Nachdem die Röntgenbilder angefertigt waren, sah sie sich der Röntgenologe kurz an und verglich sie am PC mit den Voraufnahmen. „Es ist soweit alles in Ordnung-die Belastung hat sich nicht nachteilig ausgewirkt!“ teilte er Sarah, Semir und Ben mit, den man nach dem Röntgen bereits wieder mit dem Rollbrett ins Bett gezogen hatte. Ben hielt die Augen fest geschlossen und tat so, als ob er schlafen würde. Er bemühte sich seinen Atem ruhig fließen zu lassen, um nicht aufzufallen, er wollte jetzt alles, nur nicht Rede und Antwort stehen, denn er wusste einfach nicht, wie er sich Sarah gegenüber verhalten sollte. Die merkte die Distanziertheit und konnte damit nichts anfangen und Semir fühlte zwar die Spannungen in der Luft, konnte sich aber nicht erklären, wie die zustande kamen und außerdem bemerkte er jetzt selber, dass bei ihm einfach die Luft raus war und die Grippe ihn an die Kante brachte. Es wurde ihm abwechselnd heiß und kalt und als er wie ein Dackel Ben´s Bett gefolgt war, das man nach dem Röntgen auf die chirurgische Normalstation brachte und in ein Einzelzimmer schob, musste er sich am Türrahmen festhalten, sonst wäre er umgefallen. Sarah bemerkte es und fasste ihn erschrocken unter: „Semir was ist mit dir?“ fragte sie und nun öffnete sogar Ben für einen kurzen Augenblick die Augen. Semir winkte ab, „Es geht schon wieder!“ krächzte er, aber sein Aussehen strafte die Aussage Lügen. Nun ergriff Ben mit müder Stimme das Wort. „Sarah-bitte bring Semir nach Hause und leg dich dann auch hin, entweder bei Hildegard oder daheim. Mir geht es schon so einigermaßen, ich will jetzt einfach nur schlafen, ich kann mich nicht mehr wach halten!“ sagte er und nach kurzem Zögern stimmte Sarah zu, denn sie machte sich jetzt wirklich Sorgen um Semir, der schon wieder zu Schwanken begann. „Soll ich nicht danach wieder kommen und mir ein Zustellbett reinstellen lassen?“ fragte sie, aber Ben schüttelte nur den Kopf, um dann die Augen wieder zu schließen und einen tief Schlafenden zu simulieren.
Einerseits beruhigt, dass es Ben nicht allzu schlecht zu gehen schien, dann besorgt um Semir und doch wieder beunruhigt, weil eine greifbare Spannung in der Luft lag, machte Sarah als gute Krankenschwester dann doch das Naheliegende. Erst gab sie Ben zum Abschied einen zarten Kuss auf die Stirn, den der aber nicht erwiderte, sondern so tat, als wäre er bereits wieder weggetreten. „Gute Nacht und schlaf gut-ich komme morgen wieder!“ sagte sie leise, fasste dann entschlossen Semir unter, der jetzt nicht mehr lange durchhalten würde und zog ihn mit sich zum Wagen. Sie brachte ihn nach Hause und übergab ihn dort Andrea, die schon voller Sorge gewartet hatte. Dann fuhr sie-immer noch ein wenig unschlüssig- zurück zu Hildegard und als im Wohnzimmer noch Licht brannte, drückte sie kurz entschlossen auf die Klingel, woraufhin ihr die Vertraute überrascht öffnete. „Du bist schon wieder da, was ist mit Ben?“ fragte sie ein wenig ungläubig und sah auf die Uhr. Es war gerade zehn und Sarah war nur zwei Stunden weg gewesen. Die junge Frau trat ein und sagte ein wenig unglücklich: „Ben hat mich weg geschickt, er will seine Ruhe haben und jetzt weiss ich nicht, was ich machen soll!“ erzählte sie und Hildegard zog sie erst einmal herein und schenkte ihr eine Tasse Tee ein. „Weisst du was-du bist ja selber fix und fertig nach der schlaflosen vergangenen Nacht. Ben wird es genauso gehen, jetzt tu einfach, was er dir aufgetragen hat, leg dich ins Bett und versuche dich auszuruhen und zu schlafen. Er ist in Sicherheit und morgen ist ein neuer Tag!“ sagte sie und nach kurzem Zögern folgte Sarah Hildegards Vorschlag. Sie sah, nachdem sie ihre Zähne geputzt und den Schlafanzug angezogen hatte, noch nach ihren Kindern, die selig in Hildegards Spielzimmer schliefen. Wenigstens denen ging es gut und Tim hatte seinen dunkel gelockten Kopf auf dem schon etwas ramponierten Castverband gelegt und atmete gleichmäßig, während die kleine Mia-Sophie beide Hände nach oben, wie eine Blume, mit geballten Fäusten auf dem Rücken in dem Reisebettchen lag und immer wieder an ihrem Schnuller zog. Wenigstens mit den Kindern war alles in Ordnung und auch wenn sie es nicht für möglich gehalten hätte, kaum lag sie in dem bequemen Gästebett, war sie auch schon eingeschlafen. Die vorherige schlaflose Nacht und dann das Wissen, dass ihr geliebter Ben gerettet war, ließ sie dann doch den dringend benötigten Schlaf finden. Hildegard hatte Recht-morgen war ein neuer Tag und den würde sie mit frischer Kraft angehen!
Die Nachtschwester war noch kurz bei Ben gewesen, hatte ihm etwas zu Trinken, einen Eisbeutel für die Schulter und eine Urinflasche gebracht, gebracht, das Antibiotikum angehängt und nach den Schmerzen gefragt. „Es geht schon!“ sagte er und sie forderte ihn auf, zu läuten, wenn er etwas benötigte. Das leichte Schlafmittel das er erhalten hatte war schon lange verpufft und als die Schwester wieder draußen war, erleichterte er sich unter Schmerzen in die Flasche und versuchte dann in den Schlaf zu finden, was ihm aber nicht gelang. Mehrmals meinte die Nachtschwester ein leises Weinen zu vernehmen, aber wenn sie bei ihren Durchgängen ins Zimmer sah, lag er immer fest in die Decke gekuschelt auf der Seite und atmete regelmäßig. Anscheinend hatte sie sich doch getäuscht! Sie ging zurück ins Stationszimmer, wo auf der Krankenakte Ben´s ein dicker Vermerk war: „Auskunftssperre, auch an die Ehefrau!“ und seufzend überlegte sie, wie man das wohl bewerkstelligen sollte. Aber gut-am PC hatte sie die Zugriffsdaten schon so geändert, dass nur die direkt behandelnden Ärzte und die Pflegekräfte dieser Station hier eine Zugriffsberechtigung hatten, da kam Sarah nicht ran. Es hatte sicher etwas mit der HIV-Prophylaxe zu tun, warum Herr Jäger nicht wollte, dass das seine Frau erfuhr, aber es ging sie schließlich nichts an-sie machte ihren Job, versorgte ihre Patienten, verabreichte die vom Arzt verordneten Medikamente und in der Früh würde sie nach Hause gehen und sich ins Bett legen. Sie hatte noch knapp vierzig andere Patienten alleine zu versorgen, die ihre Aufmerksamkeit brauchten, da hatte man keine Zeit sich um jeden Einzelnen viele Gedanken zu machen.
So ging die Nacht vorbei und Ben zählte voller Verzweiflung die Stunden bis zum Morgen und hatte kein Auge zugemacht.