Der junge Pfleger war nach dem Spätdienst noch in einen Spielsalon, in dem er Stammgast war, zum Silvester feiern gegangen. Dort ging noch eine spontane Pokerrunde zusammen und als er gegen zwei nach Hause ging, hatte er 5000 € verloren und der Typ, der gewonnen hatte und der Innsbrucks Unterwelt angehörte, wollte bis spätestens nächste Woche sein Geld sehen, sonst würde er ihm alle Knochen brechen lassen. So wälzte er sich ein paar Stunden fast schlaflos in seinem Bett, um gegen neun wieder aufzustehen. Er hatte heute erneut Spätdienst, aber zuvor musste er diesen Jäger erledigen, sonst war sein Schicksal besiegelt, denn mit dem Innsbrucker Zuhälter war nicht zu spaßen-der hasste Ehrenschulden! Karsten hatte schon fieberhaft überlegt, wie er das anstellen sollte, aber ein richtiger Plan hatte nicht in ihm wachsen können-da gab es zu viele Unwägbarkeiten. Er würde sich auf den Zufall verlassen müssen und eigentlich hatte er schon oft Glück gehabt in seinem Leben-nur jetzt gerade hatte er eine Pechsträhne, aber die würde bald vorbei sein-immerhin hatte ein neues Jahr begonnen und wie hieß es immer so schön-neues Spiel, neues Glück!
So machte er sich um zehn von seiner kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in der Innenstadt auf ins Krankenhaus, zog sich um und ging dann schnurstracks auf die Intensivstation. Er durfte jetzt nur keinem von seinen Stationskollegen begegnen, die würden sich wundern, was er vormittags schon in Dienstkleidung im Krankenhaus machte, wenn er doch Spätdienst hatte, aber sogar dann würde ihm vermutlich eine Ausrede einfallen, er war da nicht auf den Mund gefallen. Auf der Intensiv angekommen, lief er erst wie zufällig am Zimmer, in dem dieser Jäger lag, vorbei und atmete dann auf. Der wache Patient neben dem war anscheinend verlegt, dafür schlief ein Beatmeter gut sediert vor sich hin. Der junge, blasse, gut aussehende Mann lag ebenfalls mit geschlossenen Augen in seinem Bett und schien zu schlafen-jetzt war die Bahn frei. Alle Intensivschwestern und Pfleger-klar die waren am Feiertag nochmals personell reduziert-waren in irgendwelchen Patientenzimmern und so öffnete der Pfleger einfach mal den Medikamentenkühlschrank. Gleich vorne dran bei A stand die Actilyse, ein Medikament, das die Blutgerinnung aufhob und das man normalerweise zum Auflösen von Blutgerinnseln verwendete, meist bei Schlaganfällen, Herzinfarkten oder Thrombosen und Embolien. Das wurde nach Körpergewicht dosiert und nun nahm Karsten schnell vier Packungen á 50 mg Alteplase, das waren die doppelten Einheiten, wie man sie therapeutisch bei einem Patienten von etwa 80kg, wie er diesen Jäger schätzte, mit Indikation einsetzen würde. Der Mann war frisch operiert-er würde sich verbluten, wenn er das Medikament erhielt und das Gute an der Sache war zudem noch, dass das ja zeitverzögert wirken würde-er wäre also schon lange wieder weg, bevor da irgendein Symptom einsetzte. Rasch nahm er noch mehrere große 20ml-Spritzen aus dem Spender und verschwand in einem Lagerraum, der selten betreten wurde. Er hatte während seiner Ausbildung, wo er zwei Monate auf Intensiv gewesen war, ein paarmal eine Lyse aufgelöst. Das Wasser und sogenannte Überleitungskanülen waren in der Packung. Man musste nur die Stöpsel der beiden Ampullen entfernen und dieses Überleitungsteil in der richtigen Reihenfolge einsetzen, dann schoss das sterile Wasser durch Unterdruck zum Wirkstoff und löste sich danach durch Schütteln auf. Normalerweise gab man nur eine kleine Menge als Bolus intravenös und der Rest lief als Perfusor über mindestens eine halbe Stunde, aber er würde natürlich die gesamte Überdosis dieses Medikaments, das gentechnisch hergestellt wurde, auf einmal injizieren. Als die vier Ampullen fertig aufgelöst waren, zog er das Medikament in die großen Spritzen auf, die er in seiner Kitteltasche verschwinden ließ. Die Ampullen wischte er gründlich ab, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen und versenkte sie in einem Glascontainer, der günstigerweise in diesem Vorraum stand. Nun trat er wieder auf den Flur und noch immer war keiner vom Personal zu sehen.
So schlüpfte er in das Patientenzimmer und als Ben die Augen öffnete, beugte sich gerade ein junger Mann in weißer Pflegerkleidung und mit Einmalhandschuhen an den Händen über ihn, der ihn freundlich anlächelte. „Sie bekommen noch ein paar Vitamine von mir gespritzt, das hat der Arzt angeordnet, damit sie bald wieder auf die Beine kommen!“ erklärte er und hatte schon den Schraubstopfen vom ZVK gelöst und nacheinander mehrere Spritzen aufgesetzt und entleert. „Hören sie-kann ich nicht etwas zu trinken haben?“ fragte Ben, dem die Zunge vor Trockenheit am Gaumen klebte. „Soweit ich weiss nicht!“ sagte der junge Mann freundlich und steckte die nun leeren Spritzen wieder in seine Kitteltasche, was Ben verwundert konstatierte. „Aber warten sie-ich bringe ihnen etwas zur Mundpflege!“ sagte er diensteifrig und holte aus dem Pflegewagen im Zimmer Mundpflegestäbchen und drei Plastikeinmalbecher, davon einen mit Wasser gefüllt. „Sehen sie-da können sie ihren Mund befeuchten!“ zeigte er Ben und als nun der junge Pfleger, der für Ben und seinen unterkühlten Mitpatienten zuständig war, um die Ecke bog, bedankte er sich bei seinem Kollegen von Normalstation. „Mann-du machst gleich meine Arbeit, Karsten-Herr Jäger ich komme in Kürze zum Waschen und Betten zu ihnen- und du Karsten-was führt dich zu uns?“ fragte er und Karsten bat um einige unverfängliche Ampullen eines gängigen Medikaments, das angeblich auf seiner Station ausgegangen war und das ihm sein Kollege gleich aushändigte. „Dank dir nochmals für das Mundpflegeset bei meinem Patienten-Mann Karsten-willst du nicht bei uns anfangen? Du würdest dich doch wirklich eignen!“ fragte er noch und Karsten bekräftigte auch ihm gegenüber nochmals, sich das zu überlegen und verließ dann die Intensiv.
Mann-das war knapp gewesen-wenn sein Kollege ein paar Minuten früher gekommen wäre, hätte er ihn auf frischer Tat ertappt, aber so konnte er sich rausreden, dass er nur Herrn Jäger auf seine Bitte hin den Mund ausgewischt hatte. Wenn er an dessen Laborwerte dachte, die er gestern natürlich im PC angesehen hatte, brauchte der nicht mehr viel Blut verlieren, um daran zu sterben-bis die das schnallten, war der schon bewusstlos und sonst gab es keine Zeugen. Und man konnte immer nach einer Operation eine Nachblutung erleiden, das lag in der Natur der Dinge!
Ben hatte den Vormittag im Halbdämmerschlaf verbracht. Als Semir ihm zugeflüstert hatte, dass sie ihn nach Köln holen würden, war er froh gewesen, aber aktuell war er einfach nur müde und schwach. Kaum war Semir draußen, hatte man ein anderes Bett hereingefahren, in dem ein junger, völlig ausgekühlter, alkoholisierter junger Mann lag, der schwere Herzrhythmusstörungen wegen der Unterkühlung hatte. Er wurde vom Team der Intensiv fachmännisch versorgt, man intubierte ihn, er bekam- wie Ben- ebenfalls eine Arterie, einen ZVK und einen Blasenkatheter und als man ihn langsam erwärmte, bekämpfte man die Komplikationen, die vom Herzen ausgingen mit Medikamenten und dann sogar mehrmals mit einem Elektroschock, was Ben sehr beunruhigte, der das Ganze aus dem Augenwinkel verfolgte. Endlich so gegen neun war der Patient einigermaßen stabil und nun ließ man Ben und seinen Mitpatienten alleine im Raum. Ben hatte nicht gewagt, um etwas zu trinken zu bitten, obwohl er immer noch kurz vor dem Verdursten war, aber im Bett neben ihm ging es um Leben oder Tod-so viel war klar. Wenigstens hatte sein zuständiger Pfleger ihm immer wieder einen Opiatbolus aus dem Perfusor zukommen lassen, so dass er erstens keine Schmerzen hatte und zweitens ziemlich müde wurde. Er wurde erst wieder wach, als ein junger sympathisch aussehender Pfleger sich über ihn beugte, der allerdings weiße Kleidung und nicht blaue, wie die anderen Intensivmitarbeiter anhatte, aber das war Ben aktuell ziemlich egal. Der junge Mann spritzte ihm Vitamine und nachdem der nicht so gestresst wie die anderen wirkte, traute sich Ben, ihn um etwas zu trinken zu bitten. Das wurde ihm zwar nicht erlaubt, aber wenigstens konnte er jetzt mit der einen Hand, die nicht in einem Verband steckte, selber seinen Mund befeuchten und da war er sehr dankbar dafür.
Sein zuständiger Pfleger hatte ihm zwar versprochen in Kürze zum Waschen und Betten zu ihm zu kommen, aber die nächste Stunde geschah mal wieder überhaupt nichts, nur eines war merkwürdig- Ben´s operiertes Bein begann zu spannen, ebenso wie seine Schulter und während er langsam schwächer wurde, begann seine Herzfrequenz allmählich anzusteigen und der Blutdruck zu sinken. Allerdings ging das so allmählich, dass man es kaum bemerkte und erst als gegen elf der Pfleger nun endlich mit einer Waschschüssel im Zimmer stand, fiel ihm die scheppernd aus der Hand und er starrte voller Entsetzen auf seinen Patienten, der blass in seinen Kissen lag- das Fußende des Bettes war ein einziger Blutfleck und auch im Katheterbeutel stand das pure Blut- und der anscheinend fast nicht mehr am Leben war.