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Swastika

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  • 13. Juni 2015 um 01:12
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    • 22. Juli 2015 um 23:31
    • #21

    Alte Lagerhalle - 10:30 Uhr


    Kevin fühlte sich auf seltsame Art und Weise in die Vergangenheit zurück versetzt. Er saß mit Annie auf der Couch, auf der er manch schöne Stunde erlebt hat, oftmals high gewesen war, sich betrunken und geprügelt hatte. Sie redeten und die anfänglich leichte Ablehnung des Polizisten, die er in sich gespürt hatte als er Annie zum ersten Mal seit Jahren wieder sah, wich der schönen Erinnerung. Die junge Frau schien ihm diese Ablehnung gar nicht übel zu nehmen, aber was sollte sie auch erwarten. Sie waren damals mehr oder weniger im Streit auseinander gegangen, es gab eine fürchterliche Auseinandersetzung, als sie den damals 17Jährigen vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, und ihm das Ende der Beziehung mitgeteilt hatte. Es war zwar schön, aber Liebe ist so ein großes Wort, sie war noch so jung, und es gäbe noch eine Menge Jungs zu entdecken. Kevin hatte das damals getroffen, und er konnte es nur schwer akzeptieren. Das war das letzte Mal, dass sie ernsthaft miteinander gesprochen hatten, es war einige Monate vor Kevins 18tem Geburtstag und der verhängnisvollen Nacht, in der Janine getötet wurde. Annie hatte sich danach voll ins Leben gestürzt, war öfters mit anderen Jungs zusammen aufgetaucht. Einen von ihnen hatte der eifersüchtige Kevin furchtbar zusammengeschlagen, als er gerade seinen ersten Trip seit vielen Wochen geschmissen hatte. Annie hatte ihn danach angeschrien, sie würde ihn hassen und könne nicht verstehen, auch nur eine Minute Zuneigung zu ihm empfunden zu haben. Jerry war kurz davor, den Jungen aus der Gruppe zu werfen und trainierte mehrere Wochen nicht mehr mit ihm.
    Ja, er hatte oftmals an sie gedacht... nachdem er die erste Trauer verdaut hatte, sich in den Drogen und Alkohol geflüchtet hatte, hatte er oft Sehnsucht nach Annie gehabt, doch er hatte Angst vor neuen Enttäuschungen, Angst vor neuen Schmerzen. Ausserdem war Janine omnipräsent in seinem Kopf, sowie der Rachedurst auf ihren Mörder. Erst mit der Ausbildung zum Polizist konnte er sich ein wenig von der Rache und noch mehr von der Sehnsucht nach Annie ablenken, genauso wie mit zahlreichen Liebschaften, die in ihm aber nie das Gefühl des Verliebtseins erwecken konnten, wie es Annie getan hatte. Erst Jenny hatte das jetzt geschafft, aber auf eine völlig andere Art und Weise, wie er jetzt gerade feststellte.


    Sie wartete auf einen Namen, den Kevin nennen sollte... den Namen des Neo-Nazis, über den er Informationen brauchte um damit auch den Anschlag auf sein Leben, auf seine Gesundheit aufzuklären. "Der Typ heißt Ulrich Richter. Erfüllt quasi jedes Klischee, das man als Fascho erfüllen könnte.", sagte Kevin und konnte sofort eine Reaktion im Gesicht von Annie beobachten, als er den Namen erwähnt hatte. Es war ein Einfrieren ihres Lächelns, sie zog den Mund ernst zusammen und Kevin meinte, ein kurzes, gar ängstliches Mundwinkelzucken erkennen zu können. "Ulrich Richter? Bist du dir ganz sicher?" "Todsicher." Mit einer Hand fuhr sich die junge Frau durch die roten Haare und atmete hörbar aus, während sie den Polizisten ernst ansah. Von ihrem Lächeln war nicht mehr viel übrig. "Wie hast du dich denn mit dem angelegt?", fragte sie, ohne auch nur eine Information heraus zu rücken. Dabei zuckte Kevin mit den Schultern: "Das war mehr Zufall. Jedenfalls hat er angedeutet, dass ich mich in nächster Zeit vorsehen solle, und gestern abend hat mir jemand beim Boxtraining einen Baseballschläger übergezogen. Ich würde gern wissen, mit wem ich es zu tun habe." Annies Blick wandte sich ein wenig ins Misstrauische, und so langsam schien sie sich zu fragen, was der wirkliche Hintergrund war, dass Kevin so ins Visier der rechten Szene geraden konnte.
    "Du kennst den Typen... das sehe ich doch an deiner Reaktion.", sagte er mit ruhiger Stimme und blickte Annie mit seinen hellblauen Augen fest an. Sie nickte langsam: "Ja, ich kenne ihn. Und deswegen würde ich dir raten, dich von ihm und seinen Freunden fernzuhalten."


    Kevin konnte die Sorge in Annies Stimme deutlich heraushören. Die beiden saßen zwar nebeneinander auf der Couch, hatten die Oberkörper aber so zueinander gedreht, dass sie sich direkt in die Augen sahen. Annie hatte dabei ein Bein angewinkelt auf der Couch liegen, so dass sie mit dem anderen Oberschenkel auf ihrem Fuß saß, und hatte beide Hände um das Fußgelenk geklammert, als könne sie sich daran festhalten um nicht nach hinten zu kippen. "Jetzt wirds ja langsam interessant.", sagte Kevin und lächelte ein wenig. Annie presste kurz die Lippen zusammen, bevor sie begann zu reden: "Ulrich gehört zu einer nationalistischen Aktivistengruppe, der Sturmfront. Bei jedem Gedenktag zu irgendeinem, im Krieg gefallenen Nazi marschieren sie ganz vorne mit. Bei NPD-Demonstrationen sind sie oft dabei, als gewaltbereiter nationalistischer Flügel. Eigentlich ist ihnen die NPD viel zu bieder und zu wenig extrem. Das ist wirklich der äusserste rechte Rand."
    Der Polizist hörte mit ernster Miene zu, und nickte nur kurz. "Ich kenne nicht alle Mitglieder dieser Gruppe. Ulrich ist einer davon, dann gibts da noch einen... ähm, warte... Heinrich... hmm... einer nennt sich Lunikoff, was aber wohl kaum sein echter Name ist... und eine der Frauen heißt Tina." Annie hatte, als sie über die Namen nachdachte, kurz den Blick zum Dach der Lagerhalle gewandt, weil sie angestrengt nachdachte. "Ja, mehr kenne ich nicht. Ich weiß nur, dass sie äusserst brutal sind... und das meine ich nicht nur mit Baseballschlägern. Wir haben schon beobachtet, dass sie bei einer Demonstration bewaffnet waren, und ich bin mir sicher, dass sie verantwortlich sind für zwei Morde im letzten Jahr, bei denen zwei Afrikaner getötet worden sind." Kevin konnte sich an den Fall erinnern, der damals im Sande verlief, weil es keine Zeugen, keine Hinweise und keine brauchbaren Spuren gab.


    "Naja, das ist doch schon mal was.", meinte er nachdenklich und strich sich mit dem Finger kurz über die Lippen. Er konnte ein leises Rauschen hören, es kam von oben. Scheinbar hatte es draußen angefangen, nun doch richtig zu regnen, und für einen Moment lauschten die beiden dem Geprassel des Regens. "Hattet ihr schon Probleme mit dieser Sturmfront?" Die rothaarige Frau senkte den Blick kurz, es kam Kevin wie Scham vor. "Du weißt ja, dass wir uns zur Wehr setzen können...", begann sie leise und erntete sofort ein Nicken. Ohja, das wusste Kevin... auch die Mitglieder der Punkszene konnten äusserst unangenehm und skrupellos werden, wenn es um das Thema Gewalt ging. Sie sahen sich allerdings im Recht, wenn sie diese Gewalt nur gegen Nazis einsetzten, und nicht gegen die unschuldige Bevölkerung. Jedoch blieb Gewalt immer noch Gewalt... Kevin war das heute bewusst, früher sah er sich im Recht.
    "... aber ja, mit dieser Truppe hatten wir auch schon Bekanntschaft... und ich bin froh, wenn sie uns in Ruhe lassen.", sagte Annie und ihr Blick fuhr wieder hinauf zu Kevin. "Wir sind bei Demos zusammengestoßen... Vor 3 Jahren haben sie dann eines unserer Konzerte quasi "überfallen", hatten mehrere Jungs und ein Mädchen ins Krankenhaus geprügelt. Es war ein regelrechter Krieg, eine zeitlang. Seit einigen Monaten lassen sie uns in Ruhe, und wir lassen sie in Ruhe." "Und was, wenn sie nochmal bei einer Demo sind, bei der ihr auch seid?", fragte Kevin ein wenig provokativ und sein Gegenüber legte den Kopf ein wenig schief, und zuckte mit den Schultern. War es Resignation, oder Unwissen, weil es seitdem nicht mehr vorgekommen ist? Plötzlich fühlte sich Kevin mehr als ehemaliger Mitstreiter, als als Polizist. "Ihr habt euch den Rechten also ergeben?" Annies Augen verengten sich zu Schlitzen, und ihre Stimme wurde auf einmal giftiger... wie früher, wenn sie sich gestritten hatten. "NEIN!", sagte sie ganz entscheidend und mit erregter Stimme: "Aber wenn wir eine normale Gruppe hirnloser Neo-Nazis mit "Alerta Alerta" beschimpfen, dann strecken die uns den Mittelfinger entgegen und rufen "Antifa Hurensöhne." Wenn sie uns schlagen, dann schlagen wir zurück und umgekehrt. Aber sie kommen nicht mit Pistolen, Ketten und Messern hierher, um uns zu überfallen und um uns zu bedrohen... zu drohen, uns einzeln auf der Straße abzuschlachten, wie sie es mit den Afrikanern getan haben."


    Für einen Moment war es wieder ganz still zwischen den beiden, nur der Regen gab lautstark Antwort. Annies Atem ging schnell, sie lehnte sich wieder ein wenig zurück nach ihrem Wortausbruch. "Wir lieben das Risiko, und uns ist egal, was andere von uns denken, das weißt du... und so warst du früher auch. Aber wir lieben auch unser Leben.", sagte sie etwas leiser. Kevin nickte verständlich, auch ein wenig einlenkend und beruhigend. "Okay. Wenn du mir jetzt noch sagst, wo sie sich treffen... dann hast du mir sehr geholfen." Der Blick aus Annies dunkelblauen Augen blieb direkt in Kevins Blick haften... eine Sekunde, mehrere Sekunden... waren es schon Minuten? Kevin hatte diese Augen geliebt, ihr war darin versunken, er hätte Annie ewig ansehen können. "Das sage ich dir nicht.", sagte die junge Frau mit ernster Stimme und erntete einen unverständlichen Blick. "Weil ich nicht will, dass du dich in Gefahr begibst. Und du brauchst nicht nochmal zu fragen.", gab sie ihm die Antwort, auf das "Warum", was sicher gefolgt wäre. Wenn Kevin etwas kannte, dann Annies Sturheit. Die hatte sie von ihrem Vater, wie sie sagte, einem Engländer, der eine deutsche Frau heiratete. Über ihn kam Annie als Mädchen mit der damaligen englischen Punk-Bewegung in Kontakt, war quasi mit dem The Clash und den Sex Pistols aufgewachsen.
    Er sah keinen Sinn, zu betteln oder zu drohen. Viel eher resignierte er mit einem leisen "Naja...", und brach den mittlerweile intensiven Blickkontakt mit Annie ab. Die hielt das Thema für beendet, und lächelte wieder, wobei sie aber mit etwas nachdenklicher Stimme sagte: "Du hast dich verändert, Kevin." Dies ließ seine Augenpaare wieder auf die rothaarige junge Frau wandern. "Wie meinst du das?" Sie zuckte kurz mit den Schultern, obwohl sie sofort eine Erklärung hatte: "Ich weiß nicht... du wirkst so kalt. Du sprichst nicht viel, du wirkst so emotionslos. Früher warst du ein Energiebündel, du konntest nicht stillsitzen, du hast rumgealbert, mit jedem geredet, viel geredet." Sie blieb kurz still. "Eben hab ich gedacht, dass du dich äusserlich kaum geändert hast. Das stimmt auch. Aber dein Wesen... ich weiß nicht. Es wirkt befremdlich auf mich." Kevin wusste, dass er sich verändert hatte. Vertrauensbrüche, Enttäuschungen hatten bei ihm Spuren hinterlassen, die seinen damals offenen Charakter mehr und mehr verschliessen ließen. "Es ist eben viel passiert in den letzten Jahren.", sagte er in seiner typisch eigenartig monotonen Tonlage. Annies Blick war wie eine Aufforderung, die er sofort abwürgte: "Und ich möchte absolut nicht darüber sprechen... okay?"


    Er stand langsam vom Sofa auf, und spürte, dass die Schmerztabletten offenbar langsam nachließen. "Danke, dass du mir geholfen hast.", sagte er, als sich auch Annie vom Sofa erhob. "Kommst du wieder? Jetzt wo du weißt, dass wir noch hier sind... dass ich noch hier bin?" Der junge Mann nickte... er nickte zwar langsam, aber er nickte, ohne vorher groß nachdenken zu müssen. Ein kurzer Schauer überfiel ihn, als Annie seine Hand ergriff, und nochmal ihre Sorge ausdrückte: "Bitte, leg dich nicht mit diesen Typen an. Egal was passiert ist... wenn sie dich in Ruhe lassen, dann lass es darauf beruhen." Mit einer schnellen Bewegung kam sie näher und drückte ihrem ehemaligen Freund, den sie jahrelang nicht gesehen hatte, aber gerade nach Janines Tod oft an ihn dachte, einen schnellen, kurzen Kuss auf die Wange.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

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    • 24. Juli 2015 um 11:21
    • #22

    Dienstwagen - 11:30 Uhr


    Ben und Semir hatten sich von der Boxschule direkt aufgemacht zu ihrer Streife. Natürlich konnten sie ihren normalen Dienst nicht einfach vernachlässigen, nur weil sie mal wieder nebenbei in einem Fall ermittelten, der sie eigentlich nichts anging. Der erfahrene Kommissar hatte bereis bei seinem Partner bissig angemerkt, wie lange es wohl dauern würde, bis man von der anderen Dienststelle, in diesem Falle vom Staatsschutz ans Bein getreten bekommt, weil man im fremdem Terrain wilderte. "Es müsste doch mittlerweile bekannt sein, dass wir die Mädchen für Alles sind.", antwortete Ben, der das Lenkrad seines Mercedes umklammert hielt und gemütlich auf der rechten Spur die Autobahn in Richtung Norden befuhr.
    Erst vor kurzer Zeit hatten die drei Polizisten Anweisungen des LKAs missachtet und in einem Entführungsfall, von dem auch Semirs Tochter Ayda betroffen war, auf eigene Faust ermittelt. Davor mischten sich Ben und Semir in die Ermittlungen der Drogenfahndung ein, um ihrem Freund Kevin, der mehr oder weniger unschuldig im Knast saß, zu helfen. Ja, mittlerweile waren sie wirklich Spezialisten dafür, sich in Fachbereiche einzumischen, die sie nichts angingen. Die Chefin hatte alle Hände voll zu tun, immer wieder den Kopf ihrer Männer aus verschiedenen Schlingen zu ziehen.


    Ben hing seinen Gedanken von gestern Morgen nach. Er spürte, dass die Arbeit ihm half, diese latente Unsicherheit irgendwie zu verdrängen, die er seit der schweren Schussverletzung, die er sich zugezogen hatte, als sie die Kidnapper verhafteten, hegte und in sich trug. Aber wie würde er reagieren, wenn er wieder in eine gefährliche Situation geriet? Würde er das Risiko scheuen, würde er anders reagieren als in den Jahren zuvor... vielleicht anders, als Semir es vermuten würde? Sowas könnte in ihrem Job gefährlich sein, denn die Stärke der beiden Männer war, dass sie sich blind aufeinander verlassen konnten, dass der Eine immer genau wusste, was der Andere jetzt vor hatte und wie der andere reagieren würde. Wenn jetzt Ben in seiner Unsicherheit in einer gefährlichen Situation anders reagieren würde, als Semir es vermutete... der junge Polizist wollte sich nicht ausmalen, was dann alles passieren konnte.
    Mit einem kurzen Seitenblick sah er herüber zu Semir, der durch die Frontscheibe sah. Sollte er ihm etwas von seinen Gefühlen sagen? Normalerweise konnte Ben mit Semir über alles reden, aber etwas hielt ihn zurück. Semirs Sorgen über Ayda, jetzt die Sache mit den Neo-Nazis... Ben nahm sich nicht so wichtig und stellte seine eigenen Probleme hinten an. Nein, er wollte seinen Freund jetzt nicht noch mit seiner Paranoia belasten. Sie hatten soviele gefährliche Situationen überstanden, warum sollte es jetzt anders sein. Lächerlich! "Was ist?", fragte Semir, denn er spürte den Blick von Ben auf sich, der länger herüberschaute und dabei nachdachte, als er es selber realisierte. "Du bist angespannt.", meinte Ben kurz angebunden, weil er sich ertappt fühlte. "Ja, mir geht die Sache mit diesen Typen nicht aus dem Kopf. Was glaubst du, was die sonst noch so anstellen, wenn sie Gelegenheit dazu haben."


    Semirs Handy unterbrach das Gespräch der beiden Polizisten, und er konnte groß den Namen "Hartmut" von seinem Display ablösen. "Ja, Hartmut? Hast du was gefunden?", meldete er sich sofort in sein Handy. "Hi Semir. Ja, ich hab tatsächlich was. Du kannst dein Auto abholen kommen, und dann kannst du es dir anschauen, was ich gefunden hab.", erklang die Stimme des rothaarigen Mannes aus der Hörmuschel. "Alles klar, wir sind gleich da." Für Ben war das die stumme Aufforderung zum Richtungswechsel, er fuhr die nächste Abfahrt von der Autobahn runter und nahm eine Abkürzung durch die Innenstadt in Richtung KTU.
    Dort parkte er den Dienstwagen auf dem dafür vorgesehenen Parkplatz. Mittlerweile regnete es in Strömen, beide Polizisten zogen sich provisorisch ihre Jacke über den Kopf, bis sie den kurzen Weg zur Eingangstür hinter sich gebracht hatten. Unter ihren Füßen hörten sie klatschende Geräusche auf dem nassen Ashphalt. "Was bringt ihr denn für ein Wetter mit?", fragte Hartmut grinsend, als die beiden langsam unter ihren Jacken hervor gekrochen kamen. "Du hast gut reden, Einstein. Du siehst die Sonne doch höchstens, wenn du an deinem PC ein neues Hintergrundbild aus der Südsee hast.", neckte Ben zurück und die Männer begrüßten sich per Handschlag. Im Hintergrund stand Semirs BMW im glänzenden neuen Lackkleid. "War gar nicht so einfach, die tiefen Kratzer wegzuspachteln. Ich musste einen Karosseriebauer kommen lassen, aber sieht doch gut aus.", sagte er und die drei Männer gingen zu dem Auto hin. Tatsächlich konnte man von den eingeritzten Hakenkreuzen nichts mehr erkennen, der silberne BMW sah aus wie neu geliefert.


    "Und was hast du jetzt rausgefunden?", fragte Semir voller Neugier, nachdem sie ausgiebig das Auto begutachtet haben. "Also...", begann Hartmut, und die beiden Polizisten stellten sich schon mal auf einen längeren Vortrag voller Fremdwörter und Fachlatein ein. "Ich habe von 9 verschiedenen Personen Fingerabdrücke gefunden. Wenn ich davon mal deine, die von Ben, Andrea und Kevin abziehe bleiben 5 verschiedene übrig. Die habe ich dir schon ins Büro geschickt. Eure konnte ich direkt ausschließen, nur den von Andrea müsstet ihr dann selbst noch rausfinden." "Moment mal, woher hast du unsere Fingerabdrücke?", fragte Ben verständnislos, während Hartmut schmunzelte: "Ach Ben. Die Fingerabdrücke sind doch mittlerweile auch auf euren Dienstausweisen. Und glaubst du wirklich, ich hätte darauf keinen Zugriff?" Natürlich glaubte Ben das nicht... Hartmut hatte im Polizeinetzwerk auf alles und jeden Zugriff, warum also nicht auch auf Semirs und Bens Fingerabdrücke.
    "Hast du sonst noch etwas interessantes?" "Ja, und zwar das hier..." Hartmut rollte mit seinem Drehstuhl zu dem großen Computermonitor, öffnete mit schnellen Klicks einen Ordner, in dem einige Bilder abgespeichert waren. "Hier... das habe ich gefunden. Offenbar warst du gestern so aufgeregt, dass dir das entgangen ist." Das rothaarige Genie öffnete mit einem schnellen Doppelklick ein Foto, dass ein Teil des Autos in Nahaufnahme zeigt. "Ganz unten am Seitenschweller, direkt hinter dem rechten Vorderrad habe ich das gesehen. Vielleicht ist es wichtig."


    Semir und Ben rückten mit den Köpfen ganz dicht an den Monitor um das wirklich kleine Zeichen zu entziffenr. "SF", buchstabierte Ben. "Sieht aus wie eine Unterschrift, oder eine Art Signatur.", mutmaßte Hartmut. "Ich habe bereits Google bemüht, allerdings nichts gefunden." "Hmm, wer ist denn so doof und hinterlässt seine Initialien da?", meinte der junge Kommissar und richtete sich wieder auf, weil er seine verletzte Rippe erneut spürte. "Jemand, der stolz auf sein Werk ist... der wieder erkannt werden will.", antwortete Semir und richtete sich ebenfalls auf. "Wir sollten mal die übrigen Fingerabdrücke überprüfen und mal einige Vorbestrafte aus dem rechten Spektrum uns ansehen. Vielleicht finden wir jemanden, dem wir diese Initialien zuordnen können." Dann wandte er sich noch an seinen Freund: "Danke für deine Hilfe Hartmut." "Nichts zu danken.", meinte der und lächelte.

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    • 27. Juli 2015 um 00:17
    • #23

    Innenstadt - 12:00 Uhr


    Der Schmerz begann, langsam aber stetig in Kevins Kopf nicht nur zu pochen... er begann zu hämmern. Und der junge Polizist konnte nicht mal sagen, ob das nur durch seine Gehirnerschütterung ausgelöst wurde, oder vielleicht auch durch das Wiedersehen mit Annie. In seinem Gehirn flogen und fielen soviele Gedanken übereinander, dass er selbst mit klarem Verstand sicherlich Kopfschmerzen bekommen hätte. Er hasste diesen Zustand, diesen Zustand der geistigen Verwirrtheit, wenn er irgendwo saß, wie jetzt gerade in der letzten Reihe des stickigen Busses, und er sich auf eine Sache konzentrieren wollte, und dabei aber von zahlreichen Nebengedanken gestört wurde. Eigentlich wollte er über diese Sturmfront, diese Gruppierung rechter Gesinnungstäter nachdenken, sich im Kopf ein Bild machen um zu überlegen, wie er weiter vorgehen würde, und welche Infos er an seine Kollegen weitergeben konnte. Doch stattdessen sah er Annies rote Haare, spürte ihren Händedruck, fühlte ihren Kuss.
    Er hatte eigentlich damit gerechnet, die erste große Liebe seines Lebens nie mehr wieder zu sehen. Selbst in Zeiten von Facebook und Twitter, was Kevin selbst nicht besaß, hatte er damit nicht gerechnet. Manchmal hatte er es sich gewünscht, oftmals hatte er es sich vorgestellt und gleichzeitig wieder verworfen und sich eingeredet, es nicht zu wollen. Er konnte nur schwer vergessen, wie brutal der Schlag war, denn er verpasst bekommen hatte. Und nun wusste er, wo sie war, war abgeschreckt und zugleich angezogen.


    Der Bus rumpelte durch die Innenstadt, der Schmerz im Hinterkopf pochte bis in die Stirn. Kevin drückte den Halteknopf um im Westteil aus zu steigen. Drei Straßenzüge weiter wohnte Kalle, bei der er aufgewachsen war, ein Transvestit das sich im Körper eines Mannes nicht wohlfühlte. Sie hatte eine Bar von Kevins Vater übernommen, womit der junge Polizist ganz und gar nicht einverstanden war, denn Kevin und sein Vater waren zerstritten. Er hatte es ihm nie verziehen, dass sich Erik Peters nie um die beiden Kinder gekümmert hatte, während beide ihre jeweilige Mutter niemals kennen gelernt hatten. Erik hatte auch, trotz Nachfragen, nie über sie gesprochen und wurde oft handgreiflich. Kalle hatte dann sowohl Kevin, als auch später Janine als Ersatz-Mutter augezogen, wobei der junge Polizist sich als Jugendlicher dann eher von der Straße erziehen ließ.
    Er hatte noch einen Schlüssel für die Wohnung, wo er zwischen seiner Absteige in einem Hochhaus und der jetzigen Wohnung von Jenny eine zeitlang gelebt hatte. Die Begegnung mit Annie hatte ihn an eine Pappschachtel denken lassen, die noch bei Kalle stehen musste... er musste sie jetzt nur finden. Der Polizist stieg die knarzenden Holzstufen hinauf, bis er die Wohnung aufschloß. "Kalle?", rief er kurz hinein, doch scheinbar war seine Ziehmutter nicht zu Hause. Umso besser, musste er sich keine neugierigen Fragen gefallen lassen.


    Für einen Moment rieb er sich über die schmerzende Stelle am Hinterkopf, und dachte daran, dass er sich vielleicht noch mehr Schmerztabletten aus der Apotheke besorgen sollte. Aber irgendwann würden auch die wohl nicht helfen, egal wieviel man in sich stopfte, und er verwarf den Gedanken wieder. Er ging in sein altes Zimmer, schaute dort in den Schrank, auf den Schrank, zwischen zwei Regalen, ob irgendwo der Pappkarton mit alten Erinnerungen stehen würde. Mit einem schmerzhaften Stöhnen bückte er sich, um unters Bett zu sehen, worauf hin sofort der Mann mit dem Presslufthammer in seinem Kopf sich lautstark meldete, um einen weiteren Wandurchbruchversuch zu starten.
    Die Kiste war von Staub bedeckt und wurde mit einem alten Putzlumpen, den Kevin zufällig entdeckte, ein wenig abgewischt. Er würde Kalle später sagen, dass er seine Kiste mitgenommen hatte, damit sie nicht die Polizei anruft und denkt, hier wäre einer eingebrochen... wobei sie den Verlust der Kiste vermutlich niemals bemerken würde. Aber Kevin würde sie dennoch später anrufen und kurz Bescheid sagen.


    Wieder an der frischen, feuchten Luft ging Kevin zu Fuß bis zu einer weiteren Bushaltestelle. Wieder hatte er das Gefühl, jemand würde ihn verfolgen. Der Typ, der hinter ihm auf der Bank unter dem Glashäuschen saß, dass gerade mit frischer Werbung beklebt und Graffitis besprüht war... war der nicht eben schon im Bus, als er hierher gefahren war? Er laß Zeitung, war etwa sein Alter und sah nun gar nicht aus, wie ein typischer Neo-Nazi. Seine braunen Haare hatte er zu einer Elvis-Tolle gegelt, er sah eher aus wie ein Auszubildener bei der Sparkasse. Und doch traf Kevin für kurze Zeit sein Blick, nachdem er merkte, dass er von Kevin angesehen wurde. "Reiß dich zusammen", dachte der Polizist bei sich selbst und rieb sich kurz über die Schläfe. Er hatte den Eindruck, die starken Kopfschmerzen ließen ihn langsam durchdrehen.
    Im Bus wollte es der Zufall, dass der Sparkassen-Typ sich direkt in seine Nähe setzte. Kevin fühlte sich unwohl dabei, er fühlte sich beobachtet obwohl der Typ nicht ein einziges Mal seine Augen auf den Polizisten richtete. Er las die Zeitung, hantierte mit seinem Smartphone oder sah aus dem Fenster. Irgendwann klingelte das Handy des Typs, und er hielt das Smartphone an sein Ohr. "Ja? - Nein, es ist alles klar. Nein, nein, ich pass schon auf. Ich sitz grad in der Linie 10. Nein, Chef... keine Bange, ich lasse ihn nicht aus den Augen und warte den richtigen Moment ab."


    Für Kevin reichte das. Seine Kopfschmerzen waren für einen Moment vergessen, als er sich von seinem Sitz erhob und mit zwei schnellen Schritten bei dem Kerl war, und ihm das Handy aus der Hand riss. "Hört mal zu, ihr Vögel!", schnarrte er ins Handy, und schubste den Typen zurück auf den Sitz, als der sich protestierend erhob und nach seinem Handy greifen wollte. "Ich weiß zwar nicht, was ihr von mir wollt, aber eins kann ich euch versprechen. Ihr werdet mich weder einschüchtern noch kleinkriegen, und wenn ihr mir 100 Baseballschläger über die Rübe haut! Ich krieg euch, das verspreche ich euch!" Kevin war so erregt, dass er erst nach seiner Schimpftirade die Geräuschkulisse am Smartphone hörte... Telefonklingeln, Druckergeräusche und eine überraschte Frauenstimme, die sich nun zu Wort meldete. "Wer sind sie?? Herr Hölzer, sind sie noch dran? Herr Hölzer??" Kevin blickte zu dem Typ auf, der auf einmal völlig verängstigt auf dem Sitz saß und sich am liebsten hitner seiner Zeitung verstecken wollte. "Wer ist das?", fragte der Polizist und hielt ihm das Handy vors Gesicht. "M... meine... meine Chefin. Ich arbeite... arbeite bei einer Aktiengesellschaft... und... und soll den... unsern Kurs im Augen behalten."
    Das Adrenalin in Kevin sank, und er hätte sich wohl gerade selbst ohrfeigen können. Ausserdem blickten ihn mittlerweile mehrere Augenpaare im Bus verwirrt an, die den kleinen Ausraster mitbekommen hatten... aber jeder hatte Angst, gegen den scheinbar aggressiven jungen Mann einzuschreiten. Der warf dem Typ das Handy in den Schoß und murmelte etwas von einer Verwechslung. Zu seinem Glück kam gerade die nächste Haltestelle, und obwohl Kevin noch ein gutes Stück laufen musste, und eigentlich noch zwei Stationen weiter hätte fahren müssen, stieg er aus dem Bus aus und klemmte die Schachter fest unter den Arm. Seine Nerven lagen blank...

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    • 28. Juli 2015 um 15:29
    • #24

    Kneipe "Germania" - 14:30 Uhr


    Rocky war dabei, Gläser hinter dem Tresen zu spülen. Zwei etwas ältere Männer, die keinerlei Ahnung davon hatten, was in den Hinterzimmern dieser Kneipe vor sich ging, saßen in der hinteren Ecke des Tresen, tranken Bier und hielten Smalltalk. Hin und wieder gesellte sich der Neo-Nazi, äusserlich nicht unbedingt als solcher erkennbar, dazu und gab den guten Gastgeber. Sie sprachen über Politik, über die momentane Regierung, und natürlich auch die große Menge an Flüchtlingen, die momentan nach Deutschland herüber kommen. "Wir können doch nicht für jeden und Alles bezahlen hier in Deutschland. Irgendwann reicht es.", sagte der Mann, der um die 60 war und schlug mit der Faust einmal auf den Tresen um seiner Meinung Nachdruck zu verleihen. "Die Menschen tun mir ja leid, aber müssen wir Deutsche nicht mal an uns denken?" Der Mann neben ihm, ungefähr im gleichen Alter stimmte ihm nickend zu: "Der Kindergarten meiner Enkelin musste die Tage schließen wegen des Streiks. Die Erzieher werden nicht anständig bezahlt, aber die Ausländer kriegen es hinten und vorne reingeschoben."
    Rocky hörte zu, er nickte, er sagte ein paar Worte, die nichts von seiner Radikalität preisgaben. Aber er wunderte sich, dass sich auch nur seine abgeschwächte Meinung viel deutlicher in der Mitte der Gesellschaft wiederfand, als noch vor 10 Jahren. Damals wurde man bereits schief angesehen, wenn man das Wort "Asylschmarotzer" nur in den Mund genommen hatte, heute war es Stammtischgespräch... irgendwo immer noch verpönt, aber deutlich verbreiteter. Die Wut in der Gesellschaft auf das politische System stieg immer weiter an, und selbst Menschen innerhalb der Mitte richteten ihre Wut gegen die Politik und waren leicht verführbar, um diese Schuld auch bei den Flüchtlingen zu suchen.


    Der Mann mit den kräftigen Oberarmen ging zurück zu seinem Zapfhahn, um den beiden Männern ein weiteres Pils zu zapfen. Die Stimmung im Volk war gut für das rechte Lager. Deutsche Jugendliche, die in Schulen und in der Freizeit immer öfter mit kriminellen Jugendlichen zu tun hatten, wurden durch die Anonymität des Internets viel gefügiger für Hassbotschaften. Auf Facebook konnte man sich nicht mehr durch politische Diskussion lesen, ohne Ausländerhetze zu lesen. Der Nationalsozialist, der jetzt gerade das zweite Bier anzapfte, regestrierte das mit Genugtuung. Er selbst betrieb einen politischen Blog, in denen er Nachrichten der Welt möglichst ausländerfeindlich darstellte. Statistiken, die gegen die jetzige Flüchtlingspolitik sprachen, wurden ausgeschlachtet, Anschläge im Islam als warnendes Beispiel für Deutschland heran gezogen und die deutsche Politik, das deutsche System kritisiert. Er war erstaunt, dass seine Gefolgschaft, im Neudeutschen "Follower" (was er aber ablehnte) immer größer wurde... und immer radikaler in ihren Kommentaren.
    Er wünschte sich, diese Jungs als Mitglieder seiner Bewegung, seiner Gruppe zu begrüßen. Schrieb er sie übers Internet an, kamen wenn überhaupt, ablehnende Kommentare. Sie seien doch keine Nazis, sie seien doch nicht rechts. Dass sie die kriminellen Ausländer aber am liebsten über die Grenze rausprügeln würden, wäre ja etwas ganz anderes. Das hatte Rocky schon oft gelesen, und natürlich war er und seine Gruppe in ihren Zielen und Motiven noch weitaus radikaler als die Facebook-Kommentare. Trotzdem erhofften sie sich von Menschen, die so etwas schreiben würden, auch mal das ein oder andere Neumitglied zu bekommen.


    Gerade als er die beiden Biere zu den Männern gebracht hatte, klingelte Rockys Telefon. Er wanderte damit bis ans Ende der Theke, damit er ungestört reden konnte, doch die beiden Herren waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass keine Gefahr bestand, etwas mit zu hören. "Hi Rocky, hier ist Stuka.", meldete sich eine leicht näselnde Stimme aus dem Hörer. Stuka war natürlich nur der Spitzname des Anrufers, in Wahrheit war Stuka die Abkürzung der Sturzkampfflugzeuge aus dem zweiten Weltkrieg. "Hey Stuka. Alles klar?", fragte Rocky und lehnte sich nach hinten an die Theke, einen Arm vor der Brust verschränkt. "Der Bulle ist wieder zu Hause. Ich hab' eine Adresse aufgeschrieben, wo wir vielleicht mal etwas aufräumen könnten.", meinte er und nannte Rocky die Wohnanschrift von Kalle. Der notierte diese, und nickte. "Gute Arbeit, Stuka. Du machst dich so langsam."
    Stuka war noch nicht lange bei Rocky, ein noch junger, manchmal etwas tollpatschig wirkender Mann, aber äusserst radikal in seinen Ansichten. Manchmal war es für die Gruppe gefährlich, mit ihm nach draußen zu gehen, weil er einen wahrlich unbändigen Hass auf jeden Menschen hatte, der nach Ausländer aussah. Mittlerweile hatte er sich aber im Griff. "Du wirst nicht glauben, wo er sonst noch war." "Ich bin ganz Ohr." "Neuwieser Weg... erinnerst du dich?" Rocky brauchte nicht lange nach zu denken. In dieser Gegend, er wusste die Hausnummer zwar nicht, aber er wusste dass dort die Lagerhalle war, in der sich die Autonomen, die Punks aus der Hausbesetzerszene rumtrieben. Mit Genuß erinnerte sich Rocky an manche Straßenschlacht, und daran, als die Punks darum baten, endlich in Ruhe gelassen zu werden. Seitdem gab es keine Störer mehr bei Demonstrationen, zumindest so lange die Sturmfront geschlossen aufmarschierte. Mit Stolz und etwas Spott nahm er wahr, dass andere rechte Gruppierungen in Köln immer noch Gegenwehr von den Zecken erhielten.


    "Und was hat ein Bulle bei den linken Kötern verloren?", fragte Rocky und Stuka zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung... hätte ich ihn fragen sollen?" "Natürlich nicht." Rocky dachte nach, in dem er sich von der Theke abstieß, über die Stirn fuhr und zwei Schritte hin und her ging, bevor er sich wieder in seine alte Position einfand. "Entweder kennt er dort jemanden...?" "Aber warum? Die Zecken sind doch auf Bullen genauso schlecht zu sprechen, wie auf uns. Wundert mich sowieso, dass der da heil wieder heraus gekommen ist." "...oder aber, er hat bereits ermittelt. Wir sollten denen mal dort einen Besuch abstatten." Stuka willigte ein und hoffte ein wenig, dass Rocky diese Aufgabe an ihn übertragen würde.
    "Was macht der Türke?", fragte er dann noch neugierig. "Den Türken überlass ruhig mir und Benno. Für den habe ich mir schon etwas ausgedacht.", sagte Rocky mit ruhiger Stimme und lächelte. "Wenn das rauskommt, was wir mit ihm anstellen, wird das die ultimative Warnung an den ganzen ausländischen Abschaum sein, der sich auf unseren Straßen herumtreibt. Und an unsere Politiker ebenso.", setzte er noch hin zu. "Hört sich gut an, Rocky. Wenn du Hilfe brauchst, sag mir Bescheid." "Du kümmerst dich zusammen mit Luni erst mal um diesen anderen Polizisten und um die Punks. Luni wird dich unterstützen und ich will keine Widerworte mehr hören. Ihr habt beide im Boxclub schon gut zusammen gearbeitet, und ihr seid an der Front zu gebrauchen." "Danke Rocky.", sagte Stuka artig und lächelte durchs Telefon. "Du kannst gerne noch ein Bier trinken kommen. Heinrich, Luni und Ulrich kommen auch, wir wollen seine Entlassung feiern."


    Nachdem die beiden das Gespräch beendet hatten, setzte Rocky seine Tätigkeit hinterm Spülbecken fort. Er grinste über die Blindheit der Medien, die Blindheit der Politik. Die NPD sei unter Kontrolle, PEGIDA am Ende und die rechten Verbindungen habe der Verfassungsschutz im Auge. Gar nichts hatten sie. Viele Verbindungen vertrieben sich die Zeit mit Saufgelage, sinnlosen Demonstrationen und Prügeleien mit Ausländer. Die Sturmfront allerdings hatte als eine der wenigen Verbindungen Kontakt zur Organisation. Diese saß im Untergrund, und war für Verfassungsschutz, Politik und Polizei unbekannt. Einige Politiker wussten von ihrer Existenz, hielten sie aber auf Abstand, weil sie an Radikalität alles überbot, was in einem deutschen Parteiprogramm stehen durfte. Ihr Ziel war der Aufbau einer Paralellgesellschaft nach national-sozialistischem Vorbild... und einige wenige Verbindungen, die die Fähigkeit hatten für Chaos im Land zu sorgen, die den fremdenfeindlichen Mob anheizen würde, standen mit ihr in Kontakt... und eine davon war die Sturmfront.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

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    2 Mal editiert, zuletzt von Campino (28. Juli 2015 um 19:20)

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    • 30. Juli 2015 um 16:01
    • #25

    Dienststelle - 17:00 Uhr


    Manchmal kommt es anders als man es vor hat. Semir und Ben waren eigentlich schon am Vormittag, nach dem Besuch bei Hartmut zurück zur Dienststelle um ein paar Recherchen über das Kürzel zu machen, das sie an Semirs Wagen eingeritzt gefunden hatten. Doch sie wurden zu einem schweren Unfall auf der Autobahn gerufen, was ihnen (zu Bens großem Ärger) die Mittagspause und einen großen Teil des Nachmittags gekostet hat. Jetzt kamen sie zurück zur Dienststelle, müde und gestresst, nachdem sie die komplette Koordination der Unfallstelle, der Aufräumarbeiten und der 4 stündigen Vollsperrung leisten durften. "Wird Zeit, dass wieder einige aus ihrem Krankenschein und Urlaub zurückkehren.", murrte der hungrige Polizist, und ließ sich im Büro auf den Stuhl fallen. Lange hielt er aber nicht still, da wählte er bereits die Handynummer eines Pizza-Service aus der Stadt, um das Knurren seines Magens irgendwie zu befriedigen.
    "Das wäre ja mal was gewesen... du ohne Mittagessen.", kommentierte Semir sarkastisch, während Ben noch telefonierte, um im gleichen Atemzug eine Nummer einer Pizza zu nennen, die er gerne wollte. Denn natürlich hatte auch Semir Hunger, hatte er vor Ärger heute morgen nichts gefrühstückt und war noch vollkommen nüchtern. In den letzten Stunden war er zu abgelenkt, um sich große Gedanken zu machen, wie sie als nächstes vorgehen wollten, aber auf dem Weg zur Dienststelle hatte sich schon ein Plan geformt.


    Eine Stunde später war das Büro der beiden Autobahnpolizisten von Pizza-Geruch gefüllt. Ben hatte ein letztes Stück auf der Hand und saß mittlerweile neben Semir an dessen Arbeitsplatz. Sie hatten Google bemüht, einschlägige Foren durchsucht, Facebook, Twitter und politische Blogs durchsucht. Nirgends konnten sie das Kürzel "SF" in einem Zusammenhang entdecken. Sie hatten sich zwar eine, zugegebenermaßen sehr übersichtliche Liste von 2 Begriffen gemacht, die zu einer Abkürzung "SF" führen könnten, doch beide hatten sie mittlerweile durchgestrichen, zu absurd klang es für sie. Semir legte sich resigniert zurück, fuhr sich mit beiden Fingern durch die Augen und spürte ein Pochen im Kopf... das Signal, dass er so langsam an seine Grenze stieß. Auch Ben seufzte müde und erschöpft auf, strich kurz über seine gebrochene Rippe.
    "Sieht schlecht aus... SF kann alles bedeuten.", meinte er und Semir zuckte kurz mit den Schultern. "Vielleicht ist es doch ein Name. Initialien. Warte mal..." Seine Finger huschten plötzlich schnell über seine Tastatur und riefen die Hauptseite von Wikipedia auf. Dort gab er den Begriff "Nationalsozialismus" ein und suchte nach bedeutenden Politiker aus der Zeit der Nazis. "Vielleicht ist das ein Kennzeichen von einem der Typen...", vermutete er laut. Doch auch diese Spur endete mit einer Sackgasse. Sie fanden keinen überaus bekannten Politiker aus dieser Zeit mit diesen Initialien, nur weniger Bekannte. "Hätte uns auch nix gebracht.", meinte Ben niedergeschlagen und ging wieder auf seinen Platz zurück.


    Von draußen winkte Jenny ins Büro um ihren Feierabend zu signalisieren. Ben und Semir winkten zurück und lächelten kurz, obwohl ihnen nicht zum Lächeln zu Mute war. "Lass uns auch Feierabend machen. Wir sind müde, wir sind gestresst. Morgen haben wir klaren Kopf, dann kann Hartmut vielleicht uns Zugang zu ein paar nicht ganz öffentlichen Daten des Verfassungsschutz verschaffen.", meinte Ben versöhnlich, doch Semir wog den Kopf nur hin und her. "Müssen wir den armen Kerl da immer mit reinziehen und in Schwierigkeiten bringen?" "Ach was, der ist doch froh wenn er uns helfen kann.", winkte der junge Polizist ab. Er streckte sich in seinem Drehstuhl und schien seine Ängste und Sorgen von gestern völlig vergessen haben, so sehr war er im Kopf bei diesem Fall und bei dem Vorhaben, Semir darin zu unterstützen.
    "Was ist denn, wenn wir Kevin mal anrufen? Vielleicht hat er ne Idee.", sagte Semir und blickte zu seinem Partner auf. "Klar... aber auch erst morgen. Der soll sich ausruhen, wenn der denkt, er wird gebraucht dann steht er morgen hier auf der Matte." "Hmm, hast auch recht. Ja, das hat noch Zeit bis morgen." Gerade als beide aufstanden und ihre Jacken vom Stuhl nahmen, klingelte Semirs Handy. "Semir... du musst sofort nach Hause kommen.", hörte er die aufgeregte Stimme seiner Frau Andrea. Dem Polizisten rutschte sofort das Herz in die Hose. "Ist etwas mit Ayda??", fragte er sofort und Ben blickte zu seinem Kollegen, als er Aydas Name hörte. "Nein... aber... wir kommen gerade von meinen Eltern, nachdem ich sie aus dem Krankenhaus abgeholt habe. Und... ich...", stotterte sie ins Handy. "Ich sitze hier im Auto... da ist eine Menschenmenge vor unserm Haus. Du... du musst sofort kommen, bitte." "Beruhig dich, Andrea. Ich bin gleich da.", sagte Semir beruhigend. Weitere Informationen hätte er aus Andrea jetzt eh nicht herausbekommen. Ben war sofort an Semirs Seite: "Du brauchst gar nicht zu widersprechen...", sagte er in Voraussicht darauf, dass Semir ihn lieber in den Feierabend entließ, als ihm weiter seine Sorgen aufzudrängen.


    Jenny's Wohnung - 17:30 Uhr


    Ein kleines Unbehagen befiel die junge Polizistin, als sie vor der Wohnungstür stand. War es schon eine kleine Prüfung, für ihre Beziehung... die Vertrauensprüfung? Kevin hatte versprochen im Bett zu bleiben. Hatte er es getan, oder war das Bett jetzt leer, wenn sie in die Wohnung kam? Der Schlüssel im Schloß klickte und knirschte ein wenig, die Tür schwang auf und das erste, was Jenny auffiel, waren Kevins Schuhe die exakt an dem Platz standen, an dem er sie gestern abend ausgezogen hatte. Ein wenig legte sich ihr Unbgehagen, als sie hereinging und die Tür hinter sich schloß. "Kevin?" Auf ihr zaghaftes Fragen kam keine Antwort. Sie legte den Schlüsselbund leise auf die Anrichte der Küche und ging in Richtung Schlafzimmertür.
    Sie war erstaunt. Als sie die Tür aufdrückte und hineinlugte, sah sie hinter der Bettdecke nur Kevins wild abstehende Haare, und sein Atmen ließ die Decke sanft auf und abschweben. Langsam kam sie näher ans Bett heran und sah, dass er friedlich schlief, und sie "belohnte" das Vertrauen mit einem zärtlichen Kuss auf die Stirn. "Braver Junge...", flüsterte sie grinsend und beschloss, ihn schlafen zu lassen. Er atmete ja völlig normal, er schien keine Schmerzen zu haben, also wollte sie ihn wieder alleine lassen.


    Dann fiel ihr das kleine quadratische Paket, ein Karton auf, der am Bett abgestellt war. Jenny kannte ihn nicht und konnte ihn nirgendwo zuordnen... war Kevin etwa einkaufen? Zumindest war er doch unterwegs, dachte sie ein wenig missbilligend und wollte die Belohnung am liebsten wieder rückgängig machen. Bettruhe hieß Bettruhe, auch wenn er vielleicht nur in einem Geschäft war. Sie nahm den Karton mit ins Wohnzimmer und stellte ihn dort auf den Tisch, wobei sie sich auf die Couch setzte und langsam den Deckel abnahm. Ja, sie war neugierig... aber eigentlich wollte sie nur gucken, was Kevin sich gekauft hatte, doch bereits beim ersten Blick in den Karton erkannte sie, dass dies keinerlei Schuhe oder Klamotten waren. Der Karton war voll von Zetteln, Papieren und Fotos. Ganz oben ein Bild eines Jungen, der seine bunt gefärbten langen Haare vergeblich versuchte, mit einem Stirnband von seinem Gesicht zu verbannen. Die blauen stechenden Augen erkannte Jenny sofort... das befreite Lachen eher weniger.
    Die junge Frau hielt inne... Sie wühlte mitten in Kevins Erinnerungen. War er den Karton holen? Warum? Warum jetzt, warum heute? Unsicher blickte Jenny zur Schlafzimmertür, als könnte der junge Polizist jeden Moment herauskommen. Sie waren zwar zusammen, sie waren ein Paar, aber war das Vertrauen so groß? Würde es ihn stören? Nein, es ging sie nichts an und sie schloß den Karton wieder. Das war Kevins Privatsphäre... aber sie würde vielleicht etwas über ihn erfahren. Über seinen Charakter, darüber wie er vor Janines Tod war. Die Neugier und Sehnsucht, etwas über ihren Freund, der oft so verschlossen war, zu erfahren, war größer als ihre Hemmungen... und sie öffnete den Karton erneut...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

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    • 3. August 2015 um 18:31
    • #26

    Semirs Haus - 17:45 Uhr


    Sie hatten sich beeilt, Semir hatte wenig Rücksicht auf den Feierabendverkehr oder Verkehrsregeln genommen, als er mit Blaulicht und Martinshorn sich den Weg durch hupende Autos gebahnt hatte. Er umgriff das Lenkrad fest mit den Händen, er umklammerte es beinahe, als würde er damit eine Hoffnung festhalten, dass der Grund, weshalb Andrea ihn aufgeregt angerufen hatte, doch eher nichtig sei oder ein Missverständnis. Ben versuchte ihn zu beruhigen, immer dann wenn Semir einem anderen Auto doch ein wenig zu knapp auswich und lautes Hupen die Folge war.
    Die Hoffnung auf ein Missverständnis zerschlug sich, als Semir um die Kurve in seinem Wohngebiet gebogen war. "Ach du Kacke...", murmelte Ben fassungslos. Eine Traube von 20 oder 25 Menschen hatte sich vor Semirs Haustür versammelt. Anwohner, Väter und Mütter, ein paar Halbstarke und einige Rentner. Niemand sah überwiegend auf Krawall gebürstet aus, und doch war die Atmosphäre feindseelig. Der Polizist sah Andreas Auto 50 Meter davor am Gehweg stehen, hielt seinen BMW dahinter und stieg mit schnellen Schritten aus. Er klopfte an die Seitenscheibe, und seine Frau ließ mit geröteten Augen das Fenster herunter. "Semir... ich weiß nicht was ich tun soll... ich bin vorbei gefahren und hab gesehen, warum die alle da stehen. Ich...", jammerte sie und Ayda machte ein recht ängstliches Gesicht, auch wenn sie nicht ganz verstand, was da vor sich ging. "Schatz, bleib ganz ruhig. Was hast du gesehen?", fragte Semir mit beruhigender Stimme und beugte sich in den Fahrraum hinein. "Da... da hängt eine Flagge vor unserer Tür... ich glaube, deswegen sind die Leute alle da."


    Ben hörte Andrea's Stimme und verzog das Gesicht zu einer nachdenklichen Miene. "Eine Flagge?", wiederholte er nachdenklich und klopfte Semir auf den Rücken "Ich seh mir das mal an, okay? Bleib du erst mal hier." Mit schnellen Schritten näherte sich der Polizist mit der Wuschelfrisur der Menschentraube und zog seinen Ausweis. Je näher er kam, desto deutlicher konnte er die Stimmen hören. "Jetzt sind sie schon bei uns" - "Unglaublich." - "Wie lange lassen wir uns das wohl noch gefallen." - "Bis auch mal bei uns etwas passiert." Bens Befürchtung wuchs, denn er erinnerte sich daran, was Semir ihm heute morgen erzählt hatte. Neo-Nazis, die versucht haben, die Nachbarschaft gegen Semir aufzuhetzen. Lügen verbreitet haben, Ängste schüren. Diese Sachen kamen ihm jetzt in den Kopf, als er an den Rand der Traube trat. "Darf ich mal erfahren, was hier los ist? Jäger, Polizei!", sagte er laut und schaffte es, die murmelnde Menge zum Verstummen zu bringen.
    "Schauen sie! Sowas in unserer Nachbarschaft!", sagte ein Mann laut, und zeigte auf Semirs Haustür. Ben wandte den Blick dorthin, und ein unbehagliches Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Vor die Tür, quer und an den Seiten der Mauer befestigt, hing eine schwarze Flagge mit arabisch wirkenden Schriftzeichen. Jeder, der in den letzten Monaten auch nur durch die Nachrichtensender gezappt hatte wusste, dass dies die Flagge der Terrororganisation IS war, die man Semir hier an die Haustür geklebt hatte. "Wir wollen keine Terroristen in der Nachbarschaft!", sagte eine Frau mit keifender Stimme, und die alte Frau Zenner sagte zaghaft: "Ich wurde heute morgen noch vor Herrn Gerkhan gewarnt."


    Ben sah sich ein wenig hilflos um, und hob dann allerdings die Hände, als die Meute wieder begann, wild durcheinander zu rufen: "MOMENT! Herr Gerkhan wohnt hier schon mehrere Jahre, wollen sie mir jetzt etwa erzählen, sie hätten so etwas vorher nicht gemerkt?", fragte Ben und sah sich in der Runde um. Nuscheln, ein paar Blicke gingen zu Boden, nur der Mann, der eben bereits die Initiative ergriffen hatte, sagte laut: "Na und? Woher sollen wir wissen, von wem er sich jetzt hat rekrutieren lassen? Diese Menschen schrecken doch vor nichts zurück, oder schauen sie kein Fernsehn, junger Mann?" Einige andere spendeten dem Mann für seine Worte Applaus, als er noch dahinter setzte: "Wir werden uns wehren gegen diese Terroristen."
    Die Ungehaglichkeit in Bens Magen wuchs weiter, denn die Atmosphäre war mehr als feindseelig. "Bleiben sie ganz ruhig, wir werden die Sache untersuchen. Und ich würde vorschlagen, sie lösen ihre spontane Versammlung hier jetzt auf, damit ich die Kollegen des Verfassungsschutzes anrufen kann.", sagte er laut, und unterbrach seine Worte aber, als er nun sah, dass Semir sich der Szenerie näherte. Er hatte es bei Andrea nicht mehr ausgehalten, kam mit schnellen Schritte und konnte durch die zur Tür geöffnete Gasse jetzt auch ganz klar die Fahne erkennen, die ihm den Atem stocken ließ. Er wurde mit feindseeligen Blicken seiner Nachbarschaft bedacht, einige tuschelten, Frau Zenner wandte sich ab und wollte in ihr Haus zurück.


    "Sie glauben das doch nicht etwa?", fragte Semir fassungslos in Richtung einiger Schaulustiger. Jetzt, wo der Nachbar, der seit Jahren mit ihnen Tür an Tür lebte, leibhaftig vor ihnen stand und so gar nicht den Eindruck eines gefährlichen muslimischen Terroristen machte, regte sich kaum mehr Widerstand. "Herr Jürgensen, wir kennen uns seit 5 Jahren.", sagte er zu einem Mann mit Schnauzbart, der eben mit applaudiert hatte. "Sie haben mir bei ihrem letzten Urlaub die Schlüssel gegeben, damit ich die Blumen gießen kann.", sagte Semir mit leicht fassungsloser Stimme. "Und du, Klaus...", wandte er sich nun an den Mann, der eben die Stimme erhoben hatte. "Deine Tochter war mindestens zweimal die Woche bei uns, um mit Ayda zu spielen. Lasst ihr euch alle davon beeinflussen, weil einige Leute, die mir schaden wollen so eine Flagge aufhängen?" Seine Stimme änderte sich von Fassungslosigkeit in Aufgeregtheit, sie wurde lauter und schärfer, sein Blick wütend.
    "Lasst ihr eure langjährige Meinung an einem Menschen, den ihr kennt, einfach an so einer Fahne zerschellen? Tut ihr das auch so bei anderen Menschen? Würdet ihr mich jetzt meiden, wenn ich mir einen Vollbart wachsen lassen würde, hä?", rief er laut und ging zu seiner Haustür, wo er die Fahne mit einem lauten Reißgeräusch von der Wand riss, an den Nägeln, wo sie befestigt war, riss sie ein. Semir knüllte sie wütend zusammen und warf sie den Nachbarn vor die Füße. "Ich habe nichts mit der IS zu tun! Neo-Nazis wollen mir schaden, und nutzen eure Angst vor dem Fremden dazu aus!", schrie er wütend.


    Ben ging zu ihm und klopfte seinem heftig atmenden Kollegen auf die Schulter. "So, meine Herrschaften. Ich bitte sie jetzt zu gehen. Herr Gerkhan ist kein Terrorist und auch kein Selbstmordattentäter, sonst wäre er nebenbei kaum bei der deutschen Polizei. Gehen sie nach Hause, wir werden sie noch für Zeugenvernehmungen brauchen!", rief er laut. Beeindruckt von Semirs Worten begannen sich die Nachbarn zu trollen. Ben bemerkte kopfschüttelnd, dass Herr Jürgensen tatsächlich das Nachbarhaus von Semir bewohnte, während Klaus sich einige Häuserzeilen weiter verdrückte. Beide blieben stummen, nach Semirs Worten, der wiederrum jetzt langsam sich auf der Treppe vor seiner Haustür niederließ. Er war geschockt, regelrecht schockiert darüber, wie schnell die Angst in den Köpfen normaler Menschen, nicht von Neo-Nazis umschlagen könne... egal, ob diese Menschen Semir kannten oder nicht. Ben setzte sich neben ihm und legte seinen Arm um den Polizisten. "Ich verstehe das nicht Ben... wie können Menschen, die mich kennen seit Jahren, einfach so denken... nur weil ich aus der Türkei komme?", sagte er nachdenklich. Ben nickte und schämte sich für seine deutschen Mitmenschen. "Ich bin mir sicher... wärst du Deutscher, hätten die Nachbarn die Fahne selbst abgerissen und Wachen aufgestellt, um denjenigen zu erwischen, der sie aufgehängt hat. Aber da du aus der Türkei bist, stellen sie Wachen auf, um zu sehen, wann du sie wieder aufhängst..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 6. August 2015 um 02:11
    • #27

    Jenny's Wohnung - 17:45 Uhr


    Jenny konnte ihr Herz klopfen spüren, sie konnte fühlen, wie ihre Kehle austrocknete. Als sie den Deckel des Kartons abhob und neben sich auf die Couch legte, schien sie ein Tor zu einer Zeitreise zu öffnen. Ein Tor, das sie in ein Land, in ein Leben ließ, zu dem sie sich bisher nur Stück für Stück herein kämpfen musste, immer soviel wie Kevin es nur zuließ. War er zeitweise verschlossen wie früher, schaffte er es hin und wieder doch sich zu öffnen. Jetzt hielt Kevin Jenny nicht die Tür offen, sondern die Polizisten verschaffte sich eigenmächtig Zugang zu ihm und seinem alten Leben, jetzt im Moment auf der Couch in ihrem Wohnzimmer. Ihr Freund schlief nebenan, erschöpft von seiner Begegnung mit der eigenen Vergangenheit, etwas gepeinigt von Kopfschmerzen, die von seiner Gehirnerschütterung her rührten.
    Die Tür, die Jenny symbolisch aufgestoßen hatte, ließ sie zuerst wieder auf das Bild des befreit lachenden Kevin blicken. Sie erkannte sofort die blauen Augen, die überhaupt nicht müde oder melanchonisch wirkten sondern abenteuerlustig und funkelnd. Sein Mund lachte, er schien befreit auf zu lachen als hätte jemand einen besonders lustigen Witz gerissen, und seine rot-grün gefärbten Strähnen in dem, leicht lockig wirkenden Haar, was hinter dem Stirnband nach vorne hervor quoll, hingen ihm leicht im Gesicht. Er schien auf einem alten Sofa zu sitzen, halb zu liegen, ein Bein angewinkelt, in einer an den Knie aufgescheuerten rot karierten Hose. Zwischen dem linken Zeige- und Mittelfinder hielt er eine Zigarette, in seinem linken Ohr hingen drei Ohrringe hintereinander aufgereiht. Es war seltsam für Jenny in das Gesicht des Jungen zu blicken, das sie heute nur als ernsten, zurückgezogenen Mann kannte... ohne Ohrringe, mit kürzeren aber immer noch wilden Haaren, und mit ein paar Fältchen um Mund und Nase.


    Jenny konnte nicht sagen, wie alt Kevin auf dem Foto war, er wirkte wie 15 oder 16. Sie legte es bei Seite um den nächsten Schritt durch die Tür in Kevins Leben zu gehen und sah in den Karton. Sie fand eine Eintrittskarte, die an der Seite abgerissen war, um Zugang zu erhalten. Datiert war sie auf das Jahr 1997, ausgestellt für ein Punkrock-Konzert in Dortmund. Die junge Polizisten kannte keine der Bands, die darauf aufgelistet waren, doch sie hörten sich vom Namen her nicht an, als hätten sie vor eine große Karriere zu starten. "Kotzreiz" "A.C.K" "Toxoplasma" "Fahnenflucht" und "Wizo". Scheinbar war es für ihn ein bedeutendes, vielleicht sogar das erste Konzert dieser Art, das er damals besucht hatte, dachte sich die junge Frau, als sie die Karte ebenfalls zur Seite legte.
    Sie kam zu einem Bild, das den Jungen von vorhin erneut zeigte. Die Frisur nur geringfügig anders, die Kleidung ebenso, nur sein Gesichtsausdruck war komplett ausgetauscht. Wo vorhin eine Leichtigkeit und Fröhlichkeit das Bild prägte, stand jetzt unterdrückte Wut in seinem Gesicht, Verkniffenheit und ein "Lass mich hier raus" - Gefühl. Vermutlich hatte der Mann, der neben ihm stand und seine Hand auf seine Schulter legte, damit zu tun. Jenny kannte ihn nicht, und konnte sich doch denken, wer er war, denn Kevin hatte bereits über ihn gesprochen. Ausserdem waren seine Augen nicht Kevins Augen zu unterscheiden, er hätte seinen Vater nicht leugnen können. Doch dessen Funkeln hatte nichts abenteuerlustiges, sondern etwas Verschlagenes... etwas Hinterhältiges. Vermutlich beeinflusst durch Kevins Vorgeschichte war der Mann Jenny sofort unsympathisch.


    Es raschelte, als sie erneut in den Karton hineinfasste, und sie förderte mehrere Seiten Papier ans Licht der Deckenlampe. Darauf erkannte sie handschriftliches Gekritzel, was teilweise sorgfältig, teilweise aber auch wie unter Druck oder in einem fahrenden Auto an der Seitenscheibe aufgeschriebenes. Manches konnte Jenny entziffern, manches nicht. Nach einigen Leseproben erkannte sie, dass es sich um Gedichte handeln musste, einige Leseproben mehr wurde ihr dann klar, dass es sich eher um Liedtexte, als um Gedichte handelte, denn sie konnte immer einen widerkehrenden Refrain ausmachen. "Kevins Texte...", dachte sie leise. Scheinbar war der damalige Jugendliche schon von der Musik begeistert, und nutzte sie als eine Art Ventil, denn die Textauszüge, die Jenny las, bargen viel Wut in sich. Wut auf das Leben, Wut auf die Eltern, Wut auf das System.


    "Willkommen in Deutschland, wo Idioten aufmarschieren
    Und Lichterketten brennen um das Gesicht nicht zu verlieren
    Willkommen in Deutschland! Der Eintritt, der ist frei
    Halts Maul und pass dich an, und schon bist du dabei!"


    Die junge Frau schluckte einige Mal. Die Texte waren nicht poetisch oder sonderlich tiefgängig, und doch verrieten sie etwas über den Charakter des damaligen Kevin. Einen Charakter, der nicht zufriende war mit sich und seinem Leben, dem Extrem nicht abgeneigt, und gleichzeitig gegen ein anderes Extrem kämpfend.


    "Gewalt ist keine Lösung, trotzdem kann sie Mittel sein
    Drum schließe nicht die Augen, es kann bald schon soweit sein."


    Jenny las sich jeden Text durch. Sie fragte sich, wie die Musik darauf erklang, und konnte sich zwar keine Melodie, jedoch die Grundstimmung sehr gut darunter vorstellen... und die wäre sicherlich nicht positiv.


    "Terror und Gewalt hat hier seine Halt
    Lehn dich auf und sie machen dich kalt
    Der einzige Weg sich dagegen zu wehren
    Straßenschlacht heute Nacht.


    99 Pflastersteine gegen 100 Bullenschweine
    99 Pflastersteine gegen 100 Nazischweine"


    Mit einer Hand fuhr sich die junge Polizisten durch die Haare, während sie den letzten Text auf die Seite legte. Wut, Verzweiflung und Zorn trieben den jungen Mann damals an, und in der Gruppe im linken Spektrum fand er den Halt, den er dafür brauchte... oder war es umgekehrt? Schürte der Halt in dieser Szene erst diesen Hass in ihm, und waren die Texte und die Gewalt nur ein Ventil? War es ein Motiv darauf, dass Kevin aufgrund dieser Charakterzüge auch nie Ruhe fand, bevor er nicht die Rache an dem Mörder seiner Schwester gefunden hatte? Jenny fühlte sich unwohl, sie hatte einen tiefen Einblick in das Leben ihres Freundes genommen, und dieser wirkte weder beruhigend noch wirklich unbehaglich auf sie... sie war eher auf eine merkwürdige Art und Weise fasziniert.
    Unter dem scheinbar letzten Text, den sie gelesen hatte, fand sie noch ein gefaltetes Blatt Papier, alle anderen Texte lagen offen dar. Es war einfach gefaltet und fühlte sich dicker an, als alle anderen Papiere. Sie faltete das Papier auf und las den Text:


    "Unsre Zeiten sind vorbei, sie kommen wohl nie wieder
    Das was uns verbindet, ist Erinnerung
    Unsre Zeiten sind vorbei, sie waren wunderschön
    Was uns zusammen bleibt, ist Erinnerung


    Ich liebe dich. Ich konnt' es dir nie sagen
    Nur spielen, tanzen, malen."


    Die junge Frau schluckte und drehte den Zettel um. Auf der Rückseite war ein Foto aufgeklebt, das Kevin erneut zeigte, mit ärmellosem karrierten Hemd und orange gefärbten Haaren, Wange an Wange mit einem jungen, lachenden Mädchem, das mehrere Piercings im Gesicht hatte und die Haare knallrot gefärbt, mit Undercuts und in der Mitte aufgestellt. Dazu trug sie ein Top, das aussah, als wäre es mit Wasserfarben bemalt, von dem ein Träger leicht von der Schulter rutschte. Mit dem Liedtext zusammen, der von einer gescheiterten Beziehung handelte, zog Jenny die richtigen Schlüsse... denn Kevins Schwester war das nicht.


    Die lag ganz unten am Boden der Schachtel. Ein Bild, bei dem die junge Polizisten nochmal kurz schlucken musste. Ein fröhlich strahlendes Gesicht, scheu wirkende Augen und pechschwarzes Haar, das sich links und rechts von ihrem Gesicht nur knapp die Schultern berührte. Einige Strähnen hingen ihr, wie die ihres Bruders, ins Gesicht. Das Bild war leicht verwackelt aber doch scharf, es schien in einem altmodischen Passfoto-Automat gemacht worden zu sein, in den sich Janine und Kevin hinein gezwängt hatten, denn er stand schräg hinter ihr. Er hatte seine Arme knapp unter dem Hals um das Mädchen geschlungen, als wolle er es schützen vor den bösen Einflüssen. Schützen vor Jungs, die ihr wehtaten, schützen vor der gefährlichen linken Szene vielleicht, schützen vor Alkohol und Drogen, deren Erfahrungen er gemacht hatte. Jenny wusste ja, wie wichtig Janine für den jungen Polizisten war, und wie traumatisierend es für ihn war, sie in der Situation, als sie ums Leben gekommen war, nicht zu schützen.
    Die Fotos aus Kevins Jugend, die Liedtexte, all das hatte Jenny in eine andere Welt gezogen, sie fasziniert, sie ein wenig aufgerüttelt und vielleicht mit anderen Augen auf den jungen Mann blicken lassen. Doch dieses Foto, das soviel Liebe und gegenseitige Zuneigung ausstrahlte, zwischen dem jungen Geschwisterpärchen, und der Hintergrundgeschichte die Jenny natürlich kannte, ließ ihr die Tränen in die Augen steigen und die Lippen zittern. Sie konnte es nicht verhindern, trotz dass sie Janine niemals kennengelernt hatte oder die Beziehung der Geschwister selbst miterlebte, dass sie um das junge Mädchen und das zerbrochene Geschwisterglück weinen musste.

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

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    • 9. August 2015 um 05:03
    • #28

    Jenny's Wohnung - 18:00 Uhr


    Er war auf einmal unglaublich müde geworden, als er sich den Weg zurück nach Hause bahnte durch den öffentlichen Nahverkehr und ein Stück noch zu Fuß. Bis ins Bett hatte er sich gerade noch seiner Kleidung entledigt, den Karton auf den Boden des Schlafzimmers gestellt und war erschöpft zurück ins Bett gefallen. Vielleicht hatten Ärzte und Krankenschwestern doch manchmal recht, und man sollte mit einer Gehirnerschütterung im Bett bleiben, dachte sich der junge Polizist, als er den Kopf vor Schmerzen im Kissen vergrub, als das kleine Männchen unter seinem Schädel wieder mal den Presslufthammer anwarf. Die Schmerztabletten ließ er diesmal ausser Acht, wenn sie bei seiner momentanen Dosierung nicht helfen würden, dann würden sie jetzt auch nicht helfen. Nach "viel" kam "zuviel", und er hatte keine Lust von Jenny leblos im Bett gefunden zu werden.
    Doch diesmal schlief er nicht so gut wie in der Nacht, er sah beunruhigende Bilder in dunklen Schatten, er sah Annie, er sah Neo-Nazis. Kevin konnte sich keinen Reim auf die zusammenhanglosen Bilder in seinem Kopf machen, sie waren nur eins: Bedrückend, beunruhigend und beängstigend. Jenny und Ben tauchten auch auf, sie wollten Kevin von etwas abhalten, was er doch unter keinen Umständen tun sollte. Vermutlich wollten sie nicht, dass er irgendetwas unternahm aufgrund seiner Verletzung, aber was? Was konnte so wichtig, und gleichzeitig so gefährlich sein, als dass Kevin es unbedingt tun wollte, sein Freund und seine Freundin ihn aber davon abhalten wollte?


    Einige Stunden nachdem er eingeschlafen war, wachte er auf. Der junge Mann hatte ein Geräusch gehört, das sich wie das Schließen einer Tür anhörte, als er die Augen langsam öffnete und sich erstmal orientierte. Kevin hatte manchmal Schwierigkeiten sich zu merken, wo er eingeschlafen war. Es hing wahrscheinlich mit seiner Jugend zusammen, in einer Zeit, in der er tagelang, wochenlang immer an anderen Orten übernachtete. Bei Freunden, in besetzten Häusern, in der Lagerhalle wo die Konzerte stattfanden. Mit der Zeit wurde es besser, wenn er lange Zeit am gleichen Ort schlief, doch jetzt war es hell im Zimmer, er war um die Mittagszeit eingeschlafen und wachte jetzt gerade auf, und das war ungewohnt für ihn.
    Kurz lauschte er, was dieses wachmachende Geräusch wohl verursacht haben könnte, dann hörte er die Schritte draussen vor der Schlafzimmertür, warf einen kurzen Blick auf Jennys Radiowecker und wusste, dass es wohl Jenny war, die nach Hause gekommen ist und scheinbar kurz mal nachgesehen hatte, ob Kevin auch wirklich brav im Bett geblieben war. Er lächelte ein wenig spitzbübisch, hatte er doch die Schuhe zumindest ansatzweise an den gleichen Platz gestellt, was allerdings eher aus Zufall so geschehen ist. Die Couch im Wohnzimmer quietschte ein wenig, als die junge Polizistin sich scheinbar darauf niederließ, und Kevin drehte sich nochmal in seinem warmen Lager um. Unweigerlich fielen ihm die Augen wieder zu, er döste ein wenig vor sich hin, weil er sich müde fühlte und nicht wirklich aufstehen wollte.


    Irgendwann schreckte er wieder hoch, die Zeit war wieder vergangen, vielleicht eine halbe Stunde. Er wusste genau, wenn er jetzt nicht aufstehen würde, könne er das Schlafen heute abend komplett vergessen und die Nacht durchmachen. Sein Kopf brummte noch ein wenig, doch der Presslufthammer schien Feierabend gemacht zu haben. Vielleicht wirkten auch endlich die Menge an Schmerzmittel, die er sich seit gestern abend eingeworfen hatte. Er stieg, nur in Boxer-Shorts bekleidet aus dem Bett und blieb für einen Moment auf der Kante sitzen. Kevins Blick ging zum Boden, seine Augenbrauen hoben sich, als bemerkte dass der Karton nicht mehr da war. Er hatte ihn doch mit hier rein genommen... oder hatte er ihn doch schnell auf den Wohnzimmertisch gestellt. Er war müde, er hatte Schmerzen, er hat jetzt die ganze Zeit geträumt und war nicht richtig wach... konnte er da mit Bestimmtheit sagen, wo er den Karton hingestellt hatte?
    Mit der rechten Hand fuhr er sich kurz durch die Haare, bevor er aufstand und langsam zur Tür ging. Als würde ihm eine unangenehme Vorahnung überfallen, drückte er die Tür zum Wohnzimmer nicht mit Schwung auf, sondern öffnete sie leise ein wenig, bis ihm Jennys Nacken über der Sofalehne ins Auge sprang. Vor sich auf dem Tisch hatte sie den offenen Karton stehen, neben sich bereits einen kleinen Haufen Blätter, die Fotos, in der Hand ein Blatt, das sie aufmerksam las. Sie war so in die etwas krakelige Schrift vertieft, das sie das leise Geräusch der Tür scheinbar überhaupt nicht vernommen hatte. Ihr Kopf bewegte sich nur beinahe unmerklich hin und her, als würde sie statt den Augen, den Kopf bewegen um den Text von links nach rechts zu lesen. Genauso leise, wie Kevin die Tür nur einen Spalt geöffnet hatte, schloß er den Spalt wieder.


    Für einige Sekunden blieb Kevin an der Schlafzimmertür stehen und legte die Stirn an die Holztür. Die Worte, wie "Vertrauen" und "Misstrauen" sprangen plötzlich wieder durch seine Gedankenwelt. Jenny hatte den Karton genommen, und schnüffelte darin herum. Nein, verbesserte er sich sofort selbst, sie schnüffelt nicht... das klang so negativ. Er wusste ja, dass sie ihm nichts Böses wollte. Sie war neugierig, sie will etwas über seine Vergangenheit wissen, von der er bisher so wenig preisgegeben hatte. Konnte man ihr das verübeln? Wollte eine Frau nicht genau wissen mit wem sie es zu tun hatte? Hätte er vielleicht, in ihrer Situation, nicht auch die Möglichkeit ergriffen etwas über seine geheimnisvolle Partnerin preiszugeben?
    Kevin stand an der Tür, die Stirn dagegen gelegt, die Handflächen gegen das Holz gestemmt, als würde er versuchen, Eindringlinge aus diesem Zimmer fern zu halten. Verdammt, es ist auch eine Sache des Vertrauens, NICHT selbst in die Vergangenheit des anderen hinein zu tauchen, sondern zu warten, bis der Partner sich eben komplett öffnete. Und wann dieser Zeitpunkt der richtige ist wollte Kevin gerne selbst entscheiden... er alleine. Aber sprach er Jenny nicht gerade das Vertrauen ab, das er forderte? Warum hatte er kein Vertrauen zu ihr, dass er ihr nicht schon längst seine komplette Lebensgeschichte erzählt hatte, und nicht nur bruchstückhaft, hier mal ein Häppchen, da mal ein Häppchen. Herr Gott, er vertraute Jenny doch selbst nicht, also konnte sie sein Vertrauen gar nicht brechen...


    Der junge Polizist grübelte so sehr, dass ihm schwindelig wurde. Auf einmal hatte er wieder Sehnsucht nach seinem Bett, er wollte Jenny nicht überraschen und ihr eine Szene machen. Er wollte aber auch kein Verständnis heucheln, dass er in diesem Moment nicht aufbringen konnte. Er wollte gerade einfach nur alleine sein... ganz alleine. Langsam tapste er barfuß wieder zum Bett, drehte sich von der Tür weg und zog die Decke bis ans Kinn. Egal wie wichtig die Vergangenheit für Kevin war, und vor allem wie wichtig der Inhalt des Kartons für ihn war... er hatte Angst davor, dass solche Situationen mit Jenny immer wieder vorkommen würden... wo Kevin sich hintergangen fühlte, was vielleicht nicht wichtig war, und wo er den Vertrauensbruch nicht erkannte, wo er vielleicht schwerwiegend war.
    Schlafen konnte er nicht mehr. Er hatte nur die Augen geschlossen und atmete ruhig, als nach vielleicht einer weiteren Viertelstunde die Schlafzimmertür wieder geöffnet wurde. Das leise tapsen auf dem Laminatboden war zu hören, das kleine Geräusch, wenn ein Karton auf den Boden gestellt wird. Die zarten Lippen, Jennys warmer Atme an Kevins Stirn und der leichte Kuss, den sie ihm auf die Wangen gab, bevor sie das Zimmer wieder verließ. Kevin wartete ein paar Sekunden ab, nachdem die Tür geschlossen war, und er die Schranktür in der Küche vernahm, bevor er seinen Blick aufrichtete und über die Decke auf den Karton sah, der so exakt am gleichen Platz stand, wie seine Schuhe...

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    • 11. August 2015 um 05:37
    • #29

    Semir's Haus - 18:30 Uhr


    Alle waren noch geschockt von der Situation, dem wütenden Mob vor Semirs Haus, nachdem Unbekannte dort eine Flagge des islamischen Terrorstaat IS gehisst hatten. Andrea zitterte am ganzen Leib, als sie mit Ayda das Haus betrat, begleitet von Semir und Ben. Der erfahrene Polizist versuchte seiner Frau ruhig zu zu reden um sie zu beruhigen, doch auch er fühlte sich aufgewühlt, einerseits über die Reaktion seiner Mitmenschen, andererseits über die Kreativität und Skrupellosigkeit der Neo-Nazis, denen er dieses besondere "Attentat" anrechnete. Daran hatte er eigentlich keinen Zweifel, es wäre wohl ein unglaublicher Zufall, nachdem zwei Typen heute morgen noch versuchten seine Nachbarin gerade mit diesem Thema zu verunsichern.
    Ayda nahm die Situation eher wenig mit, hatte sie doch gar nicht so recht verstanden, was da passierte. Sie lief in ihr Zimmer und war überglücklich, endlich wieder daheim zu sein, nach so langer Zeit im Krankenhaus. Semir ließ die Tür zum Flur und nach oben zu den Kinderzimmern offen, dass er ein wenig hören konnte, was Ayda oben tat. Er hatte ein wenig Angst, dass sie aufgrund ihres Komas hin und wieder die Orientierung verlieren würde, und dann vielleicht Angst bekäme. Aber bis auf leichte Wortfindungsstörungen und dass sie hin und wieder Dinge vergaß, die man ihr wenige Minuten vorher erst gesagt hatte, waren keinerlei Nachwirkungen aufgetreten, die die Ärzte als "möglich" beschrieben hatten, und darüber waren die Eltern des kleinen Mädchen auch sehr froh.


    Semir saß bei Andrea auf der Couch, während Ben, der sich in Semirs Küche mittlerweile fast so gut auskannte, wie in seiner eigenen, für die Frau seines besten Freundes einen Tee zubereitete. "Semir... ich hab solche Angst, dass diese Kerle es auch auf Ayda oder Lilly abgesehen haben.", sagte die Frau mit zitternder Stimme. Mit Grauen dachte sie an die Tage zurück, vor einigen Wochen, als Ayda von drei Männern entführt und ins Koma gespritzt wurde. Noch so einen Schicksalsschlag würde sie wohl nur schwer verdauen. Ein "Keine Angst, das wird nicht passieren...", um sie zu beruhigen, kam Semir nicht über die Lippen... denn genau das hatte er vor Wochen auch gesagt, nachdem der Fall mit den Komakindern aufkam, und beide Elternteile befürchteten, es könne auch ihrem Kind zustoßen. "Wir werden unser Haus überwachen lassen, und die Kinder bleiben hier drin. Wir fahren sie zur Schule, und holen sie ab.", bestimmte Semir, auch wenn er mit diesen Anweisungen Andrea nicht unbedingt beruhigte. Aber immerhin nahm er die Bedrohung ernst, dachte sie, und tat alles, damit nichts passierte.
    Ben kam mit einer Tasse Tee zurück ins Wohnzimmer und gab sie Andrea in die Hand, die sich bedankte. Tee beruhigte sie oft, ob sie sich nun über etwas bestimmtes ärgerte, ob sie gerade mit Semir gestritten hatte oder die Kinder mal wieder unausstehlich waren... Tee war für sie ein Wundermittel. Das Zittern wurde langsam weniger, und die freie Hand suchte die Hand ihres Mannes. "Warum tun die das... nur weil ihr einen Freund von ihnen verhaftet habt, der längst wieder draußen ist?", fragte Andrea verständnislos. Ben zuckte mit den Schultern: "Das kann ich mir mittlerweile nicht mehr vorstellen. Ich glaube, da muss mehr dahinter stecken."


    Der erfahrene Polizist, der jetzt zwischen Andrea und Ben saß, sah zu seinem Partner herüber. "Aber was soll das sein? Welchen Nutzen haben sie, wenn sie einem Türken das Leben schwer machen?", fragte er. "Ich meine, irgendeine Intention muss ja dahinter stecken. Wollen sie erreichen, dass ich das Land verlasse? Ein Lebzeit-Beamter, der sein ganzes Leben schon in Deutschland wohnt? Warum gehn sie nicht zu einem Flüchtlingsheim?" Ben wog den Kopf hin und her, auf Semirs Fragen wusste er keine Antwort. "Das müssen wir halt eben herausfinden. Aber der Typ, den ihr verhaftet habt, ist frei. Warum immer noch solche Aktionen?" "Aber wenn es nicht um Rache geht, warum haben sie dann Kevin zusammengeschlagen? Wenn es ihnen nur darum geht, dass ich Türke bin, warum der Anschlag auf ihn?" Ben sah auf seine Knie, verzog den Mund zu einer fragenden Miene. "Ich weiß nicht...", meinte Semir und unterbrach damit die Stille. "Ich glaube nicht, dass es ihnen darum geht, ob ich Türke oder Deutscher bin. Denen geht es um Rache für die Verhaftung... vielleicht macht es ihnen mehr Spaß, WEIL ich Türke bin." Der junge Polizist tätschelte seinen Partner freundschaftlich auf den Oberschenkel. "Wir werden es herausfinden, das verspreche ich dir. Ich lasse euch jetzt mal alleine.", sagte er und stand vom Sofa auf, um sich selbst auf den Heimweg zu machen. Semir bedankte sich bei ihm für seinen Hilfsbereitschaft.
    Diese würde Ben selbst gerne in Anspruch nehmen, dachte er sich, als er im Wagen auf dem Heimweg war... getrieben von einer leichten Paranoia sah er sich immer wieder im Rückspiegel um, ob sich nicht vielleicht doch irgendein Auto an seine Fersen geheftet hatte. In Rücksicht auf Semirs momentane Lage hatte er immer noch nicht mit ihm über seine Angstgefühle gesprochen. Als er zu Hause ankam, fühlte er sich elend und hundemüde...


    Jenny's Wohnung - 07:30 Uhr


    Die junge Polizistin saß vor dem Spiegel in ihrem Zimmer und kämmte sich die Haare. Sie war in Gedanken versunken, blickte in den Spiegel und sah darin den Oberarm ihres Freundes, der über der Bettdecke auf dessen, auf der Seite liegenden Körper, lag. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und schlief noch. Es hatte Jenny verwundert, dass er heute nicht schon wieder bettelte, arbeiten gehen zu dürfen, aber sie sprach ihn auch nicht darauf an und war froh, dass er sich noch schonte nach seiner Gehirnerschütterung. Doch der Gedanke an den Karton, der immer noch, scheinbar unberührt auf dem Boden stand, legte sich wie ein Schatten über sie. Sie hatte eine Grenze überschritten, was ihr im Nachhinein leid tat... auch wenn sie nun Dinge über Kevin wusste, mit denen sie den Charakter des jungen Mannes vielleicht besser einschätzen konnte. Aber das schlechte Gewissen plagte sie, und es nahm auch nicht ab dadurch, dass Kevin gestern scheinbar, vielleicht von den Schmerzen oder den Tabletten, einen ganz schlechten Tag hatte.
    Sie kochte, er stand nochmal auf und aß allerdings nur ein paar Bissen. Auf Fragen von Jenny reagierte er wortkarg, von selbst redete er überhaupt nicht. Jenny konnte nicht erkennen, dass er in irgendeiner Form böse oder sauer speziell auf sie war, er wirkte einfach wie er immer wirkte, wenn er eine schlechte Phase hatte. Abends hatte die junge Frau in ihr Tagebuch geschrieben: "Traute sich heute überhaupt nicht aus seiner Höhle. Schmerzen oder die Schmerztabletten? Bekam keine wirkliche Antwort, als ich fragte. Oder fühlt er mein schlechtes Gewissen...?" Die Frage, die sie dem Tagebuch stellte, wollte sie selbst nicht zu Ende denken.


    Jenny zog sich Kleider an, bevor sie nochmal ins Schlafzimmer ging, Kevin durch die Haare streichelte und ihm einen sanften Kuss auf die Wange gab, bevor sie das Haus verließ. Er lag im Bett, friedlich und scheinbar zufrieden, er atmete ruhig und gleichmäßig, sein Gesicht war nicht, wie sonst verkrampft oder zuckend, wenn er wie so oft seine Alpträume hatte. Er schien gut zu schlafen und plötzlich schöpfte Jenny wieder Hoffnung, dass der heutige Tag besser werden würde, und sie verdrängte die kleine Ahnung, dass er ihr schlechtes Gewissen gespürt hatte. Sie verließ das Haus und fuhr in ihren Wagen Richtung Dienststelle...
    Kevin aber war bereits seit Stunden wach. Der Schlaf am Nachmittag, und die Tatsache, dass er gestern früh zu Bett ging, ließen ihn bereits gegen halb fünf wach werden, und immer nur dösen. Als Jenny ihn küsste, war er im Halbschlaf, die Augen zu schwer, und der Drang vielleicht doch nochmal einzuschlafen, zu groß. Gestern wuchs in ihm die Erkenntnis, dass Jenny nicht von sich aus auf ihn zukam, um ihm zu sagen, dass sie in den Karton reingeschaut hatte. Hätte sie das getan, wäre es dem Polizisten schwer gefallen, wirklich böse zu sein... doch sie tat es nicht. Sie sagte nichts dazu, sie tat als wäre alles wie immer und mit der Erkenntnis wuchs in Kevin die Enttäuschung über ihre Unehrlichkeit. Doch war er nicht auch selbst unehrlich? Wäre es nicht ehrlicher von ihm gewesen gestern sofort zu sagen: "Hey, ich hab dich gesehen, wie du die Sachen aus dem Karton gelesen hast?" Wer war nun der Gute, und wer der Böse in diesem Spiel?

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    • 13. August 2015 um 01:51
    • #30

    Dienststelle - 08:00 Uhr


    Die nächste unruhige, mit wenig Schlaf gesegnete Nacht lag hinter Ben. Er gähnte in seinen Monitor, versuchte das möglichst unbemerkt aller anderen im Großraumbüro, die mal einen Blick zu ihm hinein warfen, zu tun, damit nicht jemand auf die Idee kam, er wäre des Nächtens durch die Straßen gezogen... verdammt, das könnte er eigentlich mal wieder tun. Vielleicht wäre er dann müde genug zum Schlafen, wobei es an der Müdigkeit eigentlich nicht scheiterte, sondern eher an den beunruhigenden Gedanken. Auch sein Partner, der nur einige Minuten nach Ben ins Büro kam, sah nicht unbedingt so aus, als hätte er die Nacht auf Rosen geschlafen... eher auf einer Packung Tiefkühlerbsen. Sie begrüßten sich, und der jüngere Kommissar musste grinsen: "Mann, siehst du scheisse aus heute Morgen.", spielte er auf Semirs müden Ausdruck in den Augen und dem, mehr als sonst, unrasiertem Bereich zwischen seinem markanten Bart und den Kotletten an. "Hmm, schon mal in nen Spiegel geschaut?", war dessen sarkastische, aber schlagfertige Antwort. Dabei machte er eine Bewegung mit der rechten Hand, die von seinen kurzen Haaren aus ausging, was Ben sofort dazu brachte, sich die etwas widerspenstigen Haare zu glätten, die seine unruhige Nacht und seinen wohl eher kurzen Aufenthalt im Bad erklärten.
    Die beiden Männer lächelten, und es war für beide gut zu wissen, was sie aneinander hatten. Beiden ging es gerade nicht gut, nur einer wusste es von dem jeweils anderen... nämlich Ben von Semir. Was in dem Kopf des jungen Kommissars so vorging, seit dieser im Krankenhaus angeschossen und schwer verletzt wurde, hatte er bisher für sich gehalten. Einerseits mit einem mulmigen Gefühl, andererseits mit der festen Überzeugung, das richtige zu tun, gerade jetzt wo Semir so in Schwierigkeiten war.


    Die beiden Freunde kochten sich erst einmal Kaffee, bevor sie eine kleine Besprechung für sich selbst abhielten. Sie betrachteten den Fall der Neo-Nazis jetzt als ihren Fall, auch wenn offiziell der Staatsschutz ermittelte. Die Chefin hatte ihnen sowieso "unter der Hand" grünes Licht gegeben. Sie war gerade bei Bonrath und Herzberger, die beide wieder gemeinsam im Dienst waren seit heute, als sie sah dass Semir sich die Flipchart-Wand in seinem Büro zurechtrückte. "Ich bin gleich wieder bei Ihnen.", sagte sie mit einem kurzen Lächeln zu Bonrath, und ging mit zielgerichteten Schritten ins Büro ihrer beiden besten Männer. "Guten Morgen, meine Herren.", wünschte sie lächelnd und fragte zunächst nach Kevins Wohlbefinden. Die beiden Polizisten sahen sich ein wenig beschämend an, sie hatten in der Aufregung gestern völlig vergessen zumindest mal kurz bei ihm anzurufen. "Ähm... ich denke okay... Jenny hat gestern nichts gesagt.", druckste Semir ein wenig herum. "Wir hatten gestern sehr viel zu tun.", bekräftigte Ben die Ausrede.
    Warum die Chefin eigentlich ins Büro kam, erkannte Semir erst jetzt, als sie sich mit verschränkten Armen und erwartungsvollen Blick auf Semirs Platz setzte und sich mit dem Stuhl zur Flipchart-Wand hindrehte. Sie kannte ihren besten Mann, sie wusste dass er an der Flipcharttafel immer die bisherigen Ermittlungsergebnisse zusammentrug. Ben hatte diese Art von ihm übernommen, als er damals den Fall des Drive-By-Killers mit Kevin alleine und ohne Semir gelöst hatte. Sie wollte wissen, wie weit die beiden im Fall der Neo-Nazis waren, und meinte noch, als Semir etwas zögerte: "Lassen sie sich nicht aufhalten..."


    Ben musste schmunzeln über die Chefin, die offiziell natürlich nichts über die Ermittlungen ihrer Dienststelle auf fremden Terrain wusste, und doch die schützende Hand über ihre Männer hielt, dabei aber gleichzeitig an den Ergebnissen interessiert war. Letztlich musste sie ja, im Falle des Erfolges, auch die Anträge auf Verhaftung beantragen und gleichzeitig begründen, warum die Cobra 11 den Fall letztlich löste... meistens, wenn es solche Arten von Ermittlungen waren, mit Beweisen, die "zufällig" und "unter der Hand" aufgetaucht waren. "Also gut... also wir haben bisher folgendes: Den Neo-Nazi Ulrich Richter, der Spaß daran hat, Vietnamesen durch den Wald zu jagen.", sagte Semir, schrieb den Namen an die Tafel und kreiste ihn ein. Den Namen schrieb er links oben hin. "Dann haben wir den Anschlag auf Kevin, einen Verdächtigen mit der Beschreibung, die uns der Typ aus dem Boxklub gegeben hat und dem Zahlencode als Tattoo.", sagte Ben, während der Filzstift leicht quietschend über die glatte Oberfläche des Flipcharts strich... ein Geräusch, das einem die Gänsehaut auf die Haut trieb.
    "Zahlencode?", stellte die Chefin die erste Zwischenfrage. "Ja, der Kerl soll eine 88 auf dem Unterarm haben. 8 steht da für den achten Buchstaben im Alphabet und das HH für den Hitlergruß. Natürlich kann das auch seine Glückszahl sein, aber das wäre schon sehr zufällig.", erklärte Ben, und Anna Engelhardt nickte dankbar. Ganz auf dem Laufenden war sie beim Thema Rechts/Links nicht, doch nun erinnerte sie sich wieder an manche Grundkenntnisse. "So... dann haben wir den Anschlag auf meinen Wagen...", sagte Semir, während er schrieb, und auch hier erfuhr Anna erst jetzt, was passiert war. Doch der große Schock sollte noch kommen, während ihr bester Polizist das Kürzel SF an die Tafel schrieb.


    Diesmal stumm schrieb Semir "Beeinflussung Nachbarn" an die Tafel, und in kurzen Worten erzählten abwechselnd er und Ben, was gestern morgen und gestern am frühen Abend vor dem Haus der Gerkhans passiert war. "Die Beeinflussung am Morgen war ganz klar von den Rechtsradikalen. Wir haben die Personenbeschreibung, und könnten diese Männer zumindest wegen Verleumdung und übler Nachrede drankriegen." "Warum haben sie nicht sofort die Personalien festgestellt?", fragte die Chefin. "Ich war in dem Moment... ein wenig erregt.", gab Semir zu und ärgerte sich selbst, dass er daran nicht gedacht hatte. "Ausserdem hat einer der beiden sofort ein Handy gezückt und gefilmt. Das war mir zu gefährlich, ein falsches Wort und die hätten das sofort gegen mich verwendet in diesem Moment." Die Chefin nickte und brachte Verständnis für das Verhalten Semirs auf.
    "Für die Sache gestern abend gibt es leider keine Augenzeugen... also, angeblich hat niemand etwas gesehen. Wir, also zumindest ich möchte nicht dafür die Hand ins Feuer legen, dass aufgrund dieser feindlichen Stimmung gegen Semir, nicht der ein oder andere nichts gesehen haben will.", erklärte Ben weiter. "Oder der ein oder Andere hat Angst.", ergänzte die Chefin, und legte den Finger auf die Lippen. "Puuh, die haben sie ganz schön im Visier.", sagte sie dann noch in Richtung Semir. Der nickte seufzend: "Es ist schrecklich, so hilflos zu sein. Ich meine, was kann man dagegen tun? Die Fahne aufzuhängen wird jeder Richter als "Dummer-Jungen"-Streich abtun." "Naja, eine Fahne aufzuhängen oder eine Fahne einer terroristischen Vereinigung aufzuhängen sind schon zwei Paar Schuhe.", sagte sein Partner.


    Die Chefin stand auf und ging zur Flipchartwand, und betrachtete kurz das Gebilde, was Semir dorthin verewigt hatte. "Also, das NPD können sie wegstreichen. So provokativ und offensiv gegen einen deutschen Polizisten geht keine Partei vor. Das wurde wohl als Vorwand benutzt.", sagte sie bestimmt und wischte die Abkürzung der Partei weg. "Ansonsten ergibt das für mich noch keinen wirklichen Zusammenhang. Da sind zuviele unbekannte Personen... der Attentäter im Boxclub, der Anschlag auf den Wagen, der Anschlag auf ihr Haus." "Wir müssen warten, bis wir vom Staatsschutz Antwort bekommen, ob die beiden Typen vor meinem Haus bereits schon mal auffällig geworden sind. Wir haben es unter dem Vorwand einer Straßenverkehrsauffälligkeit gemeldet." Die Chefin nickte Ben zu. "Sehr gut.", sagte sie anerkennend.
    "Ich würde vorschlagen, wir beschatten Ulrich Richter. Er ist der einzige Name, den wir haben, und die einzige Adresse. Wir müssen alles über ihn wissen, wo er arbeitet, wo er einkaufen geht, wen er trifft, wo er essen geht, welches Buch er gerade im Bett liest...", zählte Semir auf, wobei das Letzte sicher scherzhaft gemeint war. "Dann bekommen wir vielleicht mehr Anhaltspunkte. Ausserdem sollten wir vielleicht sein Handy anzapfen." "Ich werde versuchen, ihnen einen Beschluss zu besorgen.", versprach die Chefin und wollte gerade aufstehen, als Bonrath ins Büro gestürzt kam. "Semir, Ben, Chefin!! Das müsst ihr euch ansehn!"

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    • 17. August 2015 um 15:19
    • #31

    Dienststelle - 08:30 Uhr


    Bonraths Stimme klang aufgeregt, ein wenig verärgert und das kam bei dem schlaksigen Beamten, der meist eine, manchmal gleichgültig wirkende Bierruhe ausstrahlte, sehr selten vor. Semir konnte sich nicht erinnern, dass Bonrath wirklich mal böse oder laut wurde, er war meist eher genervt, wenn ihn was ärgerte und nahm es dann mit der nötigen Portion Humor, vor allem weil sein Freund Hotte Herzberger ihn rechtzeitig bremste, was aber nicht oft nötig war. Aber jetzt war das anders, und deshalb konnten seine drei Kollegen bereits erahnen, dass die Sache wichtig war. Ben, Semir und die Chefin im Schlepptau folgten dem Beamten ins Großraumbüro zu Jennys Platz, an dem die junge Beamtin saß und mit fassungslosen Blick auf den Monitor sah. "Schaut mal, was ich gerade gefunden habe...", sagte sie mit leicht zitternder Stimme und wies mit dem Finger in Richtung des Monitors.
    Was Semir dort sah, ließ ihn seinen Herzschlag deutlich spüren. Er spürte, wie sein Magen sich zusammenzog und eine merkwürdige Mischung aus Wut, hilfloser Verzweiflung und auch einen gewissen Teil an Angst in ihm aufstieg. Auch Ben befiel ein sehr unbehagliches Gefühl, nicht nur aufgrund der beiden Bilder, sondern auch aufgrund der Worte, die er las. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich sein bester Freund gerade fühlte, hatte er die feindseelige Stimmung gestern doch am eigenen Leib gespürt. Auch der Mund der Chefin stand halboffen während Hotte, der neben Bonrath stand mit leicht zusammen gekniffenen Augen auf den Monitor sah. Alle hatten das Gefühl, dass es in diesem Moment mucksmäuschenstill im Büro der Autobahnpolizei war.


    Jenny hatte die Startseite ihres Facebookprofils geöffnet, wo sie unterschiedliche News und Beiträge ihrer Freundesliste sehen konnte. Einer ihrer Freunde hatte einen Artikel geteilt und hatte es mit "Schaut euch das mal an!" kommentiert. Sofort erkannte Semir die Vorderfront seines Hauses, die Menschentraube und die schwarze Flagge, die er gestern von seiner Tür abgerissen hatte. Ein Online-Newsportal hatte über den Vorfall vor dem Haus des Polizisten berichtet und den Artikel online gestellt. In Windeseile wurde er in den sozialen Netzwerken verbreitet, manchmal als einfache neutral gehaltene News, oftmals aber, wie Jenny durch ein paar geübte Klicks feststellte, als Skandalnachricht in Deutschland. Eine IS-Flagge mitten in einem Kölner Vorort, in einem Neubaugebiet. Die News wurde von manchen Seiten, die eine eindeutige politische Richtung hatten, ebenfalls aufgegriffen und geteilt. Auch jede Menge andere User, von deren Profilbild und sonstigen Interessen keinerlei politische Richtung ableiten konnte, teilten die News mit empörten Kommentaren, darunter sammelten sich weitere Kommentare von Menschen aus ganz Deutschland. Semir krallte seine Finger in die Sitzlehne, auf dem Jenny saß, als sie die Timeline herunterscrollte, wo sich die Kommentare auflisteten. "Das darf doch nicht wahr sein...", murmelte er immer wieder fassungslos, und auch Ben schien den Atem anzuhalten, als seine Augen über die Buchstaben glitten, die dort aneinander gereiht standen.


    "Sowas kann doch in unserem Land nicht möglich sein!" "Ausweisen und zwar sofort..." "Zwingt seine Frau wahrscheinlich auch, eine Burka zu tragen..." "Finanziert seinen Terror mit Sicherheit von unsern Steuergeldern von Hartz 4." "Bald knallst es in diesem Land wieder, irgendwann ist das Maß voll." Dies war der Tenor der Kommentare unter dem Online-Artikel. Eine Tageszeitung hatte den Vorfall ebenfalls aufgegriffen und berichtete sogar von den Einwohnern des Hauses. Von einem Polizisten mit Migrationshintergrund war die Rede, Murat F. stand da, dahinter in Klammern dass der Name von der Redaktion geändert wurde. "Hätte nur noch die Adresse gefehlt...", murmelte Bonrath entsetzt. "Pff... sieht doch jeder um welches Haus es sich handelt. Mit ein bisschen Recherche von ortskundigen kriegt doch jeder Depp raus, wo Semirs Haus steht.", antwortete Ben mit gereizter Stimme, was sich aber nicht gegen den schlaksigen Polizisten richtete.
    Auch die Kommentare unter diesem Artikel waren nicht besser, viele Namen Bezug darauf, dass es sich bei dem Bewohner um einen Polizisten handelte, und dass im Artikel stand, dass es sich hierbei wohl um einen Anschlag auf das Haus handelte, kümmerte viele nicht. Diese Anmerkung war auch nur in einem Nebensatz versteckt. "Sowas soll uns beschützen." oder "Die Polizei versucht, zu vertuschen." war dort zu lesen.


    Semir fühlte sich verletzt... in seinem Inneren, in seiner Seele aber auch in seiner Ehre. Er war ein Mann, der als kleines Kind von der Türkei nach Deutschland kam. Seine Verwandtschaft, die noch hier lebte, hatte sich nur mühsam integriert, lebte konservativer als er, seine Tante zum Beispiel konnte nur sehr wenig Deutsch. Er musste leider zugeben, dass es in seiner Familie in Deutschland auch schwarze Schafe gab, Hassan zum Beispiel war ein Kleinkrimineller, der einmal ins Fadenkreuz der Autobahnpolizei geriet, weil er unwissend eine Leiche im Kofferraum transportiert hatte. Damals wurde Semir zum ersten Mal mit Kriminalität innerhalb seiner Familie, und damit mit dem ein oder anderen Vorurteil konfrontiert.
    Doch er selbst war doch nicht so. Er war hier in die Schule gegangen, hat Deutsch gelernt, seine Ausbildung gemacht, und war ein erfolgreicher Polizist. Er setzte für die Sicherheit dieser Stadt, diesem Land sein Leben aufs Spiel, Tag für Tag. Er hat eine Familie gegründet, seine Tochter Ayda war in der Grundschule Klassenbeste gewesen letztes Jahr. Man konnte sagen, dass er ein leuchtendes Beispiel für Integration war, auch wenn bei ihm diese vor 40 Jahren stattgefunden hatte. Er wusste ja selbst, dass es viele Menschen gab, die hier kriminell waren und Ausländer waren... er war nicht so blind zu behaupten, dass es das nicht gab, dafür erlebte er es viel zu oft auf den Straßen. Einbrecherbanden aus Osteuropa, Autoschieber und Gewaltverbrecher, die seine Landsleute waren. Aber es konnte doch nicht sein, dass Menschen alle über einen Kamm scheren. Und damit meinte Semir nicht unbedingt Menschen, die sich von der Radikalität von Rechts angesprochen fühlten, sondern eben jene Menschen, die gestern vor seiner Tür standen, Menschen die auf Facebook unter Interessen Rockbands stehen hatten, die niemals Ausländerhass propagierten, Menschen die Fans von Fussballvereinen waren, die offen gegen Fremdenfeindlichkeit einstanden... ganz normale Menschen, die CDU und SPD wählten.


    Er richtete sich langsam auf, und sein Gesicht drückte Traurigkeit aus. Ben bemerkte das sofort und legte ihm einen Arm um die Schulter, um ihn vom Monitor weg zu drehen. "Komm... nimm dir das nicht zu Herzen. Das sind Spinner...", sagte er leise, doch er konnte nicht wegblenden, was Semir mit eigenen Augen sah. Vereinzelte Kommentare redeten gegen die Mehrheit an. "Habt ihr den Artikel überhaupt ganz gelesen? Dem armen Mann wurde die Flagge hingehängt." "Als ob ein Islamist so behämmert wäre und offen eine Flagge einer terroristischen Vereinigung aufhängt." oder "So doof kann doch niemand sein. Die echten Verbrecher bleiben mit aller Macht im Untergrund. Das kann nur ein Fake sein." Doch zuviele schienen vor dem Kommentieren nicht nach zu denken, oder wollten sich ihr vorschnelles falsches Urteil nicht eingestehen. "Nein...", sagte Semir leise, er wollte es nicht einfach auf einzelne Spinner abschieben. Plötzlich erschien ihm die ganze Welt gegen sich für einen Moment...
    "Wir müssen sehen, dass wir die Artikel ganz schnell aus dem Internet bekommen.", sagte nun die Chefin, als sie sich von dem ersten Schreck erholt hatte. "Sie fahren sofort in die Redaktion. Wir können den Schaden nur begrenzen. Hoffentlich haben es noch nicht zuviele geteilt und sich die Bilder abgespeichert." Ben und Semir wollten sofort zum Ausgang, doch die Chefin hielt zumindest ihren erfahrensten Mitarbeiter zurück. "Semir, sie nicht. Ich halte es im Moment für besser, wenn sie hier bleiben und nicht dort in der Redaktion auftauchten." Sie erinnerte sich an eine Beschwerde eines Fotografen, einer zerstörten Kamera im vierstelligem Wert... damals war auch ein, sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befindlicher Polizist verantwortlich... Kevin. "Aber...", wollte Semir sich beschweren, doch Anna Engelhardt ließ keine Widerrede zu. "Jenny, sie begleiten Ben." Die junge Beamtin nickte und war in nur wenigen Minuten von Uniform in die Zivilkleider geschlüpft.


    Semir sah seinem besten Freund hinterher und konnte den seltsam belegten traurigen Gesichtsausdruck nicht ablegen. "Sie wissen, dass ich voll hinter ihnen stehe, Semir. Aber alles, was wir nicht gebrauchen können, wäre jetzt eine Schlagzeile, dass der vermeintliche IS-Polizist auf irgendeinen Pressefuzzi losgeht...", sagte sie mit Schlichterstimme. Semir konnte es ihr nicht mal übel nehmen... sie kannte ihren Beamten halt. "Was soll ich jetzt tun?", fragte er, und es war eine Mischung aus "Wie solls jetzt weitergehen" und tatsächlicher Frage nach konkreter Beschäftigung. "Fahren sie doch mal zu Kevin, und schauen sie nach, wie es ihm geht...", meinte seine Vorgesetzte. Es war eine gute Idee, denn in all der Aufregung hatten sie es völlig versäumt, Jenny zu fragen.

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    • 19. August 2015 um 12:08
    • #32

    Jenny's Wohnung - 09:45 Uhr


    Er war ruhelos... er konnte nicht mehr schlafen. Kevin stand, kurz nachdem Jenny die gemeinsame Wohnung verlassen hatte, aus dem Bett auf, rauchte am Fenster, ging wieder ins Bett, wälzte sich durch die Laken. Als sich draussen langsam die Sonne durch den Nebel kämpfte, und es scheinbar heute ausnahmsweise und nach langer Zeit mal wieder ein richtig schöner Spätherbsttag werden sollte, ließ er die Rolladen am Fenster herunterschnellen, damit es wieder dunkel im Zimmer wurde. Wieder warf er sich zurück ins Bett, wieder lag er auf der Seite, auf dem Rücken und auf dem Bauch mit dem Gesicht im Kissen vergraben. Nichts ließ ihn zurück ins Reich der Träume versinken, nachdem er Jennys sanften Kuss auf seiner Wange gespürt hatte.
    Immer wieder kreisten seine Gedanken um gestern... um Jennys Blick in den Karton, um Annie. Meine Güte, warum musste er sich soviel aus sowas machen. Konnte er nicht einfach mal Vertrauen fassen... Jenny hatte doch sicherlich nicht mit bösen Absichten in den Karton geschaut. Sie waren zusammen... war es da überhaupt angebracht, Geheimnisse voreinander zu haben? Hätte er nicht hingehen sollen, nachdem er aufgestanden war gestern abend und der jungen Polizisten den Karton von sich aus zeigen. "Schau mal... mein altes Leben." Nein, über diesen Schatten war Kevin auch nicht gesprungen. Seine Wut schlug um, nicht mehr gegen Jenny sondern gegen sich selbst, er hielt sich selbst für dumm und ärgerte sich über sein Misstrauen und seine Verletztheit. Doch konnte er wirklich etwas dagegen tun?


    Irgendwann hatte Kevin die Faxen dicke, er schmiss das Kissen durch den Raum, stand aus dem Bett auf und zog die Rolladen wieder nach oben. Um die letzte Müdigkeit abzulegen stellte er sich unter die eiskalte Dusche, ließ das Wasser seinen Körper herunterlaufen, über seine Narben auf dem Rücken und das Konterfei seiner Schwester. Es tat gut, Kevin wurde wacher, wurde munterer und die Kopfschmerzen klangen ebenfalls etwas ab. Generell war der Schmerz heute nicht so stechend und intensiv, dass ihm davon schwindelig wurde, wie gestern. Eigentlich hätte er auch arbeiten gehen können, dachte er sich, als er vor dem Spiegel stand und sich mit einer Hand durch das feuchte Haar fuhr und auf den Föhn wieder mal verzichtete. In Jeans und langärmeligen Hemd ging er in die Küche, auf die Suche nach etwas Essbarem, doch anders als in seiner alten Bude brauchte er sich hier keine Gedanken machen, zu verhungern. Jennys Kühlschrank war prall gefüllt, als könne jederzeit eine Hungersnot ausbrechen.
    Gerade als sich der junge Polizist einen Kaffee aufgesetzt hatte, klingelte es an der Tür. Erwartete Jenny Besuch? Eigentlich unmöglich, jeder wusste ja, dass sie arbeitete. Ein Paket vielleicht, Briefträger, Nachbarn? Kevin blickte sich kurz um... seine Waffe hatte er in der Dienststelle und nicht hier. Sollten es also irgendwelche Neo-Nazis sein, die die Tür eintreten würden, wenn er sie nicht freiwillig hereinließ, konnte er sich nur mit Körperkraft, Besenstiel und Pfannen wehren.


    Als der Polizist jedoch den Hörer der Gegensprechanlage abhob, entspannte er sich. Sofort erkannte er die Stimme seines Partners Semir, der an der Tür stand und er betätigte den Summer, um ihm Einlass zu gewähren. Er hörte an der Tür die Schritte auf der Treppe nach oben, sie klangen müde und schleppend, hatte Kevin den Eindruck, als er die Tür zur Wohnung öffnete. "Guten Morgen... was verschafft mir die Ehre?", fragte Kevin mit einem Lächeln, als Semir mit einer kurzen Handbewegung grüßte. "Ich wollte mal sehen wie es dir geht...", meinte er mit müder Stimme... und müden Augen. Entweder war Vollmond, und Semir hatte schlecht geschlafen, oder eine zentnerschwere Last lag ihm auf dem Herzen, das spürte Kevin sofort. Sie setzten sich auf die Couch im Wohnzimmer, und Kevin äusserte sich nur kurz zu seinem Gesundheitszustand, dass es ihm besser gehe.
    "Und dir? Du siehst nicht gut aus... wo ist eigentlich Ben?", fragte der junge Polizist, nachdem er seinem Partner Kaffee angeboten hatte. "Der arbeitet.", meinte Semir lächelnd und pustete in das heiße Koffeingetränk. "Ohne dich?" "Er ermittelt mit Jenny." Kevin nickte... verdammt, reiß dich zusammen, du Vollidiot. Kevin erwischte sich bei den abstrusesten Gedanken, nachdem Semir die Information rausgerückt hat. Nur weil du dir jetzt Gedanken machst, dass sie in einem Karton geschnüffelt hat, geht sie nicht wieder fremd... was heißt eigentlich "wieder"? Sie ist damals nicht fremdgegangen, das hast du selber gesagt, ihr wart gar nicht zusammen. Kevin führte ein inneres Selbstgespräch und war für einen Moment still, bis er es merkte. Hoffentlich hatte Semir von seiner Verunsicherung nichts gemerkt.


    "Und du? Hast du Urlaub? Ist etwas mit Ayda??", fragte Kevin ein wenig besorgt, als er seine Gedanken abgeschüttelte hatte. "Nein nein... also... meine Frau und die Kinder sind momentan bei ihrer Mutter.", sagte er etwas abwesend und seufzte. Dann setzte er sich nach vorne, die Ellbogen auf die Knie gestützt und die Hände zusammengefaltet. "Was ist los, Semir?", fragte Kevin eindringlich, er kannte Semir ja mittlerweile und spürte seine ungewohnte Angespanntheit. "Es ist gestern einiges passiert...", begann er und erzählte dann von den Vorkommnissen, genauso wie er es der Chefin erzählt hatte. Die Männer vor seiner Tür, die Ermittlungen in der Boxschule, und die Flaggenaktion am Abend, genauso wie die Berichte im Internet... und vor allem die Kommentare, die ihn so getroffen haben.
    "Weißt du... ich bin nie wirklich mit dem Thema in Berührung gekommen. Als ich jung war, klar hat man sich da mal ein Vorurteil angehört, aber sonst. Ich sehe ja jetzt auch nicht direkt türkisch aus, ich habe schon lange keinerlei Dialekt mehr, ich werde eigentlich nur durch meinen Namen verraten. Wie kann es sein, dass man so verurteilt wird, obwohl man mich nicht kennt? Ich verstehe das nicht...", sagte er hinsichtlich der Kommentare, und sah dabei beinahe verzweifelt aus. "Die Menschen haben Angst. Sie haben Angst durch die Medienberichterstattung aus den Krisengebieten, Angst vor den Berichten von Krise, Arbeitslosigkeit und Flüchtlinge.", sagte Kevin mit ruhigem Tonfall, der für Semir in dessen Lage sehr anngehnehm war. Bisher war es immer der erfahrene Polizist, der in extremen Situationen mit seiner Ruhe Kevin zur Seite stand, diesmal war es umgekehrt.


    Für einen Moment war es still im Wohnzimmer, und dann rückte Kevin mit der Sprache heraus. "Ich weiß, was dieses SF bedeutet.", sagte er und blickte Semir an, der sofort seine Augenpaare auf Kevin richtete. "Was? Woher?" "Ich... ich hab gestern eine Zeitreise in meine eigene Vergangenheit gemacht. An einen Ort, an dem ich als Jugendlicher oft war in der autonomen Szene. Ich hab mir dort Hilfe erhofft." "Du solltest doch im Bett bleiben!", polterte der erfahrene Polizist vorwurfsvoll, lächelte dann aber zwinkernd als er Kevins empörten Gesichtsausdruck vernahm. "Jedenfalls bin ich da auf eine alte Bekannte gestoßen und wir haben uns ein wenig unterhalten. SF steht für "Sturmfront", eine rechtsradikale Untergrundgruppierung. Und scheinbar, nach Annies Worten, ziemlich gefährlich." Semir dachte nach... gefährlich hatte er schon so oft gehört. "Wie gefährlich?" "Angeblich haben sie eins der Konzerte meiner damaligen Clique mit Messern, Pistolen und weiterer Bewaffnung angegriffen. Das sind keine prügelnden Hirnlos-Faschos."
    Nach einer kurzen Pause sprach Kevin weiter: "Sie wollte mir auch nicht ihren Aufenthaltsort verraten, obwohl ich mir sicher bin, dass sie ihn weiß. Weil es zu gefährlich ist." "Es geht doch um konkrete Ermittlungen. Der Typ hätte dich beinahe umgebracht, sie deckt damit einen Verdächtigen. Hast du ihr das so gesagt?" Kevin presste kurz die Lippen zusammen, und sah kurz auf den Boden. "Nein. Sie weiß nicht, dass ich mittlerweile Polizist bin." "Warum das nicht?" "Weil sie dann kein Wort mehr mit mir wechselt.", sagte er leise, denn er wusste um die Autonomen in ihrer Haltung zur Polizei. "Sie könnte uns aber noch weiterhelfen, deshalb darf sie nicht erfahren, dass ich bei der Polizei bin." Semir sah Kevin durchdringend an... "Ist das wirklich der einzige Grund, Kevin?" Manchmal hasste der junge Polizist Semirs feine Gedankenantennen...

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    Einmal editiert, zuletzt von Campino (19. August 2015 um 22:51)

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    • 21. August 2015 um 15:18
    • #33

    Zeitungsredaktion - 10:00 Uhr


    Auch Jenny und Ben waren mehr oder weniger geschockt ob der Kommentare, die sie im Internet über den Vorfall vor Semirs Haus gefunden hatten. Auf dem Weg zu der Zeitungsredaktion, die den Artikel veröffentlicht hatte, unterhielten sie sich darüber. Jenny, die auf dem Beifahrersitz saß und immer mal wieder aus dem Fenster blickte, wie der Nebel auf den Wiesen stand, schüttelte immer wieder mit dem Kopf. "Wenn du so vor sich hinlebst... und dich damit nicht beschäftigst... du würdest doch nie denken, dass es in Deutschland noch soviele Menschen mit solch braunen Gedanken im Kopf gibt, oder?", sagte sie und blickte zu ihrem Kollegen herüber. Der hatte den Ellbogen auf die Kante der Tür, wo das Seitenfenster begann, gestützt und einen Finger ans Kinn gelegt, während die linke Hand das Lenkrad festhielt. "Ich denke, die Mehrzahl dieser Leute sind keine Nazis, oder Rechtsradikale oder Menschen mit rechter Einstellung.", sagte er nachdenklich. "Ich glaube, das sind einfach Leute, die uninformiert sind... naiv sind und nicht beide Seiten beleuchten. Die haben Angst... die glauben das, was andere sagen, dass es in Deutschland bald keinen Platz mehr gibt, dass es in den Städten, wo Flüchtlingsheime gebaut werden Unruhen gibt." Jenny blickte wieder geradeaus und wog den Kopf hin und her. "Sie glauben dem ein oder anderen übertriebenen Medienbericht, und lassen sich von Nachrichten, die eigentlich normal sind, beeinflussen und verängstigen." Ben lenkte den Wagen von der Autobahn hinein in die Innenstadt, wo die Zeitung ihren Sitz hatte. Zum Glück war es ein regionales Blatt, so dass sie keine Weltreise unternehmen mussten.


    "Stell dir mal vor...", sagte Ben irgendwann "Du lebst als Deutscher irgendwo. Vielleicht verdienst du nicht viel und musst mit deinen Kindern schauen, wie du über die Runden kommst. Du siehst, dass den Flüchtlingen geholfen wird und fühlst dich ungerecht behandelt. Dann hörst du von einem Überfall in irgendeinem anderen Stadteil, wobei der Täter ein Südländer war. Da formt sich dein Feindbild von selbst zusammen, selbst wenn es nichts damit zu tun hat." Jenny konnte Bens Gedanken irgendwo nachvollziehen, und eigentlich fragte sie schärfer, als sie überhaupt wollte: "Du nimmst die doch nicht in Schutz, oder?" "Nein, um Gottes Willen. Jeder, der etwas ins Internet schreibt, sollte natürlich vorher nachdenken.", wehrte sich der Polizist sofort energisch, und Jenny entschuldigte sich bei ihm. "Aber ich meine, man muss das eben von beiden Seiten sehen. Was ist die Angst von Menschen, die vorher ein ganz normales Leben geführt haben, und jetzt plötzlich Fremden gegenüber feindlich sind. Ich meine, es gab ja auch Ausländer hier, bevor seit einem halben Jahr oder so, die Emotionen so hochkochen. Es muss ja etwas geben, was den Menschen Angst macht, und damit meine ich nicht die überzeugten Rechten, sondern normalen Menschen."
    Damit konnte Jenny schon mehr anfangen und sie gab Ben durch Nicken ihre Zustimmung. Sie war ein wenig erstaunt, dass der sonst so lustige und unbeschwerte Ben, bei dem man manchmal den Eindruck hatte, es fällt ihm schwer bei einer Sache durchgängig Ernst zu bleiben, solche Themen aus seiner Sicht erklärte. Sie hatte immer gedacht, dass er sich nicht so sehr um Politik scherte und Musik, sowie seine Arbeit alles einnehme. Sie war positiv überrascht und lächelte ihn an.


    Ben parkte den Mercedes auf dem Besucherparkplatz des Zeitungsverlages, sie gingen in das hohe Gebäude und Jenny steuerte zielsicher die Aufzüge an, denn sie mussten in den 5. Stock. Bens Herz schlug ein wenig schneller als er sie beobachtete, und setzte sein lockeres Grinsen ein. "Na komm, Jenny...", meinte er und zwickte sie neckisch in ihre Seite. "Du könntest eher die Treppen vertragen." Durch seine Mimik machte er deutlich, dass er sie nur ärgern wollte und es natürlich nicht ernst nahm, trotzdem wusste er, wie penibel die junge Frau auf ihre Figur achtete und bei sowas immer einen Funken Wahrheit empfand weil sie ständig Angst hatte, zu dick zu erscheinen. Sie schnappte nach Luft, stemmte gespielt empört die Hände in die Seite und folgte dem, zu den Treppen steuernden, Ben. "Na warte, Freundchen. Ich werde dich bei deinem nächsten Schoko-Croissant daran erinnern! Oder wenn du wieder XXL-Pizza bestellst.", rief sie ihm nach, als er bereits die Treppen hochstieg.
    Leicht ausser Atem kamen sie oben an, und Ben war froh, dass er den Fahrstuhl zumindest jetzt umgangen hatte, ohne Jenny irgendetwas von seiner Klaustrophobie zu erzählen. Am Empfang fragten sie nach dem Chef, doch der war leider ausser Haus. Es stellte sich dann eine Frau Ingrid Schiller vor, eine noch recht junge Frau im Hosenanzug und blondem Pferdeschwanz. Sie war Abteilungsleiterin für Internetartikel, schüttelte Hände und bot den beiden Polizisten Kaffee an.


    "Frau Schiller, es geht um den Artikel über die IS-Flagge in einem Kölner Wohngebiet gestern abend.", sagte Ben und hatte auf seinem Smartphone auch sofort den Link parat. "Wir müssten sie bitten, das Foto des Artikels so schnell wie möglich zu entfernen." "Aber aber...", sagte sie ein wenig empört, nachdem sie den Artikel studiert hatte. "Sie wollen uns doch nicht in unserer Pressefreiheit einschränken." Der Polizist atmete kurz durch, und verschluckte die etwas flapsige Antwort, die ihm kurz im Kopf umher ging. "Nein, Frau Schiller. Aber es handelt sich hier erstmal darum, dass dem Betroffenen die Flagge untergeschoben wurde. Das ist mittlerweile polizeilich erwiesen." Natürlich war es das für die offizielle Polizei nicht, aber für Ben und Jenny... daran gab es natürlich keinen Zweifel.
    "Und zweitens: Das Foto zeigt ganz klar das Haus. Auch Verdächtige haben ein Recht auf Privatsphäre und stehem unter diesem Schutz. Insofern können wir sie gegen das Bild belangen." Als ob sich Frau Schiller vergewissern wollte, was von dem Haus wirklich zu sehen war, nahm sie das Smartphone des Mannes nochmal in die Hand. Währenddessen ergriff auch Jenny das Wort: "Wollen sie dafür verantwortlich sein, dass ein paar Chaoten bei dem Mann einfallen? Das Haus angreifen? Die Kinder belästigen?" Die Abteilungsleiterin blickte nun vom Handy zu der jungen Beamtin, die bisher noch gar nichts gesagt hatte, und die Worte schien sie zu beeindrucken. "Sie müssten doch wissen, was momentan so los ist in unserem Land, wenn es um das Thema geht.", schob sie noch hinterher.


    "Na schön. Ich werde das in die Wege leiten. Allerdings kämpfen sie gegen Windmühlen. Alleine unser Beitrag wurde schon mehrmals geteilt, und ich weiß nicht, wieviele Zeitungen dieses Bild bereits bekommen haben und verwendet haben." Ein Verb machte die beiden Polizisten aufmerksam. "Bekommen haben? Sie meinen, das hat keiner ihrer Reporter gemacht?", fragte Ben nun genauer nach. "Nein, wir haben das per E-Mail bekommen, dann bei der Polizei angefragt. Da gingen mehrere Anrufe ein, und die haben uns weitere Infos gegeben. Flagge, und dass diese angeblich untergeschoben wurde." "Diese wichtige Info haben sie aber hübsch in einem Nebensatz versteckt.", sagte Ben mit Schärfe in der Stimme, und Jenny wurde wieder sachlicher: "Wie haben sie das Foto bekommen?" "Per E-Mail. Anonym." "Wir bräuchten dringend die E-Mail-Adresse, um den Absender ermitteln zu können.", sagte die Polizistin und dachte sofort an Hartmut. Ingrid Schiller zeigte sich diesmal sofort kooperativ, schickte Ben und Jenny zu einem Kollegen, der die Mails verwaltete und bekamen dort ihre Information.
    Noch auf dem Weg nach unten (den Jenny, wohl in Erinnerung an Bens dezentem Hinweis, diesmal von sich aus über die Treppen einschlug.) kontakierte Ben die Chefin, um einen Beschluss zu erwirken, die E-Mail-Adresse einem Computer oder einem Namen zuzuordnen... vielleicht hatten sie Glück...

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    • 24. August 2015 um 09:52
    • #34

    Lagerhalle - 12:30 Uhr


    Der Tag hatte heute wirklich ein Einsehen mit den, vom schlechten Wetter genervten Mitbürgern. Die Sonne strahlte, es war beinahe für November schon unverhältnismäßig warm, es schien als würde sich der Herbst zum letzten Mal aufbäumen und durch die, bereits kargen skelettartigen Bäume, noch einmal die Sonne durchschicken, um die Blätter zu belohnen, die sich bis zum Schluss an den Ästen fest gekrallt hatten. Kevin hatte aufgrund der ungewöhnlichen Wärme seine Jacke im Auto gelassen und kam nun, nur im Langarmshirt bekleidet in die Lagerhalle, und es fröstelte ihn nun doch ein wenig, denn in der Lagerhalle war es zugig und schattig. Wieder war zunächst niemand zu sehen, doch es hatte sich mittlerweile herumgesprochen, wer dieser Typ war, der hier gestern aufgekreuzt war, der zwar nicht nach normalem Durchschnittsbürger, aber auch nicht nach linksradikaler Autonom aussah.
    Der junge Polizist war von Semir mit einem ganz klaren Auftrag hierher geschickt worden: "Finde mehr über die Sturmfront heraus!", hatte er ihm unmissverständlich mitgeteilt. Er war überzeugt davon, dass er in seinem Leben wieder Ruhe hatte, wenn diese Vereinigung anhand irgendwelcher Straftaten hinter Gitter gebracht werden würde. Semir hatte eingewilligt, schweren Herzens weil es ihm selbst unter den Nägeln brannte, Kevin alleine zurück zu den Punks gehen zu lassen, weil dieser drum gebeten hatte. Er hatte befürchtet, dass es dann zu sehr auffiele, nach der SF zu fragen. "Die riechen 10 Meter gegen den Wind, dass du ein Bulle bist.", hatte er grinsend gesagt und versichert, dass dann die einzige Informationsquelle für immer versiegt sei. Semir glaubte seinem Freund, und er vertraute ihm dahingehend... er würde wissen, was er tat.


    Die Schritte halten durch das große und in seiner Größe trotz der kargen Einrichtungsgegenstände, leere Gebäude. Wie oft hatte er hier seine Nächte, seine Tage, Wochen, Monate verbracht. Auf Konzerten von der Bühne gesprungen, gefeiert und getrunken, Drogen genommen, den Rausch erlebt und den Rausch danach ausgeschlafen oder einfach weitergemacht. Wieder strömten eine Flut von Erinnerungen seinen Kopf, viel stärker als gestern, denn heute begrüßten ihn die Jungs der Szene nicht mit Baseballschlägern und Totschlägern, sondern mit einem Handschlag. Annie hatte scheinbar einige darüber in Kenntnis gesetzt, wer Kevin wirklich war... ein ehemaliges Mitglied, das zwar, wie sie es sagen würde, "Opfer des Systems" wurde, aber dennoch hier freundlich aufzunehmen ist. "Wer einer von uns war, bleibt einer von uns.", hatte Jerry schon früher gepredigt. Ausnahmen gab es natürlich... wenn "der von uns" zum Beispiel ins rechte Lager wechselte, in die Politik, oder zur Staatsgewalt... zur Polizei. Er hätte gerne gewusst, wie Jerry auf ihn reagiert hätte, wenn er ihn in dieser Situation angetroffen hätte und zugegeben hätte, Polizist zu sein und nicht damals in einer Notsituation im Gefängnis, als es mehr oder weniger zufällig herauskam... und Jerry damit geholfen hatte.
    Zwei Jungs mit bunt gefärbten Haaren gaben Kevin die Hand, und sie fragte er dann, ob Annie irgendwo sei. "Die ist heute morgen ganz früh weg, aber du kannst auf sie warten.", gab einer zur Antwort, bevor sie sich auf den Weg in die Fussgängerzone machten, um dort zu warten dass Menschen Mitleid mit den zerissenen Jungs hatten, und ihnen ein paar Cents in den Kaffeebecher warfen.


    Früher war das selten, dass man betteln gehen musste... damals waren viele Mitglied der Diebesbande um Jerry und konnten davon ihren Drogen- und Alkoholkonsum, sowie ihr Essen bezahlen. Mehr brauchten sie ja nicht, wenn sie hier lebten. Aber mit Jerry verschwand auch die organisierte Kriminalität. Zurück blieben nur noch Gewaltdelikte vor allem gegen Polizisten, Hausfriedensbrüche wenn die Autonome leer stehende Häuser besetzten sowie Sachbeschädigung, wenn sie diese wieder verließen und den Bauspekulanten auf diese Art und Weise zeigen wollten, was sie von ihnen hielten.
    Kevin ging den Weg des gestrigen Tages, vorbei an manchen Matratzen wo Jugendliche lagen, manche hatten zerfledderte Bücher, einer kochte sich auf einer alten elektrischen Kochplatte ein Süppchen, während ein Mädchen laut meckernd zu ihm kam und sich beschwerte, dass die Sicherung der alten Halle ständig rausfliege, wenn man die Kochplatte zusammen mit dem Kofferradio anschloß. Ein Junge, der einen so hohen Iro hatte, dass er sich unter manchen Türen durch bücken musste, fragte Kevin nach einer Kippe, und etwas Speed... sein Dealer wäre gestern nicht erschienen. Der Polizist gab ihm drei Kippen, damit er über den Tag kam, aber mit Speed könne er nicht dienen. Trotzdem bedankte sich der Junge lächelnd und Kevin verzichtete mit mulmigen Gefühl auf den Standardspruch: "Lass den Speed besser sein." Wer war er denn, dass er in der Position sei, anderen Ratschläge über Drogenkonsum zu geben, er der seine Pillen selbst noch bei Jenny im Schrank hatte, nur um zu wissen, dass sie da waren.


    Zwei Jungs, die um eine Tageszeitung saßen, verwickelten ihn dann in ein Gespräch, und erzählten, dass sie schon länger hier waren und gerade noch die Verhaftung von Jerry mitbekommen hatten, bis Annie dann kam und mit einem Lächeln zu Kevin blickte. Es war eine Art Lächeln, als hätte sie den jungen Polizisten heute wieder erwartet. Sie umarmte ihn und sie begrüßten sich mit zwei flüchtigen Küssen, als wäre es das normalste von der Welt. Einer der beiden Jungs, ein etwas kleiner gewachsener Punk mit blond gefärbten, stacheligen Haaren, betrachtete dies mit eisiger Miene, wie Kevin kurz feststellte.
    "Na, was machst du hier?", fragte Annie dann und nahm den Polizisten bei der Hand, um ihn mit kessem Lächeln von der Gruppe weg zu ziehen. Eine Eigenart von Annie, nicht zu fragen dass man sich jetzt ein wenig absetzen wolle, sondern sich einfach zu nehmen, was sie wollte. Sie konnte einen dann vollkommen vereinnahmen, ohne dass man etwas dagegen tun konnte. "Ich habe gedacht, ich teste mal die neue Gastfreundschaft.", sagte der Polizist, ebenfalls mit einem Lächeln. "Und? Wie war die Gastfreundschaft?" Er reckte ohne Kommentar den Daumen nach oben und Annie lachte. "Ja, die Jungs mussten erst mal informiert werden. Aber jetzt wissen sie, wer du bist." Kevin lief es bei dem Satz ein wenig kalt den Rücken herunter, ähnlich als er damals im Knast mit Jerry redete. Wieder log er eine ehemalige Verbündete, eine Freundin, der ehemals wichtigste Mensch in seinem Leben, neben seiner Schwester, an... nein, sie wussten eben nicht, wer er ist. Sie glaubten zu wissen, wer er ist.


    Annie ging die Treppen nach oben, ohne zu sagen, wo sie hinwollte... aber Kevin ahnte es. Er kannte diesen Weg, die klirrenden Metalltreppen auf eine Art Empore. Von dort führte eine Feuerleiter hinauf aufs Dach der Lagerhalle, wo man zwar etwas wackelig, aber herrlich sitzen konnte und über einen Teil des Industriegebietes und die Stadt blicken konnte. Rauchende Schlote von Kraftwerken, leises Summen von Stromgeneratoren und immer währende Arbeitsgeräusche machten einen besonderen Charme. "Mensch, hier oben war ich ja schon ewig nicht mehr.", sagte er und lächelte, als sie an die frische Luft kamen. Sie setzte sich auf das, nur ganz leicht abschüssige Wellblechdach der Halle und winkelten beide die Beine an wenig an, um nicht herunter zu rutschen. "Hier haben wir früher ganz oft gesessen.", sagte Annie und blickte den jungen Mann von der Seite an. "Ja... nachts vor allem. Wir sind hier über das Dach gelaufen und haben die Polizisten ausgelacht, die dachten, wir wollten Selbstmord begehen."
    Für einen Moment waren sie still... die Beziehung zu Annie war damals soviel anders als zu Jenny. Sie war zwar oft geprägt von dem ein oder anderen lauten Streit, doch das brauchten sie. Sie brauchten diese Disharmonie um zu merken, wie sehr sie ihre Liebe brauchten. Und sie drückten ihre Liebe füreinander nicht aus, in dem sie zusammen vor dem Fernseher kuschelten, zusammen kochten, oder einen Ausflug in den Zoo machten, sondern dass sie über Dächer liefen, Einbrüche begingen und mal darüber sinnierten mit einer geklauten Harley einfach weg zu fahren, und sich zu nehmen, was sie wollten. Ein frei sein, frei von allen Verpflichtungen, frei von allen Gesetzen.


    Annie schien an diesen Traum zu denken, und äusserte dies auch. "Manchmal möchte ich einfach nur weg von hier. Die Szene ist nicht mehr das was sie war.", sagte sie, ohne ihren Nebenmann anzublicken. "Ich wollte hier eigentlich nie so lange bleiben... und jetzt sitze ich immer noch hier." Kevin strich sich mit den Fingern unter den Naseflügeln, und erinnerte sich auch an den Traum. "Ich dachte eigentlich, um diese Zeit wären wir beide schon zusammen im Knast.", meinte sie nun lachend und blickte den stillen Polizisten von der Seite an. "Was ist los? Erinnerst du dich nicht mehr an unseren Traum?", fragte sie und schubste ihn leicht in die Seite. "Doch, natürlich. Aber ich frage mich, ob dieser Traum wirklich noch so erstrebenswert ist.", meinte er mit seiner markanten monotonen Stimme. "Nagut, den Knast könnte man weglassen, und das Geld, was wir brauchten müssten wir uns vielleicht nicht auf kriminelle Art beschaffen.", sagte die junge Frau und lehnte ihren Kopf an Kevins Schulter, als wollte sie ihn als nächstes auffordern, sie mit seinem Motorrad abzuholen.
    "Was ist mit dir? Lebst du wenigstens ein bisschen den Traum?" Eigentlich nicht, dachte Kevin sofort und er zuckte nur mit den Schultern. "Nein, eigentlich nicht." "Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.", sagte Annie und blickte dem Polizisten in die Augen... Kevin konnte ein leuchten erkennen, ein unheilvolles Leuchten und er hatte seinen "Auftrag" seitens Semir vergessen. "Ich glaube doch... ich lebe ein anderes Leben jetzt. Ich habe eine Freundin, ich habe einen Job.", sagte er, und spürte, dass die Erkenntnis ein wenig schmerzte, und er Annies enttäuschtes Gesicht sah. Er wusste nicht, ob sie eher über den Job oder die Freundin enttäuscht war.


    Für einen kurzen Moment blieb sie mit eingefrorenem Lächeln sitzen, bis sie, beinahe spöttisch sagte: "Also ein schön geregelter Tagesablauf... Arbeiten gehen, Heiraten, Kinder kriegen, dem Staat zu Kreuze kriechen." Dabei blickte sie Kevin nicht an, sondern sah geradeaus vom Dach. "Alles das, wogegen du damals warst." Bei diesem Satz drehte sie sich doch wieder zu ihm um, wobei sich die Blicke erneut trafen. Kevin schwieg... er wusste nicht, was er sagen sollte, denn sie hatte im Prinzip recht. Zeiten ändern sich, doch hatte er sich im Herzen geändert? War er wirklich zu 100 Prozent glücklich? Glücklich war er mit Jenny natürlich, aber war es schon das Ultimative? Wie konnten ihm jetzt Zweifel daran kommen??
    Annie griff bestimmt, aber zärtlich an den Kragen von Kevins Oberteil und schob ihn ein wenig zur Seite, bis sie Blick auf Nacken hatte. Oben rechts, fast über dem Schulterblatt war ein kleiens Tattoo... eins, das man kaum bemerkte, wenn man nicht wusste dass es da war. Jenny hatte es bestimmt schon mal gesehen, aber nicht genau angeblickt. Es war ein Satz, geschrieben in verschnörkelten Buchstaben. "Viva la Revolution", ein Kampfruf von damals. Annie lächelte, und schob den Kragen wieder sanft zurück, wobei sie Kevin, der immer noch stumm blieb, ansah. "Die Zeiten sind also vorbei?" "Ja, die Zeiten sind vorbei..."

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 25. August 2015 um 18:47
    • #35

    Dach der Lagerhalle - 13:30 Uhr


    Es war ein seltsames Gefühl für beide, dort oben über der Lagerhalle zu sitzen und auf die Stadt herunterblicken, die Sonne, die beinahe kalt wirkte, auf sich zu spüren. Es war fast so normal, Annies Haare an Kevins Wange zu spüren, den leichten rötlichen Schimmer zu sehen, der von ihrer knalligen Haarfarbe abstrahlte, ohne dass er seine Augen auf sie richtete. Es war eine merkwürdige Stimmung, sie waren still geworden, hatten einige Minuten geschwiegen und auf die Stadt runtergeblickt, und unternahmen eine Zeitreise in ihre Vergangenheit, jeder für sich und doch gemeinsam. Was hatten sie falsch gemacht, was richtig... und taten sie gerade jetzt etwas Falsches? Tat Kevin etwas Falsches, dass er dieses, scheinbar unheilvolle Treffen nicht abbrach, nachdem Annie Andeutungen machte, noch Gefühle für ihn zu hegen. Aber war es ihm unangenehm? Ganz und gar nicht... Kevin war ein Mensch, der nur schwer mit etwas abschließen konnte, schon gar nicht, wenn es um Liebe ging. Er würde für Annie immer einen Platz haben, er hatte immer mit Sehnsucht an sie zurückgedacht, obwohl es schon so lange her war. Doch jetzt war Jenny in seinem Leben, er war gerade drauf und dran den Schritt zu machen, weg vom Auf und Ab, weg davon immer wieder zwischen Polizist und Verbrecher, zwischen Junkie und normalen Bürger zu schwanken. Er war kurz davor den endgültigen Schnitt zu ziehen... darüber hatte er nachgedacht. Endlich eine feste Dienststelle... ein festes soziales Umfeld, Semir und Ben als enge Freunde. Jenny als Lebenspartnerin, eine Wohnung, später vielleicht ein Haus. Gedanken, die für Kevin untypisch waren, für den jüngeren Kevin gänzlich absurd.


    Doch ausgerechnet Annie erweckte jetzt die Gedanken des jüngeren Kevin, des 17jährigen, der er tief in sich drin irgendwo immer noch war. Der das Chaos liebte, sowohl in seinem Leben als auch in seinen Gefühlen, der Routinen hasste und sich am liebsten kopflos ohne Gedanken in ein Abenteuer stürzte. Der leben wollte, solange es ging, ohne sich um Regeln, Vorschriften oder Verantwortungen zu scheren. Verantwortlich für sich selbst, und sonst für nichts. Doch er war nicht mehr 17, er war auch keine 18, er war Ende 20 und müsste sich so langsam entscheiden, wo sein Leben hingehen sollte. Noch einmal den absoluten Turn-around? Weg vom geregelten Leben hinein ins Exzessive? Nein... schon gar nicht ohne Jenny. So kompliziert es war, mit alten Liebesgeschichten endgültig abzuschließen und Gefühle einzufrieren, so leicht fiel es ihm andererseits treu zu sein. Ja, er liebte Jenny... daran gab es keinen Zweifel. Sie war zwar so anders als Annie, so bodenständig, vernünftig... das Wort "normal" schien Kevin in diesem Zusammenhang beinahe schon negativ... es klang nach "langweilig." Aber das war Jenny nicht, sie war wie sie war.
    Trotzdem konnte er sich vor dem Gefühlschaos nicht verstecken, von dem auch Annie ergriffen worden war, als sie Kevin gestern das erste Mal sah. Sie hatte oft an ihn gedacht, doch seinen Geist in ihrem Kopf immer wieder verdrängt. Sie wollte damals keine feste Beziehung, sie war jung und frei, und wollte sich einfach noch woanders die Hörner abstoßen. Damals hatte man gefeiert, viel getrunken und halt auch eben ausprobiert, was so ging... sie war im Kopf damals einfach nicht so weit wie Kevin, denn das Aus der Beziehung damals traf wie ein Hammerschlag. Für das Mädchen war das damals völlig normal... die Sehnsucht danach, dass der junge Punk der einzige war, für den sie wirklich mehr als nur Zuneigung empfand, diese Erkenntnis kam ihr erst, als es zu spät war. Sie hatte Kevin verloren, und hatte nicht damit gerechnet ihn nochmal zu sehen... bis gestern.


    Sein erster Satz, als er gestern kam, hatte sie erschreckt... als wäre es erst wenige Tage her, dass sie sich angeschrien hatten, er sich wie ein Arschloch verhalten hatte und seinen Nachfolger voller Eifersucht während eines Trips fast totgeschlagen hatte und sie danach kein Wort mehr gewechselt hatten. Damals hatte sie die kalte Arroganz von Kevin zu spüren bekommen, die sie verwirrt hatte, denn im Gegensatz zu ihm hatte sie die Beziehung eben als Abenteuer erfahren... nicht als Beziehung. In dem Punkt waren die beiden völlig verschieden... vielleicht brauchten sie das.
    Jetzt jedenfalls hatte sich Annie unendlich gefreut, dass Kevin wieder zu ihr kam, dass sie zusammen redeten über alte Zeiten, dass sie ihm vielleicht das Stückchen Papier, dass sie vor einigen Jahren geschrieben hatte, ihm vielleicht geben könnte. Sie hatte den Eindruck, es wäre jetzt, nachdem er sie mit der Wahrheit konfrontiert hatte, der beste Zeitpunkt. Ein wenig sehnsuchtsvoll seufzte sie und kramte das zusammengeknüllte Papier aus ihrer Jeanstasche, denn sie hatte es heute morgen wohlwissentlich als Hoffungsträger eingesteckt, in der Hoffnung, sie könne ihn heute sehen und es ergab sich eine Möglichkeit, sich ihm mit zu teilen. Sie hätte vor einigen Jahren, als sie den Text (denn sie wusste, dass Kevin damals unendliche Kreativität in Musik gesteckt hatte) geschrieben hatte, niemals gedacht, dass der jungen Mann neben ihr diese Zeilen nochmal zu Gesicht bekommen würde. Die junge Frau hatte sich die Umstände eigentlich auch schöner vorgestellt als jetzt... sie legte das Stück Papier in seinen Schoss, stand wortlos auf und ging langsam in Richtung der Leiter. Sie wollte nicht dabei sein, wenn Kevin es las, und das verstand er auf Anhieb. Er würde genauso reagieren... umdrehen, gehen, sie alleine lassen. Er war sich sicher, dass Jenny so niemals reagieren würde, als er den zerknüllten Zettel aufklappte, und ein komplettes Gedicht zum Vorschein kam...


    Ich bin es so leid, ohne dich zu sein
    Ich spür' wie das Leben aus mir rinnt
    Nichts dringt mehr bis zu mir herein
    Träumen und Wachen jetzt eins nur sind


    Die Stunden und Tage unterscheiden sich kaum
    Ich bin es so leid, ohne dich zu sein
    Wie Staub tanzt dein Bild durch jeden Raum
    Doch nichts dringt mehr bis zu mir herein


    Irgendwann bin ich doch irgendwie eingeschlafen
    Und habe die nacht überstanden, vielleicht
    War es ja die Kraft der ersten Strahlen
    Des neuen Tages, dass ich dich erreicht


    Hilf mir dich zu finden nach all diesen Jahren
    Nimm mich ein kleines Stück Weges mit dir
    Heile die Wunden, die unheilbar waren
    Ich wär fast gefallen, doch dann warst du hier


    Die letzte Zeile war durchgestrichen, und das, was Kevin las, mit einem anderen Kugelschreiber darunter geschrieben. Als hätte sie, als sie den Text geschrieben hatte, noch etwas anderes da stehen gehabt... etwas hoffnungsloseres. Es schien, als hätte sie die Zeile erst gestern, nachdem er aufgetaucht war, ergänzt. Mit einem Schlag wurde dem jungen Polizisten klar, dass er für Annie meht bedeutete, als ein guter Freund, der einfach eine Zeitlang weg war. Einer von vielen Bekanntschaften. Sie drückte damit aus, dass sie für den jungen Polizisten noch etwas empfand... mehr als Freundschaft, vielleicht sogar mehr als das, was sie empfand in der Zeit, als sie ein Paar waren. Und für einen Moment wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte, er umklammerte das Stück Papier wie einen Haltegriff, las es nochmal, hob den Blick um über die Stadt zu sehen, und las es ein drittes Mal.
    Es hielt ihn nicht mehr hier oben... Kevin erhob sich von den leicht abschüssigen Sitzplatz, ging mit vorsichtigen Schritten zurück zur Feuerleiter und stieg diese Stück für Stück nach unten, bis er an der Empore ankam. Von dort führten ihn seine, längst nicht mehr so sicheren Schritte, zur Treppe. Er ging zu Annies Schlafplatz, wo er vorhin auf sie gewartet hatte, wo er die junge Frau im Schneidersitz auf ihrer Matratze und dem Schlafsack sitzen sah. Ihre Augen hatten leicht die Farbe ihrer Haare angenommen, sie konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen, und als sie die Geräusche bemerkte, die Kevin durch seine Schritte machte, blickte das Augenpaar nach oben zu dem jungen Polizisten. "Tut mir leid.", sagte sie leise, als sie erahnen konnte, wie sie ihren Ex-Freund mit ihrer Emotionalität, ihrer Gefühlswelt überfahren hatte. Doch der wollte keine Entschuldigung hören, sondern streckte seine rechte Hand nach Annie aus, die diese dankbar ergriff und sich langsam aufrichten ließ. Als die junge Frau aufrecht stand, schloß der so schweigsame Mann sie in die Arme und Annie ließ dies gerne willenlos geschehen, schloß sie ihre Arme doch um den schlanken Körper Kevins, und konnte seine Wärme und seinen Duft klar spüren.


    Sie hielten sich aneinander fest... eine Minute, zwei Minuten, fünf Minuten? Sie wussten es beide nicht. Es kam ihnen unendlich lange und doch viel zu kurz vor. Es war nur Trost, den Kevin spenden konnte, wenn auch ein schwacher Trost, als er, während der Umarmung leise in Annies Ohr sagte: "Ich verspreche dir, dass ich immer für dich da bin. Aber ich kann die Zeit nicht zurückdrehen." Die erste Runde im Kampf zwischen Kevins altem und Kevin neuem Leben hatte das neue Leben gewonnen. Die Antwort war nur ein schwaches Nicken von Annie und die leise, aber verständnisvolle Antwort: "Ich weiß...". Jetzt spürte sie das, was Kevin vor Jahren spürte... Sehnsucht, Trauer, vielleicht auch Wut... jedenfalls das schwierige Gefühl, eine Person los zu lassen, die man eigentlich nicht los lassen will. Kevin wollte Annie nicht loslassen, als die Schluß gemacht hatte, Annie hatte für dieses Gefühl über 10 Jahre gebraucht...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 27. August 2015 um 00:06
    • #36

    Stadt Köln - 14:00 Uhr


    Kevin hatte das Gefühl, seine Beine wären aus Pudding, der Boden unter ihm aus zähflüssigem Gummi bestehen würde und jeder Schritt ihm extrem schwer fiel. Nicht nur aus dem Grund, dass er jetzt mit keinem Wort noch einmal den Standort der Sturmfront bei Annie angefragt hatte und ihn deswegen ein wenig das schlechte Gewissen gegenüber Semir quälte sondern vor allem, weil er von Annies Geständnis mehr als nur überfahren wurde. Ja, er hatte sich sofort an die Zeit zurückerinnert, als er sie gestern gesehen hatte, er fühlte sich zurückversetzt und es hatte sich verdammt gut angefühlt. Aber er hätte niemals, im Leben nicht daran geglaubt, dass seine Jugendliebe wirklich noch Gefühle für ihn hatte. Aber Annie hatte sich verändert. Hätte er sich vielleicht freiwillig hierher verirrt, wenn er das gewusst hätte? Hätte er es gewagt, würde er es jetzt wagen? Das gerade erkämpfte, in halbwegs geregelten Bahnen verlaufende Leben aufgeben für ein bisschen Chaos, ein bisschen Abenteuer, Unsicherheit und Freiheit?
    Semir erkannte sofort den verkniffenen, leicht abwesenden Blick seines Kollegen, und er kannte Kevin mittlerweile so gut, dass er diesen Blick richtig deuten konnte. Erfahren hatte er definitiv nichts... und scheinbar war das Gespräch in keinster Weise so, wie sich der Polizist es vorgestellt hatte. Ohne ein Wort zu sagen ließ Kevin sich in den BMW des erfahrenen Polizisten gleiten, begleitet von einem hörbaren Ausatmen. "Nichts?", fragte Semir kurz. "Nichts.", war auch die ebenfalls und exakt genauso kurze Antwort. Enttäuscht presste der Kommissar die Lippen zusammen und startete das Auto. Kevin hatte ihm vorhin in der Wohnung noch kurz und knapp geschildert, in welchem Verhältnis er zu Annie stand, einige Jahre zuvor. "Und das Gespräch war nicht gut?", hakte er nach, denn Kevin erschien ihm zu niedergeschlagen, als das dies nur von der gescheiterten Informationsbeschaffung herrührte. Ein wenig spitzte der junge Mann die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, während er gegenteilig ein "Doch...", aus dem Mund herausbrachte. Er hätte auch einen Satz auf Chinesisch sagen können, und Semir wäre genauso weit gewesen, wie er jetzt war als er auf die Hauptstraße einbog.


    Auch Annie fühlte sich nicht gut. Sie war wütend auf sich selbst, wütend auf ihr Leben, wütend darüber dass Kevin nochmal in ihrem Leben aufgetaucht war. Ja, sie hatte ihn vermisst... ja, sie hatte an ihn gedacht. Aber war das nicht normal? Dass man als Jugendlicher eine Liebe fand, die man nicht vergisst? An die man auch dachte, wenn man glücklich mit einem anderen Mann zusammen war, verliebt war, verheiratet und glücklich war? War da, irgendwo in einer geheimen Ecke, hin und wieder dann nicht dieser Kerl, mit dem es auch hätte klappen können? So hatte Annie es sich vorgestellt. Doch sie war allein, nicht einsam und nun tauchte dieser Typ wieder auf... und verdammt, er hatte sich verändert. Er war nicht mehr der unbeherrschte Junge von damals, sondern ein stiller Mann geworden, hatte sich so gewandelt dass er auf sie geheimnisvoll wirkte. Zu gerne hätte sie gewusst, was er alles gemacht hatte in der Zwischenzeit...
    Die junge Frau saß im Schneidersitz wieder auf ihrem Bett und hatte zwei, drei Tränen verdrückt, als der junge Punk mit den blonden Stachelhaaren seinen Kopf um die kleine Abtrennwand, die letztendlich nur eine aufgehängte Volldecke war, damit die Leute, die hier tatsächlich wohnten, ein wenig Privatsphäre hatten. "Annie? Weinst du etwa?", fragte er vorsichtig, um sicher zu gehen, dass er nicht völlig ungelegen kam. Sie schniefte zweimal und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ihres zu langen Pullovers von der Wange. "Hey Sammy... nein, es ist alles okay.", sagte sie und versuchte zu lächeln. Sammy war schon als 15jähriger hierher gekommen, ein etwas schmächtiger Junge, der sich in seiner Statur und seinem Wesen nicht alzu sehr geändert hatte. Jetzt war er 22, und war schon immer, seit er hier war, von Annie fasziniert... sowohl äusserlich, als auch von ihrer Art. Er wusste aber, dass er niemals eine Chance bei ihr haben würde, und musste sich das spätestens eingestehen, als er ihr bei einem Punkkonzert etwas Nettes über das Mikrofon gesagt hatte. Viele hatten ihn ausgelacht, belächelt, aber Annie fand es selbst großartig, was sie Sammy auch sagte. Aber natürlich auch, dass sie nicht die Richtige für ihn war...


    Aber der kleine Punk bemühte sich immer um sie, er war einfach gern in ihrer Nähe und unterdrückte seine Gefühle, und so waren sie einfach nur sehr eng befreundet. Jetzt kam er in seiner ganzen Erscheinung hinter dem Vorhang hervor und setzte sich zu Annie aufs Bett. "Ist es wegen dem Typ, der gerade da war?", fragte er, immer vorsichtig herantastend um die junge Frau ja nicht in die Enge zu drängen. Annie nickte lächelnd, sagte aber direkt: "Aber er hat nichts Böses getan, keine Angst." "Wer war das?" Die junge Frau fuhr sich mit einer Hand durch ihre Kurzhaarfrisur und atmete hörbar aus. "Er war vor ganz langer Zeit hier bei uns. Und er war ein sehr sehr enger Freund für mich.", sagte sie und trotz ihrer feuchten Augen, und einer weiteren Träne, die ihr über die Wange lief, lächelte sie ehrlich. "Und, warum weinst du dann?"
    "Genau, liebste Annie... warum weinst du dann?", fragte eine dritte Stimme, und beide Punks die auf dem Bett saßen, drehten den Kopf erschrocken in die Richtung des Vorhangs. Annie kannte die Stimme sofort, ihr Herz setzte für einen Moment aus und sie erkannte das Gesicht des Mannes, der da stand, sofort. Sie wusste nicht, wie sein wahrer Name war... sie wusste nur dass er bei der Sturmfront Lunikoff oder kurz "Luni" genannt wurde. Seine blonden Haare hingen ihm von einer Seite locker ins Gesicht und äusserlich entsprach er gar nicht dem typischen Klischee eines Rechtsradikalen. Schräg hinter ihm stand ein weiterer Mann, schmächtiger und etwas kleiner als Luni, die Haare an den Seiten kurz geschoren. Beide grinsten, als sie auf die, in diesem Moment so schwächlich wirkende Annie herunterblickten. "Was wollt ihr hier? Warum...", fragte sie zischend und versuchte sofort, ihre dominante Haltung an zu nehmen. "Warum uns niemand aufgehalten hat? Nun, wir hatten einen Schlüssel...", sagte Luni und hob die Jacke ein wenig an. Der Griff eines Revolvers glänzte aus dem Hosenbund, und die junge Frau biss sich auf die Lippen.


    "Was habt ihr hier verloren? Ihr habt gesagt, dass ihr uns in Ruhe lasst!" "Wir haben nur ein paar Fragen... und schon sind wir wieder weg.", sagte der Neo-Nazi mit katzenfreundlicher Stimme. "Ihr bekommt hier aber keine Antworten, ihr scheiss Faschos! Also verpisst euch.", knurrte Sammy und stand angriffslustig auf, denn er hatte das Gefühl, Annie schützen zu müssen und ging drohend auf Luni zu, der den Punk sofort an seiner Lederjacke griff. "Was willst du kleiner Hosenscheisser denn?" Luni war mindestens einen Kopf größer und 20 kg schwerer, während sein Freund Stuka schon die Zähne leckte. "Hört auf! Lasst ihn los, sonst verspreche ich euch, ihr kommt hier nicht lebendig raus.", keifte Annie sofort und stand ebenfalls von ihrem Bett auf. Das Lächeln bei Luni erkaltete, und auch wenn er eine Waffe bei sich hatte... mit 15 oder 20 gewalttätigen Punks, die hier in der Nähe waren und durch Lärm sofort angelockt wurden, war nicht zu spaßen. Er schubste Sammy von sich weg. "Los, verpiss dich!", befahl er ihm, und der Junge schien ein wenig seinen Mut verloren zu haben. "Annie...", sagte er ein wenig hilfesuchend, unsicher ob er die junge Frau alleine lassen konnte. "Geh. Wenn ich in 10 Minuten nicht bei dir bin, sag Olaf Bescheid, dass er alle zusammentrommeln soll." Eine Rückversicherung für die junge Frau, was auch Sammy ein wenig beruhigte, und er zog ab.
    "Disziplin ist in deiner Truppe nicht unbedingt eine Stärke, was?", witzelte Stuka aus dem Hintergrund. "Wir sind auch keine Militärtruppe, so wie ihr!", sagte Annie feindselig, während Luni sich auf der tiefen Matratze niederließ, und sich eine Zigarette ansteckte.


    "Kommen wir zur Sache, ich will mich hier nämlich nicht lange aufhalten... ich habe Angst, dass ich mir etwas einfange...", sagte er in aller Seelenruhe und blies Annie von unten den Rauch der Zigarette ins Gesicht. "Aus eurer Halle kam eben ein Kerl. Sah nicht aus, als würde er zu euch gehören, denn er sah aus als würde er sich zumindest alle zwei Tage ordentlich waschen. Was habt ihr mit ihm zu tun?" Annie rutschte ein weiteres Mal das Herz in die Hose... Zweifelsohne sprach sie von Kevin. Loyalität stand für die junge Frau in dieser Gruppe an erster Stelle, vor allem gegenüber ihren schlimmsten Feinde, gegenüber den Neo-Nazis und der Staatsmacht, der Polizei. Das hatte sie von Jerry zu beigebracht bekommen. "Ich weiß nicht wen ihr meint.", sagte sie mit einer möglichst starken Überzeugung. Luni sah zu Stuka, ein kurzer Blick, dann wieder zu Annie. "Schätzchen, ich fass dich nur ungern an, aber ich werds tun müssen, wenn du mir nicht sagst, was du mit dem Kerl zu tun hast."
    "Er hat sich hier verlaufen. Hat ne Adresse gesucht, und wir haben ihn wieder weggeschickt.", sagte sie und verschränkte die Arme zur Abwehrhaltung vor der Brust. "Dann scheint er nicht besonders helle zu sein, denn er hat sich gestern auch schon hier verlaufen.", meinte der Faschist nun mit schärferer und lauterer Stimme, und Annie erschrak innerlich. Die Typen schienen Kevin schon länger zu beschatten... scheinbar hatten sie es tatsächlich auf ihn abgesehen. Mein Gott, was sollte sie nur tun. "Also...", meinte Luni und erhob sich von dem Bett, während er nochmal an seiner Zigarette zog. "Entweder, du sagst uns jetzt, was wir wissen wollen... und wir verschwinden so schnell, wie wir gekommen sind und lassen euch Ratten wieder alleine. Oder wir gehen, und kommen morgen... oder übermorgen... oder in zwei Stunden mit soviel Männern, schlagen euch tot und heizen mit euren undeutschen Kadavern das größte Martinsfeuer der Stadt, wie hört sich das an?" Seine Stimme klang unheilvoll, Annie hatte keinen zweifel daran, dass er zumindest die erste Drohung, mit mehr Männern hier wieder aufkreuzen würde, wahr machen würde. Aber sie konnte doch Kevin nicht verraten... "Also, zum letzten Mal... was habt ihr mit dem Bullen zu tun?"


    Annies Herz setzte aus. Mit dem was...? Was hatte er gerade gesagt? "Hast du gerade "Bullen" gesagt?" Stuka grinste übers ganze Gesicht, und auch Luni schien angenehm überrascht darüber. "Oh... gibt es da etwa etwas, was du noch nicht weißt?" Die junge Frau konnte ihre selbstbewusste Haltung nicht mehr aufrecht erhalten, so groß war der Schock. Ihre Gesichtszüge entglitten, ihr Mund stand offen. Für die Autonomen, die Hausbesetzer waren die Polizei der größte Feind neben den Faschisten. So oft empfanden sie das Gesetz als pure Provokation, als Schikane, wenn sie mit Knüppeln aus besetzten Häusern gezogen wurden, wenn die Polizisten rechte Demos bewachten waren sie in den Augen der Punks gleich zu setzen mit den Rechten. Kevin gehörte dazu... und er hatte nichts gesagt. Hatte geschwiegen, sie im Unklaren gelassen. Er war nicht nur ein Bulle, ein dreckiger kleiner Polizist, sondern auch noch unehrlich und falsch. Ihre Wut überkam sie, wenn Kevin hier wäre, würde sie ihn anschreien, wahrscheinlich ohrfeigen oder Schlimmeres. Doch er war nicht da... ihre Wut entlud sich in ihrer Stimme.
    "Er heißt Kevin.", kam nur stockend aus ihr heraus. "Das wissen wir bereits. Hier...", sagte Luni und faltete einen Ausdruck aus dem Polizeicomputer, den sie von einem befreundeten Polizisten, der auf ihrer Seite stand (heimlich natürlich) bekommen hatten. Ein Portraitfoto des 26jährigen Kevin, kurz nach seiner Abschlussprüfung, in Uniform. Seine blauen Augen war das Einzige, was Annie sofort an ihm erkannte. "Wie wollen wissen, was er hier wollte, und was er mit euch zu tun hat." Die junge Frau konnte ihre Augen nicht von dem Bild weg bewegen. "Er... war in unserer Gruppe. Das ist schon lange her... über 11 Jahre. Er war... er war hier um... um..." Ja, warum war er eigentlich hier? Aus Zufall wohl kaum... und direkt am ersten Tag hatte er nach der Sturmfront gefragt. Annies Wut kochte über... er hatte sie schamlos ausgenutzt, kam nur um seine Haut zu retten, warum auch immer er sich mit der Sturmfront angelegt hatte. Wahrscheinlich hatte er heute nichts gefragt, weil sie ihn überrumpelt hatte. Dieses Schwein, dieses gottverdammte Bullenschwein... ihre Hände ballten sich zu Fäusten. "Er wollte wohl in seiner alten Gruppe Informationen über euch." Lunis Gesicht, das erst überrascht war darüber, dass ein Bulle mal in einer Punkbewegung war, wurde nun verärgert darüber, dass Kevin bereits ermittelt. "Und was hast du ihm erzählt?", fragte er beinahe drohend. Annies Ausdruck in den Augen, eine Mischung aus Wut, Traurig- und Hilflosigkeit, war auf einmal völlig überzeugend. "Nichts habe ich ihm erzählt. Ich... wollte ihn schützen."


    Luni wusste zwar nicht, warum er einer Zecke glauben sollte... aber die Worte, gerade die letzten, kamen aus purer Überzeugung... und er bildete sich ein, eine gute Menschenkenntnis zu besitzen. Er stand langsam auf und meinte: "Ihr seid Dreck in unseren Augen. Aber genauso seid ihr Dreck für die Polizei, so wie wir auch. Und deswegen würde ich mich nicht mit einem Bullen einlassen, egal was er früher war." Es klang wie ein freundschaftlicher Rat, doch aus dem Mund des Nazis hörte er sich wie eine Drohung an. Die wahre Drohung, die er dann, kurz bevor die beiden am Vorhang vorbeigingen, hörte sich dann schon fast harmlos an. "Solltest du ihm doch irgendetwas über uns erzählen, dann werden wir dich töten... egal wo du dich versteckst."
    Annie hörte die Worte, doch sie versackten einfach. Sie fühlte sich ohnmächtig, voller Wut, voller Zorn, voller... ja, beinahe schon Hass. Sie weinte, und sie weinte nicht vor Traurigkeit darüber, dass sie hintergangen wurde, sondern sie weinte vor Hass... vor Hass auf die Faschisten, von denen sie bedroht wurde, vor Hass auf die Polizisten, die ihnen das Leben schon lange zur Hölle machten... und vor allem vor Hass auf einen Polizisten... Kevin.

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    • 28. August 2015 um 14:36
    • #37

    Dienststelle - 14:30 Uhr


    "Was soll das heißen, Hartmut? Du kannst doch sonst immer alles!" Ben hatte, von seinem Unterbewusstsein befohlen und von seinen Sehnen und Muskeln ausgeführt, die Faust geballt neben dem Telefon liegen, in der anderen Hand den Hörer. Sie waren eben wieder im Büro angekommen, nachdem sie noch bei der Staatsanwaltschaft waren, um einen Beschluss zu erwirken, um einen Namen hinter der E-Mail-Adresse zu finden. Ben und Jenny hatten Glück auf einen verständnisvollen Staatsanwalt zu treffen, der zwar mit Zähneknirschen bemerkte, was die Autobahnpolizei mit Staatsschutz-Angelegenheiten zu tun hatte, aber er kannte sowohl Ben, als auch Semir. Er würde es auf seine Kappe nehmen, und schrieb dabei "Gefahr im Verzug", dann dürften auch die Jungs von der Autobahnpolizei ermitteln.
    "Ben, wie stellst du dir das vor? Ich kann zwar vieles, aber ich kann nicht hexen. Die Bilder von Semirs Haus wirst du aus dem Internet nicht mehr rausbekommen.", versuchte der rothaarige KTU-Leiter am anderen Ende der Leitung mit Engelsgeduld seinem Kumpel Ben zu erklären. "Kannst du da nicht irgendwie den Facebook-Server hacken... Menschenskind, irgendwie müssen wir doch diese Bilder löschen." Hartmut lachte, ob des Unwissens seines Freundes am anderen Ende der Leitung auf. Ben war zwar ein hervorragender Polizist, aber auf der Windows-Oberfläche und dem Internet-Browser endete dann auch sein Horizont, was PC und Internettechnik anging. Das war aber bei Semir genauso. "Ben... die Server von Facebook stehen in den USA. Abgesichert wie das Pentagon. Es tut mir wirklich leid, aber die Bilder wurden so oft geteilt, die stehen in 100ten, 1000ten Profilen. Von anderen Newsseiten ganz zu schweigen. Vergiss es... es tut mir leid. Ich schau dass ich so schnell wie möglich rausbekomme, wozu die Mail-Adresse gehört, okay?" Ben seufzte und musste wohl einsehen, dass es auch für sein persönliches Genie Grenzen gab. Er bedankte sich und legte auf.


    Der Polizist sah auf die Wanduhr. Er wartete auf seinen Partner Semir, damit sie die geplante Observation von Ulrich Richter angehen konnten, so wie sie es eigentlich geplant hatten, bevor sie die schockierende Facebook-Nachricht gelesen hatten. Ben hatte seine Jacke ausgezogen und saß im T-Shirt da, weil es mittlerweile richtig warm wurde im Büro, der Herbst bäumte sich nochmal auf, und es schien als wäre es ein Vorbote vor den ersten richtig kalten Tagen, vielleicht aber auch ein Vorbote vor einem Unwetter, so empfand Ben es gerade. Er wusste nur noch nicht, ob das Unwetter draussen war, mit Regen, Schnee oder Sturm, oder ob das Unwetter sich gerade direkt über den Köpfen seiner Freunde und ihm selbst zusammenbraute. Diese versteckte Angst, diese latente Unsicherheit, die er empfand seit er angeschossen wurde, tobte immer noch in ihm. Er würde gerne mal reden, mit Semir oder Kevin, aber er nahm Rücksicht auf deren momentane Situation. Wenn dieser Fall vorbei war vielleicht... dann hätten sie Zeit, vielleicht mal Urlaub zu machen und Ben könnte sich in Ruhe Gedanken machen, wie es für ihn weiterging, ob es für ihn weiterging. Im Moment ging er mit Bauchweh zur Arbeit und fühlte sich erst besser, wenn er zu Hause war. Er aß auch weniger als sonst, und er hatte in den letzten Wochen mehrere Kilo abgenommen. Semir, in Sorge um seine Tochter, danach unter psychischen Druck des Terrors der Neo-Nazis, ist es gar nicht aufgefallen, dass sein Kumpel schlanker geworden war, blasser und irgendwie... verändert. Aber Ben nahm es ihm nicht krumm...


    Ein wenig gehetzt kam Semir dann auch ins Büro, denn er wusste ja, dass Ben auf ihn wartete. Im Schlepptau hatte er, für den Polizist mit der Wuschelfrisur überraschend, Kevin. "Hi... hast du nicht noch Krankenstand?", fragte er von seinem Schreibtischstuhl aus und legte den Kopf ein wenig schief. Kevin schüttelte nur den Kopf, ohne eine Antwort zu geben. Eigentlich hatte er die ganze Fahrt über nichts geredet, war abgetaucht in seine eigene Welt und hatte die ganze Zeit eigentlich nur das Gesicht von Annie vor sich, wie sie ihn anblickte nachdem er ihren Text gelesen hatte. Die Sehnsucht in den Augen, der Blick von damals, von dem er so lange danach vergeblich geträumt hatte... alles war wieder da, alles war wieder greifbar... und doch elendig weit weg.
    "Wir wissen, was das SF bedeutet.", kündigte Semir, ebenfalls zu Bens Überraschung, an und ging zur Flipchart-Wand, wo er in Klammern hinter das Kürzel SF "Sturmfront" schrieb. "Wie kommt ihr jetzt darauf?" Kevin begann dann zu erzählen, allerdings in kurzen knappen Sätzen, was sich gestern und heute so zugetragen hat in seinem Leben. Seine kurzzeitige Rückkehr in die Vergangenheit, und das erste Gespräch mit Annie. Infos von dem zweiten Gespräch ließ er allerdings komplett aussen vor, ausser der Tatsache, dass Annie sich nicht erweichen ließ, um etwas über den Treffpunkt der Sturmfront aus zu sagen. Ben war im Bilde und nahm daraufhin den Hörer in die Hand, als das Telefon klingelte: "Schlechte Nachrichten, Ben.", hörte er Hartmuts Stimme durch den Hörer. "Schon wieder?", war die seufzende Antwort und er stellte den Lautsprecher an, damit Kevin und Semir mithören konnten. "Die Mail-Adresse führt ins Nirgendwo... nämlich ins Darknet. Der Server steht in Lybien und der Verkehr ist verschlüsselt, genauso wie die Verbindung zu dem PC, der die Mails abruft." "Darknet?", fragte Semir laut, und bekam sogleich eine Erklärung von Hartmut. "Quasi eine paralelles Internet, allerdings ist der Datenverkehr über mehrere anonyme Knotenpunkte verschlüsselt. Quasi nicht nachvollziehbar. Im Darknet gibt es alles, was im normalen Internet verboten ist. Waffen, Drogen, Rechts- wie Linksradikalismus und verbotene Pornografie." "Irgendwie muss diese Sturmfront doch Werbung für sich machen... vielleicht dort.", mutmaßte Kevin, der sich bei Ben auf den Tisch gesetzt hatte. "Ich werde mal ein bisschen herumschnüffeln. Ich melde mich." Ein Knacken in der Leitung bedeutete, dass Hartmut schon wieder aufgelegt hatte.


    Köln - gleiche Zeit


    Er wollte Annie helfen... das stand für ihn fest. Wenn schon dieser komische Typ, der bei ihr war ihr nicht weh getan hatte... die beiden Faschos waren sicherlich nicht in friedlicher Absicht da. Sammy war nicht mehr zu Annie gegangen, um ihr von seinem Plan zu erzählen, er hatte in einer Gasse neben der Lagerhalle neben seinem klapprigen Motorrad gewartet, und sah die beiden Typen gerade noch die Straße entlang gehen bis zu einer Bushaltestelle. Dort warteten sie, zündeten sich eine Zigarette an und schienen sich zu unterhalten. Sie wirkten wie zwei ganz normale junge Männer, denn sie waren in ihrer Kleidung und ihrem Äusseren nicht besonders auffällig. Sammy wartete geduldig, er wäre sofort in der Menschenmenge aufgefallen mit seinen grell gelb gefärbten Haaren, seiner Lederjacke und seinen Buttons, die an selbige gepinnt waren.
    Als der Bus kam und die beiden Neo-Nazis einstiegen, heftete er sich mit seinem Motorrad an die Fersen des Buses. Sie fuhren vom Industriegebiet weg, durch die Innenstadt in ein ruhigeres Viertel, wo es die ein oder andere Bar, Kneipe oder ein schickes Restaurant gab. Zwei Haltestationen vor Schluß stiegen die Männer aus, als Sammy sie sah fuhr er sofort neben den Bus um unerkannt zu bleiben. Im Schatten des Buses fuhr er einige Meter, behielt die beiden Kerle im Rückspiegel im Auge und ließ sein Motorrad dann an einer Parkbucht stehen. Mit dem Helm auf dem Kopf beobachtete er, wie die beiden in eine Kneipe namens "Germania" gingen. "Passender Name", meinte er ironisch, und als die beiden verschwunden waren, nahm er den Helm ab und kam näher zur Eingangstür.


    Der schmächtige Punk dachte nach... solle er hier abbrechen? Annie erzählen, dass er weiß wo die Nazis ihre Gaststätte hatten, dass man eventuell eine Gegenaktion starten konnte? Oder sollte er sich noch ein wenig umschauen? Er sah sich das Haus an. Es war ein typischer Altbau, oben einige Wohnungen wahrscheinlich, neben der Kneipentür war auch eine Haustür mit 4 Klingeln. Das Haus war nur einseitig angebaut, auf der anderen Seite war eine schmale Gasse, die Sammy jetzt betrat. Hier standen Müllcontainer, aus Dachrinnen, deren Rohre nach unten führten tropfte es, und es wurde im Schatten auf einen Schlag kühler. Die Gasse führte in einen Hinterhof, der abgegrenzt wurde durch eine Mauer zur Seite, und das Paralellhaus nach hinten. Einige Rücktüren der Kneipe "Germania" und Türen in das Paralellhaus führten in den Hof. Auch hier waren mehrere Müllcontainer, leere Getränkekästen und sonstiger Schutt.
    Sammy packte der Übermut, als er versuchte an einer Kellertür, die am Fuße einer Treppe lag, in die "Germania" einzudringen. Allerdings war sie verschlossen. Sie bestand nur aus Holz und einer kleinen Scheibe, so dass Sammy der Meinung war, sie mit grober Gewalt aufzubekommen. Innen wollte er sehen, ob sich vielleicht etwas finden ließe, womit er ein Feuer machen konnte, um den Nazis ihre Stätte unterm Hintern abfackeln zu können. Doch Sammy war ungeschickt, und machte zuviel Lärm... soviel Lärm, dass Rocky mitbekam, dass in seinem Hinterhof etwas vorging... und soviel Lärm, dass Sammy nicht bemerkte, wie Rocky sich langsam näherte...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


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    • 31. August 2015 um 01:13
    • #38

    Köln - 16:00 Uhr


    Sie waren alle enttäuscht am späten Nachmittag, als Hartmut sich erneut auf der Dienststelle der Autobahnpolizei meldete. Das Handynummer, die sie von Ulrich Richter bei der Bundesnetzagentur abgefragt hatten, war ausgeschaltet... keine Möglichkeit zu orten um damit die Observation des Neo-Nazis zu beginnen. Natürlich konnte der rothaarige KTU-Techniker nichts dafür, trotzdem hörte er deutlich Bens Unmut in dessen Stimme durch das Telefon, Semir trat gegen die Blechtür seines Schreibtisches und auch Kevin hielt sich mit Flüchen nicht zurück. Es war der einzige Ansatzpunkt, den die Polizisten hatten... und dieser hatte sich gerade in Luft aufgelöst.
    Sofort danach schwärmten die Beamten aus. Ben und Semir fuhren verstärkt Streife im Industriegebiet nahe der Lagerhalle, wo sich öfters Jugendgangs umhertrieben, Kevin und Jenny fuhren zusammen Streife durch die Innenstadt. Es war ein aussichtsloses Unternehmen, ein Stochern mit der Nadel in einem großen Heuhaufen, aber es war besser, als untätig auf der Dienststelle zu sitzen. Immer wieder, alle 20 Minuten fragten sie bei Hartmut an, ob das Handy mittlerweile eingeschaltet war, bis dem so besonnenen Beamten der Kragen platzte: "Ich helfe euch ja wirklich gerne, aber ich habe hier noch andere Dinge zu tun.", schnauzte er in den Apparat, als die Uhr bereits deutlich nach Feierabend anzeigte. Eine deutliche Warnung für die überemsigen Beamten, es heute einfach mal sein zu lassen, und es morgen wieder von Neuem zu versuchen.


    Kevin und Jenny hatten die ganze Zeit nur wenige Worte gewechselt. Es fühlte sich wie eine Eiszeit an, eine Eiszeit ohne erkennbaren Grund. Kevin hatte in seinen Gedanken mehr mit Annie zu tun, als dass er wirklich noch sauer über den "Vertrauensbruch" mit der Kiste war. Ob und inwiefern in das berührte, damit war er sich selbst nicht einig. Einerseits wollte er nicht mehr so empfindlich sein, was das anging, andererseits hatte es ihn doch geärgert. Doch in seinem Kopf spukte Annie, ihr Geständnis, ihre Tränen und ihr Text, den Kevin noch in seiner Jeans hatte, und dran denken musste, ihn später in der Wohnung heraus zu nehmen, und nicht unbedingt auf dem Nachttisch liegen zu lassen. Sie wechselten nur Worte über Alltagsthemen, was sie heute abend essen wollten, und dass sie morgen gemeinsam ins Revier fahren würden.
    Jenny fühlte sich unwohl, denn sie spürte instinktiv, dass mit Kevin nicht alles okay war, nur wusste sie den wahren Grund nicht. Einerseits schob sie die Möglichkeit, dass er einfach einen schlechten Tag hatte, zur Seite, denn er war wieder im Dienst, er durfte wieder arbeiten, und das half ihm normalerweise über schlechte Phasen hinweg. Und so geriet ihr Verdacht, dass er vielleicht doch mitbekommen hatte, dass Jenny an seiner Privatschachtel war, wieder in ihr Gedächtnis. Das schlechte Gewissen plagte die junge Polizistin, die trotzdem nicht den Mut aufbringen konnte, ihm davon zu erzählen. Vielleicht machte es Kevin nichts aus... aber warum war er dann so merkwürdig... so wortkarg... so distanziert? Innerlich seufzte sie... es war so schwierig. Bei einem anderen Mann, ein Mann der keinerlei extreme Charaktereigenschaften hatte wie Kevin, würde sie es vielleicht einfach sagen, hätte sie ihn einfach darauf angesprochen. Dabei merkte sie, wie wenig sie Kevin eigentlich kannte, wie schlecht sie den jungen Mann einschätzen konnte...


    Jenny's Wohnung - 01:00 Uhr


    Es hatte alles nichts gebracht, doch es war zu erwarten. Sie hatten niemand Verdächtigen gefunden oder beobachtet, sie trafen sich danach auf der Dienststelle und machten alsbald Feierabend. Semir war froh, ein wenig abzuschalten und hoffte, zu Hause nicht wieder auf eine unangenehme Überraschung zu treffen. Seine Hoffnung wurde erfüllt, seine Kinder und seine Frau waren da, und er hatte endlich mal wieder einen schönen ruhigen Abend.
    Bens Abend war ebenfalls ruhig, jedoch nicht unbedingt schön. Nur widerwillig kochte er sich ein karges Essen in seiner Penthouse-Wohnung, saß vor dem Fernseher und interessierte sich eigentlich überhaupt nicht für die Politik-Talkrunde, die da gerade lief. Das Alleinsein machte dem jungen Polizisten normalerweise überhaupt nichts aus, er genoss es zur Zeit Single zu sein... doch heute hätte er sich über Gesellschaft gefreut. Er saß auf der Couch, raufte sich die Haare und ging früh ins Bett... wo er noch mehrere Stunden wach lag.
    Das Schweigen zwischen Jenny und Kevin setzte sich auch in der Wohnung nach Dienstschluss fort. Sie aßen gemeinsam, sie schauten gemeinsam Fernsehen, bis es der jungen Polizistin dann doch zuviel wurde, und sie sich vorsichtig an Kevin herantraute. "Was ist denn mit dir? Du bist seit der Sache in dem Boxclub so... unterkühlt." Kevin, der sich an die Sofalehne an der Seite gelehnt hatte, die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick gelangweilt auf den Fernseher gerichtet, schüttelte nur den Kopf. "Nichts schlimmes. Ich denke halt viel über den Fall nach." Eine Ausrede? Klar dachte er über den Fall nach... schließlich hatte er höchstwahrscheinlich mit seiner Vergangenheit einiges zu tun, dachte Jenny. Kevin aber nervte die Frage bereits... sie wusste doch, was sie getan hatte, warum fragt sie dann, warum ich schlecht drauf bin? Doch sofort flüsterte die zweite Stimme in seinem Kopf: Bist du doof? Ich dachte, es wäre dir egal, dass sie es getan hatte. Wie so oft stritten sie sich im Kopf, und Kevin hätte am liebsten laut gesagt, dass sie beide die Schnauze halten sollten...


    Jenny ging gegen 23 Uhr ins Bett, Kevin blieb noch auf. Das Fernsehprogramm juckte ihn auch nicht, er drückte an seinem Smartphone herum bis ihm der Kontakt von Annie vor die Augen fiel. Sie hatten ihre Nummern ausgetauscht gestern, falls sie mal miteinander telefonieren wollten. Kevin hatte ihr sogar gesagt, wo er derzeit wohne. Der junge Polizist presste die Lippen aufeinander. Würde er Annie jetzt schreiben, sie fragen ob sie mit ihm noch ein Bier trinken wolle, auf irgendeinem Dach auf einer Lagerhalle, oder irgendeiner alten Bank, von wo aus man auf den Rhein blicken konnte... seine Jugendliebe würde nicht Nein sagen, da war er sicher. Sollte er? Sollte er sie anrufen, ihr schreiben? Kevin drehte das Smartphone zwischen zwei Fingern, sein Gewissen grätschte ihm sofort dazwischen. Du hast eine Freundin, die nebenan im Bett liegt... und froh wäre, wenn du bei ihr wärst... wenn du mit ihr reden würdest, du verdammter Idiot! Deine wilden Zeiten sind vorbei! Vorbei!! In Kevins Kopf drehte es sich, zuviele Gedanken strömten auf ihn ein. Und doch musste er ihnen einfach recht geben, zu gerne hätte er ihnen Recht gegeben... zu gerne hätte er jetzt aber auch ein paar Pillen genommen...
    Er tigerte vom Sofa zum Fenster, zur Küche an den Schrank, wo er das Döschen aufbewahrte, vom Schrank wieder zurück ans Fenster. Sein Herz schlug schneller, seine Arme kribbelten, er spürte Druck... und den Entzug. "Rette mich", hatte er Jenny vor einigen Wochen angefleht... und sie ist nicht weggelaufen und hat ihn betteln lassen... sie hat ihm die Hand hingehalten und ihm auf die Beine geholfen, sie hat sich nicht versteckt oder geängstigt. Mit leisen Schritten ging der junge Polizist ins Zimmer seiner Freundin, es war bereits 1 Uhr. Das Mondlicht fiel durch das Fenster, Kevin konnte Jennys Haar und ihre nackte Schulter, nur von einem Träger ihres Nachthemds bedeckt hell erleuchtet erkennen. In Jeans und Shirt legte sich der Polizist neben sie ins Bett und küsste ihren nackten Oberarm, wobei sie sich leicht murmelnd im Schlaf bewegte. "Ich habe dich nicht verdient...", murmelte er leise, ohne dass Jenny es im Schlaf hören konnte. "Und du hast etwas Besseres verdient." Hier lag seine Zukunft... und der Polizist, der sich gerade für einen Vollidioten hielt, hätte sich am liebsten umgedreht und wäre in die Vergangenheit gerannt.


    Ein Geräusch riss ihn aus seiner Gedankenwelt... es war nur schwach wahrnehmbar, und er war überrascht, dass er es erst jetzt hörte. Das Fenster war offen, es schien von draußen zu kommen, und der Polizist stieg langsam wieder aus dem Bett heraus. Die Luft draussen war frisch, mittlerweile kalt, und das spürte er sofort, doch das Geräusch war leiser. Die Nacht war ungewöhnlich hell, durch den wolkenlosen Himmel und den großen Vollmond, der alles erleuchtete. Langsam, geräuschlos, ging Kevin wieder zurück in Richtung des Bettes und verharrte dort... jetzt konnte er das Geräusch wieder hören. Es war wie ein leises Zischen, was immer wieder unterbrochen wurde durch ein Klopfgeräusch. Er konnte hören, wie sein Herz gegen den Brustkorb schlug, als er das Schlafzimmer verließ und ins Wohnzimmer zurückkehrte. Jetzt konnte er das Geräusch wieder deutlicher hören, und wieder kam es von einem Fenster, das offen stand... diesmal das Küchenfenster, jedoch lag dies nicht zur Straße, sondern zu einer Gasse zwischen den Häusern. Als Kevin den Kopf aus dem Fenster streckte, war das Geräusch unter ihm klar zu vernehmen. "Hey!!", rief er laut aus dem Fenster, und das Zischen verstummte sofort.
    Ein lautes Klackern und Poltern war zu hören, das Tippeln von schnellen Laufschritten hallte durch die Gasse. "Bleib stehen!", rief Kevin nach unten und konnte gerade noch im Lichtschein der Laterne, als die Gestalt aus der Gasse auf den Bürgersteig rannte, ungefähr die Statur erkennen... klein, schlank, schmächtig und er hatte wohl eine Maske über dem Kopf. Obwohl es beinahe aussichtslos war, verfiel Kevin sofort in einen Sprint, aus der Wohnung heraus, die Treppen polternd herunter, so dass wohl jeder Bewohner des Dreifamilienhaus aus dem Bett fiel. Es dauerte keine Minute, bis er unten auf der Straße angekommen war. Mit lautem Atmen sah er nach rechts und links die beleuchtete Straße herunter, einige Autos waren noch unterwegs, aber er konnte keinen Fussgänger ausmachen. "Fuck...", keuchte er und ging zum Eingang der Gasse. Mit seinem Smartphone leuchtete er den Boden ab, von wo das Geräusch herrührte, dort lag eine Farbsprühdose. Als Kevin die Häuserwand beleuchtete, konnte er das Wort "Bullenschw" ausmachen, offenbar bis zur Stelle, wo Kevin den Täter gestört hatte. Den Rest des Wortes konnte er sich allerdings selbst denken...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

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    • 1. September 2015 um 09:26
    • #39

    Jenny's Wohnung - 08:30 Uhr


    Es dauerte gefühlt jeden Morgen länger, bis der Tag sich endlich entschloß, anzubrechen. Kevin musste warten, bis es draussen einigermaßen hell war, um den Vorfall von gestern Nacht noch einmal fest zu halten. Nur in Kapuzenjacke und Jeans bekleidet stand er in der Gasse, hatte die Schrift mit seinem Handy fotografiert und sofort Semir und Ben zugeschickt. "Wir müssen reden", schrieb er darunter und dass er ein wenig später kommen würde. Dabei zog er an der ersten Kippe des Tages. Die Marke der Spraydosen kannte er von früher... warum sollten sich Gewohnheiten geändert haben? Die Farbe war günstig und fürs kurze Sprayen gut geeignet, nichts für Kunstwerke, aber das war damals auch nicht das Ziel, wenn man irgendetwas verzieren wollte, um seine Meinung auszudrücken. "Nazis raus" oder "Haut die Bullen platt wie Stullen", "All cops are bastards"... Von Kevin wurde nicht nur eine Wand früher mit solchen Parolen beschmiert.
    Der junge Polizist ging einen Schritt zurück, er hatte die Arme verschränkt und schien gedankenverloren auf die Schrift zu starren, als wartete er darauf, dass sie ihm irgendwelche Antworten ausspuckte, irgendwelche Hinweise aus dem Nichts erschien. Er hatte eine böse Ahnung... dies war nicht das Werk von den Rechtsradikalen, die bisher eine völlig andere Strategie fuhren. Die wollten Kevin nicht als Cop "verunglimpfen", das war nicht die Art des Rechtsradikalismuses, die die Polizei nicht unbedingt als Feind Nr.1 sahen. Er nutzten sie den Schutz des Polizeiapparates so oft es geht aus. Bei Semir nutzten sie zum Diffamieren seinen Migrationshintergrund, bei Kevin hätten sie auf seine Vergangenheit anspielen können... wenn sie davon wüssten.


    Kevins Blick fiel auf eine grüne Flasche, deren Boden hinter einem Container rauslugte. Er ging mit wenigen Schritten hin und stieß sie mit dem Fuß an, dass es ein wenig klirrte. Schon beim Näherkommen und dem Verändern des Blickwinkels konnte er erkennen, dass es sich um keine normale Flasche handelte. Ein Tuch steckte im Flaschenhals und hing zur Hälfte heraus. Mit einem Taschentuch nahm der Polizist die Flasche in die Hand, und eigentlich brauchte er nicht mehr daran zu riechen, der Geruch von Brandbeschleuniger manifestierte sich sofort in sein Nase. Egal wer hier war, er hatte nicht nur vor, die Häuserwand zu verzieren, dachte er sich.
    Die Möglichkeit, dass die Rechten seine eigene Verbindung zur linken Szene rausbekommen hatten und nun versuchten denen einen möglichen Anschlag in die Schuhe zu schieben, reifte in seinem Kopf. Er konnte sich einfach nicht erklären, warum die Autonomen ihn plötzlich im Visier hatten, hatten ihn doch gestern alle freundlich begrüßt, und ihn als einen ehemaligen Freund akzeptiert, auch wenn viele ihn gar nicht kannten. Egal wer das war, er würde, wenn wirklich aus der linken Szene, mächtig Ärger mit Annie bekommen, dachte er sich und legte die Flasche schon mal vorsorglich ins Auto. Bevor er in die Wohnung zurückging, zog er am letzten Rest seiner Zigarette, trat sie dann am Boden aus und warf sie in den Mülleimer. Bevor er wieder nach oben ging, nahm er einen Kaugummi in den Mund, um den Geruch ein wenig zu verdecken.


    Jenny saß am Küchentisch und hatte ihre Hände um ihre Kaffeetasse gelegt. Sie hatte heute frei, wollte mal einen Großputz machen und andere Dinge erledigen, trotzdem war sie keine Langschläferin und wollte gleich noch ein wenig Frühsport machen gehen. Ihr Gemüt wurde aber immer noch von der kalten Stimmung belastet, die seit vorgestern zwischen den beiden herrschte, und so blickte sie eher mit kläglicher Miene auf, als Kevin nochmal in die Wohnung zurückkehrte. "Und? Hast du noch was gefunden?", fragte sie, und ihr Freund nickte. "Einen Molotov-Cocktail. Da hatte gestern jemand Großes vor.", meinte er arggewöhnisch und in seiner monotonen Stimmlage. "Und der Spruch... denkst du, das waren wieder diese Faschos?" Kevin dachte einen Moment nach... er sah Jenny an. Ein guter Moment, um ihr Gewissen zu testen? Um sie aus der Reserve zu locken? Er wusste, dass sie um seine Vergangenheit Bescheid wusste... aber sie wusste nicht unbedingt, dass er das wusste. Er zuckte kurz mit den Schultern. "Hört sich eher nach Punks an.", sagte er.
    Die junge Polizistin erschrak innerlich. Warum die linke Szene? Kevin war doch... sie blickte zu ihm. In ihr tobte auf einmal wieder der Kampf, der Kampf des Gewissens, des Vertrauens. Offenes Visir oder weiter die Unwissende spielen... Kevin wartete nur darauf, dass sie sich entschied, und sah zu ihr herüber, ihre Blicke trafen sich in der Mitte des Raumes, und die Kaffeetasse, um die Jenny ihre Hände geschlungen hatte, war auf einmal überhaupt nicht mehr heiß... zumindest spürte sie es nicht mehr.


    Sie entschied sich falsch... und Kevins Ausdruck verhärtete sich. "Aber... was haben die mit dir zu tun?", fragte sie zaghaft. "Das weißt du doch seit vorgestern Abend..." war seine kühle Antwort. Jenny fühlte sich furchtbar vor den Kopf gestoßen, und ihr Herz sprang, als wolle es ausbrechen, gegen ihren Brustkorb. Er wusste es... woher auch immer, und jedes Abstreiten hätte es wohl noch schlimmer gemacht. Sie drehte sich auf dem Stuhl zu Kevin, um nicht den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. "Ja... ich weiß es. Ich hab in die Kiste gesehen." "Also, warum fragst du dann?" Kevins Stimme klang abweisend, schnippisch... fast schon verhöhnend. Als hätte er keine Lust auf eine Diskussion, als wollte er Jenny nur vor der Tatsache bloßstellen, dass er wusste, dass sie in dem Karton geschnüffelt hatte. Und innerlich verfluchte er sich erneut dafür, dass er nun doch sauer darüber war, dass er es nun doch wieder ernster nahm, als er eigentlich wollte... dass er diese bescheuerte Kiste zum Vertrauensbruch mutieren ließ.
    "Es tut mir leid, Kevin. Ich... es war falsch. Aber... ich will wissen, wer du bist. Was du getan hast.", versuchte sich Jenny zu rechtfertigen, doch ihre Stimme klang nicht sicher. Sie stand unter dem Eindruck von Kevins Blick, von seiner ausstrahlenden Kälte, von seiner, in diesem Moment, brutalen Unnahbarkeit. Ein völlig anderer Mensch als er zum Beispiel damals war, als er verzweifelt und am Boden Schutz suchte bei Jenny, er solle sie retten, vor sich selbst, vor den Drogen. Und ein völlig anderer Mensch, als er der rettende Anker für Jenny war, stark, unerschütterlich. Als hätte sie es mit drei verschiedenen Menschen zu tun, die alle in Kevin steckten.


    "Warum redest du dann nicht mit mir?", fragte er, was wiederum Jenny wieder vor den Kopf stieß, jedoch nicht mit ihrem schlechten Gewissen, sondern mit seinem eigenen Verhalten. "Weil DU nicht mit mir redest. Weil DU Tage hast, an denen man nicht mit dir reden kann.", sagte sie etwas lauter und stand vom Küchentisch auf. Beide spürten, dass die Situation ausser Kontrolle lief. "Ich habe Angst vor gewissen Dingen, auf die ich dich ansprechen möchte. Egal, ob du gut gelaunt bist oder nicht. Wenn du gut gelaunt bist, habe ich Angst davor, dass deine Stimmung kippt und ich will deine guten Tage mit dir genießen. Ich würde gerne mehr über dich erfahren, über deine Vergangenheit, welcher Mensch du vor dem Tod deiner Schwester warst.", sprudelte es, fast schon verzweifelt aus ihr heraus, und der junge Polizist schaute sie an. War es wirklich so... musste man Angst davor haben, ihn auf gewisse Dinge anzusprechen. Nicht Angst davor, dass er ausflippen würde, aber eben Angst davor, dass er die Tür zu seinem Innersten wieder zuschlug... weil er selbst Angst hatte, eine Frau die er liebte wieder so tief hinein zu lassen, dass sie sich festfrass, festsetzte in seinem Kopf... wie Annie. Und es dann irgendwann vorbei war... so wie mit Annie? War das seine Angst...
    "Ich will, dass wir uns vertrauen... blind. Dass wir uns alles sagen können... ohne zu befürchten, dass wir dadurch wieder einen Schritt zurückgehen.", sagte Jenny und musste schlucken. Sie sagte sovieles, was sie schon seit Tagen auf der Seele mit herumschleppte. Sie wollte es Kevin mal bei einem gemütlichen Abendessen sagen, bei einem ruhigen Fernsehabend, einfach wenn sie beide gut drauf waren darüber reden. Doch jetzt war der denkbar schlechteste Zeitpunkt, Kevin stand unter Druck und hatte den Kopf voll mit Gedanken, über seine Vergangenheit, Annie, Jenny, den Fall.


    Er blieb stumm... bis aus Jenny noch ein Halbsatz herausbrach, denn sie eigentlich nur dachte, und nicht sagen wollte. "Es ist so schwierig mit...", und ihr Blick senkte sich sofort. "Mit mir?", vervollständigte Kevin den Satz, der ihn einerseits ins Herz traf... den er andererseits aber wohl nicht abstreiten konnte. Jenny blickte wieder auf, ihre Augen wurden feucht, als sie den fassungslosen Blick im Gesicht ihres Freundes sah. Hatte sie es nicht vorher gewusst, fragte sie sich? Sich auf eine Beziehung einzulassen mit einem Mann, der so unnahbar war, der so schwer Vertrauen fassen konnte. Die Drogen waren nicht mal das größte Problem, eine Sucht konnte man mit Abläufen bekämpfen... aber einen Charakter nicht... ein Trauma auch nicht. Und mit diesem extremen Charakter fühlte Jenny sich überfordert. "Ich liebe dich, Kevin.", sagte sie leise und spürte wie eine Träne an ihrer Wange herunterlief. "Aber ich habe es mir nicht so schwer vorgestellt."
    Ein Satz wie ein Faustschlag, der Kevin aber nicht einfach traf, sondern vor die Fall stellte... K.O oder einfach nur eine Warnung? Schluss, oder einfach nur ein "Es muss sich etwas ändern?" Er konnte es nicht sagen, und er fühlte sich selbst auch überfordert. Es war so anders, als wenn er sich mit Annie stritt, die beiden schrien sich an, warfen sich Gemeinheiten an den Kopf, knallten Türen und warfen Gegenstände. Die feurige Rothaarige war in ihrer Emotionalität damals auf Augenhöhe mit Kevin. Das war Jenny nicht... sie machte keine Gemeinheiten, sie legte sich vor dem Polizisten komplett offen, ihre Gefühle, ihre Gedanken... und damit war Kevin überfordert. Und er wusste, dass er auf keinen Fall die richtigen Worte wählte. Er nahm den Autoschlüssel vom Wohnzimmertisch und ging Richtung Tür an Jenny vorbei, wobei er auf ihrer Höhe stehenblieb. "Dann solltest du dir dringend überlegen, WAS du dir wirklich vorstellst..." ... und ob du es dir mit mir vorstellst, vollendete er in Gedanken. Er hätte sich selbst schlagen können... er hasste sich.


    Später wird Jenny, nachdem Kevin letztendlich tatsächlich nach diesem Satz die Wohnung verlassen hatte, in ihr Tagebuch schreiben, dass der scheue Straßenkater, den sie aufnahm und pflegte, der sich bereits streicheln ließ an manchen Tagen, einen Rückfall erlitten hatte. Er kam nicht mehr aus seiner Höhle, fauchte wenn man ihn anfassen wollte. Sie schrieb dass sie überlegte ob es besser wäre, ihn wieder in seine Welt zu entlassen, und ihn zurück auf die Straße zu lassen...

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    • 2. September 2015 um 10:08
    • #40

    Dienststelle - 09:15 Uhr


    Ben war bereits eine Stunde im Büro, Semir würde ein wenig später kommen. So langsam machte sich Ben's Schlafmangel mehr als bemerkbar. Er hatte Augenringe, er trank bereit den dritten Kaffee und er spürte den etwas sorgenvollen Blick der Chefin, als er eben gekommen war. Anna Engelhardt wunderte sich ein wenig, dass ausgerechnet Ben von ihren drei Beamten am schlechtesten die Tage aussah, obwohl sie annahm dass Semir und Kevin durch die Anschläge den meisten Druck hatten im Moment. Aber sie wollte ihren Mitarbeiter nicht darauf ansprechen, als Ansprechpartner bei privaten Problemen war der Partner die bessere Lösung. Semir würde sicherlich Bescheid wissen, dachte sie als sie beobachtete, wie Ben sich immer wieder mit beiden Händen nach einem Gähner durch die Augen fuhr.
    Wenig später kam Semir, ein Lächeln im Gesicht und zwei Bäckertüten in der Hand. Er hatte gut geschlafen, er hatte den Eindruck dass der größte Spuk vorbei war. Die Nachbarn begegneten im zwar weiterhin mit Schweigen und misstrauischen Blicken, aber der erfahrene Kommissar versuchte sich innerlich einen Schutzwall dagegen zu errichten. Sobald dieser Fall abgeschlossen war, wollte er die Sache komplett aufklären innerhalb seiner Nachbarschaft, wofür er auch schon einen Plan hatte. Die zweite Bäckertüte landete auf Bens Tastatur, der jedoch nur müde aufblickte. "Was ist das?" Semir blieb im Raum stehen und machte ein, gespielt erschrockenes Gesicht. "Wie, was ist das? Das ist das, was du schon seit gefühlt 100 Jahren, die wir zusammen arbeiten, jeden Morgen in dich reinschiebst.", sagte er und hängte seine Jacke über den Stuhl.


    Ben sah ein wenig wehleidig aus und schüttelte nur den Kopf. "Danke, aber ich hab keinen Hunger." Nun waren Semirs Sorgenfalten im Gesicht nicht mehr gespielt... dass Ben morgens keinen Heißhunger hatte, war selten... dann aß er nur ein, statt drei Schokocrossaints. Aber dass er gar kein Frühstück anrührte, hatte Semir erst einmal erlebt, und das war nach einer durchzechten Nacht nach einer Feier, als es ihm danach nicht unbedingt gut ging. Jetzt auch fiel Bens Partner dessen Schatten unter den Augen auf, er hatte auch das Gefühl dass sich einige Fältchen um den Mund mehr gebildet hatten als noch vor einigen Wochen. Zunächst ohne ein Wort zu sagen stand Semir auf und umkurvte den Tisch, bis er hinter seinem Partner stand, der scheinbar nichts bemerkend weiter auf den Bildschirm starrte, als würde er etwas lesen. Ben wusste, was jetzt kam, so bewegte er sich nicht und ließ seinen Partner gewähren, ließ ihn erkennen, dass er schon seit Minuten auf den ausgeschalteten Bildschirm starrte.
    "Was ist los?", fragte Semir dann, als er hinter seinem besten Freund stand und seine Hände auf dessen Schulter legte. Die erste Reaktion war wieder typisch... sowohl Ben, als auch Semir mussten immer erst dazu gezwungen werden, ihre Probleme dem jeweiligen Partner offen zu legen. So schüttelte er erst mal den Kopf und meinte. "Nichts... alles okay." Semirs Griff um Bens Schultern wurde fester, er packte zu und begann seinen Partner zu schütteln, um ihn, sinnbildlich, auf zu wecken.


    "WAS ist los?", wiederholte er nun mit deutlichem Nachdruck, als würde er keinerlei Widerrede akzeptieren. Ben seufzte, wieder der Griff der Hände zu den Augen, wieder ein Kopfschütteln. "Du hast doch selbst momentan soviel Probleme. Ich... ich erzähl es dir, wenn der Fall erledigt ist, okay?", wollte Ben ausweichen, einerseits tatsächlich aus Rücksicht auf Semirs momentane Situation und andererseits, weil er sich scheute über seine Angst zu reden. Nicht über seine Platzangst, sondern über seine Angst vor seinem Job... vor Gefahren, die auf ihn lauern.
    Semir spitze die Lippen, was Ben natürlich nicht sehen konnte. Er nahm also Rücksicht auf seine Probleme, soso. Der erfahrene Beamte spürte, dass es ihm heute gut ging wie schon lange nicht mehr, und dass er voll Zuversicht und Motivation war, diese Rechtsradikalen schnell dingfest zu machen, und sein Leben würde wieder in geregelten Bahnen verlaufen. "Ayda hat heute morgen einen Zeitungsartikel vorgelesen... ohne ein einziges Mal zu stottern.", wechselte er absichtlich und urplötzlich das Thema. Ben drehte sich nun mit dem Stuhl zu ihm um, ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er sah plötzlich ein völlig veränderten Semir im Vergleich zu gestern, als er völlig geschockt am PC stand, als er die Hasskommentare las. "Das ist ja toll...", meinte er ehrlich und der lächelnde Semir nickte. "Und in zwei Wochen, wenn alles normal verläuft, soll sie wieder zur Schule. Sie freut sich darauf, endlich ihre Freundinnen wieder sehen zu können." Ben bewunderte Semir. Er ließ sich nicht unterkriegen, und er schaffte es dass die positive Kraft, die er aus seiner Familie zog die dunklen Wolken um ihn herum einfach verdrängte. Semir war jemand, an dessen Stärke man sich aufrichten konnte, der aber selbst niemanden brauchte, der ihn aktiv aufrichtete... das schaffte er selbst.


    Die beiden Männer lächelten, und für einen Moment hatte Ben vergessen, dass einige Minuten vorher noch sein Partner gefragt hatte, was denn los sei. Er wurde erst daran erinnert, als Semir die Frage mit: "So, und nun erzähl, was los ist.", nochmal stellte. Bens Lächeln erlosch, und er fühlte sich irgendwie ertappt... denn jetzt war gewiss, dass Semir ein offenes Ohr hatte, dass dessen Sorgen Bens Seelenstriptease nicht mehr im Weg standen. Er sah kurz zu Boden und biss sich auf die Lippen, bevor es aus ihm herausbrach. "Ich hab Angst." Semir blickte ein wenig auf seinen Partner herab, weil er immer noch stand, während Ben seltsam zusammen gesunken in seinem Stuhl saß. "Angst wovor?", hakte er vorsichtig nach, und dachte zuerst an den aktuellen Fall bezüglich der Neo-Nazis. Aber hatte Ben vorher schon mal etwas wie Angst gezeigt? Eigentlich nicht... er ging, wie Semir auch, keiner Konfrontation aus dem Weg, keine Auseinandersetzung in seinem Job scheute er...
    "Nein... es ist eine generelle Angst. Seit... seit ich angeschossen wurde." Jetzt erst blickte Ben wieder auf zu Semir, und die Worte fanden nur schwer aus seinem Mund. "Als ich da im Auto lag... nicht richtig atmen konnte... die Ärzte nachher um mich herum, und ich habe immer wieder gehört, dass sie sagten "Wir schaffen das nicht."... ich träume davon ganz oft." Sein Partner hörte ihm stumm zu, denn er spürte, dass es Ben gut tat, einfach zu reden, was er gerade auf dem Herzen hatte. "Ich weiß dass ich Glück gehabt habe... aber wie oft werde ich, werden wir noch Glück haben?"


    Semir hatte über solch eine Frage auch schon nachgedacht, sie dann aber oft verdrängt. Wenn es passieren sollte, dann kann es überall passieren. Natürlich waren sie als Polizisten in ihren, teilweise gefährlichen Einsätzen, gefährdeter als ein Schreibtischtäter. Aber wie oft waren sie Zeuge von tödlichen Autounfällen, bei denen die Toten meist nichts dafür konnten. Es konnte doch immer und überall passieren, aber Semir würde Ben die Angst vor der täglichen Gefahr nicht ausreden können, weil er sie schlicht nicht ignorieren konnte und sagen: "Es ist doch alles gar nicht so gefährlich." Doch, ihr Job war gefährlich. Ob sie nun im Kugelhagel in einer Deckung lagen, oder ob sie bei schlechter Sicht mitten in der Nacht eine ungesicherte Unfallstelle anfuhren... ihr Job war und blieb gefährlich.
    "Vielleicht war es in letzter Zeit, im letzten Jahr auch zu oft, wo es so knapp war. Der Unfall im Wald, als Kevin bei mir war... oder als ich am Dach der Industrieanlage hing, als wir Janines Mörder jagten. Das... das verfolgt mich irgendwie.", sagte Ben leise. Mittlerweile hatte Semir eine Hand auf die Schulter seines Partners gelegt, die sich leicht bewegte, um seine Nähe zu zeigen. Sie wussten alles übereinander, sie waren so eng befreundet, dass eigentlich nichts mehr den anderen überraschen könnte. "Wir akzeptieren die Gefahr in unserem Beruf, Ben. Vielleicht ist es normal, dass man auf einmal Angst davor bekommt. Aber diese Angst vergeht dann vielleicht auch wieder.", meinte er vorsichtig. Er wusste, dass er damit seinem Partner vielleicht nicht helfen konnte, aber er wollte nicht einfach stumm daneben stehen. "Ich hab auch manchmal Angst. Ich frage mich manchmal auch morgens, wenn ich aus dem Haus gehe, ob ich abends wieder zurückkomme. Und ich habe schon drei... nein, zwei Partner verloren im Einsatz. Ich kann dir diese Angst nicht nehmen, aber du bist damit nicht alleine." Ben nickte dankbar, und schaffte es, diesmal ehrlicher als vorhin, Semir anzulächeln. "Ja... danke.", sagte er leise und sein Blick fiel auf die Bäckertüte. Plötzlich verspürte er sowas wie Appetit...

    Wenn Engel hassen

    Stürzen sie wie Steine aus dem Himmelszelt

    Wenn Engel hassen

    Fliegen sie als dunkle Vögel in die Welt

    Wenn Engel hassen

    Landen sie als schwarzer Schatten der uns quält

    Und nehmen Rache an den Menschen, die gefallen sind

    Wie sie.


    Subway to Sally - Wenn Engel hassen

    <3

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