Beiträge von susan

    Als der Bergführer die Signalpistole abgefeuert hatte, waren die Höhleninsassen erst einmal wie erstarrt und wussten nicht was das sollte. Die drei Geschosse prallten zunächst gegen die gegenüberliegende Höhlenwand, wobei sie wie durch ein Wunder niemanden verletzten und begannen dann unter Zischen und starker Rauchentwicklung knallrot zu leuchten-das internationale Zeichen für Gefahr! Eines der Geschosse setzte die Decken und Tücher in Brand, die am Boden lagen und dann begannen die Menschen schon schreiend und voller Panik dem Ausgang zuzustreben. Auch die Mutter des kleinen Murat packte ihr Kind und rannte wie von Teufeln gehetzt Richtung Tür-sie war der Meinung der Weltuntergang habe begonnen und die Höllenpforten haben sich geöffnet. Die Infusion rutschte zwar heraus, aber der kleine Junge hatte schon beinahe die ganze Flasche erhalten und dank des Sauerstoffs und der Flüssigkeit hatte er bereits wieder begonnen sich zu regen.

    Der Sohn des Patriarchen stand wie erstarrt mit seiner Infusion da, während die Flammen langsam begannen neben dem dichten Rauch, der nun die Höhle ausfüllte, nach den beiden Patienten zu lecken. Der Rauch war momentan oben noch dichter und begann langsam nach unten zu wabern. Der Patriarch war anscheinend durch das Stehen der Blutung und die Infusion, die seinen Kreislauf stützte, wieder zu Bewusstsein gekommen. Er wusste zwar nicht genau was los war, aber als er die rettende Tür aufspringen sah und seine Familie da hinaus drückte, checkte er den Ernst der Lage. Wichtig war jetzt, dass die Menschen an die frische Luft kamen, damit sie nicht an einer Rauchgasvergiftung erstickten. „Geh-geh sofort hinaus!“ herrschte er seinen Sohn an, der als Letzter bei ihm verharrte, aber der schüttelte nur stumm den Kopf. „Vater-ich werde dich nicht ersticken und verbrennen lassen!“ sagte er und versuchte dann, ihn an den Armen Richtung Ausgang zu zerren, aber das war ein sinnloses Unterfangen, denn der junge Mann hatte inzwischen bereits so viel Rauch eingeatmet, dass ihn nach kurzer Zeit die Kräfte verließen. Ben hatte ebenfalls verzweifelt versucht Richtung Ausgang zu robben, aber er war einfach zu schwach dazu-er würde es nicht schaffen. Außerdem begann sein Verstand sich schon ein wenig zu verwirren und er war dankbar, als der Patriarch nun nach seiner Hand griff und sie festhielt. Mit strengen Worten schickte der nun seinen Sohn hinaus, der sich dem Willen des Vaters beugte, der ihn ja zum nächsten Familienoberhaupt bestimmt hatte und mit letzter Kraft ins Freie taumelte. Die Flammen kamen näher und begannen bereits eine unerträgliche Hitze auszustrahlen und Ben hoffte nur, dass er durch das Rauchgas jetzt bitte bald bewusstlos würde, damit er die unendlichen Schmerzen nicht aushalten musste, wenn er bei lebendigem Leib verbrannte.

    Fest hielten der Heiler und er sich an den Händen und erwarteten den unvermeidlichen Tod. Die Lippen des Patriarchen bewegten sich, er betete, aber Ben, der nicht so christlich war, konnte nur voller Kummer an seine Familie denken, die er jetzt zurücklassen musste und dann war plötzlich jemand über ihm, mit dem er nicht im Entferntesten gerechnet hatte. Semir hatte zwar sein Shirt nach oben über den Mund gezogen, aber trotzdem musste er heftig husten. Wenn er nicht gewusst hätte in welcher Ecke der Höhle Ben zu finden war, hätte er keine Chance gehabt, denn er konnte eigentlich fast nichts sehen, außer dem geisterhaften Züngeln der Flammen und dem dichten Rauch darüber. Semir packte seinen Freund mit dem Mute der Verzweiflung unter den Achseln und zerrte ihn Richtung Ausgang. „Semir-der Heiler-er ist auch noch da!“ keuchte Ben, denn er hatte bis zuletzt dessen Hand festhalten wollen, aber der löste nun energisch die seine aus der Ben´s. Er würde in Kürze im Jenseits bei seiner Frau und seinem Sohn sein und ein anderer Richter würde sich seiner annehmen und befinden, ob ein guter, oder ein schlechter Mensch gewesen war.

    Ben liefen die Tränen über die Wangen-Tränen des Schmerzes, aber auch des Kummers und der Verzweiflung-nein er wollte nicht gerettet werden und ein anderer musste an seiner statt sterben, aber schon war er aus der Höhle im kalten Schnee und nun wechselte Semir keuchend ein paar Worte mit einigen rot gekleideten Männern und die krochen daraufhin gemeinsam mit ihm nochmals in die Höhle und zogen wenig später den jetzt bereits bewusstlosen Patriarchen ebenfalls ins Freie. Semir ließ sich nun ebenfalls völlig erschöpft in den Schnee fallen und als wenig später ein heftiger Knall ertönte, als die Sauerstoffflasche im Notfallrucksack von der Hitze explodierte, zuckte er nur kurz zusammen und konzentrierte sich dann wieder darauf, neben dem Husten noch genügend Luft in seine Lungen zu pumpen.

    Die Sorge um Ben verlieh Semir neue Kräfte. Plötzlich war seine Erschöpfung wie weg geblasen, als das Adrenalin seinen Körper durchströmte. Mit neuem Elan schritt er zügig aus und wenig später bogen sie um einen Bergvorsprung und konnten das Biwak ausmachen. Davor lagen immer noch bunte Tücher im Schnee, eine Rettungstrage stand verloren daneben und gerade konnte Semir erkennen, wie sich zwei Männer zum Eingang schlichen. Er legte nochmals einen Zahn zu, so dass die Retter sich erstaunt ansahen-so ein Tempo nach einem derartigen, doch anstrengenden Aufstieg und der für den Ungeübten mühevollen Abfahrt davor, hätten sie dem kleinen Deutschtürken nicht zugetraut! Sie hielten allerdings mühelos mit-wenn man in den Bergen aufwuchs, war das tägliche Konditionstraining sozusagen selbstverständliches Programm und so mancher der Männer, der auf einem höher gelegenen Hof aufgewachsen war, hatte schon auf dem Weg zur Schule und zurück täglich eine halbe Bergtour bewältigt, also passten die ihr Tempo mühelos ihrem kleinen Anführer an, der regelrecht von neuer Energie durchpulst wurde. Als sie sahen wo das Biwak lag, kamen sie aber übereinstimmend zu dem Schluss, dass das keiner von ihnen kannte und es mit Sicherheit auch nicht in einer von ihnen gebrauchten Karte eingezeichnet war. Gut-es lag auf deutscher Seite, vielleicht hatten es die dortigen Bergführer angelegt, aber normalerweise funktionierte die Kommunikation im Grenzgebiet zwischen den Ländern hervorragend und vielleicht hatte es mit diesem Unterschlupf auch eine ganz andere Bewandtnis! Aber nichtsdestotrotz sahen auch sie zwei Männer in Winterausrüstung näher schleichen und irgendwie war denen schon anzusehen, dass die nichts Gutes im Schilde führten.

    Semir erkannte auch sofort die Kleidung des Bergführers und ihm wurde beinahe schlecht vor Sorge. Der hatte gestern schon einmal versucht, sie alle miteinander umzubringen, bei Knut war ihm das auch gelungen und hiermit war seine Theorie bestätigt, dass der die Lawine ausgelöst hatte. Der andere allerdings war einer der Flüchtlinge, mit dem er auf Türkisch ein paar Worte gewechselt hatte, allerdings kamen Semir nun doch Zweifel-der hatte als Einziger eine ordentliche Winterausrüstung mit gescheitem Schuhwerk gehabt und sich deshalb schon von der Menge abgehoben. So wie es aussah, steckte der mit dem Bergführer unter einer Decke! Er wandte sich zu seinen Begleitern um und teilte ihnen flüsternd mit, dass der Rechte ihr Kollege war und der eine der Bergretter nickte. Auch er hatte den Mann aus der Entfernung erkannt und erneut schämte er sich dafür, dass in ihrem Berufsstand solche schwarzen Schafe vertreten waren!

    Während sie lautlos näher hetzten, sah Semir voller Entsetzen, wie der Bergführer eine Waffe-nein er musste sich korrigieren, auf den zweiten Blick sah er, dass das eine Signalpistole war- hervor zog, die Tür ein Stück öffnete und dann nacheinander drei Schuss direkt in die Höhle abfeuerte. Um Himmels Willen-dort drinnen war kein Fenster, da würde jetzt das Inferno und völlige Panik ausbrechen und die Menschen würden versuchen, so schnell wie möglich hier raus zu kommen, um nicht zu ersticken und Ben, der sich ja nicht rühren konnte, war da drinnen gefangen! Aber was hatte der Bergführer vor? Als Semir dann allerdings das lange spitze Messer sah, das der jetzt aus der Tasche zog, wurde es ihm klar-hier sollte jetzt ein großes Morden beginnen und als jetzt die Tür von drinnen einen Spalt aufgestoßen wurde und die erste Frau mit ihrem Kleinkind auf dem Arm panisch zu fliehen versuchte, holte der Bergführer schon aus und in diesem Moment war Semir, der mitsamt den Tourenskiern an den Füßen zu rennen begonnen hatte, über ihm und nun begann ein Kampf auf Leben und Tod.

    Der türkische Schlepper drehte sich auf dem Absatz um und versuchte abzuhauen, als er sah, dass der Bergführer von dem kleinen Deutschtürken angegriffen wurde. Aber er lief direkt den Bergrettern in die Arme, die sich auf ihn stürzten und ihn zu Boden rangen. Die anderen Retter, die von Semir´s Spurt ein wenig überrascht worden waren, wollten ihm zu Hilfe kommen, aber in diesem Moment flog die Tür zur Höhle vollends auf und vor Panik schreiende Menschen fluteten heraus und hinter ihnen quoll dichter Rauch aus der Höhle. Nachdem die Menschenmenge nun wie ein Keil zwischen Semir und den Bergrettern war, war der auf sich alleine gestellt und die Retter hatten jetzt Mühe die Flüchtlinge vor dem Absturz zu bewahren, denn die wollten sich schreiend in Sicherheit bringen, aber rund um das Biwak waren lauter steile Felsabbrüche-ohne den vollen Einsatz der Helfer, die die momentan geblendeten Menschen beruhigten und fest hielten, hätte es Tote gegeben.
    Semir war zwar eigentlich völlig außer Atem, aber mit dem Mute der Verzweiflung war er jetzt dem Bergführer in den Arm gefallen, der gerade mit dem Messer hatte zustoßen und die Frau und das Kind erledigen wollen. Der Bergführer war momentan überrascht, aber er hatte sich sofort wieder gefangen und klar war er ein wenig verletzt, aber erstens war er ausgeruht, hatte nicht viel Blut verloren und die Schmerztabletten taten ebenfalls ihre Wirkung. Zusammen mit dem Adrenalin, das auch durch seine Adern tobte, war er ein ernst zu nehmender Gegner, der zudem auch größer und sicher 20 kg schwerer als Semir war, den jetzt auch noch die Tourenskier an den Füßen behinderten.
    Sofort disponierte der Bergführer um. Er hatte das Messer ja fest gepackt und ließ auch nicht los, als Semir seinen Arm ergriff und ihm versuchte die Waffe zu entwinden. Im Gegenteil-er probierte die so zu positionieren, dass er damit Semir erstechen konnte, der wie ein Schraubstock seinen Unterarm umklammert hielt. Sie fielen beide erst auf die Knie und als sich die Messerspitze bedrohlich in Semir´s Herznähe begab, setzte der seine Nahkampfausbildung ein und lockerte klug taktierend für einen Augenblick seinen Griff, um dann mit einem Karatetrick den Bergführer über seine Schulter zu werfen. Fast gelang es auch, aber gleichzeitig bemerkte Semir, als der schwere Körper an ihm vorbei sauste, dass die Spitze des schwarzen Messers durch seine Kleidung drang, die dadurch aufgeschnitten wurde und ein scharfer Schmerz durchzog ihn. Nun allerdings sprang er auf und endlich löste die Bindung aus und einer der Tourenski fiel von seinem Fuß. Semir holte aus und trat mit Wucht gegen das Handgelenk mit dem Messer und mit einem Schmerzensschrei ließ der Bergführer es fallen. Semir hechtete sich darauf-gegen diesen Mann brauchte man eine Waffe-und er hatte es auch ziemlich schnell erreicht, obwohl es fast zwei Meter weit weg geflogen war. Im Unterbewusstsein sah er hinter sich eine rote Spur im Schnee, aber er war gerade nur auf das Messer fokussiert, packte es und drehte sich dann um, um jetzt damit den Bergführer in Schach zu halten-aber der war weg-einfach weg! Immer noch liefen die Menschen panisch durcheinander, aber wenig später war der erste der Bergretter bei ihm eingetroffen: „Wo ist das Schwein?“ fragte er, aber auch er konnte den verräterischen grellorangen Anorak nirgendwo entdecken.

    Der Bergführer hatte sich, als er sah, dass er verloren hatte, blitzschnell zur Seite hinter einen Vorsprung gerollt. Er war hier ortskundig und hatte sich nach unten ein Stück einen Steilhang hinunter rutschen lassen und war dann um einen Felsvorsprung verschwunden. Dort wendete er in aller Ruhe zunächst seinen Anorak-der hatte ein weißes Futter und dasselbe machte er dann mit seiner Schneehose, auch die war innen weiß gefüttert. Eine weiße Sturmmaske, die er immer bei sich hatte, um sich im Schnee ungesehen zu machen und weiße Handschuhe vervollständigten seine Verwandlung und dann begann er den Abstieg zu einem weiteren Biwak nicht weit entfernt, wo er sich kurz verschlüpfen und dann mit den dort gelagerten Skiern im Tiefschnee auf unbekannte Routen ins Tal Richtung Deutschland fahren konnte. Im Kleinwalsertal hatte er Bekannte, die würden ihm Unterschlupf gewähren und dann würde man weiter sehen!

    Der Bergretter musterte Semir: „Sie sind verletzt Gerkhan, lassen sie mich mal sehen!“ sagte er, aber Semir schüttelte den Kopf, gab ihm stattdessen das Messer und bevor sich der Bergretter versah, war Semir in der Höhle, aus deren Tür dicke Rauchschwaden drangen, verschwunden.

    Jetzt sind die Streitigkeiten zwischen Semir und Ben auf einen Schlag vergessen und sie arbeiten wieder als Team zusammen. Leider riecht Kim´s potentieller Mörder Lunte und kann fliehen, obwohl Semir ihm dicht auf den Fersen ist. Die Flucht im Jaguar weis schon auf einen nicht gerade armen Attentäter hin-das passt schon zur südamerikanischen Drogen-und Menschenhandelsmafia!
    Dass sich Kim nun in ihrer Wohnung total unwohl fühlt ist mehr als nachvollziehbar. Bei unseren Nachbarn wurde auch mal eingebrochen-da stand der Einbrecher nachts plötzlich vor dem Ehebett und im Nebenzimmer schlief die vierjährige Tochter. Die haben Monate gebraucht-und nen scharfen Hund-um dieses Trauma zu überwinden.

    Oh Mann-während Kevin und Ben Party machen und sich voll laufen lassen, wird Semir von der Sturmfront mittels eines perfiden Plans aus dem Auto gelockt und entführt =O Ja das könnte eine lange Nacht für ihn werden, wenn ihm nicht der Zufall zu Hilfe kommt, oder er sich doch irgendwie befreien und fliehen kann. Und ob er sonst den Morgen erlebt, oder nicht gleich irgendwo aufgeknüpft wird, steht sowieso in den Sternen! ;(

    Semir dachte fieberhaft nach. Wer war der Patient mit der Schussverletzung? Das musste ja fast Ben sein, denn der hätte mit Sicherheit nicht den Notarzt mit der Waffe bedroht. Um Himmels Willen-er musste so schnell wie möglich da rauf! Sicher war es einem zivilen Helfer nicht zuzumuten unter Selbstgefährdung Leben zu retten, aber er als Polizist würde sich da anders verhalten können. Er fragte in die Runde: „Hat einer von ihnen eine Waffe dabei?“ aber die Bergretter schüttelten stumm den Kopf. Trotzdem gingen sie nun zügig weiter-sie würden erst einmal in die Nähe der Höhle gehen und dann weiter entscheiden, was zu tun war. Die österreichische Leitstelle hatte inzwischen Kontakt mit den deutschen Kollegen aufgenommen und im Polizeipräsidium in Kempten liefen inzwischen die Vorbereitungen für einen SEK-Einsatz in großen Höhen. Allerdings würde es sicher noch mindestens eine Stunde dauern, bis der Polizeihubschrauber die Männer der Elitetruppe dort oben abgesetzt hatte und ob die Verletzten so lange überleben würden, wagte der Notarzt zu bezweifeln.
    Semir zermarterte sich den Kopf. Hatte vielleicht der Bergführer die Spur der Flüchtlinge aufgenommen und Ben angeschossen? War er dabei irgendwie selber verletzt worden und bedrohte jetzt den Notarzt, weil der seine Flucht sonst vereitelte? Die verrücktesten Gedanken schossen durch seinen Kopf, aber eines war Semir klar-er würde seinen Freund nicht im Stich lassen!

    In der Höhle waren inzwischen die Menschen völlig verwirrt. Einige von ihnen spähten hinaus, aber der Hubschrauber und mit ihnen der Retter waren schon wieder weg und hinter der nächsten Bergkuppe verschwunden. Der Notfallrucksack stand zwar noch bei den Verletzten und auch die Rettungstrage lag im Schnee vor dem Eingang, aber vom Arzt war nichts mehr zu sehen. Murat´s Mutter begann vor Verzweiflung zu weinen-wie sollte es jetzt weiter gehen? Ben bat mit Gesten die jungen Männer ihm die Pistole abzunehmen und direkt hinter dem Eingang auf den Boden zu legen. Wenn der Retter zurück kam und ihn unbewaffnet sah und er dann sofort zu erklären begann-vielleicht half es was, aber langsam glaubte er nicht mehr daran, denn er merkte, wie er immer schwächer wurde und manchmal kurz wegdämmerte. Semir war der Einzige der die verzwickte Situation aufklären konnte, aber der war vermutlich inzwischen im Hotel und schloss seine Frau und seine Kinder in die Arme. Ob er das wohl nochmals tun würde, oder war der Abschied vor der Schneeschuhwanderung das letzte Mal gewesen, dass er seine Familie in diesem Dasein gesehen hatte? Langsam begann Ben mit seinem Leben abzuschließen, wie es vorher der Patriarch schon getan hatte und er schloss die Augen.

    Inzwischen waren der Bergführer und der Schlepper näher gekommen. Sie hatten sich noch kurz verborgen und so hatten die Flüchtlinge, die nach draußen gespäht und den Abflug des Notarztes beobachtet hatten, sie nicht bemerkt. Sie warteten noch eine Weile und der Bergführer erklärte dem Schlepper seinen Plan. Der Schlepper selber war unsicher. Er hatte dem Einheimischen auch nicht erzählt, dass dieser Deutschtürke mit Skiern ins Tal gefahren war-eigentlich wollte er am liebsten verschwinden und so tun, als hätte er von dieser Flüchtlingsgruppe nie etwas gesehen oder gehört. Die Menschen bedeuteten ihm zwar nichts, aber er würde auf gar keinen Fall jemanden töten, soviel war klar, allerdings traute er sich auch nicht, das dem Bergführer mitzuteilen, denn ansonsten war er vermutlich der Erste, der mit einem Messer zwischen den Rippen in der Schlucht lag!
    Langsam näherten sie sich der Höhle und der Bergführer hatte zuvor seinen Plan erklärt: Sie würden sich rechts und links vom Höhleneingang postieren und dann ein paar Signalraketen dort hineinschießen. In der allgemeinen Verwirrung würden die Menschen zu fliehen versuchen und er würde sie nacheinander mit dem Messer erledigen. Die Aufgabe des Schleppers wäre es die Leichen beiseite zu legen, damit er sich dem Nächsten widmen konnte-der Einheimische hatte nämlich sehr wohl gesehen, dass der Schlepper wohl keinen töten würde, da war der zu feige dazu, während ihn selber ein Gefühl der Macht über Leben und Tod durchzogen hatte, als er den jungen Syrer niedergeschossen hatte. Was gab es Schöneres!
    So machten sie es. Wenig später standen sie rechts und links der Tür, das Messer lag bereit-es war auch noch ein Keramikmesser, das würde nicht so leicht stumpf werden-und nachdem er die Tür einen kleinen Spalt aufgerissen hatte schoss der Bergführer kurz hintereinander drei Patronen mit Signalmunition ins Innere der Höhle, wo sofort Menschen panisch zu schreien begannen und nachdem er die Tür wieder zugemacht hatte, wartete er kalt lächelnd auf sein erstes Opfer.

    Oha-jetzt ist als Erste die Chefin in das Visier-vermutlich von Torres´ Erben geraten, aber Gott sei Dank hat sie zufällig was bemerkt. Zu diesem Zweck legen Semir und Ben dann sogar ihre Zickereien beiseite und versuchen gemeinsam mit Alex Kim Krüger zu beschützen!

    Ben hatte den Blick des Notarztes gesehen, aber zunächst nicht gewusst, was den so beunruhigte. Als er dann allerdings an sich herunter sah, kam ihm die Erleuchtung. Verdammt-die Pistole-der musste ja denken-ach du liebe Güte! und schon versuchte er seine Hand von der Waffe zu lösen. „Tut mir leid-ich bin Polizist!“ rief er ihm nach. „Wir wurden hier überfallen und ich habe uns nur verteidigt-ich war das nicht, der den Arzt angeschossen hat!“ flüsterte er noch schwach, aber der Notarzt war schon durch die Tür und teilte seine neuesten Erkenntnisse via Funk der Hubschrauberbesatzung mit. „Bloß keine Eigengefährdung!“ beschlossen die und rieten dem Arzt davon ab, die Höhle nochmals zu betreten. „Ihr seid auf deutscher Seite-wir verständigen die Kollegen, dann sollen die ein SEK schicken und den Attentäter entwaffnen, bevor wir uns weiter um die Patienten kümmern!“ gab der Helikopterpilot durch und so wurde es gemacht. Die Hubschrauberbesatzung holte den Notarzt in seinem Rettungsgeschirr wieder ab und landete dann ein ganzes Stück weiter außer Sichtweite, so dass der Heli auch nicht von einer Kugel getroffen werden konnte. Erst sollten die Beamten der deutschen Polizei die Lage bereinigen und dann würden sie wieder ihrem Job nachgehen und Leben retten!

    Semir und die Bergretter kamen gut voran. Erstens hatte Semir sich schon wieder ein wenig regeneriert, bis die bei ihm eintrafen und zweitens wollte er nun unbedingt wieder zu seinem Freund und dem beistehen, wenn der nicht inzwischen schon im Krankenhaus war. Sie hatten schon über die Hälfte der Strecke überwunden und der Anführer der Rettungstruppe hatte über Funk-wenn sie nicht gerade hinter einem Bergmassiv verschwunden waren und das mal wieder nicht funktionierte- inzwischen erfahren, dass der Hubschrauber das Biwak gefunden hatte und ein Notarzt abgeseilt worden war, weil dort keine Möglichkeit zur Landung bestand. Semir nickte, als man ihm das mitteilte. Gott sei Dank-jetzt bekam sein Freund die dringend notwendige medizinische Betreuung und der kleine Murat ebenfalls. Vermutlich waren die schon weg, bis sie an der Höhle eintrafen, aber nichtsdestotrotz würde Semir die Retter jetzt auf dem kürzesten Weg zum Biwak führen, das war er dem Patriarchen und den jungen Männern, die Ben ausgegraben hatten, schuldig, denn sonst würde der schon nicht mehr leben!
    Es war auch nicht sinnvoll jetzt stur seinen Spuren zu folgen, die er bei der Abfahrt hinterlassen hatte, denn er hatte oft nicht den Kürzesten, sondern den vermeintlich sichersten Weg genommen und so war es gut dass er als Führer dabei war. An Steilpassagen nahmen die Retter Semir sogar ans Seil und geleiteten ihn sicher hinauf-diese Männer hier waren wie die Gemsen, die in dieser Region lebten: Trittsicher, schwindelfrei, eine Megakondition und dabei noch fröhlich, denn während des zügigen Aufstiegs machten sie noch kleine Späße und munterten Semir auf, der das erleichtert zur Kenntnis nahm. Die Rettungsaktion lief und binnen weniger Stunden wäre Ben außer Gefahr, Murat würde hoffentlich auch überleben und man würde irgendwie auch die restliche Gruppe sicher vom Berg bringen. Er hoffte, wenn in dieser Nacht das neue Jahr anbrach, dass dann alle in Sicherheit und außer Lebensgefahr waren-bis auf Knut, von dem konnte man leider nur noch die Leiche bergen und wenn Semir daran dachte, wie verzweifelt die Frau und die Kinder sein würden, dann hatte er einen dicken Kloß im Hals.

    Sie hatten bereits drei Viertel der Strecke hinter sich, da funktionierte plötzlich die Funkverbindung wieder, was zuvor eine Weile nicht gegangen war. Semir hatte ein Motorengeräusch gehört und einen Heli aufsteigen und hinter der nächsten Bergkuppe verschwinden sehen. Da waren sicher Ben drin und der kleine Junge und eine große Erleichterung überkam ihn und unwillkürlich lief er ein wenig langsamer-jetzt eilte es nicht mehr-sein Freund war in Sicherheit, da sah er wie die Miene des Bergretters am Funkgerät plötzlich ernst wurde und der stehen blieb und sich dann an Semir wandte. „Herr Gerkhan-sie haben uns doch erzählt, dass in der Höhle ein Verletzter und ein krankes Kind sind. Gerade bekomme ich die Durchsage, dass der Notarzt zwei Verletze dort oben angetroffen hat, plus das kranke Kind. Einer der Verletzten hatte eine Schusswunde im Thorax und war bewusstlos und der andere hat den Notarzt mit einer Waffe bedroht, so dass sich der zum Eigenschutz in Sicherheit gebracht hat. Die deutschen Behörden wurden bereits verständigt, aber aktuell kann wegen der unklaren Gefährdungslage keiner der Verletzten abtransportiert werden-können sie sich vorstellen was da los ist?“ fragte er Semir, aber der wurde blass und schüttelte den Kopf-um Himmels Willen, was war dort oben während seiner Abwesenheit geschehen?

    Der Bergführer und der Schlepper waren inzwischen wieder zurück und verbargen sich in der Nähe der Höhle. Erst wollte der Einheimische schon enttäuscht umkehren, als er den Heli hörte und sah, wie sich einer der Insassen mit einer roten Jacke und dem bekannten Kreuz darauf abseilte, aber als sie dann ein wenig gewartet hatten, kam der plötzlich aus dem Biwak gerannt und wurde kurz darauf vom Hubschrauber wieder abgeholt. Was auch immer der Grund dafür war-die Bahn war jetzt frei und ohne auf irgendwelche Folgen zu achten-der Bergführer würde zumindest diesen Jäger jetzt killen, das war ihm ein persönliches Bedürfnis. Wie stand schon in der Bibel? Auge um Auge-Zahn um Zahn-er würde sich jetzt für die Schmerzen in seiner Schulter und zudem das entgangene Geld rächen!

    Jetzt habe ich eine ganze Weile überlegt, ob ich überhaupt was schreiben soll, aber es ist wirklich erstaunlich, wie dieser Pilot polarisiert. Alle die ihn zuvor auf der Premiere-vermutlich auf der Großleinwand mit viel Stimmung außen herum- gesehen haben sind begeistert-manch anderer weniger-zu denen auch ich gehöre.
    Ich habe mich sehr gefreut, dass ich diesmal ohne jeden Zeitstress mal Cobra kucken konnte, hab mit was zu trinken bereit gestellt und mich aufs Sofa gelegt-und dann: hmm-wäre ich mehrmals beinahe eingeschlafen, obwohl ich eigentlich nicht müde war. Was gut war-nein ich korrigiere mich-was ich persönlich gut fand, denn das hier ist ja nur meine höchstprivate Meinung, war Semir´s schauspielerische Leistung und zwar auf sehr hohem Niveau die ganze Folge durch und auch Boschko war sehr überzeugend. Alles andere hat mich nicht vom Hocker gehauen, auch Alex hat in meinen Augen nicht überzeugend gespielt-der war irgendwie kaum präsent-gut -war vielleicht auch schwierig so neben einem zu Höchstform auflaufenden Erdogan. Ich fand die platt inszenierten Witze auch nicht lustig, die Filmmusik war ok, aber nicht herausragend in meinen Ohren. Die Story hat sich gezogen, die Stunts waren gut, aber das wars auch in meinen Augen. Ich hätte aus prinziplichen Gründen sicher nicht umgeschalten, wenn ein Alternativprogramm geboten gewesen wäre, aber ich konnte es verstehen, dass mein Mann nach etwa 10 Minuten gepennt hat und erst um 22.15 wieder aufgewacht ist!

    Der Hubschrauber begann nun systematisch in der Nähe von Semir´s vermuteter Abstiegsroute nach den Vermissten zu suchen-und tatsächlich! Ziemlich weit oben in einem Seitental, allerdings auf der deutschen Seite des Allgäuer Alpenhauptkamms sah die Besatzung des Helikopters plötzlich eine Markierung im Schnee. „Oh-da hätte ich jetzt nicht so bald gesucht!“ gab der Hems zu-das war ein ausgebildeter Rettungsassistent, der eine Zusatzausbildung zur Einweisung des Hubbis hatte, so dass man sich einen Copiloten sparen konnte. Die Problematik in großen Höhen war nämlich, dass da wegen dem Luftdruck und den Witterungsverhältnissen auf dem Berg jedes Gramm zählte und man auch als Ausrüstung nur das Allernotwendigste mitnahm, weil der Hubbi sonst nicht wegkam. Der Hubschrauberpilot schaute nach einer Möglichkeit zum Landen, aber da gab es erst ein ganzes Stück weit entfernt eine flache Stelle-zu Fuß in diesem Gelände unmöglich zu überwinden. „Ich werde mich mit Equipement abseilen-du bedienst die Winde und dann sehen wir, dass wir den Verletzten und das Kind hochheben und mitnehmen können, bis zu dem Plateau, dort landen, einladen und dann schnellstmöglich nach Innsbruck in die Klinik!“ beschloss der Notarzt, denn natürlich hatte ihnen die Einsatzzentrale Semir´s Beschreibung der Lage mitgeteilt.

    Wenig später schwebte der Hubschrauber in der Luft, direkt über den bunten Tüchern und noch während der Notarzt mitsamt einer Trage in einem Tandem- Rettungsgeschirr nach unten schwebte, öffnete sich die Tür der Höhle und viele hoffnungsvolle Gesichter blickten nach oben. Der Notarzt öffnete geschickt die Schnellverschlüsse und das Seil wurde mit der Winde von seinem Assistenten schnell nach oben gezogen, während er mit dem Notfallrucksack und der Trage zurück blieb. Der Hubbi landete auf dem Plateau und die beiden Besatzungsmitglieder warteten dort auf weitere Anweisungen per Funk.

    Viele Hände griffen nach dem Arzt und zogen ihn in die Höhle und ein fremdartiges Stimmengewirr durchzog sie. Der Raum war nur spärlich von einem Gasbrenner erhellt, der auf niedrigster Stufe vor sich hin flackerte, denn man musste Gas sparen, solange man nicht wusste, wann Rettung eintraf. Der Notarzt, der mit einem Verletzten und einem kranken Kind gerechnet hatte, erschrak, denn hier lagen eindeutig zwei schwerst verletzte Erwachsene vor ihm, alles war voll Blut und eigentlich wusste er zunächst nicht, um wen er sich zuerst kümmern sollte, denn die geisterhafte Blässe die die beiden Gesichter überzog bedeutete, dass keiner der beiden mehr viel Zeit hatte. Eine Mutter mit einem sichtlich bereits bewusstlosen, etwa vierjährigen Kind kam jetzt auch näher und nun hob der Notarzt kurz die Hand-er musste, bevor er seine Arbeit begann, sofort einen weiteren Helikopter anfordern, denn er konnte nur maximal einen Erwachsenen und das Kind mitnehmen und der Anflug des nächsten Hubschraubers würde, egal von welcher Seite der kam, mindestens eine halbe Stunde dauern. Nachdem in der Höhle der Funk nicht funktionierte, ging er nochmals kurz hinaus und die Menschen , die ja seine Erklärungen nicht verstanden, wollten ihn beinahe nicht mehr ins Freie lassen-vermutlich dachten sie, er würde nichts machen und sofort wieder verschwinden, aber irgendwann konnte er seinen weiteren Notruf absetzen und eilte dann so schnell er konnte, zurück in die Höhle.
    Das war jetzt doppelt blöd-normalerweise würde er jetzt gemeinsam mit seinem Assistenten einen Patienten professionell versorgen, dann den mitnehmen und die Sache wäre geritzt. So aber stand er alleine mit drei Schwerstkranken da, darunter einem Kind und musste sehen, wie er die Ressourcen richtig verteilte.

    Daher begann er zunächst mit der Sichtung der Verletzten, dazu holte er auch eine helle LED-Stirnlampe aus seiner Tasche, also war es jetzt hell genug. Es gab auch eine Art ungeschriebenen Kodex und der hieß: Kinder zuerst! Und daher besah er sich den kleinen Murat. Der war zwar tief bewusstlos und hoch fiebrig, dazu massiv ausgetrocknet, aber wenn er dem Sauerstoff gab und eine Infusion legte, konnte er ihn schon ein wenig stabilisieren. Später würde er ihn sicher beatmen, weil er auch keine Schutzreflexe mehr aufwies, aber aktuell funktionierte wenigstes der Atemantrieb noch und er hoffte jetzt einfach, dass die nicht aussetzte oder der kleine Junge aspirierte, denn sonst konnte er sich wirklich ausschließlich um den kümmern und was geschah dann mit den anderen beiden? Also holte er die Sauerstoffmaske heraus –die kleine transportable Flasche drehte er nur auf, die blieb im Rucksack- und setzte die Maske dann Murat auf. Dann bereitete er eine Infusion vor, legte ihm mühsam eine Nadel, denn durch die Austrocknung ging das extrem schwer, aber dann saß die Mutter wieder mit ihrem Kind im Arm daneben und ein anderer hielt die Infusion.

    Ben hatte schweigend das Tun des Notarztes beobachtet und es fand seine Zustimmung. Immer noch hatte der Sohn des Patriarchen das Tuch fest auf die Brust des Heilers gedrückt und anscheinend war die Blutung weniger geworden. Allerdings gab der alte Syrer nun nicht mehr an-er hatte das Bewusstsein verloren. Der Notarzt wollte sich nun dem jüngeren seiner beiden anderen Patienten zuwenden, denn auch das war ein Kriterium-der eine hatte vermutlich ein gelebtes Leben hinter sich, während der andere noch viele gute Jahre vor sich hätte, denn er war ein Mann in den besten Jahren, aber jetzt meldete Ben sich zu Wort, der wegen der Schwäche bisher mit Worten gegeizt hatte. „Nein-versorgen sie bitte erst meinen Arzt. Er hat mir das Leben gerettet und so wahnsinnig schlecht geht’s mir gar nicht, ich kann warten!“ schwindelte er, denn eigentlich war er ebenfalls nur noch mühsam bei Bewusstsein, war kurzatmig und schwindlig, sein Puls raste und die Schmerzen waren ebenfalls fürchterlich.
    Der Notarzt stutze-oh der andere Verletzte war sogar ein Kollege! Nachdem ihm der Patient selber die Entscheidung abgenommen hatte, bedeutete er nun dem jungen Mann, der mit Kraft die ganze Zeit ein Tuch auf die Brust des Bewusstlosen drückte, kurz zur Seite zu gehen, damit er die Wunde inspizieren konnte. Sofort schoss wieder das Blut in stetigem Strom heraus, allerdings war das dunkel, also war das eine venöse Verletzung-sie hatten eine Chance! Er bedeutete nun dem jungen Mann wieder zu drücken, bereitete derweil alles vor, klebte die Elektroden des Überwachungsmonitors auf den Brustkorb des Patriarchen und legte die Blutdruckmanschette und den Sauerstoffsensor an. Die Herzfrequenz war bei 140, der Blutdruck bei 60/30 mm/ Hg und die Sauerstoffsättigung nur bei 80. Das war zwar schlecht, aber wenn man den Zustand rasch änderte, konnte man ihn vielleicht noch retten und so suchte der Notarzt zunächst einmal eine lange stumpfe Klemme aus seinem Instrumentarium. Er hatte in der Tiefe das blutende Gefäß entdeckt, wenn es ihm gelang das abzuklemmen, konnte er weiter machen. Jetzt war es gut, dass sein Patient bereits tief bewusstlos war, so brauchte er sich nicht um eine Narkose zu kümmern und als er jetzt ein weiteres Mal den jungen Mann mit Gesten aufforderte, zur Seite zu gehen, zog er schnell sterile Handschuhe an und unter der Beleuchtung über seine Stirnlampe und den tastenden Finger schaffte er es, das blutende Gefäß aufzufinden und abzuklemmen. Das sah nach einer Schussverletzung aus, aber als er den jungen Mann-nachdem er einen gepolsterten Verband angelegt hatte, der die Klemme an Ort und Stelle hielt, nun aufforderte ihm zu helfen und den Patienten zu drehen, war keine Austrittswunde zu entdecken. So legte er nun auch dem älteren Syrer noch einen Zugang und jetzt bekam der junge Mann, der dem bewusstlosen Patienten sehr ähnlich sah-vermutlich der Sohn-die Infusion zu halten und endlich wandte er sich Ben zu.

    Als er sich nun allerdings zu dem hinunter beugte, erstarrte er. In dessen rechter Hand lag eine altertümliche Pistole und gerade hatte sich der Notarzt gefragt, wo der andere Mann wohl die Schussverletzung her hatte und so zog er sich jetzt langsam Richtung Höhlenausgang zurück, während ihm der Angstschweiß ausbrach.

    Inzwischen war ein österreichischer Gendarm, der ebenfalls in der Einsatzzentrale gesessen hatte, zum Hotel aufgebrochen. Der Hotelbesitzer wies ihm die drei Frauen, die wie erstarrt in der Hotellobby zusammen saßen. Die jüngeren Kinder wurden professionell im Kinderland betreut, Knut´s Teenagerkinder hatten sich zum Surfen im Internet auf ihre Zimmer zurück gezogen und die drei Frauen schwiegen sich voller Sorgen an, als der Gendarm auf sie zukam. Voller Bangen betrachteten sie sein ernstes Gesicht-ihnen war sofort klar, dass der keine guten Nachrichten hatte. „Was ist los, bitte spannen sie uns nicht länger auf die Folter-nichts ist schlimmer als diese Ungewissheit!“ brach dann Knut´s Frau das Schweigen. „Sind sie Frau Hansen?“ fragte der Polizist und sie nickte. „Herr Gerkhan wurde unverletzt im Gebirge gefunden, er war gerade dabei Hilfe zu holen.“ begann er und nun brach Andrea vor Erleichterung in Tränen aus. „Laut seiner Aussage allerdings, ist Herr Hansen bei einem Lawinenabgang ums Leben gekommen und Herr Jäger wurde schwer verletzt. Der Hubschrauber ist bereits unterwegs und das Kriseninterventionsteam wird in Kürze bei ihnen sein!“ sagte er sanft und nahm dann Frau Hansen, die gerade heulend zusammen gebrochen war, mitleidig in die Arme, während sich Sarah mit versteinerter Miene an Andrea festklammerte. „Immerhin lebt er noch!“ flüsterte sie, aber dennoch wich ihr die Farbe aus dem Gesicht.

    Der Fall Sophie scheint gelöst, dabei dachte ich unbedingt, der hätte was mit Torres´ Rache zu tun, aber das scheint nicht so-oder gibts da vielleicht doch ne Verbindung? Ach ja und man muss natürlich dringend bei Sophie noch eine toxikologische Untersuchung machen, ob das Scopolamin tatsächlich die Todesursache war!

    Irgendwie wäre ich jetzt gerne mit in Kevin´s und Jenny´s Wohnzimmer gesessen und hätte zugehört wie die miteinander Musik machen und dann auch noch komponieren! Ja wie du schon geschrieben hast-das Potential für ne richtig tolle Freundschaft, trotz gelegentlicher äh-Ausrutscher-in der Vergangenheit ist hier gegeben. Schön auch dass Jenny so locker reagiert als sie nach Hause kommt und den besoffenen Ben dann nach Hause fährt, während ihre eigene Schnapsdrossel schon vermutlich schnarchend auf dem Wohnzimmersofa pennt. Ging das nicht von Anfang an so problemlos? Aber wetten-die Realität holt Kevin schneller wieder ein als er denkt!

    Bonrath ist es gelungen die Fingerabdrücke abzugleichen und als Semir Hartmann damit konfrontiert, beginnt der doch zu reden!
    Allerdings ist der ne Pfeife, wenn er behauptet, er kann nen Scopolaminrausch kontrollieren, jeder reagiert anders auf Drogen und das hängt auch davon ab, ob der ansonsten Alkohol konsumiert, wie schwer er ist etc. Die medizinische Wirkung ist vielleicht noch steuerbar, aber wenn man die euphorisierende Wirkung haben möchte ist das nur knapp unter der Vergiftungsdosis-wer vermag das zu steuern? Wir haben jedes Jahr mehrere Fälle von selbstgekochten Stechapfel-oder Engelstrompetentränken, wo die Dosierung diesmal eben nicht hingehauen hat und die Leute total ausflippen und auf Intensiv landen!

    In der Höhle hatten sich inzwischen die ersten Flüchtlinge ein wenig beruhigt. Der einzige überlebende Sohn des Patriarchen eilte mit einer seiner Schwestern zum Vater und gemeinsam zogen sie ihn vom immer noch ohnmächtigen Ben herunter und legten ihn flach auf den Boden daneben. „Er atmet noch!“ rief der Sohn und drückte dann fest mit dem ersten Lumpen den er erwischen konnte, auf die Brustwunde, aus der das Blut wie ein Wasserfall floss. Wenig später begannen die Augenlider des Syrers zu flattern und als er wieder langsam zu sich kam, sah er sich zunächst gehetzt in der Höhle um, um den Attentäter zu erspähen, aber der war weg. Nur seine Familie scharte sich nun besorgt um ihn, ein Stimmengewirr erhob sich, jeder wollte helfen und als er nun an sich herunter sah, wusste er auch warum. Das Blut floss aus seiner Brust und als er auf den jungen Verletzten neben sich sah, erschrak er nochmals, denn der lag regungslos mit geschlossenen Augen da und war vorne ebenfalls voller Blut, aber nun dämmerte es dem Syrer, das war wohl sein Blut. In der Hand hielt Ben allerdings immer noch die abgefeuerte Pistole, obwohl ihm deren heftiger Rückschlag schier die andere Schulter auch noch ausgekugelt hätte.
    „Was ist passiert-und wo ist der Mörder meines Sohnes!“ rief der Patriarch und wollte sich erheben, um nach seinem anderen Kind zu sehen, das regungslos ein Stück entfernt am Boden lag, aber nun drückten ihn viele Hände zurück und sein zweiter Sohn sagte voller Kummer: „Vater-Jesaia ist wirklich tot, dem kann niemand mehr helfen!“ und nun liefen die Tränen der Verzweiflung aus den Augen des Patriarchen. Dann erzählte der Sohn, wie ihr Patient sich die Pistole gegriffen und damit den Bergführer und den Schlepper in die Flucht geschlagen hatte und voller Dankbarkeit drehte der Heiler sich nun zu Ben, der soeben ebenfalls langsam die Augen wieder aufschlug. Als der Patriarch nun aber den stetigen Strom aus seiner eigenen Brust fließen sah, sagte er voller Kummer: „Joshua-ich werde ebenfalls sterben, kümmere dich bitte um unsere Familie, du bist das neue Oberhaupt!“ und nun liefen die Tränen der Verzweiflung aus den Augen des zweiten Sohnes, der leise flüsterte: „Vater-du darfst nicht sterben!“ aber der Patriarch schloss nun einfach seine Augen und erwartete sein Schicksal.

    Ben hatte den Kopf gedreht und voller Kummer die ergreifende Szene neben sich beobachtet. Sie konnten jetzt nur hoffen, dass es Semir bald gelang Hilfe zu holen, denn vielleicht konnte die westliche Medizin dem Patriarchen doch noch zu Gute kommen. Wenn er daran dachte wie schwer verletzt er schon einige Male gewesen war und wie gut ihn die Ärzte jedes Mal wieder hingekriegt hatten, dann gab er die Hoffnung noch nicht auf. „Deckt ihn gut zu und fest auf die Wunde drücken!“ ermunterte er den Sohn, der zwar kein Deutsch verstand, aber trotzdem intuitiv wusste, was Ben gesagt hatte. Der legte nun vorsichtig die Pistole ab und schob einen Teil seiner Decken zum Patriarchen hinüber, was ihm zwar vor Anstrengung den Schweiß auf die Stirn trieb, aber die Umstehenden hatten verstanden und deckten nun den Verletzten zu. Der Sohn drückte weiter auf die Brustwunde, der Blutstrom wurde jetzt auch ein wenig langsamer und jetzt konnten sie nur hoffen, dass bald Rettung von außen kam.

    Endlich waren die ersten Retter bei Semir angelangt. Diese Männer waren in den Bergen aufgewachsen, sie hatten eine Megakondition und so bewältigten sie den Aufstieg fast mühelos. Semir war nun wieder zu Atem gekommen und hatte beschlossen, dass er auf keinen Fall ins Tal ab-, sondern mit den Bergrettern wieder zu dem Biwak aufsteigen würde-vielleicht fanden sie das sonst gar nicht und außerdem könnte er Sarah nicht entgegen treten und sagen: „Ich habe mich nun erst mal in Sicherheit bringen lassen-vielleicht können sie für Ben noch was tun, falls sie ihn rechtzeitig finden, aber egal-Hauptsache ich lebe!“ und deshalb setzte er sich jetzt in den Schnee und nutzte die Zeit zur Regeneration.
    Im unverwechselbaren Vorarlberger Dialekt mit den harten Konsonanten, sprach der erste Bergretter Semir an. „Guten Tag, ich bin von der Bergrettung und ich vermute, sie sind Semir Gerkhan-was ist denn passiert?“ fragte er, denn natürlich hatten sie Bilder der Vermissten gesehen. Wenn nun einer alleine aufgefunden wurde, dann war das normalerweise ein schlechtes Zeichen und bedeutete vor allem, dass der Rest der Truppe entweder tot oder schwer verletzt war. Außerdem waren die mit einheimischem Bergführer unterwegs gewesen, wenn der als Ortskundiger nicht zurück kam, dann war er vermutlich unter den Opfern, aber sie waren für solche Fälle geschult, würden den in Bergnot Geratenen jetzt beruhigen, medizinisch grundversorgen und falls nötig den Heli anfordern, der ihn sicher ins Tal brachte. Der müsste jetzt sowieso langsam auftauchen, denn inzwischen war es völlig hell und es war Routine, dass der Hubschrauber von oben suchte, während sie vom Boden aus nachsahen, aber vielleicht war der sogar schon unterwegs und überprüfte derweil ein anders Tal. Erstaunt konstantierte der Helfer noch, dass der kleine Türke Carvingskier trug, dabei war ihnen gemeldet worden, dass die Vermissten mit Schneeschuhen zu einer Wanderung aufgebrochen und nicht zurück gekehrt waren.

    „Wir wurden gestern von einer Lawine verschüttet, die vermutlich der Bergführer losgetreten hat. Einer der Tourengeher-Knut Hansen-ist tot und mein Freund Ben Jäger wurde schwer verletzt, aber gemeinsam mit einer Gruppe Flüchtlinge aus Syrien, insgesamt 17 Personen, die ebenfalls dort oben unterwegs waren, konnte ich ihn ausgraben. Er wurde von einem der Syrer medizinisch basisversorgt, der hat sogar eine Operation an ihm durchgeführt und jetzt wartet die Gruppe in einem hoch gelegenen Biwak in einer Höhle darauf, dass sie gerettet werden, denn von da oben kommt man ohne passende Ausrüstung nicht weg. Es befindet sich auch noch ein schwer krankes Kind bei der Gruppe, ich denke jetzt zählt jede Minute!“ fasste Semir kurz die Ereignisse des gestrigen Tages zusammen.
    Der Bergretter sah ihn geschockt an. Erstens hatte Semir ihm gerade in bester Polizistenmanier eine kurze Zusammenfassung gegeben, die aber alles Wichtige enthielt, aber am meisten berührte ihn die Unterstellung, dass der Bergführer, den er flüchtig persönlich kannte, angeblich die Lawine verursacht habe. Das konnte er sich fast nicht vorstellen-wer sollte so etwas tun und warum und wo war der Übeltäter jetzt? Aber egal-jetzt mussten sie von Gerkhan genau wissen, wo das Biwak lag und dann sofort den Heli hinschicken und zusätzlich dorthin aufsteigen. „Meinen sie, sie können mir auf der Karte zeigen, wo das Biwak liegt? Zwei von uns werden sie dann ins Tal begleiten und wir anderen steigen zu den Verletzen auf und sorgen dafür, dass die ins Krankenhaus und die anderen Menschen sicher ins Tal kommen!“ erklärte er Semir seinen Plan und zog die Karte hervor. Semir musterte die ein wenig ratlos. Verdammt-er konnte da zwar persönlich hingehen, aber momentan fand er auf dieser Landkarte mit den eingezeichneten Geländemarkierungen nicht, wo das Biwak lag. „Mir geht es gut, ich bin auch nicht verletzt und werde sie dorthin bringen, aber wo sich genau das Biwak befindet, kann ich anhand dieser Karte nicht sagen!“ erklärte er. „Ich habe den Flüchtlingen aufgetragen draußen bunte Tücher auszulegen, damit der Helikopter sie sehen kann, aber mehr kann ich ihnen jetzt nicht mitteilen!“ sagte Semir. Der Bergretter holte zunächst seine Kollegen zusammen und fragte alle, ob ihnen in diesem Gebiet ein Höhlenbiwak bekannt wäre, aber alle schüttelten ratlos den Kopf. Über Funk, denn die Handyverbindung hier oben funktionierte nicht, informierte er die Zentrale im Tal, die sich im Rathaus der Gemeinde Warth einquartiert hatte, dass sie einen der Vermissten nach eigener Aussage unverletzt gefunden hatten. Knut Hansen war tot und Ben Jäger schwer verletzt. Über den Verbleib des Bergführers war nichts bekannt, aber er gab die Vermutung Semir´s, dass der die Lawine ausgelöst hätte, nicht weiter-was verstand so ein Flachlandtiroler wie dieser Türke aus Köln schon von den Verhältnissen im Gebirge, das war sicher ein unbegründeter Verdacht!

    Man gab Semir heißen Tee, einen Isodrink und einen Müsliriegel, eine Sonnencreme, eine Skibrille und Lippenschutz wurden angelegt und aufgetragen und einer der Bergretter, der Kleinste, damit die Bindung auch passte, trat seine Tourenskier an Semir ab und übernahm dessen Abfahrtsski. Er würde damit ins Tal fahren und dort weiter koordinieren, denn wenn dort oben so viele Personen mit unzureichender Winterausrüstung waren, musste man da drauf eingehen, passende Kleidung beschaffen und vor Ort dann überlegen wie man die heil ins Tal brachte. Während die Gruppe nun wieder bergauf lief, wurde von der Einsatzleitung der Hubschrauber, der bisher in einer völlig verkehrten Ecke gesucht hatte, umdisponiert und machte sich auf die Suche nach dem Biwak und den ausgelegten bunten Tüchern.

    Der Bergführer und der Schlepper waren am zweiten Biwak. Wie geplant warf der Verletzte zwei Schmerztabletten ein, verband sich mit Hilfe des Schleppers und nahm dann die Signalpistole und die Leuchtmunition aus diesem Biwak mit und dazu ein langes, spitzes und scharfes Messer. Damit würde er die Gruppe probieren auszuräuchern und wenn sie, falls sie das überlebten, geblendet ins Freie zu gelangen versuchten, konnte er sie mit dem Messer einen nach dem anderen erledigen, den er war Beidhänder, die Klinge führte er auch mit links!

    So wie es aussieht hat Semir soeben, zwar mit etwas Mühe, aber letztendlich doch erfolgreich, Hartmann fest genommen. Ob der allerdings auch der Mörder Sophie´s ist, oder nur den Kontakt angebahnt und die Leiche entsorgt hat, wird sich noch herausstellen! Allerdings macht sich der durch seine Flucht und andere Dinge hoch verdächtig-bin auf seine Aussage gespannt!

    Jetzt ist mir fast schlecht! Du hast die Szene von Janine´s Tod und seiner Verletzung, die seitdem als Trauma Kevin´s Leben beherrscht, dermaßen eindrucksvoll beschrieben, dass ich mich ebenfalls in dieser dunklen Gasse gewähnt habe. Gut-die Wahl des Weges war es sicher nicht, Peter Becker hätte auch einen anderen Ort gefunden, um den Tod seines Bruders zu rächen, aber trotzdem fühlt Kevin sich schuldig-bis heute...

    Semir hatte schon wieder anhalten und die Skier schultern müssen, denn gerade kam erneut ein Steilstück, das er sich nicht runterfahren traute, denn nur ein kleines Stück vom Weg abgekommen und er würde abstürzen und damit wäre niemandem geholfen. Er war inzwischen schon fast eine Stunde unterwegs, aber er hatte trotzdem Strecke gemacht und kam nun immer näher Richtung Lechtal, wenn ihn seine Orientierung nicht trog. Ohne Skier hätte er für diese Strecke sicher die vierfache Zeit gebraucht, aber langsam kam er fast ein wenig an seine Kante und seine Knie begannen zu zittern-es war einfach eine total ungewohnte Bewegung. Auch fand er erstaunlicherweise bergab beinahe anstrengender als bergauf-was er sich vorher so nicht hatte vorstellen können! Er verfluchte sich, dass er nicht in der Höhle noch Schnee geschmolzen und mitgenommen hatte-inzwischen quälte ihn nämlich ein ziemlicher Durst und der Schnee, den er dann zu essen versuchte, löschte den nur unzureichend, außerdem sprangen seine Lippen auf und das gleißende Sonnenlicht, das sich auf dem Schnee spiegelte, verblitzte seine Augen. Natürlich hatten sie Sonnenbrillen dabei gehabt, im Rucksack hatte sich auch Sonnenmilch und Lippensalbe befunden, aber diese Utensilien waren alle beim Absturz in der Lawine verloren gegangen. Aber er durfte jetzt nicht jammern, sondern musste an Ben denken und versuchen so schnell wie möglich ins Tal zu kommen und Hilfe zu holen!

    Als er um einen weiteren Felsvorsprung bog, meinte er erst seinen malträtierten Augen nicht zu trauen. Waren da nicht am gegenüberliegenden Berghang Menschen gerade dabei aufzusteigen? Er schloss seine Augen und öffnete sie gleich wieder. Die hatten alle dieselben roten Jacken an, trugen große Rucksäcke und Seile und bewegten sich routiniert in der weißen gefährlichen Wildnis. Semir versuchte auf sich aufmerksam zu machen und als die Gruppe anhielt und mit Feldstechern den Berg musterte, den sie gerade dabei waren zu besteigen, wedelte Semir mit den Armen und versuchte zu rufen, obwohl die dafür eigentlich viel zu weit weg waren. Zufällig drehte sich einer der Bergsteiger gerade ein wenig um und hatte plötzlich das Gefühl aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr genommen zu haben. Klar gab es hier oben auch Hirsche und Steinböcke, aber die zogen sich normalerweise in die ein wenig tiefer gelegenen Wälder zurück, wo es auch Wildfütterungen gab. So musterte er nun zuerst mit bloßem Auge und dann nochmals intensiver mit dem Feldstecher die Umgebung und hielt dann seine Kameraden von der Bergwacht, die gerade mit ihren Tourenskiern weitergehen wollten, auf. „Seht mal da drüben-habe ich jetzt Halluzinationen, oder winkt uns da wer?“ sagte er und wenig später hatte die Gruppe Semir entdeckt. „Das muss einer der Vermissten sein, denn sonst lagen uns keine Meldungen vor und um diese Uhrzeit ist mit Sicherheit nach diesem Sturm noch niemand außer uns aufgestiegen-wo kommt denn der her-wir haben die doch wo völlig anders vermutet?“ fragte der Gruppenführer der Bergwacht laut, aber dann drehten sie gemeinsam um und wedelten mit ihren Tourenskiern, die mit Steigfellen bewehrt waren elegant Richtung Hochtal und begannen dann zu Semir auf zu steigen, der nun, als die Rettung nahte, erst bemerkte, wie erschöpft er war und sich nun einfach in den Schnee setzte und wartete, bis die Retter bei ihm eingetroffen waren.

    Der Bergführer und der Schlepper waren inzwischen ein gutes Stück von der Höhle entfernt. Nachdem ihnen keiner nach kam, wagte der Einheimische es, seine Wunde, die höllisch schmerzte, zu begutachten. Er schob den Anorak ein wenig nach unten, sah dann aber, dass es sich schlimmer anfühlte als es war-er hatte einen glatten Durchschuss an der Schulter. Sie würden jetzt zu dem Biwak zurück kehren, in dem er die Nacht verbracht hatte und sie verbinden. Dann würde er eine Schmerztablette-oder besser noch zwei- einwerfen und dann überlegen, wie er die restlichen Flüchtlinge und vor allem diesen Jäger eliminieren konnte. Winkler würde ihn köpfen, wenn er erfuhr, dass der, dem der Anschlag eigentlich gegolten hatte, noch am Leben war. Die anderen beiden waren anscheinend bei dem Lawinenabgang gestorben-sonst wären sie mit Sicherheit auch in der Höhle gewesen, aber es war sonnenklar, niemand in dem Biwak durfte nach dem, was geschehen war, überleben, ansonsten wurde die Luft für den Bergführer verdammt dünn!

    Sarah, Andrea, Knut´s Frau und die Kinder saßen beim Frühstück. Jeder versuchte für die Kids ein Stück Normalität vor zu spielen, aber dennoch hing bei allen-soweit sie schon sprechen konnten-die bange Frage in der Luft: „Wo ist der Papa?“

    So jetzt hätte ich beinahe geheult! Die melancholische Stimmung des Friedhofs kam sehr gut rüber-ich kann das gut beurteilen, denn ich habe erstens mehrere Gräber, teils auch auf historischen Friedhöfen zu richten und mich zieht es im Urlaub auch immer auf die alten, geschichtsträchtigen Friedhöfe, wie die Melaten in Köln oder so!
    Natürlich war Ben an Mikaels angeblichem Grab gestanden-nach diesem Oneshot bin ich nochmals sauer auf ihn, dass er sich nicht wenigstens bei Ben kurz gemeldet hat und ihm mitgeteilt hat, dass sein Tod nur vorgetäuscht war. So hat der einen Riesenkummer, während Mikael sich in Finnland-na klar wo auch sonst, wenn man den Winter so liebt-ebenfalls bei der Polizei beworben und dort parallel die selbe Ausbildung wie Ben durchlaufen hat.
    Aber schön ist, dass Ben seinen alten, angeblich verbrannten Freund nicht vergessen hat und ihm einen Platz in seinem Leben einräumt, obwohl der doch seiner Meinung nach schon lange unter der Erde ist.

    Annie ist irgendwie geläutert! Kevin´s Worte haben sie bis ins Mark getroffen und zum Nachdenken gebracht. Nachdem sie im Traum mit ihm noch gekuschelt hat, löscht sie allerdings seinen Kontakt in ihrem Handy-vermutlich eher symbolisch-es ist vorbei!
    Allerdings droht nun neues Unheil-Sammy ist nicht zurück gekehrt-ich vermute sie werden irgendwo seine Leiche finden und dann wird hoffentlich der alte Hass gegen die Faschos wieder hoch kochen, das geht nämlich gar nicht, dass die linke und die rechte Szene sich gegen die Polizei verbünden!
    Ob und wie Kevin allerdings damit zurecht kommt, dass er sozusagen in seiner Jugend einen jetzigen Kollegen zum Pflegefall gemacht hat-ich weiss nicht so Recht!

    Semir hatte es sich nicht so schwierig vorgestellt. Was immer bei den anderen Skifahrern-auch bei Ben-so leicht aussah, bedeutete für ihn höchste Konzentration und Kraftanstrengung. Mehr als einmal fiel er hin, immer wieder wurde er ziemlich schnell, obwohl er das mit dem Schneepflug probierte, wie sie es im Skikurs gelernt hatten und einmal kam er gerade noch so vor einem Abgrund zu stehen, indem er sich auf die Seite in den Schnee schmiss. Er würde mit Sicherheit mehr als einen blauen Fleck am Po und an den Hüften haben, wenn er unten ankam, aber immerhin kam er voran-getrieben von der unsäglichen Angst um seinen Freund. Er würde es sich nie verzeihen, wenn der sterben würde, weil es zu lange gedauert hatte und so fuhr er unverdrossen weiter unter höchster Konzentration, so als wenn er mit 200 über die Autobahn düsen würde-aber das hätte er ehrlich gesagt wesentlich besser in Griff, als dieses Himmelfahrtskommando. Eines schwor er sich-das wäre das letzte Mal in seinem Leben, dass er auf so blöden Skiern stand-Winterurlaub in allen Ehren, aber er fand da nichts dran und konnte Sarah und Ben, die elegant über die Piste schwangen da nicht verstehen. Aber vermutlich musste man Skifahren wirklich lernen, solange man jung war, dann machte es Spaß! Dabei war die Schneeschuhwanderung zunächst schön gewesen, aber mit der Lawine war plötzlich alles anders! Die Gefahren im Hochgebirge waren nicht zu unterschätzen, wie sie schmerzhaft am eigenen Leib gespürt hatten!
    Inzwischen war es ganz hell geworden und ein wundervoller, eisiger Wintertag brach heran-es wäre alles schön gewesen, wenn nicht da oben eine Leiche liegen würde und sein Freund lebensgefährlich verletzt mit dem Tode rang.

    Der Patriarch hatte nach dem Morgengebet zunächst nach seinem Enkelsohn gesehen, der inzwischen nicht mehr bei Bewusstsein war. Wenn da nicht bald Hilfe kam, dann war er verloren und die Mutter des Kleinen wiegte ihn verzweifelt und mit Tränen in den Augen in ihren Armen. Der heilkundige Syrer versuchte ihm ein wenig Tee einzuflößen, aber auch der Kleine konnte nicht mehr schlucken und so ging der alte Syrer nun mit schleppenden Schritten, das Herz volle Kummer, zu seinem nächsten Patienten.
    Gerade beugte er sich über ihn und hob die Decken, um zu kontrollieren ob die Blutung stand, da wurde plötzlich die Tür aufgestoßen, ein Schuss ertönte und lautlos sank einer der Söhne des Patriarchen tot zu Boden. Die Frauen und Kinder begannen zu schreien und duckten sich voller Panik, während der Bergführer seine Waffe kalt lächelnd durchlud, um mit der Exekution fort zu fahren. Der türkische Schlepper sah ihn fassungslos an-freilich galt in ihrer Branche ein Menschenleben nicht viel, aber einfach so hilflose Menschen abzuknallen, das ging überhaupt nicht! Außerdem fürchtete er gerade um sein eigenes Leben und überlegte fieberhaft, wie er sich schnellstmöglich aus dem Staub machen und in Sicherheit bringen konnte.

    Der Patriarch hatte sich fassungslos umgedreht und die Decken wieder fallen lassen. Er sah seinen Sohn tot zu Boden sinken und ein Laut des Schmerzes kam über seine Lippen. Vor wenigen Wochen erst hatte er seine Frau verloren, sein Enkel lag im Sterben und nun wurde sozusagen vor seinen Augen seine Familie ausgelöscht. Er brauchte eine Weile, um sich zu fangen und zu überlegen, was er tun konnte, aber dann griff er in seinen Hosenbund, wo in einer Art Holster aus Stoff seine altertümliche Pistole steckte. Er hätte es sich nie träumen lassen, dass er sie einmal gegen einen Menschen einsetzen musste und da er so gläubig war, konnte er mit Sicherheit niemanden kaltblütig erschießen, aber vielleicht gelang es ihm den Bergführer einzuschüchtern, wenn der sah, dass er bewaffnet war!

    Der Bergführer hatte inzwischen seine Blicke durch die Höhle schweifen lassen und ausgerechnet, ob er auch genügend Munition dabei hatte. Wobei-die Kinder konnte er notfalls mit der Schaufel erschlagen, das ginge auch, er musste nur zuerst die Männer erledigen, die ihm vielleicht gefährlich werden konnten. Im Augenblick allerdings starrten die fassungslos auf den Bruder und Cousin, um den sich nun ein großer Blutfleck auszubreiten begann und dachten an Alles, außer sich zu verteidigen und nun sah der Bergführer etwas, oder vielmehr jemanden, den er nicht erwartet hätte. Unter einem Haufen Decken lag dieser Ben Jäger und starrte ihn aus großen dunklen Augen entsetzt an. Er war zwar käsebleich und vermutlich verletzt, aber er lebte und das brachte den Bergführer nun doch ganz schön aus dem Konzept. Vielleicht waren die anderen beiden auch noch am Leben und dieser Jäger und der kleine Türke waren Polizisten, das hatten sie auf der gestrigen Tour erzählt und die würden sich nicht so einfach abknallen lassen! Suchend ließ er seinen Blick durch die Höhle schweifen, ob er die anderen Schneeschuhwanderer entdecken konnte und plötzlich sah er eine Waffe auf sich gerichtet.

    Der Patriarch hatte mit zitternden Händen endlich seine Pistole heraus gewunden und bedrohte nun den Bergführer seinerseits. Mit drohender, aber dennoch ein wenig unsicherer Stimme-Gewalt war einfach nicht Seines-forderte er den Bergführer auf Aramäisch auf, die Waffe fallen zu lassen, der allerdings lachte einmal verächtlich auf-dieser Mann würde nicht schießen, das sah er sofort- und dann bellte ein erneuter Schuss durch die Höhle und der Patriarch sah unendlich erstaunt auf seine Brust, auf der sich ein roter Fleck rasend schnell begann auszubreiten und brach dann über Ben zusammen.

    Der war zwar immer noch fürchterlich schwach, aber nun schoss das Adrenalin durch seine Adern, denn gerade hörte er, wie die Waffe des Bergführers erneut durchgeladen wurde. Die Pistole war dem Patriarchen aus der Hand gefallen und lag jetzt so, dass Ben sie mit der rechten Hand, seiner unverletzten Schusshand, greifen konnte und das tat er auch mit dem Mut der Verzweiflung. Der Bergführer hatte anscheinend vor, hier ein Massaker anzurichten und Ben hatte in dessen Augen gesehen, dass der nicht aufhören würde zu töten, wenn man ihm nicht Einhalt gebot und so nahm er nun seine ganze Kraft zusammen-entsichert war die Pistole, das hatte er gehört-und legte auf den Bergführer an. Er kannte die Waffe nicht und durch seine körperliche Schwäche war er im Zielen nicht so gut wie sonst, aber dennoch bellten nun fast gleichzeitig zwei Schüsse, der eine sauste als Querschläger durch die Höhle und der zweite traf den Bergführer in die Schulter, obwohl Ben eigentlich auf sein Herz angelegt hatte, aber die Umstände ließen den Schuss danebengehen. Allerdings ließ nun der Bergführer die Waffe fallen und griff mit einem Schmerzenslaut nach seiner verletzten Schulter, wo das Blut begann heraus zu strömen. „Schnell-nehmt die Waffe weg!“ rief Ben und Gott sei Dank löste sich nun der zweite Sohn des Patriarchen aus seiner Schockstarre und nahm die Waffe an sich, so dass der Bergführer jetzt unbewaffnet war. Der biss die Zähne zusammen, drehte sich auf dem Absatz um, nicht ohne dabei den türkischen Schlepper, der inzwischen fast an der Tür angekommen war, am Arm zu packen und mit zu zerren. „Du kommst mit und hilfst mir!“ rief er gebieterisch und wenig später waren die beiden Männer verschwunden und Ben rang schwer atmend nach Luft, denn der Patriarch lehnte nun mit seinem halben Körpergewicht auf ihm. Nun war die Anstrengung allerdings zu viel gewesen und als das Adrenalin in seinen Adern ein wenig abflaute, verdrehte Ben die Augen und verlor erneut das Bewusstsein.