Beiträge von susan

    Nachdem die Röntgenbilder angefertigt waren, sah sie sich der Röntgenologe kurz an und verglich sie am PC mit den Voraufnahmen. „Es ist soweit alles in Ordnung-die Belastung hat sich nicht nachteilig ausgewirkt!“ teilte er Sarah, Semir und Ben mit, den man nach dem Röntgen bereits wieder mit dem Rollbrett ins Bett gezogen hatte. Ben hielt die Augen fest geschlossen und tat so, als ob er schlafen würde. Er bemühte sich seinen Atem ruhig fließen zu lassen, um nicht aufzufallen, er wollte jetzt alles, nur nicht Rede und Antwort stehen, denn er wusste einfach nicht, wie er sich Sarah gegenüber verhalten sollte. Die merkte die Distanziertheit und konnte damit nichts anfangen und Semir fühlte zwar die Spannungen in der Luft, konnte sich aber nicht erklären, wie die zustande kamen und außerdem bemerkte er jetzt selber, dass bei ihm einfach die Luft raus war und die Grippe ihn an die Kante brachte. Es wurde ihm abwechselnd heiß und kalt und als er wie ein Dackel Ben´s Bett gefolgt war, das man nach dem Röntgen auf die chirurgische Normalstation brachte und in ein Einzelzimmer schob, musste er sich am Türrahmen festhalten, sonst wäre er umgefallen. Sarah bemerkte es und fasste ihn erschrocken unter: „Semir was ist mit dir?“ fragte sie und nun öffnete sogar Ben für einen kurzen Augenblick die Augen. Semir winkte ab, „Es geht schon wieder!“ krächzte er, aber sein Aussehen strafte die Aussage Lügen. Nun ergriff Ben mit müder Stimme das Wort. „Sarah-bitte bring Semir nach Hause und leg dich dann auch hin, entweder bei Hildegard oder daheim. Mir geht es schon so einigermaßen, ich will jetzt einfach nur schlafen, ich kann mich nicht mehr wach halten!“ sagte er und nach kurzem Zögern stimmte Sarah zu, denn sie machte sich jetzt wirklich Sorgen um Semir, der schon wieder zu Schwanken begann. „Soll ich nicht danach wieder kommen und mir ein Zustellbett reinstellen lassen?“ fragte sie, aber Ben schüttelte nur den Kopf, um dann die Augen wieder zu schließen und einen tief Schlafenden zu simulieren.

    Einerseits beruhigt, dass es Ben nicht allzu schlecht zu gehen schien, dann besorgt um Semir und doch wieder beunruhigt, weil eine greifbare Spannung in der Luft lag, machte Sarah als gute Krankenschwester dann doch das Naheliegende. Erst gab sie Ben zum Abschied einen zarten Kuss auf die Stirn, den der aber nicht erwiderte, sondern so tat, als wäre er bereits wieder weggetreten. „Gute Nacht und schlaf gut-ich komme morgen wieder!“ sagte sie leise, fasste dann entschlossen Semir unter, der jetzt nicht mehr lange durchhalten würde und zog ihn mit sich zum Wagen. Sie brachte ihn nach Hause und übergab ihn dort Andrea, die schon voller Sorge gewartet hatte. Dann fuhr sie-immer noch ein wenig unschlüssig- zurück zu Hildegard und als im Wohnzimmer noch Licht brannte, drückte sie kurz entschlossen auf die Klingel, woraufhin ihr die Vertraute überrascht öffnete. „Du bist schon wieder da, was ist mit Ben?“ fragte sie ein wenig ungläubig und sah auf die Uhr. Es war gerade zehn und Sarah war nur zwei Stunden weg gewesen. Die junge Frau trat ein und sagte ein wenig unglücklich: „Ben hat mich weg geschickt, er will seine Ruhe haben und jetzt weiss ich nicht, was ich machen soll!“ erzählte sie und Hildegard zog sie erst einmal herein und schenkte ihr eine Tasse Tee ein. „Weisst du was-du bist ja selber fix und fertig nach der schlaflosen vergangenen Nacht. Ben wird es genauso gehen, jetzt tu einfach, was er dir aufgetragen hat, leg dich ins Bett und versuche dich auszuruhen und zu schlafen. Er ist in Sicherheit und morgen ist ein neuer Tag!“ sagte sie und nach kurzem Zögern folgte Sarah Hildegards Vorschlag. Sie sah, nachdem sie ihre Zähne geputzt und den Schlafanzug angezogen hatte, noch nach ihren Kindern, die selig in Hildegards Spielzimmer schliefen. Wenigstens denen ging es gut und Tim hatte seinen dunkel gelockten Kopf auf dem schon etwas ramponierten Castverband gelegt und atmete gleichmäßig, während die kleine Mia-Sophie beide Hände nach oben, wie eine Blume, mit geballten Fäusten auf dem Rücken in dem Reisebettchen lag und immer wieder an ihrem Schnuller zog. Wenigstens mit den Kindern war alles in Ordnung und auch wenn sie es nicht für möglich gehalten hätte, kaum lag sie in dem bequemen Gästebett, war sie auch schon eingeschlafen. Die vorherige schlaflose Nacht und dann das Wissen, dass ihr geliebter Ben gerettet war, ließ sie dann doch den dringend benötigten Schlaf finden. Hildegard hatte Recht-morgen war ein neuer Tag und den würde sie mit frischer Kraft angehen!

    Die Nachtschwester war noch kurz bei Ben gewesen, hatte ihm etwas zu Trinken, einen Eisbeutel für die Schulter und eine Urinflasche gebracht, gebracht, das Antibiotikum angehängt und nach den Schmerzen gefragt. „Es geht schon!“ sagte er und sie forderte ihn auf, zu läuten, wenn er etwas benötigte. Das leichte Schlafmittel das er erhalten hatte war schon lange verpufft und als die Schwester wieder draußen war, erleichterte er sich unter Schmerzen in die Flasche und versuchte dann in den Schlaf zu finden, was ihm aber nicht gelang. Mehrmals meinte die Nachtschwester ein leises Weinen zu vernehmen, aber wenn sie bei ihren Durchgängen ins Zimmer sah, lag er immer fest in die Decke gekuschelt auf der Seite und atmete regelmäßig. Anscheinend hatte sie sich doch getäuscht! Sie ging zurück ins Stationszimmer, wo auf der Krankenakte Ben´s ein dicker Vermerk war: „Auskunftssperre, auch an die Ehefrau!“ und seufzend überlegte sie, wie man das wohl bewerkstelligen sollte. Aber gut-am PC hatte sie die Zugriffsdaten schon so geändert, dass nur die direkt behandelnden Ärzte und die Pflegekräfte dieser Station hier eine Zugriffsberechtigung hatten, da kam Sarah nicht ran. Es hatte sicher etwas mit der HIV-Prophylaxe zu tun, warum Herr Jäger nicht wollte, dass das seine Frau erfuhr, aber es ging sie schließlich nichts an-sie machte ihren Job, versorgte ihre Patienten, verabreichte die vom Arzt verordneten Medikamente und in der Früh würde sie nach Hause gehen und sich ins Bett legen. Sie hatte noch knapp vierzig andere Patienten alleine zu versorgen, die ihre Aufmerksamkeit brauchten, da hatte man keine Zeit sich um jeden Einzelnen viele Gedanken zu machen.
    So ging die Nacht vorbei und Ben zählte voller Verzweiflung die Stunden bis zum Morgen und hatte kein Auge zugemacht.

    Ben wurde inzwischen vom Notarzt an den behandelnden Notaufnahmearzt übergeben. Zufällig war das derselbe, der ihn nach seiner Verlegung aus Innsbruck aufgenommen hatte, der hatte sich auch gleich die Akte auf den Monitor geholt und deswegen musste der Notarzt auch keine komplette Übergabe machen, sondern konnte sich auf die Maßnahmen beschränken, die er in der letzten Stunde ergriffen hatte. „Wir haben Herrn Jäger wach und ansprechbar in einer geheizten Wohnung auf dem Boden vor dem Bett liegend aufgefunden. In dem Zimmer sah es aus wie in einem Schlachtfeld und es lagen zwei Tote, ein Mann und eine Frau darin. Sein Freund und Kollege, Herr Gerkhan, der übrigens draußen sitzt, war bei ihm, er war bei unserem Eintreffen unbekleidet und nur mit einer Decke zugedeckt, die er jetzt nicht mehr hergeben will!“ sagte er und die beiden Ärzte wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
    „Ich habe ihn grob orientierend untersucht, er hat Fieber, ist ausgetrocknet und hat einen linksseitigen Flankenschmerz. Die operierte Schulter haben wir erst wieder in einen Stützverband gesteckt, der fehlte- und der Verband am rechten Bein ist schmutzig, genauso wie die linke Fußsohle, so dass man davon ausgehen muss, dass er auf die Osteosynthese aufgetreten ist, aber ansonsten habe ich keine schwereren Verletzungen feststellen können.“ referierte er. „Die Decke haben wir ihm gelassen, das konnte ich vertreten und er hat noch eine frische Prellung am Kinn, als wäre er da kurz zuvor bewusstlos geschlagen geworden, aber wie gesagt, er war bei unserem Eintreffen bereits wieder wach und soweit beurteilbar orientiert.“ beendete er die Übergabe und währenddessen hatte alle mit angefasst und Ben direkt in ein bereitstehendes Krankenhausbett gelegt. Die Decke der Sanitäter hatte man ihm abgenommen, aber immer noch klammerte er sich mit der rechten Hand verzweifelt an der großen Zudecke aus der Wohnung fest. Der Notarzt brauchte nicht näher darauf eingehen, denn der Aufnahmearzt hatte ihm bereits zugeflüstert: „Verdacht auf sexuellen Missbrauch?“ und der zuliefernde Doktor hatte kurz genickt. „Alles Gute und gute Besserung!“ wünschte nun der Notarzt seinem Patienten noch und verließ dann mit den beiden Sanitätern den Behandlungsraum, in dem jetzt nur der Aufnahmearzt und ein junger Pfleger bei Ben zurück blieben.

    „Herr Jäger, ich würde sie jetzt gerne komplett durch untersuchen, damit wir nichts übersehen. Wir werden Blut abnehmen und uns den Bauch im Ultraschall ansehen. Nachdem mein Kollege gemeint hat, sie wären auf das operierte Bein aufgetreten, möchte ich davon gerne eine Röntgenaufnahme!“ erklärte er und Ben nickte. Ihm war klar, dass er jetzt die Aufnahmeprozedur hinter sich bringen musste, aber dann wollte er nur noch seine Ruhe haben, in ein stilles Zimmer gebracht werden und sich die Decke über den Kopf ziehen, um den schrecklichen letzten Tag zu vergessen. „Wie geht’s denn gerade mit den Schmerzen?“ fragte der Arzt und Ben horchte in sich hinein. „Die Schulter tut weh!“ flüsterte er, aber ansonsten wurde er gerade von einem eher dumpfen Ganzkörperschmerz beherrscht, der allerdings erträglich war. Der erste Liter Infusion war inzwischen in ihn getropft und sein Durstgefühl hatte schon ein wenig nachgelassen und so streckte er bereitwillig den Arm aus, als er dort von dem Arzt gepiekt wurde und der erst Blut abnahm und bei der Gelegenheit gleich einen neuen Zugang legte. „Der andere ist bereits ein wenig gerötet, den machen wir raus!“ beschloss der Arzt und der Pfleger erledigte das auch gleich, nachdem er die Blutprobe ins Labor geschickt hatte. Er nahm zwei zusätzliche Röhrchen ab, weil er schon so seine Hintergedanken hatte.

    Die weitere Untersuchung begann mit dem Kopf, aber es bestand kein Verdacht auf eine Schädel- oder Halswirbelverletzung. Man zog Ben den Schulterverband vorübergehend wieder aus, was ihm nun doch einen scharfen Schmerzenslaut entlockte und entfernte alle Klebepflaster und den provisorischen Verband, den der Wrestler ihm angelegt hatte. „Sobald die ersten Laborwerte da sind bekommen sie etwas gegen die Schmerzen!“ tröstete ihn der Arzt und warf einen Blick auf den Monitor, an den man Ben gehängt hatte. Die Herzfrequenz begann langsam durch die Flüssigkeit zu sinken und der Blutdruck war zwar nur bei 100/70 mm/Hg, aber das genügte, um im Bett zu liegen und bedurfte keiner weiteren Maßnahmen. Auch der Beinverband wurde nun abgewickelt und der Arzt bewegte passiv das Bein und den Fuß durch und inspizierte nach dem Entfernen der Pflaster die Wunden, die aber gut aussahen. „Sind sie da voll aufgetreten?“ wollte er dann wissen, aber Ben schüttelte den Kopf. „Ich habe letzte Nacht versucht zu fliehen, aber ich bin mehr auf dem gesunden Bein gehüpft!“ gab er Auskunft und das erklärte auch die paar schmutzigen oberflächlichen Schürfungen an den Händen und am linken Knie.
    Bevor er nun weiter machte, trat der Arzt an den Monitor und tatsächlich-die ersten Laborwerte waren da und Ben war zwar ausgetrocknet, das Blut war noch dickflüssig und die Leber- und Nierenwerte leicht erhöht, aber er konnte trotzdem was gegen die Schmerzen haben. Man gab ihm Metamizol in die Infusion und stellte die wieder sehr schnell, um das Flüssigkeitsdefizit auszugleichen. Der junge Pfleger hatte rasch und geschickt die Operationswunden desinfiziert und mit neuen Klebepflastern versorgt. „An der Schulter müssen wir gut kühlen-da hatten sie bei ihrer Entführung noch eine Drainage liegen, die unsachgemäß entfernt wurde!“ erklärte der Arzt, denn da war ein lokaler Bluterguss und eine ziemliche Schwellung im Gewebe. Allerdings ließ nun der Schmerz durch die Wirkung des Novalgins bereits nach und Ben sagte leise: „Die haben mir was gespritzt, ich kann mich daran nicht mehr genau erinnern!“ und nun zog der Arzt das Ultraschallgerät näher und setzte sich einfach an den Bettrand. Das entsprach zwar nicht ganz den Hygienestandards, aber erstens waren das Bett und auch die Arzthose frisch und zweitens war jetzt ein einfühlsames Vorgehen wichtig.

    „Herr Jäger-ich denke ich weiss, warum sie diese Decke hier so verzweifelt fest halten. Glauben sie mir, ich habe-wie sie als Polizist vermutlich auch-schon öfters Opfer sexueller Gewalt erlebt und sie passen mir nur zu gut in dieses Schema. Drum frage ich sie jetzt: Wurde ihnen etwas angetan?“ fragte er und Ben wurde jetzt abwechselnd rot und blass, bevor er mit unendlich müdem Gesichtsausdruck langsam nickte. „Wollen sie mir davon erzählen?“ fragte der Arzt, aber Ben schüttelte den Kopf. „Ich will es nur vergessen!“ flüsterte er dann. Der Arzt behielt die Antwort, die ihm dazu einfiel für den Augenblick für sich-es würde so nicht funktionieren, aber das würde man später mit Hilfe eines Psychologen aufarbeiten-seine Aufgabe war es, die körperlichen Verletzungen und die Folgen einzuschätzen und zu behandeln. „Darf ich mir jetzt ihren Bauch und ihren Unterkörper kurz ansehen? Ich verspreche auch sehr vorsichtig zu sein?“ fragte er und schlüpfte möglichst unauffällig in Einmalhandschuhe. Der Pfleger kramte in einer Ecke des Behandlungszimmers herum. Dies hier war ein sehr intimer Moment zwischen Arzt und Patient, da musste er sich zurück halten und vor allem darauf achten, dass niemand zur Türe herein kam. Sehr langsam schob der Arzt nun zuerst die Decke ein wenig herunter, um zunächst mit geübten Griffen Ben´s Bauch abzutasten. Er erneuerte auch die Klebepflaster die von der Gefäßop noch auf ihm klebten. Der linksseitige Flankenschmerz war zwar noch da, aber im Augenblick nicht imponierend. Allerdings hielt Ben nun die Luft an, als der Arzt ruhig, aber bestimmt die Zudecke noch ein Stück weiter nach unten schob und seine Genitalien betrachtete. Die waren zwar geschwollen, aber auf den ersten Blick konnte der Arzt keine imponierenden schweren Verletzungen entdecken. „Wie lange ist der Missbrauch her?“ fragte er ruhig, ohne auf nähere Details einzugehen. „Letzte Nacht!“ flüsterte er tonlos. „Mann oder Frau, oder beide?“ fragte der Arzt, der in seinem Leben schon viel gesehen hatte. „Frau!“ krächzte Ben hervor und kam sich in derselben Sekunde absolut minderwertig vor. Der Arzt würde sich vermutlich ausschütten vor Lachen, sowas hatte er sicher noch nie gehört, dass ein gestandenes Mannsbild von einer schwachen Frau vergewaltigt worden war und er konnte es sich aktuell auch fast selber nicht vorstellen, dass es ihm nicht gelungen war, sich zu wehren. „Kam es zur Penetration und wurde ein Kondom benutzt?“ fragte der Arzt, während er seine Tastuntersuchung beendete und rasch die Decke wieder nach oben schob, um daraufhin Ben´s Bauch mit Ultraschallgel dick einzukleistern. Er hatte eine kleine Einstichstelle entdeckt und konnte sich vorstellen, was geschehen war. „Kein Kondom und ja.“ antwortete Ben mit brüchiger Stimme und der Arzt nickte und besah sich das Innere des Bauchs jetzt auf dem Sonographiegerät. Er konnte ein wenig freie Flüssigkeit entdecken, was aber nach der vergangenen Operation erklärlich war und so wischte er Ben wieder sauber und deckte ihn komplett zu, was dem einen Seufzer der Erleichterung entlockte.

    „Herr Jäger-der Vollständigkeit halber möchten wir sie noch kurz umdrehen!“ sagt er und nickte dem Pfleger zu, der näher trat und mit anpackte. Kurz wurde die Decke wieder zur Seite geschoben, aber auch an Ben´s Po waren keine äußerlich erkennbaren schweren Verletzungen zu sehen, außer der Dammwunde und minimalen Schleimhauteinrissen, die aber nicht bluteten. „Haben sie nach dem Vorfall schon einmal Wasser gelassen?“ fragte nun der Arzt und Ben nickte. Die Blase war inzwischen wieder teilweise gefüllt, wie der Doktor am Ultraschall gesehen hatte. „Normalerweise würden wir jetzt die Kriminalpolizei zuziehen und eine Spurensicherung mit Abstrichen vornehmen lassen, damit die Täterin überführt werden kann, aber sie sind selber Polizist und müssen mir sagen, ob sie Anzeige erstatten wollen oder nicht, das ist ihre Entscheidung!“ sagte der Arzt und Ben schüttelte heftig den Kopf. „Die Täterin ist tot, ich möchte nicht, dass das irgendwer erfährt, auch oder vor allem meine Frau nicht!“ sagte er mit bereits wieder ein wenig festerer Stimme. Der Arzt nickte und erklärte zustimmend: „Das ist mir persönlich völlig egal, wem sie sich offenbaren, ich würde ihnen auf jeden Fall ein Gespräch mit einem spezialisierten Psychologen empfehlen, aber ich kümmere mich hier um die körperlichen Belange und falls das mit dem Wasser lassen klappt, brauchen wir auch keinen Katheter oder weitere invasive Eingriffe. Wir werden noch ein paar Röntgenaufnahmen machen, ich empfehle ihnen eine HIV-Prophylaxe in Tablettenform und die antibiotische Therapie, die sie bis gestern hatten, würden wir einfach weiter führen, dann müsste das Fieber auch wieder herunter gehen. Gegen Hepatitis B sind sie geimpft, wie ich den Unterlagen entnehmen kann, das ist schon mal sehr gut. Sie können von mir aus auf die Normalstation, Intensivüberwachung ist keine notwendig und wenn sie zunehmend Schmerzen bekommen, oder etwas auffällig ist, melden sie sich. Außerdem unterliege ich-wie übrigens jeder hier im Hause- der Schweigepflicht und wenn sie uns eine Auskunftssperre erteilen, dann erfährt niemand etwas von diesen Diagnosen!“ teilte er noch mit und Ben, dem langsam leichter ums Herz wurde, bedankte sich.
    „Ich möchte aber gerne in ein Einzelzimmer und können sie mir nicht etwas zum Schlafen geben, damit ich zur Ruhe kommen kann?“ fragte er und der Arzt sah ihn merkwürdig an. „Das lässt sich machen!“ gab er Bescheid und nachdem Ben mit einem Schluck Wasser noch die Tabletten eingenommen hatte, gab der Doktor die Röntgenanforderung ein und organisierte das Einzelzimmer. So hatte Ben, als er wenig später aus dem Behandlungsraum zum Röntgen gefahren wurde die Augen geschlossen und als Sarah und Semir, die voller Bangen gewartet hatten, sich regelrecht auf ihn stürzten, sagte der Arzt weisungsgemäß: „Er kommt jetzt noch zum Röntgen und dann auf die Normalstation in ein Einzelzimmer er hat von uns aber etwas zum Schlafen bekommen und braucht einfach nur seine Ruhe!“ und nun sahen sich Sarah und Semir unsicher an. Was hatte das alles zu bedeuten? Aber so folgten sie langsam dem Bett und waren beide etwas verwirrt.

    Der Rettungswagen näherte sich der Uniklinik, ohne dass Ben auch nur ein Wort gesprochen hatte. Er lag mit geschlossenen Augen auf der Trage, Semir saß angeschnallt auf dem Sitz daneben und ließ immer seine Hand auf seinem Freund ruhen, um ihm Nähe und Beistand zu signalisieren. Der Notarzt beobachtete Ben´s Monitor und sagte dann freundlich zu Semir, der immer wieder hustete und nach einem Papiertaschentuch griff: „Sie sollten auch zusehen, dass sie ins Bett kommen-ich denke mit ihrer Erkältung gehören sie eigentlich nicht auf die Straße!“ und Semir nickte zwar, sagte dann aber leise. „Wie könnte ich mich da entspannt ausruhen, wenn ich weiss, dass mein bester Freund entführt wurde und wie man sieht, hat sich meine Suche ja auch rentiert!“ bemerkte er und Ben öffnete jetzt mühsam die Augen und sagte nur ein Wort: „Danke!“ bevor er sich wieder in sich selber zurück zog.

    Kaum war der RTW an der Uniklinik rückwärts an die Rampe gefahren und der Beifahrer hatte die hinteren Türen geöffnet, da stand Sarah auch schon im Fahrzeug. Hysterisch schluchzend fiel sie Ben um den Hals. „Schatz, weil du nur wieder da bist! Wie geht es dir und wo warst du versteckt!“ fragte sie, aber anstatt irgend eine Geste in ihre Richtung zu machen erschauerte Ben und lag stumm und steif da wie ein Brett. Semir hatte den taktilen Kontakt gelöst-er wollte kein Fremdkörper zwischen den Eheleuten sein, aber er merkte noch während er schon mal ausstieg, dass da irgendetwas in der Beziehung zwischen Sarah und seinem Freund nicht passte, aber was war das nur? Sarah, die das natürlich ebenfalls sofort spürte, sagte alarmiert: „Ben was hast du?“ aber von dem kam keine Antwort, sondern er hielt die Augen fest geschlossen und versteifte sich zusehends. Auch die Herzfrequenz am Monitor stieg an und er wandte den Kopf zur Seite, während seine Augen sich mit Tränen füllten. Sarah starrte ihn entsetzt an, bevor sie sich aufschluchzend umdrehte und aus der Parkgarage floh. Der Notarzt griff nun ein und sagte ruhig: „Wir bringen ihn jetzt in einen Behandlungsraum und momentan sind alle Besuche untersagt!“ und die Sanitäter erledigten den Auftrag.

    Sarah hatte im selben Moment, als sie so überreagierte schon ein schlechtes Gewissen, aber sie war so froh gewesen, als sie die gute Nachricht erhalten hatte, dass Ben befreit war, dass sie ohne viel nachzudenken in das Krankenhaus geeilt war, das sie seit Jahren als Arbeitsstätte hatte und dessen Lokalitäten und Abläufe sie deshalb kannte. Normalerweise wären Besucher nie in diesen Bereich der Notaufnahme gelangt, wo die Liegendkranken und echten Notfälle angeliefert wurden, aber Sarah legte als langjähriger Mitarbeiterin niemand einen Stein in den Weg. Umso mehr traf es sie, als sie nun weggeschickt wurde-und zwar doppelt! Einerseits vom Notarzt, aber dann eben auch von Ben-zumindest hatte es sich so angefühlt. Seitdem sie zusammen waren-und das waren inzwischen doch schon ein paar Jahre-war dieses tiefe Band der Liebe und der Vertrautheit zwischen ihnen noch nie gerissen, aber heute war Ben so anders-so komisch-so abweisend, obwohl er körperlich gar nicht so megaschlecht war, wie sie in den paar Sekunden im RTW am Monitor gesehen hatte. Klar war er noch krank, aber sie ging beruflich mit wesentlich kritischer kranken Menschen um. Sie war sich sicher, er würde auch das hier überstehen, wie so vieles, das er schon überstanden hatte, aber warum hatte er sich so steif gemacht und abgewandt, als sie ihn berührt hatte-sie hatte doch gar nichts verbrochen? Sarah zermarterte sich den Kopf, ob sie am Vortag etwas Unpassendes gesagt oder getan hatte, nachdem sie ihn angezogen und seine Sachen gebracht hatte, unmittelbar bevor er entführt worden war. War er da sauer gewesen, dass sie nicht bei ihm geblieben war, sondern wieder zurück ins Haus gefahren warum zu lüften und die Wäsche zu waschen? Fühlte er sich zurück gesetzt, weil sie die ganzen Alltagsdinge vor ihn gestellt hatte? Aber er hatte doch seinen Vater zum Unterhalten gehabt-das konnte ja sie nicht wissen, dass der den halben Nachmittag in der Physiotherapie verbringen würde! Einerseits war jetzt ihr Herz voller Kummer und andererseits war sie auch ein wenig pikiert. Was sollte dieses Theater?

    Semir, der Sarah regelrecht hatte fliehen sehen, hatte einen Ansatz gemacht, um Ben in das Behandlungszimmer zu folgen, aber der Sanitäter hatte sich ihm unmissverständlich in den Weg gestellt. „Arztanordnung ist Arztanordnung-warten sie draußen, wir holen sie herein, wenn die Erstversorgung abgeschlossen ist!“ sagte er und straffte seinen Rücken. Semir hätte normalerweise vielleicht protestiert, aber im Augenblick hatte er keine Kraft zum Kämpfen mehr, sondern wankte, mehr als er ging zu den Besucherstühlen vor der Notaufnahme, wo er niedersank, bevor es ihm von selber die Füße weg zog.

    Geht nicht, Mrs. Murphy-ich muss doch heute ins Allgäu und morgen nach München aufs Tom Beck-Konzert, du weisst doch, wegen der Inspirationen-oh Gott der wenn wüsste! Gut dass Ben und Tom doch zwei verschiedene Charaktere sind, sonst hätte ich vermutlich schon zum wiederholten Male Saalverbot! :D Und drückt mir die Daumen, dass es bald zu schneien aufhört-sonst brauche ich ja ewig für die 160km!

    Der Notarzt beugte sich freundlich über den jungen Polizisten, der zitternd in die Decke gehüllt in Semir´s Armen lag. „Ich bin Dr. Gollhofer und möchte sie gerne kurz untersuchen, bevor wir sie in die Klinik bringen, wie heißen sie denn?“ fragte er, denn das war die einfachste Möglichkeit, den Bewusstheitszustand eines Patienten festzustellen und ein gewisses Vertrauensverhältnis herzustellen, gerade wenn man keine Ahnung hatte wie schwer der Patient verletzt war. Dieses Zimmer hier war voller Blut und die Emotionen standen regelrecht in der Luft, außerdem lagen hier zwei Leichen herum, denen keiner mehr helfen konnte, wie der Notarzt bei einer kurzen Routineuntersuchung der Körper festgestellt hatte.

    Er wusste zunächst auch gar nicht, ob er einen oder zwei Patienten hatte, aber aus den Gesprächen der anderen Polizisten hatte er geschlossen, dass der kleinere Mann ein Freund und Kollege des zweiten war, der anscheinend entführt worden war. Statt einer Antwort wandte Ben den Kopf weg und sagte keinen Ton, dafür füllten sich seine Augen mit Tränen. Ihm war gerade alles zu viel, wenn er nur daran dachte, dass fremde Menschen ihn jetzt ansehen und anfassen würden, dann würde er am liebsten unters Bett kriechen und sich für alle Zeiten verbergen, denn er war schließlich gerade noch einer handfesten Vergewaltigung entgangen und die Angst davor schnürte ihm noch immer die Kehle zu, obwohl ihm seine Peiniger nun alle miteinander nicht mehr gefährlich werden konnten, wie sein Verstand ihm wohl sagte.
    Semir merkte, wie sich Ben´s Körper verkrampfte als der Notarzt die Hand ausstreckte und unendlich sanft sagte er zu seinem Freund: „Ben-du musst keine Angst mehr haben, dir geschieht nichts. Ich werde auf dich aufpassen und lass dich nicht alleine. Komm lass dich vom Arzt untersuchen und dann bringen wir dich in die Klinik, wo Sarah sicher schon auf dich wartet!“ erklärte er und nach einer Weile, in der es in Ben´s Kopf sichtlich arbeitete, währenddessen sich aber der Arzt und die beiden Sanitäter bewusst passiv verhielten, nickte er und ließ es zu, dass man ihn aufs Bett hob. Allerdings klammerte er sich an der Decke fest, als wäre sie das einzige Bannwerk gegen die schlimme Welt da draußen und rein gefühlsmäßig hätte der Notarzt gesagt, dass er hier ein Vergewaltigungsopfer vor sich hatte, was ihn noch doppelt einfühlsam und vorsichtig vorgehen ließ.
    Es war hier und jetzt nicht notwendig den Patienten eingehend zu untersuchen-den Rest konnte man in der Klinik machen, vielleicht auch unter dem Einfluss eines Beruhigungsmittels. Er musste sich lediglich einen groben Überblick verschaffen, etwaige lebensbedrohliche Situationen erkennen und behandeln, den Patienten mit Flüssigkeit und Schmerzmitteln wenn nötig versorgen und dann den schonenden Transport in die Klinik anstreben. So leuchtete er ihm in die Augen, betastete grob den Kopf und Hals, besah sich die Schulterwunde, die laienhaft verbunden war, was man aber für den Augenblick lassen konnte, er würde aber einen Stützverband anbringen, denn er sah, wie jede Bewegung des Arms dem jungen Mann die Tränen in die Augen trieb.

    Nachdem Ben nichts sagte, hatte Semir, der jetzt neben ihm auf dem Bett saß und ihn die ganze Zeit nicht los ließ, die Aufgabe des Wortführers ergriffen und dem Notarzt, dessen Augen sich bei den Erzählungen weiteten, erklärt, was für Operationen und Anschläge Ben in den letzten eineinhalb Wochen überstanden hatte. Man richtete Ben vorsichtig auf, legte den Schulterstützverband an und weil der liegende Zugang anscheinend noch ganz in Ordnung war, brauchte man Ben auch nicht von neuem pieken, sondern schloss die Infusion an das Schläuchlein an, denn der junge Mann war völlig ausgetrocknet und seine Hautfalten konnte man abheben, was ein Alarmsignal war. Der elastisch gewickelte Verband am rechten Bein war unten schmutzig, aber man beließ ihn und nach kurzem Abtasten stellte der Arzt fest, dass die Osteosynthese wohl noch in Ordnung war, obwohl man sehen konnte, auch an der schmutzigen zweiten Fußsohle, dass Ben durchaus draußen darauf gelaufen war. Auch Semir hatte das wahr genommen und ihn schauderte, wenn er daran dachte, wie verzweifelt Ben gewesen sein musste, als er am Vorabend splitterfasernackt zu fliehen versucht hatte.

    Inzwischen hatte einer der Sanitäter Überwachungselektroden angebracht und eine Blutdruckmanschette um den gesunden Oberarm geschlungen. Der Herzschlag war regelmäßig, aber viel zu schnell, Ben fühlte sich warm an und das Thermometer im Ohr zeigte 39°C an. Der Blutdruck war grenzwertig niedrig und deshalb hielt sich der Notarzt nun aktuell mit Schmerzmedikation doch zurück. „Wenn es gar nicht geht, sagen sie es, aber ich würde mit Schmerzmitteln gerne ein wenig warten, bis sich der Kreislauf stabilisiert hat!“ sagte er und Ben nickte leicht zum Zeichen dass er verstanden hatte.
    Bis zum Bauchnabel durfte der Notarzt Ben noch abtasten und stellte auch eine Abwehrspannung in der linken Flanke fest, aber dann hielt der junge Mann die Decke mit der Hand und den Knien dermaßen fest, dass der Arzt auf eine eingehendere Untersuchung verzichtete. Es liefen keine großen Blutmengen irgendwo heraus und jetzt würde man in die Klinik fahren und denen dann die weitere Versorgung übertragen. Man hob Ben also auf die Trage, legte über die Decke aus dem Zimmer noch eine weitere, denn die Dreikönigsnacht war eiskalt und als man ihn fest geschnallt hatte, fuhr und trug man die Trage hinaus zum Rettungswagen, aber Semir der inzwischen selber ganz wacklig auf den Beinen war und vom Notarzt unauffällig gestützt wurde, ließ seinen Freund nicht los. Eine ganze Menschentraube wartete draußen, auch Hartmut, den es bei den aktuellen Nachrichten nicht mehr zuhause gehalten hatte und der mit dem Taxi gekommen war, um seine Kollegen zu unterstützen.
    „Alles Gute Ben und werd schnell wieder gesund!“ sagte Hartmut sozusagen als Wortführer und alle waren entsetzt mit welch unendlicher Müdigkeit ihr Kollege den Blick erwiderte, bevor er erschöpft die Augen schloss.
    „Oh Gott-ich will gar nicht wissen, was dem alles zugestoßen ist!“ sagte Jenni leise und atmete dann tief durch, um jetzt den Tatort gemeinsam mit dem inzwischen eingetroffenen Gerichtsmediziner wieder zu betreten. Die Polizeiroutine lief an, die verletzten Schlägertypen wurden ebenfalls in eine Klinik zur Erstversorgung gebracht, bevor man sie in ein Gefängniskrankenhaus überführen würde und die Chefin hatte sich den Wrestler sozusagen zum Verhör reservieren lassen, das dann in Ossendorf im Untersuchungsgefängnis stattfinden würde, aber dieser Type würde sie persönlich auf den Zahn fühlen, immerhin ging es bei diesem Fall um einen ihrer Männer!

    Bonrath hatte inzwischen die alte Dame in ihre Wohnung zurück gebracht und war sehr froh gewesen, als er die entsicherte Waffe aus ihrer Hand geborgen hatte, ohne dass die los gegangen war. Puh, die war wirklich zu allem entschlossen gewesen, aber so wie es aussah, hatte sie mit dafür gesorgt, dass Ben gerettet werden konnte und so lobte er sie zunächst unendlich, bevor er ihre Aussage aufnahm. Die alte Dame zitterte zwar wegen der Kälte, aber ansonsten blitzten ihre Augen und sie hatte den Tag ihres Lebens erlebt. Hier im Viertel war sie sich des Respekts der Anwohner sicher und würde auch nicht weg ziehen, so viel war sicher!

    Hartmut war zwar noch gehandikapt, aber sein ebenfalls inzwischen eingetroffener Kollege der Spurensicherung, der Bereitschaft hatte, war sozusagen sein ausführendes Organ und nachdem sie Fotos vom Tatort gemacht hatten, überließen sie dem Pathologen das Terrain im einen Schlafzimmer und sahen sich in der restlichen Wohnung um, um zu rekonstruieren, wie der vergangene Tag abgelaufen war. Als Hartmut in Estelle´s Schlafzimmer das Tischchen mit dem eindeutig benutzten Sexspielzeug entdeckte, musste er schlucken-er befürchtete, dass er jetzt wusste, warum Ben so schlimm ausgesehen hatte. Mein Gott-hoffentlich würde er mit Hilfe seiner Familie und seiner Freunde darüber hinweg kommen!

    Also ein Teamplayer ist Mikael beim besten Willen nicht! Er versucht bei einem ehemaligen Drogenboss was raus zu finden, schaltet sogar sein Handy aus und besäuft sich mit dem, aber von Erfolg gekrönt ist das Ganze primär nicht-höchstens die unrühmliche Vergangenheit in Mikaels früherer Abteilung wird nochmals aufgewärmt. Wenigstens lässt er danach das Auto stehen, aber den Anschiss von Antti kriegt er völlig mit Recht!
    Alle ermitteln zwar, treten aber aktuell noch auf der Stelle-unbefriedigende Situation!

    Die beiden Wrestler sahen sich an. „Durchs Fenster!“ zischte der eine der beiden und schon machten sie sich am Fenstergriff zu schaffen. Estelle sollte jetzt sehen wo sie blieb, sie würden ihr Heil in der Flucht suchen und Ben lag völlig benommen auf dem Bett und würde ihnen nicht gefährlich werden. Der eine der beiden schwang sich hinaus und gerade wollte der zweite nachfolgen, da stürzte der kleine türkische Polizist in den Raum und hielt ihn von hinten fest. Allerdings hatte er seine Rechnung ohne den Profiwrestler gemacht, der Semir nun kalt lächelnd auf seinen Rücken nahm, dass seine Beine nur so zappelten. Mit lautem Brüllen begann sich der Koloss immer schneller zu drehen und Ben, der gerade wieder aus der kurzen Ohnmacht erwachte, die ihm der Schlag gegen sein Kinn beschert hatte, meinte einer leibhaftigen Wrestlingshow beizuwohnen, nur war das Alles leider bitterer Ernst und das kleine Männchen auf dem Rücken des riesigen Blonden war niemand anderer als sein Freund Semir, dem gerade begann schwindlig zu werden. Vor der offen stehenden Tür konnte er aus dem Augenwinkel ein Bündel Mensch am Boden sehen, das in einer Blutlache lag und befriedigt konstatierte er, dass Estelle anscheinend ihr Schicksal ereilt hatte.
    Oh Gott, was konnte er tun, um Semir zu helfen und mit fast übermenschlicher Anstrengung begann Ben sich hoch zu rappeln. Plötzlich nahm er erneut aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr und voller Entsetzen sah er, dass Estelle beileibe nicht tot war, sondern anscheinend nur angeschossen und sich jetzt mit einer Waffe in der Hand aufgerichtet hatte und auf ihn zielte. „Ben pass auf!“ gellte nun auch Semir´s Schrei voller Panik und dann ertönte ein erneuter Schuss, der Semir´s Karussellfahrt ein plötzliches Ende bescherte, denn Ben hatte trotz seiner Verletzungen geistesgegenwärtig reagiert und sich zu Boden plumpsen lassen, so dass der Schuss statt dem vorgesehenen Ziel nun den Wrestler direkt ins Herz getroffen hatte, der nun noch einen Augenblick mit vor Erstaunen geweiteten Augen stehen blieb, Semir von seinem Rücken gleiten ließ und seine beiden Hände auf die Brust drückte, die sich mehr und mehr rot färbte, bevor er tot zusammen brach.

    Der zweite Wrestler war in genau dem Augenblick zurück gekommen, denn er würde nicht ohne die Liebe seines Lebens abhauen. Sie beide hatten sich ewige Treue bis in den Tod geschworen und so hatte er gerade wieder am Fenster einen Klimmzug gemacht, um zu sehen, wo sein Freund blieb. Estelle hatte sich inzwischen schwankend erhoben und schleppte sich nun Richtung Bett, nur getrieben von Hass und dem Plan, Ben zu töten. Semir tastete nach seiner Waffe, aber die war ihm bei der schnellen Drehung irgendwo aus der Hand gefallen und vermutlich unters Bett gerutscht, auf jeden Fall konnte er sie nicht entdecken. Der Wrestler sah seinen Lebensgefährten vor seinen Augen tot zusammen brechen und er war ab diesem Zeitpunkt nur noch eines-voller Wut auf die Mörderin seines Partners und so schwang er sich katzengleich-man hätte es ihm bei seiner Körpermasse nicht zugetraut-zurück ins Zimmer und war wie ein Schatten über Estelle. Die sah erstaunt hoch, denn gerade hatte sie unendlich langsam-immerhin war sie nach einem Schulterdurchschuss auch verletzt und hatte schon viel Blut verloren-ihre Waffe erneut durch geladen, da schlossen sich plötzlich zwei riesige Pranken um ihren Hals und drückten ihren Kehlkopf ein. Estelle ließ die Waffe fallen und während sie erst mühsam nach Luft ringend zu Boden sank, dann blau anlief und das Bewusstsein verlor, denn ihr konnte niemand mehr helfen, ließ der Wrestler von ihr ab, schloss seinen toten Freund in seine Arme und wiegte ihn wie ein Kind, während die Tränen wie Sturzbäche aus seinen Augen liefen.

    Semir hatte inzwischen Estelle´s Waffe an sich gebracht, aber von dem trauernden Koloss ging gerade keine Gefahr mehr aus und so robbte er jetzt seinerseits zu Ben, der zitternd und splitterfasernackt auf dem Boden kauerte und schloss den nun in seine Arme und so fanden sie wenig später Jenni und Bonrath, die von der alten Dame in die richtige Richtung gewiesen worden waren. Jenni reagierte sofort und zog eine Zudecke über Ben, aber der lag nun völlig fertig in Semir´s Armen und während die kalte Nachtluft durchs offene Fenster herein flutete, hörte man schon in der Ferne die Sirenen der Rettungswagen näher kommen.
    Mehrere Streifenwagen hatten inzwischen die Schlägertypen draußen fest genommen, die Chefin kam-sofort von Susanne alarmiert- gerade direkt von zu Hause zum Tatort und geistesgegenwärtig griff sie zum Telefon und rief Sarah an, die den gefühlt schrecklichsten Tag ihres Lebens voller Sorge hinter sich hatte. „Frau Jäger-Sarah-wir haben ihn-er lebt und wird nachher sicher vom Notarzt zurück in die Uniklinik gebracht!“ sprach sie ins Telefon und nun bekam Sarah am anderen Ende, die bei Hildegard auf der Couch gesessen hatte und vergeblich in den Fernseher geglotzt hatte, um sich abzulenken, erst einmal einen Weinkrampf und stammelte: „Ich komme sofort!“ bevor sie nun ihrerseits Hildegard in die Arme schloss und ihr die frohe Kunde berichtete.
    Als die Rettungskräfte eintrafen, bot sich ihnen ein Bild des Grauens mit zwei Toten und einem Verletzten in dem Zimmer, aber dann wurde das Fenster geschlossen, der Wrestler von mehreren stämmigen Polizisten abgeführt und man scheuchte alle außer Semir hinaus, um Ben erstversorgen zu können, der sich wie ein Ertrinkender an seinem besten Freund fest hielt.

    Oh je-Mikael kocht schon wieder sein eigenes Süppchen und lässt Kollegen und Freunde außen vor! Das finde ich absolut blöd von ihm, vor allem weil ja alle anderen die selben Ziele haben wie er-die Hintergründe der Terroraktion eins und zwei heraus zu finden und die Übeltäter zu verhaften!
    Gut dass Semir da ist und der auch mit Antti und allen anderen so gut klar kommt, dann werden Ben und er wohl eine eigene Ermittlergruppe bilden, wenn Mikael sie schon nicht mitspielen lässt!
    Und danke für den Kurzkurs in Finnisch-ich weiss nur sicher, dass ich mir das nicht merken kann!

    Oha das riecht nach Betrug!
    Erstens ist die Stimmung in dem Versicherungsbüro doch nicht so familiär, wie der Chef das hingestellt hat und das holländische Sportgeschäft war sehr wohl unter Vertrag und hat einige nicht so eindeutige Brände gemeldet. Vielleicht war Bachmann doch nicht der Saubermann, als der er dargestellt wird, sondern hatte ordentlich Dreck am Stecken? Ben kann seine Gedanken trotzdem nicht von Carina lassen-die hat ihn eindeutig beeindruckt. Ich fände aber, alleine wenn er sie besucht und den Kontakt hält, könnte er die junge Frau schon unterstützen. Als Pflegender mit Anwesenheitsbereitschaft, was bei Demenzkranken oftmals einfach sein muss, ist man wie vom normalen Leben abgeschnitten-einfach ein bisschen Kontakt und gute Gespräche tun da schon verdammt gut!
    Kevin dagegen wird von Ole ausfindig gemacht, der sich gemeinsamen mit einem Punkerfreund um Annie´s Verbleib kümmert. Ich finde das süß, dass die beiden Jungs sich um Annie kümmern und denke, dass Kevin denen ruhig die Telefonortung machen sollte. Aber ich befürchte, das wird dann leider nicht das Einzige bleiben und das wiederum ist nicht so gut-gerade auch wegen Kevin´s Drogenvergangenheit! Und Ben hat beim Aufzug wieder gekniffen-ja ja, grau ist alle Theorie!

    Susanne hatte atemlos am anderen Ende der Leitung gehört, wie Semir den Warnruf ausgestoßen hatte. Sofort ortete sie detailliert sein Handy und gab den Einsatzbefehl heraus: „An alle Einheiten, Beamter wird angegriffen bitte sofort zu Hilfe kommen!“ und alle Streifenwagen in der Nähe und auch Bonrath und Jenny, die gerade auf dem Weg zur Bleriotstraße waren, schalteten das Blaulicht zu und gingen aufs Gas. Semir allerdings hätte das nicht geholfen, wenn er nicht ein erfahrener Nahkämpfer gewesen wäre und auch immer im Training, so duckte er sich unter der Faust, die auf ihn eindrosch, durch und versuchte zwischen zwei der Muskelmänner durch zu schlüpfen. Damit hatten die allerdings gerechnet und schon packten ihn zwei Hände von hinten und versuchten ihn fest zu halten. Sie packten seine Arme und Semir blieb nun nichts anderes übrig, als sich mit den Beinen abzustoßen und die gegen zwei der Gegner als Waffen zu gebrauchen. Als er mit voller Wucht zu trat, hörte er bei einem seiner Widersacher den Kieferknochen splittern, das Blut schoss dem aus Mund und Nase und er ging zu Boden. Den anderen hatte er anscheinend nur gestreift, aber auch dennoch reichte sein Tritt, mit dem die Typen anscheinend nicht gerechnet hatten, aus, dass auch der einen Moment benommen zu wanken begann. Nun duckte sich Semir blitzschnell nach vorne und hebelte den wesentlich schwereren Mann, der ihn von hinten festhielt, mit einer Körpertäuschung aus und legte ihn mit einem klassischen Schulterwurf zu Boden. Dann zog er blitzschnell seine Waffe, legte die auf die drei Typen an und sagte drohend: „Keine Bewegung, wenn ihr nicht eine Kugel im Knie oder der Schulter haben wollt!“ und die drei sahen ihn hasserfüllt an, spuckten Blut oder hielten sich die Nase, aber keiner rührte sich.

    Semir sah aus den Augenwinkeln wie ein weiterer Mann zum nächsten Hauseingang lief und dort anscheinend nach einem bestimmten Muster auf eine Glocke drückte-da war sicher Ben versteckt und das Signal war als Warnung ausgemacht! Er musste jetzt sofort in den Gebäudekomplex und seinen Freund suchen, aber erstens wusste er nicht, wie viele Typen hier noch nur darauf warteten, ihn zu überwältigen und zweitens, wann endlich die Verstärkung eintraf. Ben schwebte in höchster Gefahr und er war der einzige, der ihn gerade retten konnte.
    Der andere Typ hatte inzwischen seine Warnung erledigt und sich dann wieder umgedreht, um nun langsam auf Semir zuzukommen und seinen Freunden zu Hilfe zu eilen. Semir sah dessen Hand zur Hüfte wandern-verdammt-der war bewaffnet und so blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn mit einem Schuss in die Schulter bewegungsunfähig zu machen. Die bereits gezückte Waffe flog ihm aus der Hand und er ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden. Semir überlegte verzweifelt, was er nun tun konnte, bis die Verstärkung anrückte-sein Bauchgefühl signalisierte ihm höchste Gefahr für Ben-Estelle war jetzt gewarnt und die skrupellose Frau würde sich an seinem Freund rächen, wenn er nichts unternahm! Er war mit zwei Schritten bei dem Typen, den er nieder geschossen hatte und brachte dessen Waffe an sich, als plötzlich aus dem einen Hauseingang die alte Dame von vorhin mit blitzenden Augen trat. „Junger Mann-ich glaube sie können meine Hilfe gebrauchen!“ rief sie und trat näher. Normalerweise würde Semir sicher keine Zivilisten einsetzen, um gefährliche Verbrecher in Schach zu halten, aber hier ging es um Ben und da musste man eben auf manche Regeln pfeifen! Er drückte ihr die Waffe des Angreifers in die Hand-die war schon entsichert und während er dem Unverletzten in Windeseile noch die Arme mit den Handschellen auf den Rücken band, sagte er: „Sie schickt der Himmel-meine Kollegen sind schon unterwegs-halten sie die Typen nur noch ein wenig in Schach und einfach abdrücken, wenn die Theater machen!“ und wie zum Beweis hörte man nun auch schon ein Martinshorn in der Ferne. Die alte Dame in Kittelschürze und Strickjacke hielt die Waffe mit beiden Händen fest und bedrohte damit die Verbrecher. Heute war der aufregendste Tag ihres Lebens und sie wollte den auf keinen Fall missen.
    Semir warf noch einen Blick über die Schulter zurück schnappte sich sein Handy, das immer noch auf dem Boden lag und wo am anderen Ende Susanne atemlos mitgehört hatte. „Susanne-ich habe hier eine tapfere Anwohnerin, die mir hilft Ben zu retten, die weiss, wo ich reingehe, schick mir bitte Verstärkung nach!“ bat er und schoss dann einfach den Nebeneingang auf, an dem der eine der Typen geläutet hatte.

    Als das Schloss barst, stand er in einem kleinen Innenhof und auf beiden Seiten waren Eingänge. Einen Moment überlegte er, welches der Gebäude wohl das Richtige war, aber dann rief er einfach laut: Ben-wo bist du?“ und hörte ihn dann nach einem Antwortruf schmerzerfüllt aufschreien und nun war klar, wo er hin musste. Die nächste Tür hielt seinem Angriff ebenfalls nicht stand und Sekunden später stand er in einer Wohnung und vor sich hatte er nun direkt Estelle, die in Windeseile aus der Badewanne gehüpft war, als das vereinbarte Klingelwarnsignal ertönt war, sich in ihre Alltagsklamotten geschmissen hatte und nun mit der Waffe losgezogen war, um Ben endgültig zu erledigen. Wenn sie ihn nicht haben konnte, dann sollte ihn niemand haben, vor allem nicht die blonde Frau mit den zwei Bälgern.
    Als sie angezogen war, hämmerte sie an die Schlafzimmertür der beiden Wrestler. „Wir müssen schnellstmöglich abhauen und unseren Gast erledige ich höchstpersönlich!“! rief sie und voller Bedauern ließ der eine der beiden, der sich gerade nackt in eindeutiger Absicht seinem ebenfalls unbekleideten Opfer genähert hatte, während der andere ihn festhielt, was Ben den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hatte, von ihm ab und die beiden fuhren fluchend in ihre Kleider. Ben lag zitternd auf dem Bett-er war gerade haarscharf einer Vergewaltigung entgangen und ihm war klar, dass Estelle keine Gnade kannte und ihn jetzt kaltblütig erschießen würde, wenn sie ihn in die Finger bekam. Von draußen ertönten Schüsse und er erkannte Semir´s Stimme, die seinen Namen rief. Er brüllte laut um Hilfe, aber bis er sich umsah, hatte der eine der beiden Wrestler ihm einen Faustschlag verpasst, der ihn die Englein singen hören ließ.

    Estelle wandte sich nun langsam um und da standen sie sich gegenüber-beide zum Äußersten entschlossen! Estelle, die vor Wut und Mordlust schäumte und Semir, der zwar immer noch schwer erkältet, aber voller Adrenalin, losgezogen war, seinen Freund zu retten. Dann ertönte ein Schuss und eine Gestalt sank zu Boden, während draußen die ersten Streifenwagen eintrafen und die Schlägertypen festnahmen.

    Mikael findet mal wieder kein Ende im Büro. Als er nach Hause kommt, ist die Wohnung momentan still, bis Ben sich auf dem Balkon zu ihm gesellt. Ja das ist ein echtes Ärgernis bei arbeitenden Männern, dass die ihren eigenen Job immer im Vordergrund sehen-die beruflichen und privaten Belastungen anderer Menschen sind denen echt nicht wichtig! Gut dass Ben sowas mal aus der anderen Sicht wahr nimmt, vielleicht ändert das ja was in der Zukunft! Auf jeden Fall kann sich Mikael froh und glücklich schätzen, dass er eine Frau wie Eva an seiner Seite hat, die diese Spielchen mitmacht!
    Sogar Ben ist von der archaischen Wundversorgung geschockt und das soll schon was heissen!
    Aber auch wenn Semir dazu gerufen wird-bisher weiss niemand so genau, was es mit dem Attentat so auf sich hat!

    Die alte Dame hatte Semir erzählt, wie sie vergangene Nacht durch ein Läuten an ihrer Wohnungstür erwacht war und dass sie beim anschließenden Blick aus dem Fenster einen nackten Mann in ihrem Hauseingang gesehen hatte, der wenig später von zwei bulligen Typen nieder geschlagen und weggeschleppt worden war. „Wissen sie-hier wird sicher viel gesoffen, aber warum sollte ein Betrunkener bei dieser Kälte nackt durch die Straßen rennen und noch dazu nach der Polizei rufen! Und dann hat es mich noch gestört, dass die beiden anderen Typen ihm erst eine verpasst haben, bevor sie ihn mitgenommen haben. Sowas macht man nicht mit einem Freund!“ erzählte sie empört und als Semir nun Ben´s Bild zückte und sie fragte, ob er der Nackte gewesen sein könnte, wiegte sie mit dem Kopf. „Ich kann es nicht genau sagen, weil ich in der Nacht natürlich das Gesicht nicht so genau gesehen habe, aber es wäre möglich. Es war auf jeden Fall ein schlanker Mann und er war wesentlich kleiner als die beiden anderen Typen!“ hatte sie zu berichten. Leider konnte sie nur sagen in welche Richtung die Männer mit Ben-denn inzwischen war Semir vollkommen überzeugt davon, dass es sein Freund gewesen war-verschwunden waren, aber nicht in welchen Hauseingang sie gegangen waren, oder ob sie ihn in ein Fahrzeug geladen hatten. Da hatte ein Lieferwagen gestanden, berichtete die Frau und daher hatte sie nicht sehen können, wo der Mann hingebracht wurde. „Sie haben uns sehr geholfen-dankeschön!“ sagte nun Semir und griff auch schon nach dem Funkgerät.
    „Cobra11 für Zentrale-ich brauche Verstärkung in die Bleriotstraße, ich habe eine Spur von Ben!“ sagte er in das Funkgerät und die alte Frau stieg nach erneuten Dankesbezeugungen seinerseits nun aus und ging langsam in ihre Wohnung zurück und nahm ihren Beobachtungsposten hinter dem Fenster wieder ein. Hier würde sich vermutlich bald was rühren und ihr langweiliges Leben ein wenig aufpeppen, außerdem war sie zutiefst mit sich zufrieden, dass sie nun ihrer Bürgerpflicht Genüge getan hatte.

    Semir stieg nun erneut aus und ging die Straße in die Richtung hinunter, die die alte Dame ihm gewiesen hatte. Tatsächlich stand da auch ein Behindertenbus mit allen Aufklebern und getönten Scheiben-das wäre ein treffliches Fahrzeug um damit einen Mann im Rollstuhl zu entführen-langsam passte alles zusammen und Semir hatte nun das Jagdfieber gepackt. Nur wo war sein Freund? Hier war ein Gebäude neben dem anderen, alle Eingänge und Hintereingänge waren verschlossen, wie er feststellte, als er von Haus zu Haus ging. Es war unwahrscheinlich dass Ben in seinem Zustand weit gekommen war, also musste sich der-wenn er denn nicht erneut weggebracht worden war- in nächster Nähe befinden, aber wo? Natürlich konnten sie jetzt mit einer Hundertschaft anrücken und systematisch alle Wohnungen im Umkreis durchsuchen, allerdings wären dann Estelle und ihre Helfershelfer gewarnt und diese Frau war unberechenbar. Semir traute ihr durchaus zu, dass sie Ben dann umbrachte, denn wenn sie ihn nicht haben konnte, dann sollte ihn keiner haben-so in etwa schätzte er ihre kranken Gedankengänge ein, denn wer würde sonst versuchen die Familie eines Menschen auszulöschen, in der Hoffnung ihn dann für sich zu gewinnen? So funktionierte das nicht, aber die eiskalte Winkler, die nicht besser war als ihr Mann, hegte da vermutlich andere Gedanken!

    Während Semir sich intensiv auf die Suche machte, hatte der Geschäftsführer des Clubs aus dem Fenster im ersten Stock gesehen und mit kurzen Worten seine Helfer alarmiert. „Da unten schnüffelt der kleine Bulle weiter herum-sorgt dafür, dass er nichts findet, oder zumindest so abgelenkt wird, dass Frau Winkler und ihre Freunde verschwinden können!“ gab er den Auftrag und wenig später schwärmte ein halbes Dutzend muskulöser und skrupelloser Männer aus, um sich um Semir zu kümmern, wovon der allerdings im Augenblick nichts mit bekam, zu angestrengt dachte er darüber nach, wo Ben wohl stecken könnte.

    Der dunkelhaarige Polizist war inzwischen wieder aus seinem Dämmerzustand erwacht. Er war schweissüberströmt und merkte, dass er Fieber hatte, aber aktuell waren die furchtbaren Flankenschmerzen etwas besser. Trotzdem fühlte er sich, als wäre sein Körper eine einzige große Wunde-irgendwie tat ihm fast jedes Körperteil weh, er hatte Hunger und Durst und große Sorgen, was die nächste Nacht bringen würde. „Na ist unser Lustknabe aus seinem Schönheitsschlaf erwacht und will mehr?“ fragte Estelle mit süffisantem Gesichtsausdruck, zog die Decke weg und musterte seinen Körper mit gierigen Blicken. Ben klemmte unwillkürlich die Beine zusammen, die ausnahmsweise nicht gefesselt waren-nur die Hände. Verdammt noch Mal-er befürchtete, die Geschehnisse des letzten Abends, die er nur zu gerne aus seinem Gedächtnis streichen wollte, würden sich wiederholen! Aber es kam noch schlimmer, denn jetzt erhob Estelle ihre Stimme und rief: „Jungs-unser Gast ist erwacht-ich werde jetzt dann ein Bad nehmen und so lange gehört er euch-aber nichts kaputt machen, ich will auch noch meinen Spaß!“ und nun liefen über Ben´s Rücken die Schauer des Entsetzens. Das durfte nicht wahr sein-er würde doch hoffentlich jetzt sofort aus seinem Alptraum erwachen, aber stattdessen kamen nun mit breitem Grinsen die beiden Wrestler um die Ecke gebogen. Juhuu-es war so weit-der Augenblick, auf den sie sich seit dem Vortag freuten war nahe und so lösten sie die Handschellen und nahmen Ben mit in ihr Schlafzimmer und so sehr er auch um sich trat und sich zu wehren versuchte, gegen diese beiden Typen kam er nicht an!

    Semir war derweil sinnend vor einem der Häuser stehen geblieben. Winkler gehörte das Bordell-zumindest das Gebäude. Der Geschäftsführer hatte aufgeregt gewirkt, der wusste also etwas. Wenn die Verstärkung da war, würden sie ihn nochmals befragen, aber aktuell hatte Semir das Bauchgefühl, dass Ben erstens ganz in der Nähe war und zweitens ganz dringend seine Hilfe brauchte, er musste ihn nur noch finden! Die Typen hatten ihn nachts nicht in das Bordell geschleift, also war es unwahrscheinlich, dass er sich darin befand und der Geschäftsführer wusste sicher, dass sie ihm den Laden dicht machen würden, wenn er sich an der Entführung eines Polizisten beteiligte. Es musste also eines der umliegenden Gebäude sein und so griff er nochmals zum Handy und rief in der Zentrale an: „Susanne, auch wenn die Verstärkung schon unterwegs ist-versuche doch bitte heraus zu finden, ob Winkler außer dem Bordell noch weitere Wohnungen hier in der Nähe gehören!“ beauftragte er gerade die Sekretärin, da hörte er plötzlich direkt hinter sich ein verräterisches Geräusch und konnte sich in letzter Sekunde weg ducken. „Verdammt, ich werde angegriffen!“ rief er noch schnell, aber dann flog schon sein Handy davon und plötzlich war Semir von drei finster aussehenden Typen umringt, die ihn, die Hände zu Fäusten geballt, umstellten. „Na-Lust auf eine kleine Trainingseinheit?“ fragte der eine und holte auch schon aus, um Semir k.o. zu schlagen.

    Na ja-Mikael wurde vermutlich nur wegen seiner Pressepräsenz und weil er eben zufällig ? :whistling: am Ort des Geschehens war, überhaupt hinzu gezogen. Aber nichtsdestotrotz darf er jetzt zumindest mit ermitteln und kann so beweisen, was er auf dem Kasten hat!
    Ben landet inzwischen bei Eva in der Küche und wird bekocht, aber schon bald wird Semir kommen und ihm zur Seite stehen, damit es hoffentlich bald eine Aufklärung des Attentats gibt. Ach-ist das übrigens Zufall, dass die Buslinie Schäfer hiess, so wie Andrea´s Mädchenname lautet, oder können wir uns da auch noch auf spezielle Verwicklungen gefasst machen? ;)

    Bei Semir rückt die Normalität wieder näher, auch oder gerade weil er sich jetzt auf die Psychologin einlässt, die einen guten Job macht.
    Kevin und Ben fahren derweil in die Versicherung, um vielleicht vom Chef des Verstorbenen einen Tipp zu bekommen, wer Bachmann umgebracht hat und woher das viele Geld kommt, aber der weiss anscheinend auch nichts Näheres-wobei solche Versicherungsfritzen ja oft sehr geschult in Kommunikation sind und sich schlecht in die Karten sehen lassen, also kann der genauso gut Dreck am Stecken haben und sehr wohl wissen, warum Björn sterben musste! Aber so auf den ersten Blick können die beiden Beamten nichts entdecken, schade allerdings, dass Ben der Konfrontationstherapie ausweicht-wobei ich da vielleicht ein Stufenprogramm vorschlagen würde-erst in die offenstehende Kabine ein- und aussteigen, dann eine Fahrt in einem gläsernen Aufzug nur über ein Stockwerk usw.-bei der Angsttherapie macht man das normalerweise so, ich kenne das von einer Bekannten mit ner Hundephobie, die musste erst mal wochenlang nur Hundebilder und Videos ansehen, bevor man ihr einen echten Hund aus der Entfernung präsentiert hat! Aber Ben wird auch das schaffen-immerhin hat auch er die Unterstützung seiner Freunde und das ist was wert!

    Semir begann mit dem Haus der Winklers. Er hatte den Schlüssel geholt und durchsuchte nochmals das Büro und dann den Rest der Luxushütte nach Hinweisen, wo Ben stecken könnte. Allerdings stach auch ihm nicht auf den ersten Blick etwas ins Auge, was seine Kollegen noch nicht gesehen und nachgeprüft hätten und so ließ er die Atmosphäre des Hauses und die Einrichtung auf sich wirken. Obwohl die sicher vom Innenarchitekten durchgestylt war, konnte man gar nichts Persönliches finden. Nirgends war Kram, irgendwelche Familienfotos, Urlaubsmitbringsel oder private Sachen, wie man sie doch in fast jedem Haushalt fand, dem seine Bewohner eine persönliche Note aufdrückten-nein hier sah es aus wie in einem Werbewohnprospekt-alles war penibel sauber, neuwertig, aber irgendwie anonym. In der Garage standen die Statussymbole, unter anderem auch der gelbe Ferrari nebst einigen wertvollen anderen Fahrzeugen und wie sie ja schon festgestellt hatten, fehlte der Mini Cooper, der auf Estelle persönlich zugelassen war-das war das Fahrzeug in dem er sie nach dem Bombenattentat gesehen hatte. Ach hätte er damals doch Estelle verfolgt und festgenommen, anstatt wie in Trance zum Krankenhausparkplatz zu fahren, wo er ja doch nichts mehr hätte tun können, egal was geschehen war, dann wäre Estelle hinter Gittern und sein Freund läge sicher in seinem Krankenhausbett! Semir musste ihn finden, denn im Rückblick gesehen hatte er einen verhängnisvollen Fehler begangen, der jetzt vielleicht Ben das Leben kosten konnte!

    Langsam wanderte er durch die Räume und konnte im Schlafzimmer angekommen nicht an sich halten, sondern sah in die beiden Nachtkästchen. Oh-da war jetzt doch etwas Persönliches, nämlich ein Sortiment an Sexspielzeug das jedem Bordell zu Ehre gereicht hätte! Dazu auf der Seite Winklers, der ja auch nicht mehr der Jüngste gewesen und sicher von den Bedürfnissen seiner Frau manchmal überfordert gewesen war, eine Menge Viagratabletten und auch kleine Spritzen, die aussahen wie Thrombosespritzen, aber eine andere Aufschrift hatten. Semir steckte eine davon ein-da musste er Hartmut fragen, was es damit für eine Bewandtnis hatte. Dann verschloss er sorgfältig das Haus und machte sich auf den Weg zur nächsten Adresse, Winkler´s Büro, wo die Angestellten der Immobilienfirma ebenfalls den ersten Tag nach dem Weihnachtsurlaub angetreten hatten und ganz entsetzt die Nachricht vom Tod ihres Chefs erhalten hatten. Sie wussten alle nicht wie es für sie weiter gehen würde und saßen geschockt an ihren Schreibtischen. Allerdings hatte die Steuerbehörden den ermittelnden Beamten schon die Zahlen der Firma übermittelt-das Immobiliengeschäft hatte vermutlich nur als Deckmantel gedient und wie Semir bei der Befragung der Mitarbeiter herausfinden konnte, liefen die Geschäfte schleppend, sie hatten aber immer ihre Gehälter bekommen und Winkler persönlich war nur äußerst selten anwesend gewesen.
    Semir vermutete, dass diese Menschen tatsächlich keine Ahnung vom Hauptgeschäft Winkler´s hatten, dem Schleusen von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten gegen Bezahlung, deren Unterbringung hier im Raum Köln, die Vermittlung illegaler Arbeitskräfte, gerade auch im horizontalen Gewerbe, der Veranstaltung von Wrestlingshows und noch so einiger andere Dinge, die man nicht so gerne auf der Visitenkarte stehen hatte. Die ganzen Hinweise darauf, auch die maroden Häuser die Winkler gehörten und in denen er gegen horrende Mieten die Flüchtlinge unterbrachte, die Beteiligungen an Stripclubs und Bordellen hatten die Kollegen in dem Büro im Haus gefunden-teils im doppelten Boden des Schreibtischs und dann auch bei den Unterlagen im Safe. Es liefen parallel Razzien, die Ausländerbehörde ermittelte, viele Menschen, die in Deutschland nicht registriert waren, die auch keinen Asylantrag gestellt hatten, sondern sich illegal hier aufhielten und auch arbeiteten-eingeschleust und vermittelt von Winkler, waren bereits festgenommen und würden in Kürze abgeschoben werden. Semir packte eine große Wut-diese Menschen, die vor dem Krieg in der Heimat geflohen waren, wie ja auch der Patriarch und seine Familie, waren dort von Terror und Ausbeutung bedroht und jetzt ging es hier in Deutschland, in dem für sie gelobten Land, genauso weiter wie in der Heimat und die meisten hatten ihre letzten Ersparnisse für die Flucht geopfert und standen jetzt vor dem Nichts mit keinerlei Besitz, außer dem, was sie am Leibe trugen. Diese Menschen waren ausgenutzt und betrogen worden, aber jetzt ging es ihnen eigentlich noch schlechter, denn sie würden gehen müssen in eine ungewisse Zukunft und der einzige der von diesem Leid profitiert hatte, war Winkler mit seinen Helfershelfern gewesen, die ein strenges Regiment geführt hatten, das auch vor Mord zur Abschreckung nicht zurück schreckte, wie die Videoaufnahmen bewiesen!

    Allerdings halfen diese Überlegungen leider in keinster Weise Ben zu finden, aber trotzdem machte Semir-auch weil er nicht wusste was er sonst tun sollte-einfach mit den polizeilichen Ermittlungen weiter und klapperte eine Adresse nach der anderen ab. Er ging in die Häuser, die Bordelle, die Wrestling-Trainingshallen, er befragte Mitarbeiter, Nutten-soweit die untertags schon im Dienst waren-Putzfrauen und Passanten. Er zeigte Ben´s Foto her, aber niemand hatte seinen Freund gesehen. Semir war ehrlich zu den Leuten-er teilte ihnen mit, soweit sie das noch nicht wussten, dass ihr Boss tot war und niemand sagen konnte, wie es weitergehen würde. Aber er versprach ihnen einen Bonus falls sie Hinweise auf Ben´s Aufenthaltsort geben konnten, aber niemand konnte ihm weiter helfen.
    Semir kaufte sich untertags in einer Apotheke extra ein Grippemittel und warf das gleich ein, damit er die Symptome nicht bemerkte, er trank Unmengen Kaffee und Tee an verschiedenen Imbissständen, um seine Halsschmerzen zu übertünchen und ihm war klar, dass er eigentlich ins Bett gehörte, aber er konnte jetzt nicht irgendwo rumliegen, während sein Freund vielleicht gerade von Estelle und ihren Helfershelfern gefoltert oder getötet wurde. Was wollte Estelle wohl von ihm? Das hatte er sich schon die ganze Zeit gefragt und der einzige Schluss, nachdem es nicht um Geld ging, war, dass sie seinen Körper wollte. Sie hatte mit ihm zu flirten versucht, aber Ben hatte sie im Urlaub abblitzen lassen, wie er sehr wohl bemerkt hatte. Estelle würde gemerkt haben, dass er sich ihr nicht freiwillig anschließen würde und hatte deshalb versucht seine Familie auszulöschen. Wenn sie danach dachte, dass Ben sich ihr freundlich zuwenden würde, dann war sie schief gewickelt und so hatte sie ihn vermutlich entführen lassen, um ihn zu besitzen. Aber dann musste er irgendwo gefangen gehalten werden-nur wo?

    Der Abend war schon herein gebrochen. Semir war mutlos und erschöpft und Andrea hatte schon mehrmals angerufen und ihn zu überreden versucht nach Hause zu kommen und sich ins Bett zu legen, aber diese eine Adresse würde er jetzt noch abklappern, bevor er Feierabend machte! Semir betrat das Bordell. Einige Damen näherten sich ihm mit aufreizenden Posen, aber als er seinen Polizeiausweis zückte, zogen sie sich schnell zurück. Allerdings sahen sich alle das Bild an, um kurz darauf den Kopf zu schütteln-nein diesen Mann hatten sie noch nie hier gesehen! Semir ließ sich zum Geschäftsführer bringen und zeigte auch dem das Bild. „Verdammt noch mal-wenn hier jetzt ständig die Polizei herum schnüffelt bleiben mir die Kunden weg-ihre Kollegen waren schließlich gestern auch schon da und haben sich umgesehen und die ganzen Leute durcheinander gebracht und nein diesen Typen kenne ich nicht!“ sagte er betont arrogant und irgendetwas ließ in Semir eine Alarmglocke läuten. Er konnte nicht sagen, was genau es war, aber das war eben sein berühmtes Bauchgefühl, das sich hier zu Wort meldete. Dieser Mann hatte etwas zu verbergen-fragte sich bloß was und ob das etwas mit Ben zu tun hatte! Allerdings konnte Semir alleine hier nichts ausrichten-es wimmelte nur so von kräftigen durchtrainierten Männern, die hinterm Tresen und in den Nebenräumen nach dem Rechten sahen. Entweder musste er jetzt die Kavallerie verständigen und sie mussten eine Razzia mit allem was dazu gehörte machen, oder er musste versuchen heimlich heraus zu finden, was dieser Typ so dringend verstecken wollte!
    Er verabschiedete sich deshalb pro forma und ging zu seinem Wagen, den er vor einem herunter gekommenen Mietshaus schräg gegenüber geparkt hatte. Er würde eine Querstraße weiter fahren und dann wiederkommen, nahm er sich fest vor, als plötzlich eine etwa siebzigjährige Frau in einer billigen Strickjacke über einer Kittelschürze vor ihm stand und unsicher fragte: „Sind sie von der Polizei?“ und Semir bejahte. „Ich habe heute Nacht eine merkwürdige Beobachtung gemacht und sehe es jetzt als Wink des Schicksals, dass sie gerade vor meiner Haustür geparkt haben. Den ganzen Tag überlege ich schon, ob das etwas zu bedeuten hat, aber wenn ich es ihnen jetzt erzählt habe, ist mein Gewissen beruhigt und ich kann wieder schlafen!“ sagte sie entschlossen und Semir bat sie auf den Beifahrersitz seines Fahrzeugs, denn es war immer noch bitter kalt und nun begann die alte Frau zu erzählen und Semir durchfuhr es wie einen elektrischen Stromstoß!

    Ben hatte den ganzen Tag in den Klauen des Beruhigungsmittels im Halbdämmer verbracht. Das Schlimme daran war, dass er sich zwar nicht wehren konnte und auch keinerlei Zeitgefühl hatte, er hatte auch keine Bedürfnisse, keinen Hunger und auch keinen Durst, aber der Schmerz war trotzdem da und tobte in Wellen in unverminderter Stärke in seinem Inneren. Die beiden Wrestler hatten, nachdem Estelle ausgeschlafen und Kaffee getrunken hatte, sogar versucht, ihm etwas zu essen und zu trinken einzuflößen, aber er hatte es wieder ausgespuckt-ihm war kotzübel und Hunger war sozusagen das Letzte was er verspürte. Estelle musterte ihn kritisch. Verdammt-der würde doch nicht schlapp machen? Sie hatte die vergangene Nacht sehr genossen und zwischen ihren Beinen kribbelte es schon nach der Wiederholung. Sie musste jetzt auch noch einen Entschluss fassen, was sie mit ihren Helfershelfern machen sollte, denn der Abend rückte näher. Einerseits hatte sie eigentlich nicht vor gehabt Ben zu teilen, andererseits waren das treue Helfer, die sich vielleicht auch ein paar nette Stunden verdient hatten. Wenn sie daran dachte mit wie vielen Männern und Frauen sie in ihrer Zeit im Bordell intim gewesen war, dann würde es vermutlich auch bei Ben nicht auf den einen oder anderen ankommen. Vielleicht sollte sie ihn doch ein paar Stunden abtreten, wenn er dann zu ihr zurück kam, würde er froh sein, wenn er nur ihr zu Diensten sein musste-ja genau so würde sie es machen. Allerdings sah der Gute gerade ziemlich unfit aus, aber eigentlich war ihr das egal-gut aussehen tat er trotzdem und sein perfekter Körper erregte sie und sie wollte ihn ja nicht lieben oder heiraten, sondern besitzen und quälen und so erhob sie sich, um den beiden Wrestlern die frohe Kunde mit zu teilen-sie konnten Ben haben-sie würde derweil ein Bad nehmen und sich der Schönheitspflege widmen und später-ja später war dann sie wieder dran und sie freute sich bereits wieder tierisch darauf!

    Das sind echte Freunde! Und das Gesicht der Psychologin hätte ich zu gerne gesehen, als da einer nach dem anderen in die Therapiesitzung spaziert, aber Semir speziell hilft es, dass Ben und Kevin mit gutem Beispiel voran gehen-jemand andere hätte sich auf sowas gar nicht eingelassen, das ist auch von der Psychologin toll, dass sie darauf eingeht und fühlt, dass es für diesen Patienten genau das Richtige ist was hier geschieht!
    Jetzt hoffen wir mal, dass es allen mit ihren Problemen hinterher ein wenig besser geht und sie als Team gemeinsam weiter an der Lösung oder zumindest Verarbeitung ihrer speziellen Probleme arbeiten. Oh je-und Kevin und Annie-es ist noch nicht zu Ende! ;(

    Mikael ist wieder voll im Dienst-allerdings ist er ziemlich verletzt, spielt das aber runter. Auch die Presse weiss aktuell noch nichts Neues.
    Ben wurde inzwischen untersucht und ins Präsidium gebracht, aber im Gegensatz zu Mikael mit seinem fotografischen Gedächtnis weiss er über die Umstände des Attentats herzlich wenig. Schon merkwürdig, dass es gerade einen deutschen Reisebus erwischt hat, das gibt sicher noch Verwicklungen!
    Ben willigt ein sich zu Mikael nach Hause zu begeben, um seine Gehirnerschütterung aus zu kurieren, während sein Freund sich nicht einmal die Zeit nimmt, eine stark blutende Wunde in der Klinik versorgen zu lassen.
    Dass der Gerichtsmediziner das nähen kann, bezweifle ich nicht, aber was mir zu denken gibt-hat der wohl ein Lokalanästhetikum in der Pathologie? Leichen brauchen sowas üblicherweise ja nicht mehr! :|

    Ben wurde von Estelle missbraucht, wie er es sich in seinen kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen wollen und als er endlich von ihr in Ruhe gelassen wurde, schloss er immer noch fest gebunden, voller Ganzkörperschmerzen und Ekel seine Augen und versuchte ein wenig zu schlafen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Estelle hatte die Heizung herunter gedreht und eine große Zudecke über sie beide gebreitet, schmiegte sich an ihn und tat so als hätten sie einvernehmlichen Sex gehabt, was aber beileibe nicht stimmte. Ben war immer noch schlecht und irgendwann begann er erst zu frieren und dann zu schwitzen-anscheinend hatte er sich bei seinem leicht bekleideten Ausflug nun auch noch erkältet. In den frühen Morgenstunden war er anscheinend doch noch ein wenig eingedämmert, aber der fahle Morgen begann schon das Zimmer in ein unwirkliches Licht zu tauchen und Estelle atmete gleichmäßig neben ihm, da durchfuhr Ben plötzlich ein unbändiger Schmerz in der Flanke, der zu massiver Übelkeit führte. Er stöhnte auf und Estelle erwachte. „Was ist jetzt schon wieder?“ fragte sie ungnädig, denn sie war es normalerweise gewöhnt lange zu schlafen und zuhause hatten sie eine Haushälterin gehabt, die jeden Morgen gekommen war, zuerst ihrem Mann das Frühstück gerichtet hatte und ihr dann im Laufe des Vormittags eine Tasse schwarzen starken Kaffee und eine halbe Grapefruit ans Bett serviert hatte fürs erste wach werden, bevor sie unter die Dusche und in den Fitnessraum zum Morgensport gegangen war. Diesen Luxus hatte sie hier nicht, aber deswegen musste sie ihr neuer Partner nicht vor Tau und Tag aus den süßesten Träumen reißen, denn im Schlaf hatte sie wieder und wieder die letzten Stunden erlebt und gewusst-er war es, der Mann ihres Lebens! Aber dennoch musste er wohl erst noch erzogen werde, wie eine Dame zu behandeln war und die erste Lektion war, sie ausschlafen zu lassen.

    Ben allerdings konnte sich auf solche Dinge jetzt nicht konzentrieren, denn gerade schlug wieder eine Welle des Schmerzes und der Übelkeit über ihm zusammen. Er versuchte seine Beine an den Leib zu ziehen, um die furchtbaren Schmerzen erträglicher zu machen, aber durch die Fußfesseln war das nicht möglich und so erfüllte sein verzweifeltes Stöhnen den Raum, dass sogar die beiden Wrestler im Nebenzimmer erwachten. In der ersten Minute hatten sie gedacht, dass es bei Estelle und ihrem Gefangenen schon wieder zur Sache ging, aber dann hörten sie den gepeinigten Unterton in der Stimme des Mannes und Sorge erfüllte sie. Was wäre, wenn der heute Abend nicht fit war-sie wollten ihn ebenfalls haben und hatten sich schon unbändig auf die Stunden mit ihm gefreut! Deshalb standen sie auf, klopften an die Schlafzimmertür ihrer Chefin und die stieg murrend aus dem Bett, warf den Satinbademantel über ihre Blöße und öffnete die Tür. „Was hat er denn?“ fragte der eine der beiden Muskelpakete ratlos, aber Estelle zuckte mit den Schultern, sie hatte doch auch keine Ahnung. Weil die beiden Männer ihn jetzt bewachten, löste sie dann doch die Fußfesseln und Ben zog jetzt beide Beine eng an den Leib in dem die Schmerzen in Wellen tobten und ihn an nichts anderes denken ließen. „Hey was hast du-was soll das Gejammere?“ fuhr ihn der eine der beiden Typen an, aber Ben konnte nicht antworten, er wusste doch selber nicht was ihm fehlte, er konnte nur sagen, dass sein ganzes Sein nur mit Pein und Schmerz ausgefüllt war und er keine Ahnung hatte, wo da die Ursache war.

    Ach wäre jetzt nur seine Sarah bei ihm, die hätte vermutlich noch vor jedem Arzt die Diagnose gestellt und dafür gesorgt, dass er ordnungsgemäß behandelt wurde, aber diesen drei Typen fiel jetzt momentan nichts anderes ein, als ihn ganz los zu machen und erst einmal auf die Toilette zu zerren. Wie ein Häufchen Elend saß er da, diesmal ließen sie ihn aber nicht aus den Augen, wobei das absolut nicht notwendig gewesen wäre, denn in seinem Zustand hatte er keinen Gedanken an Flucht, sondern er verging nur vor Schmerz und er war käsebleich und der Schweiß rann in Strömen von seinem Körper. Irgendwie schaffte er es trotzdem sich zu entleeren und als ihn die beiden Wrestler dann wieder ins Bett zerrten, zog der eine zuvor ab und sah ein wenig Blut in der Schüssel-verdammt, was hatte Estelle denn dem armen Kerl wohl angetan? Aber so genau wollte er das gar nicht wissen, dass die wie ihr Mann über Leichen ging, wussten sie selber, aber auch er und sein Freund hatten schon viele Menschen, meist Flüchtlinge zu Abschreckungszwecken in den Rhein geworfen, nachdem Winkler sie vor allen Augen gefoltert hatte und sogar Videodokumente ihrer Grausamkeiten anfertigen hatte lassen, um eventuelle Verräter zu warnen! Manchmal war es in dieser Branche besser den Mund zu halten und zu tun, was die Geldgeber verlangten und eindeutig war Estelle hier diejenige, die das Ruder in der Hand hatte!

    Die hatte kurz nachgedacht und dann eine Schmerztablette aus ihrer Handtasche gekramt. Anscheinend hatte Ben wirklich starke Schmerzen und so flößte sie die ihm mit ein wenig Wasser ein, aber er erbrach sie sofort wieder. Voller Ekel hieß Estelle die beiden Wrestler ihn sauber zu machen und das Bett frisch zu überziehen. Verdammt noch mal-sie wollte jetzt noch ein paar Stündchen schlafen-er brauchte nicht meinen, dass sie wegen seinem Rumgetue auf ihren Schönheitsschlaf verzichten würde! Also zog sie wieder eine passende Menge des Schlafmittels, das man gestern zu seiner Entführung benutzt hatte auf und injizierte es in den immer noch liegenden Zugang. Ben fielen nun tatsächlich die Augen zu, wobei er durchaus noch Schmerzen hatte, aber jetzt verschwamm seine ganze Welt wieder in einem lila Nebel und langsam verstummte sein Stöhnen und er fiel in einen Zustand, der weit ab jeder Realität war. Estelle fesselte trotzdem seine Hände, kroch wieder neben ihn und schickte ihre Helfer aus dem Zimmer. „Ich brauche meinen Schönheitsschlaf-wir hatten eine anstrengende Nacht!“ bedeutete sie den beiden und die standen zwar jetzt endgültig auf, kochten Kaffee und frühstückten, aber ansonsten verhielten sie sich ruhig-eines war klar, sie mussten jetzt in der Wohnung bleiben, damit die Polizei sie nicht entdeckte und außerdem wuchs von Stunde zu Stunde die Vorfreude auf die kommende Nacht, wenn dann endlich sie beide Ben´s perfekten Körper besitzen würden!

    Sarah hatte kaum geschlafen und am Morgen reichte die Milch für Mia-Sophie nicht, so dass Hildegard ihr im Anschluss noch ein Fläschchen gab. Tim hatte verwundert die verweinten Augen seiner Mama gemustert und sich dann an sie gekuschelt-seine kleine Welt war ebenfalls in Unordnung, wenn die Mama so traurig war und sogar die beiden Hunde merkten die gedrückte Stimmung und schlichen mit hängenden Schwänzen durch Hildegards Haus, die sich nach Kräften bemühte, einen Anschein von Normalität zu verbreiten. Allerdings hatte auch sie kaum geschlafen und Sarah im Gästezimmer stundenlang weinen hören. Hoffentlich würde Ben bald gefunden werden, sonst ging seine Frau noch daran kaputt!

    Semir hatte zwar völlig erschöpft ein klein wenig geschlafen-die Grippe in seinen Gliedern raubte ihm die Kraft, aber kaum läutete am Morgen der Wecker, stand er gemeinsam mit Andrea auf, duschte, zog sich an und warf erst einmal ein paar Grippetabletten ein, bevor er einen starken Kaffee trank und sich zwang einen Toast hinunter zu würgen-der war wenigstens weich und kratzte nicht in seinem wunden Hals. Er hatte einfach keine Zeit zum krank sein, er musste Ben finden, zuvor würde er nicht zur Ruhe kommen. Als er wenig später in der PASt ankam, war auch die Chefin schon da. „Gibt es Neuigkeiten?“ fragte er hoffnungsvoll, aber die schüttelte den Kopf, sie hatten nach wie vor keinen blassen Schimmer, wo sie nach Ben suchen sollten. „Ich nehme mir nochmals die Liegenschaften Winklers vor-irgendwo müssen die sich ja versteckt haben!“ beschloss Semir und während draußen der erste Schultag nach den Weihnachtsferien begann und der Kölner Verkehr nach ein wenig Feiertagsruhe wie gewohnt brandete, suchte Susanne ihm die verschiedenen Adressen heraus und wenig später machte Semir sich auf, um sich draußen umzusehen-jetzt hätte ihn nichts mehr an seinem Schreibtisch gehalten!