Beiträge von susan

    "Semir, als mich die beiden Wrestler gekidnapped hatten, bin ich erst wieder so richtig zu mir gekommen, als ich in dieser Wohnung auf einem Bett lag. Sie hatten mich mit Handschellen an Hand- und Fußgelenken darauf gefesselt und als ich dann Estelle gesehen habe, war ich zunächst einmal sogar beruhigt. Ich konnte mir schon zusammen reimen, dass sie es auf mich abgesehen hatte, aber das ganze Ausmaß war mir da noch in keinster Weise bewusst. Sie hatten mich ja betäubt, ich kann mich nur noch nebulös daran erinnern, dass mich diese beiden Typen in einen Rollstuhl gesetzt haben, wäre da aber zu keiner Gegenwehr fähig gewesen. Dieses blöde Mistmedikament macht einen schläfrig und völlig willenlos, ich konnte kaum zwischendrin meine Augen kurz aufmachen.
    Ich weiss nicht, wie lange ich da gelegen hatte, als ich jedenfalls richtig aufgewacht bin, habe ich Estelle im Nebenzimmer mit den beiden Männern lachen und scherzen gehört. Irgendwann zuvor haben sie mir noch diesen Schulterverband ausgezogen und die Drainage einfach raus gerissen, aber das habe ich nur am Rande mitgekriegt. Es waren Geräusche zu hören, als würden die gemeinsam essen und ich konnte auch Bruchstücke ihrer Unterhaltung verfolgen. Estelle hat mich allerdings den beiden Typen für die nächste Nacht versprochen und da ist mir ganz anders geworden, allerdings hatte ich vor Estelle keine große Angst-was sich im Nachhinein als großer Fehler heraus gestellt hat.“

    Ben fasste nun kurz nach seinem Wasserglas und trank einen Schluck, bevor er sich wieder in sein Kissen zurück fallen ließ und langsam weiter sprach. Semir war immer noch wie ein Fels in der Brandung neben ihm und hörte einfach zu und irgendwie war das einfach in Ordnung so-Ben musste sich jetzt unbedingt seinen Kummer von der Seele reden, sonst würde er platzen!
    „Als Estelle zu mir kam, habe ich mich erst mal schlafend gestellt, aber sie hat mir dann auf den Kopf zugesagt, dass das Betäubungsmittel jetzt nicht mehr wirkt und so habe ich getan, als würde ich gerade wach werden. Sie hat sich erst selber bis auf die Dessous ausgezogen und mir dann mit einem scharfen Messer die Kleider vom Leib geschnitten. Ich hatte mir dann überlegt, dass ich sie am besten mit Reden ablenken könnte, bis ihr mich gefunden habt und so habe ich ihr erklärt, dass ich zur Toilette müsse, was zwar auch gestimmt hat, aber noch nicht so dringend gewesen wäre. Sie hat dann einen ihrer Lakaien, die sich zuvor lautstark im Nebenzimmer vergnügt hatten, geholt und der hat mich aufs Klo gebracht und darin sogar alleine gelassen, was mir die Möglichkeit zur Flucht gegeben hat. Ich bin aus dem Fenster und habe verzweifelt versucht zu fliehen, aber sie haben mich kurz danach wieder eingefangen, k.o. geschlagen und als ich wieder zu mir gekommen bin, lag ich wieder im Streck auf dem Bett und hatte einen Knebel im Mund. Und dann hat mein persönliches Martyrium begonnen und Semir-wusstest du, dass man als Mann mit einer Spritze in sein bestes Stück gegen seinen Willen zum Verkehr gezwungen werden kann? Estelle hat unsägliche Dinge mit mir angestellt, mich mit ihren Händen, aber auch dem Sexspielzeug und der Peitsche traktiert und jede erdenkliche Perversion mit mir ausprobiert und ich lag nur da und musste es über mich ergehen lassen-etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte!“ weinte Ben inzwischen und nun zog ihn Semir in seine Arme.
    „Ben-du musst auch nicht in die Tiefe gehen, quäl dich nicht-wir haben deine und ihre DNA an den ganzen Dingen gefunden und das war sozusagen selbsterklärend, was sie alles mit dir angestellt hat, aber diese Details sind auch nicht wichtig, außer du möchtest mir die wirklich genau erzählen, wenn es dich erleichtert!“ beruhigte er seinen Freund, woraufhin der den Kopf schüttelte. „Diese Frau war einfach böse und pervers und hat ihre gerechte Strafe bekommen, wie alle anderen Beteiligten auch, aber du darfst dich jetzt von ihr nicht zerstören lassen. Lass sie nicht gewinnen und die Macht, die sie über dich haben wollte, über ihren Tod hinaus wirken, sondern biete ihr die Stirn und räche dich an ihr, indem du sie nicht dein weiteres Leben bestimmen lässt. Du bist stark und wirst mit meiner und der Psychologenhilfe da drüber hinweg kommen. Du wirst dein altes Leben mit deiner Familie, mit Sarah und den Kindern wieder leben, und daran auch Spaß haben. Du wirst mit mir über die Autobahn düsen und auf die Krüger schimpfen, Autos schrotten und mit Lucky über die Felder joggen, denn du bist stark und mein Freund-ich weiss das einfach!“ beschwor ihn Semir und nach einem schwachen: „Meinst du wirklich?“ schloss Ben nun die Augen, was Semir im Halbdunkel schwach erkennen konnte.
    „Weisst du was-ich glaube uns beiden dürfte jetzt eine Mütze voll Schlaf ziemlich gut tun!“ offerierte Semir und Ben, der gerade dabei war, langsam ins Nirwana abzudriften, nickte müde. So stahl sich Semir wenig später in sein eigenes Bett und die tiefen Atemzüge seines Freundes verrieten ihm, dass er nun tatsächlich eingeschlafen war. Semir war überzeugt davon, dass es ein gutes Zeichen war, dass Ben über die schrecklichen Dinge jetzt sprechen wollte-es war zwar vielleicht nur ein kleiner Schritt, aber er ging in die richtige Richtung und Semir hoffte nichts mehr, als dass es ab sofort mit seinem Freund aufwärts ginge er hätte es nach dieser ganzen Sch… mehr als verdient!

    Auch Sarah hatte eine gute Nacht und begann am nächsten Tag nach einer belebenden Dusche, bereits wieder im Haus herum zu wandern. Heute kam auch Hildegard, die schon die ganze Zeit ihre Hilfe angeboten hatte, aber Sarah hatte sie nicht anstecken wollen und außerdem waren ja die Kinder und sie durch die Afrikaner bestens versorgt gewesen. Nur Lucky freute sich unbändig als sein Hundefreund zum Spielen kam und die beiden tobten erst mal eine ganze Weile durch den Schnee, der immer noch im Garten lag. Auch Tim, der bereits den dritten Tag fieberfrei war, war nun nicht mehr zu halten und durfte warm eingepackt mit seiner Ziehoma einen Schneemann bauen. Sarah hatte am Morgen kurz mit Semir und dann mit Ben gesprochen. Ihr Mann machte heute einen wesentlich besseren Eindruck am Telefon als am Vortag und dass es den Kindern und ihr wieder besser ging, freute ihn wirklich, wie sie an seiner Stimme hörte. Am Nachmittag überlegte sie kurz, einfach in die Klinik zu fahren und mit Mundschutz Ben zu besuchen, aber Gott sei Dank rief sie zuvor noch Semir an. „Sarah-der Psychologe ist gerade bei Ben!“ teilte der ihr mit. „Ich denke nicht, dass es euch beiden schon was bringen würde, euch zu sehen-lass das den moderieren! Ich werde ihm nachher deine Nummer geben und ihn bitten, dich anzurufen!“ sagte Semir und tatsächlich bekam Sarah eine Stunde später einen Anruf von einem- auch am Telefon schon sehr sympathisch wirkenden- Mann.
    „Frau Jäger-wir stecken gerade mitten in der heißen Phase der Therapie und ich rufe sie jetzt im Auftrag ihres Mannes an. Ich habe gehört, dass sie Krankenschwester sind und gerade als Fachfrau möchte ich sie bitten, sich noch ein wenig zu gedulden. Wenn ihr Mann ihren Besuch möchte und psychisch so weit ist, wird er sich mit ihnen in Verbindung setzen-ich denke auch nicht, dass das noch lange dauern wird, aber das Tempo gibt er vor und ich werde auch bei ihrem ersten Zusammentreffen dabei sein, das moderieren und bitte sie dann auch, sich darauf einzulassen. Denken sie daran-er ist schwer traumatisiert und wir müssen ihn im Augenblick behandeln wie ein rohes Ei, ansonsten ist ein Rückfall vorprogrammiert. Wenn sie ihn wirklich lieben-nehmen sie sich zurück und haben sie Geduld, dann wird alles wieder ins Lot kommen!“ beschwor er sie und Sarah willigte ein-anscheinend wusste dieser Therapeut sehr genau was er tat, auch sie konnte ihm vertrauen und das war gut so!

    Aha mein Verdacht war richtig-Hugo hat seinen Komplizen getötet und versucht jetzt den Mord Mikael in die Schuhe zu schieben, was bisher ja auch gut gelungen ist! Also hat er auf jeden Fall Hilfe aus den Reihen der Polizei, der die Waffen vertauscht hat! Mir graut, dass es für einen derart skrupellosen Mörder anscheinend total einfach ist, wieder einen neuen Komplizen zu finden und dass die finnische Polizeitruppe anscheinend immer noch korrupt ist-nicht nur die ehemalige Drogenfahndung!
    Mikael´s Freunde, Ben eingeschlossen ermitteln derweil in seinem alten Wohnviertel, wo er sogar aus vielleicht nostalgischen Gründen noch eine Wohnung unterhält, aber momentan haben sie auch da keine neuen Erkenntnisse, aber solheim hilft tatkräftig dazu, den Fall zu lösen und den wahren Mörder hinter Gitter zu bringen!

    Das klärende Gespräch zwischen Jenny und Kevin fällt aus-sie lässt ihn schlafen und erst als sie in der Past dann rückwärts isst, bringt sie Andrea auf den Gedanken mit der Schwangerschaft. Ich denke die Pille ist ne sehr sicher Verhütungsmethode-man muss sie nur regelmäßig nehmen und mit dem Schichtdienst ist das oft nicht so einfach!
    Ich stimme da Sabrina zu-Kevin wäre sicher ein guter Vater, ich weiss gar nicht, warum sich da die Leute immer so viele Gedanken machen-wenn man immer darauf wartet bis alles perfekt ist, bis man Kinder in die Welt setzt, kann man bis zum St. Nimmerleinstag warten! Die modernen Möglichkeiten der Familienplanung sind nicht immer nur von Vorteil. Allerdings würde ich mir an Jenny´s Stelle ganz schnell Gewissheit holen, ob beim Arzt oder mit nem Test aus der Apotheke-ich befürchte nämlich, Kevin sitzt schon im Flieger, bis sie ihm die umwerfende Neuigkeit sonst verkünden kann-vielleicht würde er dann nochmals umdisponieren!
    Und nein Jenny-denk nicht an Abtreibung, da kommst du nie drüber weg und dann hast du Kevin für immer verloren!

    Semir warf einen besorgten, aber auch zufriedenen Blick auf seinen Freund. Er hatte das gute Gefühl, dass der die Talsohle überwunden hatte und jetzt wieder begann, seine Probleme selber in die Hand zu nehmen. Andrea hatte in seine Tasche ein Buch eingepackt und ein wenig widerstrebend holte er es heraus. Das Lesen von Büchern war normalerweise nicht so seines-er war ein Mann der Tat-das Lesen und Verfassen der Berichte genügte ihm im Alltag und vielleicht blätterte er manchmal auch noch durch ne Autozeitschrift, aber so zog er aufseufzend den Krimi, den Andrea ihm eingepackt und den sie ihm zuhause schon angepriesen hatte, weil er ihr so gut gefallen hatte, heraus, legte sich damit auf sein Bett- und war nach wenigen Minuten eingeschlafen. Als er erwachte, wusste er momentan überhaupt nicht wo er war, denn mit breitem Grinsen stand die halbe PASt in ihrem Zimmer, um die Kollegen zu begrüßen. Jenny und Bonrath, Hartmut, Susanne, ja sogar die Chefin hatten den Weg in die Klinik gefunden. Sie hatten einen hübsch dekorierten Fresskorb dabei, in dem lauter leckere haltbare Sachen und unter anderem auch ein paar Flaschen Bier zu finden waren. „Ben-wenn du das vielleicht auch noch nicht gleich essen und trinken darfst, aber irgendwann kommt der Tag, an dem dir diese Sachen wieder schmecken!“ erklärte Bonrath gerade und stellte den Fresskorb auf Ben´s Nachtkästchen ab. Keiner der Anwesenden versuchte ihm die Hand zu schütteln und Hartmut bemerkte beiläufig: „In der PASt geht gerade ein Virus rum-wir wollen euch nicht anstecken und deshalb verzichten wir gerade generell auf Shake-Hands!“ und nun stiegen Semir beinahe vor Rührung die Tränen in die Augen. Egal wie sie es erfahren hatten-so wurde Ben nicht bloß gestellt und über die Anwesenheit seiner Kollegen freute er sich ja durchaus.

    „Jetzt seht mal zu ihr beide, dass ihr wieder fit werdet, wir vermissen euch schon und könnten eure Unterstützung dringend gebrauchen-wir haben die letzte Reserven mobilisiert und Hartmut muss sogar mit einem Arm am PC sitzen, das ist die richtige Dienstauffassung!“ erklärte Susanne und Hartmut beeilte sich jetzt zu versichern, dass ihm zuhause die Decke auf den Kopf fallen würde und er durchaus freiwillig in der KTU wäre. „Na ja meine Herren-so angespannt ist unsere Personalsituation jetzt nicht-ich freue mich natürlich, wenn sie wieder gesund sind und uns unterstützen, aber so halbtot nützen sie uns auch nichts. Erst einmal gesund werden und dann dürfen sie wieder kommen!“ wiegelte die Chefin ab und nach ein wenig Smalltalk, verabschiedete sich das Trüppchen mit Winken und dann waren Semir und Ben wieder alleine im Zimmer. Das Abendessen wurde serviert, aber so sehr sich Ben auch bemühte-er hatte nämlich eine völlig normale Suppe in seiner Schüssel, aber er brachte nichts außer Wasser runter. Semir beobachtete ihn mit gerunzelter Stirn: „Dein Bauch verträgt das Essen ja anscheinend, aber warum bringst du nichts runter?“ wollte er wissen und Ben wurde für einen Moment blass, schloss die Augen und schob die Suppenschüssel weg. „Weil das alles nach Estelle schmeckt-vielleicht hat in der Küche jemand das selbe Parfüm wie sie!“ vermutete er, aber Semir schüttelte den Kopf. „Ben-ich weiss, wie nahe du ihr gekommen bist, ohne das zu wollen, du musst das vor mir nicht zu verbergen suchen und am Parfum liegt das sicher nicht!“ erklärte er seinem Freund und dem kullerten nun ein paar vereinzelte Tränen aus den Augen. „Ach Semir-ich will doch nur wieder ganz gesund werden und habe mich auch sehr über den Besuch gerade gefreut-und trotzdem hatte ich die ganze Zeit Sorge, dass mich eine der Frauen zu berühren versucht, wie soll denn das noch werden-und ich habe immer noch Angst, dass ich Sarah wieder vor den Kopf stoße und diesmal endgültig, so dass die nie mehr wieder was mit mir zu tun haben will!“ erklärte er und Semir setzte sich, nachdem er sein Abendessen verputzt hatte ans Bett seines Freundes:
    „Hör mal-genau deshalb bist du jetzt in psychologischer Behandlung, aber das wird eben auch seine Zeit brauchen. Immerhin war der Psychodoc auch erst zweimal da-und der sieht das ganz positiv!“ versuchte er Ben zu trösten und der wischte sich eine vereinzelte Träne aus dem Augenwinkel: „Na du kennst mich doch-Geduld ist nicht meine Stärke!“ erklärte er dann und da konnte sein Freund nicht wiedersprechen.

    Wenig später läutete Semir´s Telefon und Sarah war dran: „Hallo Semir-kannst du mir mal Ben geben-und vielleicht sollten wir ihm endlich mal selber wieder ein Telefon besorgen!“ sagte sie, wobei Ben sowas eigentlich immer selber machte-er hatte da zu seinem aktuellen Handy immer spezielle Vorstellungen. Semir allerdings dachte noch bei sich, dass das vielleicht gar nicht so blöd war, wenn er sozusagen aktuell noch als Sekretär die Vorauswahl der Gesprächspartner treffen würde und so wiegelte er das ein wenig ab. „Ja Ben denkt schon darüber nach, aber gib ihm noch ein wenig Zeit!“ sagte er, um dann das Handy weiter zu geben. „Hallo Schatz!“ rief Sarah voller Liebe in den Hörer. „Ich habe jetzt ein Antibiotikum, habe den halben Tag verschlafen und fühle mich schon deutlich besser-wie geht’s dir?“ fragte sie dann und Ben antwortete nach kurzer Überlegung: „Körperlich fühle ich mich ein wenig wohler, aber ansonsten bin ich immer noch nicht ich selber!“ sagte er und obwohl die Barriere zwischen ihnen beiden nicht mehr ganz so hoch war, war Ben dennoch reserviert und hatte fast im selben Moment Angst, dass Sarah, wenn es ihr nun besser ging, in der selben Minute ins Auto stürzen und zu ihm fahren würde. So sehr er sich normalerweise über ihren Besuch gefreut hätte, aber wenn er jetzt nur daran dachte, dass sie ihn umarmen würde, stellten sich seine feinen Körperhärchen auf und er erschauerte. Und wie sollte er ihr nur erklären, dass er mit Estelle intim geworden war-zwar gegen seinen Willen, aber würde ihm das irgendwer glauben? Er selber hätte so eine Aussage eines Mannes dienstlich einfach als Humbug abgetan-entweder der hatte mit einer Frau geschlafen-im gegenseitigen Einvernehmen, oder wenn nicht, dann war das Opfer die Frau, denn er hätte gedacht, eine Erektion käme nur zustande, wenn der Mann auch Lust empfand-allerdings war er eines besseren belehrt worden.
    „Sarah-ich bin müde und möchte jetzt schlafen!“ sagte er deshalb unvermittelt, weil ihm gerade alles zu viel wurde und legte auf, während seine Frau unglücklich auf ihr Handy starrte-du liebe Güte-was hatte denn Ben nun schon wieder? Allerdings gebot sie sich dann selber Einhalt. Nein sie würde jetzt nicht zornig werden, er war traumatisiert und brauchte Liebe und Verständnis! Kurz spielte sie noch mit dem Gedanken, Semir anzurufen, aber dann entschied sie sich für eine SMS, denn Semir verweigerte bisher Whats App. „Ich wünsche euch beiden eine gute und erholsame Nacht und hoffe, dass es Ben bald besser geht-sag ihm, dass ich ihn liebe, egal was auch geschehen sein mag!“ schrieb sie und als Semir seinem Freund wenig später vorlas, was Sarah gepostet hatte, kam der doch ein wenig runter und konnte am Abend schon fast alleine zum Bad humpeln, nachdem man vorübergehend seine Zugänge alle abgestöpselt hatte. Der Körper genas-aber die Seele hinkte noch gewaltig hinterher!

    Als das Licht gelöscht war, verrieten die gegenseitigen Atemzüge den beiden Freunden, dass noch niemand eingeschlafen war. Semir nutzte nun die Ruhe und den Schutz der Dunkelheit und fragte Ben ruhig: „Magst du mir erzählen, was Estelle dir angetan hat-ich meine nur-vielleicht hilft es dir, darüber mit jemandem zu sprechen, den du kennst, wobei der Psychologe da sicher auch der Richtige ist-also ich dachte nur-falls es dir gut tut! Und Ben, ich möchte keine Heimlichkeiten vor dir haben, deshalb muss ich dir sagen, dass Hartmut und ich sogar anhand der Spurenlage ziemlich detaillierte Einblicke haben, was dir Estelle in der Zeit deiner Entführung angetan hat. Er ist mit den ausgewerteten Spuren zu mir gekommen und außer uns dreien weiss niemand über die Vorkommnisse Bescheid-Hartmut ist offiziell einfach noch nicht dazu gekommen, einen Bericht zu verfassen-außerdem ist ja die Täterin tot, also besteht da kein öffentliches Interesse, man könnte sowas auch unter den Tisch fallen lassen. Ich denke, es ist vor allem für dich wichtig, damit du an diesem Wissen nicht erstickst und ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, ob Sarah oder irgendjemand anderer davon erfahren sollte, da würde ich den Fachmann fragen. Allerdings ist dein Leben in meinen Augen massiv eingeschränkt, wenn du mit Frauen nicht normal verkehren kannst-ich habe deine Angst gespürt, als die Kolleginnen da waren und die Gänsehaut gesehen, als du mit Sarah telefoniert hast. Also wenn du magst-erzähl ruhig, wenn es dir gut tut, aber wenn nicht, dann versuch zu schlafen!“ beendete er seinen Monolog und als Ben nun nach kurzer Überlegung leise und mit belegter Stimme zu erzählen begann, stand Semir nach einer Weile auf, setzte sich auf seinen Bettrand und drückte ganz fest seine Hand. Ben sollte wissen, dass er nicht alleine war-zu schrecklich war einfach das, was er sich gerade von der Seele redete.

    Ben hält nichts mehr im Krankenhaus-er muss jetzt dabei helfen, seinen Freund zu entlasten und den wahren Mörder zu suchen! Auch Veikko pfeift auf seine Schmerzen-also Semir das wäre nicht nötig gewesen, ihn in seine verletzten Rippen zu pieken! X(
    Immerhin steht der oberste Chef der Mordkommission hinter Mikael´s Freunden und hat den damals-sogar gegen den Willen Antti´s dorthin geholt! Der erinnert mich irgendwie an Anna Engelhardt in seinem Gehabe! Na hoffentlich kommen sie bald voran!
    Im Knast hat Mikael derweil Kontakt mit Menschen aus seiner Vergangenheit, die ihm nicht übel gesinnt sind!
    Oh es gab eine Razzia und merkwürdigerweise wird nun auch der Verkäufer von Mikael´s Waffe tot aufgefunden. Allerdings zermartere ich mir immer noch den Kopf, wie die das gemacht haben mit dem Austausch der Mordwaffe. :|

    Zuerst überlegte er kurz, aber dann holte er doch ein wenig aus. „Das erste Mal, dass ich Estelle Winkler gesehen habe, war bei einer Verkehrskontrolle im Spätherbst des vergangenen Jahres. Sie war eine sehr attraktive Frau-so eine dunkle, glutäugige Schönheit-ich habe sie angestarrt, als sie aus ihrem Ferrari gestiegen ist und sie war da sichtlich geschmeichelt, während ich Blödmann meine Augen nicht unter Kontrolle hatte. Durch Zufall haben wir uns im Skiurlaub wieder getroffen und da hing sie an mir wie eine Klette und hat die ganze Zeit versucht, sich an mich ran zu machen, doch ich hatte nie vor, irgendein Verhältnis anzufangen, denn ich liebe Sarah, aber sowohl die war eifersüchtig, als vor allem auch Estelle´s Mann. Der besonders war da anderer Meinung und dieser Winkler hat mehrere Mörder auf mich angesetzt, die in den nächsten Tagen alle versucht haben, mich zu töten, was ihnen auch beinahe gelungen wäre-ich glaube, das hat ihnen mein Freund Semir erzählt, da müssen wir auch nicht mehr näher darauf eingehen.“ sagte der junge Polizist.
    Nun stellte der Psychologe eine Zwischenfrage: „Was haben sie gefühlt, als diese Attentate auf sie verübt wurden?“ und nach kurzem Nachdenken antwortete Ben: „Fakt ist-das hat weh getan, vor allem körperlich, ich war auch voller Trauer, weil mehrere unschuldige Menschen infolge dieser Racheakte gestorben sind, ich hatte Angst zu sterben und vor neuerlichen Attentaten, vor allem weil wir uns zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellen konnten, was der Grund für die Mordversuche war, aber es war trotzdem wie so viele Male vorher, wenn ich in Lebensgefahr war-ich habe völlig normal empfunden, was wohl jeder andere in meiner Situation auch gefühlt hätte-Furcht, manchmal aufkommende Panik, Kummer, aber auch einen unbändigen Lebenswillen. Außerdem haben sich alle rührend um mich gekümmert, meine Frau und auch Semir, mein bester Freund, haben mich keine Sekunde aus den Augen gelassen, mich unterstützt, getröstet und gepflegt, ich habe mich sehr aufgehoben gefühlt und einfach darauf gewartet, dass es mir körperlich besser geht und ich endlich wieder nach Hause kann.

    Hier in der Uniklinik wurden dann ja nochmals zwei Attentate auf mich verübt, die aber von Hartmut, einem Freund und Kollegen das eine und Semir, der Winkler persönlich erschossen hat, als der mich umbringen wollte, das zweite, vereitelt wurden. Erst da sind uns die Zusammenhänge klar geworden, aber mit dem Tode Winklers haben wir auch gemeint, dass die Gefahr nun nicht mehr besteht.
    Wer hätte auch gedacht, dass diese Estelle es doch so ernsthaft auf mich abgesehen hat, dass sie zwei Verbrecher gedungen hat, die mich betäubt und hier aus dem Krankenhaus entführt haben. Zuvor hat sie noch versucht mit einer Autobombe meine Frau und meine Kinder aus dem Weg zu räumen, die das nur durch das Eingreifen guter Freunde überlebt haben-mein kleiner Sohn hat sich dabei sogar den Arm gebrochen! Auch da war ich erst einmal empört, hätte mich ohrfeigen können, dass ich diese Gefahr nicht erwartet hätte, aber als sie mich dann in der Wohnung, wo sie mich hingebracht hatten, begonnen hat, sexuell zu belästigen, habe ich es mit ganz anderen Gefühlen zu tun bekommen. Ich hätte immer gedacht, dass mich niemand brechen kann und wenn man mir auch körperlich weh getan hat-ich bin im Laufe meines Berufslebens schon mehrfach gefoltert worden, sogar lebendig begraben und beinahe ertränkt wurde ich schon-ich dachte immer-da ganz tief in mir drin, da bin ich und dieses Ich ist stark und das kann niemand zerstören, auch nicht wenn man mich tötet, leider ist es Estelle glaube ich gelungen!“ sagte er traurig und nahm erst einmal einen Schluck Wasser und hing seinen Gedanken nach.

    Sehr freundlich und einfühlsam fragte Philip Schneider nach: „Wie geht es ihnen gerade-sollen wir hier einen Cut machen und uns morgen weiter unterhalten? Immerhin durchleben sie ja gerade in ihrem Unterbewusstsein diese ganzen Gefühle noch einmal und auch wenn sie das so lapidar abtun-für mich ist Todesangst eine Emotion, die man normalerweise ja nicht so oft in seinem Leben fühlt und sie versuchen mir gerade zu erklären, dass das für sie sozusagen Routine ist-was ich fast nicht glauben kann!“ Ben dachte eine Weile über das Gesagte nach und antwortete dann: „Da mögen sie Recht haben, aber irgendwie ist das zwar schlimm, aber nicht das, was mir aktuell am meisten zu schaffen macht und gerade die Tatsache, dass meine Frau das anscheinend nachvollziehen kann, gibt mir neue Hoffnung, dass es vielleicht wenigstens wieder ein bisschen so werden kann wie früher-verstehen sie-ich will, ich will“ rang er nach Worten, um dann heraus zu platzen: „Ich will meine Unbeschwertheit wieder zurück haben!“ und ohne ein Wort griff nun der Psychologe nach seiner Hand und merkte, dass Ben im Augenblick die körperliche Berührung nicht unangenehm war.
    „Wissen sie Herr Jäger-als Sexualtherapeut habe ich zwangsläufig viel mit den Opfern von Vergewaltigungen zu tun, denn darin liegen sehr häufig die Gründe für Störungen in diesem Bereich, auch wenn die oft schon Jahre zurück liegen und verdrängt wurden. Zwangsläufig sind meine Patienten häufig Frauen, aber eben auch manchmal Männer, wobei die meisten Männer von anderen Männern vergewaltigt wurden. Aber genau das, was sie da gerade –übrigens sehr gut- in Worte gefasst haben, ist das, was alle Vergewaltigten gemeinsam haben: Ihnen wurde ihre Unschuld, oder wie sie es ausdrücken, ihre Unbeschwertheit genommen und ich glaube danach ist nie mehr alles genau so, wie es früher war. Aber man kann wieder Freude am Leben, auch Freude an der Sexualität empfinden, nach so einem Vorfall und ich werde ihnen dabei helfen, denn das ist mein Beruf-und ehrlich gesagt, auch meine Berufung!“ erklärte er und nach einer kurzen Zeit des Nachdenkens merkte Ben jetzt erst, wie erschöpft und ausgelaugt er sich fühlte. Beinahe fielen ihm die Augen zu und der Psychologe sagte sanft, während er Ben´s Hand wieder los ließ: „Egal was sie heute noch vorhatten mir zu erzählen-wir machen hier und jetzt Schluss. Ruhen sie sich aus und morgen machen wir an diesem Punkt weiter, aber ein Anfang ist gemacht und darüber freue ich mich sehr und hey!“ warf er noch kurz ein und Ben öffnete mit Mühe seine Augen: „Sie werden das schaffen-ich weiss es!“ munterte er ihn auf und nun zog ein kleines Lächeln über Ben´s Züge. Noch während der Psychologe nun nach seiner Bomberjacke griff, verrieten allerdings seine regelmäßigen Atemzüge, dass er eingeschlafen war und leise verließ der Therapeut das Krankenzimmer.
    Draußen stürzte Semir regelrecht auf ihn zu und fragte, bereits mit der Hand auf der Klinke nur: „Und?“ und der Psychologe antwortete mit einem feinen Lächeln: „Es läuft-morgen geht’s weiter!“ und nun war auch Semir fürs Erste zufrieden.

    Kevin!!! Jetzt muss er sich doch tatsächlich das Geld von dem Drogendealer pumpen, weiss eigentlich überhaupt nicht wohin, aber trotzdem schafft er es nicht, über seinen eigenen Schatten zu springen und zumindest einmal in Ruhe mit Jenny und seinen Freunden zu reden! Freilich geht es Annie wahrscheinlich schlecht, aber ob er da der einzige ist, der ihr helfen kann? Vermutlich nicht! Wenigstens widersteht er den Drogen-zumindest heute-und schläft eine letzte Nacht neben Jenny.
    Semir kann derweil nicht schlafen und als Andrea das merkt, kommt sie sofort zu ihm! Ja das ist der Unterschied-zwischen denen herrscht wenigstens Vertrauen, nimm dir da ein Beispiel, Kevin! Aber wie die Sache wohl ausgeht, wenn Semir bereits bezweifelt, je wieder mit Kevin zusammen arbeiten zu können, der schon wieder seine Finger in den illegalen Kreisen drin hat? Ich weiss es nicht und bin deshalb schon gespannt, wie deine Geschichte weiter geht, Campino!

    Schluchz-Mikael! Mann-obwohl er sich eigentlich selber in diese Situation gebracht hat, habe ich jetzt Mitleid mit ihm! Ich glaube ihm ja auch, dass er keinen Mord begangen hat, aber er hat das schon verdammt blöd angestellt! An Eva´s Stelle hätte ich jetzt auch keinen Nerv für nen neuen Hund-der braucht die ganze Familie und da gehört Mikael Gott sei Dank noch dazu.
    Mikael´s Kopfschmerzen sind wieder fürchterlich, aber ich weiss, wie das im Knast gehandhabt wird-nachdem da viele Junkies sitzen, die sich wenigstens ein bisschen Linderung ihrer Entzugssymptomatik erhoffen und deshalb ständig nach starken Schmerzmitteln verlangen, gibt man da am liebsten nur Aspirin, Paracetamol und Ibuprofen-das wird Mikael vorkommen wie ein Zuckerchen und kaum helfen. Hoffentlich hat der Arzt wenigstes jetzt ein Einsehen und ihm was Stärkeres verpasst-der ist ja allerhand gewohnt, der Junge ;) .
    Ben wird inzwischen auf sein Drängen hin von Semir aufgeklärt-na ja, besser geht es ihm deshalb nicht, aber wenigstens fühlt er sich nicht mehr ausgeschlossen und möchte tatkräftig an der Aufklärung mitarbeiten-na ja, wenn da nicht die Sprachbarriere wäre!

    Sarah ließ sich am Morgen von der Afrikanerin ins Bad helfen-sie krabbelte mehr auf allen Vieren, als dass sie laufen konnte, aber kaum lag sie nach einer Katzenwäsche wieder im Bett und hörte Tim lachen und erzählen, griff sie zum Telefon und rief eine Nachbarin an. Die wiederum gab ihr die Telefonnummer eines netten Hausarztes aus dem Nachbarort und zwei Stunden später kam der ins Haus, untersuchte Sarah und verordnete ihr ebenfalls ein Antibiotikum-dasselbe, das ihren Kindern auch geholfen hatte. Mia-Sophie hatte wieder eine Flasche getrunken und nachdem der junge afrikanische angehende Arzt sich mit dem Fahrrad, trotz widriger Witterungsverhältnisse, zur Apotheke aufgemacht hatte, lehnte Sarah sich in ihren Kissen zurück und ließ sich die Gedanken der Nacht nochmals durch den Kopf gehen. Es passte alles zusammen und sie war jetzt beschämt und auf sich selber zornig, dass sie nicht eher auf den Gedanken gekommen war, was mit Ben geschehen sein könnte. Sie döste wieder eine Weile ein, nahm dann ihre Medikamente und griff am späteren Vormittag zu ihrem Telefon, um Semir´s Nummer zu wählen. „Hallo Sarah, geht’s dir ein wenig besser?“ fragte der erfreut und warf einen Blick zu Ben, der sich gerade von den Strapazen der Physiotherapie erholte.

    Insgeheim war der Deutschtürke froh, dass Sarah von sich aus zum Telefon gegriffen hatte. Er hatte nach dem gestrigen Telefonat schon befürchtet, dass sie wieder eingeschnappt wäre und ehrlich gesagt überforderte es ihn ein wenig, nun auch noch Eheberater zu spielen. „Soll ich dir Ben geben-der ruht sich gerade neben mir ein wenig aus?“ fragte Semir, aber Sarah gebot ihm kurz Einhalt: „Gleich Semir, aber ich habe zuvor eine Frage an dich: Wurde Ben während seiner Entführung sexuell missbraucht-mir fällt das nämlich als einzige logische Erklärung für sein Verhalten ein?“ wollte sie nun wissen und auch wenn man sowas eigentlich nicht am Telefon besprach, war Semir jetzt leidlich froh, dass Sarah von selber drauf gekommen war, ohne dass er persönlich irgendeinen Geheimnisverrat begehen hatte müssen. „Du liegst genau richtig!“ bestätigte er nun und Ben, der inzwischen wieder munter geworden war, warf ihm einen fragenden Blick zu. Er hatte erwartet, sofort das Telefon gereicht zu bekommen und versuchte sich gerade selber einzureden, dass er nur unbefangen mit Sarah sprechen musste, dann würde das von alleine wieder werden. Er war in einem furchtbaren Zwiespalt-er liebte doch seine Frau, aber nur der Gedanke an körperliche Nähe verschaffte ihm Schweißausbrüche. „Dann gib ihn mir mal!“ bat nun Sarah und wurde gleichzeitig von einem Hustenstoß erschüttert und Semir beeilte sich nun, sein Handy weiter zu reichen. Er beobachtete dann genau Ben´s Miene, als Sarah nun etwas sagte und sah, wie er erst totenblass wurde und das Mobiltelefon fast seiner Hand entglitt. Dann lockerte sich sein angespannter Gesichtsausdruck ein wenig und er sagte leise: „Ich dich auch und ebenfalls gute Besserung!“ bevor er das Telefon kraftlos auf seine Decke fallen ließ. „Sie weiss es und ist nach unserem Gespräch gestern von selber drauf gekommen!“ flüsterte er tonlos und wandte sich Semir zu, während seine Augen sich mit Tränen füllten. „Ich weiss nicht, ob ich jetzt erleichtert sein soll, oder beschämt und traurig, meine Gefühle spielen gerade verrückt!“ sagte er und drehte sich nun zur Seite, während Semir sein Telefon rettete und einfach die Hand auf die Schulter seines Freundes legte, der sich nun ein wenig mit dem Gesicht zur Wand unter der Decke verbarrikadiert hatte. „Glaub mir Ben-es wird alles wieder in Ordnung kommen und der Psychologe, Sarah und meine Wenigkeit werden dir dabei helfen!“ sagte er mit fester Stimme und nach unendlich scheinender Zeit löste sich die Anspannung der Muskeln, die Semir sogar durch die Decke hindurch fühlen konnte und Ben nickte ein wenig. Er war zwar nicht ganz so positiv wie Semir, aber er wollte ihm nur zu gerne glauben.

    Wenig später kam das Essen, aber auch heute konnte Ben-während Semir es sich schmecken ließ-keinen Bissen anrühren, dabei hätte er sogar einen Kartoffelbrei mit Sauce in seiner Schüssel gehabt-eine deutliche Verbesserung gegen die Schleime. Er konnte nur Wasser in kleinen Schlucken zu sich nehmen, denn obwohl er nun frisch geduscht war und mit jedem Tag die Vergewaltigung in weitere Ferne rückte, schmeckte er immer noch Estelle bei jedem Bissen, den er zu sich nehmen wollte. Allerdings setzte ihn nun dank Magensonde niemand mehr unter Druck, seine Magenschleimhaut konnte heilen, die Sondenkost, die beständig in ihn hinein gepumpt wurde pufferte die Magensäure und versorgte seinen Körper mit den so dringend benötigten Kalorien und alle Hoffnungen ruhten nun auf dem Psychologen, der auch pünktlich am Nachmittag wieder auf der Matte stand.
    „Guten Tag die Herren!“ begrüßte er die beiden freundlich und Semir musste beinahe schmunzeln, als er die Ähnlichkeit zwischen Ben und seinem blonden Gegenstück wahr nahm. Die beiden hatten eine fast identische schlanke und doch muskulöse Figur, sahen gut aus, sogar die lässige, sportlich-bequeme Kleidung inclusive der Stiefel der beiden schaute aus, als würden die sich aus einem gemeinsamen Kleiderschrank bedienen. Ehrlich gesagt entsprach der Psychologe so gar nicht den Vorstellungen, die Semir bis dahin von diesem Berufsstand gehegt hatte-er kannte bisher aber auch vorwiegend entweder Polizeipsychologen und Psychologinnen, die irgendwie immer viel förmlicher gewesen waren und Anzug oder Kostüm trugen, oder so abgehobene, meist grün angehauchte Neutren in bodenlangen, handgestrickten Pullis, die sich mit Sicherheit biologisch-dynamisch-vegetarisch ernährten, statt zum Arzt zum Heilpraktiker gingen und jede Krankheit mit Globuli zu therapieren versuchten. Das mochte ja auch manchmal helfen, aber Semir wäre sich sicher gewesen, dass Ben als bekennender Fleischesser mit so jemandem nicht warm geworden wäre. Er beglückwünschte Susanne zu ihrer Wahl und hoffte, dass es Ben bald besser ginge. Heute erhob er sich gleich wie selbstverständlich, ging auf den Flur hinaus und rief noch: „Ich halte euch wieder den Rücken frei, damit ihr nicht gestört werdet!“ und begann vor dem Zimmer ein wenig hin- und her zu laufen. Er hatte heute auch nicht das Gefühl gehabt, dem Psychologen sofort die neuesten Neuigkeiten brühwarm weiter erzählen zu müssen, das würde Ben schon selber erledigen, wenn es an der Zeit war.

    „Hey-wie geht´s?“ fragte Philip Schneider nun auch, während er achtlos seine Bomberjacke auf den Tisch warf und sich in den Besucherstuhl fläzte. Ben hatte sofort irgendwie ein Gefühl von Vertrautheit, dabei hatte er den Typen doch erst ein einziges Mal gesehen. „Na ja-geht so, körperlich zumindest!“ antwortete er dann nachdenklich auf die Frage. „Vermutlich hat ihnen mein Freund ja gestern schon davon erzählt, was mir hauptsächlich zu schaffen macht und ich glaube es ist an der Zeit, dass ich meine Vogel-Strauss-Politik beende. Ich wurde vor einigen Tagen entführt und meine Entführerin hat mich, so sehr ich mich dafür schäme, schwer missbraucht-und das raubt mir den Schlaf, ich kann deswegen nicht mehr essen und fühle mich schuldig. Wenn mir eine Frau nur zu nahe kommt-egal ob ich sie kenne, oder sie mir fremd ist, kriege ich seitdem Schweißausbrüche und Beklemmungen, auch meine eigene Frau ist davon nicht ausgenommen. Obwohl Estelle Winkler-das war die Verbrecherin- tot ist, ist in mir irgendetwas kaputt gegangen und ich schaffe es nicht, das selber zu reparieren! Vorhin hat meine Frau angerufen-sie ist Krankenschwester und ist irgendwie heute Nacht von selber drauf gekommen, was der Grund für mein bescheuertes Verhalten ihr gegenüber sein könnte und hat gesagt, dass sie mich nach wie vor liebt und dafür bin ich sehr dankbar-ich will nämlich weder meine Frau noch meine Kinder verlieren und das stand sozusagen Spitz auf Knopf.“ redete er sich in einem Schwall alles von der Seele, was ihm gerade durch den Kopf ging.

    „Whow!“ sagte der Psychologe anerkennend, während er seinen Rücken straffte und sich nach vorne beugte. „Das war jetzt aber mal super-ich denke, da können wir sofort anfangen das Hauptproblem zu behandeln, anstatt noch drei Tage um den heißen Brei rum zu eiern. „Fühlen sie sich bereits im Stande, mir zu erzählen, was ihnen bei dieser Entführung geschehen ist-und ich lege da jetzt keinen Wert auf sachliche Details, bin auch kein Voyeur und mein privates Sexualleben ist ausgefüllt, also keine Sorge, ich bin nicht neugierig-ich möchte aber gerne erfahren, wie sie sich dabei gefühlt haben, damit wir dann gemeinsam versuchen können, ihre nach diesem Trauma durchaus verständliche Abneigung gegen weibliche Berührungen anzugehen und ihnen wieder zu einem normalen Körpergefühl zu verhelfen!“ fragte er erklärend und Ben legte sich nun zurück, schloss die Augen und begann zu erzählen.

    Oh Himmel-die Situation ist verfahrener als ich dachte-obwohl der geigenspielende Veikko alle Firewalls geknackt hat, steht doch fest, dass die Waffe, die bei ihm gefunden wurde, die Tatwaffe ist-da kann Mikael jetzt wirklich nur noch die Festnahme des wahren Täters helfen und der muss auch gestehen-ich denke ja immer noch, das ist Hugo! Allerdings bemerkt er langsam selber wie doof er war-geschieht ihm Recht! X(
    Ben ist endlich erwacht-na Gott sei Dank! Und er ist auch bei sich und kann sich an die Zeit vorher erinnern-sehr gut. Die Mitteilung dass Eva lebt ist sicher eine freudige Überraschung, aber er fragt gleich nach Mikael-ja da muss ich Semir Recht geben-lange werden sie das nicht verheimlichen können, dass Mikael im Knast sitzt, aber wenigstens lebt auch er, das wird Ben fürs Erste mal beruhigt haben!

    Ben und Semir waren irgendwann in einen unruhigen Schlaf gefallen und auch Sarah hatte-abwechselnd von Schüttelfrost und Schweißausbrüchen geplagt-immer wieder ein bisschen Ruhe gefunden. Trotzdem ging es ihr nicht aus dem Kopf, dass Ben am Telefon plötzlich so merkwürdig gewesen war. Was um Himmels Willen war da geschehen? Was hatte sie da unmittelbar zuvor gesagt? Hing es vielleicht damit zusammen? Unter Grübeln schlief sie wieder ein und plötzlich wusste sie es wieder: Sie hatte zu Ben gesagt, wie gerne sie ihn umarmen würde und daraufhin war er abweisend geworden. Ein ungeheuerlicher Gedanke schoss ihr dann durch den Kopf-Moment mal-wann war Ben im Krankenhaus plötzlich so komisch geworden und hatte sich von ihr abgewendet? Nicht als sie gesprochen hatten, oder als die Kinder sich an ihn gedrückt hatten-nein es war gewesen, als sie ihn zu küssen versucht hatte. Konnte er vielleicht aus irgendeinem Grund gerade keine körperliche Nähe ertragen? Und seit wann war das so? Klar-seit seiner Entführung, zuvor war noch alles normal gewesen.

    Nach kurzem Nachdenken, was ihr zwar wegen des Fiebers schwer fiel, kam ihr auf einmal ein ungeheuerlicher Gedanke. War Ben vielleicht missbraucht worden? Und nun fügte sich eines zum anderen-und es konnte kein Mann gewesen sein, denn er konnte ja Semir´s Nähe zulassen, also war vermutlich Estelle die Täterin gewesen und ihr graute, wenn sie daran dachte, wie skrupellos diese Frau gewesen war, die sie und die Kinder ohne irgendwelche Hemmungen zu töten versucht hatte. Jemand der unschuldige Kinder umzubringen vermochte, war auch zu jeglicher anderer Brutalität fähig und nun überkam Sarah erstens ein großes Mitleid mit ihrem Mann, der vermutlich Schreckliches durchgemacht hatte und außerdem schämte sie selber sich für ihr Verhalten! Anstatt nachzudenken, was Ben wohl dazu gebracht hatte, sich so komisch zu benehmen, hatte sie ihm ein Verhältnis unterstellt, war beleidigt wie ein Teenager gewesen und hatte sich auch so verhalten. Der war vermutlich durch die Hölle gegangen-zumindest emotional, denn sie vermochte sich eigentlich nicht vor zu stellen, was eine Frau körperlich mit einem Mann überhaupt anzustellen vermochte, aber das alleine genügte auch schon. Nun passte auf einmal alles zusammen, Ben´s Handlungen und Worte waren nachvollziehbar und nun war ihr auch klar, warum er einen Psychologen brauchte. Sie würde jetzt aber erst einmal versuchen, so schnell wie möglich gesund zu werden und ihm dann in aller Vorsicht ihre Liebe und ihr Verständnis versichern. Dann musste der Seelenklempner ran und soweit sie wusste, wurden da die Partner nach einer gewissen Zeit sowieso einbezogen, aber das konnte sie vielleicht vorab mit Semir besprechen, der vermutlich in die ganze Sache eingeweiht war-was ihr gerade einen kurzen eifersüchtigen Stich versetzte. Aber dann beruhigte sie sich auch wieder-erstens war Semir ein Mann, der konnte manche Dinge vielleicht leichter verstehen und dann kannte der Ben auch schon wesentlich länger als sie-und immerhin war er zu ihr gekommen und hatte den Kontakt wieder her gestellt und dafür war sie ihm sehr dankbar. Mit diesen Gedanken fand Sarah nun doch ein wenig Schlaf-immerhin hatte sie ihren Mann nicht verloren!

    Ben wurde inzwischen von Alpträumen heim gesucht. Semir schreckte hoch, weil sein Partner im Schlaf schmerzvoll aufschrie und sich in seinen Kissen wand. Er sprang aus dem Bett, machte das schwache Nachtlicht an und eilte an die Seite seines Freundes, der schweißgebadet in seinem Bett lag und wimmerte: Nein Estelle-bitte nicht!“ Nach kurzer Überlegung weckte Semir, nach einem Blick auf die Uhr-es war gerade drei-seinen Freund. „Ben es ist alles gut, du bist in Sicherheit, Estelle ist tot und ich bin bei dir und passe auf dich auf-und mit Sarah wird auch wieder alles in Ordnung kommen, ich weiss es!“ sagte er begütigend und sein Freund öffnete die Augen und brauchte erst einmal eine ganze Weile, bis er sich orientiert hatte. Dann atmete er erleichtert auf, entschuldigte sich bei Semir, aber der blieb wieder neben ihm sitzen, bis er eingeschlafen war. Völlig erschossen krabbelte Semir eine halbe Stunde später wieder in sein Bett, aber nun war wenigstens Ruhe und als am Morgen der Frühdienstpfleger, strotzend vor guter Laune, das Zimmer betrat, hatten die beiden wenigstens ein paar Stündchen geschlafen. Auch heute ließ Ben sich wieder duschen-er war von der Nacht immer noch verschwitzt und er musste sagen-so widerlich diese Ernährungssonde und das bräunliche Zeug, das da in ihn kontinuierlich hinein lief auch war-seine Magenschmerzen waren besser geworden und so erhöhte man nach der Morgentoilette die Förderrate und bei der Visite waren heute ausnahmsweise einmal alle Fachrichtungen zufrieden!

    Jetzt hat Mikael zum ersten Mal ne gute Idee, nämlich sich von seinen Freunden helfen zu lassen, da bricht einer seiner alten Feinde aus dem Präsidium plötzlich mit der ganzen Mannschaft herein und nimmt ihn unter Mordverdacht fest.
    Blöd gelaufen, aber ich glaube Mikael, dass er Kinnunen nicht getötet hat! Eigentlich müsste man das anhand der Spuren auf der Kugel, auch wenn die illegale Waffe das selbe Kaliber hat, beweisen können-fragt sich nur, ob man das will.
    Für mich war das schon klar, dass Antti für Mikael nicht nur guter Freund, sondern auch eine Art Vaterfigur ist, das rechtfertigt den "Jungen".
    Manchmal ist das ja bei Ben und Semir ein ähnliches Verhältnis und ich bin in der Arbeit für meine jungen Kolleginnen auch manchmal mehr als bloß ne Mitarbeiterin, sondern ein wenig Mutterersatz, gerade wenn jemand Kummer hat. Da sind die Grenzen fließend, wenn man sich gut versteht!
    Aber trotzdem sitzt Mikael jetzt erst mal im Knast-so ein Mist, hoffentlich können ihn seine Freunde-egal mit welchen Mitteln, legal oder nicht- da bald raus holen!

    Sarah, die schon sehnsüchtig auf das Läuten ihres Handy´s gewartet hatte, obwohl sie immer wieder in Fieberträume abtauchte, ging sofort ran. Ben zögerte einen Augenblick, sagte dann aber leise: „Hallo Schatz!“ und seine Frau am anderen Ende antwortete mit belegter Stimme: „Ben-es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe-Semir hat mir schon erzählt, dass es dir nicht gut geht!“ und obwohl Semir ja versichert hat, dass er nicht ins Detail gegangen war, erschrak Ben momentan bis ins Mark. Was wusste Sarah? Als sie dann aber hinzu fügte: „Ich liebe dich und vermisse dich ganz schrecklich!“ wagte er wieder tief durch zu atmen. Selber schalt er sich einen Blödmann. Sarah hatte bisher alles von ihm gewusst, warum war das mit Estelle jetzt für ihn so schlimm? Aber vermutlich deswegen, weil er immer noch ein schlechtes Gewissen deswegen hatte. Wenn er sie bei ihrem ersten Zusammentreffen nicht so angestarrt hätte und dann im Lechtal auch noch mit ihr auf die Piste gegangen wäre, hätte sie sich vermutlich nie Hoffnungen gemacht und diese ganzen schrecklichen Dinge, die mehrere Menschen das Leben gekostet hatten, wären nie passiert.

    „Wie geht es dir und den Kindern-und Lucky?“ fragte er dann und Sarah antwortete wahrheitsgemäß: „Den Kindern geht es schon besser, die hatten nen heftigen, hoch fieberhaften Infekt, wegen dem Schnee kam ich nicht durch zum Arzt und auch zu uns konnte keiner kommen. Mir haben zwei der afrikanischen Flüchtlinge geholfen und inzwischen sind Tim und Mia-Sophie über dem Berg. Tim fragt immer nach dir und Lucky geht es gut, allerdings vermisst er natürlich eure Spaziergänge. Und bei mir-nun ja, die Grippe hat eben zugeschlagen. Gerade fühle ich mich wie ausgekotzt und habe Kreislaufprobleme, aber eine der Afrikanerinnen ist hier bei mir, hilft mir und versorgt die Kinder. Wenn ich im Bett bleiben kann, wird das schon wieder, aber viel lieber wäre ich bei dir!“ erklärte sie und musste dann einen Schluck Tee nehmen, so kratzte ihr Hals und ein Hustenanfall erschütterte sie. „Ich wäre auch viel lieber zuhause und bei dir und würde diesen ganzen Alptraum vergessen-und Sarah, bist du mir noch böse?“ musste er jetzt einfach fragen und lauschte voller Bangen den Worten am anderen Ende.

    „Ach Ben, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr, ich bin dir natürlich nicht wirklich böse, aber was auch passiert ist, das dich dazu gebracht hat, mich aus deinem Leben auszuschließen-es hat mich verletzt, aber ich liebe dich doch, wir gehören zusammen und haben gemeinsam zwei wundervolle Kinder, das wirft man nicht so einfach weg. Ich dachte allerdings, du liebst mich nicht mehr und hast eine andere-anders konnte ich mir dein Verhalten nicht erklären und habe mich deshalb zurück gezogen, denn Liebe kann man nicht erzwingen, du weisst, ich habe das schon mal mitgemacht, bei meinem vorigen Partner, bevor wir beide uns kennen gelernt haben. Ach Mann Ben-wie gerne würde ich dich jetzt umarmen!“ schniefte sie ein wenig ins Telefon, aber so sehr sich Ben nach seiner Frau sehnte-schon alleine beim Gedanken daran, jemals wieder von einer Frau angefasst zu werden, überliefen ihn kalte Schauer.
    „Sarah-es ist schon spät, wir müssen beide schlafen!“ sagte er, aber seine Stimme hatte sich verändert und nachdem sie sich beide noch ihrer Liebe versichert und aufgelegt hatten, starrte Sarah nachdenklich auf ihr Telefon. Was hatte sie denn nun schon wieder Verkehrtes gesagt, dass Ben sie so abgewürgt hatte? Sie hatte ihm noch Vieles erzählen wollen, ihn nach seinem Gesundheitszustand fragen, aber sein Tonfall hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, dass er das Gespräch beenden wollte-aber warum? Sie ließ ihre Worte Revue passieren, aber sie konnte nichts daran finden. Dann bekam sie wieder Schüttelfrost und war die nächsten Stunden mit anderen Dingen beschäftigt, als das Gespräch zu analysieren.

    Semir hatte-ob er wollte oder nicht- ja mitgekriegt, was Ben gesagt hatte, was ja nicht sehr viel gewesen war. Aber auch er hatte den plötzlichen Stimmungsumschwung bei seinem Freund bemerkt, als der den Worten seiner Frau gelauscht hatte. „Ben-was hat Sarah gesagt, dass du plötzlich so abweisend geworden bist?“ fragte Semir deswegen, als sein Freund das Telefon sinken ließ und unglücklich an die Decke starrte. „Semir-ich wollte das nicht, aber als Sarah gesagt hat, sie würde mich gerne umarmen, ist bei mir eine Mauer hoch gefahren und ich habe mich alleine bei der Vorstellung innerlich geschüttelt. Ach Semir-das ist doch keine Basis für eine Beziehung, wenn einem schlecht wird, wenn man an die Berührungen des Partners auch nur denkt, am besten ich gebe sie frei und ziehe mich komplett aus ihrem Leben zurück, vielleicht sollte ich ins Kloster gehen-kann man das überhaupt, wenn man verheiratet ist und Kinder hat?“ fragte er nachdenklich und Semir holte sich nun kopfschüttelnd sein Telefon zurück. „Also Ben-jetzt beginnst du aber komplett zu spinnen! Das mit dem Kloster weiss ich nicht, aber seien wir mal ganz ehrlich-so wahnsinnig christlich bist du ja nicht, du bist einfach durch Estelle schwer traumatisiert und ich hoffe, der Psychologe kann dir und damit auch deiner Familie helfen. Und das mit dem Kloster ist dir jetzt nur eingefallen, weil es da nur Männer gibt-wetten? Jetzt schlaf erst einmal-du hast ja gehört, den Kindern geht es besser und auch Sarah wird sich erholen-du siehst das ja an mir, ich bin auch ein paar Tage flach gelegen, aber jetzt geht es wieder, das ist eben eine Mistgrippe, die da umgeht. Wir werden jetzt und heute deine Probleme nicht lösen können, aber gemeinsam schaffen wir das mit der Zeit und du wirst wieder glücklich sein-ich versprechs dir!“ sagte er mit mehr Überzeugung, als er tatsächlich verspürte.
    Frauen waren da empfindlich, auch Andrea hatte merkwürdig reagiert, als Ben vor ihr zurück gezuckt war und sie war ja nicht seine Frau-oh je, das würde noch was geben. Hoffentlich hatte der Psychologe da einen guten Plan und auch er selber war ja furchtbar unsicher, wie er sich den anderen gegenüber verhalten und was er sagen sollte, ohne Ben bloß zu stellen und sein Vertrauen zu gefährden. Allerdings das eine war klar-Ben war sein bester Freund und er war sehr froh, dass der wenigstens seine Nähe ertragen konnte und als sie jetzt nach dem Durchgang der Nachtschwester, die Gott sei Dank nur zur Türe herein gesehen und gefragt hatte, ob alles in Ordnung war, das Licht löschten, fand er sich wenig später auf Ben´s Bettrand sitzen und den trösten, denn der hatte im Schutze der Dunkelheit wieder verzweifelt zu schluchzen begonnen-oh je, wenn er ihm nur helfen könnte!

    Ja sehr merkwürdig das Ganze! Ich bin auch froh, dass Ben wohl überleben wird. Fast hat es mich gewundert, dass er nicht reagiert hat, als Semir ihm die kleine Spitze untergejubelt hat, aber er ist wohl noch ziemlich tief sediert und konnte es nicht verstehen. Konrad ist inzwischen auch da-na Gott sei Dank denkt er an seine Vaterpflichten!
    Mikael besorgt sich inzwischen eine Waffe und sucht Kinnunen auf, der ihm auch Tonteri´s Aufenthaltsort verrät. Allerdings endet das für den tödlich, ich glaube allerdings, dass nicht Mikael ihn umgebracht hat, sondern Hugo, der seinen Verrat gehört hat-jetzt wird es zum Showdown zwischen Hugo und Mikael kommen-entweder hier oder auf dem Schiff-mir graut ein wenig davor!

    Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, rannte er, gefolgt von der Afrikanerin, nach oben, wo Sarah sich aber schon wieder versuchte aufzurappeln. Er half ihr, auch die dunkelhäutige Frau fasste mit an und wenig später hatten sie Sarah wieder ins Bett gebracht. „Du kannst mich erschrecken!“ sagte Semir aufatmend und war froh, als Sarah einen Schluck Tee nahm, der auf dem Nachtkästchen neben dem Bett stand. Mia –Sophie begann sich zu regen und kurz darauf zu weinen, woraufhin die ältere Frau sie aus dem Bettchen nahm, liebevoll an sich drückte und sie zu beruhigen versuchte. Allerdings verfärbte sich nun schon der Schlafanzug der kleinen Maus am Bein-jetzt war klar, warum sie geweint hatte und die Frau nahm das Baby mit ins Bad, um es dort zu wickeln und umzuziehen. Danach gab sie ihr noch eine Flasche, denn Sarah in ihrem Zustand hatte keine Kraft zu stillen und durch das hohe Fieber war die Milch sowieso gerade beinahe versiegt.

    „Na-habe ich es doch geschafft, dich anzustecken!“ sagte Semir zu seiner Freundin und die verzog das Gesicht zu einer kleinen Grimasse. „Ja leider Gottes-es war gerade alles ein wenig viel für mich und dieser Infekt ist wirklich übel, die Kinder kriegen schon seit zwei Tagen Antibiotika, kein Wunder, dass es mich auch erwischt hat.“ antwortete sie, um ihn kurz darauf mit ernstem Gesichtsausdruck anzusehen. „Und du? Was führt dich zu mir? Schickt dich mein feiner Mann, um mir einen Termin beim Scheidungsanwalt mitzuteilen? Konnte er das nicht selber machen und bin ich ihm nach all den gemeinsamen Jahren nicht einmal einen persönlichen Telefonanruf wert!“ brach es aus ihr heraus, die ersten Tränen kullerten ihre Wangen hinunter und jetzt sah Semir sie erstaunt und erschüttert an. Er musste sich jetzt erst einmal sammeln-was ging denn in Sarah´s Kopf vor? Klar sauer und beleidigt zu sein-das konnte er vielleicht noch verstehen, denn Ben´s Verhalten hatte ja konfuse Ideen provoziert, wenn man nicht wusste, auf was das zurück zu führen war, aber gleich Gedanken an Scheidung-also jetzt übertrieb Sarah maßlos und machte ihn fast ein wenig wütend!

    Die hatte inzwischen haltlos zu weinen begonnen und verbarg ihren Kopf voller Kummer in ihrem Kissen. „Sarah-es ist völlig anders als du meinst-Ben denkt nicht im Traum daran, sich von dir scheiden zu lassen, sondern hat mich im Gegenteil jetzt, mitten in der Nacht, zu dir gejagt, weil er sich furchtbare Sorgen um dich und die Kinder macht!“ erklärte er und nun war es an Sarah, ihn mit offenem Mund erstaunt anzusehen. Aber es hatte doch alles so gut gepasst, wie er sich von ihr abgewendet hatte und sie seine fast greifbare Abneigung gespürt hatte, als sie ihn küssen wollte, wie er sie bei der Visite aus dem Zimmer geschickt hatte, weil er sie nicht mehr an seiner Seite haben wollte und wie sie dann, sozusagen als Krönung, am nächsten Tag noch erfahren hatte, dass er eine Auskunftssperre erlassen hatte, die sich auch auf sie erstreckte. Das war sozusagen das deutlichste Zeichen gewesen, dass er sie nicht mehr in seinem Leben haben wollte, denn bis dahin hatten sie noch nie größere Heimlichkeiten voreinander gehabt-na ja, außer, als er in Tim´s Schwangerschaft mit Drogen in Berührung gekommen war und das vor ihr und Semir zu verheimlichen versucht hatte. Aber damals hatten sie sich geschworen, nie mehr Geheimnisse voreinander zu haben und deshalb hatte es sie jetzt umso ärger getroffen, was geschehen war.

    „Sarah-ich kann dir nicht genau erklären, was Ben zugestoßen ist-das muss er bei Gelegenheit selber tun und er ist seit heute deshalb auch in psychologischer Behandlung, aber glaub mir-es hat nichts mit dir zu tun, er vermisst dich ganz schrecklich und ist voller Kummer, weil du nicht bei ihm bist. Klar geht das gerade nicht, ich weiss gut genug wie einen dieser blöde Infekt umhaut, aber ich habe ja auch ein Antibiotikum gekriegt und da war das Schlimmste innerhalb von zwei Tagen vorbei. Glaub mir auf jeden Fall, dass Ben dich verzweifelt liebt, aber dass es Gründe gibt, die, so schlimm es ist, sein Verhalten erklären. Er hatte nichts weniger vor, als dich aus seinem Leben auszuschließen, aber glaub mir-auch bei ihm ist so einiges zusammen gekommen und hat ihn regelrecht zusammenbrechen lassen, körperlich, aber eben auch seelisch, deshalb auch der Psychologe, der uns allen hoffentlich dabei helfen wird, wieder alles ins Lot zu bringen!“ versuchte er Worte zu finden, die Sarah momentan beruhigten, ohne Ben´s Geheimnis zu verraten.

    „Oh Gott-und ich habe ihn im Stich gelassen und mir dumme Sachen eingebildet, ich muss zu ihm!“ stöhnte Sarah nun auf und wollte sich erheben, was ihr eine erneute Schwindelattacke einbrachte. „Sarah-das hat doch keinen Wert! Du kannst dich doch kaum auf den Beinen halten und außerdem braucht Ben jetzt diesen blöden Infekt nicht auch noch dazu!“ bat Semir sie, „Wer ist überhaupt diese Frau?“ fragte er und wies mit dem Kopf Richtung Erdgeschoß, wo die Fremde gerade das Baby fütterte. „Das sind Flüchtlinge aus dem Dorf, die mir geholfen haben, als durch den Schnee der Verkehr und auch der Notruf zusammen gebrochen sind. Ben hat diese liebenswürdigen Menschen vor Weihnachten auch kennen gelernt, als wir dort Geschenke vorbei gebracht haben. Diese kluge Frau bei mir ist Hebamme und der Sohn Arzt, sie unterstützen mich auf der ganzen Linie und versorgen die Kinder, wenn ich es nicht kann!“ erklärte Sarah. „Soll ich dir einen Arzt rufen, oder Hildegard verständigen?“ fragte Semir nun, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Das hat jetzt auch noch Zeit bis morgen früh und telefonieren kann ich ja-nur mein Kreislauf macht gerade ein wenig schlapp. Fahr du zu Ben zurück, erzähl ihm, dass es den Kindern bereits besser geht und ich würde am liebsten sofort noch mit ihm sprechen, damit wir beide schlafen können!“ überlegte Sarah und Semir versprach nun, genau das zu tun.
    Die afrikanische Frau, aus derem sicheren Umgang mit Mia-Sophie man eine große Erfahrung erkennen konnte, war inzwischen leise ins Zimmer getreten und hatte eine satte und saubere kleine Maus, die in ihrem Arm eingenickt war, wieder in ihr Bettchen gelegt, wo sie weiter schlief. Im Flüsterton und mit einem Lächeln verabschiedete sich Semir und Sarah wies auf ihr Handy, das auf ihrem Nachtkästchen lag. „Sobald ich in der Klinik bin, bekommt Ben mein Telefon-und diesmal gehst du bitte ran, wenn meine Nummer auf deinem Display erscheint!“ konnte Semir nicht umhin, Sarah jetzt ein wenig zu rügen. Mit vor Scham rotem Kopf nickte die und legte sich dann in ihre Kissen zurück. Sie würde sich jetzt ein wenig ausruhen, bis Semir anrief und sie dann endlich mit ihrem Mann sprechen konnte. Oh Gott-wie sie sich schämte! Sie hatte sich etwas völlig Falsches zusammen gereimt, freilich konnte sie immer noch nicht ermessen, was denn mit Ben eigentlich passiert war, aber Semir´s Wort, dass er sie immer noch liebte und sich Sorgen um sie machte, genügte ihr.

    Der türkische Polizist ging langsam Richtung Treppe, passierte das Treppenschutzgitter und warf dabei noch einen Blick in Tim´s Zimmer, wo der dunkel gelockte Junge bei geöffneter Türe in seinem Rennfahrerbett lag und friedlich schlief. Auf dem Gästebett daneben waren ein paar Decken-ah, da hatte die Afrikanerin anscheinend ihr Lager aufgeschlagen! Auf jeden Fall konnte Semir seinem Freund berichten, dass es den Kindern besser ging und die auch versorgt waren, während Sarah gerade den Infekt durchmachte, der auch ihn dahin gerafft hatte. Vielleicht verschaffte das Ben auch ein wenig Zeit, um sein Verhalten wieder in den Griff zu kriegen oder sich zumindest der Hilfe des Psychologen für ein erstes Zusammentreffen mit Sarah zu versichern. Semir streichelte Lucky, der ihm wie ein Schatten schwanzwedelnd zur Tür gefolgt war, über den Kopf und sagte: „Na klar alter Junge, wenn Herrchen gesund ist, geht er wieder mit dir spazieren!“ und Lucky sah ihn mit schief geneigtem Kopf an, als hätte er jedes Wort verstanden. Die Afrikanerin war ihm freundlich lächelnd ebenfalls zur Tür gefolgt und nachdem Semir hinaus gegangen war, hörte er, wie das Schloss verriegelt wurde-sehr gut, Ben´s Familie war in Sicherheit! So stieg er in seinen BMW und obwohl der Hecktriebler bei Schnee eine hohe Geschwindigkeit unmöglich machte, wenn er nicht ins Schleudern kommen wollte, war Semir bald an der Uniklinik angekommen, wo er so rasch wie möglich zu seinem Freund eilte.

    Ben hatte voller Ungeduld die Rückkehr seines Freundes erwartet und der begann auch gleich zu erzählen, was er im Gutshaus vorgefunden hatte. Dass Sarah gedacht hatte, er wolle sich scheiden lassen, sagte er nicht explizit, sondern nur dass sie traurig und enttäuscht über sein Verhalten gewesen war und auch nochmals hier gewesen war, um mit ihm zu sprechen und dann mit der Auskunftssperre konfrontiert worden war. „Ben-ich will sie jetzt nicht in Schutz nehmen, aber sie hatte schon einen Grund, sauer auf dich zu sein, denn du hast ihr ja nichts davon gesagt, warum es dir so schlecht geht und so hat sie sich eben dumme Sachen zusammen gereimt-mir ist klar, dass da so einiges schief gelaufen ist! Aber jetzt liegt sie selber flach, das wird vermutlich derselbe Keim sein, der auch mich und deine Kinder erwischt hatte, die aber schon wieder auf dem Wege der Besserung sind. In zwei bis drei Tagen ist das Schlimmste vorbei, aber so lange kann sie fast mit Sicherheit nicht zu Besuch kommen!“ erklärte er. „Ich bin mit keinem Ton auf die Gründe eingegangen, warum du sie nicht berühren konntest, das musst du bei Gelegenheit selber zur Sprache bringen, aber sie will jetzt dringend kurz mit dir sprechen, damit ihr beide ruhig schlafen könnt-und sie dachte, du willst keinen Kontakt mehr, weil du dich nicht gerührt hast und wegen der Auskunftssperre!“ sagte er und holte sein Handy raus. „Soll ich wählen-und möchtest du, dass ich raus gehe?“ fragte und Ben, dem es durch die Ernährung und das Schmerzmittel schon ein wenig besser ging, antwortete mit vor Aufregung kloßiger Stimme: „Wählen ja-rausgehen nein!“ und nun suchte Semir im Speicher Sarah´s Nummer, drückte auf das Wählsymbol und gab dann seinem Freund das Handy in die gesunde Hand.

    Jetzt bin ich aber ernsthaft sauer auf Mikael! Sein Freund Veikko hatte den richtigen Riecher und spürt ihn am Grab seines Vaters auf. Dort fällt ihm zwar auf, dass der verletzt ist, aber weil, ja nur Mikael ganz alleine die Welt retten kann X( , versetzt er seinem Freund eine Stoß in die Rippen, die dem sowieso schon furchtbar weh tun!
    Eva heult sich die Augen aus und nachdem Mikael nun auch noch den Namen des zweiten Entführers weiss, macht er sich auf die Suche, um mit Kontakten, die seinen Kollegen verwehrt bleiben, seine und Ben´s Peiniger aufzuspüren.
    Und klar-für den Bombenanschlag aufs Präsidium und die Toten ist Mikael auch ganz alleine verantwortlich-also langsam übertreibt er!

    Nachdem Ben versorgt war, machte sich Semir auf dessen Geheiß hin auf, um zu Sarah zu fahren. „Ben-dir ist aber schon klar, dass wir jetzt mitten in der Nacht haben? Bis ich bei euch zuhause angekommen bin, ist es sicher weit nach zehn-um diese Uhrzeit läutet man normalerweise nicht mehr an fremden Türen!“ erinnerte ihn Semir, aber sein Freund schüttelte den Kopf. „Erstens ist das für dich keine fremde Tür, zweitens geht Sarah normalerweise auch nicht so sehr früh ins Bett-die legt sich mittags meistens mit den Kindern ein Stündchen hin und genießt am Abend ein wenig freie Zeit ohne unseren Nachwuchs. Ich habe irgendwie ein ganz unruhiges Gefühl und werde ansonsten heute Nacht sicher kein Auge zutun, solange ich nicht weiss, wie es meiner Familie geht.“ erklärte er und Semir, der sich schon lange wieder in Jeans und Shirt geworfen hatte, griff nach seiner Winterjacke und dem Autoschlüssel und war wenig später durchs winterliche Köln unterwegs in den Vorort, wo Sarah und Ben seit einigen Monaten lebten.

    Auf der Fahrt dahin gingen ihm viele Dinge durch den Kopf. Was und wie sollte er Sarah sagen, wenn sie überhaupt bereit war, mit ihm zu sprechen? Eigentlich musste sie, um Ben und sein merkwürdiges Verhalten zu verstehen, erfahren, was Estelle ihrem Mann angetan hatte. Allerdings hatte der nicht einmal ihm gegenüber bisher irgendwelche Details erwähnt, obwohl er ihm ja bereits gesagt hatte, dass er Bescheid wusste. Wie detailliert Hartmut allerdings die Spuren ausgewertet hatte und welche eindeutigen Rückschlüsse sich daraus ziehen ließen, war Ben bisher nicht bekannt. Er hatte ihm ja nur allgemein mitgeteilt, dass er vom Missbrauch wusste, aber dass er darüber im Klaren war, wie schwer der tatsächlich gewesen war, entzog sich bislang Ben´s Kenntnis. Was durfte er Sarah sagen, ohne seinem Freund in den Rücken zu fallen? Ach verdammt-warum hatte dieses Gespräch nicht so lange warten können, bis er mit dem Psychologen besprochen hatte, wie man die Sache anging? Jetzt saß er wieder zwischen allen Stühlen und wenn er einen Fehler machte, verlor er vielleicht endgültig das Vertrauen seines Freundes-und zerstörte so ganz nebenbei vielleicht sogar dessen Ehe-oder er rettete sie, das konnte man sich jetzt aussuchen!
    Je näher er dem Vorort kam, desto mehr kristallisierte sich in seinem Kopf heraus, was er zu Sarah sagen würde. Er würde dem Rat des Psychologen folgen und nicht lügen, aber er würde auch nicht ins Detail gehen, denn das konnte Ben dann entweder selber machen, oder den Seelenklempner zu einem Gespräch mit Sarah dazu holen, was sowieso eine gute Idee war. Semir ging eh nicht davon aus, dass Sarah sofort mit ihm ins Krankenhaus kommen würde-sie konnte doch die Kinder nicht alleine lassen! Er vermutete, dass sie sich anhören würde-hoffentlich-was er zu sagen hatte und dann am nächsten Tag die Kinder von Hildegard betreuen lassen würde und dann zu Ben kommen, aber alleine diese Aussicht würde seinem Freund vermutlich eine ruhige Nacht bescheren!

    Es war gegen Mittag losgegangen. Sarah war zur Toilette gegangen und plötzlich hatten ihre Knie zu zittern begonnen. Sie war gerade noch so zurück ins Schlafzimmer gelangt, wo Mia-Sophie gerade ihren Mittagsschlaf machte und dann mit Schüttelfrost und fürchterlichen Kopfschmerzen zusammen gebrochen. Binnen Kurzem stieg das Fieber und sie fühlte sich schwer krank. Die afrikanische Hebamme und deren Sohn, den sie dazu holte, betrachteten sie besorgt, allerdings war bei einem Erwachsenen so ein Infekt ja meist nicht so dramatisch wie bei kleinen Kindern. Also kam noch eine weitere Frau aus der Flüchtlingsunterkunft dazu, die die Kinder zu betreuen half, die bereits wieder auf dem Wege der Besserung waren und ihr Antibiotikum nach dem Besuch des Kinderarztes jetzt als Saft bekamen. Sarah konnte nicht mehr aufstehen und fieberte vor sich hin und man ließ sie jetzt einfach in Ruhe, bot ihr zu trinken an und kümmerte sich um die Kinder. Wenn es bis morgen nicht besser war, würden sie einen deutschen Arzt dazu holen, aber aktuell wartete man ab. Binnen Kurzem stieg Sarah´s Fieber so hoch, dass sie völlig das Zeitgefühl verlor. Sie wusste nicht einmal mehr, ob jetzt Tag oder Nacht war, wie viele Stunden vergangen waren und was von den wilden Träumen, die sie plagten, Realität und was Fieberphantasien waren.

    Als Semir um 22.15 Uhr endlich in den mit Schnee bedeckten Hof des Gutshauses fuhr, atmete er erleichtert auf-es brannte noch Licht! Er stieg aus, holte tief Luft und drückte dann auf den Klingelknopf. Wenig später rührte sich drinnen etwas und als die Tür einen Spalt geöffnet wurde, war er erst einmal überrascht, als eine ältere, dunkelhäutige Frau in farbenfroher, traditionell afrikanischer Kleidung heraus lugte. „Kann ich bitte Sarah sprechen?“ bat er und bemerkte auch gleich, dass die Frau seine Worte nicht verstand. Allerdings hatte sie den Namen „Sarah“ gehört und man konnte erkennen, dass es nun in ihrem Kopf arbeitete. Jetzt machte sie sich Sorgen-da stand mitten in der Nacht ein wildfremder Mann vor der Tür-was hatte der wohl im Sinn? Semir überlegte kurz und versuchte dann mit ein paar englischen Brocken die Frau dazu zu bringen, ihn herein zu lassen. Er konnte ja nicht einfach eindringen und Sarah schlief vielleicht doch schon, aber vielleicht war sie ja auch gar nicht zu Hause? Oh verdammt, was sollte er tun? Und wie ging es den Kindern? Plötzlich durchfuhr Semir ein Geistesblitz. Er holte seinen Dienstausweis hervor, zeigte ihn der Frau, deutete auf sich und sagte: „Polizei, Polizia, Police, Gendarmerie!“ er probierte in allen Sprachen, die ihm einfielen, der Frau mit zu teilen, dass er ein Guter war und nun nickte sie mit einem erleichterten Lächeln-sie hatte verstanden- und öffnete die Tür komplett. Semir trat ein und zog dann in dem geräumigen Eingangsbereich sofort die Schuhe aus, wie er es immer machte, wenn er bei seinen Freunden zu Besuch kam. Fast wunderte er sich, dass Sarah, wenn sie zuhause war, nicht schon gehört hatte, dass da jemand gekommen war und jetzt nachsehen kam und so war es auch.
    Sarah hatte Semir´s Stimme gehört und war sich erst nicht sicher gewesen, ob das Fiebertraum oder Realität war. Als die Stimme aber nicht aufhörte etwas zu sagen, wuchtete sie sich mit Gliedern, schwer wie Blei, aus dem Bett hoch und wankte im durchgeschwitzten Schlafanzug aus dem Schlafzimmer, wo Mia-Sophie schon im Babybettchen neben ihr schlief. Semir, der im unteren Flur gerade seine Schuhe abgestellt hatte und überlegte, was er jetzt als Nächstes zu der Afrikanerin sagen sollte, nahm eine Bewegung oben an der Treppe wahr und als er hinauf blickte, konnte er gerade noch erkennen, wie Sarah, die aussah wie der Tod persönlich, soeben zusammen brach.

    Oh nein-Mikael, was tust du? Genau aus diesem Grund setzt man üblicherweise, wenn man keine technischen Hilfsmittel wie Fußfesseln verwendet, immer zwei Bewacher ein, aber wer denkt auch schon, dass Mikael nach der ganzen Sch....die er hinter sich hat, einfach den nächsten Alleingang startet! Ja ich finde es auch erstens seinem Kollegen gegenüber unfair, der macht sich Sorgen um ihn, hat ihm wegen seines Sohnes vergeben und wird als Dank dafür jetzt im Klo eingesperrt. Gut, wenn er läutet, ist er da sicher schnell wieder draußen, aber Mikael ist derweil über alle Berge und die Vorwürfe die sich Solheim und Antti dann machen werden, sind auch schon vorprogrammiert. Und wenn er eine Idee hat, wo er nach den beiden Verbrechern suchen könnte, warum teilt er die nicht einfach seinen Kollegen mit? Nein Teamarbeit ist ein echtes Fremdwort für Mikael-ich wenn Eva wäre, ich würde kein Wort mehr mit ihm reden! X(
    Semir sitzt derweil am Bett von Ben-ja das ist schlimm, wenn der Freund in kritischem Zustand beatmet auf der Intensiv liegt, oft ist das für die Angehörigen und Freunde schlimmer als für die Betroffenen selber, denn die sind ja sediert und kriegen wenn, dann eher in der Aufwachphase oder beim täglichen Weckversuch was mit, meist ohne sich später daran so richtig erinnern zu können. Sogar Konrad will kommen, dann steht es wirklich schlimm um Ben! ;(

    Semir begann zu reden und anstatt sich irgendein Konstrukt von Worten auszudenken und damit seinen Freund zu beeindrucken, sagte er einfach was ihm durch den Kopf ging: „Ben-du bist mein bester Freund und es tut mir selber weh, dich so daliegen zu sehen. Die letzten Wochen waren glaube ich, beinahe die Härtesten deines Lebens. Du hast Dinge aushalten müssen, die manch anderen Menschen zerbrechen lassen würden, aber du bist trotz alledem stark und wirst das überstehen, auch um Winkler und Estelle nicht gewinnen zu lassen. Die wollten dich demütigen, besitzen und töten, aber es ist ihnen nicht gelungen und deshalb musst du jetzt gesund werden und zwar aus dem einen Grund-um ihnen die Stirn zu zeigen, auch wenn die jetzt in der Pathologie im Kühlfach liegen. Aber du, dem dieses Los zugedacht war, der lebt und wird wieder ganz gesund werden, ich weiss es, denn du bist ein Kämpfer und außerdem mein Freund. Zusammen sind wir stark und auch wenn die Mediziner gerade Dinge mit dir tun, die du schrecklich empfindest-sie tun das alle miteinander nicht, um dir zu schaden, sondern um dich zu heilen, damit du wieder nach Hause kannst und dein altes Leben aufnehmen-mit deinen Kindern spielen, mit dem Hund gehen und nicht zuletzt mit mir über die Autobahn düsen und dir Anschisse von Frau Krüger abholen, wenn wir mal wieder ein Auto geschrottet haben.“ redete er, was ihm durch den Kopf ging und nun erschien langsam Ben´s Kopf über der Bettdecke, der jedes Wort gehört hatte und darüber nachdachte.

    „Und was ist mit Sarah? Hast du die erreicht und ihr gesagt, dass ich Sehnsucht nach ihr habe?“ fragte er und schniefte, woraufhin ihm Semir ein Papiertaschentuch reichte und Ben vorsichtig an der Magensonde vorbei schnäuzte, aber das war jetzt genau die Frage die Semir lieber umgangen hätte. Allerdings fiel ihm wieder die Taktik des Psychologen ein-wenn man vertrauenswürdig sein wollte, durfte man nicht lügen und deshalb sagte er wahrheitsgemäß: „Ben-ich habe sie seit meinem Anruf, wo sie mir gesagt hat, dass die Kinder krank sind, nicht mehr erreicht, obwohl ich es erst vorhin nochmals versucht habe!“ und jetzt richtete sich Ben auf: „Semir-da muss etwas passiert sein-du musst hin fahren und nachsehen!“ Semir dachte kurz nach und nickte. „Ja Ben-wenn du das möchtest, werde ich das nachher gleich tun, allerdings gibt es zuvor noch ein paar Dinge hier bei dir zu erledigen, die Vorrang haben. Als du vorhin nach dem Pfleger gehauen hast, war das eine saublöde Reaktion. Klar-ich kann dich ja verstehen, du wolltest einfach in Ruhe gelassen werden, nach all dem, was du mitgemacht hast und außerdem war der ja auch daran beteiligt, als sie dir diese Sonde gelegt haben!“ erklärte er und Ben, dessen Tränenstrom versiegt war und der sich jetzt wieder begann wegen Sarah und den Kindern Sorgen zu machen, nickte.

    Er hatte niemanden verletzen wollen, aber er war schwer enttäuscht von dem Mann gewesen und so nett der gesprochen hatte-der hatte ihn schließlich fest gehalten als der Doktor mit der Magensonde über ihn her gefallen war und er hatte da nicht mehr logisch denken können, sondern den nur auf Abstand halten wollen, er hatte auch dessen Erklärungen nicht zugehört, sondern sich ausschließlich bedroht gefühlt als der nach ihm gegriffen hatte.
    Semir sprach jetzt weiter: „Ich weiss nicht, ob du das überhaupt gemerkt hast, so aufgeregt, wie du vorher warst, aber du hast dir auch noch den Zugang raus gerissen und jetzt können sie dir gerade keine Infusionen geben, du brauchst aber dringend deine Medikamente!“ erläuterte Semir dann und nun sah Ben überrascht auf seine Hand-tatsächlich, da steckte kein Plastikschläuchlein mehr darin, dafür war ein großer Blutfleck in seinem Bett, allerdings hatte das schon lange aufgehört zu bluten und der Pfleger hatte die Infusion auch abgedreht und weg geworfen-die war kontaminiert, da würde man eine frische brauchen, aber die würde man richten, wenn man die neue Nadel legte. „Ben-ich bitte dich jetzt, lass dir einen neuen Zugang vom Arzt legen und den Pfleger die Nahrung anhängen. Jetzt hast du die Sonde schon in dir und wie mir der junge Mann erklärt hat, wird es dir vermutlich bald besser gehen, wenn du ein bisschen was im Bauch hast.“ flehte Semir regelrecht und verschwieg seinem Freund natürlich was andernfalls die Konsequenzen waren. Semir sah unauffällig auf die Uhr-er hatte noch eine gute Stunde, hoffentlich war Ben vernünftig!

    Der schloss erst einmal die Augen und überlegte. Sein Tränenstrom war versiegt und die Anwesenheit und die ruhigen Erklärungen seines Freundes hatten ihm gut getan und ihn wieder zu sich kommen lassen. Allerdings hatte er in letzter Zeit ja bereits mehrere Panikattacken erlitten, gegen die er einfach machtlos war. Immer wenn eine Frau ihn berührte, setzte bei ihm im Hirn irgendetwas aus und dasselbe Gefühl hatte er vorhin auch gehabt, als der Pfleger ihn angefasst hatte. Auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass weder einer der Pflegekräfte, ob männlich oder weiblich ihm etwas Böses wollte und der Doktor ihn auch nicht aus Spaß gequält hatte, traute er sich gerade selber nicht über den Weg. Auch mit Sarah war ihm genau das passiert-er hatte sie ja küssen wollen, er liebte sie auch von ganzem Herzen, aber als sie versucht hatte, ihn mit ihren Lippen zu berühren, war regelrecht eine Sicherung bei ihm durchgebrannt und er hatte sich unwillkürlich steif gemacht und abgewendet-klar musste die sich dazu ihren Teil denken und zu Erklärungen war es leider nicht mehr gekommen. Darum musste Semir jetzt nach dem Rechten sehen, aber er verstand schon-der würde nicht losfahren, bevor er keinen neuen Zugang hatte und etwas durch die Magensonde lief. Gerade begannen sein Magen und alle übrigen Verletzungen sowieso wieder zu schmerzen-die neue Pantozoldosis war überfällig, er hatte kein Schmerzmittel mehr, weil das ja in der Infusion gewesen war und auch sonst fühlte er sich nicht gerade wohl-jawohl er würde sich behandeln lassen, aber er wusste nicht, ob er das von den Personen aushalten konnte, die ihm gerade vorher Gewalt angetan hatten.

    „Semir ich werde das machen lassen, wenn du im Gegenzug dafür nach meiner Familie siehst!“ beschloss er und fügte danach mit leiser Stimme dazu: „Aber ich traue mir selber gerade nicht über den Weg-ich weiss nicht, ob ich nicht ausraste, wenn der Pfleger und der Arzt von gerade eben sich an mir zu schaffen machen!“ sagte er unglücklich und Semir konnte das verstehen. Er überlegte kurz. Wie würde Sarah so eine Situation wohl lösen? Die würde vermutlich auf die Intensiv gehen und da das Problem schildern-und genau das würde jetzt er, Semir, auch tun! „Ben-bleib jetzt einfach ruhig liegen, ich gehe mal schnell auf die Intensivstation-die kennen dich und mich, vielleicht kann uns da jemand helfen!“ sagte er aufgeregt und wenig später läutete er dort an der Glocke. „Hallo Herr Gerkhan, kommen sie uns besuchen?“ fragte eine vertraute Stimme aus der Sprechanlage und er wurde zum Eintreten aufgefordert. Es war ruhig auf der Station, die Patienten waren alle stabil und bereits für die Nacht vorbereitet, immerhin war es jetzt auch schon 21.00 Uhr. Mit Erleichterung stellte Semir fest, dass sogar zwei Männer in der Schicht waren und in kurzen Worten schilderte er sein Anliegen und erzählte auch, wie mies es Ben gerade ging, ohne auf nähere Einzelheiten einzugehen. „Fakt ist-mein Freund braucht einen neuen Zugang und man müsste die Nährlösung an die Magensonde anhängen, er hat aber Angst davor, dass er überreagiert, wenn das der Arzt und der Pfleger machen, die ihm vorhin gewaltsam die Magensonde gelegt haben!“ sagte er und sofort erklärte sich einer der Pfleger mit ihm zu gehen und das zu erledigen.

    Der stopfte sich noch kurz ein paar steril verpackte Zugänge in die Kitteltasche, einen Stauschlauch hatte er sowieso immer dabei und alles Weitere würde er im Patientenzimmer finden und so hatte Ben wenig später erstens einen neuen Zugang, die Magensonde war erst mit Wasser befeuert worden und derweil hatte der Pfleger gleich noch mit viel Routine das Bett frisch gemacht und nun lief, mit einer niedrigen Förderrate von 20 ml in der Stunde, die bräunliche Flüssigkeit in ihn hinein und Ben hatte das alles aushalten können-der vertraute, sehr ruhige und sichere Pfleger wusste, was er tat und als sich der mit einem Lächeln verabschiedete, fielen sowohl Ben als auch Semir ein Stein vom Herzen. Auch der diensthabende Pfleger lächelte-das war ein kluger Schachzug gewesen-er wäre da nicht im Traum drauf gekommen, sich an eine andere Station und dann sogar noch die Intensiv zu wenden, aber diese Pflegekräfte durften selber Zugänge legen und auch Medikamente intravenös spritzen, was auf Normalstation Arztsache war. Immerhin war sein Patient der Ehemann einer Intensivschwester und sein Freund und Kollege war wirklich einfallsreich-das musste er ihm zugestehen!

    Oh je-Ben geht es verdammt schlecht, er schwebt in Lebensgefahr und auch Mikael lässt sich nicht von seinen Freunden belügen. Als er seinen Freund Ben besucht, zieht es ihm beinahe die Füße weg-so viel zum Thema nach Hause gehen!
    Semir versucht ihm gut zuzureden, aber das ist, wie als ob er gegen eine Wand spricht, Mikael ist fest davon überzeugt, dass er am Leid der Welt schuld ist-blöde Einstellung!