufthansa an, schilderte ihr Anliegen und es wurde ihr versprochen, dass sie das Pflanzenextrakt mit dem nächsten Flieger, der am Abend starten und am kommenden Vormittag um kurz nach zehn in Frankfurt landen würde, mitnehmen würden. Ein Flugbegleiter würde es im Privatgepäck transportieren, so gab es die wenigsten Umstände. „Ein Polizist der Autobahnpolizei Köln wird es in Empfang nehmen und direkt zum Krankenhaus bringen-ich danke ihnen schon im Voraus!“, sagte Kim Krüger und beendete das Gespräch, um sich gleich danach mit Hartmut in Verbindung zu setzen, der erleichtert aufatmete und seinerseits gleich danach die Uniklinik verständigte. „Ich glaube ich gehe jetzt auch nach Hause, Chefin und jetzt muss Ben nur noch durchhalten und die Medizin auch wirken wie erhofft!“, sagte er und da konnte ihm Frau Krüger nur zustimmen.


    In der Klinik derweil saß Semir voller Sorge am Bett seines Freundes, der sich immer noch unruhig im Fieberwahn herum warf. Er hielt dessen Hand und lauschte dem rasselnden Atem. Ben stöhnte, obwohl er Schmerzmittel und Fiebersenker bekam, aber so richtig half das alles nicht. Semir hatte gar kein gutes Gefühl, wenn nicht bald etwas geschah, würde sein Freund das Ganze nicht überleben und die Miene des Arztes, der Nachtdienst hatte, als er seinen Patienten übernahm und ihn kurz durch untersuchte, sprach Bände.

  • Sarah fühlte sich hundeelend, sie hatte Fieber, ihr Kreislauf schwächelte und so war sie gar nicht in der Lage, sich zur Intensivstation zu schleppen. Sie rief dann von ihrem Handy aus irgendwann die Festnetznummer der Intensivstation an und hatte auch gleich Andy am Apparat. „Andy-wie geht es Ben? Und sorry, dass ich aktuell nicht kommen kann, ich habe leider Fieber gekriegt und habe Angst, dass mein Kreislauf schlapp macht“, sprudelte sie hervor und ihr Kollege beschloss kurzerhand, zwar nicht zu lügen, aber die Wahrheit ein wenig zu verbiegen. „Sarah ich richte ihm das aus, sein Zustand ist unverändert ernst, aber das weißt du ja. Wir hoffen, dass bald ein neues Antibiotikum geliefert wird, das ist wohl bereits unterwegs und sein Freund ist bei ihm und bleibt auch über Nacht, wie er mir mitgeteilt hat“, gab Andy Auskunft und unterschlug einfach die Isolierung wegen des unbekannten Keims und die zunehmende Abwärtstendenz. Was half es, wenn Sarah sich verrückt machte und dann doch nicht zu ihrem Mann durfte? „Ich danke dir, Andy-und schönen Feierabend, ja? Wenn das hier alles vorbei ist, machen wir bei uns wieder ein schönes Fest!“, versprach sie und den jungen Pfleger drückte danach das schlechte Gewissen. Wenn Ben starb, würde vermutlich niemand mehr feiern wollen, aber jetzt hieß es, ihn durch zu bringen, bis das Medikament, das hoffentlich wirken würde, eintraf.


    In Sao Paulo war inzwischen der Sohn der Nachbarin am Lufthansaschalter eingetroffen. Der Mitarbeiter der brasilianischen Polizei, der extra darauf trainiert war, Drogenschmuggel zu unterbinden, beobachtete, wie ein Päckchen mit einem weißen Pulver über den Tresen des Lufthansaschalters geschoben wurde und wenig später war der junge Mann, der es gebracht hatte, verhaftet und die Tüte beschlagnahmt. Die deutsche Schaltermitarbeiterin versuchte zu erklären, was sie wusste, aber im Augenblick hörte ihr niemand zu. Achselzuckend ließ sie den Polizisten gewähren, verständigte aber doch einen Kollegen in der Frankfurter Zentrale, der nach kurzem Überlegen die im PC hinterlegte Nummer der Autobahnpolizei heraus suchte und dort eine Information hinterließ.


    Frau Krüger hatte gerade ein leichtes Abendbrot zu sich genommen und wollte soeben die Beine hoch legen und noch ein wenig in den Fernseher schauen, als der Polizist, der nachts die Einsätze koordinierte, sie anrief. Die Chefin fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen-verdammt noch mal, konnte nicht einmal etwas glatt gehen? Sie sah auf die Uhr. In drei Stunden würde das Flugzeug starten, bis dahin musste die Sache geklärt sein. Sie hängte sich ans Telefon und wenig später machte sich der Generalkonsul der Deutschen Botschaft in Sao Paulo eilig auf den Weg zum Flughafen, um alles zu versuchen, was möglich war.


    Bevor Andy nach Hause ging, machte er Ben ein letztes Mal vor der Nacht frisch, lagerte ihn mit Hilfe von Semir anders und versorgte ihn mit neuen Kühlkompressen. Wenigstens waren die Verbände nicht mehr durch geblutet, im Ablaufbeutel des Darmrohrs war allerdings nur ein wenig Luft und weisungsgemäß entfernte der Pfleger es nun, damit es keine innerlichen Druckstellen gab, was Ben ein schmerzvolles Aufstöhnen entlockte. Er war doch überall wund und hatte Schmerzen, warum konnte man ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Er fühlte sich so elend, dass er eigentlich gerne aufgeben wollte, aber als er an seine Kinder dachte und seine wundervolle Sarah und Semir ihm Mut zu sprach, biss er die Zähne zusammen. Auch ihm hatte man, wie allen anderen, natürlich mitgeteilt, dass ein Medikament unterwegs war, das ihn vielleicht heilen konnte. Er würde um sein Leben kämpfen, auch wenn er eigentlich meinte, keine Kraft mehr zu haben.
    Andy richtete ihm auch noch Sarah´s Grüße aus, verschwieg allerdings auch hier, dass es Ben´s Frau ebenfalls nicht sonderlich gut ging-der dunkelhaarige Polizist hatte genug mit sich selber zu tun, er konnte sich jetzt nicht noch um andere sorgen. Andy verabschiedete sich: „Morgen komme ich wieder in den Spätdienst, ich hoffe, dass es dir bis dahin schon besser geht, Ben!“, sagte er zum Abschied und riss sich in der Schleuse dann die Schutzkleidung herunter. Wenn man darin arbeitete und logischerweise schwitzte, war man wie durchs Wasser gezogen. Die Kittel waren vorne und an den Ärmeln aus einem wasserundurchlässigen Plastikmaterial, eine Privatsauna war ein Dreck dagegen. Andy wünschte sich, dass die Mitarbeiter im Zentraleinkauf, die aufs Geld achteten und deshalb nur die billigsten Kittel nahmen, die selber tragen müssten. Die normale Stationskleidung darunter war jetzt feucht und er war froh, die in Kürze ausziehen und in seine Privatklamotten schlüpfen zu dürfen. War man ausgedampft, begann man nämlich in der feuchten kalten Kleidung zu frieren, isolierte Patienten waren also für jeden Mitarbeiter eine zusätzliche Belastung. Man ging auch nur zu ihnen, wenn man unbedingt musste, also war eine Isolierung in jeder Hinsicht für einen Patienten schlimm.
    Ben hatte Glück, dass sein Freund bei ihm blieb und die Besucherkittel waren angenehmer zu tragen, weil sie keinen Durchnässungsschutz hatten. Andy hatte auch den Mobilisationstuhl mit Bettzeug darauf, Mineralwasser und einen kleinen Imbiss für Semir aus dem Stationskühlschrank mit gebracht, damit auch der türkische Polizist sich stärken und dann hinlegen konnte, den Stuhl würde man am Morgen wieder gründlich desinfizieren und hinaus fahren, aber heute Nacht würde er hier gute Dienste leisten.


    So machte der junge Pfleger noch Übergabe an die Kollegin, die Ben des Nachts betreute und ging dann nach Hause. Normalerweise nahm er die Arbeit nicht mit heim, aber heute musste er noch kurz auf einen Absacker in die Kneipe um die Ecke, um den Kopf frei zu kriegen. Ben´s Schicksal beschäftigte ihn und es war sein absoluter Alptraum, wenn der in seiner Schicht sterben würde! Seine Freundin hatte gerade Frühschicht und schlief sicher schon lange, wenn er nach Hause kam, das war der Preis der Schichtarbeit und trotzdem liebte Andy seinen Beruf und konnte sich keinen anderen vorstellen.


    Maria lag im Gefängniskrankenhaus im Bett, hatte einen glücklichen Gesichtsausdruck und die gesunde Hand auf ihren Bauch gelegt. Die JVA-Mitarbeiterin die Nachtdienst hatte und die Monitore beobachtete, schüttelte den Kopf. Natürlich wusste sie um die Anklagepunkte gegen Frau Gregor, die am Abend noch Besuch von ihrem Anwalt gehabt hatte. Diese Frau war eine mehrfache Mörderin und es war durch gesickert, dass sie wohl auch Kinder entführt, grausam gequält und getötet hatte. „Na warte-morgen wirst du nicht mehr so grinsen, wenn du im Frauenknast in Ossendorf in Untersuchungshaft bist!“, dachte die Frau, selbst mehrfache Mutter mitleidlos. Gewalt gegen Kinder kam dort, wo viele Mütter einsaßen, nicht so gut und erfahrungsgemäß gab es genügend undichte Stellen, so dass die Gefangenen sehr genau wussten, was ihren Mithäftlingen vorgeworfen wurde.

  • Inzwischen war der Konsul mit Fahrer am Flughafen eingetroffen. Er erkundigte sich sofort nach dem inhaftierten Brasilianer und ließ sich zunächst am Schalter der Fluggesellschaft den Vorfall schildern. Wenig später wurde er zu dem Polizisten gebracht, der den Mann verhaftet und das Pulver beschlagnahmt hatte. In fließendem Portugiesisch fragte er, was für Vorwürfe gegen ihn erhoben würden und was mit dem Pulver wäre. „Es besteht der Verdacht des Drogenschmuggels, der Mann bleibt bis auf weiteres inhaftiert-außerdem, was geht das sie an? Der Verdächtige ist ein brasilianischer Staatsbürger“, bekam er arrogant zur Antwort. Nun baute sich der Generalkonsul, ein ehrfurchtgebietender Mann im eleganten Maßanzug vor dem Polizisten auf. „Warum sind sie überhaupt so sicher, dass es sich bei dem Pulver um Drogen handelt? Haben sie es bereits untersucht? Der Inhalt der Tüte ist ein Medikament aus dem Regenwald, das in meiner Heimat einen schwer erkrankten deutschen Polizisten retten soll-sie könnten auch in seiner Situation sein. Denken sie, jemand wäre so blöd und würde völlig offensichtlich ein Drogenpäckchen über den Schalter schieben, wenn er etwas schmuggeln wollte? Und glauben sie, die Mitarbeiter der Fluggesellschaft würden bei so etwas mitmachen? Wenn sie ein bisschen Hirn haben, dann sprechen sie mit ihrem Vorgesetzten, lassen den Mann frei und händigen mir das Medikament aus, ansonsten könnte es diplomatische Verwicklungen zwischen unseren beiden Ländern geben und ich werde ihren Namen da mehrfach erwähnen!“, drohte er jetzt und nun wurde der Polizist unsicher. Schon ein wenig kleinlauter sagte er: „Aber ich muss das Pulver morgen erst in einem Labor untersuchen lassen, bevor ich es heraus geben kann, dann reden wir nochmal“, beharrte er, aber jetzt hatte er nicht mit der Intelligenz des Konsuls gerechnet. Der war auf alles vorbereitet und zog einen Drogenschnelltest, wie ihn auch der deutsche Zoll verwendete, aus der Tasche. „So etwas sollten sie eigentlich auch haben, aber ich bitte sie jetzt, das Pulver zu testen und werde mich nicht eher von der Stelle rühren, bevor sie das gemacht haben“, beharrte er und murrend ging der Polizeibeamte nun zum Tresor, in dem die Plastiktüte verwahrt wurde. Der Konsul betete innerlich, dass nicht doch irgendwelche Spuren von Drogen in der unbeschrifteten Tüte waren, aber nachdem der Polizist die Gebrauchsanweisung des Tests gelesen hatte, ein wenig Pulver angefeuchtet und auf das Indikatorpapier aufgetragen hatte, kam es zu keiner Verfärbung auf die gängigen Drogen. Nach kurzem Zögern händigte er jetzt die Tüte an den Konsul aus und sagte: „Ich werde den Überbringer sofort frei lassen, aber bitte erwähnen sie meinen Namen nicht in ihrem Bericht, ich habe auch nur meinen Job gemacht.“, und mit einem huldvollen Nicken nahm der Konsul das Päckchen und eilte nach einem Blick auf die Uhr zum Lufthansaschalter. Dort wurde das Medikament nun erneut übergeben und als eine halbe Stunde später die Maschine abhob, befand sich im Gepäck des Copiloten das lebensrettende Pulver.


    Als Frau Krüger´s Telefon mitten in der Nacht klingelte und sie die erlösende Nachricht bekam, dass das Extrakt unterwegs war, konnte sie endlich einschlafen. Zuvor hatte sie sich erfolglos von einer Seite zur anderen gewälzt und verzweifelt nach gedacht, was sie sonst noch tun könnte, um Ben zu retten.


    In der Klinik hatte sich Semir nach einer kleinen Stärkung neben seinem Freund ein wenig auf dem Mobilisationsstuhl ausgestreckt. So kostümiert hatte er auch noch nie dran gelegen, aber er würde jetzt auf gar keinen Fall etwas ausziehen-er war nur froh, dass es ihm gestattet wurde bei Ben zu bleiben. Der verfiel von Stunde zu Stunde. Ständig musste man die kreislaufstützenden Medikamente steigern, das Fieber stieg trotz Paracetamol auf 41°C und als gegen drei Uhr morgens die Nachtschwester seinen Freund mit feuchten Handtüchern bedeckte und zusätzliche große Kühlkompressen in seine Leisten legte, zudem die Infusions- und Perfusorleitungen zunächst durch einen Coolpack geführt wurden und die Temperatur dennoch kaum unter 40°C sank, befiel Semir eine schreckliche Angst, ihn noch heute Nacht zu verlieren. Der Stationsarzt untersuchte Ben ebenfalls nochmals und sein ernster Gesichtsausdruck sprach Bände. Man unternahm den verzweifelten Versuch und hängte noch ein weiteres Antibiotikum an, im Moment war die Resistenzbildung Ben´s geringstes Problem-dazu musste er diesen Zustand erst einmal überleben!

    Nachdem seine Blutgase immer schlechter wurden, vermutlich auch durch die Wassereinlagerungen in seinem Körper, half man ihm mit einer nichtinvasiven maschinellen Beatmung, das hieß, er bekam über eine fest sitzende Nasenmaske druckunterstützt ein Luft-Sauerstoffgemisch zugeführt. Wenn er einatmete, triggerte er die Maschine, die dann sanft mit leichtem Druck die Luft nach schob, so dass sich die Lungenbläschen weiteten und der Gasaustausch besser stattfinden konnte. Durch diese Maßnahmen besserten sich zwar die Gase, aber an der fulminanten Sepsis, die bereits seinen Verstand verwirrte, änderte das leider nichts.
    Abwechselnd wähnte Ben sich wieder in Maria´s Keller und warf sich wimmernd und nach Hilfe rufend von links nach rechts. Dann wieder öffnete er die Augen weit und sah durch Semir, der sich verzweifelt über ihn beugte, regelrecht hindurch. „Lange wird er das nicht mehr durchstehen, wir können nur hoffen, dass das Medikament bald eintrifft und dann auch wirklich hilft-ich kann mir das ja ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass eine Urwaldpflanze mehr Potenz hat, als unsere ganzen hoch modernen Antibiotika!“, zweifelte der Intensivarzt, aber Semir fasste die Hand seines Freundes nur noch fester und sprach ihm Mut zu. „Ben-du darfst nicht aufgeben, deine Familie und auch ich brauchen dich!“, beschwor er ihn.


    Als der Morgen graute und die Frühschicht wieder übernahm, bekam man zwar die Meldung, die Medizin sei unterwegs und würde gegen Mittag eintreffen, aber als der Schwarm Weißkittel, der bei der Visite auch nur in der Türe stehen blieb, vorbei zog, hörte Semir, der selber völlig gerädert war, nur zweifelnde Stimmen. „Es stellt sich auch die Frage, ob wir das Mittel überhaupt verabreichen dürfen, es ist ja nicht als Medikament frei gegeben. Und wenn der Patient daraufhin verstirbt, hat der Anwender und wir alle dann eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung am Hals!“, vernahm er und Semir´s Verzweiflung nahm zu. Bedeutete das, dass man Ben vielleicht die rettende Medizin gar nicht geben wollte?


    Trotz alledem musste er jetzt austreten, sich die Zähne putzen und sich ein bisschen frisch machen. Außerdem brauchte er einen Kaffee und ein Frühstück und musste mit Andrea telefonieren. So verließ er seinen Freund. „Ben-ich komme in spätestens 30 Minuten wieder, halt bitte durch!“, beschwor er ihn, aber er wusste nicht, ob der ihn verstanden hatte, denn die dunklen Augen hatten bereits jeden Glanz verloren und nur ein Häufchen Elend, in dem viele Schläuche steckten, lag verschwitzt und ohne Decke in dem Intensivbett. Man hatte nur einen kleinen Kissenbezug über seine Scham gelegt, aber ansonsten waren alle Verbände, blauen Flecke und Schwellungen überdeutlich zu sehen.


    Semir erledigte in Windeseile, was er sich vorgenommen hatte. In der Cafeteria nahm er einen Kaffee to go und ein in Folie eingepacktes Brötchen, das er im Gehen verzehrte. Ein kurzer Anruf bei Andrea und danach bei der Chefin und schon eilte er zurück auf die Intensivstation.
    Als er dort eintrat, erwartete ihn eine Überraschung. Er hatte schon mit sich gerungen, ob er kurz bei Sarah vorbei schauen sollte, aber weil er sie nicht anlügen wollte, hatte er davon Abstand genommen. Die saß nun mit Tränen in den Augen am Bett ihres Mannes. Sie hatte in der Nacht gut geschlafen, das Antibiotikum hatte bei ihr gegriffen, sie war fieberfrei, die Drainage war gezogen und der erste Weg nach dem Frühstück und der Morgenvisite hatte sie natürlich zu Ben geführt. Voller Entsetzen hatte sie die Isolierung zur Kenntnis genommen, sich aber von ihren Kollegen und erst recht dem Stationsarzt nicht davon abhalten lassen, sich mühsam in einen Isolierkittel zu zwängen und nun an seinem Bett zu sitzen. „Semir-warum hast du mir nicht gesagt, wie schlimm es um ihn steht?“, warf sie ihm vor, als er hinter sie trat. „Sarah-ich dachte es wäre das Beste für euch beide, du bist doch auch krank und ich war die ganze Nacht da, außerdem kannst du ja auch nichts machen“, erwiderte der kleine Türke verzweifelt und auch ein wenig schuldbewusst. „Tu das nie wieder-meine Kollegen hab ich deswegen auch schon rund gemacht!“, sagte Sarah daraufhin eisig und bestrich Ben´s rissige Lippen liebevoll mit Panthenolsalbe. Der machte die Augen auf und versuchte etwas zu sagen, was aber durch den einsetzenden Alarm der Beatmungsmaschine wegen dem Druckverlust momentan nicht zu verstehen war. Sarah pausierte den Alarm und als sie und Semir sich nun näher zu Ben beugten, konnten sie verstehen, was er ihnen mit zu teilen versuchte: „Bitte nicht streiten!“, flüsterte er und dabei wurden seine Augen feucht. Nun sahen sich Sarah und Semir, beide ebenfalls mit Tränen in den Augen, an. Um Himmels Willen-sie wollten ihn doch nicht noch extra belasten! „Alles gut, Ben, wir streiten nicht!“, beruhigten sie ihn und Sarah bot Ben nun etwas Wasser zu trinken an, aber er verschluckte sich schon beim kleinsten Versuch. So wischte sie nur seinen Mund aus und ließ sich dann wieder zurück in den Stuhl sinken. Es sah gar nicht gut aus und wer wusste das besser als sie!


    Maria war derweil nach dem Frühstück dem Haftrichter vorgeführt worden. Obwohl ihr Anwalt versuchte, sie gegen eine hohe Kaution auf freien Fuß zu bekommen, folgte der Richter der Empfehlung der Staatsanwaltschaft, die diese Frau als Gefahr für die Allgemeinheit und mehrfache Mörderin einstufte. „Sie werden bis zur Verhandlung in Untersuchungshaft genommen und nach Ossendorf überstellt!“, teilte der Richter ihr mit und mit demütig gesenktem Kopf lauschte Maria seinen Worten. Sie hatte ihre elegante Privatkleidung an und als sie danach in der JVA ankam, stellte die Aufseherin der Kleiderkammer fest, dass sie in Größe 43 aktuell keine Damenschuhe außer Hausschuhen da hatte. „Bis wir geeignetes Schuhwerk besorgt haben, dürfen sie zum Hofgang ihre Privatschuhe tragen!“, wurde ihr mitgeteilt und als Maria am späten Vormittag in blauer Gefängniskleidung an die frische Luft gelassen wurden, richteten sich begehrliche Blicke auf ihre Beine und ein gehässiges Lächeln flog über das Gesicht der anderen Untersuchungsgefangenen.

  • Maria wurde nach dem Hofgang in ihre Zelle zurück geführt. Die Blicke der Frauen hatte sie bemerkt und eine Art Genugtuung hatte von ihr Besitz ergriffen. Ja sie war etwas Besseres und das sollten die anderen ruhig auch merken! Das Gefängnisessen im Saal war nicht besonders schmackhaft, aber es sättigte und da machte sich schon eine junge Frau an sie ran, die eindeutig von einer sehr großen muskulösen, überall tätowierten Gefangenen , die einen regelrechten Hofstaat um sich versammelt hatte, geschickt wurde. Das war wohl die Anführerin. „Krissi will deine Schuhe haben!“, bekam Maria ausgerichtet, aber ein arrogantes Lächeln zog über das Gesicht der Halbbrasilianerin. „Richte ihr aus, da kann sie lange warten, die gehören mir und ich habe nicht vor sie zu verkaufen“, war die Antwort und mit gesenktem Kopf schlich die Botin zurück zur Tätowierten, nicht ohne zuvor Maria zu geflüstert zu haben: „Glaub mir, das war die falsche Antwort, wenn Krissi deine Schuhe will, wird sie sie kriegen!“ Die Gregor wandte sich hoheitsvoll ab-mit so einem Gesockse würde sie sich nicht einlassen!


    Als der Flieger in Frankfurt landete, stand Bonrath in seiner Uniform schon bereit. Er hatte den deutschen Zollbeamten erklärt, auf was er wartete und die ließen es sich zwar nicht nehmen, ebenfalls einen Drogenschnelltest durch zu führen, aber keine 20 Minuten nach der Landung des Flugzeugs war Dieter bereits auf dem Rückweg nach Köln. Der Verkehr auf der A3 floss, aber der große Polizist hätte sich nicht gescheut, das Blaulicht einzuschalten, auch wenn das rechtlich vielleicht nicht ganz in Ordnung gewesen wäre. Hier ging es um Leben und Tod-Ben´s Leben- und dafür hätte er mehr als einen Regelverstoß vorgenommen. Voller Sehnsucht dachte er an seinen verstorbenen Freund Hotte, der Ben damals durch seinen Tod das Leben gerettet hatte und hörte ihn irgendwie zu ihm sagen: „Gib Gas Dieter, wir können den Jungen doch nicht sterben lassen!“ und so beschleunigte er nochmals und holte aus dem Polizeiporsche heraus, was ging.


    Auf der Intensivstation spitzte sich die Lage mehr und mehr zu, wenn nicht bald etwas geschah, würde Ben die nächsten Stunden nicht überleben. Die Intensivpflegekraft der Frühschicht wusch Ben kühl herunter, um die hohen Temperaturen zu senken und als sie die Verbände erneuerte, sah man überall an den Einstichstellen des ZVK, der Arterie, der abgestöpselten peripheren Venenzugänge, des Pufi und auch am Blasenkatheter kleine Eitertröpfchen stehen. Sie holte den Intensivarzt dazu und nach Rücksprache mit dem Chefarzt fällte der die Entscheidung: „Plastikwechsel“ und Semir sah nun fragend zu Sarah, die sich jetzt mühsam erhob. Ihre Schulter klopfte und tat weh, außerdem musste sie mal auf die Toilette. „Was bedeutet das?“, fragte Semir und Sarah erklärte: „Manchmal liegt die Ursache für Fieber bei Intensivpatienten auch darin, dass sich an den ganzen Kunststoffkathetern über den Blutweg Bakterien ansiedeln. Gerade Anaerobier, also Keime die keinen Sauerstoff brauchen, um sich zu vermehren, tun das gerne. Deshalb zieht man jeden Zugang, der besiedelt ist und den man nicht unbedingt braucht. Für Ben ist allerdings ein Großteil davon notwendig und so muss da erst ein Neuer gelegt werden, bevor man den alten entfernt.“


    Semir nickte, jetzt hatte er verstanden, was das bedeutete, aber der Intensivarzt richtete nun seinen Blick auf Sarah: „Dich möchte ich unbedingt bitten, den Raum solange zu verlassen, bis wir alle Schläuche ausgetauscht haben. Die Keimbelastung hier in diesem Zimmer wird in der nächsten Stunde extrem hoch sein und ich kann nur an deine Vernunft appellieren-du bist selber frisch operiert und hast ein stark erhöhtes Infektionsrisiko, geh solange auf dein Zimmer-ich verspreche dir, wir holen dich, wenn wir hier fertig sind, denk an deine Kinder!“, drängte er und schweren Herzens drückte Sarah ihrem Mann noch einen zarten Kuss auf die Stirn, bevor sie den Raum verließ. „Bis später mein Schatz!“, flüsterte sie, aber Ben schien gar nicht mehr richtig wahr zu nehmen, was um ihn herum geschah.
    Der Eingriffswagen wurde jetzt kurz hinter der Türe postiert, die Schwester zog ihre Schutzkleidung noch einmal aus, richtete die vermutlich benötigten Utensilien heraus und legte sie auf einer Anrichte im Zimmer ab. Das Ultraschallgerät wurde herein gefahren, aber komplett in einen Schutzbezug gehüllt Die Schiebetüre ließ sie einen Spalt auf. Dann zog sie sich erneut um und auch der Intensivarzt trat, nur mit Haube und Mundschutz über seiner Dienstkleidung, aus der Schleuse wo er bereits seine Hände und Arme bis zu den Unterarmen chirurgisch desinfiziert hatte.


    Die Schwester hatte derweil Ben die Nasenmaske abgenommen und durch eine Sauerstoffnasenbrille ersetzt, durch die maschinelle Atemgymnastik waren die Lungen wieder gut entfaltet, man musste das Gerät nicht ständig im Einsatz haben-fünf bis sechsmal am Tag eine Stunde würde genügen. Sie legte zunächst eine Einmalunterlage unter seinen Oberkörper, rasierte die andere Halsseite ein wenig nach, was bei Ben´s Dreitagebart, den man ihm bisher gelassen hatte, ein wenig merkwürdig aussah, lagerte ihn mit Semir´s Hilfe flach auf den Rücken und schon zog der Intensivarzt seinen sterilen Mantel und die Chirurgenhandschuhe an. Zunächst strich er großzügig die Halsseite ab, machte eine örtliche Betäubung, aber trotzdem war es eine ganz schöne Tortur für Ben, bis der neue zentrale Venenkatheter lag. Semir hielt die ganze Zeit seine beiden Hände fest, musste aber den Kopf abwenden, als das Blut floss und gerade als der Arzt mit der langen dicken Nadel in Ben´s Hals herum stocherte, auf der Suche nach dem Gefäß, das er zwar auf dem Ultraschallgerät sehen konnte, aber das Treffen war noch eine andere Geschichte, wurde ihm beinahe übel. Ben stöhnte immer wieder leise auf, lag aber ganz ruhig und ertrug auch das Legen des arteriellen Zugang, diesmal in Form eines speziellen Piccokatheters in der Leiste und die Entfernung des Pufi, was der Intensivarzt persönlich vornahm. „Den neuen Blasenkatheter legt ihr von der Pflege?“, fragte er dann und die Schwester nickte. Außer ein Urologe war am Werk, hatten Schwestern und Pfleger mehr Routine im Umgang mit Kathetern und so schleuste sich eine zweite Schwester ein, brachte auch die kompletten Infusionen, Perfusoren und Leitungen neu mit, denn wenn gewechselt wurde, dann richtig und gemeinsam entfernten sie rasch den Blasenkatheter, der tatsächlich von einer Eiterschicht, die man mit dem bloßen Auge erkennen konnte, eingehüllt war und legten nach gründlicher Desinfektion einen neuen, der allerdings genauso dick wie sein Vorgänger war. Da half auch das betäubende sterile Gleitgel wenig, Ben musste laut jammern und Semir tat es selber in der Körpermitte weh, als er die Manipulationen zwischen den Beinen seines Freundes beobachtete und dabei ganz fest seine Hand hielt. „Ist es noch nicht bald fertig, ich kann nicht mehr!“, flüsterte Ben und nun lächelte ihn die Schwester unter ihrem Mundschutz an. „Doch-sie haben es gleich geschafft. Wir ziehen jetzt noch die alten Zugänge und schicken die Spitzen in die Bakteriologie ein, tauschen die Infusionen und dann lassen wir sie wieder in Ruhe. Sie waren jetzt eh ganz tapfer, ich muss sie loben!“, versuchte sie ihn auf zu muntern, aber Ben schloss nur müde die Augen-er hatte nicht einmal mehr die Kraft zurück zu lächeln.


    Endlich waren alle Infusionen frisch, die Zugänge gezogen, die Spitzen des ZVK und des arteriellen Zugangs in Sterilgläschen für die Bakteriologie verpackt und mehrere dicke Pflasterpakete bedeckten die Einstichstellen, die teilweise noch ein wenig nach bluteten. Rasch erneuerten die beiden Schwestern noch Ben´s komplett verschwitzte Unterlage, lagerten ihn mit erhöhtem Oberkörper ein wenig zur Seite und die eine Schwester verließ den Raum wieder, wischte das Ultraschallgerät mit Einmaldesinfektionstüchern ab und nahm es mit nach draußen. Der ZVK war bereits beim Legen mittels Alphacard kontrolliert worden-man hatte typische EKG-Veränderungen mit dem Führungsdraht im Herzen provoziert und dann ein paar Zentimeter zurück gezogen und so fest genäht.


    Semir sah unauffällig auf die Uhr-es war bereits Mittag, wie sein knurrender Magen angab, aber er würde Ben in diesem Zustand nicht mehr alleine lassen.
    Plötzlich stand die Schwester in der Tür und sagte: „Herr Gerkhan-draußen ist ein Kollege von ihnen mit einem Päckchen. Ich muss ihnen leider mitteilen, dass unsere Ärzte es nach Rücksprache mit der Rechtsabteilung nicht wagen, Herrn Jäger eine unbekannte Substanz zu verabreichen-das geht aus rechtlichen Gründen wohl nicht, darum denke ich, sie sollten die auf jeden Fall an sich nehmen und ich sage Sarah Bescheid, dass wir hier fertig sind!“, teilte sie ihm mit und jetzt zog Semir rasch die Schutzkleidung aus und eilte in den Eingangsbereich der Intensivstation. Um Himmels Willen, jetzt kam das rettende Medikament und niemand traute sich, das Ben zu geben!

  • Sarah hatte sich zwar in ihrem Patientenzimmer ein wenig ausgeruht, eine Schmerztablette genommen und auch eine Kleinigkeit gegessen und getrunken, um für ihren Mann bei Kräften zu bleiben, aber eine innerliche Unruhe hatte sie erfasst und ließ sie nicht richtig zur Ruhe kommen. Gut der Plastikwechsel war sinnvoll, schon oft hatte sie erlebt, dass man sogar das richtige Antibiotikum hatte, aber durch die Besiedlung der Zugänge und Katheter seine Wirkung gehemmt wurde, denn manche Keime bildeten eine Art Biofilm, der eine mechanische Barriere gegen die Antibiose bildete und vermehrten sich darunter munter weiter. Bei Ben allerdings kam erschwerend hinzu, dass sie nicht davon ausgehen konnten, das richtige Antibiotikum zu geben und so wartete sie sehnsüchtig auf das Eintreffen der geheimnisvollen Substanz aus dem Urwald. Ihrer Kollegin hatte sie eingeschärft, sie sofort zu verständigen, wenn die Eingriffe erledigt waren und die hatte ihr versichert, das auch zu tun, also konnte sie jetzt wirklich abwarten und versuchen neue Energie zu sammeln.

    Sie rief noch kurz bei Hildegard an, die ihr versicherte, dass es den Kindern gut ginge, aber Lucky immer noch das Futter verweigern würde-etwas was Frederik, dem verfressenen Golden Retriever, nie passieren würde! „Er wird schon nicht verhungern-Lucky ist ja gut genährt, der verkraftet das schon und ich bin mir sicher, sobald er sein Herrchen wieder sehen kann, futtert der das alles wieder drauf“, hoffte Sarah und nach vielen Besserungswünschen für sie und Ben von ihrer Kinderfrau legte sie den Hörer auf, lehnte sich zurück und schloss die Augen, bis wenig später ihr Handy klingelte und die Intensivschwester dran war: „Sarah, wir sind hier fertig-aber wir haben ein großes Problem!“, sagt sie und atemlos lauschte die junge Frau nun, was ihre Kollegin ihr zu berichten hatte.


    Im Untersuchungsgefängnis bekam nun ein Teil der Frauen, darunter auch Maria, die Gelegenheit zu duschen. Die dunkelhaarige Frau mit den verschiedenfarbigen Augen ließ sich von der Aufseherin einen großen Müllsack und ein Gummiband geben-so hatte sie sich schon als Kind, nachdem sie sich einmal den Arm gebrochen und sechs Wochen einen Gips hatte tragen müssen, beholfen.
    Als sie im Sanitärtrakt ankam, zuckte sie erst einmal zurück-es gab nur einen großen Gemeinschaftsduschraum, auf Privatsphäre wurde hier nicht geachtet. Wenn sie sich allerdings vorstellte, dass sie sich als Alternative die nächsten Jahre nur am Waschbecken in ihrer Zelle waschen könnte, legte sie doch zögernd in der Umkleide ihre Kleidung ab, schlang das kratzige Badehandtuch um sich, das so gar kein Vergleich zu den kuschligen Luxusteilen zuhause war und befestigte mühsam den Plastiksack über dem geschienten Arm. Die kleine Gefangene, die als Botin gedient hatte, war auf einmal neben ihr und half ihr, ebenfalls in ein Handtuch gehüllt-sie war wohl schon fertig, denn ihre Haare waren nass- das Ganze richtig zu befestigen. „Ich möchte dich ein letztes Mal warnen-Krissi will immer noch deine Schuhe haben und sie wird sie bekommen, ob du das möchtest oder nicht-hier im Knast herrschen andere Gesetze!“, teilte sie ihr im Flüsterton mit, aber Maria dankte ihr zwar für die Hilfe, schritt aber dann hoheitsvoll in den Duschraum in dem man vor lauter Wasserdampf fast die Hände nicht vor den Augen sehen konnte.

    Die für die Duschräume zuständige Aufseherin wurde von der kleinen Frau nun abgelenkt, die plötzlich laut aufschrie und tat, als hätte sie sich übel den Fuß verstaucht. Ein ganzer Schwarm Gefangene scharte sich in der Umkleide um die Kleine, die sich jammernd ein Bein hielt und schirmte so mit ihren Körpern und aufgeregten lauten Rufen und Gesprächen die Sicht zum Duschraum ab, wo sich jetzt nur noch Krissi und zwei ihrer Untergebenen aufhielten.

    Maria hatte kaum das Handtuch an einen der dafür vorgesehenen Haken gehängt, da stand die Frau, die sie um einen Kopf überragte und ein einziges tätowiertes Muskelpaket war, plötzlich vor ihr. „Wie sieht es nun aus-wann bekomme ich meine Schuhe?“ fauchte sie drohend und trat einen Schritt näher, während sie ihre Blicke musternd über Maria´s nackten Körper wandern ließ und dann noch nach setzte: „Nicht schlecht für dein Alter, außer den Hängetitten“, was Maria in Wut und Aufregung versetzte. „Meine Schuhe und auch meine Figur gehen sie überhaupt nichts an, ich bin hier eine Untersuchungsgefangene wie jede andere und lassen sie mich gefälligst in Ruhe duschen!“, befahl die Gregor und richtete sich noch ein wenig auf. Das wäre ja noch schöner-sie war es gewohnt, dass die Menschen vor ihr zu Kreuze krochen und ihr zu Willen waren-noch nie hatte ihr jemand Vorschriften machen wollen, nicht einmal ihre Mutter und ihr Eigentum würde sie mitnichten abgeben, das wäre ja noch schöner! Natürlich hatte sie zuhause in ihrem Ankleidezimmer dutzende Designerschuhe der edelsten Marken und wer wollte eigentlich bereits getragene Schuhe haben? Sie würde sowas nicht einmal mit der Kneifzange anfassen, aber bevor sie hier in Filzpantoffeln zum Hofgang schritt, weil dieses ordinäre Stück an ihr Eigentum wollte, würde sie sich zur Wehr setzen und die Frau bei der Gefängnisleitung melden!

    Krissi drängte sich nun neben sie und ging mit ihrem nackten Körper auf Tuchfühlung, was in Maria Ekelschauer hervor rief. „Na, na, na-da hat wohl noch jemand nicht kapiert, wer hier das Sagen hat-und ein Vöglein hat mir gezwitschert, welche Anklagepunkte gegen dich vorliegen. Du hast einen Typen gefoltert und sexuell missbraucht, einen anderen, oder sogar mehrere umgebracht, ein Kind entführt und geschlagen und irgendwer hat erwähnt, dass du früher auch schon Kinder gequält und vielleicht sogar getötet hast-das sehen wir Mütter hier im Knast nicht so gerne!“, zischte sie und hatte plötzlich etwas in der Hand, was Maria als abgesägten Besenstiel identifizierte. Bevor sie allerdings den Mund aufmachen und schreien konnte, wurde sie von hinten von den beiden Helferinnen gepackt und auf den Boden gezwungen. Eine knebelte sie geübt mit einem Waschlappen und so sehr sie sich auch wehrte und versuchte um sich zu treten-ihre Beine wurden auseinander gezwängt und dann überkam sie nur noch ein unmenschlicher Schmerz, als Krissi den Besenstiel in sie rammte und sie wenig später das Bewusstsein verlor.

  • Die Täterinnen verließen in aller Seelenruhe den Duschraum, zogen ihre Bademäntel an und gingen in die Zellen zurück, um sich anzuziehen. Die Aufseherin hatte die kleine Gefangene, die immer noch laut jammerte und sich das Bein hielt, in die Krankenstation gebracht. Während die Frauen sich in dem ganzen Kuddelmuddel wieder in ihre Zellen zurück zogen, war eine der Lakaien in Maria´s Raum geschlüpft, hatte die Schuhe an sich genommen, unter ihrem Bademantel versteckt und so legte wenig später Krissi, mit triumphierendem Lächeln, die ersehnte Beute unter ihre Zudecke. Sie war kurz hinein geschlüpft, aber auch wenn sie Schuhgröße 41 hatte, diese Pumps waren sogar ihr zu groß, aber zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Manolo Blahniks, konnte sie anschauen, anfassen und es ging auch hauptsächlich darum, zu beweisen, wer hier unter den Gefangenen das Sagen hatte.
    Hier galt das Gesetz der Straße-der Stärkere war der Boss und sowas musste von Anfang an klar gelegt werden. Krissi hatte haarscharf erkannt, dass Maria gebrochen werden musste, ansonsten würde die die nächsten Jahre-sofern sie in den gleichen Regelvollzug kamen-nur Ärger machen. Am Besten war es, gleich richtig durch zu greifen und sie machte sich keine Sorgen-auch wenn diese arrogante Zicke mit den verschiedenfarbigen Augen aussagte, dass sie sie verletzt hatte-sie und ihre Lakaien würden etwas anderes zu Protokoll geben, nämlich dass die neue Gefangene anscheinend sexsüchtig war, es sich mit dem Besenstiel selber besorgt hatte und dabei in der glitschigen Dusche gestürzt war. Da stand Aussage gegen Aussage und Krissi machte sich wenig Sorgen-sie hatte sowieso bereits viele Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht-Ossendorf war für sie eine zweite Heimat und wer in der Hierarchie oben stand, hatte auch im Knast kein schlechtes Leben, mehr als eine kleine Erhöhung ihrer vermutlich sowieso bereits langjährigen Haftstrafe hatte sie nicht zu befürchten. Sie hatte Freier beklaut, Rauschgift vertickt und nahm jede Möglichkeit zur Geldbeschaffung wahr, wenn sie draußen war.


    Allerdings liebte sie Kinder, auch wenn sie keine eigenen hatte und ihre zahlreichen Nichten und Neffen erwiderten die Liebe und schickten ihr immer selbst gemalte Bilder ins Gefängnis. Jemand der Kinder misshandelte, stand in der Gefängnishierarchie ganz unten, zumal es das Schlimmste für die vielen Mütter unter ihnen waren, teils über Jahre von ihrem Nachwuchs getrennt zu sein. Maria würde es schwer haben, aber erst einmal würde sie mit Sicherheit eine ganze Zeit nicht mehr hier zu finden sein, Krissi hatte nämlich stark zu gestoßen und die Blutmenge, die sich unter ihrer Kontrahentin bereits ausgebreitet hatte, als sie eilig den Duschraum verlassen hatten, sprach für sich.


    Als die Zellen eine nach der anderen abgeschlossen wurden, fiel erst auf, dass Maria fehlte und man sah in den verlassenen Duschräumen nach, wo sich der Wasserdampf inzwischen verzogen hatte. Die JVA_Beamtin erschrak, als sie die Blutspur sah, die sich quer durch den Raum zog und als sie dem Wimmern folgte, fand sie in der Ecke Maria vor, die dort zusammengekrümmt und leichenblass lag und sie zog sofort ihr Diensthandy hervor und verständigte die Zentrale. „Schnell schickt die Ärztin und ruft die Rettung, hier ist eine Gefangene schwer verletzt und droht zu verbluten!“, rief sie in den Hörer und warf dann zunächst einmal ein Handtuch über die Gregor-mehr würde sie nicht tun, sie hatte keine Lust sich etwas zu holen!


    Wenig später kam die Dienstärztin mit einer Krankenschwester, man legte Maria eine Infusion, sah auch den Besenstiel liegen, aber die Patientin war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr ansprechbar. „Sieht entweder nach Vergewaltigung, oder einem unsachgemäßen Schwangerschaftsabbruch aus-ich hoffe, die können ihr Leben in der Klinik retten!“, sagte die Ärztin, während man auf das Eintreffen des Notarztwagens wartete. Sie hatte ein Verbandtuch mit Kraft von unten gegen Maria´s Unterleib gedrückt, um die schweren Blutungen zu stoppen, aber trotzdem wurde die von Minute zu Minute schockiger und stöhnte nur noch leise vor Schmerzen. Der eintreffende Notarzt intubierte noch vor Ort, ließ in der nächsten Klinik einen OP vorbereiten und machte sich dann eilig mit seiner Patientin auf ins Krankenhaus. Eine JVA-Beamtin fuhr aus rechtlichen Gründen mit, auch wenn Maria in ihrem jetzigen Zustand für niemanden eine Gefahr darstellte. In der Klinik kam sie sofort in den OP, man gab ihr mehrere Konserven der Blutgruppe null negativ, dem Universalspender, aber erst als die Gebärmutter entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt war, waren die Blutungen beherrschbar.


    Sarah sah auf die Uhr-jetzt war dann gleich Dienstübergabe. Ihre Kollegin hatte ihr am Telefon unglücklich erzählt, dass der Chefarzt persönlich die Gabe des exotischen Medikaments untersagt und jedem-Ärzten wie Pflegepersonal- mit fristloser Kündigung gedroht hatte, der sich nicht an diese Anordnung hielt. Auch die Rechtsabteilung war der Ansicht, dass das Präparat erst gründlich im Labor untersucht gehörte und bis eine Zulassung zur Probe erfolgen konnte, würden Monate vergehen-für Ben, dem die Zeit davon lief, war es auf jeden Fall zu spät. Die letzte Blutabnahme hatte gezeigt, dass trotz des Plastikwechsels die Entzündungsparameter stiegen und stiegen, ein Zeichen dafür, dass die Sepsis bald einen nicht mehr beherrschbaren Grad erreichen würde, der unweigerlich zum Tode führte. Ihre Kollegin hatte ihr auch mitgeteilt, dass sie Semir zur Tür geschickt hatte, um das Pflanzenextrakt entgegen zu nehmen, bevor das in der Forschungsabteilung verschwand, aber mehr konnte sie nicht tun, ohne ihre eigene berufliche Existenz zu gefährden.

    Ben hatte nur diese eine Chance und weil er selber nicht mehr schlucken konnte, wie sie vorhin bereits gemerkt hatte, fasste Sarah einen verwegenen Plan, allerdings würde sie Semir´s Hilfe brauchen und sie mussten sich sputen-nur während der Dienstübergabe konnte sie unbemerkt an die Schränke, weil da- außer es lag ein Notfall vor- alle Schwestern und diensthabenden Ärzte für etwa 20 Minuten im Stationszimmer waren, wo auch ein Zentralmonitor stand, über den man die Werte aller Patienten auf der Station überwachen konnte, während Fall für Fall der nächsten Schicht vorgestellt wurde.
    So schlüpfte Sarah in ihre Schuhe, registrierte dankbar, dass die Schmerztablette wirkte und machte sich auf den Weg zur Intensivstation, wo sie wenig später auf Semir traf, der unglücklich vor dem Bett des Schwerstkranken stand.

  • Ben lag da, immer noch hoch fiebernd und eingefallen und bekam anscheinend gar nicht mehr so richtig mit, dass Sarah gekommen war. „Hast du das Pulver?“, fragte die den kleinen Türken und der nickte und wies auf seine Jacke, die in der Schleuse lag, worunter er es vorsichtshalber versteckt hatte. „Semir ruf du die Chefin oder Hartmut an-soweit ich mich erinnern kann, haben die doch die Frau vernommen, die mit dem Pulver geheilt worden ist, oder Einstein weiß das vermutlich sowieso oder kann es heraus finden. Wie viel davon und wie oft muss man das geben? Klar ist, Ben muss es oral bekommen und er kann in seinem Zustand nicht mehr schlucken, darum werde ich jetzt, während der Übergabezeit, alles für das Legen einer Magensonde aus den Schränken holen und du musst mir danach helfen-ich bin mit nur einer Hand da ziemlich gehandicapt“, verkündete sie und Semir sah sie entsetzt an. Wie sollte er bei einem medizinischen Eingriff an seinem besten Freund helfen? Es fiel ihm ja schon schwer genug, bei so etwas zu zu sehen! Allerdings war auch ihm klar-dieses Medikament war vermutlich Ben´s letzte Chance und deswegen riss er den Schutzkittel wieder herunter und eilte nach draußen, um die gewünschte Information zu beschaffen, während Sarah ohne jegliches schlechte Gewissen ihren Raubzug startete.


    Sie ging von Schrank zu Schrank und holte daraus die Dinge, die sich nicht sowieso im Pflegewagen im Isolierzimmer befanden. Alles was darin war, würde nach Ben´s Verlegung, der Entisolierung-oder seinem Tod, eine Option, an die sie gar nicht denken wollte-weg geworfen werden. Das war zwar eine unheimliche Verschwendung, aber nur so ließ sich die Ausbreitung von Hospitalismuskeimen im Krankenhaus vermeiden. Es war bei sehr kritischen Keimen sogar möglich, die Isolierzimmer hermetisch ab zu schließen und die Klimaanlage so zu steuern, dass auf gar keinen Fall kontaminierte Luft nach außen drang, aber diese Isolierstufe war bei dieser Art von Erreger nicht notwendig. Wenn allerdings ein Ausbruch oder auch nur Verdacht von SARS, Ebola, Schweinegrippe oder Ähnlichem erfolgte, würde man das ohne Zögern so handhaben und Sarah war nur froh, dass dieser Keim anscheinend nicht so hoch ansteckend war wie andere und Basishygienemaßnahmen genügten.
    Die Ganzkörperschutzanzüge und speziellen sehr dichten Atemmasken raubten einem nämlich die Luft und man konnte darin nur wenige Minuten arbeiten, bevor man abgelöst werden musste-ein Riesenaufwand.


    Wenig später hatte Semir die gewünschte Information. Er hatte lieber Hartmut angerufen, um die Chefin nicht in Gewissenskonflikte zu bringen-die hatte alles getan, um die Medizin zu beschaffen, nur damit jetzt ein Arzt die Anwendung untersagte. Sie brauchte das erst einmal nicht zu wissen, denn Semir hatte den Verdacht, dass sie danach nicht untätig bleiben würde. Viermal einen gestrichenen Teelöffel hatte Emanuela angegeben und das würden sie Ben jetzt einfach ebenfalls verabreichen-gut vielleicht sogar etwas mehr, denn er war ja größer und schwerer als die zierliche Frau. Außerdem bat Hartmut dringend um eine Probe der Substanz, falls die Menge dafür ausreichte. Semir überschlug das kurz-in dem Beutel befanden sich etwa 500 g weißes Pulver, wenn man von ungefähr 5 g als Einzeldosis viermal täglich ausging, würde es für einen Monat reichen und er glaubte nicht, dass man es so lange geben würde, außerdem war das hoffentlich nicht die einzige Packung, die der südamerikanische Heiler besaß. So versprach er das dem Rotschopf und der wollte später gleich in der Klinik vorbei kommen.


    Als der kleine türkische Polizist in die Schleuse zurück kehrte und sich rasch einen Besucherkittel überwerfen wollte, schüttelte Sarah, die bereits mit einem Arm in einem quietschgelben Teil steckte, den Kopf. „Nein Semir-zieh bitte auch so einen wasserfesten Kittel an und binde mir hinten zu-mit einer Hand geht das nicht“, bat sie und Semir erledigte das Verlangte. Ein paar wenige Utensilien, nämlich zwei Ernährungssonden aus Silikon, ein Gleitgel ohne Betäubungsmittel darin und eine große Magensondenspritze mit 100 ml Fassungsvermögen hatte Sarah mit gebracht, alles Weitere befand sich bereits im Raum. Sarah holte eine Einmalunterlage einen Magensondenablaufbeutel, ein Stethoskop, eine Rolle Leukoplast und einige Kompressen aus dem Pflegewagen, dazu ein abgepacktes Tüchlein mit Hautentfetter. Sie öffnete mühsam einen sterilen Absaugschlauch, steckte ihn auf den auf Intensiv immer bereiten Absauger auf, falls sich Ben verschlucken sollte, schaltete das Vakuum ein und dann strich sie ihm überaus zärtlich über die heiße verschwitzte Wange.


    „Schatz-Semir und ich werden dir jetzt eine Magensonde legen, damit wir dir das wichtige Medikament geben können. Es wird sicher nicht angenehm werden, aber glaub uns-es muss sein, damit du wieder gesund wirst!“, kündigte sie an, ohne dass Ben irgendwie darauf reagierte und straffte dann ihren Rücken und leitete jetzt Semir an, wie einen Krankenpflegeschüler. In diesem Moment blendete sie aus, dass vor ihr ihr geliebter Mann lag, sondern das war jetzt ein Patient und sie führte eine oft geübte pflegerische Tätigkeit aus. Sicher konnte sie das ihre Aushilfsstelle kosten, wenn der Chefarzt durch griff, aber sie arbeitete sowieso nur mit einer sehr geringen Stundenzahl und sie waren darauf auch nicht angewiesen-Geld hatte Ben genug.
    Was ihr mehr Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass ihr Mann kurz zuvor eine heftige Magenblutung erlitten hatte und wenn jetzt auch ein Clip auf dem Gefäß im Magen saß, oder ein Blutkoagel-der Supergau wäre, wenn sie durch die mechanische Reizung eine erneute Blutung verursachten, denn dann konnte man keine Medikamente geben und eine notfallmäßige Gastroskopie musste erfolgen. Auch war es möglich, dass das Mittel ziemlich scharf war-sie wussten ja überhaupt nichts darüber- und entweder selber die Magenwand an griff, oder zu einer akuten Entzündung der Schleimhaut führte, was wiederum Blutungen auslösen konnte. Sie bewegten sich hier auf sehr glattem Parkett und dessen war sich Sarah wohl bewusst. Auf diese möglichen Komplikationen würde sie Semir aber nicht hinweisen-dem war sowieso nicht wohl in seiner Haut und wie auch auf Ben´s Stirn, standen auch auf seiner Schweißperlen und das kam nicht nur daher, dass die Kittel so warm waren.


    Sarah legte die Einmalunterlage vor Ben´s Brust, falls er erbrechen sollte, legte die Sauerstoffbrille beiseite und stellte per Knopfdruck das Bett ein wenig höher, so dass Ben in eine halb sitzende Position kam. Sofort sank der Blutdruck, worauf sie mit einer Erhöhung der Noradrenalindosis am Perfusor reagierte. Sie mussten zügig arbeiten, damit Ben bald wieder flach lag, sein Kreislauf war fast zu instabil für diese Lagerung, aber es ging einfach leichter eine Magensonde zu legen, wenn der Kopf ein wenig nach vorne geneigt war und die Aspirationsgefahr war in Oberkörperhochlage ebenfalls geringer. Hier war es genau umgekehrt wie beim Beatmen mit der Maske, wo man den Kopf nach hinten überstreckte, damit die Luftwege frei wurden.


    Rasch hatte Sarah nun mit den Zähnen und der einen Hand die Verpackung der Ernährungssonde aus Silikon aufgerissen und bat jetzt Semir das Endosgel, das ebenfalls steril verpackt war, auf zu machen. „Du musst nicht darauf achten, dass das steril bleibt-hier besteht keine Kontaminationsgefahr“, erklärte sie und entfernte nun auch schon den Gummistopfen, der die Spritze mit dem klaren glibbrigen Gleitgel verschloss und gab großzügig etwas auf die Spitze der Sonde, die noch halb in der Verpackung auf dem Nachtkästchen lag. Nun atmete sie tief durch und bat Semir: „Stell dich mir genau gegenüber und halte seinen Kopf fest, am besten drückst du ihn noch ein wenig brustwärts und falls er erbricht, musst du mir ganz schnell den Sauger anreichen, der hinter dir in der Halterung hängt!“, wies sie den Polizisten an und der nickte. „Ben-sieh mich an!“, forderte sie jetzt ihren Mann auf, aber der war anscheinend weit weg und wenn Semir seinen Kopf nicht fest gehalten hätte, wäre der wohl zur Seite gerollt.


    Sarah ergriff nun die Sonde und begann sie vorsichtig durch Ben´s Nasenloch zu schieben, was ihn nun doch dazu brachte die Augen weit auf zu reißen, ohne zunächst einmal zu begreifen, was hier vor sich ging. Er versuchte den Kopf weg zu ziehen und war sich im Augenblick sicher, dass er wieder im Keller war und von Maria gequält würde. Er sah alles verschwommen und erkannte erst einmal nur gelbe Kittel, grüne Masken und lila Handschuhe um sich herum, dazu hielt jemand seinen Kopf mit eisenhartem Griff umklammert und versuchte ihn gegen seine Brust zu drücken, was er mit heftigem Widerstand zu verhindern suchte. Er war im Fieberwahn und fest davon überzeugt, dass man ihm ans Leder wollte und so schrie er auch noch laut um Hilfe. „Ben um Himmels Willen sei still-niemand will dir etwas Böses-wir sinds-Semir und ich!“, ertönte nun eine vertraute Stimme unmittelbar vor ihm und jetzt erst realisierte der dunkelhaarige Polizist, dass das Sarah war, die an ihm herum manipulierte. „Was macht ihr mit mir?“, krächzte er und kannte sich überhaupt nicht aus, musste aber im selben Moment heftig husten, als das Ding in seiner Nase, das er unbedingt loswerden wollte, in seinem Rachen anstieß und erst einmal anscheinend in die falsche Öffnung rutschte, was eine Panikattacke seinerseits hervor rief und niemand ihn davon abhalten konnte, sich mit der Hand den Schlauch aus der Nase zu reißen-plötzlich mobilisierte er ungeahnte Kräfte.


    „Ben-du brauchst eine Magensonde, damit wir dir wichtige Medikamente geben können, bitte hilf uns und versuch das Schläuchlein zu schlucken!“, drang jetzt wieder Sarah´s Stimme, aus der die Verzweiflung schwang, zu ihm durch. Ben driftete schon wieder ab, ihm war schwindlig und er hörte zwar, was seine Frau sagte, konnte aber nicht umsetzen, was sie ihm zu erklären versuchte. Auch beim nächsten Versuch kam seine Hand nach oben und riss die Sonde wieder heraus. Sarah unterbrach ihre Tätigkeit mit Tränen in den Augen, holte aus dem Pflegewagen zwei Handfixierungen und machte nun, unterstützt von Semir, Ben´s Hände am Bett fest. „Schatz verzeih mir, aber es geschieht nur zu deinem Besten!“, flüsterte sie dabei und es brach ihr fast das Herz, als sie jetzt noch mal von vorne begannen. Aber wie hätte Semir sowohl den Kopf, als auch die Hände fest halten sollen?
    Als der Schlauch erneut am Rachen anstieß, riss Ben wieder die Augen auf, ohne etwas bewusst zu sehen, versuchte nach oben zu greifen, aber das ging jetzt nicht mehr. „Ben-schlucken-versuch zu schlucken, dann geht es leichter“, tönte Sarah´s Stimme an seinem Ohr, aber Ben war nur voller Panik und ganz Abwehr-er war fest gebunden und ihm wurde gerade wieder Gewalt angetan, mehr begriff er nicht.


    Aus Sarah´s Augen flossen nun die Tränen und auch Semir, der immer noch verzweifelt den Kopf seines besten Freundes fest hielt, musste sich zusammen reißen, um nicht mit zu weinen. Sarah schob nun aber trotzdem mit dem Mute der Verzweiflung die Ernährungssonde weiter und Ben´s Würgen verriet ihr nun, dass sie auf dem richtigen Weg war. Gott sei Dank war der Magen weitgehend leer, sonst hätte es vermutlich eine Riesensauerei gegeben, aber nun glitt die Sonde, in der sich ein Führungsmandrin befand, leicht vorwärts und als Sarah, die Markierung erreichte, die sie zuvor angepeilt hatte, hörte sie auf. Es richtete sich nach der Größe des Patienten, wie tief man die Sonde hinein schob. Kam man allerdings zu weit, rutschte die durch den Magen hindurch in den Zwölffingerdarm und dessen Schleimhautauskleidung war noch viel empfindlicher als die Magenwand, das war also nicht das Ziel.
    „Semir, ich halte jetzt die Sonde fest und du ziehst bitte den Führungsdraht heraus“, bat sie und Ben hatte nun jegliche Gegenwehr aufgegeben, sondern hing ganz still und blass in seinen Fesseln. Semir tat wie ihm geheißen und zog nun, wie seine Freundin ihn anwies, Luft in die große Spritze. Jetzt hätten die beiden dringend eine weitere Hand gebraucht, aber irgendwie schaffte es Sarah, das Stethoskop auf Ben´s Bauch in Magenhöhe zu drücken und als Semir, wie sie ihm befahl, jetzt 100 ml Luft rasch in die Sonde hinein blies und nun darauf achtete, dass die drin blieb, verriet ihr ein eindeutiges Blubbern, dass sie richtig waren.


    „Reiß mir bitte das Tüchlein mit dem Hautentfetter auf und gib mir dann einen etwa 10 cm langen Leukoplaststreifen!“, bat sie den kleinen Türken und so gut das mit einer Hand ging, reinigte sie nun Ben´s Nase von Schweiß und Cremeresten und klebte dann die Sonde fest. Es gab zwar noch andere Befestigungsmöglichkeiten, aber das war die am besten haltende Methode und als sie jetzt einen Ablaufbeutel auf die Sonde aufsteckte, lief ein wenig Magensaft hinein und bewies damit erstens, dass sie wirklich richtig waren und auch, dass zumindest im Moment nichts blutete, was Sarah sehr erleichterte.


    Rasch stellte sie das Bett flach, was gleich ein wenig mehr Farbe in Ben´s Gesicht und die arteriellen Blutdruckwerte zum Steigen brachte. „Semir mach bitte seine Hände wieder los-wenn eine Sonde liegt, ist die nicht mehr so unangenehm und ich möchte ihn nicht fest binden, wenn es sich vermeiden lässt-sonst kommen die ganzen Traumen wieder hoch-es genügt, dass er soeben nicht verstanden hat, was wir gemacht und ihm regelrecht Gewalt angetan haben, wenn es auch nur in bester Absicht war“, sprach sie aus, was Semir ebenfalls so empfand.
    „Jetzt gibst du bitte ein wenig Wasser in diesen Plastikbecher, ziehst davon 50 ml in die Spritze auf und spritzt das in die Sonde-den Ablaufbeutel werfen wir weg“, kam die nächste Anordnung und nun kam Semir sich wirklich wie ein Krankenpflegeschüler vor. Als die kalte Flüssigkeit in Ben floss, konnte man sehen, dass er unbewusst zu schlucken versuchte, ein wenig nahm er also wahr, dass da etwas in ihn lief, aber ansonsten war er weit weg. „Bitte zieh ihm die Sauerstoffbrille wieder an-das geht auch mit Sonde und dann lösen wir einen gehäuften Teelöffel des Pulvers mit 20 ml Wasser auf, geben ihm das und spülen mit weiteren 50 ml die Sonde durch, klemmen sie ab-und dann können wir nur noch abwarten“, setzte Sarah ihre Anweisungen fort und als das geschehen war, fühlte sich Semir wie durchs Wasser gezogen, so schwitzte er unter dem Kanarienvogeloutfit. Beide wechselten nun in der Schleuse die Mäntel-aus gelb wurde wieder grün und als wenig später Andy mit wissendem Blick das Zimmer betrat, flog ein Lächeln über sein Gesicht. Genau so hatten sie sich das vorgestellt-keiner der diensthabenden Pflegekräfte war beteiligt, aber man gab Ben eine letzte Chance und jetzt konnte man nur hoffen, dass das Richtige geschehen war!

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