Trotz aller Anstrengung verschlechterte sich Ben´s Zustand und als Sarah wieder auf der Intensiv erschien, lag Semir wieder in seinem Bett und mehrere Ärzte standen um den jungen Polizisten herum. Gerade hatte die Schwester erneut ein Blutgas abgenommen und wenn das nicht besser als das Vorherige war, dann musste man handeln. Sarah schlich regelrecht an Ben´s Seite, der sie kaum mehr erkannte, so hoch war das Fieber. Sie sah auf die Werte am Monitor, konstatierte wie schlecht es um ihn stand, griff dann hilflos nach seiner Hand und wartete ängstlich auf die Entscheidung des Chefarztes. Sie hatte auch einen Blick auf die kleine Beatmungsmaschine geworfen, die mittels der Maske Ben beim Atmen half, aber da war der Sauerstoff bereits auf 90% hoch gedreht und die Drücke waren so hoch, dass die komprimierte Luft teilweise seitlich neben der eng verschnallten Maske heraus pfiff, ohne dass Ben´s Sauerstoffsättigung über 85% hinausging.
Endlich betrat ihre Kollegin den Raum und reichte wortlos dem Chefarzt den Zettel, den das Blutgasgerät ausgespuckt hatte. Seine Miene wurde ernst, als er die Werte betrachtete und dann sagte er entschlossen: „Es macht keinen Sinn mehr, so weiter zu machen-wir intubieren und dann kommt er gleich auf den Bauch!“ und alle Anwesenden nickten. Ben der schon mitkriegte, dass es um ihn ging, aber da zu erschöpft und krank war, alles was um ihn herum geschah, zu ermessen, suchte Sarah´s Blick, deren Augen schon wieder verdächtig zu glänzen begannen. „Es wird Alles gut mein Schatz!“ versicherte sie ihm, aber man konnte deutlich die Panik in ihrer Stimme hören.
„Frau Jäger-ich denke es ist besser, sie verlassen den Raum!“ sagte der Chefarzt mit Autorität in der Stimme, aber Sarah packte Ben´s Hand fester und schüttelte den Kopf. „Ich gehe-aber erst wenn er schläft!“ sagte sie und straffte ihren Rücken und der Stationsarzt der seine Sarah ja viel besser kannte als der Chef, musste insgeheim ein wenig schmunzeln. Dem war die Reaktion des Personals nicht entgangen und so ließ er sich auf den Kompromiss ein und nickte. „Meinetwegen!“ sagte er schroff.
„Schatz-du darfst jetzt wieder ein bisschen schlafen und wenn du aufwachst, geht es dir sicher schon besser. Ich bleibe bei dir, du musst keine Angst haben!“ sagte Sarah voller Liebe und so konnte Ben nun aushalten, was um ihn herum geschah und er schloss nur noch die Augen, während die Gerätschaften aufgebaut wurden. Semir verfolgte ängstlich, was mit seinem Freund gemacht wurde und er dankte Gott, dass Sarah genau im richtigen Moment aufgetaucht war. Er hätte sie sonst rufen lassen, aber vermutlich wäre sie zu spät gekommen und der Chefarzt hätte sicher nicht erlaubt, dass er als Mitpatient-auch wenn er der beste Freund war- nahe bei Ben wäre und dem die Angst nahm. Der Notfallwagen wurde herein gefahren, routiniert bereiteten Sarah´s Kollegen den Tubus, die Medikamente, die große Beatmungsmaschine und die Lagerungskissen für die Bauchlage vor. Der Monitor wurde laut gestellt, so dass das schnelle Piepen von Ben´s Herzschlag den Raum erfüllte, man nahm alle Schienen und Kissen aus dem Bett, ließ das Kopfteil aber hoch, denn er hätte es nicht geschafft zu atmen, wenn man das Bett flach gestellt hätte. So würde der Stationsarzt in halb sitzend intubieren, was eine Standardnarkoseeinleitung bei nicht nüchternen Patienten war, was man jetzt zwar bei Ben nicht behaupten konnte, dessen Magen nun schon seit vielen Tagen leer war, aber er hatte so viel Flüssigkeit in sich, dass der Organismus sich sozusagen selber die Luft abschnürte und er dadurch nur noch eine geringe Atemoberfläche hatte. Trotz alledem war so eine geplante Intubation, die keine absolute Notfallindikation hatte, für den Patienten sicherer und manchmal war es einfach wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Anscheinend waren die Sepsis und die Peritonitis bei Ben nun erst so richtig aufgeflammt, aber das hatte man vorher ja nicht wissen können, sonst hätte man ihn nach der OP gar nicht extubiert. Würde man nun allerdings zu lange warten, würde er sich erschöpfen und manchmal kam es dann in dem Moment, wo man die Atemmaske weg nahm zu einem dermaßen starken Einbruch, dass die Patienten in diesem Augenblick an Herz-Kreislaufversagen verstarben. Um dem vorzubeugen intubierte man jetzt rechtzeitig und die Bauchlage diente dazu, Areale der Lunge dem Gasaustausch zur Verfügung zu stellen, die ansonsten lagebedingt nicht zur Verfügung standen.
Alles war bereit und auch die Sedierungsperfusoren hingen. Das Muskelrelaxans war aufgezogen und jetzt nickte der Chefarzt. Der Stationsarzt trat hinter Ben´s Bettkopfende, entfernte dort zunächst das Bettbrett und ließ sich ein Treppchen geben, damit er gut rankam. „Herr Jäger-sie dürfen jetzt ein wenig schlafen, haben sie keine Angst!“ sagte er begütigend und Sarah hielt die Hand ihres geliebten Mannes nun ganz fest und versuchte ihm so Kraft und Zuversicht zu signalisieren. Was jetzt gemacht wurde geschah zu seinem Besten, das war klar und sie würde ihm beistehen, solange er bei Bewusstsein war und dann draußen warten. Man hatte das CPAP-Gerät auf 100% gestellt, um wenigstens ein wenig Sauerstoffüberschuss im Körper zu haben, aber trotzdem musste es schnell gehen, denn Ben hatte keine Reserven mehr. Ben fixierte nun mit müden Augen seine Sarah und als er den Opiatbolus bekam, wurde ihm zwar schon ein wenig komisch im Kopf, aber er war noch bei Bewusstsein. Als dann allerdings das Propofol in ihm anflutete, kapitulierte er und glitt in die ersehnte Narkose, in der er keine Angst, keine Mühe und keine Schmerzen mehr spürte. Noch als das Muskelrelaxans gespritzt wurde, verließ Sarah weisungsgemäß den Raum-jetzt bekam Ben nichts mehr mit und ihre Mission war damit erfüllt.
Sie fühlte sich wie ausgehöhlt und ein älterer Kollege, der heute Spätdienst hatte, trat draußen zu ihr, legte den Arm um sie und führte sie ins Stationszimmer. „Na komm-setz dich und trink erst mal ein Tässchen Tee, du weisst, dass wir alles tun, damit deinem Mann bestmöglich geholfen wird!“ sagte er begütigend und Sarah nickte stumm. Sie umklammerte ihre Teetasse und nippte immer wieder daran. Ihr war jetzt selber so kalt und sie fühlte sich so unendlich leer. Konnte dieser Alptraum nicht bald ein Ende haben?
Im Zimmer wurde Ben derweil-sorgenvoll von Semir beobachtet-intubiert, man fixierte nach der Lagekontrolle den Tubus, schloss die große Beatmungsmaschine, die der Chefarzt mit viel Know How voreingestellt hatte an und dann fassten alle mit an, um ihn nach einem bestimmten Schema auf den Bauch zu drehen. Der Stationsarzt hielt den Tubus fest und sicherte den ZVK. Man zog Ben erst an eine Bettseite und drehte ihn dann unter Zuhilfenahme der Bettunterlage komplett auf den Bauch. Unter den Oberkörper kam ein breites Lagerungskissen, die Arme wurden nach oben ausgestreckt und nun unterlegte man überall, wo es Druckstellen geben könnte, kleine Polster. Der Kopf kam in einen Gelring, so dass Augen und Nase hohl lagen und endlich waren die beiden Ärzte und die Schwestern zufrieden. Man hatte zwar das Arterenol wegen der Sedierung wieder steigern müssen, aber die Sättigung war schon im Ansteigen begriffen-er profitierte also von der Bauchlage. Die EKG-Elektroden hatte man vor dem Drehen auf der Brust entfernt, die kamen jetzt auf den Rücken und bald konnte man problemlos den Sauerstoff reduzieren. Man spielte noch ein bisschen mit der Dosierung der Katecholamine, konnte auch wieder Flüssigkeit geben, was die letzte Piccomessung angezeigt hatte, was aber ohne Intubation nicht möglich gewesen wäre und jetzt legte man nur noch ein kleines Tüchlein auf Ben´s Po, der ansonsten ganz nackt war und holte dann Sarah wieder herein, die sich still neben ihren Mann setzte und ihn selbstvergessen streichelte. „Du musst kämpfen Ben-du hast es mir versprochen!“ flüsterte sie leise und Semir im Nebenbett zog es vor Mitleid fast das Herz zusammen. „Das wird er, Sarah, da bin ich mir ganz sicher!“ tröstete er sie mit undeutlicher Stimme, um sich dann wieder voll auf seine eigene Atemgymnastik zu konzentrieren.