Beiträge von susan

    Kevin´s erster Weg führt zu seinem Dealer, der ihm auch helfen kann. Ja auch ich staune, wie viel Geld Kevin da zurück gelegt hat-denn die 50 000 werden nicht die letzten Kröten sein, die er besitzt. Ich hätte jetzt erwartet, dass er in Südamerika für 50 000 Annie handlich verpackt, wenn auch vielleicht Gift und Galle spuckend, am Flughafen in Empfang nehmen kann, aber so einfach wirds wohl doch nicht sein!
    Wenigstens einen kurzen Gedanken an Jenny hat er, aber vermutlich wird er in Kürze im Flieger nach Bogotá sitzen! ;(

    „Um Himmels Willen, Ben!“ rief Semir und wollte sofort zu seinem Freund eilen, der sichtlich am Ende seiner Kräfte und völlig mit den Nerven runter im Bett lag, aber auch von ihm wandte sich Ben ab. „Das ist alles nur passiert, weil du deinen Mund nicht halten konntest!“ klagte er und Semir wurde in derselben Sekunde von riesigen Schuldgefühlen heim gesucht. Verdammt-wenn er nur nichts zu dem Pfleger gesagt hätte, aber er konnte es immer noch nicht glauben, dass er überhaupt nichts von dieser Aktion mitbekommen hatte, oder diese verhindern konnte! Aber leider war es so und als nun der Pfleger wieder zur Tür herein kam, versteifte Ben sich noch mehr und Semir eilte kurz zu seinem Schrank, wo er die frische Wäsche eingeräumt hatte und holte sich ein Schlafshirt und eine weiche Schlafanzughose heraus, die er dann schnell im Bad anzog. Nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet zu sein, war nicht so passend und er musste jetzt dringend versuchen, wieder einen Zugang zu seinem Partner zu finden, der sich anscheinend von der ganzen Welt verraten fühlte.

    Auch der junge Pfleger, dem die Schuldgefühle regelrecht aus allen Poren sprachen, trat nun an das Bett seines Patienten und legte ein paar Sachen auf dem Nachtkästchen ab. „Herr Jäger-es tut mir leid, wie das Ganze abgelaufen ist!“ entschuldigte er sich. „Ich wollte doch nur ihr Bestes und habe dem diensthabenden Arzt gesagt, dass sie nichts essen können. Ich dachte er ordnet vielleicht andere Infusionen oder etwas in der Art an, aber der hat auf der Magensonde bestanden. Ich denke aus medizinischer Sicht ist das auch in Ordnung, denn so kann man ihnen jetzt Nahrung zukommen lassen, die sie absolut dringend brauchen, denn ihr Blutzuckerspiegel ist ziemlich niedrig und sie werden auch nicht auf die Beine kommen, wenn sie ihrem Körper keine Kalorien geben, aber die Art und Weise, wie das gemacht wurde, war schlimm und entwürdigend für sie. Ich wollte ihnen so gerne erklären was wir tun, oder eigentlich wäre das ja die Aufgabe des Arztes gewesen, aber der hat mich auch so eingeschüchtert, dass ich mich nicht getraut habe und jetzt tut es mir leid!“ versuchte er in Worte zu fassen, was ihn beschäftigte. Er kannte zwar nicht die genaue Vorgeschichte des Patienten, aber dass dem erst wenige Tage zuvor bereits Gewalt angetan wurde, genügte schon, um dieses Vorgehen noch viel unakzeptabler zu machen, als es sowieso schon war. Auch wenn das Legen einer Magensonde in einem Krankenhaus Routine war und der Arzt das technisch auch gut gemacht hatte-die Aufklärung des Patienten und die Menschlichkeit hatten gefehlt und dass Herr Jäger an dieser Sache schwer zu knabbern hatte, konnte man ihm ansehen.
    Oh verdammt-was hatte er da nur angestoßen-allerdings war es Tatsache, sein Patient brauchte dringend Nahrung und die Geschwüre würden auch besser abheilen, wenn der Magen kontinuierlich mit ein wenig Sondenkost gefüllt war. Er würde jetzt erst ein wenig Wasser mit der Spritze eingeben und wenn Ben dann nicht husten musste, weil die Sondenlage inkorrekt war, würde man kontinuierlich mit der Sondenpumpe Nahrung in ihn hineinlaufen lassen und die Förderrate allmählich steigern, solange ihm nicht übel wurde.

    Erst montierte nun der junge Mann die Sondenpumpe an den Infusionsständer, der sowieso neben dem Bett stand und an dem die Infusionsflasche hing, dann verband er die Plastikflasche mit der bräunlichen Sondenkost mit dem System und entlüftete das. Bei dieser Tätigkeit war er seinem Patienten noch nicht nahe gekommen, aber als er jetzt die Magensondenspritze mit Wasser aus einem mitgebrachten Becher füllte und sich unter vielen Erklärungen seinem Patienten näherte, begann der ihn anzuschauen wie die Maus die Schlange, sein Atem beschleunigte sich, der Körper verkrampfte sich und Ben zog sich sozusagen als letzten Akt einfach die Decke über den Kopf und ließ niemanden mehr an sich heran. Als der Pfleger nun begütigend an seine Schulter unter der Decke fasste, schnellte Ben´s gesunde Hand heraus und schlug heftig nach ihm und nur mit einer raschen Ausweichbewegung vermied der Pfleger eine Verletzung. Bei dieser Gelegenheit riss Ben erneut gleich mal den Zugang heraus, jetzt fehlte auch die Möglichkeit, ihn einfach aus der Entfernung zu sedieren und nun war guter Rat teuer!

    „Herr Jäger, ich will ihnen doch nichts Schlimmes!“ versuchte der Pfleger mäßigend auf ihn einzuwirken und war Ben auch nicht wirklich böse. Dieser Mann da vor ihm war psychisch dermaßen an der Kante, der war für die ganzen Taten, die er jetzt machte, eigentlich nicht verantwortlich.
    Nun mischte Semir sich ein. „Vielleicht können diese ganzen Dinge“ und damit wies er auf die Sondennahrung und die ganzen Sachen „noch ein bisschen warten und sie lassen uns einfach alleine. Ich denke mein Freund braucht ein wenig Zeit, um sich mit der Situation zu arrangieren!“ sagte er und der Pfleger nickte mit dem Kopf und ging Richtung Zimmertür. Er würde seinem Patienten Zeit geben und seinen Kolleginnen auch nichts davon erzählen, dass Herr Jäger gerade nach ihm gehauen hatte-ansonsten würden die ihm raten, nochmals den Arzt und den Sicherheitsdienst zu rufen. Herr Jäger würde von starken Männern festgehalten und fixiert werden, der Arzt würde ihm gewaltsam einen neuen Zugang legen und dann würde er so sediert werden, dass er nur noch vor sich hindämmerte. Man würde ihm einen Katheter legen und eine Windel anziehen, ein Fax an das Vormundschaftsgericht senden, dem aber wegen Fremdgefährung fast sicher eine Fixierungsanordnung folgen würde und wie sich das auf die Psyche eines missbrauchten Patienten auswirken würde, konnte man sich denken-der Weg in die Psychiatrie war sozusagen vorprogrammiert.

    Nein-ihm war nichts passiert und er schätzte Herrn Jäger auch nicht allgemeingefährlich ein, der stand gerade nur völlig außer sich und brauchte Hilfe und keine Gewaltmaßnahmen, allerdings musste die Situation geklärt sein bis der Nachtdienst kam, denn da war eine einzelne Frau alleine auf der Station und die konnte man nicht mit einem aggressiven Patienten zurück lassen. Allerdings war der Freund seines Patienten ja auch Polizist-sie würden das um Himmels Willen doch so hinbekommen, dass der ihn beaufsichtigen konnte, damit sich weder Herr Jäger selber Leid zufügte, noch jemand anderem etwas antat! So bat er Semir mit einer kurzen Handbewegung vor die Tür und erklärte ihm die ganzen Gedanken, die ihm gerade durch den Kopf gegangen waren. Semir wurde blass, um Himmels Willen-das Ganze durfte auf gar keinen Fall geschehen, denn sonst würde Ben sich bei der nächsten sich bietenden Möglichkeit umbringen-noch eine weitere „Vergewaltigung“ würde er nicht überstehen können. „Wie viel Zeit hab ich?“ fragte er den jungen Pfleger, der ihm sehr sympathisch war und fügte auch gleich hinzu: „Normalerweise ist mein Freund nicht so, aber der hat in den letzten Tagen und Wochen verdammt viel mitgemacht!“ und sein Gegenüber nickte. „Wenn er sich beruhigt hat, muss niemand etwas davon erfahren, dass er nach mir geschlagen hat, allerdings muss er bis in zwei Stunden, da kommt die Ablösung, ruhig sein und keine Gefahr für andere darstellen. Außerdem braucht er wieder einen Zugang, denn sein Antibiotikum und das Pantozol müssen wir ihm ja irgendwie verabreichen, also muss er den Arzt noch kurz an sich ranlassen. Auch täte es ihm sicher gut, wenn wir endlich mit der Ernährung beginnen könnten, damit seine Geschwüre abheilen und auch sein Blutzuckerspiegel sich normalisiert. Eigentlich müsste er Heißhunger haben-und da bin ich auch immer schlecht gelaunt, wenn ich hungrig bin!“ fügte der nette junge Mann noch hinzu und jetzt nickte Semir. Ja das war normalerweise auch Ben´s Problem, der war auch völlig unleidig wenn er Hunger hatte und gerade deshalb verwunderte es ihn so, dass sich sein Freund dermaßen vehement weigerte zu essen.

    „Ich gehe jetzt wieder rein und versuche mein Möglichstes!“ machte er mit dem Pfleger aus. Wenn ich etwas erreicht habe, läute ich und ich hoffe nur, dass wir ihm jegliche weitere Zwangsmaßnahme ersparen können!“ sagte er und der Pfleger nickte und entfernte sich dann, um seiner anderen Arbeit nach zu gehen. Semir atmete tief durch und ging wieder ins Zimmer, wo Ben sich immer noch wie eine Mumie unter der Decke verbarg. Er zog sich einen Stuhl neben das Bett und nachdem auf seine ersten Worte: „Ben , ich bin jetzt bei dir, passe auf dich auf und weiche nicht mehr von deiner Seite!“ keine Reaktion kam, begann er einfach ruhig zu sprechen und sagte seinem Freund, was ihm gerade durch den Kopf ging und langsam senkte sich die Decke und ein paar verheulte Augen sahen darunter hervor.

    Mann bin ich jetzt erleichtert! Veikko hat den Aufenthaltsort von Mikael und Ben heraus gefunden und sie konnten in letzter Sekunde gerettet werden-na zumindest Mikael!. Sehr schön beschrieben, wie sin Freund Antii um ihn bangt und mit ihm in die Klinik fäher, aber der beste Moment für mikael ist sicher, als er erst erfährt dass Eva lebt und dann auch seine geliebte Frau in die Arme schließen kann.
    Bei Ben sieht es derweil nicht so toll aus, wenn man ihn gleich mit dem Hubbi abtransportieren muss! Jetzt hoffe ich mit Semir und all den anderen, dass er die Notoperation überlebt und gerettet wird! Sehr gut beschrieben auch Semir´s Sorge und wie er seine blutigen Hände abwäscht!
    Allerdings habe ich auch Angst, weil Hugo und sein Komplize schon mal wieder entkommen konnten, es ist also noch nicht vorbei!

    Ja auch das ist eine Zwischenwelt, die in unserer Gesellschaft oft tot geschwiegen wird. Weil Pflegeheime so extrem teuer sind, dass sich das niemand leisten kann und dann eben Haus und Hof weg sind, wenn ein pflegebedürftiger Angehöriger da rein muss, opfern sich viele Angehörige, meist Frauen, komplett auf, um die Dementen und Alten zu versorgen. Und Hermine ist leider herztechnisch so gesund, dass das noch viele Jahre so weitergehen kann.Carina tut mir sehr leid, aber ich finde das von Ben einfach wunderbar, ihr in dieser Situation zu helfen-der muss ihr wie ein Engel vorkommen! Und seien wir mal ehrlich-Ben hat es auch nicht geschadet-aber da rede ich mich als professionelle Pflegekraft, die sowas täglich macht und der auch beim Geruch von Exkrementen, Blut und Kotze seit vielen Jahren nicht mehr schlecht wird leicht.
    Und super Campino, sowas auch mal in ner Fanfiktion anzusprechen-Rechtsextremismus, Flüchtlingsproblematik sind ja schon toll, aber das betrifft irgendwann doch die meisten von uns und du bist ja doch noch ziemlich jung, desto besser finde ich das!

    Diese Spitzen gegen mich hättest du dir sparen können, Elli-sag mal, muss das denn immer sein? Jeder darf das schreiben, lesen und feeden was er will-du, aber eben auch ich und die anderen, die Geschichten mit anderen Protagonisten veröffentlichen als den aktuellen Kommissaren! Das mag jetzt zwar als Abschlussfeed nicht so geeignet erscheinen, aber ich lese wie viele andere eben auch, manchmal die Feeds, aber nicht die Geschichten, die nicht so auf meiner Linie sind.
    Ich hoffe du hast weiterhin genauso viel Spaß am Schreiben wie ich, aber den Stil und die handelnden Personen bestimmt jeder selbst und ich finde das durchaus gut, dass es sowohl kurze als auch lange Storys gibt-und Ben ist bei einer gewissen Anzahl der Autoren und Leser eben noch nicht vergessen!
    Trotzdem wünsche ich dir ebenfalls einen Guten Rutsch und ein Gutes Neues Jahr mit vielen kreativen Ideen und ich bin ebenfalls auf die Person Paul Renner und die Geschichten mit und um ihn gespannt, auch wenn ich vermutlich keine schreiben werde!

    Wenig später kam Andrea mit Ayda und Lilly. Sie begrüßten erst den Papa, aber dann rannten sie sofort alle beide an Ben´s Bett und überreichten ihm lachend selbst gemalte Bilder. Einerseits freute sich der junge Polizist, aber andererseits durchfuhr es ihn wieder wie Messerstiche-er vermisste seine eigene Familie, wie mochte es Sarah, Tim und Mia-Sophie nur gehen? Stimmte es, dass sie wirklich nur leicht erkältet waren? Dann hätte aber sicher Hildegard auf sie mal ein Stündchen aufpassen können. Wenn die Straßenverhältnisse so schlimm waren, wie Semir behauptet hatte, warum war es dann Andrea und dem Psychologen gelungen, zu ihm zu kommen? Auch bei ihnen draußen gab es einen Winterdienst, es hatte schon eine Weile zu schneien aufgehört, so langsam müsste die Lage wieder im Griff sein! Was verheimlichte ihm Semir? War vielleicht sogar etwas Schlimmes mit Sarah und man wollte es ihm nicht sagen, um ihn nicht zu belasten?
    Also lächelte er zwar erst die Mädchen an, aber dann schloss er erschöpft die Augen und hing seinen Gedanken nach, so dass Andrea ihre Kinder zu sich rief, damit sie ihn nicht störten und besorgt ihren jungen Freund betrachtete. Der sah aus wie ausgekotzt. Die Augen lagen in tiefen Höhlen, die Wangen waren eingefallen, soweit man das unter dem Dreitagebart erkennen konnte und auch am Körper hatte er stark abgenommen. Als sie sich wenig später verabschiedeten, trat sie zu ihm und wollte ihm in einer fürsorglichen Geste mit dem Handrücken über die Wange streichen, aber er drehte sich weg und ließ eine verdutzte Andrea zurück, die Semir nun schon an der Hand mit sich zog.
    Semir begleitete seine Familie, nachdem er sich für die mitgebrachte Tasche bedankt hatte, mit zum Ausgang. „Andrea-denk dir nichts dabei-Ben ist gerade nicht er selber!“ versuchte er seine Frau zu besänftigen, die durch Ben´s Verhalten schon ein wenig brüskiert war, aber er konnte sie nicht einweihen, das wäre ein Vertrauensbruch an seinem Freund. Allerdings war der türkische Polizist regelrecht ein wenig erleichtert gewesen, dass sich die Abneigung seines jungen Kollegen wenigstens nicht auf die Kinder erstreckte, denen hatte er die Hand gegeben und deren Berührungen waren ihm anscheinend nicht unangenehm gewesen, obwohl das ja unbestritten auch weibliche Wesen waren, aber eben Kinder! So ging Semir nachdenklich zum Zimmer zurück-ja er konnte sich vorstellen, dass Sarah beleidigt gewesen war, wenn Ben vor ihr genauso zurück gezuckt war, wie gerade eben vor Andrea! Er holte sein Handy nochmals heraus und versuchte Sarah anzurufen, aber auf sein Klingeln rührte sich einfach nichts, weder am Festnetztelefon, noch am Handy-verdammt, der Karren steckte ordentlich im Dreck!

    Als das Abendessen kam, wiederholte sich die Szenerie vom Mittag. Ben sah unter die Deckel, verzog angewidert das Gesicht und drehte sich weg. „Ben-du musst endlich mal was essen!“ versuchte Semir ihn zu überreden, aber er schüttelte den Kopf. Als der Pfleger der Nachmittagsschicht, der jetzt für ihn zuständig war, lange nachdem das Tablett abgeräumt war, wieder herein kam und fragte, wie das Essen geschmeckt hätte, erzählte Semir ihm, dass Ben seit Tagen nichts aß, woraufhin ihm Ben wütende Blicke zu warf. „Ich werde das mit dem Stationsarzt besprechen, vielleicht fällt dem eine Lösung ein!“ versprach der junge Pfleger, der noch nicht sehr lange in der Uniklinik arbeitete, aber als er das Zimmer verlassen hatte und den suchte, hatte der bereits Feierabend gemacht. Ben bekam weiterhin seine Infusionen, aber das bisschen Zucker das sich in dieser fünfprozentigen Glukoselösung befand war einfach zu wenig. Allerdings konnte man keine höherprozentigen Nährlösungen über einen peripheren Venenzugang geben, weil dabei die Venen kaputt gingen, um jemanden länger parenteral zu ernähren, müsste man einen zentralen Venenkatheter legen, was in einer Klinik ja auch kein Problem war. Etwas in der Art schwebte dem Pfleger vor, als er den diensthabenden Chirurgen anrief, der im Bereitschaftsdienst für diese Station und noch drei weitere zuständig war. Der hatte freilich kurze Übergaben von seinen drei Kollegen bekommen, aber auf die Details konnte man ihm Dienst nicht eingehen-immerhin musste er sich die nächsten Stunden um über hundert stationäre Patienten kümmern, Neuzugänge aufnehmen und eventuell auch mit in den OP zum Assistieren, wenn eine Notoperation anstand. Meistens verschaffte er sich anhand der Akten einen kurzen Überblick, bevor er seine Anordnungen traf, Medikamente verordnete, Zugänge legte oder entschied, dass die Patienten operiert werden mussten. Der Arzt war ein wenig eigenwillig und ließ sich auch vom Pflegepersonal nicht gerne etwas sagen-immerhin war er Arzt und die waren nur Hilfskräfte, die seine Autorität gefälligst nicht durch eigenständiges Denken in Frage stellen sollten! So versprach er am Telefon kurz angebunden, dass er sich in Kürze darum kümmern würde und ordnete zuvor noch eine Kontrolle des Blutzuckerspiegels an. Der Pfleger nahm sein Blutzuckerstixgerät und ein Hämostilett mit ins Zimmer, piekte Ben damit in die Fingerkuppe, nachdem er ihm erklärt hatte, wozu das gut war und tatsächlich-wie er erwartet hatte, der Blutzuckerspiegel war ziemlich niedrig, so konnte sein Patient ja nicht genesen!

    Der Pfleger dokumentierte das und als kurz darauf der diensthabende Doktor auf die Station kam, überflog er schnell die Akten. „Soll ich gleich alles zum ZVK-Legen vorbereiten?“ fragte der junge Pfleger diensteifrig-das hätte man in der Klinik, in der er zuvor gearbeitet hatte, so gelöst, aber damit hatte er schon das Verkehrte gesagt. Der Diensthabende ging auf: „Was ich für Maßnahmen ergreife ist immer noch meine Sache! Wenn der Patient nicht freiwillig isst, obwohl das der Gastroenterologe sogar empfiehlt, dann bekommt er eine Magensonde und wird darüber eben zwangsernährt. Das Risiko eines ZVK´s ist in seinem Fall wesentlich höher als das einer Ernährungssonde, außerdem heilen so die Geschwüre besser ab!“ fuhr er den jungen Mann an. „Aber der Patient ist schwer traumatisiert!“ versuchte nun der Pfleger diese Maßnahme zu vermeiden, allerdings stieß er damit bei dem Arzt auf Granit. „Sie richten alles her und in fünf Minuten, wenn ich meinen Kaffee ausgetrunken habe, lege ich die Ernährungssonde!“ bestimmte der Arzt und unglücklich bereitete der Pfleger die benötigten Materialien vor.
    Als er wenig später ins Zimmer trat und gerade Ben, der nach den Anstrengungen des Nachmittags ein wenig eingenickt war, erklären wollte, was nun auf ihn zukam, stand auch schon der bullige Arzt im weißen Mantel hinter ihm. „Herr Jäger, ich lege ihnen jetzt eine Magensonde!“ war das einzige was er sagte und fuhr das Bett in halb sitzende Stellung hoch. Ben sah voller Entsetzen von einem zum anderen. Er wollte um Hilfe rufen, aber nicht einmal Semir bekam etwas mit, denn der hatte die Gunst der Stunde und seine frischen Sachen genutzt, um gerade mal eben unter die Dusche zu springen, während Ben ein Nickerchen machte. Nur ein Gurgeln kam aus seinem Hals, als der Arzt sehr routiniert die Sonde mit Gleitgel versah und dann durch das Nasenloch einging. „Schlucken!“ war das einzige Kommando und während Ben würgte und die Tränen in seine Augen schossen, ergriff der Pfleger, der völlig unglücklich war, wie die Sache gerade lief, aber aus dieser Nummer nun auch nicht mehr rauskam, ohne seinen Job zu gefährden-immerhin war er noch in der Probezeit und die Verweigerung einer Arztanordnung war ein fristloser Kündigungsgrund-seine Hand und hielt die fest. Die andere Hand steckte ja in dem Gilchristverband und so schob sich die Sonde ohne jegliche Betäubung durch die wunde Speiseröhre in den Magen vor. Der Arzt hatte zuvor kurz abgemessen, wie weit bei Ben´s Größe die Sonde hinein musste, um auch im Magen zu liegen und nicht im Zwölffingerdarm und als er an Ort und Stelle war, zog er den Mandrin heraus und prüfte mit dem Stethoskop auf den Bauch des Patienten, ob die Lage korrekt war. Der junge Pfleger hatte dazu Ben´s Hand losgelassen und blies nun mit einer großen 100ml-Spritze Luft in ihn und tatsächlich verriet das eindeutige Blubbern dem Arzt die korrekte Lage.

    Ben`s Augen schwammen vor Tränen und er gab nun keinen Ton mehr von sich. Soeben war er sozusagen aufs Neue vergewaltigt worden. Man hatte ohne sein Einverständnis gewaltsam und schmerzhaft etwas in ihn hinein geschoben-er war doch nur noch eine Sache, die man nach Belieben gebrauchte, aber als Mensch besaß er keinen Wert mehr. Während der Arzt nun aus dem Zimmer ging, ohne ein anerkennendes freundliches Wort, eine Erklärung oder sonst etwas, verklebte der unglückliche Pfleger, von dem Ben sich nun ebenfalls abwandte, noch die Sonde-er musste dazu sogar ein Stück Bart abrasieren- hängte dann erst einen Ablaufbeutel hin, der leicht blutigen Magensaft mit Wasser vermischt zutage brachte und ging dann hinaus, um die Sondennahrung und eine Sondenpumpe zu holen.

    Semir hatte im Bad kurz gelauscht-hatte Ben gerade gewürgt und zuvor jemand gesprochen? Aber als er nichts weiter hörte, seifte er sich ein und beendete in aller Ruhe die Dusche. Als er nun mit einem Duschtuch um die Hüften leise aus dem Bad trat, um Ben nicht zu wecken, traf ihn fast der Schlag. Sein Freund lag völlig fertig und tränenüberströmt im Bett und aus seiner Nase ragte etwas, was Semir nur zu gut kannte-eine Magensonde!

    Um Himmels Willen-jetzt kann ich nur hoffen, dass diese beiden Dinge nicht zeitgleich passieren. Wenn nämlich Mikael und Ben nicht sofort nach der Attacke Tonteri´s gefunden werden, dann wars das mit den beiden. Ich kann jetzt nur hoffen, dass Veikko inzwischen einen eindeutigen Hinweis auf den Keller gefunden hat und inzwischen Semir, die halbe finnische Polizei und Sanitäter und Notarzt in Aktion sind, um die beiden da raus zu holen und zu reanimieren! =O
    Puh welche beispiellose Brutalität und welchen Hass Hugo und sein Kumpan da an den Tag legen! Und sie haben auch im Drogenmilieu erneut zugeschlagen, was für ne Sch...

    Bevor Semir etwas sagen konnte, war auch schon der Psychologe dran. „Hallo Herr Jäger-ich bin Philip Schneider, von Beruf Diplompsychologe und wurde gebeten, sie ein wenig zu unterstützen. Wie mir ihr Freund Herr Gerkhan gerade draußen kurz umrissen hat, haben sie ja in letzter Zeit so einiges mitgemacht und ich würde mich freuen, wenn ich sie bei der Verarbeitung dieser ganzen Dinge ein wenig unterstützen dürfte!“ sagte er und Ben warf nun zuerst einmal Semir einen wütenden Blick zu. Was hatte der denn nun schon alles ausgeplaudert und hätte man das nicht in seinem Beisein machen können? Vielleicht wollte er ja gar nichts von sich erzählen und ihm war ja noch gar nicht klar, was und wie viel Semir überhaupt wusste. Klar hatte der Kenntnis davon, dass er missbraucht worden war, aber in welchem Ausmaß, davon hatte er dann doch keine Ahnung und das jetzt einem wildfremden Menschen einfach so auf die Nase zu binden, das war wohl die Höhe.
    Semir verstand den Blick und fragte sich im selben Augenblick, ob das richtig gewesen war, was er getan hatte, aber da eilte ihm nun sozusagen schon der Psychologe zu Hilfe. „Herr Jäger-ich war auch schon im Stationszimmer und habe mich dort vorgestellt, weil ich ja nicht dem Klinikpersonal angehöre, die dürfen mir ohne ihr Einverständnis überhaupt nichts sagen, aber ich wollte das Personal nicht übergehen, die sollen wissen mit wem sie es zu tun haben und wenn wir beide uns aufeinander einlassen, werde ich in nächster Zeit öfters hier sein. Ihr Freund trägt gemeinsam mit ihnen schwer an den ganzen Erlebnissen der letzten Wochen und ich bin ihm sehr dankbar, dass er kurz umrissen hat, was ihnen zugestoßen ist und bin ehrlich gesagt erschüttert, wie die ganzen Dinge, die ich am Rande aus der Tagespresse, Fernsehen und Radio mitbekommen habe, mit ihnen zusammen hängen. Das kann eigentlich fast niemand einfach so weg stecken und wenn sie einverstanden sind, möchte ich ihnen gerne zuhören und versuchen gemeinsam mit ihnen die Dinge wieder an ihren Platz zu rücken-zumindest emotional, denn an den Geschehnissen die passiert sind, können wir eh nichts verändern, höchstens an der Art sie zu sehen und mit diesen Erlebnissen umzugehen. Darf ich bleiben und wollen wir ihren Freund mal für ein Stündchen an die frische Luft oder Kaffee trinken schicken?“ fragte er Ben und der nickte momentan stumm.
    In den wenigen Sätzen waren ziemlich viele Informationen enthalten gewesen, aber eigentlich war alles stichhaltig gewesen und so fand sich Semir wenig später vor der Türe wieder und wurde noch freundlich aber bestimmt verabschiedet: „Bis später Herr Gerkhan und vielen Dank nochmals, dass sie mir so einen guten Überblick gegeben haben!“ sagte Philip Schneider und Semir wusste im Augenblick nicht, ob er sich jetzt für Ben freuen, oder auf den Typen sauer sein sollte.

    Der Psychologe trat nun wieder ins Zimmer zurück, holte sich einen Stuhl und setzte sich bequem in ein wenig Abstand von Ben´s Bett, so dass der ihn gut sehen konnte, aber die Individualdistanz, die jeder Mensch einem Fremden gegenüber hatte, noch gut gewahrt war. Nachdem Ben auch nach einer Weile immer noch nichts gesagt hatte, stellte sich der Psychologe nun erst einmal näher vor, erzählte dass er eine Praxis habe und sich eigentlich als Sexualtherapeut spezialisiert hatte, was Ben ein Seufzen entlockte-oh nein, klar war das vermutlich wichtig, aber er wollte über die Zeit in Estelle´s Fängen am liebsten überhaupt nicht reden, sondern das einfach vergessen, das würde mit der Zeit schon werden. Wenn der Typ nun sofort darauf einging-und jetzt war es wieder gemein von Semir, dass der da sozusagen über seinen Kopf hinweg etwas ausgeplaudert hatte und vor allem wusste er ja überhaupt nicht was genau-dann würde er ihn rauswerfen, obwohl er ihm ehrlich gesagt so auf den ersten Blick nicht ganz unsympathisch war.

    Als könne er seine Gedanken lesen, sagte der Blonde nun: „Herr Jäger, sie werden sich gewundert haben, dass ich ihnen sozusagen brühwarm weitererzählt habe, dass mich ihr Freund bereits informiert hat, aber das ist eine meiner eisernen Regeln in der Therapie, ich spiele nicht mit gezinkten Karten. Sie sollen wissen, welche Informationen ich habe und von Berufs wegen interessieren mich die eigentlichen Tatsachen recht wenig, sondern ich möchte eher wissen, was sie bei den ganzen Dingen, die ihnen angetan wurden, gefühlt haben und mit diesem Ansatz versuchen ihre Psyche zu therapieren. Allerdings haben sie da einen ganz tollen Freund und ich hatte das Gefühl, dass der sehr mit ihnen mitleidet und es ihm ausgesprochen wichtig war, sich das von der Seele zu reden und mich zu informieren, damit ich ihnen besser helfen kann!“ erklärte er und nun konnte Ben keinem der beiden böse sein-weder dem, wie er bereits fest gestellt hatte, gut aussehenden und offenen Blonden, noch Semir-nein vor allem nicht Semir und dass auch der sein Päckchen an der ganzen Sache zu tragen hatte, daran hatte er noch keinen Gedanken verschwendet. „Wollen wir es zunächst einmal miteinander versuchen?“ fragte nun der Psychologe und jetzt kam das erste Wort über Ben´s Lippen und er sagte „Ja!“ denn so viel hatte er schon begriffen, so ganz alleine würde er aus diesem ganzen Durcheinander in seinem Kopf nicht mehr herausfinden.

    Nun lächelte der Seelenklempner, lehnte sich zurück und sagte: „Wollen sie mir nicht erst einmal ein wenig von sich, von ihrer Familie und ihrem Beruf erzählen, damit wir uns besser kennenlernen?“ und nun nickte Ben und begann leise zu sprechen. Als die Stunde, die wie im Flug vergangen war, vorbei war, war Ben fast ein wenig heiser und auch ziemlich müde, aber es war überhaupt nichts über die letzte traumatische Zeit geredet worden, sondern vielmehr über seine Familie, die Kinder, Hunde-der Psychologe hatte nämlich auch einen-die Autobahnpolizei und seine tiefe Freundschaft zu Semir, der eben nicht nur ein Kollege war, über Autos, Muckibuden, Hobbys, Motorräder-auf jeden Fall fühlte Ben sich zunehmend wohler in der Gegenwart des Mannes. Er drängte ihn zu nichts und die Worte flossen immer selbstverständlicher aus dem Mund des jungen Polizisten. Er nahm immer wieder einen Schluck Wasser, sogar übers Essen an sich unterhielten sie sich und stellten fest, dass sie beide ungefähr genauso verfressen waren und dann immer verzweifelt Sport trieben, damit sich die Pfunde nicht ansetzten. Beinahe bekam Ben gerade fast ein wenig Hunger, aber wenn er dann an die Schleimsuppen und Breichen dachte, dann verging es ihm wieder, sogar wenn er Estelle jetzt einmal ausblendete. Als Schneider sich mit einem Blick auf die Uhr dann erhob, sich herzlich verabschiedete und fragte, ob es für Ben ok wäre, wenn er morgen wieder käme, nickte der heftig, denn es hatte ihm einfach gut getan, sich normal mit jemandem zu unterhalten, der auf seiner Wellenlänge lag. Er unterschrieb deshalb auch ohne zu Murren den Behandlungsvertrag, den der Blonde umständlich und ein wenig zerknittert aus seiner Bomberjacke kramte und dazu sagte: „Ich hasse Papierkram, aber manches muss einfach sein!“ und da konnte Ben ihm nur aus vollem Herzen zustimmen.

    Semir hatte derweil, immer wieder auf die Uhr blickend, vor der Zimmertür Patrouille geschoben und darauf geachtet, dass da niemand reinplatzte. Was wurde da drinnen wohl gesprochen? Ein wenig ausgestoßen kam er sich vor, aber dann packte er sich sozusagen selbst an der Nase. Was hatte er erwartet? Dass Ben ihn dabei haben wollte und der Psychodoc dann auch noch damit einverstanden war? Ben´s Hemmungen und seelischen Verletzungen waren so groß, dass er nicht einmal im Schutze der Dunkelheit in seinen Armen über das sprechen konnte, was Estelle ihm angetan hatte, das würde sicher nicht einfach werden und er war froh, dass jetzt wenigstens etwas voran ging und sich ein Profi der Sache annahm. Als nach ziemlich genau einer Stunde der Blonde das Zimmer verließ, bedankte er sich noch bei Semir, dass der ihm den Rücken frei gehalten hatte. Er lächelte so gewinnend und der Händedruck zum Abschied war so herzlich, dass Semir ihm schon nicht mehr böse sein konnte. Als er nun in den Raum trat, lag Ben zwar mit geschlossenen Augen auf dem Rücken im Bett und wirkte ein wenig erschöpft, aber seine Wangen waren gerötet und als er nun die Augen aufmachte und seinen Freund ansah, umspielte sogar ein leichtes Lächeln seine Lippen. „Ich glaube der ist ok!“ sagte er und nun fiel Semir regelrecht ein Stein vom Herzen.

    Eva wurde gefunden-endlich! Hoffentlich findet Veikko in ihrer Kleidung tatsächlich irgendwelche Spuren, die die Ermittler zu dem Keller führen, in dem Mikael und Ben festsitzen!
    Dort ist Mikael inzwischen kurz davor, komplett zusammen zu brechen, so wird er von Schuldgefühlen geplagt! Als Ben allerdings zu sich kommt, spricht er ihm-obwohl schwer verletzt-Mut zu und erklärt ihm die psychologischen Hintergründe Tonteri´s. Allerdings wird er vermutlich nicht mehr lange durchhalten, egal was Mikael tut oder sagt. All meine Hoffnungen ruhen jetzt auf Veikko-der muss einfach einen Hinweis aus Eva´s Kleidung rausziehen, Hartmut würde das auch können!

    Semir hatte kurz überlegt, was und wie viel er dem Psychologen erzählen sollte, aber als er erst einmal begonnen hatte, sprudelte es nur so aus ihm heraus. „Dort drinnen liegt mein bester Freund!“ wies er mit einer Kopfbewegung Richtung Zimmer. „Ich möchte unbedingt, dass er wieder gesund wird, aber ich habe keine Ahnung was ich sagen kann oder soll, um ihm zu helfen. Um ihn besser verstehen zu können, sollten sie die Hintergrundstory kennen, denn ich weiss nicht, in wie weit er die erzählen wird-ich glaube da ist einfach viel zu viel passiert in den letzten Wochen und das Schlimmste ist, ich glaube er fühlt sich teilweise schuldig an den ganzen Dingen und das setzt ihm am Allermeisten zu.

    Begonnen hat es schon vor einigen Wochen, als wir auf einer Streifenfahrt eine junge, sehr attraktive Frau in einem Ferrari aufgehalten haben, die gerast ist. Ben hat die damals mit Blicken schier ausgezogen, wir haben dann noch kurz ihren Background recherchiert, aber sie dann vergessen. Parallel dazu wurde Köln von einer Mordserie an Flüchtlingen erschüttert-sie haben sicher auch davon gehört, den armen Menschen wurde, bevor man sie ertränkt hat, immer mit beispielloser Brutalität die Zunge heraus geschnitten!“ erzählte Semir und den Psychologen überlief ein kalter Schauer-oh je, er befürchtete jetzt schon, dass dieser Fall so einige Dimensionen sprengen würde-normalerweise arbeitete er eher mit fremd gehenden Partnern, sexueller Frustration und manchmal auch Angststörungen, aber das hier klang aufregend und interessant.

    „Mein Freund, dessen und meine Familie und ich haben kurz nach Weihnachten in den Bergen einen Skiurlaub angetreten-sein Weihnachtsgeschenk an mich und ja sie dürfen sich über so ein großzügiges Geschenk wundern, aber Ben ist sehr vermögend und hätte es eigentlich gar nicht nötig als Polizist zu arbeiten-er macht das aus Berufung!“ erklärte Semir weiter. „Dort sind wir zu allem Unglück auf Estelle Winkler, die Ferrarifahrerin, und ihren wesentlich älteren Ehemann getroffen. Die Frau hat um Ben gebuhlt, der sich aber meines Wissens“ -und dieses Detail fiel dem Psychologen durchaus auf- „nicht für sie interessiert hat. Er war ein paarmal mit ihr auf der Piste, aber anscheinend hat das genügt, ihren Mann rasend vor Eifersucht zu machen. Er hat uns beide von einem korrupten Bergführer auf eine Tour führen lassen, dabei hat der Einheimische ein Schneebrett ausgelöst, das Ben schon damals beinahe getötet hätte und einen anderen unschuldigen Tourengeher in den Tod gerissen hat. Durch einen glücklichen Zufall wurden wir von ein paar Flüchtlingen gerettet, wobei ein Arzt aus deren Reihen Ben unter primitivsten Bedingungen medizinisch versorgt und sogar urologisch ohne Betäubung notoperiert hat. In letzter Sekunde wurden wir unter dramatischen Umständen gerettet, wobei der Bergführer da bereits das zweite Attentat auf Ben verübt hat, das ich gerade noch so vereiteln konnte. Später hat sich heraus gestellt, dass der Auftraggeber der Schleuser, Winkler war, der auch die Morde in Köln zu verantworten hatte und den armen Menschen die Zungen immer höchstpersönlich heraus geschnitten hat.

    Im Krankenhaus in Innsbruck, wohin man Ben geflogen hatte, erfolgte der nächste Anschlag auf sein Leben, durch einen korrupten Pfleger, der ihn im Auftrag Winkler´s mit Blutverdünnungsmittel versucht hat zu töten. Nach der Verlegung nach Köln gab es noch zwei weitere Anschläge auf sein Leben-erst nochmals durch den schon erwähnten Bergführer, der danach von Winkler und seinen Helfershelfern grausam hingerichtet wurde und dann von Winkler selber, den ich dann allerdings erschossen habe!“ erzählte Semir lapidar und der Psychologe musterte den türkischen Polizisten mit einem fast ungläubigen Blick aus den großen blauen Augen-wo verdammt war er hier rein geraten? Das klang ja wie ein Thriller im Fernsehen mit Matt Damon, aber dass sowas im wahren Leben vorkam, hätte er beinahe nicht für möglich gehalten. Wenn er nicht Ausschnitte aus den Erklärungen des Polizisten aus der Tagespresse gekannt hätte, hätte er dem vermutlich nicht geglaubt, aber so befürchtete er leider, dass das alles der Wahrheit entsprach.

    „Aber damit nicht genug-kaum war der Ehemann tot, hat Estelle probiert, sich meinen Freund unter den Nagel zu reißen. Erst hat sie versucht seine Familie-seine Frau Sarah und seine beiden Kinder-durch ein Bombenattentat hier auf dem Parkplatz auszulöschen und dann hat sie ihn von zwei Helfershelfern aus der Klinik entführen lassen. Er war etwa 30 Stunden in ihrer Gewalt, bevor wir ihn in letzter Sekunde befreien konnten, wobei seine Peinigerin durch die Hand eines Helfershelfers grausam ums Leben gekommen ist, und wie wir von der Polizei anhand der Spuren feststellen konnten, wurde er zuvor schwer sexuell missbraucht, wie ich es zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Zunächst hat er uns versucht weis zu machen, dass er den Missbrauch verschlafen habe, es war nämlich auch ein Betäubungsmittel im Spiel, aber inzwischen weiss ich, dass das leider nicht der Fall war. Es haben sich wohl so unglaubliche Szenen in dieser Wohnung abgespielt, dass er sich seitdem von keiner Frau mehr berühren lassen kann, nicht einmal von der Ehefrau, die deshalb tödlich beleidigt ist und weder mit ihm noch mit mir sprechen will. Wir haben in der Wohnung neben allerhand Sexspielzeug solche speziellen Spritzen gefunden, die eine Erektion auch ohne Willen des Mannes bewirken und anscheinend kamen die zum Einsatz, allerdings will Ben da verständlicherweise nicht darüber sprechen!“ kam er nun zum Schluss seines Berichts und der Psychologe schwieg nun eine Weile still und versuchte das Gehörte zu verarbeiten.

    Nach einer Weile probierte er in Worte zu fassen, was ihm durch den Kopf ging: „Herr Gerkhan, ich danke ihnen für ihre Offenheit und den Bericht, allerdings werde ich jetzt erst einmal versuchen zu Herrn Jäger ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und werde dann sehen, ob er sich mir öffnen kann. Das wird mit Sicherheit keine Sache sein, die man in drei Therapiesitzungen abhandeln kann und es ist für mich zwar interessant die Hintergründe zu kennen, aber es wäre keine Voraussetzung für eine Therapie. Mich interessiert eher wie Herr Jäger sich fühlt und gefühlt hat, was seine Psyche von diesen ganzen schrecklichen Dingen bewahrt und was sie aus Selbstschutz ausgeblendet hat. Ich möchte ihm helfen, wieder mit seinem Leben zurecht zu kommen, mit, oder sagen wir einmal lieber trotz dieser schlimmen Erlebnisse, die einen Menschen durchaus zerstören können, wieder Freude zu empfinden. Allerdings ist das eine sehr intime Sache zwischen Therapeut und Patient und sie können uns am besten helfen, wenn sie von hier draußen dafür sorgen, dass uns niemand stört. Außerdem gibt es noch eine sehr wichtige Sache. Bisher kenne ich Herrn Jäger ja nur aus ihren Erzählungen. Wenn allerdings die Chemie zwischen uns beiden nicht stimmt und er mich unbewusst ablehnt, macht eine Behandlung durch mich keinen Sinn. Das müssen wir jetzt als Allererstes heraus finden!“ erklärte er und Semir war zunächst einmal kurz fast ein wenig eingeschnappt. Wie-er sollte von den Therapiegesprächen ausgeschlossen werden? Allerdings konnte er die Intention des Psychologen schon verstehen und jetzt erst einmal ein Schritt nach dem anderen-er würde Ben diesen Philip Schneider zunächst vorstellen und dann abwarten, was sein Freund dazu sagte und ob er ihn dabei haben wollte.

    So standen die beiden sehr ungleichen Männer-groß, gutaussehend und blond der eine, klein, drahtig und mit bereits leicht ergrauten, kurz geschorenen Haaren, dabei für sein Alter durchaus ebenfalls attraktiv der andere-wenig später erneut vor Ben´s Zimmertüre und nach einem kurzen Klopfen traten sie beide ein und der fremde Mann, der sich auch gleich mit kräftigem Handschlag und einem Lächeln vorstellte, wurde nun von Ben eingehend gemustert.

    Als das Mittagessen gebracht wurde, erwachte Ben wieder, aber nur um mit dem Ausdruck des Ekels kurz unter die Deckel der beiden Töpfchen zu schauen, die auf seinem Nachttisch standen. Semir war aufgestanden-auch er hatte sein Mittagessen schon inspiziert-Rindergulasch mit Nudeln, davor ne leckere Suppe und als Nachtisch stand ein Buttermilchdessert auf dem Tablett, das war auf jeden Fall besser als Ben´s Schleimsuppe und Breichen. „Ben-du musst was essen, sieh mal du hast doch gehört, was der Internist gesagt hat!“ bat er, aber Ben schüttelte den Kopf: „Es geht nicht, Semir, mir wird schon übel, wenn ich das Essen nur rieche!“ vertraute er seinem Freund an, was er allerdings verschwieg war die Tatsache, dass er meinte überall Estelle und ihr widerwärtiges und dabei sicher teures Parfum zu riechen und zu schmecken. Nur Wasser ging-und Kaffee, aber den gaben sie ihm ja nicht. Der Kamillentee der mit auf dem Tablett stand, erweckte sowieso Ekelgefühle. Tim trank den ganz gerne und er konnte das überhaupt nicht verstehen-ach ja sein Tim!

    „Semir-hast du Sarah erreicht? Kommt sie mit den Kindern?“ fragte er und hoffte, dass Semir, ohne seiner Frau den Grund für sein Verhalten zu sagen, die aufgeworfenen Gräben gekittet hatte. Semir hatte die ganze Zeit, während er Ben beim Schlafen zusah und er sich selber auf seinem Bett ausgestreckt, ausgeruht hatte, darüber nachgedacht, was er zu seinem Freund sagen sollte. Nun beschloss er spontan, zu einer Halbwahrheit zu greifen. „Ben-ja ich habe Sarah erreicht, aber hast du schon aus dem Fenster gesehen? Da draußen liegt ziemlich viel Schnee und du kennst ja die Kölner-die kommen damit schlecht zurecht. Bei euch draußen liegt noch viel mehr und die Räumdienste kommen nicht hinterher. Sarah ist mit den Kindern, die zudem auch noch ein bisschen erkältet sind, sozusagen momentan ein wenig von der Außenwelt abgeschnitten!“ erklärte er und wusste gar nicht, wie nahe er damit der Wahrheit kam. Ben nickte mit dem Kopf, trank einen Schluck Wasser und schloss die Augen wieder ein wenig. „Ja da hast du recht-wenn in Köln mal so viel Schnee fallen würde, wie in unserem Urlaubsort im Lechtal-die würden monatelang nicht aus den Häusern kommen, aber dort ist das normal, jeder ist darauf eingerichtet und verhält sich entsprechend-ich möchte nicht wissen, wie viele Unfälle hier passiert sind wegen fehlender Winterreifen, sowas würde in den Bergen niemandem einfallen-egal wie alt die Schrottkarre auch ist-die Reifen haben Profil!“ überlegte er und sagte dann leise: „Ach Semir-wie gerne würde ich jetzt mit dir über die Autobahnen schlittern, Unfälle aufnehmen, Strafzettel verteilen, ach egal, jede Arbeit wäre mir Recht-sogar Berichte schreiben, wenn nur diese Scheisse hier einfach vorbei wäre!“ sehnte er sich und in diesem Moment läutete Semir´s Telefon-Susanne war dran: „Semir-ich habe einen Psychologen aufgetan. Er klang am Telefon sehr sympathisch und hat auch gute Bewertungen im Internet. Er kommt heute im Laufe des Nachmittags in die Klinik zu Ben, ich hoffe er kann ihm helfen!“ verkündete sie und Semir bedankte sich: „Danke Susanne-du bist einfach toll!“ sagte er voller Wärme und nachdem er aufgelegt hatte, wandte er sich Ben zu und verkündete ihm die Neuigkeit. „Ja das muss wohl sein, wobei es mir lieber wäre, wir könnten die letzten Tage einfach vergessen und neu anfangen!“ philosophierte der, forderte dann aber seinen Freund auf, endlich zu essen: „Glaub mir, ich habe wirklich keinen Hunger, aber das trifft ja deswegen auf dich nicht zu, lass es dir schmecken!“ wünschte er ihm und nach kurzer Überlegung vertilgte Semir sein Mittagessen-es brachte ja niemandem etwas, wenn er jetzt auch noch auf Diät ging, schlimm genug, wenn Ben vom Fleisch fiel!

    Ben dachte derweil sehnsuchtsvoll an Sarah und seine Kinder-ach wie er sie vermisste, aber gleich nach dem Essen wurde er in die physiotherapeutische Abteilung abgeholt und Semir half ihm zuerst eine Jogginghose über den Beinverband zu ziehen, der Pfleger stöpselte die Infusion ab und Semir lief einfach mit dem Mann vom Fahrdienst, der den Rollstuhl schob mit-er hoffte, die in der Abteilung wussten darüber Bescheid, dass er von nem Man behandelt werden musste. Aber das war kein Problem-der Therapeut, der Ben schon kannte, bewegte die Schulter durch, massierte die Beinmuskeln und den Rücken und zeigte Ben mehrere Übungen, die er selber ausführen konnte. „Herr Jäger-ich finde allerdings sie werden jeden Tag dünner, essen sie auch genug? Sie wissen doch sicher, dass der Körper Eiweissbaustoffe braucht, um Muskulatur aufzubauen!“ fragte er, aber als Ben die Antwort schuldig blieb, antwortete Semir, der sich bisher zurück gehalten hatte, für ihn: „Er isst gerade überhaupt nichts, kein Wunder dass er jeden Tag schwächer wird!“ erklärte er und tatsächlich war es heute fast nicht möglich, dass Ben mit dem Gehwagen auch nur ein paar Meter lief, sofort gingen ihm die Knie weg. Der Physio lief allerdings direkt hinter ihm und stützte ihn mit seinem Körper, so dass wenigsten nichts passierte, aber als Hausaufgabe bekam Ben nun zusätzlich zu seinen Übungen, seinem Körper wieder Nahrung zukommen zu lassen, aber er versprach nichts!

    Als er wenig später wieder in seinem Bett lag, schloss er erschöpft die Augen und Semir ging kurz vor die Tür um ihn nicht zu stören-er musste dringend Andrea anrufen und sie bitten, ihm Wechselwäsche und das Antibiotikum zu bringen, denn eines war klar-Ben brauchte seine Hilfe und Nähe, den konnte er im Krankenhaus aktuell nicht alleine lassen! Andrea versprach, sobald Ayda die Hausaufgaben fertig hatte, zusammen mit den Kindern vorbei zu schauen, fragte aber verwundert: „Warum kann nicht Sarah im Wechsel mit dir bei ihrem Mann bleiben!“ woraufhin Semir nur traurig sagte: „Das ist eine lange Geschichte, Andrea-vielleicht erzählen Ben oder ich die dir einmal, aber momentan kann ich dazu leider keinen Kommentar abgeben!“ und jetzt schwieg Andrea still-da war irgendetwas absolut nicht in Ordnung und es betraf Sarah und Ben, soviel war klar.
    Semir war derweil den Flur ein Stück vorgelaufen und hatte sich zum Telefonieren in eine Sitzecke verkrümelt, wo er seine Ruhe hatte. Als er jetzt zum Zimmer zurück ging, näherte sich gerade ein attraktiver blonder, etwa vierzigjähriger Mann in Jeans, Pulli und Bomberjacke dem Raum und musterte aufmerksam die Zimmernummern. Semir hatte ihn aus dem Stationszimmer kommen sehen, aber erst jetzt kam ihm ein Verdacht, wer das wohl sein könnte. Bevor der seine Hand zum Anklopfen heben konnte, fiel Semir ihm in den Arm. „Sind sie der Psychologe, den meine Kollegin organisiert hat?“ fragte er verdutzt, mit so einem lockeren Typen hatte er nicht gerechnet. Der Mann verharrte in seiner Bewegung, zog eine Augenbraue hoch und musterte Semir mit Augen die in einem intensiven Blau leuchteten. „Sie haben Recht, Philip Schneider mein Name, ich bin Diplompsychologe und wurde von der Polizei gebeten, mir hier einen Ben Jäger anzuschauen-und wer sind sie, wenn ich fragen darf?“ antwortete er und Semir beeilte sich nun, sich vorzustellen und den Mann am Ärmel mit sich in die Sitzecke zu ziehen. „Ich muss ihnen dazu vorher noch etwas mitteilen!“ sagte er und der Psychologe nickte, setzte sich und hörte aufmerksam zu, was Semir ihm zu berichten hatte.

    Susanne war tatsächlich im Dienst und als Semir ihre Stimme hörte, atmete er laut und vernehmlich auf. „Susanne, ich habe einen Sonderauftrag für dich. Ben ist schwer traumatisiert, die Gründe dafür kann ich dir und den anderen leider nicht sagen-vielleicht tut er es später einmal selber, aber das soll er alleine entscheiden, wenn es ihm wieder besser geht. Allerdings hat er aktuell deswegen ein Problem, sich auf einen weiblichen Therapeuten ein zu lassen, aber in der Klinik arbeiten in diesem Metier leider nur Frauen. Wir bräuchten also einen guten männlichen Psychotherapeuten, Psychologen oder sowas ähnliches, der zu ihm in die Klinik kommt und ihn dort behandelt!“ erklärte er und Susanne sagte ohne Umschweife zu, sich darum zu kümmern.
    Semir atmete auf. Das war das Schöne in der PASt - wenn man in ihrem Team ein Problem hatte, konnte man sich mit Sicherheit darauf verlassen, dass alle zusammen halfen Und das besonders Angenehme daran war auch, dass Susanne jetzt keine Fragen stellte, die er aktuell nicht beantworten konnte und wollte. Und wenn es keinen geeigneten Polizeipsychologen gab, dann war es ein Unterschied, ob er als Privatperson da anrief, oder ob Susanne in ihrer offiziellen Funktion um eine Konsultation bat. Semir wusste-sobald sie etwas erreicht hatte, würde sie ihn informieren und das war gut so!

    So eilte er jetzt zu Ben zurück und überlegte die ganze Zeit, ob er ihm von der Erkrankung seiner Kinder, über die er ja nichts Näheres wusste, erzählen sollte. Eines war klar-Ben würde sich furchtbar aufregen und sofort eingehendere Informationen verlangen, die er ihm aber nicht geben konnte, weil er selber nichts wusste. Er hatte nicht gedacht, dass Sarah dermaßen sauer sein würde, da konnte man nicht mehr nur von einer kleinen Störung zwischen den Ehepartnern sprechen, aber das Fatale daran war, dass er ja keine Chance gehabt hatte, Sarah etwas zu erklären, weil sie ihn gar nicht zu Wort kommen ließ. Eigentlich sollte er selber hinfahren und mit ihr sprechen, aber zuerst musste er herausfinden, ob Ben überhaupt wollte, dass seine Frau erfuhr, warum es ihm aktuell so schlecht ging-das war eine sehr schwierige Situation. Wie gerne wollte er jetzt selber von einem Fachmann hören, was man machen konnte und durfte, ohne Ben bloß zu stellen und ihr Vertrauensverhältnis zu gefährden, aber bislang waren Hartmut und er die einzigen außer Ben selber, die über das Ausmaß der Vergewaltigung durch Estelle im Bilde waren-und nicht einmal Ben hatte eine Ahnung davon, wie detailliert sie Bescheid wussten. Susanne würde sich sicher auch ihren Teil denken, aber er vertraute auf die Diskretion der Sekretärin, nicht umsonst war sie Andrea´s beste Freundin!
    Vielleicht sollte er Andrea einbinden und zu Sarah schicken, aber die war jetzt wieder in der Arbeit und die Schule hatte begonnen, die war eigentlich ausgelastet und wenn er nicht auf die Kinder aufpasste, müsste man für die wieder eine Betreuung suchen, solange sie weg war-und außerdem wusste er auch nicht, was Tim und Mia-Sophie hatten-vielleicht war das eine ansteckende Kinderkrankheit wie Masern- und die wollten sie beileibe nicht haben, darum konnte seine Frau Ayda und Lilly auch nicht mitnehmen. Allerdings war es ja ein gutes Zeichen, dass Ben´s und Sarah´s Kinder zuhause und nicht in der Klinik waren, also waren sie zumindest nicht lebensbedrohlich erkrankt. Außerdem-wie sollte er Andrea erklären, warum sie als Vermittler auftreten sollte, wenn sie über die Hintergründe nichts erfahren durfte-nein diese Option fiel schon mal weg. Er setzte also seine ganze Hoffnung auf den Psychologen, ein Fachmann würde wissen, was zu tun war und so lange würde er erst einmal schweigen!

    Als er nun zurück ins Krankenzimmer trat und immer noch überlegte, wie viel Ben erfahren durfte, erschrak er erst einmal. Er hatte erwartet seinen Freund niedergeschlagen und mutlos im Bett liegend vor zu finden, so wie er ihn verlassen hatte, aber der saß nun schweissgebadet auf dem Boden vor dem Bett, die Infusionsnadel war heraus gerutscht, so dass sich herauslaufendes Blut und Infusionslösung zu einer wässrig-blutigen Pfütze vermischten, Ben hatte seinen gesunden Arm auf den Bauch gepresst und jammerte leise vor sich hin. „Ben was ist los!“ fragte Semir entsetzt und drückte auf den Klingelknopf, den Ben allerdings vom Boden aus nicht erreichen konnte. Kurz darauf stand der Pfleger, der für seinen Freund zuständig war, im Raum und Semir hatte derweil vergeblich versucht, dem dunkelhaarigen Polizisten hoch zu helfen, aber dem knickten einfach die Beine weg und außerdem war es verdammt rutschig in der Pfütze. „Ich wollte doch nur aufs Klo gehen!“ flüsterte Ben. „Aber kaum war ich aus dem Bett, haben meine Beine nachgegeben, dabei habe ich doch so Bauchschmerzen!“ klagte er und der Pfleger holte nun kurzerhand einen Toilettenstuhl und gemeinsam hievten sie Ben da hinein und er fuhr ihn hinaus, schloss die Tür hinter ihm, damit er in Ruhe zur Toilette konnte und machte sich dann daran die Schweinerei aufzuwischen. Man hörte ein Stöhnen aus dem Bad und als der Pfleger fragte: „Geht’s ihnen gut Herr Jäger?“ kam nur eine undeutliche Stimme heraus: „Bitte nicht reinkommen!“ denn Ben meinte gerade ein Kind zu kriegen, so quälte er sich auf der Toilette. Krämpfe und Koliken überliefen ihn, er schwitzte immer noch und als er sich endlich entleert und die Spülung betätigt hatte, kam der Pfleger einfach herein und zog ihm kurzerhand die nassen und blutigen Sachen aus, wusch ihn kurz ab und holte dann noch schnell ein frisches Shirt und eine Unterhose. „Das nächste Mal nicht alleine probieren, sondern nach mir läuten!“ ermahnte er seinen Patienten, der vor Scham einen roten Kopf hatte. Verdammt er hatte das alleine erledigen wollen, aber jetzt hatte er dem freundlichen älteren Pfleger noch Extraarbeit verschafft und außerdem genierte er sich wegen dem extrem unangenehmen Gestank. Allerdings bemerkte der Pfleger nun: „Das ist das Blut von den Magengeschwüren, welches sie runter geschluckt hatten, das sie so geplagt hat, kein Wunder dass sie da so Schwierigkeiten hatten!“ und nun war Ben auch klar, warum der Stuhl so schwarz gewesen war und ihn ekelte noch mehr vor sich selber. Als er dann endlich wieder im Bett lag, stand auch schon der Arzt vor ihm und legte ihm einen neuen Zugang und nun schloss Ben erst einmal die Augen und ruhte sich von den Strapazen aus und niemand war froher darüber als Semir-er hatte wieder ein wenig Zeit gewonnen!

    Susanne war derweil systematisch vorgegangen. Erst hatte sie alle männlichen Polizeipsychologen Kölns und seiner Umgebung angerufen-ganze zwei an der Zahl, aber der eine war in Winterurlaub und der andere total überlastet und konnte erst in einigen Wochen wieder neue Patienten nehmen und dann hatte sie begonnen aus dem Branchenbuch die entsprechenden Namen heraus zu suchen. Wenn da jetzt jemand sofort Zeit hatte war das aber auch kein gutes Zeichen, denn dann war er vermutlich nicht gut und so zog sie, bevor sie anrief, immer die Bewertungen im Internet zu Rate. Als Jenny und Bonrath sie um einen Gefallen baten, sah sie für die beiden etwas nach, um sich danach sofort wieder ihren Studien zu widmen. „Na da hast du ja eine wichtige Recherche!“ bemerkte Dieter und versuchte ihr über die Schulter zu sehen. „Kann man wohl sagen, aber das ist nichts für euch!“ entgegnete sie freundlich und schaltete sofort den Bildschirmschoner ein. „Na dann eben nicht!“ sagte Dieter schulterzuckend und verkrümelte sich in die Teeküche, um sich eine Tasse heißen Kaffee zu holen. Nachdem die Luft wieder rein war, griff Susanne zum wiederholten Male zum Telefon und jetzt war sie erfolgreich. Eine freundliche Stimme am anderen Ende beschied ihr zwar erst, dass der Therapeut eigentlich keine Zeit habe, aber als sie ihre Position betonte und um Hilfe für einen traumatisierten Beamten bat, der leider aktuell keine Frauen um sich herum ertragen konnte, sagte der Diplompsychologe zu, auch aus beruflichem Interesse. Da war sicher ein sexueller Hintergrund bei so einer Störung und das war seine Spezialität, er war nämlich unter anderem Sexualtherapeut und es war vermutlich immer gut, wenn man bei der Polizei einen Stein im Brett hatte. Also ließ er sich den Namen und den Aufenthaltsort seines neuen Patienten geben und sagte zu, dass er ihn am Nachmittag im Krankenhaus besuchen würde. Eigentlich hatte er sich die Zeit zum Joggen frei halten wollen, denn die Weihnachtspfunde mussten wieder herunter, aber so würde er einfach die Treppen benutzen und am Abend laufen gehen, er war schon gespannt, was diesem Ben Jäger widerfahren war!

    Boah-welches sadistische Spiel treibt Hugo da mit Ben und Mikael. der eine wird gefoltert, damit man den anderen brechen kann-ja das funktioniert vermutlich wesentlich besser, als wenn er sich Mikael selber vornehmen würde-das ist für den die schlimmste Strafe!
    Ben versucht Mikael noch davon zu überzeugen, dass ihn keine Schuld trifft, aber der hört gar nicht zu! Endlich wird Ben ohnmächtig und Hugo nimmt mal nen großen Schluck auf seine tolle Folteridee.
    Inzwischen wurde Eva´s Flucht entdeckt, aber wie Sabrina hoffe auch ich, dass die eben schon Hinweise auf den Aufenthaltsort von Mikael und Ben geben kann-hoffentlich kommen die Retter noch rechtzeitig! =O

    Bei Sarah war die Nacht dank der Hilfe der Hebamme ruhig gewesen und sie hatte sogar ein paar Stunden schlafen können. Die hatte sich zu Tim ins Zimmer gelegt, wo sie neben Tim´s Rennfahrerbett natürlich noch ein zweites Bett darin stehen hatten und wenn er wach geworden war, hatte sie ihm zu trinken gegeben, seine Beine wieder eingerieben und ihm in der Sprache ihrer Heimat Geschichten in einem beruhigenden Singsang erzählt und obwohl Tim sicher kein Wort davon verstand, war er immer sofort ruhig geworden und hatte einfach der Stimme gelauscht bis er wieder eingeschlafen war. Mia-Sophie war zwar ebenfalls ein paarmal aufgewacht, aber sie hatte dann immer Durst gehabt und war nach ein paar Zügen an der Brust ebenfalls wieder eingenickt. Die Ghanaerin war einmal wie ein Schatten ins Schlafzimmer gekommen, hatte das Baby, das unruhig zu wimmern begonnen hatte, ins Bad mitgenommen und gewickelt, es beruhigend massiert und ebenfalls die Beinchen mit der fiebersenkenden Tinktur eingerieben und es dann der Mama wieder gebracht, die nur froh war, dass sie nicht aufstehen musste, denn langsam kam die ganze Erschöpfung, der Kummer und die Sorge um Ben und das Gefühl der Hilflosigkeit heraus.
    Sie liebte ihn nach wie vor, aber wenn er sich gegen sie entschieden hatte, dann konnte sie vermutlich nichts machen, dann ging es ihr wie tausenden anderer Frauen, die verlassen wurden. Sie musste bei Gelegenheit mit Hildegard reden, ob die sich vorstellen konnte, die Kinder länger zu betreuen, damit sie zumindest dreißig Stunden die Woche, das waren vier Tage, arbeiten konnte. Sie würde nämlich zwar Unterhaltszahlungen für die Kinder akzeptieren, aber für sich konnte sie selber sorgen. Mit viel Nachtdienst würde sie über die Runden kommen und falls Hildegard nicht bereit war, die Kinder mehr Stunden zu betreuen, musste sie sich eben nach einem Krippenplatz für Mia-Sophie und einem Kindergartenplatz für Tim umsehen. Vielleicht war in der klinikeigenen Einrichtung, deren Öffnungszeiten sich nach den Schichten richteten, was sehr praktisch war, noch etwas frei-ja sie hatte viel vor die nächsten Tage! Vielleicht würde Ben ihr die Stadtwohnung gegen Miete überlassen-wenn allerdings nicht, würde sie schon irgendwo in Köln eine Wohnung finden, sie hatte sehr viele Bekannte, die ihr dabei helfen würden!
    Obwohl die praktischen Überlegungen sie beschäftigten, überkam sie eine Welle des Kummers, denn eigentlich wollte sie ihren Mann nicht verlieren, aber sie fand einfach keine andere Erklärung als eine andere Frau für sein abweisendes Verhalten, dass er sie nicht mehr küssen wollte und auch die Auskunftssperre. Er hatte genau gewusst, wie er sie damit verletzen würde und daher war für sie in ihrem Inneren die Sache klar, obwohl es fürchterlich weh tat. Als sie leise zu weinen begann saß plötzlich die dunkelhäutige Frau neben ihr und streichelte sie tröstend-allerdings gab es für Sarah´s Kummer keinen richtigen Trost-sie war gerade dabei die Liebe ihres Lebens zu verlieren und das tat weh, furchtbar weh!

    Am nächsten Morgen ging es den Kindern zwar besser, aber sie hatten immer noch Fieber und waren matt. Sie würde mit denen das Haus auf gar keinen Fall verlassen, sondern versuchen, einen Hausbesuch eines Arztes zu organisieren. Tim brüllte inzwischen schon wie am Spieß als er das nächste Zäpfchen bekommen sollte und so war Sarah heftig froh, als sie über die Rettungsleitstelle, bei der sich die Lage inzwischen auch beruhigt hatte, weil es nicht mehr weiter schneite, die Zusicherung bekam, dass ein Kinderarzt bei ihr im Laufe des Vormittags vorbei kommen würde. Obwohl sie keinen Appetit hatte, bemühte sie sich zu frühstücken und auch Tim konnte überredet werden, wenigstens einen Kakao zu trinken, allerdings bestand er auf eine Flasche als Gefäß, was aber kein Problem darstellte, Hauptsache er nahm etwas zu sich. Auch das Baby trank, also war die akute Lebensgefahr gebannt.
    Sarah hatte geduscht und als dann das Telefon läutete und Semir´s Nummer auf dem Display erschien, wusste sie im Augenblick überhaupt nicht, wie sie reagieren sollte. Hatte der eine Ahnung von ihrer verfahrenen Situation? Wollte er jetzt von ihr wissen, wie es Ben ging, oder ging es ihm selber schon besser und er hatte ihn bereits besucht? Hatte Ben ihm die Wahrheit erzählt, oder machte er auch seinem besten Freund, der ihn gerettet hatte, was vor? Eines war Sarah klar-auch wenn sich mit den Jahren eine gute Freundschaft zwischen den Familien Gerkhan und Jäger entwickelt hatte-Semir würde primär zu Ben halten und wenn es zur Trennung kam, würde er sich klar für Ben entscheiden, so war das ja meistens bei ner Scheidung-auch die Freunde mussten Farbe bekennen, zu welcher Seite sie hielten. Also war Sarah ein wenig reserviert als sie ranging und sagte: „Ja Semir, was gibt’s?“ und lauschte dann mit sehr gemischten Gefühlen den Worten, die da aus dem Hörer sprudelten.

    „Sarah guten Morgen. Ich bin gerade bei Ben im Krankenhaus, aber da gibt es eine Sache, die kann man nicht am Telefon besprechen. Könntest du vielleicht einen Babysitter für die Kinder organisieren und dann her kommen?“ bat er sie und Sarah hätte beinahe höhnisch aufgelacht. Da hatte er vermutlich Recht-das war wirklich keine Sache, die man am Telefon besprach, wenn ein Mann seine Familie einfach so aufgab wegen einer anderen Frau. Aber das war ja klar gewesen, dass Semir zu Ben half und aus seinen Worten meinte sie zu schließen, dass er ihm auch nicht ins Gewissen reden würde, sondern ihm im Gegenteil helfen würde, die Trennung so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Vermutlich würde der Scheidungsanwalt schon mit einbestellt sein, wenn sie in der Klinik eintraf, aber da hatten sich die Herren geschnitten-die Kinder gingen vor, die würde sie keiner Fremden, nicht einmal Hildegard anvertrauen, solange die so krank waren! Ein krankes Kind brauchte seine Mama und mit Hilfe der unheimlich hilfsbereiten Flüchtlinge würde sie schon solange durchkommen, bis die beiden wieder genesen waren. „Semir, die Kinder sind schwer krank und ich warte hier gerade auf den Hausbesuch des Kinderarztes. Bevor die nicht wieder gesund sind, werde ich das Haus nicht verlassen und wie lange das dauert steht in den Sternen. Richte Ben bitte aus, dass die Welt sich nicht ausschließlich um ihn dreht und ich mich melden werde, sobald sich die Lage hier beruhigt hat!“ sagte sie äußerlich ruhig, obwohl sie innerlich zitterte bis ins Mark und legte dann schnell den Hörer auf. Als das Telefon erneut schellte und Semir´s Name auf dem Display erschien ging sie nicht mehr ran, sondern kümmerte sich liebevoll um ihre Zwerge, während Semir ein wenig fassungslos auf sein Handy starrte. Du liebe Güte-Sarah war wirklich sehr verletzt und irgendwie war er nicht dazu gekommen, etwas zu sagen oder zu erklären, sie hatte ihn gar nicht zu Wort kommen lassen und dass die Kinder schwer krank waren war ebenfalls eine beunruhigende Information. Konnte man das Ben mitteilen, oder würde er dann völlig zusammen brechen? Verdammt, jetzt brauchte er selber Unterstützung und darum war die nächste Aktion die Organisation eines Psychologen für Ben!

    Zunächst einmal ging er zur Stationszentrale und traf da auch zufällig auf den Stationsarzt. „Mein Freund ist ja schwer traumatisiert und ich denke, er bräuchte dringend einen männlichen Psychologen, könnte man da etwas anleiern?“ bat er und der Stationsarzt sah ihn ein wenig unglücklich an. „Ich bin da ganz ihrer Meinung Herr Gerkhan, allerdings haben wir ein kleines Problem. Die drei an unserer Klinik beschäftigten Psychologen sind alles Frauen und ich denke, die werden an Herrn Jäger nicht rankommen!“ sagte er und nun überlegte Semir und sagte dann: „Ich werde mal in unserer Dienststelle anrufen, vielleicht haben die eine passende Adresse!“ und der Arzt stimmte zu. „Allerdings wird das ein Problem geben mit der Kostenübernahme!“ warnte er-„die Klinikleitung wird nicht bereit sein ein externes Honorar zu entrichten, wenn wir doch drei Fachkräfte im Haus angestellt haben-und die Argumente die wir haben werden die nicht gelten lassen!“ sagte er, aber Semir winkte ab. „Ich glaube die finanzielle Frage ist das geringste Problem!“ antwortete er dem Stationsarzt und suchte sich dann erneut ein ruhiges Plätzchen um Susanne zu kontaktieren.

    Oh nein-Kevin zieht durch, was er sich in den Kopf gesetzt hat, aber er zahlt einen hohen Preis. Die einzige die davon nichts weiss, ist die Chefin, aber Semir und Ben sind sauer auf ihn, der Rest der Dienststelle verachtet ihn, aber am Schlimmsten ist die Sache mit Jenny.
    Du hast das unheimlich dicht beschrieben-ich war bei diesem trostlosen, furchtbar endgültigen Gespräch zwischen den beiden dabei, aber obwohl sie sich immer noch lieben, schaffen sie es nicht, sich das zu sagen und sich zu vertrauen. Jetzt hätte Kevin noch zurück gekonnt, aber ob das nochmal was wird zwischen den beiden, wenn er erst mal in Kolumbien war?
    Diese Tagebucheinträge sind sowieso immer klasse, da bringst du auf den Punkt, was Jenny gerade empfindet-die Arme! :(

    Das hätte ich jetzt nicht erwartet-Eva lebt! 8o Und sie gibt ihrer Kinder und Mikael´s wegen nicht auf, sondern kämpft sich leicht bekleidet frierend und erschöpft durch den Schnee.
    Mikael verbindet derweil Ben mit dem Verband, den er zuvor noch selber um den Bauch hatte. Aber bevor sie irgendwie tätig werden können, werden sie mit Gas betäubt-na ich hoffe zumindest nur betäubt und nicht vergast! ;(
    Eva kommt Gott sei Dank noch in der Zivilisation an, bevor sie ohnmächtig wird, aber auch wenn sie jetzt gerettet ist und vielleicht sogar Hinweise auf das Versteck geben kann-ich befürchte bis die Polizei dort aufkreuzt, sind Ben und Mikael verschwunden.
    Was um Himmels Willen hat Tonteri vor?

    Das war jetzt wirklich das reinste Selbstmordkommando von Mikael, aber ich denke auch, dass er jetzt erst Rache will, dann Ben retten und hinterher selber sterben. Mensch Mikael-deine Kinder brauchen dich! Auch wenn die Großeltern sich sicher rührend um sie kümmern, den Papa können sie nicht ersetzen, sondern du musst jetzt Mama und Papa zugleich für sie sein!
    Die Situation im Keller war beklemmend und intensiv geschildert, man kann die Handlungen aller Beteiligten gut nachvollziehen und spürt die Emotionen-Gänsehaut!

    Das war ein sehr intensives Gespräch zwischen Semir und Ben-und noch dazu in einer sehr vertrauten Situation-die beiden im Dienstwagen und über die Autobahn düsend.
    Ben versucht sogar Kevin´s Intention zu verstehen und sie Semir zu erklären, aber der ist selber zu traumatisiert und verletzt, als dass er für seinen jungen Kollegen auch nur einen Funken Verständnis aufbringen könnte. Er hat Kevin gerade neben Annie zum Hauptfeind Nr. Zwei erklärt, wobei ich das auch für übertrieben halte, die wahren Täter waren die Typen von der Sturmfront!
    Jetzt treten praktische Gedanken in den Vordergrund: Was wird die Chefin erfahren und von wem-hat das für Semir Konsequenzen, oder halten alle dicht? Was macht Kevin jetzt und Ben wäre es sogar lieb, wenn der jetzt nach Kolumbien abhauen würde, damit er Semir nicht mehr über den Weg läuft, bis sich die Wogen geglättet haben.
    Mich würde auch noch interessieren, was es jetzt zwischen Jenny und Kevin für ein Gespräch gibt-wenn es überhaupt dazu kommt, oder macht Kevin jetzt einfach zu und verschwindet, wie er es sein Leben lang gemacht hat? Ach was für eine Mistsituation für alle Beteiligten!

    Als Ben eingeschlafen war, löste sich Semir irgendwann von ihm, ging wieder ins Bett und wenn die Nachtschwester, die natürlich von ihren Kollegen informiert worden war, leise herein sah, zeugten leise Atemzüge, nur gelegentlich unterbrochen von Semir´s Husten oder Schniefen davon, dass zumindest Ben endlich einmal wieder ruhig schlafen konnte. Als er am Morgen erwachte, wusste er im ersten Moment gar nicht, was eigentlich Traum und was Realität gewesen war, aber als er dann im schemenhaften Morgenlicht Semir ein paar Meter von sich entfernt leise vor sich hin schnarchen hörte, ergriff trotz aller Probleme und Schmerzen ein warmes Gefühl von ihm Besitz. Das Versteckspielen hatte ein Ende-sein Freund würde ihm helfen, dass wieder alles in Ordnung kam. Voller Sehnsucht dachte er an Sarah und die Kinder. Wie gerne würde er jetzt gesund zuhause sein und einfach den Alltag wieder haben, aber das würde vermutlich noch ein Weilchen dauern. Auf dem Flur hörte man geschäftiges Treiben, es klirrte, ein gelegentliches Lachen, rollende Räder waren zu vernehmen, die typischen Krankenhausgeräusche eben und dann wurde auch schon die Tür geöffnet und die Frühschicht, in der sogar ein Pfleger heute Dienst hatte, betrat das Krankenzimmer. „Guten Morgen meine Herren!“ sagte er munter, um dann hinzu zu fügen: „Wie war die Nacht?“ und nun erst öffnete Semir verschlafen die Augen. „Auf jeden Fall zu kurz!“ knurrte er und nun musste Ben grinsen, denn normalerweise war er immer der Langschläfer und Semir war morgens munter und guter Laune, während er erst langsam und mit viel Kaffee in die Gänge kam.

    Während Semir im Bad verschwand, maß der Pfleger bei Ben den Blutdruck und den Puls, kontrollierte die Verbände und fragte dann: „Trauen sie es sich zu, nach dem gestrigen Tag zu duschen, oder soll ich sie lieber im Bett waschen?“ aber Ben schüttelte den Kopf: „Nicht waschen-bitte duschen, wenn das geht!“ kam es sehnsüchtig aus seinem Mund und so stöpselte der Pfleger die Infusion vorrübergehend ab, entfernte den Gilchristverband, den man nach der Uretersteinentfernung wieder angelegt hatte und klebte über sämtliche Pflaster, die die OP-Wunden bedeckten sogenannte Duschpflaster-dichte Folienpflaster, die die Verbände luft-und wasserdicht abdeckten. Als Semir, der sich nur kurz die Zähne geputzt und sich frisch gemacht hatte, aus dem Bad kam, saß Ben schon in einem Duschstuhl-das mit dem Laufen würde man erst später wieder probieren, nicht dass es zu anstrengend wurde. Der Pfleger schob seinen jungen Patienten hinaus, zog ihm das Shirt und die Unterhose aus, ohne dass er sich irgendwie wehrte und ließ ihn dann zunächst einmal alleine, damit er zur Toilette konnte, währenddessen er das Bett frisch bezog. Ben sog zwar scharf die Luft ein, als es wieder brannte wie die Hölle, aber dann putze er auch gleich seine Zähne und als wenig später das wohltuend warme Wasser auf ihn herunter prasselte, der Pfleger, der eine lange Plasikschürze angezogen hatte, ihm die Haare wusch und den Rücken mit seinem eigenen, wohlriechenden Duschgel abseifte, war das ein Gefühl wie Weihnachten und als er dann neue Pflasterverbände, ein frisches Shirt und eine Unterhose angezogen bekam, was Semir ihm inzwischen hergerichtet hatte, fühlte er sich gleich einmal besser und wenigstens am Körper hatte er gerade das Gefühl, dass er Estelle´s Geruch schon nicht mehr so stark wahrnehmen konnte.

    Als nun das Frühstück für sie beide gebracht wurde, wandte er sich allerdings angeekelt ab, Schleimsuppe, labbriges Toastbrot ohne Belag und Kamillentee-pfui Teufel. „Gibt’s nicht wenigstens Kaffee?“ fragte er hoffnungsvoll, aber der Pfleger schüttelte den Kopf: „Nicht bei Magengeschwüren, die müssen erst ein wenig abheilen, aber dazu sollten sie was essen!“ erklärte er, woraufhin Ben stumm den Kopf schüttelte. Semir saß derweil komplett angezogen und hungrig am Tisch und hatte fast ein schlechtes Gewissen weil er sich Kaffe mit Brötchen, Wurst und Marmelade schmecken ließ, aber er konnte ja auch nichts für Ben´s Magenprobleme. Auch er versuchte noch seinen Freund mit gutem Zureden davon zu überzeugen, wenigstens ein paar Löffel Suppe oder einen Bissen Toast zu sich zu nehmen, aber er stieß ebenfalls auf Granit.
    Nachdem das Frühstück abgeräumt war, bekam Ben erst einmal wieder eine Kurzinfusion mit Pantozol gegen die Geschwüre, dann ein Antibiotikum und zum Schluss schloss man wieder eine Glukoseinfusion mit Schmerzmittel darin an. Semir erhielt ebenfalls sein Antibiotikum und stellte fest, dass es ihm jeden Tag besser ging. Die Visite der Unfallchirurgen kam zu Ben, war aber ganz zufrieden, allerdings würde heute intensive Krankengymnastik notwendig sein, der nette Urologe von gestern sah danach kurz nach seinem Patienten, aber auch er hatte keinen Grund zur Beanstandung, nur der Gastroenterologe, der wenig später auch noch vorbei kam war unzufrieden: „Herr Jäger-warum essen sie denn nichts? Ihr Magen sieht aus wie eine Mondlandschaft. Die scharfe Magensäure, deren Bildung wir jetzt zwar medikamentös hemmen, würde dringend ein wenig Pufferung durch Schleime und milde Nahrung brauchen, dann könnten die Geschwüre und die Entzündung der Schleimhaut viel besser abheilen!“ versuche er ihm zu erklären, aber Ben sagte nur matt: „Ich kann nichts essen, mir wird sofort schlecht, wenn ich nur daran denke!“ behauptete er und daraufhin verließ der Internist schulterzuckend das Patientenzimmer. Semir sah seinen Freund stirnrunzelnd an. „Normalerweise bist du doch so verfressen und verträgst so ziemlich alles, warum bist du jetzt plötzlich so empfindlich?“ fragte er, aber Ben schwieg darauf. Wie sollte er das nur jemandem erklären, dass er dann Estelle schmeckte, deren Körpersäfte er leider gegen seinen Willen hatte ertragen müssen und es ihm jedes Mal hoch kam, er wusste doch selber wie irreal das war. Estelle war tot und keine Spur von ihr noch auf seinem Körper und trotzdem bekam er sie nicht los.

    „Semir-ich habe gestern den ganzen Tag nichts von Sarah gehört. Ich weiss-wir hatten vorgestern einen kleinen Disput, aber ich vermisse sie und die Kinder und mache mir Sorgen!“ fasste Ben sein nächstes Problem in Worte und Semir, der ja darüber ein wenig mehr wusste, setzte sich kurz an seine Bettkante. „Ben-wenn du damit einverstanden bist werde ich sie anrufen, allerdings weisst du glaube ich selber, dass du für deine heftige körperliche Reaktion auf Frauen, die vermutlich auch Sarah getroffen hat, vielleicht nichts kannst, aber da muss ein Fachmann ran, das vergeht denke ich nicht von alleine!“ sagte er leise und griff nach Ben´s Hand, dessen Augen sich nun mit Tränen füllten. „Aber Semir, ich will das doch gar nicht!“ versuchte er zu erklären und gerade kippte seine Stimmung wieder und eine tiefe Depression versuchte von ihm Besitz zu ergreifen. Semir allerdings drückte nun fest und tröstlich seine Hand und sagte: „Wir werden dir alle miteinander helfen und du wirst das schaffen, ich weiss das-so und jetzt kümmere ich mich um einen fähigen Psychologen und rufe Sarah an!“ sagte er entschlossen und mit viel Elan in der Stimme und ging dann aus dem Zimmer, um zu erledigen, was er sich vorgenommen hatte.

    Wenig später kamen zwei Schwestern zur Abholung und anders als normalerweise üblich, machte man die Übergabe nicht am Bett des Patienten, sondern im Raum daneben. Semir blieb derweil bei seinem Freund. Er vertraute darauf, dass der Urologe und der Pfleger die beiden schon von Ben´s Problem mit Frauen unterrichten würden und sonst würde er es auf Station nachholen. Anscheinend war das aber bereits geschehen, denn normalerweise hätten jetzt die Schwestern kurz die Decke gelüpft, man hätte nachgesehen, ob der Verband an der Flanke trocken war und ob der Patient gut lag, aber das machte nun der Pfleger alleine und erst als er Ben wieder zugedeckt hatte, holte er die beiden Frauen dazu und erklärte: „Der Verband ist trocken, alles in Ordnung!“ und sie akzeptierten dessen Aussage, ohne das mit eigenen Augen gesehen zu haben. Man fuhr zurück auf die Station, hängte noch eine frische Infusion mit einem Schmerzmittel darin an und stellte eine Urinflasche bereit und dann ließ man Ben einfach in Ruhe.

    Inzwischen war es früher Abend geworden und Ben war furchtbar erschöpft, hatte endlich keine Schmerzen mehr und fühlte sich von seinem Freund Semir so bewacht und umsorgt, dass er eigentlich gar nicht mehr richtig wach wurde, sondern nur den dringend benötigten Schlaf, den er seit der Entführung vermisst hatte, nachholte. Semir schlich sich einmal leise hinaus und besprach mit dem Stationsarzt und dem Pflegepersonal, was zu tun sei. „Wie ihnen ja der Urologe bereits mitgeteilt hat, vermuten wir-nein eigentlich wissen wir anhand der Spurenlage sogar sicher- dass mein Freund einen schweren Missbrauch erlitten hat. Anscheinend kann er seitdem keine Frau mehr in seiner Nähe ertragen!“ erklärte er und der Arzt und die Schwestern nickten. „Das erklärt Vieles! Heute Morgen war seine Ehefrau da und weil er auch ihr Auskunftssperre erteilt hatte, war sie am Boden zerstört und beleidigt. Er war wegen einer Behandlung gerade nicht im Zimmer, aber sie hat das als Vertrauensbruch gewertet und jeden Schlichtungsversuch meinerseits abgelehnt!“ berichtete er und jetzt war Semir auch plötzlich klar, warum er von Sarah nichts mehr gehört und gesehen hatte. Oh Mann-der Karren saß ganz schön im Dreck! Da wäre eine Menge Vermittlungsarbeit seinerseits vonnöten, damit man die Sache wieder in Ordnung bringen konnte.

    Inzwischen war es früher Abend geworden. Die Dunkelheit war über das verschneite Köln herein gebrochen und langsam beruhigte sich auch die Lage auf den Straßen, denn es hatte aufgehört zu schneien und die Rush-Hour war vorbei. Semir war gerade noch so durch gekommen, aber es war auch nicht sonderlich weit von seinem Haus zur Uniklinik, allerdings war er regelrecht froh gewesen, dass er krank war, denn in der PASt wäre jetzt vermutlich jeder verfügbare Mann im Einsatz um die Lage auf den Autobahnen in den Griff zu kriegen. Er aber rief nach kurzer Überlegung Andrea an: „Schatz-ich werde heute Nacht bei Ben bleiben, mir geht es wieder gut, allerdings bräuchte ich den Namen des Antibiotikums, den habe ich mir nicht gemerkt!“ bat er sie und wenig später gab Andrea den durch. Semir wandte sich wieder an die Schwestern: „Wäre es möglich, dass ich bei meinem Freund über Nacht bleibe? Ich bekomme allerdings selber gerade ein Antibiotikum, das ich weiter nehmen müsste und möchte meiner Frau jetzt nicht zumuten, noch durch die Stadt zu kutschen, um mir das zu bringen!“
    „Kein Problem, Herr Gerkhan!“ beruhigte ihn die leitende Pflegekraft. „Wenn sie das bezahlen, stellen wir ihnen sogar ein Bett ins Zimmer-sie können das als Begleitperson buchen und bekommen dann auch Essen und Toilettenartikel von uns und das Medikament haben wir selbstverständlich da-sie bekommen das jetzt von uns sozusagen ausgeliehen und wenn sie uns dann die Tabletten in der Blisterverpackung zurück geben, stellt das keine Schwierigkeit dar!“ erklärte sie und wenig später war Semir wieder bei Ben, der inzwischen aufgewacht war und sich schon gefragt hatte, wo er war.
    „Hey-wie fühlst du dich?“ fragte er und nachdem Ben in sich hinein gehört hatte antwortete er ehrlich: „Eigentlich beschissen, aber erstens bin ich froh dass du da bist und zweitens geht’s mir trotzdem besser wie vor dem Eingriff, ich habe keine Koliken mehr!“ antwortete er wahrheitsgemäß. Durch die ganzen Opiate war er ein wenig durcheinander und konnte sich an die Einzelheiten der letzten Stunden nicht mehr genau erinnern, allerdings zwickte seine Flanke, die Schulter tat weh und auch das dumpfe Pochen in seinem operierten Bein war beständig zu spüren, genauso wie sein Unterkörper brannte. Trotzdem fühlte er sich besser, allerdings war ihm immer noch übel und als Semir ihm die Schleimsuppe und das Weißbrot anbot, was die Schwestern auf dem Tablett am Tisch abgestellt hatten, mitsamt einer Käseplatte, Brot und Tee für ihn selber, wandte er sich voller Ekel ab. „Semir ich kann nichts essen!“ sagte er und ließ sich auch nicht überreden, wenigstens einen kleinen Löffel zu probieren. Allerdings erhellten sich seine Gesichtszüge als nun ein zweites Krankenhausbett herein gefahren wurde. „Ich bleibe heute Nacht bei dir!“ erklärte Semir und Ben sagte nur ein Wort und die Erleichterung war ihm deutlich anzumerken: „Danke!“

    „Wo ist Sarah?“ fragte der dunkelhaarige Polizist nachdem er eine Weile an die Decke gestarrt hatte und Semir antwortete wahrheitsgemäß: „Ich weiss es nicht-soll ich sie anrufen?“ fragte er dann, aber Ben schüttelte den Kopf. Er hatte das Gefühl er müsse das selber machen, aber dazu fehlte ihm momentan die Kraft. Auch wenn man es ihm gegenüber nicht explizit erwähnte-keine Schwester kam ihm gerade näher als ein paar Meter, nur Semir war um ihn herum und weil auf der Station heute kein Pfleger im Dienst war, liehen sich die Pflegekräfte von der Nachbarstation kurz einen Mann aus, der Ben am Abend frisch machte, die Verbände kontrollierte und fragte, ob er schon gepinkelt hatte, was er verneinte. Falls das nicht klappte würde man ihn einmalkathetern, aber als man ihn jetzt eine Weile alleine im Zimmer ließ, benutzte er doch unter Schmerzen-das brannte nämlich ganz ordentlich-die Urinflasche und so hatte er vorerst mal seine Ruhe.
    Semir schlüpfte danach in Unterhose und Shirt in sein Bett und als sie das Licht gelöscht hatten, hörte der Deutschtürke dass sein Partner nicht schlief und ohne lange nach zu denken sagte er: „Ben-du musst dir nicht überlegen, wie du mir etwas vorspielen kannst, ich weiss, dass du von Estelle sexuell aufs Übelste missbraucht wurdest!“ ohne näher auf Einzelheiten einzugehen und als Ben nun zu schluchzen begann, krabbelte er wieder aus dem Bett, kam näher und nahm seinen jungen Partner wortlos und tröstend in die Arme, bis der eine halbe Stunde später erschöpft einschlief.