1. Forum
  2. 25-jähriges Jubiläum
    1. Einleitung
    2. Entstehungsgeschichte
    3. Interviews 1996
    4. Drehorte
    5. Titelmusik
    6. Faktencheck
  3. Episodenguide
    1. Staffel 01 (Frühjahr 1996)
      1. 001 Bomben bei Kilometer 92
      2. 002 Rote Rosen, schwarzer Tod
      3. 003 Der neue Partner
      4. 004 Mord und Totschlag
      5. 005 Tod bei Tempo 100
      6. 006 Der Alte und der Junge
      7. 007 Falsches Blaulicht
      8. 008 Der Samurai
      9. 009 Endstation für alle
    2. Staffel 02 (Frühjahr 1997)
      1. 010 Ausgesetzt
      2. 011 Kaltblütig
      3. 012 Shotgun
      4. 013 Notlandung
      5. 014 Das Attentat
      6. 015 Die verlorene Tochter
    3. Staffel 03 (Herbst 1997)
      1. 016 Crash
      2. 017 Generalprobe
      3. 018 Kindersorgen
      4. 019 Bremsversagen
      5. 020 Rache ist süß
      6. 021 Raubritter
    4. Staffel 04 (Frühjahr 1998)
      1. 022 Sonnenkinder
      2. 023 Tödlicher Ruhm
      3. 024 Volley Stop
      4. 025 Kurze Rast
      5. 026 Leichenwagen
      6. 027 Gift
      7. 028 Zwischen den Fronten
      8. 029 Schnäppchenjäger
      9. 030 Faule Äpfel
      10. 031 Schlag zu!
    5. Staffel 05 (Herbst 1998)
      1. 032 Ein Leopard läuft Amok
      2. 033 Die letzte Chance
      3. 034 Tödlicher Sand
      4. 035 Im Fadenkreuz
      5. 036 Im Nebel verschwunden
      6. 037 Die Anhalterin
      7. 038 Der tote Zeuge
      8. 039 Der Joker
    6. Staffel 06 (Frühjahr 1999)
      1. 040 Treibstoff
      2. 041 Tödliche Ladung
      3. 042 Brennender Ehrgeiz
      4. 043 Schattenkrieger
      5. 044 Taxi 541
      6. 045 Der Richter
      7. 046 Der Tod eines Jungen
      8. 047 Ein einsamer Sieg
  4. Fanclub
    1. Mitglieder
    2. Letzte Aktivitäten
    3. Benutzer online
    4. Mitgliedersuche
    5. Unterstütze uns
  5. Fantreffen
    1. Infos
    2. FAQ
    3. Berichte
    4. Teilnahmebedingungen
    5. Anmeldung
      1. Anmeldung
  6. Fanshop
    1. DVDs und Blu-rays
    2. DVD Specials
    3. Musik
    4. Games
  • Anmelden
  • Registrieren
  • Suche
Dieses Thema
  • Alles
  • Dieses Thema
  • Dieses Forum
  • Artikel
  • Seiten
  • Forum
  • Erweiterte Suche
  1. Alarm für Cobra 11 - Der offizielle Fanclub
  2. Fan Fictions
  3. Fan Fiction

Nightmare

    • Fertig gestellt
  • Mikel
  • 10. Oktober 2016 um 14:23
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 26. Dezember 2016 um 14:24
    • #21

    Gabrielas Blick fiel auf die blutige Klinge in ihrer Hand. Mit dem Zeigefinger der linken Hand strich sie elegant über die Klinge, betrachte das Blut auf der Fingerkuppe und wischte es an Bens Jackenärmel ab. Wortlos klappte sie das Messer wieder zusammen und schob es zurück in die Außentasche ihrer schwarzen Lederjacke. Sie erhob sich und beobachtete aus ihren grauen Augen, die so gefühllos wirkten, weiter ihr Opfer. Ihre Kippe, die in ihrem Mundwinkel hing, spuckte sie auf den Boden und trat sie dem Absatz aus.

    Im Hintergrund fing Aida lautlos an zu weinen und versteckte sich hinter dem Rücken ihrer Mutter. Ben konnte erkennen, wie die Ärmste vor Angst zitterte. Die Kleine tat ihm so unendlich leid, dass sie das alles mitansehen musste … miterleben musste und gleichzeitig stachelte es seinen Zorn auf die Dunkelhaarige an. Doch wie sollte er Andrea und Aida nur schützen? Wie? In seinen dunklen Augen funkelte es vor Wut und Schmerz auf. Seine innere Stimme warnte ihn, sei vernünftig und halt bloß die Klappe Ben. Reize diese dunkelhaarige Hexe nicht noch mehr, die macht dich endgültig fertig! Diese Frau kennt keine Gnade, die bringt dich eiskalt vor den Augen von Andrea und Aida um. Ihre nächste Aussage bestätigten seine Gedankengänge.

    „Spielst wohl gerne den harten Mann?“, kam die spöttische Frage der Dunkelhaarigen. „Kein Problem! Na dann schauen wir doch mal, wieviel du wirklich verträgst! Aber alles schön der Reihe nach. Zuerst, wirst du mir meine Fragen von gestern beantworten.“ Genüsslich leckte sich Gabriela mit der Zungenspitze über ihre vollen Lippen.
    Scheiße, dachte er bei sich! Fragen, auf die es keine für sie zufriedenstellenden Antworten gab. Ben hatte sich auf den Rücken gewälzt und versuchte, gestützt auf seinen rechten Unterarm, rückwärts weg von ihr zu kriechen.
    Gabriela zog eine Schusswaffe aus einem Holster, welches hinten an ihrem Gürtel befestigt war, entsicherte die Waffe und richtete sie auf Andrea. Die Mündung zielte auf Andreas Kopf, aus deren Gesicht jegliche Farbe wich. Instinktiv machte Andrea ein paar Schritte rückwärts und suchte eine Deckung, wo es keine gab.
    „So, überlege dir deine Antworten genau mein kleiner Bulle, sonst drücke ich ab!“ warnte sie ihn. Ein Blick in ihre Augen zeigte Ben eindeutig, die Drohung war ernst gemeint. Diese Frau würde tatsächlich keine Sekunde zögern, den Abzug der Waffe durchzuziehen. „Also noch mal, was weiß die Polizei über Nicolas Schneider und was hat dein übereifriger Partner geplant?“, stellte sie unbeirrt ihre Fragen.

    „Neiiiiin! … Nicht abdrücken!“, keuchte Ben verzweifelt auf. „Ich sag … ja …alles … alles! Semir hat … nichts geplant! Er wollte euch nicht reinlegen. Niemand wollte euch reinlegen. Es war alles nur … ein dummer Zufall. … Eine Verkettung von Zufällen … Kapiert ihr das nicht! … Das Frühstück auf dem Rastplatz … Dieser Nicolas Schneider ist ein unbeschriebenes Blatt bis auf den Unfall, den er verursacht hat. Wir haben nichts … gar nichts Weiteres gegen ihn in der Hand!“

    „Willst du mich verarschen Bulle!“, blaffte sie ihn an. Ihre Augen blitzen ihn zornig an. „So viele Zufälle gibt es gar nicht im Leben! Erst eure Aktion auf der Autobahn und dann dein Auftauchen gestern am Haus der Gerkhans …! Letzte Chance! Wer hat euch den Tipp mit dem Rastplatz gegeben? Was wisst ihr über den Deal, der da ablaufen sollte?“

    „Oh Gott! Ich weiß nichts! … Die Polizei weiß nichts!“, schrie er verzweifelt. Gleichzeitig stockte Ben der Atem, als er erkannte, wie sie den Zeigefinger immer weiter krümmte und den Abzug der Waffe durchzog. Blankes Entsetzen machte sich in ihm breit, er sah schon Andrea blutüberströmt zu Boden sinken. Gabriela feuerte einen Warnschuss in die Schuppenwand neben Andreas Kopf. Holzsplitter flogen durch die Luft. Aida schrie erschrocken auf und Andrea zitterte am ganzen Körper vor Entsetzen.

    „Aufhören! Nicht mehr schießen! … Es ist die Wahrheit! … Keiner wollte euch reinlegen! Nicht mehr schießen! Bitte! … Bitte!“, flehte, ja bettelte sie Ben förmlich an. Bei den letzten Worten wurde seine Stimme leiser. „Frag doch den Wabbel neben dir! Ich hatte gestern Mittag nicht mal eine Schusswaffe dabei! …. Verdammt noch mal Semir hat mich nicht geschickt!“, brüllte Ben sie voller Verzweiflung an. Gabrielas Blick wanderte zu ihrem Bruder, der schuldbewusst den Kopf senkte und nickte. In der Dunkelhaarigen fing es an zu kochen und zu brodeln. Hinter Andreas Rücken bewegte sich etwas. Aida lugte an der Seite vorbei und wisperte in Richtung der Entführerin: „Aber es ist wirklich so! Ben sagt die Wahrheit. Er lügt nicht! Onkel Ben hatte gestern frei und wollte mit mir ins Phantasialand! Deswegen war er am Nachmittag bei uns.“
    Gabriela fuhr bei den leise gesprochenen Worten des Mädchens zusammen. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Mehr und mehr setzte sich bei ihr die Erkenntnis durch, dass es sich hier tatsächlich um eine Verkettung dummer Zufälle gehandelt hatte und keine Absicht dahinter gestanden hatte. Keiner hatte sie reinlegen wollen. Kein Spitzel hatte ihre Pläne verraten. Grenzenlose Wut glomm in ihr auf über sich selbst und den Rest der Welt. Völlig irre und hysterisch lachte sie vor sich hin. Sie hätten ihren ursprünglichen Plan beibehalten und die Frau und das Kind freilassen können, nachdem sie den Überfall und den Waffendeal erfolgreich durchgeführt hätten. Der Polizist hätte einfach am Haus der Gerkhans zurückgelassen werden können … hätte … wenn … und aber … doch jetzt … jetzt war alles zu spät … jetzt war alles anders.
    Jetzt waren diese Menschen Zeugen …. Lästige Zeugen, die sie identifizieren konnten. Da war das Telefongespräch von gestern mit ihrem Auftraggeber, dass der Polizist belauscht hatte. Gabriela verfluchte ihren bodenlosen Leichtsinn. Ihr ganzer Zorn richtete sich gegen Ben. Er war schuld, dieser Polizist war an allem schuld. Sein gestriges Erscheinen am Haus der Gerkhans, das unerwartete Auftauchen auf dem Rastplatz am Tag vorher, der Unfall, die Verhaftung … alle diese Ereignisse, die schief gelaufen waren, tickerten durch ihren Kopf. Ihr Gehirn lief regelrecht Amok und sie verlor endgültig ihre Selbstbeherrschung. Wütend wie ein gereizter Bulle schnaubte sie durch ihre Nase. Ihr Grimm, den sie in diesem Moment verspürte, entlud sich in einem Tritt gegen das verletzte Bein des am bodenliegenden Polizisten.

    Ben hatte das Mienenspiel seiner Gegnerin genau beobachtet. Die Erleichterung, dass sie die Waffe senkte und wieder zurück in das Holster steckte, wich sehr schnell. Er sah das irre Aufflackern in ihren Augen, hörte ihr irres Lachen und nur Sekunden später kam ihre Stiefelsohle auf ihn zu. Bevor Ben reagieren konnte, traf diese seinen verletzten Oberschenkel. Für ihn fühlte es sich an, als würde eine Feuerlohe den Muskel und den Knochen in tausend Einzelteile zersprengen. Ben schrie gequält auf „Oh Gott! … Oh Gott! … Du elendes Miststück!“ Gleichzeitig versuchte er sich vor ihrem nächsten Tritt in Sicherheit zu bringen. Sein bewusstes Denken war ausgeschaltet. Es regierte in seinem Kopf nur noch der Instinkt, der Wunsch zu überleben, angespornt durch seinen Zorn. Er rollte sich auf seine rechte Seite. Aus reinem Reflex trat mit seinem linken Fuß gegen das Standbein der Dunkelhaarigen. Die heulte daraufhin vor Wut und Schmerz auf und taumelte leicht rückwärts. Dies verschaffte Ben nur für Sekundenbruchteile ein wenig Luft. Die Quittung folgte sofort. Es traf ihn ein mörderischer Tritt in seine rechte Seite. Doch das war erst der Anfang. Ihr Wutausbruch, der darauf folgte, glich dem Ausbruch eines Vulkans.
    Ben wurde durch die Wucht des nächsten Treffers förmlich vom Boden hoch gehoben und schrie erneut fürchterlich auf. Er hatte das Gefühl seine rechte Seite würde zerbersten. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Verzweifelt rang er nach Atem, was ihm Dank seiner geprellten Rippen nur noch mehr Schmerzen bereitete. Gabrielas Kilic nächste Treffer landeten zielgerichtet auf seinen Oberkörper. Vergeblich versuchte Ben ihnen auszuweichen. Anfangs schaffte er es noch zumindest seinen Kopf zu schützen. Trotz seiner eisernen Willenskraft erlahmten seine Bewegungen. Jeder Tritt, jeder Treffer löste eine Welle von Schmerzen in seinem Körper, die betroffenen Körperstellen brannten … glühten … der Schmerz schien ihn innerlich zu verbrennen. Seine furchtbaren Schmerzensschreie hallten in der Enge des Raumes wieder. Erbarmungslos trat die Dunkelhaarige fortwährend auf ihr Opfer ein. Ihr Gesicht hatte sich zu einer Fratze verzerrt. Gabriela war wie in einem Rausch gefangen. Jeder Aufschrei von Ben stachelte sie dazu an, erneut zu zutreten.

    In ihm stieg Todesangst auf. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Wer sollte dieser Furie Einhalt gebieten? Ben war sich in diesem Augenblick sicher, diese Frau würde ihn tot treten. Nein, er wollte nicht hier sterben. …Nein! … Nicht hier, nicht jetzt, schrie sein Inneres verzweifelt auf … nein … nicht so … nicht vor Aida und Andrea … seine qualvollen Schmerzensschreie brachten seine Not zum Ausdruck … der Schmerz wurde unerträglich … es war die Hölle auf Erden.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 31. Dezember 2016 um 19:53
    • #22

    Andrea versuchte so gut es ging, Aida den Anblick der Folterungen ihres geliebten Bens zu ersparen, drückte das Gesicht des Mädchens fest an ihren Körper heran und hielt ihr die Ohren zu. Ihr selbst zerriss es fast das Herz. Fieberhaft überlegte sie, wie sie die Wahnsinnige aufhalten könnte, auf den am Boden liegenden Polizisten einzutreten, ohne Aida in Gefahr zu bringen. In den nächsten Sekunden überschlugen sich die Ereignisse.

    Aida hatte sehr wohl die gellenden Schmerzensschreie von Ben gehört. Geschickt wand sie sich aus der Umklammerung ihrer Mutter, rannte zum Entsetzen von Andrea zu Gabriela hin und zerrte an deren Jacke. Ben lag nur noch als ein wimmerndes Etwas am Boden. Die Stimme des Mädchens überschlug sich, als sie die dunkelhaarige Frau anschrie: „Hör auf! … Hör auf!“, Aida schluchzte auf, hämmerte mit ihrer kleinen Faust auf den Rücken der Kroatin, „Hör endlich auf! Du tust Ben doch weh? Was hat er dir denn getan?“ Das letzte Wort ging in ihren Tränen unter, während das Wunder geschah und Gabriela wie erstarrt da stand. Das Mädchen ließ die Lederjacke los und warf sich schützend über ihren Ben. Im Hintergrund schrie Andrea voller Entsetzen den Namen ihrer Tochter: „Aidaaaaaa!“, die sie schon als nächstes Opfer der Dunkelhaarigen sah. Eine eiskalte Klammer umfasste ihr Herz und sie stand wie gelähmt da, unfähig sich zu bewegen.

    Auch Gabriela wurde von der Reaktion des Mädchens völlig überrascht. Das Verhalten und die vorwurfsvollen Worte von Aida lösten in ihr einen regelrechten Flashback in ihre eigene Kindheit aus. Ihre eigene grauenvolle Vergangenheit wurde ihr wie ein Spiegelbild vorgehalten. Die Kroatin atmete keuchend und bewegte sich einige Schritte rückwärts. Mit einem leeren Blick starrte sie auf Ben und den schluchzendem Mädchen, während vor ihrem inneren Auge die Bilder ihrer Vergangenheit vorüberzogen. Sie sah sich auf dem staubigen Boden in mitten des Gutshofes vor der Leiche ihres Vaters knien, den betrunkene serbische Soldaten vor den Augen seiner Familie zu Tode gefoltert hatten. Niemals würde sie seine Schmerzensschreie vergessen, die Schreie ihrer Mutter und der älteren Schwestern, als man ihnen Gewalt antat.
    Gabriela war unbewusst weiter zurückgewichen, bis sie gegen ihren Cousin Mario stieß. Wie in Zeitlupentempo drehte sie sich um und schaute ihm ins Gesicht. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, hielt einen Moment inne und besann sich … dachte nach … Dann schien sie in die Realität zurückgekehrt zu sein. Wortlos ging sie in Richtung des Tors. Am Eingang warf sie noch mal einen Blick auf den am Boden sich krümmenden Polizisten und das zitternde Mädchen, dessen dunkle Augen sie anklagend anstarrten.

    Ben hatte Aidas Stimme wie aus weiter Ferne durch einen Wattebausch gehört. Langsam kam der Sinn ihrer Worte in seinem schmerzumnebelten Gehirn an. Er konnte es gar nicht glauben, dass die Dunkelhaarige aufgehört hatte, auf ihn einzutreten. Dafür überfiel ihn der Schmerz mit aller Wucht. Wenn er geglaubt hatte, Schmerz ist nicht steigerungsfähig, so sah er sich getäuscht. Sein gepeinigter Körper brannte … die rechte Seite wurde von glühenden Wellen durchflutet … seine Körpermitte … Ihm war nur noch übel … er würgte und würgte … musste sich übergeben. Der eisenhaltige Geschmack von Blut machte sich in seinem Mund breit. Er japste nach Luft und merkte wie ihn seine Kraft verließ, gegen die aufkommende Dunkelheit anzukämpfen. Sein Bewusstsein schwand endgültig.

    Währenddessen hatte Gabriela ihre Emotionen wieder fest im Griff. Kein Außenstehender merkte ihr mehr an, wie sehr die Worte des Mädchens sie im innersten Kern ihrer Seele getroffen hatten. Wie sehr sie sich darüber ärgerte, dass sie sich solch eine Blöße gegeben hatte, auch wenn es nur vor ihrem Bruder und Cousin gewesen war. Letztendlich hatte sie in den vergangenen Minuten die Kontrolle über sich und ihr Handeln verloren. So stand sie vor dem Schuppen auf der Waldlichtung und spürte den frischen Lufthauch des Windes in ihrem Gesicht. Ihr Bruder und ihr Cousin gesellten sich zu ihr und betrachteten die Szene im Schuppen. Luca grinste voller Schadenfreude vor sich hin. Ihm hatten das Leid und die Qualen, die seine Schwester dem Polizisten zugefügt hatten, erfreut.

    Aida kniete neben Ben, strich ihm zärtlich über die Wangen und murmelte tränenerstickt: „Ben …. Ben … Ben“!

    „Gib mir dein Handy Luca!“ forderte sie ihren Bruder auf. „So ein kleines Andenken hat sich der Türke verdient!“ Sie fotografierte den am bodenliegenden Polizisten zusammen mit der verzweifelten Aida, betrachtete zufrieden das Foto und lachte meckernd vor sich hin. „Ist doch gelungen oder? Die Handynummer ihres Mannes!“ herrschte sie Andrea an, die aschfahl im Gesicht wie eine Statue da stand. Zögerlich nannte sie die Telefonnummer von Semir, die Gabriela ins Handy eintippte. Auf ihr Zeichen hin, verschlossen ihre Handlanger den Eingang zum Schuppen.
    Luca tappte voran in Richtung des halbverfallenen Wohnhauses. Mario ging als letzter. Nachdem sie sich einige Meter vom Schuppen entfernt hatten, griff er nach Gabrielas Arm.
    "Bleib mal stehen, wir beide haben noch was zu klären!", blaffte er sie an.
    "Wir?... ", sie lachte ironisch auf und riss sich los.
    „Was sollte das gerade eben da drinnen Gabriela? Hast du noch alle Tassen im Schrank? Drehst du jetzt komplett durch?“, brüllte Mario sie erbost an und hielt sie am Ärmel fest.

    Einmal editiert, zuletzt von Mikel (31. Dezember 2016 um 21:48)

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 3. Januar 2017 um 15:01
    • #23

    „Verdammt noch mal, bleib stehen, wenn ich mit dir rede! Vor einer Stunde sagtest du noch, Anweisung vom Boss, wir sollen die Geiseln bis auf weiteres nicht anrühren und dann bringst du den Kerl fast um? Verdammt, was sollte das? Was?“, schrie er sie am Schluss an. „Den Schuss auf die Alte verstehe ich ja noch. Doch den Rest der Show?....“
    Mario konnte erkennen, wie es in ihrer Mimik arbeitete, wie sie nach einer Rechtfertigung suchte. Seine Cousine war normalerweise die Kaltblütigkeit in Person. Was machte sie so nervös? Ihre dunklen Vorahnungen? Anfangs hatten sie aus diesem Grund den geplanten Coup ihres Lebens abgelehnt. Mit Engelszungen hatte Mario auf seine Cousine eingeredet, sie davon überzeugt, dass sie danach mit dem Anteil an der Beute für den Rest ihres Lebens ausgesorgt hatten. Sie könnten sich ihren Wunschtraum erfüllen und irgendwo im Ausland, in Südamerika oder der Karibik, mit neuen Identitäten ein neues Leben beginnen.

    „Der Boss …! … Christian … “, fing sie an sich zu rechtfertigen und schüttelte die Hand ihres Cousins ab.

    „Hör auf mir irgendwelche Lügenmärchen aufzutischen!“, fiel ihr Mario ins Wort. „Für wie bescheuert hältst du mich denn? … Ich bin nicht Luca, der seit dem Überfall auf eurem Hof nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.“ Dabei deutete er mit seinem Zeigefinger an seine Schläfe. Luca war einfach weiter getrottet und betrat in der Zwischenzeit das halb verfallene Haus. Gabriela blickte ihren Bruder hinterher. „Der Boss ….“, fing sie wieder an sich zu rechtfertigen, verstummte und schien nach den richtigen Worten zu suchen.

    „Der Boss? … der Boss!“, äffte Mario sie nach und lachte ironisch auf. „Ich habe dich da drinnen beobachtet Gabriela, du wirst langsam irre. Färbt dein Bruder auf dich ab? Haben sich da drinnen ein paar Schrauben gelockert?“ Er stupste ihr dabei mit der flachen Hand gegen die Stirn, was sie unwillkürlich einen Schritt zurückweichen ließ. „Das hatte nichts mit deinen perversen Folterspielchen zu tun, die du sonst mit den Gefangenen treibst. Du hättest dich mal selbst erleben sollen. Gib es zu, du hast die Nerven verloren! Es war doch gestern schon klar, dass der Bulle nichts weiß! Und dann diese Zirkusnummer von dir! Sorry! Denk mal nach! Du hast einfach die Situation falsch eingeschätzt und suchst einen Sündenbock, um vor Christian gut dazustehen.“

    Sie standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, wobei Gabriela leicht nach oben schauen musste.
    „Pffff!“, gab sie laut schnaubend zurück und wandte sich ab. In ihr brodelte der Ärger, dass ihr Cousin sie durchschaut hatte. Wieder hielt Mario sie am Jackenärmel fest und riss sie herum. „Ich bin noch nicht fertig mit dir Cousine. Dass dieser Penner Nico im entscheidenden Moment die Nerven verliert, habe ich dir schon mehr als einmal prophezeit! Aber Madam weiß ja immer alles besser!“ Er holte seine Waffe aus einem Schulterholster und entsicherte diese. „Wir gehen jetzt zurück und erledigen die drei im Schuppen endgültig. Anschließend fahren wir mit dir zurück in die Stadt! Meinetwegen lassen wir auch die Kleine in ein paar Tagen irgendwo an der Grenze frei … ist ja eh egal, die weiß nichts von unseren Plänen.“

    „Nein Mario! Es bleibt dabei, die drei bleiben hier und am Leben, bis der Coup vorbei ist!“

    „Aber warum Gabriela ? Nico ist frei … in Sicherheit … Du hast selbst gesagt, dass die Vorbereitungen für den Überfall voll im Gange sind. Der Countdown läuft und ich will beim Überfall mit dabei sein. Es gibt keinen Verräter. Was soll denn noch passieren?“ Er wandte sich dem Schuppen zu und die Mündung seiner Waffe zielte auf das verschlossene Tor. „Die da drinnen sind doch nur noch lästige Zeugen! Vor allem die Frau und der Polizist! Warum machen wir nicht was gestern Nachmittag geplant war? Warum?“, brüllte er sie lauthals an. Er wandte sich wieder seiner Cousine zu und schaute sie aus wütend funkelnden Augen an. Seine freie Hand legte er auf ihre Schulter und schüttelte sie, bevor er mit seiner Ansprache fast schon beschwörend fortfuhr, „Der Plan war gestern, wenn Nico in Sicherheit ist, wird die Alte und der Bulle beseitigt. Und der Bulle, ist doch eh schon so gut wie tot. Hast du dir den mal genau angeschaut, wie du ihn zugerichtet hast? … Dieser übermotivierte türkische Bulle hat seinen Denkzettel längst bekommen und wird nie mehr gegen Nico aussagen. Der wird froh sein, wenn er seine Tochter wiederbekommt. … Meinetwegen fackeln wir mit bisschen Benzin die Bude ab, die da drinnen kriegen das doch gar nichts mit, wir brauchen uns die Finger nicht schmutzig zu machen und zack …“, er schnippte mit seinen Fingern „ist das Problem ist gelöst!“

    „Nein und nochmals nein! Ein Feuer … mitten im Wald … und kurz darauf wimmelt es hier von Feuerwehr und Polizei! Du hast doch bloß keine Lust darauf, mit Luca noch zwei oder drei Tage hier zu bleiben.“ Ihre Augen funkelten ihn dabei böse an. Sie zeigte auf den Wald. „Da verschwinden die … tief unter der Erde und kein Mensch wird ihre Leichen finden! Verstanden! Und die werden erst umgelegt, wenn der Coup zu Ende gebracht wurde. Ob wir das Mädchen frei lassen, entscheidet Christian. Es steht zu viel Geld auf dem Spiel. Und die Russen lassen nicht mit sich spaßen, von den Chinesen reden wir gleich gar nicht. Christian will auf Nummer sicher gehen und für den Notfall ein Faustpfand haben, falls noch mal was schief läuft. Und damit eines klar ist Mario, der Polizist gehört mir! Lasst ihn in Ruhe!“, maßregelte sie ihren Cousin.

    „Dir?“, er lachte ironisch vor sich hin, „Was willst du denn mit dem noch machen? Warten wir erst mal ab, ob der überhaupt die nächsten Stunden überlebt!“, konterte er zurück. Dabei hob er wie unschuldig die Hände hoch und meinte noch anschließend „Keine Angst, wir lassen ihn in Ruhe. Sollen wir ihnen Verbandszeug oder so was rüber bringen?“

    „Nein! Gebt ihnen ausreichend zu essen und zu trinken! Das reicht! Ich denke, die sind den Rest des Tages mit sich selbst beschäftigt.“

    Zwischenzeitlich hatten sie das Auto erreicht. Gabriela öffnete die Fahrertür und stieg ein. Sie deutete auf den dritten im Bunde, den man verschwommen hinter einer Fensterscheibe erkennen konnte. „Pass auf meinem Bruder auf! Verstanden Mario! Wir haben in einer Stunde die letzte Besprechung im Geheimversteck. Entweder komme ich gleich danach wieder, weil wir dich doch zum Überfall brauchen oder eventuell komme ich erst wieder, wenn der Coup über die Bühne gegangen ist.“
    Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, startete sie den Motor, schlug die Fahrertür zu und ließ den Wagen langsam anrollen. Während sie den Wagen wendete, warf sie noch einmal einen prüfenden Blick in die Runde, vom halb verfallenen Wohnhaus, hinüber zum Schuppen. Gabriela hatte einfach ein warnendes Gefühl im Bauch. Von irgendwo her drohte ihnen Gefahr aber von wo?

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 5. Januar 2017 um 15:05
    • #24

    Zurück im Schuppen ...
    Die Stimmen entfernten sich vom Schuppen. Nach kurzer Zeit war das Zuschlagen einer Autotür zu hören. Der Motor wurde gestartet und das Fahrzeug entfernte sich langsam vom Einödhof. Stille kehrte ein und die Geräusche der Natur übernahmen wieder die Oberhand.

    „Ist die böse Frau jetzt weg Mama? Tut sie Ben nicht mehr weh?“ Die Stimme des Mädchens vibrierte vor Angst. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie kniete nach wie vor neben ihrem geliebten Ben, der leise vor sich hin stöhnte und hielt dessen Hand mit ihren kleinen Händen umschlungen. Ihr kleiner Körper spannte sich und sie schaute auffordernd zu ihrer Mutter hoch, die ebenfalls noch unter dem Schock der Ereignisse stand.
    „Mama! … Mama! … Du musst Ben helfen! … Bitte! … Er braucht dich mehr als ich!“ Fast trotzig klangen diese Worte und sie schob die Hand ihrer Mutter zur Seite, die ihr über die Haare strichen. Zu Andreas Überraschung hatte sich ihre Tochter binnen Sekunden beruhigt. Der Tränenstrom versiegte. Die Not ihres Bens machte das dunkelhaarige Mädchen in der Situation stark. Sie knotete ihr kleines Kopftuch auf und hielt es ihrer Mutter hin. „Da, für Ben! Du kannst es doch brauchen Mama?“, noch ein bisschen schniefend aber beherzt kamen diese Worte und lösten auch endlich die Erstarrung von Andrea.
    „Du hast ja Recht! … Entschuldige Aida!“, nuschelte sie vor sich hin. Ihr wurde bewusst, dass immer noch unaufhaltsam der Blutstrom aus der Stichwunde am Bein hervorquoll und die Jeanshose durchtränkte. Mittlerweile hatte sich auch bereits eine kleine Blutlache am Boden gebildet. Sie suchte das Strohlager nach ihrem Halstuch ab. Neben dem verletzten Polizisten kniete sie sich nieder und drehte ihn behutsam auf den Rücken. Fachmännisch versuchte sie mit Hilfe der Tücher eine Art Druckverband anzulegen und hoffte nur, damit die Blutung zu stoppen. Anschließend schob sie sein T-Shirt mit äußerster Vorsicht nach oben. An einigen Stellen klebte es am Oberkörper durch das eingetrocknete Blut. Einige der kleinen Risswunden brachen wieder auf. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie den Atem anhalten, sie förmlich erstarren. Im Gegensatz zum gestrigen Tag, als der Oberkörper durch rote Stellen gezeichnet war, sah er heute am Morgen völlig anders aus. Nicht nur die linke Seite von den kurzen Rippen bis runter zur Flanke des jungen Polizisten war von blutunterlaufenen Stellen, die von dunkelrot bis lila schimmerten übersät. …auch der Rest des Oberkörpers schillerte in allen möglichen Farben. An einigen Stellen waren Schwellungen an der Hautoberfläche zu erkennen, die den Verdacht nahe legten, dass darunter Blutgefäße geplatzt waren und ins Gewebe bluteten. Vorsichtig begann sie ihn abzutasten aber sie war kein Arzt. Wie sollte sie denn erkennen, was gebrochen war? Ihr war nur vollkommen klar, dass Ben schwere innere Verletzungen haben musste. Wie sollte sie ihm denn nur helfen? Als sie bemerkte, wie seine Augenlider zu flattern begannen und er schmerzvoll aufstöhnte, stoppte sie ihre Bemühungen.

    Als Ben wieder zu sich kam, schaffte er es kaum seine Augenlider zu öffnen. Sie fühlten sich an, als würde eine Zentnerlast darauf ruhen. Wie durch einen Schleier nahm er die Umrisse von Andrea wahr, die neben ihm kniete. Und noch etwas nahm er wahr: Schmerz … unendlicher Schmerz, der sich in jeder Faser seines Körpers ausgebreitet hatte. Mit jeder Sekunde, in der sein Bewusstsein mehr und mehr zurückkehrte, verstärkten sich seine Leiden und er begann sich zu verkrampfen. Durch das Rauschen in seinen Ohren vernahm er wie aus weiter Ferne Andreas Stimme.

    „Ben? Ben … alles in Ordnung! Scht … alles gut! Beruhige dich! … Dir passiert nichts mehr! Die sind weg! …Die Schwarzhaarige ist wieder mit dem Auto weggefahren!“ Aus ihren Worten konnte er heraushören, wie sie versuchte ihn und sich zu beruhigen. „Dein Bein ist verbunden … komm lass mich mal sehen, wie ich dir noch helfen kann!“

    Beim letzten Satz begann sie erneut, ihn vorsichtig abzutasten. Jede Berührung von ihr verstärkte seine Qualen. Als sie seine rechte Flanke und den Unterbauch berührte, stöhnte er fürchterlich auf, hielt ihre linke Hand fest und konnte seinen Schmerzensschrei nur mit Mühe und Not noch unterdrücken.

    „Nein, Andrea! … Nein … bitte nicht … nicht mehr anfassen … bitte“, wimmerte er … dabei griff er erneut krampfhaft nach ihrer linken Hand, als ob er durch den Körperkontakt ein Teil seiner Leiden auf sie übertragen könnte. Das Atmen fiel ihm so schwer … er bekam keine Luft in seine Lungen … jeder Atemzug schien seine Brust zu sprengen … er keuchte. Er spürte, wie er schwitzte, sein Gesicht war von einem dünnen Schweißfilm überzogen. Gleichzeitig wurde ihm kalt und er begann zu zittern. Die nächste glühende Welle von Schmerzen überfiel ihn, durchströmte seinen Körper, er biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien, der Geschmack von Blut breitete sich in seinem Mund aus. Er wünschte sich nur noch eines … erneut bewusstlos werden … in eine wohltuende Dunkelheit abtauchen, nichts mehr spüren … von seinen Leiden erlöst werden.

    Aber sein Körper tat ihm nicht den Gefallen. Stattdessen spürte er eine zarte Kinderhand, die ihm tröstend über sein Gesicht strich. Aida … durchfuhr es Ben voll Entsetzen … Aida … oh Gott Aida … seine Gedanken fixierten sich auf seine kleine Prinzessin. Wie musste das alles auf das arme Mädchen gewirkt haben? Ihre Worte kamen ihm wieder in den Sinn, die sie der dunkelhaarigen Frau an den Kopf geworfen hatte. Welche Ängste, die Kleine wohl um ihn ausgestanden hatte?
    Ja, für Aida musste er stark sein. Irgendwie musste er Herr über diese unerträglichen Schmerzen werden … seine Schmerzen überwinden, seine Schwäche überwinden … egal wie. Ben versuchte seine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Mit geschlossenen Augen lauschte er auf seinen Herzschlag … konzentrierte sich darauf … mehr und mehr gelang es ihm die Schmerzen aus seinem Bewusstsein zu verdrängen … zu ignorieren … Sein Kampf dauerte viele, viele Minuten lang…. Andrea saß ruhig da. Sie hatte zwischenzeitlich seinen Kopf auf ihren Schoss gebettet. Ihren linken Arm hatte er weiter fest umklammert. Er konnte es nicht verhindern, aus den Augenwinkeln rannen ihm Tränen, während er mit sich kämpfte… er verlor jedes Gefühl für Zeit. Ben fühlte wie ihm Aida, die sich neben seinem Kopf hingesetzt hatte, über die Stirn, seine Wangen und den Haaransatz strich. Seine Tränen wischte sie mit einem Taschentuch sachte weg, das sie irgendwo aus den Tiefen ihrer Jackentasche gezogen hatte.

    Der schwerverletzte Polizist war ruhig geworden, Andrea dachte schon, dass er in eine Ohnmacht hinübergedriftet sei, als sie seine schwache Stimme vernahm.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 7. Januar 2017 um 22:11
    • #25

    „Hilf mir bitte Andrea! Ich … möchte zurück … auf das Strohlager … mich … ein bisschen aufrichten.“ hauchte er mit verzerrter Stimme. Die Wunde am Bein pochte im Takt seines Herzschlags … es sickerte nur noch wenig Blut durch den provisorischen Verband. Der Rest seines geschundenen Körpers protestierte mit Schmerzen ohne Ende gegen die Bewegung, als er mit Andreas Hilfe sich kriechend fortbewegte. Nein … keine Schwäche mehr zeigen, nahm er sich vor, reiß dich zusammen Ben, ohne die Kleine hätte dich die Hexe umgebracht, du schuldest Aida was. Ein Blick in Aidas Augen verriet ihm ihre Angst und den Hoffnungsschimmer, der aufflackerte, als er es tatsächlich schaffte, mit der Unterstützung von Andrea sich an die Schuppenwand anzulehnen. Oh verdammt, tat das weh, als er den Druck der Wand in seinem Rücken spürte. Ein schmerzvolles Aufstöhnen konnte er nicht unterdrücken. Zumindest fiel ihm so das Atmen leichter.

    „Andrea bitte! … Kannst du ein bisschen Stroh … drunter schieben!“, leise flüsternd kamen die Worte aus seinem Mund und deutete mit der Hand an, wo er gerne die Polsterung gehabt hätte. Er schloss seine Augen, damit man nicht erkennen konnte, wie es ihm tatsächlich ging. Ihm war speiübel. Dieser üble Geschmack in seinem Mund! Was half dagegen? Vielleicht trinken?
    „Bringst du mir was zu trinken Aida?“
    Die Augen des Mädchens leuchteten auf, als Ben sie ansprach. Anschließend forderte er sie mit einer schwachen Handbewegung auf, sich auf seine linke Seite zu setzen.
    „Komm her zu mir Prinzessin! Setz dich zu mir!“
    Nachdem der verletzte Polizist ein paar Schluck Wasser getrunken hatte, zwang er sich noch das von Andrea angebotene Stück Brot zu essen. Zwar verspürte er keinen Hunger, allerdings musste er bei Kräften bleiben, sonst hatten sich irgendwelche Fluchtpläne gleich zerschlagen, die in seinem Gehirn umherschwirrten. Im Gegensatz zu ihm aß Aida ihr belegtes Brot mit wesentlich mehr Appetit. Es herrschte Stille im Schuppen, die von den Regentropfen, die auf das Holzdach fielen durchbrochen wurden. Ben versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie schlecht es ihm wirklich ging.

    „Erzählst du mir eine Geschichte Ben? …. Tabaluga?“, fragte das Mädchen und schaute ihn mit einem flehentlichen Blick an. Ben nickte. Sanft nahm er Aida in den Arm. Leise begann er die Geschichte von Tabaluga und der Reise zur Vernunft zu erzählen. Immer wieder legte er Pausen ein. Ben versuchte sich damit von seinen Schmerzen abzulenken und zu seiner Verwunderung stellte er fest, es funktionierte, solange er völlig ruhig dalag.

    Am Ende summte er leise eine Melodie vor sich hin. Es war Aidas Lieblingslied Nessaja aus der Geschichte, das er ihr oft vor dem schlafen gehen vorgesungen hatte. Ganz vorsichtig, immer darauf bedacht Ben keine Schmerzen zuzufügen, seinen Oberkörper nicht zu berühren, kuschelte sich das Mädchen an die Hüfte und den linken Oberschenkel des verletzten Polizisten heran, so als könne sie ihn mit ihrer Anwesenheit beschützen. Er legte seine linke Hand auf ihren Kopf und strich ihr sanft über das Haar.

    Andrea hatte währenddessen wieder an ihren Beobachtungsposten am zugenagelten Fenster Platz genommen und schwieg. Von hier aus betrachte sie die beiden auf dem Strohlager. Ihr Blick begegnete Bens Blick. Der Ausdruck seiner dunklen Augen ließ sie erahnen, welche Höllenqualen er durchlitt. Wenn sie für einen Moment die Augen schloss, tanzten die schrecklichen Bilder des Morgens vor ihren inneren Augen herum. Nie würde Andrea diese brutalen Tritte der Frau vergessen. Diesen irren Glanz in den Augen ihrer Entführerin. Sie hegte keine Zweifel, für sie war die Dunkelhaarige wahnsinnig.
    Ab und an biss sie in das trockene Brot, das sie in ihrer Rechten hielt und kaute appetitlos darauf rum. Sie schaute nach draußen und wandte sich wieder den beiden auf dem Strohlager zu, als der verletzte Polizist leise eine Melodie vor sich hin summte. Nach einigen Minuten begann er den Text von Aidas Lieblingslied zu singen … Sie horchte auf seine Stimme, ob die ihm etwas über seinen Zustand verriet … Oh Gott, wie schaffte er es nur, in dieser Situation noch zu singen … Aida lag ruhig neben ihm und schien eingeschlafen zu sein …

    Aida war ruhig geworden. Ben schaute an seiner Seite runter zu dem schlafenden Kind. Der Ansatz eines Lächelns umspielte seine Lippen bei diesem friedlichen Bild. Er schloss seine Augen … ausruhen, ja er musste ausruhen und neue Kräfte sammeln. In seinen Gedanken reifte ein Fluchtplan heran. … Ja schlafen … das sollte er auch tun … er fing an seinen Lieblingssong der Beatles vor sich hinzusingen … vor sich hinzusummen … irgendwann dämmerte er in einen erlösenden Schlaf hinüber.

    Andrea lauschte ihm fassungslos … die Textzeilen, sie kamen ihr so bekannt vor „When i find myself in times of trouble, Mother Mary comes to me,Speaking words of wisdom, Let it be …“ Jetzt erkannte sie den Song „Let it be“ von den Beatles. Später summte er nur noch die Melodie immer und immer wieder. Warum hat er sich ausgerechnet dieses Lied ausgesucht, fragte sie sich. Es ging ihr durch und durch. Unablässig rann ihr ein Schauer nach dem anderen über den Rücken. Andrea drehte ihr Gesicht weg, schaute nach draußen. Sie konnte sich kaum noch beherrschen und ihre Gefühle im Griff behalten. Lautlos liefen ihr Tränen über die Wangen.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 12. Januar 2017 um 23:03
    • #26

    Auf einmal wurde es ruhig im Schuppen. Gleichmäßige Atemzüge verrieten Andrea, dass beide in einen erlösenden Schlaf gefallen waren. Sie löste sich von der Holzwand und ging zum Strohlager hinüber. Sorgfältig deckte sie die beiden zu. Aida murmelte hin und wieder ein „Ben … Ben!“, während von dem verletzten Polizisten ein Stöhnen zu hören war. Andrea kehrte zurück ans vernagelte Fenster und blickte zwischen den Ritzen der Bretter nach draußen. Ruhe war auf der Waldlichtung eingekehrt. Der Himmel war wolkenverhangen und kleine Regentropfen fielen fast unhörbar zur Erde. Die Geräusche des umliegenden Waldes waren zu hören. Das Rauschen der Bäume, die sich sanft im Wind bewegten, das Knarzen der Äste, das Gezwitscher der Vögel … diese friedlichen Bilder passten überhaupt nicht zu dem Drama, das sich in dem alten Holzschuppen abspielte. Ihre Peiniger hatten sich in das Wohnhaus zurückgezogen und ließen sich nicht blicken.

    Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie mussten hier so schnell wie möglich raus … fliehen … nur wie? Sie begutachtete die Holzbretter vor dem zugenagelten Fenster. Na gut, mit viel Kraftanstrengung könnte sie vielleicht ein oder zwei Bretter locker treten, gerade groß genug um durch zu kriechen. Aber was dann? Sie gab sich keiner Illusion hin. Der Lärm würde die Entführer alarmieren. Sie und Aida könnten es vielleicht schaffen. … Könnten schnell genug in den angrenzenden Wald flüchten. Und Ben? Unwillkürlich lachte sie auf. Niemals würde er in seinem Zustand durch einen Spalt kriechen können, geschweige denn einen Sprint hinlegen können. Sein Oberkörper war übersät mit Hämatomen und Schwellungen … Der Blick, den sie vorhin unter sein T-Shirt werfen konnte, ließ sie das wahre Ausmaß seiner Verletzungen nur erahnen. Das waren nicht nur ein paar blaue Flecken, ein paar schmerzhafte Blutergüsse und Prellungen, wie sie auch Semir schon oft bei den zahlreichen Crashs mit seinem Dienstwagen erlitten hatte. Ben war so schwer verletzt, dass sie Angst um sein Leben hatte. Ihn zurückzulassen bedeutete sein Todesurteil. Nein, das konnte sie ihm nicht antun. Doch was war die Alternative?
    Eingehend studierte sie jede Kleinigkeit im Schuppen, die für einen Fluchtversuch wichtig sein könnte. Die Angst, vor dem was als nächstes kommen würde, schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Das Gefühl ersticken zu müssen, machte sich in ihr breit. Ihr Pulsschlag raste und Schweiß brach aus allen Poren. Andrea war in ihrer Verzweiflung kurz davor in Panik zu geraten.
    Wer würde sie hier am Ende der Welt finden? Rechtzeitig retten? Semir?

    Zurück auf der PAST um die Mittagszeit
    Auf Anordnung von Frau Krüger hatte Semir den Vormittag auf der Dienststelle verbracht. Er hatte im Laufe des Vormittags die Berichte der Spurensicherung des LKAs über den Überfall auf der KTU und auf sein Haus mehr als einmal durchgelesen, die Strafakte von Nicolas Schneider studiert, die Stellungnahme des Jugendamtes. Er telefonierte mit der JVA über den Besuch des Anwalts, dem ehemaligen Vermieter der Wohnung, aber nirgendwo ergab sich wirklich ein greifbarer Hinweis, der sie auf die Spur der Verbrecher führte.
    Verzweiflung machte sich in ihm breit. Das Telefon auf dem Schreibtisch blieb stumm genauso wie sein Handy, das neben der Tastatur auf dem Schreibtisch lag. Immer wieder hatte er einen verzweifelten Blick auf das Display geworfen. Innerlich hatte er gehofft, dass die Entführer ihr Versprechen halten würden und sich im Laufe des Vormittags melden würden. Doch je weiter die Zeit voranschritt, desto mehr schwand diese Hoffnung, dass die Verbrecher seine Familie und Ben einfach frei lassen würden. Er stütze seine Ellbogen auf den Schreibtisch und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Seine Nerven lagen blank.
    Susanne war Semirs Reaktion nicht entgangen. Sie war sowieso gerade auf dem Weg zu Semirs Büro. Voller Mitgefühl legte sie ihre Hände auf seine Schultern.
    „Wir werden sie finden Semir!“, sprach sie ihn einfühlsam an. Er nickte wortlos und fuhr sich mit seinen gespreizten Fingern durch seine kurz geschorenen Haare. Stille breitete sich im Büro aus und nur das Atmen der beiden anwesenden Personen war zu hören. Es klang fast wie ein Paukenschlag, als das Handy des Polizisten ein Piepsen von sich gab und das Display aufleuchtete … Sie haben eine neue Nachricht von einem unbekannten Teilnehmer. Voller Hoffnung schauten beide auf die Anzeige, als Semir die SMS öffnete. Vielleicht endlich der ersehnte Treffpunkt, wo er die drei Entführten abholen konnte, der Austausch stattfinden sollte.
    „Neeeiiiiiin! Bitte nicht!“ schrie Susanne vor Entsetzen auf, als sie das Foto auf dem Display betrachtete.
    Es zeigte einen seltsam verkrümmt am bodenliegenden Mann. Die karierte Sweatjacke gehörte eindeutig … Ben. Sie erkannte seine schwarzen Stiefel und seine hellblaue Jeanshose, die am rechten Bein blutdurchtränkt war, wieder. Nur vom Gesicht, da war nicht viel zu erkennen. Vor ihm war eine dunkle Lache. Blut? Neben ihm kniete Aida am Boden, schaute mit verheulten Augen und einem Ausdruck völliger Verzweiflung in die Kamera.
    „Lass es nicht wahr sein, bitte, doch nicht Ben!“ murmelte die Sekretärin vor sich hin.
    Der Türke saß leichenblass neben ihr in seinem Bürostuhl und war zu keiner Reaktion fähig. Seine Hand, in der er das Mobiltelefon hielt, zitterte. Etwas schnürte ihn die Kehle und sein Herzschlag raste. Sein Verstand weigerte sich einfach, den Sinn dieser Botschaft zu begreifen und dann brach es aus ihm heraus: „Nein …. Nein …. Nein!“ Immer und immer wieder brüllte er die Worte lauthals heraus und schüttelte seinen Kopf.

    Frau Krüger, die durch die Entsetzensschreie aufgeschreckt worden war, stand Sekunden später unter der Bürotür. „Zeigen Sie mal bitte her!“, forderte sie Semir beherzt auf, ihr das Handy zu geben. Auch sie schluckte erst einmal als sie das Foto betrachtete und den Text las, der darunter stand.
    „Ruhe in Frieden!“, nuschelte sie mit einer tonlosen Stimme vor sich hin und betrachtete eingehend das Foto, als könnte dies ihr ein Lebenszeichen von Ben Jäger übermitteln. Fast schon beschwörend klangen ihre nächsten Worte. „Solange Ben Jäger nicht als Leiche vor uns liegt, glaube ich diesem Foto nicht. Verdammt noch mal, ich will es nicht glauben. Er lebt noch!“
    Sie setzte eine trotzige Miene auf. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Wir kriegen diese Schweine! Koste es was es wolle!“ Ein Ruck ging durch ihren Körper und sie drückte der Sekretärin das Mobiltelefon in die Hand. „Susanne versuchen Sie alles über die Handy Nummer des Absenders raus zu kriegen. Und ich meine wirklich alles! Haben wir sonst noch einen Hinweis? Hat sich endlich der alte Betreuer von Nicolas Schneider gemeldet? Oder der Gefängnisdirektor?“ Kim warf noch mal einen in die Gesichter ihrer Mitarbeiter. Die letzten 24 Stunden hatten ihre Spuren hinterlassen. „Also Susanne haben wir was? Irgendwas? Einen Anhaltspunkt?“
    So langsam kehrte das Leben in Susanne zurück und sie gewann ihre Fassung wieder. Die Routine der Arbeit half ihr die kritische Situation zu überwinden. Wie gewohnt, begann sie zu berichten. Anfangs war sie sich nicht sicher, ob der Türke ihren Ausführungen überhaupt folgte, der einfach die Videowand seines Büros anstarrte.
    „Deswegen war ich gerade auf dem Weg zu Semir. Der damalige gesetzliche Betreuer, ein Herr Klaus Altenhofer, hat sich gemeldet und uns die letzte ihm bekannte Wohnadresse gegeben. Die Kollegen sind bereits dahin unterwegs. Er hatte das letzte Mal vor drei Jahren mit ihm Kontakt und konnte uns nicht so wirklich weiterhelfen. Er erzählte was davon, dass Herr Schneider eine Frau kennengelernt hat, die ihn wohl wieder auf den Pfad der Tugend zurückführen wollte“, berichtete Susanne weiter. Dabei bediente sie die Videowand und zeigte einige ältere Bilder von Nicolas Schneider, die sie zwischenzeitlich gefunden hatte. Aber eine wirkliche heiße Spur war nicht dabei.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 17. Januar 2017 um 22:51
    • #27

    Nachdem die Besprechung beendet war, begab sich Semir zu den Toiletten. Vor dem Waschbecken blieb er stehen und betrachtete sein Spiegelbild. Innerhalb eines Tages schien er um Jahre gealtert zu sein. Er stellte den Hebel der Waschtischarmatur auf kalt und ließ das Waschbecken mit kalten Wasser volllaufen. Anschließend tauchte er sein Gesicht so lange ins kalte Wasser, bis er die Atemluft nicht mehr anhalten konnte. Er war zu keinen klaren Gedanken mehr fähig. Seine Selbstvorwürfe überschwemmten sein Gehirn und blockierten alles. Doch auch das kalte Wasser war kein Wundermittel dagegen. Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit ergriff er einige Papierhandtücher und trocknete sich ab. Sein nächster Weg führte in die Teeküche und er goss sich die nächste Tasse Kaffee aus der Thermoskanne ein, schüttete zwei Päckchen Zucker dazu, um den bitteren Geschmack zu mildern. Auf dem Weg zurück ins Großraumbüro steuerte er Susannes Schreibtisch an. Ihm war klar, noch länger würde er es alleine hinter seinem Schreibtisch aushalten. Er stellte sich hinter die Sekretärin, um ihr bei ihren Recherchen im Internet über die Schulter zu blicken und rührte dabei gedankenverloren mit seinem Löffel in der Kaffeetasse.
    „Hast du was Neues rausgefunden? Was ist mit der Handy Nummer? Irgendetwas?“, erkundigte er sich und schlürfte von dem heißen Getränk. Sie wandte sich ihm zu und erwartungsvoll blickte er Susanne an.
    „Die Handy Nummer gehört zu einem Pre-Paid Handy. Die Spur endet in einer Sackgasse. Die Angaben zum Käufer der SIM Karte waren gefälscht. Einen Hans Meier in der Maxstraße 123 in München gibt es nicht. Momentan ist das Handy abgeschaltet, somit können wir es nicht orten. Die Kollegen haben die Nummer auf dem Schirm. Sobald es angeschaltet wird, läuft die Ortung.“ Sie hob ein bisschen deprimiert die Hände. „Ich weiß, das ist nicht viel aber immer noch besser als gar nichts. Und zu Nicholas Schneider habe ich auch nicht viel Neues. Bonrath und Jenny sind gerade bei Frau Krüger und erstatten Bericht. Sie waren bei seiner letzten Wohnung in der Steinbruchstraße. Dort wohnt er seit zwei Jahren nicht mehr. Keiner hat ihn seit dem mehr dort gesehen. Du kennst ja die Leute, die sehen nichts und hören nichts. Bis auf eine ehemalige Nachbarin, die konnte sich noch an eine dunkelhaarige Frau erinnern, die seine Freundin zu sein schien. Aber mit der Beschreibung könnten es Tausende sein Semir.“ Hilflos zuckte Susanne mit den Schultern.
    Verärgert zog Semir die Augenbrauen zusammen und brummte: „Warum hat Bonrath nicht mich mitgenommen? Warum Jenny?“
    „Anweisung von Frau Krüger! Semir …“ Weiter kam Susanne nicht.
    „Verdammt, was soll das!“ Der Türke stellte voller Wut die Kaffeetasse mit einem lauten Knall auf die Schreibtischplatte. Um den Tassenboden bildete sich ein brauner Ring und die Fläche drum herum war mit vielen kleinen Tropfen braun gesprenkelt. „Was bildet die Krüger sich ein? Will die mich auf einem Abstellgleis parken? …“ Er schnaubte hörbar durch. „Das lass ich mir von der Chefin nicht gefallen! Mit der rede ich! …. Jetzt gleich! … Und … und wegen dieses Nicolas Schneider … sorry Susanne, kein Mensch verschwindet einfach so! … Frag den Vermieter, die Stadtwerke … ach was weiß ich! Lass dir was einfallen!“ Seine Stimme überschlug sich dabei vor Wut und seine dunklen Augen funkelten. Sein aufgestauter Frust entlud sich in einem Tritt gegen Susannes Papierkorb, der scheppernd quer durch das Büro flog und vor ein Paar Frauenschuhen liegen blieb. Der Inhalt verteilte sich davor auf dem Boden. Unbemerkt war Frau Krüger hinzugetreten und hatte den Rest der Unterhaltung mitangehört. Sie konnte ja die Reaktion ihres Kommissars verstehen.

    „Herr Gerkhan, bitte! Es hilft keinem, wenn Sie durchdrehen. Am wenigsten ihrer Familie oder Ben!“ Semir drehte sich um und schaute seine Chefin mit einem durchbohrenden Blick an. „Sie haben ja Recht! Ich hätte sie mit Herrn Bonrath rausschicken sollen. … Mein Fehler!“, gestand sie ihm und ihren Mitarbeitern. Sie biss sich auf die und überlegte kurz, ob sie die nächste Frage stellen sollte, um ihn noch ein bisschen runter zu holen. Denn wider Erwarten hatten ihre leisen und gefühlvoll gesprochenen Worte ihren frustrierten Kommissar erreicht.
    „Wie geht es denn ihrer zweiten Tochter Lilly? Und ihren Schwiegereltern? Wie kommen die mit dem Polizeischutz und der Situation klar?“

    Susanne hatte schon innerlich damit gerechnet, dass sein Temperament endgültig mit dem Türken durchgehen würde. Doch zu ihrer großen Verwunderung beruhigte sich Semir recht schnell. Er hielt für einen kurzen Moment inne und schloss seine Augen. Seine Atemluft entwich ihm hörbar zwischen den Lippen. „Lilly geht es gut. Meine Schwiegereltern versuchen die Dramatik der Lage vor ihr zu verbergen. Scheinbar gelingt es ihnen ganz gut. … Ich … habe heute Morgen erst mit Lilly und den beiden telefoniert. Die haben genauso Angst um Andrea und Aida wie ich … Diese Ungewissheit bringt nicht nur meine Schwiegereltern sondern auch mich fast um den Verstand.“

    Verstehend nickte ihm seine Chefin zu und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, dass er sich auf Susannes Schreibtisch setzen sollte. Nicht nur die beiden, sondern auch die anderen Kollegen im Büro lauschten den Ausführungen von Frau Krüger. Sie hatte die ersten vielversprechenden Hinweise. Angespannt hörte Semir ihrem Bericht zu. Mit einer fast schon unheimlich ruhig anmutenden Stimme schilderte die Chefin der PAST, was sie zwischenzeitlich erfahren hatte. Der ehemalige Direktor des Jugendgefängnisses hatte sich telefonisch bei ihr gemeldet. Zur Überraschung aller kamen hier die ersten echten Anhaltspunkte zu Nicolas Schneider. Er hatte während seiner Jugendstrafe eine Ausbildung zum Energieelektroniker für Gebäudetechnik gemacht. Laut Aussage seines damaligen Ausbilders war er darin richtig begabt gewesen. Direktor Hassenkamp war der Meinung, dass er einen Job nach seiner Haftentlassung gefunden hätte, zumindest hatte man ihm ein Praktikum in einer Firma vermittelt, die zugesichert hatte, ihn trotz seiner Jugendstrafe nach einer abgeschlossenen Ausbildung zu übernehmen.
    „Ja und? Wie heißt die Firma? Arbeitet er noch dort?“, sprudelten die Fragen förmlich aus Semir heraus.
    „Herr Gerkhan, ich denke, Sie wollen auch noch was tun oder? Die Firma heißt HGS GmbH. Hier ist die Adresse.“ Kim Krüger zwang sich zu einem Lächeln, als sie an Semir einen Notizzettel weiterreichte. „Herr Bonrath wird sie begleiten!“

    Innerlich freute sie sich darüber, dass das Leben in ihrem Kommissar zurückgekehrt. Sie hätte ihn wirklich schon heute Morgen mit Bonrath rausschicken sollen. Ok … ihr Fehler gestand sie sich nochmals ein. Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass es mittlerweile schon nach 13.00 h geworden war.
    Auf dem Weg zurück in ihr Büro hielt Kim Krüger bei Dieter Bonrath kurz an und wisperte ihm zu, „Passen Sie auf ihn auf! Vor allen Dingen, dass er sich nicht zu einer unüberlegten Handlung hin reisen lässt!“

    Im Nirgendwo … im Laufe des Nachmittags ..
    Irgendein Geräusch hatte ihn geweckt. Ben lauschte mit geschlossenen Augen. Da … jetzt … wieder …. das gleichmäßige Prasseln des Regens wurde durch das mehrmalige Betätigen einer Auto Hupe unterbrochen. Eine Autotür wurde zugeschlagen. Ein eisiger Schreck durchfuhr Ben bei der Erkenntnis, die schwarzhaarige Hexe war zurückgekehrt. Jetzt schon! Die wollte doch frühestens morgen wieder da sein. Ein eisiger Klotz breitete sich in seinem Magen aus. Energische Schritte näherten sich dem Schuppen. Die Schuppentür wurde aufgerissen und da standen die Drei. Ohne zu zögern, betrat Gabriela den Schuppen. Ihre beiden Kumpels folgten ihr wortlos und steuerten direkt auf den am bodenliegenden Polizisten zu.

    Andrea schien das drohende Unheil genauso zu spüren wie er. Sie hatte sich mit Aida in die hinterste Ecke des Schuppens zurückgezogen. Schützend stellte sie sich vor ihre Tochter. In Ben zog sich alles zusammen, als er bemerkte, wie die Gangster sich zu ihm runterbückten. Jeder der beiden Männer packte sich einen seiner Oberarme. Gequält stöhnte er auf. Rücksichtslos zerrten sie ihn auf die Beine. Ein Meer aus Schmerzen durchflutete seinen Körper. Er schrie seine ganze Not heraus. Seine Beine konnten sein Gewicht nicht tragen, hätten seine beiden Peiniger ihn nicht mit Gewalt festgehalten, wäre er wieder in sich zusammengesackt und auf den Boden gestürzt. Die Stichwunde am rechten Bein brach wieder auf. Er spürte wie warmes Blut an seinem Bein herunterrann. Sein Blick richtete sich auf die Schwarzhaarige. Ein triumphierendes Grinsen stand in deren Gesicht … und ihre Augen … das war es wieder, dieses irre Leuchten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner der Entführer ein Wort gesprochen.

    „So das war es! Wir brauchen euch nicht mehr! Und mit dir mein kleiner Bulle, habe ich noch was ganz Besonderes vor!“ Eiseskälte schwang in den Worten mit, als sie über Gabrielas Lippen kamen. Die Dunkelhaarige griff hinter sich und zog aus ihrem Holster am Rücken ihre Pistole. Sie entsicherte diese und zielte auf Andrea. Trotz seiner körperlichen Not versuchte sich Ben aus der Umklammerung zu befreien. Irgendwie musste er doch das kommende Aufhalten. Panik breitete sich ihn ihm aus. Schnürte ihn die Luft ab. Aus weit aufgerissenen Augen beobachtete er, was unmittelbar darauf geschah. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog Gabriela den Abzug der Waffe durch. Andrea wurde durch die Wucht des Einschlags der Kugel nach hinten an die Schuppenwand und gegen Aida geworfen. Mit einem ungläubigen Blick schaute sie runter auf ihre Brust, in deren Mitte sich unaufhaltsam ein Blutfleck ausbreitete und ihre grüne Jacke durchtränkte. Ganz langsam, wie in Zeitlupentempo gaben ihre Beine nach und sie sank in sich zusammen und fiel auf den Boden. Aidas Stimme überschlug sich im Hintergrund, als sie nach ihrer Mutter rief. „Mamaaaaaaaaaa ….. Mamaaaaaaaaaaa!“ Aufschluchzend fiel das Mädchen auf die Knie, rüttelte an deren Brust ihrer Mutter, doch die regte sich nicht mehr.
    Ben versuchte sich verzweifelt aus dem Klammergriff zu winden und schrie wie von Sinnen die ganze Zeit über nur ein Wort „Neeeiiiiiiin! Neeiiiiin ….!“, als könnte er damit etwas aufhalten. ….. aus vorbei … er schloss die Augen … das Unvorstellbare war geschehen ….

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 21. Januar 2017 um 15:09
    • #28

    Zurück auf der PAST ….

    Dieter Bonrath und Semir kamen im Laufe des Nachmittags wieder zurück von der Befragung bei der Firma HGS. Frau Krüger erwartete sie bereits an Susannes Schreibtisch, um sofort Bericht erstattet zu bekommen. Endlich gab es die nächsten Hinweise zu Nicolas Schneider. Der junge Mann hatte tatsächlich erfolgreich seine Ausbildung zum Energieelektroniker dort abgeschlossen und auch eine Zeit lang für die Firma gearbeitet. Sein ehemaliger Chef, Norbert Heller, war voll des Lobes über seinen ehemaligen Mitarbeiter gewesen und hatte dessen Weggang sehr bedauert. Nicholas Schneider schien im Bereich der Schalttechnik für elektronische Anlagen ein kleines Genie gewesen zu sein. Besonders Alarmanlagen waren sein Spezialgebiet. Bei dieser Aussage schrillten bei Frau Krüger die Alarmglocken.
    „Moment mal! Wollen Sie damit sagen, der junge Mann war ein Spezialist für Alarmanlagen?“, hakte sie nochmals bei Semir nach.
    „Ja, so sieht es aus! Ich habe mit seinem ehemaligen Meister gesprochen, der konnte sich noch an ein paar Objekte erinnern, bei denen der junge Mann Alarmanlagen mitinstalliert hatte. Es waren meistens Privathäuser gewesen. Nur ein Bürogebäude in der Kölner Innenstadt war dabei.“ Der Kommissar reichte Frau Krüger einen Zettel, auf denen verschiedene Adressen notiert waren. „Wir bekommen so schnell wie möglich eine komplette Übersicht aller Objekte, an denen der junge Mann damals mitgearbeitet hat. Ist leider nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte. Die haben ihre älteren Geschäftsunterlagen ausgelagert, damit sie digital archiviert werden können.“ Semir fuhr sich über das Gesicht und dachte nach „Ich glaube … nein ich bin mir so was von sicher, die planen ein richtig großes Ding, wenn ich bedenke, was die für einen Aufwand betrieben haben, um den Kerl frei zu kriegen! Dieser Nicholas Schneider soll garantiert eine Alarmanlage außer Kraft setzen.“ Er entfernte sich einige Schritte von Susannes Schreibtisch und blieb nachdenklich vor der Karte von Nordrhein-Westfalen stehen und betrachtete diese: „Es fragt sich nur wo?“

    „Ok, ich informiere die Staatsanwaltschaft. Ich werde Frau Schrankmann empfehlen, dass wir das fragliche Gebäude in Köln unter Beobachtung stellen. …Puuuh … nur wer weiß, bei wie vielen gewerblichen Objekten dieser Nicolas Schneider mitgearbeitet hat. Wenn wir die alle beobachten wollen!“ Gedankenverloren streifte sich Frau Krüger eine widerspenstige Haarsträhne hinter ihr Ohr. Eine Überlegung schoss ihr noch den Kopf. „Auf der anderen Seite haben wir keine Gewissheit, ob die Firma HSG in dem fraglichen Objekt auch eine Alarmanalage installiert hat.“ Unruhig trippelte Kim Krüger zwischen den Schreibtischen ihrer Mitarbeiter umher und grübelte nach. Vor Susannes Schreibtisch blieb sie stehen und wandte sich wieder Semir zu. „Was soll‘s, sie haben Recht Herr Gerkhan! Hier geht es nicht um „Peanuts“, diese Bande hat was richtig Großes vor. Soll die Staatsanwaltschaft entscheiden, welcher Aufwand da gerechtfertigt ist.“ Ein Ruck ging durch ihren Körper und sie drehte sich wieder zur Sekretärin um. „ Susanne, bitte bleiben sie an der Firma HSG dran. Das ist die erste vielversprechende Spur, die wir haben!“ Mit diesen Worten schloss Frau Krüger die Besprechung ab.

    Semir schnappte sich seine Autoschlüssel. Sein Ziel war die Firma Datec Stystems, die die Archivierung der alten Firmenunterlagen übernommen hatte. Zusammen mit Jenny wollte er Vorort die fraglichen Adressen aus den Geschäftsunterlagen der Firma HSG heraussuchen. Dort trafen sie auf die beiden Angestellten von Norbert Heller, die ihr Bestes gaben, um aus den eingelagerten Kisten die Auftragsunterlagen herauszusuchen. Nachdem Semir erkannte, dass er mit seiner Anwesenheit die Bemühungen der beiden Frauen mehr behinderte, trat er mit Jenny und einigen neuen Adressen den Rückzug auf die Dienststelle an.

    Zurück im Nirgendwo …
    Jemand klopfte ihm sanft auf die Wange und rief seinen Namen. „Ben! Ben … wach auf! Ben! Um Himmels willen … Hey beruhige dich doch! Alles ok! Keiner tut dir was!“ Seine Hände wurden festgehalten. Ben überlegte, das war doch Andreas Stimme. Der Polizist zwang sich die Augen zu öffnen. Mit einem besorgten Blick beugte sie sich über ihn. Er bemerkte, dass er schweißgebadet war und seine Atmung nur noch stoßweise ging. „Hey, beruhige dich doch! Alles ist in Ordnung!“ Sanft fuhr ihre Hand über seine schweißnasse Stirn. So langsam legte sich seine Verwirrung. Andrea war tatsächlich noch am Leben. Sein Blick schweifte im Raum umher. Sie befanden sich nach wie vor in dem Schuppen. Aida schaute ihn verschreckt aus weit aufgerissenen Augen an, aber sie waren alleine. Keine Entführer waren anwesend. Allmählich dämmerte es ihm: er hatte geträumt. Doch die Bilder waren so real gewesen. Sein Unterbewusstsein hatte ihm seine schlimmsten Befürchtungen vor Augen geführt. Der Schreck saß tief in ihm drinnen und in dieser Sekunde wurde ihm klar, er würde alles daran setzen, dass dies nie Wirklichkeit werden würde. Erneut drangen Andreas gefühlvolle Worte zu ihm durch.

    „Ben? Was war denn? Du hast so furchtbar geschrien! Was ist los mit dir? Hast du Schmerzen?“ Der Dunkelhaarige schüttelte leicht den Kopf. Er konnte ihr doch nicht erzählen, was er geträumt hatte. Niemals.
    „Nicht der Rede wert, Andrea! Es geht wieder!“, wiegelte er leise ächzend ab. Andrea kannte Ben gut genug, um an seinem Blick und seinem abweisenden Verhalten zu erkennen, dass da mehr gewesen war, aber sie momentan nichts aus ihm herausbekommen würde. Die letzten Minuten hatten ihr Angst gemacht. Nicht nur ihr, auch Aida hatte sich völlig verstört in die hintere Ecke des Schuppens zurückgezogen, als Ben sich hin und her gewälzt hatte, mit den Händen um sich geschlagen hatte. Der Dunkelhaarige hatte dabei laut gestöhnt und aufgeschrien.

    Einmal editiert, zuletzt von Mikel (22. Januar 2017 um 08:17)

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 24. Januar 2017 um 22:48
    • #29

    Einige Zeit später
    Andrea verharrte auf ihrem Beobachtungsposten am Fenster. Nachdenklich betrachtete sie den am bodenliegen Polizisten. Ben lag mittlerweile wieder in einer halb sitzenden Position ruhig auf dem Strohlager. Aida deckte ihn fürsorglich mit der Steppdecke zu und setzte sich neben ihn. Zu gerne hätte Andrea gewusst, was den jungen Polizisten emotional so aufgewühlt hatte. Waren es seine Verletzungen, seine Schmerzen oder hatte er im Traum die schrecklichen Misshandlungen des Morgens erneut durchlebt. Ein paar Mal hatte sie noch versucht in ihn zu dringen, etwas aus ihm herauszulocken. Keine Chance … er blieb schweigsam und stur. Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr, dass er einen Alptraum durchlebt hatte. Es musste furchtbar gewesen sein. Niemals würde sie den panischen Ausdruck seiner Augen vergessen, mit dem er sie betrachtet hatte, nachdem sie ihn aus seinen Traum gerissen hatte. Wie einen Geist, ja so hatte sie es empfunden, als würde Ben einen Geist erblicken. Noch im Nachhinein lief ihr die Gänsehaut über den Rücken, wenn sie daran dachte.

    Ben beschäftigte sich mit Aida. Abgesehen von seinem Alptraum fühlte er sich nach dem kleinen Erholungsschlaf etwas besser. Er schaffte es abermals, seine Schmerzen soweit in sein Unterbewusstsein zu verdrängen, dass sie erträglich wurden. Ab und an hatte er ein kleines aufmunterndes Lächeln auf den Lippen. Mit seiner einfühlsamen Art schaffte er es, dass auch Aida wieder anfing zu lächeln. Der eingeschüchterte und verängstigte Blick wich aus ihren Augen. Es schmerzte Ben tief in seiner Seele seine kleine Prinzessin so leiden zu sehen. Er hatte mit ihr gesprochen … ein bisschen rumgealbert … ihr Geschichten erzählt … dem Mädchen konnte er seinen wahren Zustand verschleiern … ihr etwas vorspielen. Aida war einfach nur glücklich gewesen, dass Ben mit ihr redete … sie zum Lachen brachte. Es bereitete ihr Vergnügen, dass sie Ben umsorgen durfte. Er musste sich abermals dazu zwingen etwas zu essen. Gleichzeitig reifte in seinen Gedanken der Plan zur Flucht heran, nahm konkrete Formen an … er sollte versuchen noch ein bisschen zu schlafen … Schlaf war das einzige Mittel, welches ihm in seiner momentanen Situation half, dass sich sein Körper weiter etwas erholte, selbst auf die Gefahr hin, wieder einen solch heftigen Traum durchleben zu müssen.

    Andrea bewunderte Ben insgeheim. Es war ihr ein Rätsel, wie er es trotz seines angeschlagenen Zustandes hinbekommen hatte, dass Aida auf einmal wieder strahlte. Es war einfach nur Wahnsinn. Allerdings war der aufmerksamen Beobachterin nicht entgangen, wie er immer wieder bei seinen vorsichtigen Bewegungen vor Schmerzen zusammenzuckte.

    Am Haupthaus tat sich was. Ihre Entführer bewegten sich in Richtung des Schuppens. Andrea konnte deutlich sehen, dass der kleinere Mann in beiden Händen etwas trug. Sie konnte nicht genau erkennen, was es war. Die Strahlen der tiefstehenden Sonne, die zwischenzeitlich Regenwolken vertrieben hatte, trafen direkt auf das vernagelte Fenster und nahmen ihr die Sicht.

    „Achtung! Sie kommen wieder, aber diesmal ohne die Frau!“, warnte sie Ben vor.

    Das Eingangstor wurde ruckartig aufgerissen und grelles Sonnenlicht fiel in das Innere des Schuppens. Geblendet schlossen die beiden Gefangenen die Augen. Aida verkroch sich regelrecht hinter ihre Mutter.
    Mario stand am Eingang und beobachtete abwartend die Gefangenen. Seine Waffe steckte griffbereit im Holster an der Seite. Sein abschätzender Blick musterte den angeschlagenen Polizisten und er gab ein merkwürdiges Brummen von sich. Zufrieden registrierte es Ben und wertete es als Zeichen, dass ihn dieser Schrank als Gegner nicht mehr ernst nahm. Auch sein weiteres Verhalten signalisierte dies dem Polizisten. Gut, dachte Ben bei sich und versuchte alles, den Geiselnehmer in diesem Glauben zu bestärken. Er stöhnte mehrmals lauthals vor sich hin und setzte einen gequälten Gesichtsausdruck auf, dass Andrea und Aida schon erschrocken herumfuhren und zu ihm blickten. Er nutzte seinerseits die Gelegenheit seine Gegner einzuschätzen. Unter seinen halb geöffneten Augenlidern musterte er die beiden. Der Verletzte machte sich nichts vor, in seinem jetzigen Zustand hatte er alleine keine Chance, die beiden Entführer auf einmal auszuschalten. Ja … er hatte eine Idee … Doch zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass der kleine Dicke grinsend auf ihn zukam. In seinen Augen stand das gleiche sadistische Leuchten, wie bei seiner Schwester. Oh Gott … Nein bitte nicht … nein nicht noch einmal schlagen oder treten. In Ben stieg eine grenzenlose Furcht vor neuen Misshandlungen hoch. Unbewusst fing er an zu zittern. Noch eine Attacke würde er nicht mehr lebend überstehen. Würde alle seine Pläne zu Nichte machen ….

    In der rechten Hand hielt der Dicke eine Stofftasche mit Lebensmittel, die er in Richtung Andrea warf. In der anderen trug er einen Six-Pack Mineralwasser, den er einfach auf den Lehmboden stellte. Dann wandte er sich wieder dem jungen Polizisten zu und holte aus, um auf ihn einzutreten. Ein mahnender Ruf seines Partners, ließ ihn mitten in der Bewegung inne halten.

    „Das würde ich an deiner Stelle nicht machen, Luca! Du weißt genau, was Gabriela gesagt hat. Wir sollen ihn in Ruhe lassen. Diese wandelnde Leiche gehört ihr. Leere den Eimer aus und anschließend nichts wie raus hier!“

    Der Dicke zuckte kurz zusammen. Oh ja, Gabriela. Ihr sollte er lieber nicht in die Quere kommen. Er hatte in der Vergangenheit schon mehrfach erlebt, wozu seine Schwester fähig war, wenn sie wütend wurde. Ja, seine große Schwester sollte er lieber nicht ärgern. In seinen Augen war der Polizist eh schon so gut wie tot, wenn ihn seine Schwester nochmals bearbeitete. Als er den geleerten Eimer für die Notdurft zurück brachte, stellte er ihn zurück in die Ecke. Auf dem Weg zum Tür blieb er bei Ben stehen. Luca hielt seinen Kopf ein bisschen schief und überlegte, ob der Polizist, so wie er da lag, morgen früh überhaupt noch am Leben war. Bei diesen Gedanken huschte ein sadistisches Grinsen über sein Gesicht. Na so ein kleines Trittchen macht da doch keinen Unterschied mehr. Als könnte Mario seine Gedanken lesen, fauchte er ihn wütend an „Denk nicht mal dran Luca!“ Er ging zu seinem Cousin, packte ihn an der Schulter und riss ihn zurück. „Los! Raus jetzt!“

    Ben schnaufte erleichtert auf, als er die Worte „des Schrankes“ vernahm. Der Dicke gehorchte ohne zu widersprechen. Die beiden ungleichen Männer verließen wortlos den Schuppen.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 27. Januar 2017 um 21:48
    • #30

    Zurück auf der Dienststelle
    Nach seiner Rückkehr hielt es Semir nicht sehr lange in seinem Büro aus. Er bedrängte Frau Krüger solange, bis diese ihre Zustimmung gab, dass er zusammen mit Dieter Bonrath noch mal die ehemalige Nachbarin und den Bewährungshelfer von Nicholas Schneider persönlich befragen konnte. Die Gespräche brachten leider keine neuen Erkenntnisse. So verging der Nachmittag. Der Türke und seine Kollegen kamen bei ihren Ermittlungen einfach nicht weiter.
    Es war mittlerweile Abend geworden. Die nächsten Stunden bis zum Anbruch der Nacht verliefen ereignislos. Trotz wiederholter Nachfragen konnte die Firma HSG zwar noch ein paar vereinzelte Objekte im Großraum Köln nennen, die auf Anweisung des LKAs Düsseldorf, das sich zwischenzeitlich in die Ermittlungen miteingeschaltet hatte, sofort unter Objektschutz gestellt wurden. Aber die versprochene Liste der Gebäude, die außerhalb von Köln lagen, lies noch auf sich warten. Semir befand sich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Wut, Frust und Verzweiflung wechselten sich ab mit seinem unbändigen Willen, die Hoffnung nicht aufzugeben, die Entführten wieder wohlbehalten in seine Arme schließen zu können.

    Im Schuppen … im Nirgendwo
    Zäh zogen sich die nächsten Stunden bis zum Anbruch der Dunkelheit hin. Weder der schwarze Sprinter, noch ihre Bewacher ließen sich nochmals sehen. Ben dämmerte während des frühen Abends nach dem spärlichen Abendessen erneut in einen tiefen Erholungsschlaf hinüber. Andrea hatte bis zur völligen Finsternis an ihrem Beobachtungsposten ausgeharrt. Es war eine sternenklare Nacht. Der Mond hatte fast seine Vollmondphase erreicht und entsprechend groß war seine Leuchtkraft. Durch die Ritzen zwischen den Brettern verirrten sich ein paar spärliche Lichtstrahlen in den Schuppen und warfen gespenstische Bilder an die Wand. Als Ben sich sicher war, dass Aida tief und fest schlief, sprach er Andrea an. Er hatte vorher gründlich darüber nachgedacht, wie offen und ehrlich er zu ihr sein sollte.

    „Andrea? Bist du noch wach? Wir müssen reden!“ Leise und abgehackt kamen seine Worte.
    „Ja“
    „Dir ist klar, was es bedeutet, dass die Entführer ohne Masken bei uns aufgetaucht sind, ihr Verhalten heute und gestern und was die mit uns vorhaben?“ Er versuchte sich dabei etwas aufzurichten. Aida hatte sich wie am gestrigen Abend an sein unverletztes Bein herangekuschelt.
    „Ja! Ben, ich habe furchtbare Angst. Die wollen uns hier nicht mehr weglassen oder?“ Ihre Stimme vibrierte vor Furcht … „Die bringen uns um …. Alle! Oh mein Gott … Aida…. !“ Der Rest ging in einem Aufschluchzen unter.
    „Die wollen keine Zeugen. Die hatten schon gestern darüber geredet, dass sie uns beide beseitigen wollen. Wir müssen fliehen und können nicht drauf warten, ob uns jemand finden wird bzw. befreien wird!“
    Andrea nickte zustimmend, bis sie daran dachte, dass es Ben ja wahrscheinlich in der Dunkelheit nicht sehen konnte und murmelte ihre Zustimmung.

    „Gut!“ er bemühte sich weiterhin leise zu sprechen. „Du lockerst die Bretter am Fenster … wir wecken Aida und ihr versucht in der Dunkelheit zu entkommen. Denn machen wir uns nichts vor, eine Flucht durch das Fenster können wir in meinem Zustand vergessen. Und wenn die Kerle was merken, hätten die uns schneller eingeholt, als wir bis drei zählen können.“
    „Nein! … Nein! … Ich lass dich hier nicht alleine in diesem Schuppen zurück. Die würden dich sofort umbringen … Außerdem wo sollen wir hinlaufen im Wald bei Nacht? Wir werden uns verirren? … Bei Tag könnte man sich orientieren …!“, protestierte sie energisch gegen Bens Vorschlag, der so etwas schon befürchtet hatte. Er spürte ihre Angst und ihren Widerstand und überlegte, mit welchen Argumenten er Andrea zu einer Flucht in der Nacht überreden könnte. Und gleichzeitig wurde ihm bewusst, er konnte sie nicht dazu zwingen. Darum lenkte er ein. „Also gut! Bei Plan B bleibt nur noch die Tür und wir müssen die Beiden zumindest eine Zeit lang außer Gefecht setzen, um einen Vorsprung zu bekommen.“ Bei sich dachte er, damit ihr einen Vorsprung bekommt. Er schnaufte einmal kurz durch. „Ohne deine Hilfe werde ich wohl nicht mal alleine auf die Beine kommen. Und wie lange ich bei einer Flucht zu Fuß durch den Wald durchhalte … keine Ahnung!“
    „Verstehe doch Ben, ich lass dich in diesem Schuppen nicht zurück. Auch nicht im Wald. Niemals …“, fiel sie ihm ins Wort.

    „Vergiss es und sei vernünftig! Wenn es hart auf hart kommt, ist nur noch eines wichtig. Du musst dich und Aida in Sicherheit bringen. Verstanden! … Die werden euch töten … uns töten! …. Versprich es mir Andrea!“ Er hielt dabei ihre Hand fest und forderte sie nochmals auf „Versprich es mir!“ - „Ja, Ben! Aber ich kann dich doch nicht …!“ fast schon heißer wisperte sie diese Worte. Ben ahnte, dass ihr dabei die Tränen über die Wangen liefen. „Wenn ich mit euch nicht Schritt halten kann und zurückbleiben muss, kümmerst du dich nicht um mich! Irgendwie werde ich es schon schaffen, mich in ein Loch zu verkriechen, damit die mich nicht finden. Wenn ihr es geschafft habt, schickst du mir deinen türkischen Hengst, der rettet mich dann schon!“
    „Oh Gott Ben, weißt du, was du von mir verlangst?“, schluchzte sie. Sie hielt seinen Arm fest gedrückt. „Ja, Andrea ich weiß es! Glaube es mir, ich weiß es! Denk an Aida, sie hat noch ihr Ganzes Lebens vor sich! Denk an deine Tochter! …. Das ist alles was zählt oder willst du dir vorstellen, was die ihr antun könnten! Hast du die Blicke des Dicken gesehen? … Und vergiss nicht Lilly und Semir, die beiden brauchen dich, warten auf dich!“ Es zerriss ihm fast das Herz, dass er sie mit diesem Versprechen so quälen musste.
    Und dann erklärte er ihr seinen Plan B. Unter Tränen besprachen sie alle Details. Es war ihre einzige Chance … Hoffentlich kam die Schwarzhaarige nicht zurück. Denn sonst wäre alles verloren.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 30. Januar 2017 um 21:38
    • #31

    Lange lag Ben noch wach. Seine Schmerzen peinigten ihn und ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Er starrte die gegenüberliegende Bretterwand an, sah wie die Lichtstreifen und Punkte des Mondlichtes sich bewegten. Ben war innerlich völlig aufgewühlt, grübelte nach und suchte Antworten. Einmal hatte er noch den verzweifelten Versuch gestartet Andrea zu einer Flucht in der Nacht zu überreden. Als sie ihm aber von der Rotte Wildschweine erzählte, die vergangene Nacht die Gegend um den Schuppen unsicher gemacht hatten, verstand er ihre Ängste und Bedenken und gab endgültig auf.
    Andrea hatte sich leise in den Schlaf geweint. Gerne hätte er sie tröstend in den Arm genommen, ihr ein paar beruhigende Floskeln zugeflüstert, doch es ihm fiel nichts ein. Irgendwann verrieten ihre gleichmäßigen Atemzüge, dass sie schlief. Unbewusst hatte sie ihren Arm um Bens Oberkörper gelegt und sich an ihn herangeschmiegt. Sie suchte Schutz, den er ihr in seinem angeschlagenen Zustand eigentlich nicht geben konnte. Er war von der Berührung total überrascht geworden und konnte nur mühsam einen Schmerzensschrei unterdrücken. Beruhigend streichelte er ihr über den Rücken und über ihr Haar und flüsterte: „Euch wird nichts passieren! … Alles wird wieder gut!“ Ein leises „Semir … Semir!“ kam gemurmelt als Antwort zurück.

    Sobald Ben die Augen schloss, waren sie wieder da, die schrecklichen Bilder seines Alptraumes. Der Anblick, wie Andrea blutüberströmt in sich zusammensank, hatte sich förmlich in sein Gehirn eingebrannt. Tief in seinem Innersten spürte Ben, diesmal würde Semir nicht rechtzeitig kommen, um ihn zu retten …. Seine Familie zu retten. Wie würde sein Freund und Partner sagen: Bauchgefühl … ja das ist wohl der richtige Ausdruck dafür. Der dunkelhaare Polizist hatte eine Entscheidung getroffen. Sie mussten sich selbst helfen und befreien. Über das Gespräch mit Andrea grübelte der Verletzte nach. War ihm die Täuschung gelungen? Ben hatte in Andrea die Hoffnung geweckt, dass er, wenn er einmal auf den Beinen stand, zusammen mit ihr und Aida zu Fuß durch den Wald fliehen könnte…. Du schamloser Lügner, schalt er sich selbst … Wenn er in seinen Körper, den er dank seiner Begeisterung für Sport sehr gut kannte und einschätzen konnte, hineinhorchte, war das Ergebnis niederschmetternd … vernichtend ... Die Tatsachen sprachen eine andere Sprache … Die unzähligen Prellungen und Blutergüsse sandten unentwegt ihre Schmerzsignale aus. Gut … gestand er sich zu, er hatte schon öfters mal eine auf die Mütze bekommen, war ja nichts Neues. Es würde zwar beim Laufen höllisch weh tun, aber Zähne zusammenbeißen, dann war es schon auszuhalten. Das kleine Männchen, das in seinem Kopf hämmerte, hatte schon viel an Kraft eingebüßt … das Schwindelgefühl legte sich mit jeder Stunde, die verstrich. Dank des Schlafes klangen die Auswirkungen der Gehirnerschütterung langsam ab … Seine malträtierten Rippen peinigten ihn bei jedem tiefen Atemzug. Ben war sich sicher, er war hart im Nehmen irgendwie könnte er all diese Schmerzen schon irgendwie wegstecken … ging ja früher auch schon. Dies alles würde den verletzten Polizisten an einem Fluchtversuch zu Fuß nicht hindern.

    Doch all diese Schmerzen waren im Verhältnis nichts zu dem, was sich in seiner rechten Flanke und seiner rechten Rückenseite abspielte … gar nichts. Die Schmerzen kamen wie in Wellen und strahlten in den Bauch, trieben Ben durch ihre Intensität fast in den Wahnsinn. Mehr als einmal hatte er das Gefühl innerlich zu verbrennen … Die Tritte der Dunkelhaarigen hatten ganze Arbeit geleistet. Da war mehr kaputt gegangen … Ben hatte Angst, furchtbare Angst davor innerlich zu verbluten, bevor die beiden Mädels in Sicherheit waren. Zu oft hatte er schon auf der Autobahn dramatische Situationen erlebt, wie Unfallopfer an ihren erlittenen Verletzungen unter den rettenden Händen von Notärzten und Sanitätern innerlich verbluteten. … Während des Nachmittags … bei seinen Ausscheidungen … alles war blutrot gewesen. Der Schock saß noch tief in ihm drinnen. Ben machte sich nichts vor, er gehörte in ein Krankenhaus, in die Hände von Ärzten, wenn er eine Chance zum Überleben haben wollte. Ha, ha … der Dunkelhaarige stellte sich gerade Semirs Gesicht vor, wenn er hört: Ben Jäger geht freiwillig in ein Krankenhaus. Fast hätte der junge Polizist bei der Vorstellung lauthals aufgelacht. Pfeifend entwich ihm seine Atemluft …. Oh shit …. Das tat weh. …. Ganz schnell war er wieder in der Realität gelandet. Er zog sein rechtes Bein an und tastete mit den Fingerkuppen über den Verband am Oberschenkel. Der fühlte sich trocken an, die Stichverletzung hatte aufgehört zu bluten. Die alles entscheidende Frage war, würde er morgen früh das Bein belasten können? Ja, vielleicht auftreten können aber niemals rennen, wenn es notwendig würde. … Oh man, gestand Ben sich ein, er sollte froh sein, wenn er in seinem Zustand mit Andreas Hilfe überhaupt auf die Beine kam.
    Komm, hör auf zu träumen Ben Jäger und sei ehrlich zu dir selbst. Du hast keine realistische Chance aus diesem Gefängnis lebend rauszukommen, selbst wenn der Fluchtplan optimal funktionierte, redete er mit sich selbst. … Es wird zu einem Kampf kommen. Selbst wenn das Wunder geschah und die Entführer sich ausschalten ließen, bestand die Gefahr einer neuen Verletzung für ihn … und die war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. In diesem Fall musste Ben Andrea und Aida dazu bringen, ihn zurückzulassen. Doch wie? Das würde ein hartes Stück Überzeugungsarbeit bedeuten. Ben vertraute auf Andreas Vernunft … ihre Mutterinstinkte, ihre Tochter zu schützen. … Oder nahm das Schicksal ihm vielleicht die Entscheidung ab. Egal! Sein erklärtes Ziel war es, Andrea und Aida die Flucht zu ermöglichen, selbst wenn es dem jungen Polizisten das Leben kosten würde. Ben war bereit dazu, das er seinem Freund Semir einfach schuldig. Der Türke brauchte seine Familie, wie die Luft zum Atmen. Er würde schon darüber hinwegkommen, wenn er erneut einen Partner verlieren würde. Und er, Ben Jäger? Wer würde ihn denn schon groß vermissen? Vielleicht Julia, seine Schwester? Aber die hatte ihren Mann Peter und war mitten in der Familienplanung. Seinen Vater war er doch eh egal, seitdem er sich entschlossen hatte zur Polizei zu gehen … ja … ihn würde niemand vermissen. Niemand … Über diese Gedanken dämmerte Ben in einen unruhigen Schlaf hinüber.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 2. Februar 2017 um 21:23
    • #32

    Andrea war schon bei Sonnenaufgang wach. Wie vereinbart weckte sie Ben, während Aida noch weiterschlief. Gemeinsam nahmen sie ein spärliches Frühstück ein, das recht wortkarg verlief. Es gab nicht mehr viel zu besprechen.
    Ben nickte Andrea aufmunternd zu. „Ok, fangen wir an Andrea. Sei vorsichtig, wenn du die Bretter hier lockerst! Sie dürfen nicht zu bald auf den Lärm aufmerksam werden.“ Mit eiserner Verbissenheit löste Andrea ein paar Bretter aus der Abtrennung heraus. Mit Wut hämmerte sie mit der Faust so lange dagegen, bis sie die beiden gewünschten Teile in der Hand hielt.
    „Mama, was machst du da?“, kam es leise und verschlafen.
    „Guten Morgen Aida, mein Schatz! Mama versucht für Ben eine Art Stock zu finden, damit er aufstehen kann. Pass mal auf und hör mir genau zu! Wenn ich es dir sage, gehst du dort hinten in die Ecke! Da bleibst du und bewegst dich nicht! Verstanden!“ Das Mädchen nickte ihrer Mutter zu und biss in das bereitgelegte Toastbrot.

    Währenddessen hatte sich Ben ein wenig aufgerichtet. Mit dem Rücken lehnte er gegen die Schuppenwand und bereitete sich innerlich auf den nächsten Schritt vor. Andrea ging neben ihm in die Hocke. Der junge Mann fürchtete sich vor dem Kommenden. Jede Bewegung bedeutete eine Tortur für ihn, überflutete seinen Körper mit Wellen aus Schmerzen. Dennoch winkelte der Dunkelhaarige sein unverletztes linkes Bein an, stemmte seinen Oberkörper hoch und bemühte sich mit Unterstützung von Andrea aufzustehen. Sein Atem ging keuchend und pfeifend. Er japste nach Luft. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Er hielt sich krampfhaft an Andreas Schulter und der Wand des Schuppens fest. Als er sich ganz aufgerichtet hatte, fing sich alles an zu drehen … der Boden schien zu schwanken … er schloss die Augen und wartete darauf, sein Gleichgewichtsgefühl wieder zu finden. Das Schlimmste stand ihm noch bevor… das Auftreten auf dem verletzten Bein … der erste Schritt. Ben konzentrierte sich auf die Aufgabe, die vor ihm lag und versuchte alles andere einschließlich der Schmerzen aus seinem Kopf zu verdrängen. Ihm war Andreas sorgenvoller Blick nicht entgangen.
    „Alles gut! …Es wird alles gut!“ beruhigte er sie. „Bring mich an die richtige Stelle hinter der Tür!“

    Und dann musste sein verletztes Bein das erste Mal Gewicht übernehmen. Der Schmerz zog von den Zehenspitzen bis unter die Haarspitzen … wie ein glühender Lavastrom durchflutete er seinen Körper. Nachdem er es schaffte, sich zu überwinden, humpelte er die paar Schritte auf Andreas rechten Arm und den provisorischen Stock gestützt, den er wie eine Krücke benutzte. Schweißgebadet erreichte er die richtige Position und holte Luft … vor seinen Augen tanzten bunte Sterne … ok, Kumpel reiß dich zusammen, die erste Hürde hast du genommen, den Rest kriegst du auch noch hin … Er lehnte sich an die Wand des Schuppens, um so das Gleichgewicht nicht zu verlieren. In seinen Händen hielt er seine provisorische Krücke … das Brett. Sein linkes Bein musste hauptsächlich sein Körpergewicht tragen. Er hob das Brett probeweise an … oh fuck dachte er sich … er konnte es gerade mal bis auf die Höhe seiner Brust anheben … mehr ging nicht. Wie sollte er da noch Kraft hinter seine Schläge bekommen? Vor Wut hätte er aufheulen können. Diese Verbitterung setzte ungeahnte Energien in ihm frei.

    „Gut Andrea! Lock sie an! Ich bin bereit!“

    Andrea klopfte mit den Fäusten verbissen gegen die Bretter des vernagelten Fensters, trat wiederholt mit einem Fuß dagegen und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sich die Holzlatten trotz ihrer massiven Bemühungen nicht lockerten. In der Nacht wäre sie wohl an diesem Hindernis kläglich gescheitert. Doch ihr jetziges Ziel war, die Entführer sollten den Eindruck gewinnen, dass ihre Geiseln fliehen wollten. Nach wenigen Minuten tat sich was im Wohnhaus, die Haustür öffnete sich und eine Person kam in schnellen Schritten auf den Schuppen zugeeilt.
    „Du hast Recht Ben, der schickt tatsächlich den Dicken allein zu uns rüber!“
    Zufrieden schnaufte Ben auf. Dieser Teil des Plans schien zu funktionieren. Er hatte auf die Bequemlichkeit des Großen gesetzt und dass dieser ihn als Gegner voll unterschätzen würde. Durch die Anspannung und Aufregung wurde sein Körper ohne Ende mit Adrenalin vollgepumpt. Das half ihm seine Schmerzen in den Hintergrund zu verdrängen.

    Der Riegel wurde aufgeschoben und das Tor öffnete sich. Andrea stand direkt im Blickfeld des Entführers. Hinter ihrem Rücken hatte sie geschickt eines der gelockerten Bretter verborgen. Gabrielas Bruder trat ein und suchte mit seinen Blicken den Boden des Schuppens nach Ben und Aida ab. Bevor er reagieren konnte, schlug Ben, der seitlich neben der Tür stand, mit seinem langen Brett auf den Mann ein.
    Dieser heulte vor Wut auf, schrie quietschend nach seinem Kumpel „Mario, Mario hilf mir!“ Dann drehte er sich um die eigene Achse und wollte sich mit ausgestreckten Armen auf den jungen Polizisten stürzen. Dabei lief er mitten in einen Volltreffer hinein. Der nächste Schlag von Andrea traf ihn mit voller Wucht von hinten, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er fiel auf die Knie. Dabei heulte und quietschte der Dicke in den schrillsten Tönen lauthals vor sich hin, dass sich Aida die Ohren zu hielt. Bens nächste Treffer landeten am Kopf … am Hals … am Oberkörper des Geiselnehmers. Ben merkte, wie seine Kräfte schwanden und er hauchte ein kraftloses „Andrea! Schnell! … Gib ihm den Rest!“ Und Andrea schlug zu … all ihre Wut und Verzweiflung lagen in dem Schlag, der den Geiselnehmer am Hinterkopf trag. Der dicke Gangster röchelte kurz auf und fiel mit dem Gesicht nach unten zu Boden, ein letzter kraftvoller Hieb von Andrea auf den Kopf gab ihm endgültig den Rest und schickte ihn ins Reich der Träume.

    Schwer atmend lehnte Ben mit seinem Rücken an der Schuppenwand. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Der Angriff hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er gedacht hatte. Langsam ebbten die Schmerzwellen in seinem Körper wieder ab und er registrierte wieder, was um ihn herum passierte. Sein erster Blick galt dem am Boden liegenden Gangster. Er bemerkte, dass unter dessen Hals Blut hervorsickerte. Er betrachtete das Brett in seiner Hand und erkannte am Ende die Spitze eines rostigen Nagels, der wie ein Mahnmal herausstand. Vermutlich hatte er den Dicken damit verletzt, als er ihn einen der Schläge gegen den Kopf und Oberkörper verpasst hatte. Egal dachte er sich, Mitleid war hier nicht angebracht, nachdem wie die Typen ihn behandelt hatten. Sollte sich doch später sein Kumpel um ihn kümmern und ihn verarzten.

    „Es wird nicht mehr lange dauern, dann kommt „dieser Schrank“. Der wird sich nicht so leicht überwältigen lassen Andrea!“, presste der junge Polizist schwer atmend hervor. „Du musst den Mops durchsuchen! … Los mach! … Vielleicht trägt er eine Waffe bei sich, dass würde unsere Aktien deutlich steigern! … Und ein Handy! Wir brauchen ein Handy!“

    Die Frau seines Freundes kniete sich neben den bewusstlosen Mann nieder und tastete geschickt ihn ab. „Ben, er hat kein Handy bei sich!“ Als sie in die Blutlache griff, schrie sie erschrocken auf. Nach kurzer Zeit wurde sie trotzdem noch fündig und hielt triumphierend eine Pistole in der Hand.

    Keine Sekunde zu früh … die schnellen Schritte einer sich nähernden Person waren zu hören. … Mario kam …

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 5. Februar 2017 um 22:33
    • #33

    „Luca? Luca, wo bist du? Was ist los!“, erklang die dunkle Stimme von Mario als er über den Waldweg rannte. Vor dem Schuppen verlangsamte er seine Schritte. Ben hielt den Atem an. Würde Mario ebenfalls so leichtsinnig in ihre Falle tappen? Das Geräusch einer Waffe, die entsichert wurde, durchbrach die Stille. Durch die Bretterwand hörte der dunkelhaarige Kommissar die gepressten Atemzüge seines Gegners. Durch ein Handzeichen gab er Andrea zu verstehen, dass sie sich aus dem Sichtbereich des Schuppentors zurückziehen sollte.

    „Ihr Schweine! Ihr verdammten Schweine, was habt ihr mit Luca gemacht?“, heulte Mario wütend auf. Er konnte von seiner Position am Eingangstor seinen am bodenliegenden Cousin erkennen, um dessen Hals und Kopf sich eine riesige Blutlache ausgebreitet hatte. „Ich bringe euch alle um!“, drohte er wutentbrannt weiter. Vorsichtig, die Schuppentür im Rücken schlich er in den Schuppen. Die nachfolgenden Ereignisse überschlugen sich und geschahen innerhalb weniger Sekunden.

    Ben ergriff die Initiative und versuchte die Aufmerksamkeit des Gangsters auf sich zu ziehen. „Hallo Arschloch! …. Suchst du mich?“, zischte er ihn von der Seite her an. Auch Mario rechnete nicht damit, dass Ben neben der Tür des Schuppens stand. Die Waffe im Anschlag drehte er sich in Richtung der Stimme und zog sofort den Abzug der Waffe durch. Ben zuckte zusammen, als die Kugel wie ein Peitschenhieb über seine linke Seite strich. Trotz des brennenden Schmerzes schaffte es der Polizist, mit dem Holzbrett auf den Geiselnehmer einzuschlagen. Der Angriff lenkte ihn den entscheidenden Moment von Andrea ab. Aus dem Augenwinkel erkannte Mario zu spät, dass die Frau eine Pistole auf ihn gerichtet hatte.

    „Lass die Waffe fallen oder ich schieße!“, forderte sie ihn energisch auf.

    „Das traust du dich doch eh nicht, du Miststück!“ Der Gangster zögerte einen Moment, er wusste nicht so recht, auf wen er sich zuerst stürzen sollte, attackieren sollte. Mario dachte gar nicht daran der Aufforderung von Andrea Folge zu leisten. Statt dessen lachte er hämisch auf und wollte nochmals auf Ben schießen. Andrea hatte keine andere Wahl … hier ging es nur noch ums nackte Überleben und so zog sie den Abzug durch. Am Arm getroffen, fiel der Mann auf die Knie, drehte sich in ihre Richtung …und sie schoss ein zweites Mal … sah, wie Mario einen Schlag gegen die Brust bekam. Die Waffe entfiel seiner Hand. Ben nutzte seine Chance, ihn durch einen Schlag mit dem Brett auf den Kopf endgültig bewusstlos zu schlagen … der Entführer sank zu Boden.

    „Und jetzt nichts wie raus hier! Komm Aida mein Schatz!“, forderte Andrea ihre Tochter auf ins Freie zu laufen.

    „Andrea … durchsuche ihn! Wir … brauchen … ein Handy!“ Seine linke Seite brannte wie die Hölle … etwas Warmes lief ihm am Bein hinunter … nicht stöhnen … nichts anmerken lassen … Mühsam, auf das abgebrochene Brett gestützt, humpelte Ben hinter Aida ins Freie. Dabei wankte er bedrohlich. Ständig hatte er das Gefühl, dass er das Gleichgewicht verlieren und zu Boden stürzen würde. Aida stand neben ihm und schaute ihn mit ihren dunklen Augen voller Hoffnung an „Gehen wir jetzt zu Papa Ben?“ Er konnte nur nicken.

    Andrea trat ebenfalls ins Freie und erschrak bis ins Mark, als sie den jungen Mann, der nur wenige Meter von ihr entfernt auf dem Trampelpfad stand, bei Tageslicht näher betrachten konnte. Oh Gott… seine Haare hingen ihm von Blut und Dreck verklebt in Strähnen herunter. Sein Gesicht war kreidebleich. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Ein dünner Schweißfilm überzog sein Gesicht. Die Qualen der letzten Tage, der letzten Minuten, waren deutlich darin zu lesen. Seine Körperhaltung verkrümmt … eine Schonhaltung um möglichst wenig Schmerzen zu erleiden … das rechte Hosenbein … Der Verband … blutdurchtränkt … mehr und mehr wurde Andrea bewusst, in welch schlechten Zustand sich ihr junger Begleiter tatsächlich befand. Es grenzte schon an ein Wunder, dass er sich noch auf den Beinen halten konnte … dass er sich überhaupt fortbewegen konnte.

    „Andrea verschließ den Schuppen! Schnell! Das Handy …. Hast du ein Handy?“, ächzte er gequält. Ein Handy war seine letzte Hoffnung auf mögliche Rettung. Andrea hielt ein Smartphone in der Hand. In ihm wollte sich schon Erleichterung breit machen, als er das zerschossene Display erkannte. „Das bescheuerte Ding hat dem Typen das Leben gerettet Ben!“ Sie zeigte es ihm und warf es anschließend wutentbrannt in die angrenzende Schlehenhecke.

    Ben seufzte gequält auf. Ok, das ließ sich nicht mehr ändern. Es blieb nur noch die Flucht zu Fuß. Geblendet vom grellen Licht der Sonne blinzelte er. Der verletzte Polizist versuchte sich zu orientieren …. Zu konzentrieren … die Umgebung … die Gebäude … den Waldrand … und die Zufahrtsstraße… einen Fluchtweg zu finden. Krampfhaft versuchte er sich daran zu erinnern, was die beiden Gangster wegen Gabriela gesagt hatten … die wollte doch heute wieder kommen … damit fiel der Zufahrtsweg als Fluchtweg aus. Blieb nur der Ausweg mitten durch den Wald. Oh Gott … wie sollte er das nur schaffen?

    Er spürte wie seine Knie weich wurden, seine Beine den Dienst versagen wollten. Ben überlegte schon aufzugeben, sich einfach auf den Boden fallen zu lassen … der Gedanke war so verlockend.
    Andrea kam auf ihn zu. Ihre Blicke, mit denen sie ihn musterte, sprachen Bände.
    „In welche Richtung wollen wir gehen Ben?“ Er deutete in Richtung des Waldrandes. Zwischen dem Dickicht aus Brombeersträuchern und Schlehen war eine kleine Lücke.
    „Da rüber! Los …. Macht schon … wir müssen hier weg!“
    „Komm stütz dich auf mich!“ forderte sie ihn auf, ihre Hilfe anzunehmen. Bevor Ben reagieren konnte, nahm sie seinen linken Arm und legte ihn auf ihre Schulter. Unwillkürlich streifte ihre rechte Hand seine linke Flanke. Nach dem ersten Schritt schrie er vor Schmerzen auf. Andreas Hand zuckte erschrocken zurück. Sie hatte etwas Warmes, etwas Feuchtes gespürt. Eine furchtbare Ahnung stieg in ihr auf.

    „Es geht … so … nicht …. Andrea! Lass mich … alleine … laufen“, keuchte er. Das was als gutgemeinte Hilfe und Erleichterung gedacht war, fügte ihn nur mehr Qualen zu, als wenn er alleine laufen würde. Zusätzlich hatte sie unbewusst die Schusswunde berührt.

    „Der Kerl … die Kugel … er hat dich getroffen! Ben! Warum … hast du nichts gesagt?“ fragte sie ihn vorwurfsvoll. „Lass mich sehen! Ich muss die Blutung stoppen!“ Sie blickte ihm direkt in die Augen und sah seinen verzweifelten Blick, im gleichen Augenblick bereute sie ihre Worte. Wortlos öffnete sie ihre grüne Jacke und riss aus ihrem Shirt einen breiten Streifen heraus. Vorsichtig zog sie das T-Shirt des Polizisten hoch und hielt die Luft an. Die Kugel hatte eine tiefe Furche eine Handbreit unterhalb des linken Rippenbogens hinterlassen. Sie drückte das Stück Stoff wie eine Kompresse auf die Wunde. Der Hosenbund fixierte es. Dabei hatte sie erneut Gelegenheit die rechte Rückenseite des jungen Mannes zu betrachten. Die Hämatome waren in dunkellila übergegangen und zusätzlich waren noch deutliche Schwellungen zu sehen.
    Kein Laut kam über Bens Lippen. Er hörte wie sein Herz raste, während die Schmerzen wie Feuerlohen durch seinen Körper tobten. Krampfhaft hielt er sich an dem Brett fest. Während Andrea versuchte die Blutung zu stoppen, hatte er seine Augen geschlossen und versuchte so flach wie möglich zu atmen.
    „Ok, so müsste es gehen Ben!“ - „Du sagst nichts dazu?“, presste er hervor „Sieht es so schlimm aus?“ Sie nickte und hatte dabei Tränen in den Augen. Ihr war klar, was gerade in ihm vorging. „Ich lass dich nicht hier Ben! Ich lass dich nicht zurück! Denke nicht einmal daran!“, wisperte sie energisch. Es gab ein Mittel, um ihn zu motivieren, dass er nicht aufgab, dass er weiter um sein Leben kämpfte. Fast hasste sie sich selbst dafür, was jetzt machte. Ihr Blick fiel auf ihre Tochter. „Ben, schau dir Aida an! Das kannst du ihr doch nicht antun!“, flehte sie ihn förmlich an. Die dunklen Augen des Mädchens strahlten ihn so hoffnungsvoll an.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 9. Februar 2017 um 07:01
    • #34

    „Ist gut Andrea! … Ist gut!“, hauchte er schmerzerfüllt. „Gib mir einen Augenblick!“ Er schloss seine Augen und lauschte seinem Herzschlag, seiner Atmung und versuchte den Schmerz in die hinterste Ecken seines Bewusstseins zu drängen.

    Ok …Ben Jäger … du bist hart im Nehmen! Irgendwie musst du es schaffen… zumindest ein paar Schritte … komm reiß dich zusammen! dachte er bei sich … die paar Schritte zwischen die Bäume, die schaffst du noch Ben, versuchte er sich selbst weiter zu motivieren. Und dann … wer weiß … wenn sie einmal im Wald unterwegs waren … Hauptsache die beiden Mädels brachten sich in Sicherheit.
    „Geht … vor! Na los! … Ich schaffe … es schon … und … komme irgendwie … hinterher!“
    Jeder Schritt kostete ihn eine fast übermenschliche Anstrengung. Die Schmerzen tobten durch seinen Körper. Sie ließen sich einfach nicht verdrängen … waren da … peinigten ihn. Ganz fest hielt er seine Zähne zusammengebissen … seine Lippen aufeinandergepresst, um nicht bei jedem Schritt lauthals aufzuschreien. Vor seine Augen tanzten bunte Sterne. Immer wieder verschwammen die Bilder. Er war froh, dass er Andrea mit der Kleinen voran geschickt hatte und so dem Mädchen sein leidender Anblick erspart blieb.

    Vorsichtig darauf bedacht, ja keine falsche Bewegung zu machen, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen konnte, humpelte er auf dem Brett gestützt hinter den beiden her. Sein Blick war immer stoisch geradeaus gerichtet, fixiert auf Andreas Rücken. Ihre grüne Jacke wirkte wie ein Leuchtpunkt, der ihn anzog, hinter sich herzog. Er bewegte sich wie in Trance. Zwischendrin stützte er sich an vereinzelten Baumstämmen ab und schnappte keuchend nach Luft. Mit jedem Schritt, den er machte, schwanden seine Kräfte.

    Er nahm die zum Leben erwachende Natur um sich herum überhaupt nicht wahr. Überall spross frisches Grün aus dem Boden. Die blühenden Buschwindröschen verkündeten mit ihren zarten weißen Blüten den nahenden Frühling. An den Bäumen sprangen die Knospen auf … zartes Blattgrün zeigte sich an deren Spitzen. Für Ben war der Waldboden übersät mit Hindernissen … morsche Äste, die der Wind abgebrochen hatte. Laub, das vom gestrigen Regen glitschig und nass war. Hier und da ragten die Stümpfe von abgebrochenen Bäume wie Mahnmale in die Höhe. Anfangs war das Gelände noch eben … doch es wurde immer abschüssiger … scheinbar war der Einsiedlerhof auf einer Anhöhe erbaut worden.

    Er lauschte nach dem Geräusch eines sich nähernden Autos. … Nein, da war nichts … es war nur seine Einbildung. … Da … wieder ein Geräusch … hinter ihm … das Knacken eines Astes. Er warf einen angstvollen Blick über die Schulter. Wurden sie verfolgt? Ein neuer Schub Adrenalin pulsierte durch seine Adern. Nichts war zu sehen … nur das zarte Blattgrün an den Zweigen der Bäume und des Unterholzes. Er atmete erleichtert auf. Hoffentlich kam Gabriela nicht so schnell zurück, sonst war die Flucht schneller zu Ende als gedacht. Ben war klar, dass er mit seinem langsamen Tempo Andrea und Aida aufhielt, sie behinderte …

    Ben hatte jedes Gefühl für Raum und Zeit verloren. Er konnte nicht sagen, wie viele Meter sie bereits zurückgelegt hatten oder wieviel Minuten vergangen waren, seit sie den Schuppen verlassen hatten und mitten durch den Wald liefen. Sein Körper war schweißgebadet. Sein Herz raste. Nur noch seine ungeheure Willenskraft hielt ihn auf den Beinen und brachte ihn Meter für Meter vorwärts.

    Das Gelände fing an noch abschüssiger zu werden und ging über in einen steilen Abhang. Er benötigte erneut eine Erholungspause und lehnte sich an einen Baumstamm an. Sein geschundener Körper war am Ende. Seine Augen und Ohren spielten ihn ständig Halluzinationen vor und er nahm seine Umwelt nur noch wie durch einen Wattebausch wahr. Er schüttelte seinen Kopf und wollte die verschwommenen Bilder vor seinem Auge verscheuchen. Er löste sich vom Stamm und stützte sich auf seine provisorische Krücke. Sein Blick richtete sich nach vorne in Richtung auf Andrea und ihrer Tochter, die bereits am Fuße des Abhanges angekommen waren und auf ihn warteten. Aber so viel konnte er vor sich erkennen, die steile Böschung war mit Felsen übersät, die aus dem Waldboden ragten. Grünes Moos bedeckte ihre Oberfläche. Er überlegte, keine Chance, niemals würde er da runter kommen. Selbst wenn Andrea ihm in dem abschüssigen Gelände behilflich war. Er hatte keine Kraft mehr. Die Flucht war für ihn an dieser Stelle zu Ende. Nur wie sollte er das den beiden da unten klar machen? Übelkeit stieg in ihm hoch, seine Umgebung fing an sich zu drehen. Er schloss kurz seine Augen und wollte sich am Baumstamm festhalten und griff daneben. Seine Beine versagten den Dienst und knickten ein. Er verlor endgültig seinen Halt und das Gleichgewicht. Die Welt fing an sich zu drehen.

    Von unten erklang ein Schrei des Entsetzens „Beeeeenn! Neeeeiiiiiin!“

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 14. Februar 2017 um 21:03
    • #35

    Auf der Dienststelle …

    Am nächsten Morgen, kurz nach acht Uhr. Semir hatte im Bereitschaftsraum geschlafen und sah trotzdem völlig übernächtigt aus. Susanne machte sich nicht nur große Sorgen um die drei Vermissten, sondern auch um den kleinen Kommissar. Der Türke war nur noch ein Schatten des Mannes, der gestern Morgen die PAST betreten hatte. Die Verzweiflung stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Er weigerte sich etwas zu essen, trank nur noch Kaffee. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sein Körper gegen diese Strapazen streiken würde. Die ganze Situation wirkte auf alle Beteiligten der PAST wie ein nicht enden wollender Alptraum.
    Gemeinsam mit Susanne und Dieter Bonrath saß er mittlerweile im Büro seiner Chefin und hielt die nächste Tasse mit dampfenden Kaffee in der Hand. Zusammen überflogen sie die Meldungen der vergangenen Nacht, welche Einbrüche und Überfälle sich im Großraum Köln und dem gesamten Ruhrgebiet ereignet hatten und verglichen sie mit der Gebäudeliste der Firma HSG, die Susanne vor fünf Minuten gemailt bekommen hatte. Frau Krüger landete den Volltreffer.
    „Da lesen sie selbst!“
    Sie reichte ein Stück Papier an Semir weiter. Dieser riss erstaunt die Augen auf, als er die Meldungen der Überfälle der vergangenen Nacht las.
    „Verdammt, Herr Reeder, erzählte gestern was davon, dass sie damals einen Großauftrag in einem Bürogebäude im Düsseldorfer Industriehafen an Land gezogen hatten. Er konnte sich nur nicht mehr an den Auftraggeber und die Adresse erinnern. Oh hätte ich bloß energischer nachgefragt.“ Zerknirscht raufte er sich seine kurzen Stoppelhaare, „Ja und er meinte, dass Herr Schneider kurz darauf gekündigt hatte. Ob es genau das Objekt ist? Ich kümmere mich mit Susanne darum Frau Krüger! “

    Susanne nickte zustimmend und folgte Dieter Bonrath aus dem Büro. „Einen Moment noch Herr Gerkhan! Schließen sie die Tür und setzen Sie sich nochmal hin!“, forderte ihn Kim Krüger auf. Verwundert blickte er seine Chefin an und nahm auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch Platz. Seine Hände legte er auf die Schreibtischplatte und seine Finger spielten mit dem Zettel, den ihm seine Chefin vor wenigen Minuten gegeben hatte. Diese zögerte einen Augenblick, schloss die Augen und atmete tief durch. Sie beugte sich leicht nach vorne und umschlang mit ihren Händen die des Türken.

    „Herr Gerkhan, auch wenn wir momentan nicht wirklich mit den Ermittlungen vorankommen, können Sie sicher sein, dass ich von meiner Seite aus alles unternehmen werde, damit wir ihre Familie und auch Ben Jäger finden werden. Ich meine damit wirklich alles.“ Sie hatte dabei so einen Ausdruck in den Augen, der Semir signalisierte, dass seine Chefin, die sonst auf die Einhaltung der Dienstvorschriften größten Wert legte, bereit war, diese über den Haufen zu werfen.
    „Danke! Ich weiß das zu schätzen!“ Er erhob sich aus dem Sessel und wollte das Büro seiner Chefin verlassen, als die Tür von außen geöffnet wurde. Der Türke blieb wie erstarrt stehen.

    „Hartmut? Was machst du denn hier? Ich dachte, du liegst im Krankenhaus?“, kam es erstaunt aus Semirs Mund. Noch ein bisschen blasser als sonst, mit einem schönen weißen Verband um den Kopf, stand der Rothaarige in der Tür.

    „Jenny hat mir erzählt was passiert ist. Du wirst doch nicht glauben, dass ich mich da ins Krankenhaus lege“, antwortete der vorwurfsvoll zurück. Sein Blick richtete sich auf Frau Krüger. „Vielleicht kann ich euch helfen. Ich habe in der besagten Nacht noch die Fingerabdrücke in dem schwarzen Audi gesichert. Wenn nicht alles verbrannt ist, habe ich möglicherweise ein paar Antworten für Euch!“

    „Danke Herr Freund. Geht’s wirklich? Frau Dorn soll Sie rüber in die KTU bringen und bei ihnen bleiben. Die Fahrzeughalle wurde zwar komplett zerstört, die restlichen Räume waren zwar stark verraucht und sind zwischenzeitlich laut den Kollegen wieder nutzbar.“

    Nicht nur Semir atmete erleichtert auf. Seinen Kollegen aus der KTU wieder mit im Team zu wissen, war eine große Bereicherung. Wenn sonst keiner eine Spur zu den Tätern fand, Einstein entdeckte vielleicht den entscheidenden Hinweis.

    Zurück im Nirgendwo
    Der unkontrollierte Sturz ging über die am Waldboden liegenden abgebrochenen Äste, herausragenden Wurzeln und abgestorbenen Baumstümpfe und Steine. Er spürte wie diese von allen Seiten auf ihn einstachen, als sich etwas wie ein glühendes Stück Eisen in seine linke Rückenseite bohrte, bevor sein Absturz von einem Baumstamm endgültig gestoppt wurde. Er wusste nicht mehr wo oben und unten war. Als seine rechte Flanke anschlug, hatte er es Knirschen gehört. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst und vor seinen Augen tanzte ein Funkenregen. Das Gefühl sein Körper sei in mehrere Stücke zerteilt worden machte sich in ihm breit. Der Schock verebbte und mit seinem Verschwinden setzte der Schmerz ein. Zuerst kam er nur ahnungsweise, um ihn wie eine Welle zu überrollen. Er schrie seine ganze Not hinaus. Seine markerschütternden Schmerzensschreie durchhallten die Stille des Waldes. Die Höllenfeuer, die in seinem Inneren tobten, ließen sich dadurch nicht beeindrucken. Übelkeit stieg in ihm auf und er würgte und röchelte.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 17. Februar 2017 um 07:12
    • #36

    Andrea, die längst auf dem Weg zu Ben war, um ihn bei dem schwierigen Gelände behilflich zu sein, hatte die Hälfte des Abhanges überwunden, als er stürzte. Sie zuckte zusammen und blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Aufschrei erstarb beim dem Anblick, der sich ihr bot, es war grauenhaft. Es schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Hilflos war sie gezwungen, den Sturz des jungen Polizisten mit anzusehen.

    Jeden Schlag gegen einen Busch… einer aus dem Boden stehende Wurzel … Steinbrocken … seine Aufschreie …es war für sie, als würde sie seine Schmerzen wie Nadelstiche selbst körperlich verspüren. Und trotzdem hatte Ben noch Glück im Unglück. Im oberen Drittel des Hanges stoppte der Stamm einer riesigen Eiche endgültig den Absturz. Wäre sein Fall bis zum Ende des Abhanges gegangen …nein, das hätte er nicht überlebt … ein Schauer durchlief sie bei diesem Gedanken.
    „Aida! Bleib da unten stehen! Ich muss Ben helfen!“, schrie sie erregt ihrer Tochter zu.
    Ohne eine Antwort des Mädchens abzuwarten, stürmte sie das letzte Stück des Hanges bis zu dem jungen Mann hoch. Ihr Herz begann zu rasen. Vor dem Verletzten kniete sie sich nieder. Der dunkelhaarige Polizist winselte nur noch vor Schmerz. Sein Gesicht war von Kratzspuren übersäht, aus denen in kleinen Rinnsalen das Blut hervorsickerte….

    Ben spürte wie jemand neben ihn kniete und über das Gesicht strich. Durch einen Schleier nahm er wahr, dass es Andrea war. Er stöhnte auf „Oh Gott Andrea, … es tut so furchtbar weh … Oh Gott hilf mir doch!“ Seine Hände hatte er in den Waldboden gekrallt, so dass das Weiße der Knöchel hervortrat. Sie konnte in dem Moment nur im Ansatz erahnen, was für Höllenqualen der Verletzte durch litt.
    Warum nur? … Warum nur musste das ausgerechnet jetzt passieren? Hatte Ben noch nicht genug gelitten?
    „Ben! … Oh Gott, Ben, wie kann ich dir helfen!“ Ihre Worte klangen so hilflos … so hilflos wie sich in diesem Augenblick fühlte.

    „Andrea!“, japste der Verletzte. Er zitterte. Wie ein heißer Feuersturm fegten die nächsten Schmerzwellen durch seinen geschundenen Körper. Er bekam keine Luft … hatte das Gefühl ersticken zu müssen … seine gebrochenen Rippen …seine Lunge … hatte sich eine der gebrochenen Rippen da reingebohrt …. sein Rücken … sein Bauch … er bäumte sich förmlich auf … schrie vor Schmerzen lautstark auf … jedes Körperteil rebellierte und sandte seine eigenen Höllenqualen aus. Er schrie gequält bis ihn seine Stimme verlies. Andrea strich ihm beruhigend über die Haare. „Ben! Alles wird wieder gut! Versprochen ….“, hielt seine Hand umschlungen.

    „Andrea … Andrea ….ich … kann nicht … mehr! Es …geht … nicht mehr… Lass … mich hier … liegen! Geh! …. Bring … Aida … in Sicherheit …!“, leise stöhnend kamen die Worte abgehackt über seine Lippen. Aus seinem Mundwinkel sickerte ein kleiner Blutfaden aus hellrotem Blut. Zu ihrem Entsetzten bemerkte die Frau seines Freundes wie sich unterhalb des linken Rippenbogens das T-Shirt des Polizisten mit frischem Blut durchtränkt wurde. Die Schusswunde war wieder aufgebrochen, war ihr erster Gedanke …. Doch …

    „Oh Gott Ben, auch das noch!“ stöhnte sie. „ … dein Rücken … du blutest wieder… Ich versuch,… die Blutung zu stillen, … dazu muss ich dich bewegen! Verstehst du?“

    Der Verletzte nickte ganz leicht. Hastig streifte Andrea ihre grüne Jacke ab und zog ihr Shirt aus. Sie fasste Ben an, zog sein Shirt nach oben. Nein … nein … das durfte nicht wahr sein. Oberhalb des Streifschusses hatte sich ein spitzer Stein oder die Spitze eines Baumstumpfes, der aus dem Boden ragte, seitlich in Bens Rücken reingebohrt und eine klaffende Wunde hinterlassen. Jede Bewegung löste neue Welle von Schmerzen in ihm aus … Bens Aufschreie gingen Andrea durch Mark und Bein. Mit ihrem Shirt drückte sie ganz fest auf die Wunde und versuchte die Blutung zu stillen. Beim Versuch seine angezogenen Beine auszustrecken, fing er erneut an, fürchterlich aufzustöhnen und schrie seine Pein heraus.

    „Nein … nein … nicht … anfassen… Lass meine Beine …. Mein Bauch …uuahhh mein Bauch …. Nicht anfassen!“ immer und immer wieder stieß er gequält diese Worte hervor.

    „Ist gut Ben! …Ben …. Alles gut!“, versuchte Andrea sich und Ben zu beruhigen. „Hör zu! Ben, hörst du mich! Unten am Weg … ich denke, ich konnte den Waldrand sehen … verstehst du! Wir haben es fast geschafft! Ich hole Hilfe!“ Dabei schob sie Laub unter seine angezogenen Beine, damit er sie ein wenig bequemer ablegen konnte. Das Gesicht des Verwundeten war in den letzten Minuten noch bleicher geworden. Ein Schweißfilm bedeckte es. Er hielt die Augen geschlossen. Seine Atmung ging gepresst, teilweise röchelnd und abgehackt.

    „Kann ich noch irgendwas für dich tun?“ Tränen liefen ihr über die Wangen, tropften auf das Gesicht des Verletzten herab und vermischten sich mit dem Blut, das aus den kleinen Risswunden sickerte.

    „Nein … lass mich … nur … einfach … so … liegen! Gib … mir … die Waffe! … Und… geh! …Geh! … Denk … an Aida! …Geh endlich!“, hauchte er. Innerlich hoffte er nur noch, dass es bald vorbei sein würde und er von seinen Qualen erlöst werden würde. Krampfhaft umschlang der den Griff der Pistole.

    „Ben, du musst durchhalten, hörst du? Du musst kämpfen, für uns deine Freunde, für die Kinder! Wir sind doch deine Familie. Gib nicht auf! … Hörst du Ben! … Gib nicht auf! …. Wir brauchen dich! Ich schick dir Semir!“, beschwor sie ihn.

    Andrea hatte das Gefühl, dass langsam das Leben aus dem Körper des verletzten jungen Mannes wich. Sie strich ihm über die Haare, küsste ihn auf die Stirn und drückte ihm die Hand zum Abschied.
    Innerlich dachte sie nur noch … halt durch … Bitte …bitte … bitte halt durch!

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 19. Februar 2017 um 20:55
    • #37

    Auf der PAST
    „Semir, Frau Krüger kommt mal schnell alle her!“ Der Ruf von Susanne hallte durch das Großraumbüro. Erwartungsvoll blickten alle Anwesenden in Richtung der Sekretärin.
    „Hartmut hat sich gemeldet. Er hat einen Treffer in der Datenbank gelandet. Er konnte neben Nicolas Schneider die Fingerabdrücke einer weiteren Person, die der Beifahrerin identifizieren!“
    Während dessen ging sie zur Videowand in Semirs Büro. Dort präsentierte Susanne das Foto einer hübschen dunkelhaarigen Frau.
    „Darf ich vorstellen? … Das ist Gabriela Kilic. Wir wissen leider nicht sehr viel von ihr. Sie kam zusammen mit ihrem Bruder als Kriegsflüchtlinge während des Kosovo Krieges nach Deutschland. Sie war damals 14 Jahre alt. Ihr Bruder ist fünf Jahre jünger als sie. Sprich sie ist mittlerweile so Anfang dreißig. Sie waren in einem Auffanglager für jugendliche Kriegsflüchtlinge in der Nähe von Köln, in dem speziell Jugendliche, die ohne die Begleitung von Erwachsenen in Deutschland ankamen, untergebracht waren. Nachdem sie das Übergangslager verlassen haben, verliert sich ihre Spur. Jemand scheint bewusst alle Hinweise über ihren Verbleib aus den Akten und Unterlagen gelöscht zu haben. Ich habe schon alles versucht, um eine aktuelle Meldeadresse, Sozialversicherungsnummer raus zubekommen. Momentan warte ich noch auf eine Rückmeldung vom Kraftfahrtbundesamt, ob die einen Eintrag über einen Führerschein von Gabriela Kilic haben. Auf etwas Merkwürdiges bin ich gestoßen. Es gibt eine Verschlußakte beim BKA. Frau Kilic scheint in einem Fall, wo das BKA ermittelt hat, vor gut zehn Jahren Kronzeugin gewesen zu sein. Hier sind drei Fotos von ihr, die alle mittlerweile mindestens zehn Jahre alt sein dürften. Von ihrem Bruder existiert nichts, außer dass ich seinen Vornamen Luca herausfinden konnte. Ich habe schon mal versucht über die Hintertür und meinem Kontaktmann beim BKA an die Unterlagen ranzukommen. Keine Chance. Jetzt sind sie gefragt Frau Krüger!“
    „Haben Sie die Aktennummer Susanne oder am besten schicken Sie mir alles per Mail. Ich kümmere mich sofort darum. Und die Schrankmann, soll sich auch mal bewegen. Die kommt bestimmt an die Unterlagen ran!“

    Der Hoffnungsschimmer, der in den Augen des Kommissars aufglomm, erlosch gleich wieder. Frau Krüger drehte sich um, um zum Telefonieren in ihr Büro zu gehen, als sie erneut von Susannes Ruf zurückgehalten wurde.
    „Moment Mal, ich bin noch nicht fertig. Es gibt da noch was!“, versuchte sie erneut die Aufmerksamkeit der Beiden zu gewinnen.
    „Bei dem Einbruch vergangene Nacht in das Technologie Zentrum Düsseldorf Rheinhafen war Nicolas Schneider definitiv beteiligt.“
    Ihre Chefin hielt im Türrahmen inne und drehte sich um. Angespannt legte sie ihre Stirn in Falten, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass die Sekretärin mit ihrem Bericht fortfuhr.
    „Es gab einen Schusswechsel mit den Beauftragten der Sicherheitsfirma von Diamonds & Gems International Ltd. Die entsprechenden Berichte des LKAs habe ich auf den Server gelegt. Nicolas Schneider ist einer der Toten, eindeutig identifiziert anhand der Fingerabdrücke. “

    Zuerst herrschte Schweigen im Büro.

    „Verdammt, verdammt!“, brach es urplötzlich aus Semir heraus. „Was hilft uns das alles weiter? So finde ich meine Familie und Ben nie! Die hatten doch was sie wollten! Und jetzt … jetzt ist der scheiß Kerl tot. Wisst ihr was das heißt? …. Die lassen die drei niemals frei? … Nein … Nie …Niemals … Wer weiß, ob sie überhaupt noch leben?“
    Die letzten Worte schrie er heraus, seine Stimme überschlug sich und dann brach er in sich zusammen. Er konnte einfach nicht mehr …. Tränen der Verzweiflung liefen ihm über das gerötete Gesicht. Er stürmte aus dem Bürogebäude hinaus. Das Gefühl ersticken zu müssen kam in ihm hoch. Luft … er brauchte frische Luft. Vor seinem silbernen BMW blieb er stehen. Mit seinen Handflächen stützte er sich auf der Motorhaube ab. Er konnte einfach nicht mehr. Wann hörte denn endlich dieser Alptraum auf?

    *********
    Irgendwo im Wald …
    „Mama, was ist mit Ben? Warum kommt er nicht mit uns mit? Was ist mit ihm? Deine Hände sind voller Blut, Mama!“, prasselten Aidas Fragen aufgeregt Ihre Mutter ein, als diese zu ihrer Tochter zurückgekehrt war. Sie kniete vor ihr nieder und suchte nach den richtigen Worten, um das Unglück zu erklären.
    „Du weinst ja? Was ist los, ich bin kein Baby mehr Mama!“, forderte sie sehr bestimmt ihre Mutter auf, ihr endlich eine Antwort zu geben. Andrea kämpfte mit sich, damit sie nicht ihre Selbstbeherrschung verlor und schwieg. Sie blickte auf den Waldboden.
    „Sag mir was mit Ben ist! Ich habe ihn doch vor Schmerzen schreien gehört, gesehen wie er gefallen ist. Ich bin doch nicht dumm! Was ist los?“ Dabei schob sie ihre Unterlippe vor und zog eine richtige Schnute und stampfte wütend mit ihrem Fuß auf. Andrea fasste sie zärtlich an der Schulter und schaute sie an.
    „Schatz, … ja … Ben ist gestürzt und … und … hat sich noch mehr … verletzt. Er kann nicht … mehr mit uns … gehen. Aber wir …wir holen Hilfe… für ihn … ja. Wir müssen zu Papa und uns beeilen… für Ben!“

    Etwas würgte in Andreas Hals, als sie stockend mit ihrer Tochter redete. Zustimmend nickte das Mädchen. Die Angst um ihren Ben stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie fasste die Hand ihrer Mutter und gemeinsam folgten sie dem Wanderpfad, der sich am Fuße des Abhanges durch den Wald zog. Entlang des Pfades plätscherte Wasser in einem Bachbett. Andrea entschied sich, dem Lauf des Wassers zu folgen und sie behielt Recht. Schon nach wenigen Metern erkannte sie, wie sich der Waldrand lichtete. Umso schlimmer empfand sie es, den schwer verletzten Freund so kurz vor dem Ziel zurücklassen zu müssen. Sie blickte nochmals über die Schulter zurück hoch zum Hang, wo Ben lag. Dichtes Unterholz und Grashalme verdeckten ihn. Nichts war von ihm zu sehen und zu hören.

    Als sie den Schatten des Walds verließen, umfingen sie die wärmenden Strahlen der Frühjahrssonne. Andrea versuchte sich zu orientieren. Vor ihr lagen Wiesen, die von einem gelben Blütenteppich aus blühenden Löwenzahn überzogen waren. Überall summten Bienen. Sie hatte gehofft, irgendwo einen Spaziergänger oder irgendeine Menschenseele zu entdecken, der hätte helfen können oder einen Landwirt bei der Feldarbeit. Doch sie wurde enttäuscht, sie waren alleine. Eingehend scannte sie ihre Umgebung. Der Wanderweg ging am Waldrand direkt in einen Feldweg über. Sie folgte diesem Weg mit ihren Blicken und erkannte, dass er auf einer der gegenüberliegenden Anhöhe in einen befestigten Flurbereinigungsweg überging. Alle anderen Wege sahen wenig genutzt aus oder führten wieder zurück in den Wald. Die Entscheidung war getroffen.

    Es wirkte alles so friedlich, erinnerte an einen wunderschönen Sonntagsspaziergang mit der Familie. Auch Aida marschierte ohne zu quengeln neben ihrer Mutter her. Recht schnell hatten sie mehrere Bodensenken durchquert und die gegenüberliegende Anhöhe erreicht, als ein vertrautes Geräusch an ihre Ohren drang, die Motorengeräusche von Autos und LKWs. Nicht weit entfernt von der Stelle, wo die beiden sich befanden, musste eine stark befahrene Straße vorbei führen. Sie suchte mit ihren Blicken das Gelände ab und versuchte den schnellsten Weg zur Straße zu finden.

    „Komm, Aida! Wo Autos sind, da sind auch Menschen und damit Hilfe für Ben!“ forderte sie ihre Tochter auf, ihr zu folgen und schneller zu laufen.

    In diesem Augenblick der Hoffnung durchbrach der Schall von einem abgefeuerten Schuß die Stille der Natur aus der Richtung, aus der sie gekommen waren. Andrea zuckte zusammen und ihre Gedanken galten nur einer Person, die sie dort hilflos zurückgelassen hatte: Ben.

    Einmal editiert, zuletzt von Mikel (25. Februar 2017 um 21:44)

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 23. Februar 2017 um 06:50
    • #38

    Zurück im Wald bei Ben

    Er lauschte den Schritten, mit denen Andrea sich entfernte. Wie aus weiter Ferne hörte er, wie sie auf Aida einredete und die beiden sich auf ihren Weg in die Freiheit machten.
    Stille kehrte ein.
    Noch nie hatte er in seinem Leben solche fürchterlichen Schmerzen erlitten. Anfangs hatte er noch seine Hände in den Bauch gekrallt, in der Hoffnung dies würde Linderung verschaffen. Doch die Schmerzen kannten keine Gnade, kamen wie in Wellen … peinigten ihn … quälten ihn … raubten ihn fast die Besinnung. Wie Feuerlohen durchrasten sie seinen Körper. Die Verletzung an der linken Seite brannte wie Feuer. Langsam driftete sein Bewusstsein ab. Ja er sehnte sich förmlich danach, dass ihn die wohltuende Dunkelheit einer Ohnmacht endlich aufnahm.

    Die Bewusstlosigkeit hielt nicht lange an. Die Schmerzen kehrten wieder. Einzig der kühle Waldboden verschaffte ihm ein bisschen Linderung. Hin und wieder streifte ein Grashalm sein Gesicht. Er hörte seinen Herzschlag … wie sein Herz raste. Seine Atmung war ganz flach und er dämmerte vor sich hin. Langsam drangen die Geräusche des Waldes zu ihm durch. Das Zwitschern der Vögel … das sanfte Rauschen der Baumwipfel … alles hörte sich so friedlich an. Das Rascheln der welken Blätter am Boden war ganz nahe. Er zwang sich die Augen zu öffnen … blinzelte … durch die noch lichten Kronen der Bäume verirrten sich ein paar wärmende Sonnenstrahlen bis auf den kühlen Waldboden zu ihm herunter… ein Eichhörnchen äugte zu ihm herüber … neugierig auf seinen Hinterbeinen stehend. Alles schien so friedlich … so still …

    Wieviel Zeit mochte vergangen sein seit Andrea und Aida gegangen waren? Minuten … Stunden er vermochte es nicht zu sagen.

    Plötzlich zuckte das Eichhörnchen zusammen und ergriff die Flucht. Was hatte es denn erschreckt? Waren seine nächsten Gedankengänge. Jetzt hörte er es auch … das Knacken wenn ein Ast bricht … das Stampfen, wenn jemand über den Waldboden rennt … das Knistern der Blätter am bodenliegenden Blätter, wenn sie aufgewirbelt werden. … Hoffnung auf Hilfe … Kam da seine Rettung? Semir? Kam da Semir? Seine Blicke suchten die Quelle der sich nähernden Schritte.

    Und dann sah er ihn …. Mario! Er hatte sich befreien können und ihre Spur gefunden … Er erkannte die Gefahr für Andrea und Aida … Das Adrenalin, das durch seinen geschundenen Körper strömte, setzte noch mal ungeahnte Reserven frei. Ungelenk tastete er mit seinen Fingern über den Waldboden nach der Waffe, die Andrea zurückgelassen hatte und die irgendwo neben ihm lag.

    „Oh wie schön, dich noch mal lebend zu sehen, du Bullenschwein! Ihr habt meinen Freund … meinen Cousin umgebracht!“ Auf einmal sah er das Brett mit dem blutigen Nagel vor Ben liegen. „Du warst es also! Du hast ihn auf den Gewissen!“ heulte er wutentbrannt auf. „Gabriela hätte wirklich ihre Freude an dir gehabt, so zäh wie du bist!“ stieß er hasserfüllt hervor.

    „Schade, dass ich keine Zeit mehr habe, mich mit dir länger zu beschäftigen.“ Er lachte diabolisch auf „Wäre echt ein Spaß geworden! Wo sind denn die Mädels geblieben?“ Er blickte sich dabei suchend um. „Versteh schon! … Hi hi … die hatten wohl keine Lust mehr dich mitzuschleppen! Macht nix … Die krieg ich schon noch! Die gehören mir und die werden dafür büßen, dass ihr Luca umgebracht habt. Dein türkischer Freund sieht sie nie mehr!“, legte er boshaft nach. „Und dir wünsch ich eine schöne Reise in die Ewigkeit!“

    Bei diesen Worten zog er seine Pistole aus dem Hosengurt, entsicherte diese und legte auf Ben an. Mario war sich seiner Sache so sicher, dass er gar nicht auf die Bewegung des am bodenliegenden Polizisten achtete. Wieder unterschätzte er den schwerverletzten Polizisten.

    Ben war innerlich total ruhig geworden …ignorierte seine Schmerzen …sein ganzer Focus richtete sich auf den Gangster? Er betrachtete ihn eingehend. Für ihn war er in diesem Moment wie die Ausgeburt der Hölle. Die eine Kugel, die Andrea heute Morgen im Schuppen auf ihn abgefeuert hatte, hatte ihn am linken Arm schwer verletzt … Blut hatte den Ärmel durchtränkt … ein provisorischer Verband hatte die Blutung nicht endgültig gestoppt. Sein blauer Overall war mit Flecken aus getrocknetem und frischem Blut übersät. Unaufhörlich rann Blut an der Hand entlang und tropfte auf den Waldboden. An der Stelle, wo er stand, hatte sich bereits eine kleine Blutlache gebildet.

    Sein hassverzerrtes Gesicht, welches durch eine Platzwunde am Kopf blutverschmiert war, ließen ihn noch grausamer … noch unheimlicher aussehen, als er schon war. Wieder keimte die Frage in dem jungen Polizisten auf, während er dem Entführer zuhörte, würde er einen letzten gezielten Schuss schaffen? … Die tödliche Gefahr, die von dem Verfolger für Andrea und Aida ausgingen, mobilisierten seine letzten Kräfte.

    Ganz fest umfasste er den Griff der entsicherten Waffe, zog sie unter seinem Körper hervor, hob sie an und zielte. Fast zeitgleich mit Mario feuerte er die Waffe ab. Der Rückschlag der Waffe war so heftig, dass sie seiner Hand entfiel. Während die Kugel des Gangsters in seinem Körper eindrang, konnte er erkennen, auch er hatte getroffen.
    Ungläubiges Staunen breitete sich auf dem Gesicht von Mario aus … sein dunkler Overall färbte sich auf Höhe des Herzens blutrot …. unmittelbar neben der Stelle, die von der Kugel heute Morgen zerfetzt worden war, tränkte den umliegenden Stoff … er fing an ein Stück hangabwärts zu laufen … nach einigen Metern begann er zu torkeln … nach einigen Schritten knickten seine Knie ein … sein Körper brach zusammen … und er rollte dem Abgrund entgegen. Am Fuße des Abhangs neben dem Wanderweg blieb er liegen und hauchte sein Leben aus.

    Der verletzte Polizist wartete drauf, dass der feurige Schmerz sich an der Stelle meldete, wo die Kugel in seinem Körper eingedrungen war. Doch stattdessen vernahm er den dumpfen Fall, als der Körper des Gangsters leblos auf dem Waldboden aufschlug … das Knacken der morschen Äste am Boden, das Rascheln der welken Blätter während er dem Ende des Hanges entgegenrollte. Ben hatte die Gewissheit Aida und Andrea waren gerettet … waren in Sicherheit … Mario konnte sie nicht mehr verfolgen … ihnen nichts mehr antun… alles würde gut werden. Eine unglaubliche Erleichterung machte sich in ihm breit. Er schloss seine Augen und war sich nicht sicher, ob er sie jemals wieder öffnen würde. Das Atmen fiel ihm immer schwerer … war das der Anfang vom Ende … bei diesen Gedanken tanzten plötzlich Bilder der Vergangenheit vor seinem inneren Auge auf, seine Mutter mit ihm in ihren Garten … Szenen seiner Kindheit … seine erste Begegnung mit Semir … die Kollegen auf der Dienststelle … Eine unglaubliche Müdigkeit breitete sich in ihm aus. Er gab den Kampf auf … und eine wohltuende Dunkelheit umfing ihn.

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 28. Februar 2017 um 15:49
    • #39

    Andrea hatte angehalten und sich umgedreht. Mühsam unterdrückte sie den ersten Impuls zurück zu Ben laufen zu wollen. Sie focht einen schweren inneren Kampf mit sich aus. Ihr Blick wanderte von ihrer Tochter in die Richtung aus, der sie gekommen waren. Tauchte am Waldrand ein Verfolger auf? Aus dem Waldstück flatterten Vögel aufgeschreckt hoch gen Himmel.

    „Mama? … Was ist passiert? Kommen die bösen Menschen, um uns einzufangen?“, fragte sie voller Angst. Andrea atmete mehrmals tief durch.
    „Nein mein Schatz!“ Ein Ruck ging durch ihren Körper. Sie mussten weiter. Der befestigte Weg ging über in einen betonierten Wirtschaftsweg und führte sie tatsächlich zu einer Straße. Die Autos bedeuteten Menschen und die ersehnte Hilfe für Ben. Von ihrer erhöhten Position aus konnte sie auf die dicht befahrene vierspurige Straße hinunterschauen. Ein Wildschutzzaun und eine undurchdringliche Hecke aus Büschen, Sträuchern, gespickt mit Dornen und Stacheln, trennten sie noch davon.

    Sie hätte vor Verzweiflung aufschreien können. Der Flurbereinigungsweg verlief parallel zur Schnellstraße. Als sie schließlich eine passende Lücke im Gestrüpp fanden, hob Andrea kurz entschlossen ihre Tochter über den Zaun und stieg hinterher. Eine kleine Böschung führte hinunter zum Straßenrand. Um die Stelle später wieder zu finden, band sie ihren grünen Mantelgürtel deutlich sichtbar an einen Busch fest. Die nächste Enttäuschung wartete auf sie. Es war eine Straße ohne Notrufsäulen. Voller Wut und Entrüstung rief sie gar nicht Ladylike „Fuck!“ und noch ein paar Ausdrücke, wobei sie ihrer Tochter die Ohren zu hielt. Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen? Genau so kam sie sich vor.

    Die beiden stellten sich an den Straßenrand. Durch die Gesten ihrer Arme versuchte sie die Autofahrer auf ihre Notlage aufmerksam zu machen. Sie blickte an sich herunter. Nun ja, sehr vertrauenerweckend sahen sie nicht gerade aus. Ihre Hände waren blutverschmiert. Ihre Kleidung trug deutliche Spuren der Gefangenschaft, war verdreckt, teilweise zerrissen. Ihre eigene Jacke und Aidas Jacke hatten eingetrocknete blutige Flecken. Ihre Hoffnung, eines der Fahrzeuge würde anhalten, um ihnen zu helfen, wurde relativ schnell erfüllt. Ein älterer Mercedes Kombi bremste ab. Der Fahrer war schon genauso in die Jahre gekommen wie sein Fahrzeug. Unter seinem grünen Hut schauten ein paar gutmütige blaue Augen Andrea an. Seine grauen Haare rahmten sein braungebranntes Gesicht ein.
    „Hallo junge Frau! Kann ich Ihnen helfen?“, brummte seine wohlklingende tiefe Stimme.
    „Wir hatten einen Unfall, da hinten im Wald. Ein Freund von mir liegt da noch schwer verletzt. Haben Sie ein Handy, um Hilfe zu rufen?“, sprudelte es nur so aus Andrea heraus, während sie sich bückte und durch das geöffnete Fenster der Beifahrertür ins Innere des Wagens blickte. Der Fahrer schüttelte den Kopf.
    „Tut mir leid, so ein neumodisches Zeug besitze ich nicht junge Frau. Aber ich fahre sie gerne zur nächsten Polizeidienststelle, wenn sie möchten?“, bot er ihr weiter seine Hilfe an. Dabei öffnete er einladend die Beifahrertür. „Na kommen sie schon, steigen sie ein! Ihre Kleine sieht müde und mitgenommen aus.“
    „Kennen Sie die Dienststelle der Autobahnpolizei an der A3? Wissen Sie wie weit es noch bis dahin ist?“
    „Wollen wir uns nicht erst einmal einander vorstellen? Ich heiße Werner Hartner. Und ja, ich kenne die Zufahrt, die zu der Dienststelle gehört. Ich denke, so in gut fünfzehn oder zwanzig Minuten könnten wir dort sein! Hängt ein bisschen vom Verkehr ab.“

    Diese Antwort gab letztendlich den Ausschlag für Andreas Entscheidung. Sie überlegte noch einen Augenblick und zögerte, wog gedanklich alle Möglichkeiten und die Konsequenzen daraus ab. Wahrscheinlich würde nicht so schnell wieder ein Fahrzeug anhalten und wer konnte vorhersagen, wie dessen Fahrer oder Fahrerin reagieren würde. Es galt so schnell wie möglich Hilfe für Ben zu holen. Ihren Kollegen musste sie nicht viel erklären und ja … ihr Semir war dort. Ihr Entschluss stand fest. Sie forderte Aida auf, hinten im Auto Platz zu nehmen, inzwischen stieg sie vorne ein. Herr Hartner drehte sich ein wenig ächzend zu Aida um, seine Körperfülle behinderte ihn dabei ein bisschen.

    „Na Kleines! Möchtest du eine Schokolade? Neben dir auf dem Sitz in der blauen Tasche ist eine Tafel, nimm Sie dir ruhig!“

    „Tut mir leid, ich bin ein bisschen durcheinander. Mein Name ist Andrea Gerkan und das ist meine Tochter Aida. Mein Mann arbeitet als Polizist dort auf der Dienststelle. Bitte bringen Sie uns so schnell wie möglich dahin! Bitte … Ben braucht Hilfe!“

    Unter der Motorhaube des betagten Mercedes verbargen sich etliche Pferdestärken. Wider Erwarten fuhr der ältere Herr recht zügig und sportlich. Nach etlichen Kilometern, einen Autobahnkreuz in dem die Bundesstraße in die Autobahn überging, kam Andrea die Strecke vertraut vor. Sie erreichten tatsächlich nach ca. 15 Minuten die Zufahrt zur Dienststelle. Geschickt lenkte Herr Hartner Andrea während der Fahrt durch ein Gespräch ein bisschen ab. Er war pensionierter Förster und kannte sich in der Gegend, wo er sie am Straßenrand aufgelesen hatte, ganz gut aus, denn er hatte früher hier seinen Dienst geleistet. Durch einige gezielte Fragen hatte er eine gewisse Vorstellung, in welchem Waldstück und an welchem Wanderweg der verletzte Polizist liegen musste. Sein Fahrzeug war von ihm noch nicht richtig vor dem Eingang der Dienststelle gestoppt worden, als Aida ausstieg, die Eingangstür aufriss und laut rufend, reinstürmte.

    „Danke, noch mal Herr Hartner. Haben Sie noch einen Augenblick Zeit, vielleicht können Sie meinen Kollegen die Stelle auf der Landkarte zeigen, wo Ben auf Hilfe wartet.“
    „Natürlich, Frau Gerkhan! Gehen Sie schon mal vor, ich parke nur noch meinen Wagen!“ Andrea stieg aus und der Förster blickte sich suchend um, bis er einen freien Parkplatz für Besucher entdeckte.

    Zwei Polizisten, die im Streifendienst tätig waren, waren auf den Kombi und Aida aufmerksam geworden und kamen herbei geeilt. Freudig und erleichtert wurde Andrea von den beiden begrüßt. Während sie ihrer Tochter ins Innere des Büros folgten, kümmerten sich die beiden Polizisten um Herrn Hartner.
    Mit einem Knall flog die Eingangstür gegen die Wand. Die Blicke der anwesenden Mitarbeiter gingen in Richtung Eingangstür. Schlagartig verstummten die Gespräche.

    „Papa, Papa, … wo bist du?“ rief eine hell klingende Kinderstimme.
    Aida hatte ihren Papa unter den anwesenden Mitarbeitern der Dienststelle sofort erkannt und rannte auf ihn zu. Semir stand vor Susannes Schreibtisch. Beim Klang der Kinderstimme zuckte er im ersten Moment zusammen, drehte sich um und fiel auf die Knie. Mit weit ausgebreiteten Armen stürmte das Mädchen auf seinen Vater zu.
    „Aida … Aida … bist du das wirklich?“, stieß er ungläubig hervor. Überglücklich drückte Semir Aida an sich und küsste sie überall ab. „Oh mein Gott, dass ich dich wieder habe! Wo ist Mami? Wo ist Ben?“
    „Ich bin hier Semir!“, beantwortete sie leise die Frage ihres Mannes.
    Dessen Blick wanderte nach oben in das Gesicht seiner Frau. Er stand auf, nahm Aida auf den Arm und hielt seine Familie fest umschlungen. Tränen der Freude und der Erleichterung rannen ihnen über die Wangen.
    „Andrea … Aida … Oh mein Gott, dass ich Euch wieder gesund wieder habe …!“ immer und immer wieder schluchzte der Polizist auf. Dabei hielt er seine Familie im Arm und küsste abwechselnd seine Frau und Tochter.

    Einmal editiert, zuletzt von Mikel (28. Februar 2017 um 16:13)

    • Zitieren
  • Mikel
    Reaktionen
    60
    Beiträge
    911
    • 5. März 2017 um 10:04
    • #40

    Kim Krüger beobachtete von ihrem Büro aus die Wiedervereinigung der Familie Gerkhan. Erleichterung machte sich in ihr breit und sie hoffte in diesem Augenblick, dass die Entführung ein gutes Ende genommen hatte. Als sie sich auf den Weg machte, um die beiden zu begrüßen, stutzte sie. Sie vermisste etwas. Erwartungsvoll blickte sie zur Eingangstür, in der Hoffnung, dass sich diese öffnen würde und Ben Jäger ebenfalls das Büro betreten würde. Doch nichts dergleichen geschah.

    Neben dem Mercedes-Kombi, der Andrea und Aida gebracht hatte, standen die Streifenpolizisten Geiger und Vollhals und unterhielten sich mit dessen Fahrer. Er war ausgestiegen und lehnte sich am Autodach an und schien den beiden Polizisten irgendetwas zu erklären. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, da es von einem breitkrempigen Hut verborgen wurde. Nur das schulterlange graue Haar quoll darunter hervor. Sie dachte an das Foto, das gestern auf dem Handy von Ben gesendet worden war. Eine furchtbare Ahnung stieg in ihr hoch und sie beschleunigte ihre Schritte. Sie wollte selbst mit dem Fahrer reden. Draußen angekommen, musste sie erst Mal hoch blicken, da der Mann sie um fast einen halben Kopf überragte.

    „Hallo ich bin Kim Krüger, die Leiterin dieser Dienststelle! Danke, dass Sie Frau Gerkhan und ihre Tochter hierher gebracht haben!“

    „Ich bin Werner Hartner. Das habe ich doch gerne gemacht. Ich habe bereits Ihren beiden Mitarbeitern erklärt, wo ich Frau Gerkhan am Straßenrand aufgelesen habe. Sie hat etwas von einem verletzten Polizisten erzählt, den sie im Wald zurücklassen musste. Vielleicht kann ich Ihnen bei der Suche helfen.“, bot er weiter seine Hilfe an. „Ich war früher Förster und kenne diese Region ziemlich gut. Wenn Sie eine Landkarte von der Gegend haben, zeige ich ihnen, wo ich den Verletzten auf Grund der Beschreibungen von Frau Gerkhan vermute.“

    Gemeinsam betraten sie die PAST. Drinnen herrschte nach wie vor die Wiedersehensfreude. Die Kollegen und Kolleginnen hatten die Familie Gerkhan umringt, redeten wild durcheinander. Semir fiel als ersten auf, dass Frau Krüger die allgemeine Freude der anderen Mitarbeiter der PAST nicht teilte. Ihr Gesicht spiegelte ihre Sorgen um Ben wieder. In dieser Sekunde bemerkte auch er das Fehlen seines Freundes. Im Rausch der ersten Wiedersehensfreude mit seiner Tochter und Andrea war es ihm gar nicht aufgefallen. ….

    „Wo ist Ben, Andrea?“, erkundigte er sich leise bei seiner Frau. Er bemerkte in diesem Augenblick erst ihre blutbeschmierten Hände und ihre blutbefleckte Kleidung. Ein entsetzlicher Verdacht kam in ihm auf. Heißer wisperte er: „Ist … Ben …?“ Er konnte es nicht aussprechen.

    „Aida gehst du mal zu Susanne! Holt ihr zusammen einen heißen Kakao!“ Mit diesen Worten schob sie Aida in Richtung ihrer Freundin. Diese hatte verstanden, dass Andrea etwas erzählen wollte, was ihre Tochter nicht hören sollte. Sie wartete einen Moment, bis die Tür zum Aufenthaltsraum sich hinter den beiden geschlossen hatte. Ihre Hand strich über ihren Mund. Sie besann sich … schloss kurz die Augen und begann in Stichpunkten zu berichten, von der Gefangenschaft, den Grausamkeiten der Entführer, die sie Ben angetan hatten und von der gemeinsamen Flucht. Ihr Körper bebte dabei vor Erregung. An der Stelle, als sie von den Schüssen erzählte, die sie gehört hatte, machte sich Entsetzen unter den Anwesenden breit. Tränen stiegen in ihr auf und sie fing an zu zittern. Semir hielt sie ganz fest in den Armen. Schluchzend erzählte sie weiter. Tränen liefen über ihr Gesicht.

    „Ich weiß nicht, ob Ben noch lebt … ob wir verfolgt wurden … es war alles so schrecklich … aber … aber … Herr Hartner kann uns helfen Ben zu finden. Frau Krüger wir müssen zu ihm … ich habe ihm doch versprochen, dass Semir kommt. Und jetzt … jetzt .. verschwende ich Zeit, in dem ich dich begrüße Semir … ich …dich küsse und in den Armen liege … !“ Ihre Worte gingen in einen Weinkrampf über. Die Ereignisse in den letzten Tagen waren einfach zu viel für sie gewesen. Semir versuchte seine Frau zu beruhigen, hielt sie an sich gedrückt, während der ehemalige Förster den anwesenden Mitarbeitern der PAST auf einer Landkarte, die Stelle zeigte, an der er den verletzten Polizisten vermutete.

    Sofort machte sich Frau Krüger auf den Weg zur Leitstelle der PAST, um alle erforderlichen Maßnahmen zur Rettung von Ben Jäger einzuleiten. Als sie den Hörer in der Hand hielt, um den Rettungsdienst, die Bereitschaftspolizei und die Suchhundestaffel zu alarmieren las sie die neueste Meldung, die auf dem Bildschirm aufleuchtete.

    „Oh mein Gott … nein … nein! … Das darf einfach nicht wahr sein!“

    Schrill entfuhren ihr diese Worte. Dabei entfiel der Hörer ihrer Hand. Sie schlug die Hände vor das Gesicht, schüttelte fassungslos den Kopf und stürmte in ihr Büro und ließ die Rollos runter.
    Aufgeschreckt vom Verhalten der Chefin, drückte Semir seine Frau in Susannes Drehstuhl und murmelte: „Ich bin gleich wieder da mein Schatz!“ Einer der älteren Kollegen, der Andrea noch aus ihrer Zeit als Sekretärin der Dienststelle kannte, trat neben ihm und meinte: „Ich kümmere mich um deine Frau Semir!“
    Die wenigen Meter bis zur Leitstelle erschienen Semir endlos. Der Bildschirm zog ihn magisch an. Der Türke spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und sich sein Magen in einen Eisklumpen verwandelte. Eine Sekunde später … Sein Entsetzen war unbeschreiblich, als er die Meldung las, die am Bildschirm aufleuchtete.

    ‚Meldung: Fund zweier männlicher Leichen, beide Anfang dreißig mit Schussverletzungen.‘ Als Fundort wurde genau die Stelle beschrieben, an der Andrea Ben im Wald zurückgelassen hatte. Der Boden fing an unter Semirs Füßen zu wanken, alles drehte sich. In letzter Sekunde schaffte es der Türke sich gerade noch an Schreibtischkante festzuhalten, sonst wäre er haltlos umgekippt. Vorsichtig tastete er nach dem Bürostuhl hinter sich und fiel förmlich auf die Sitzfläche. Dabei raste nur ein Gedanke durch seinen Kopf ‚Ben … bitte nicht! Bitte tue mir das nicht an … Beeeeennnn!‘ Es konnte nicht sein … es durfte einfach nicht wahr sein. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
    Wie aus einer anderen Welt drang Dieter Bonraths Stimme zu ihm durch. Zeitversetzt begriff der kleine Türke, dass er den anwesenden Kollegen der Dienststelle die Meldung laut vorgelesen hatte. Eine unheimliche Stille trat auf der PAST ein.

    • Zitieren

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!

Benutzerkonto erstellen Anmelden

Letzte Beiträge

  • [E360] Meinungen zu "Auf Bewährung"

    Cuntdestroyer69 8. Juni 2025 um 12:49
  • Fernsehpionier stirbt mit 86 Jahren - Trauer um Dr. Helmut Thoma

    PAST 7. Juni 2025 um 19:54
  • Drehorte Berlin 90er Jahre

    Chris-AFC11 30. Mai 2025 um 19:33
  • Alarm für Cobra 11 - Fortsetzung 2024

    PAST 1. Mai 2025 um 19:40
  • Ankündigung: 21. internationales "Alarm für Cobra 11" - Fantreffen

    delol 1. Mai 2025 um 19:07

Heiße Themen

  • AFC 11 Zitate/Sprüche raten

    4.078 Antworten, Vor 15 Jahren
  • 2 Neue Filme ab 14.1.2025

    22 Antworten, Vor 5 Monaten
  • Herbststaffel 2020

    763 Antworten, Vor 5 Jahren
  • [E382] Meinungen zu "Kein Kinderspiel"

    14 Antworten, Vor 5 Monaten
  • Die Person nach mir...

    3.327 Antworten, Vor 16 Jahren

Statistiken

Themen
5.432
Beiträge
153.060
Mitglieder
303
Meiste Benutzer online
16.106
Neuestes Mitglied
Cuntdestroyer69

Benutzer online

  • 2 Mitglieder und 20 Besucher
  • Rekord: 16.106 Benutzer (16. März 2022 um 04:09)
  • Marco
  • Airbus340
  1. Impressum
  2. Datenschutzerklärung
  3. Nutzungsbedingungen
  4. Unterstütze uns
Community-Software: WoltLab Suite™