Ben beruhigte sich ein wenig, als Sarah ihn nicht mehr berührte, aber die Schmerzen, die Verzweiflung und eine unbestimmte Panik hatten ihn immer noch fest im Griff. Der Arzt sprach beruhigend mit ihm und er konnte nach einer Weile auf die Frage, wo genau es denn weh täte, zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor pressen: „Mein Bauch-die Flanke, es ist fast derselbe Schmerz wie schon Mal und übel ist mir auch!“ stöhnte er und schon musste er sich übergeben. Der Pfleger hatte geistesgegenwärtig eine Nierenschale vorgehalten und so wurde das Bett nicht beschmutzt. Allerdings erbrach er massenhaft galligen Magensaft ohne irgendwelche Nahrungsbeimengungen und der Arzt wunderte sich deswegen-es hatte doch erst Mittagessen gegeben. Aber immerhin war kein Blut dabei und so war vermutlich der Magen nicht der Grund für die stärksten Schmerzen, die Ben sich gerade im Bett winden ließen wie ein Aal. Nach einer kurzen Tastuntersuchung, bei der der Arzt auch feststellte, dass sein Patient am ganzen Körper klatschnass vor Stress und Schmerz war, sagte der Doktor: „Ich vermute, dass wir wieder ein urologisches Problem haben, ich rufe mal den Kollegen an!“ sagte er, während er Ben zudeckte. Der Arzt desinfizierte seine Hände und holte dann das Telefon aus der Kitteltasche. Er schilderte seinem Kollegen kurz die Situation und wandte sich dann an Ben: „Ich lege ihnen jetzt einen Zugang, sie bekommen ein Schmerzmittel und dann bringen wir sie in die Urologie, der Kollege will sich das unten ansehen, denn er hat hier ja keine Gerätschaften!“ und Ben brach alleine beim Gedanken daran, was ihm nun vielleicht erneut bevorstehen könnte, der Schweiß aus. Aber dann überrollte ihn wieder eine dermaßen starke Schmerzwelle, dass es ihm eigentlich egal war, was sie jetzt mit ihm machten, Hauptsache die Schmerzen wurden besser!
Bei aller Pein hatte er Sarah gegenüber ein furchtbar schlechtes Gewissen, die immer noch vor der Zimmertüre stand und nun leise zu schluchzen begonnen hatte, so nahm sie der Vorfall mit. Semir hatte den Arm um sie gelegt und versuchte sie zu beruhigen, aber dann sah Sarah ihn an, schniefte und holte ein Taschentuch raus: „Semir-geh zu Ben-der braucht dich jetzt nötiger als ich. Ich werde hier draußen warten, aber er muss keine Angst haben, dass ich ihm nochmals zu nahe komme, richte ihm das bitte aus. Ich habe instinktiv reagiert und nicht nachgedacht, dass es einfach noch nicht geht, dass ich ihn berühre-aber sag ihm, dass ich ihn trotzdem liebe und er mir furchtbar leid tut!“ erklärte sie und Semir fiel ein Stein vom Herzen. Gerade hatte er überlegt, was er tun sollte und ihn zog es zu seinem Freund, der zwar sicher gerade medizinisch gut versorgt war, aber gegen seine Ängste und die Panik konnten der Arzt und der Pfleger eben auch nichts ausrichten, da half vielleicht Zuspruch und menschliche Nähe, die Ben wohl am ehesten von ihm annehmen würde. „Danke Sarah!“ sagte er schnell und war sehr froh, dass die so vernünftig war und so eilte er wenige Sekunden später ins Zimmer zu seinem Freund. In der Tür begegnete er dem Pfleger, der kurz das sogenannte Spritzentablett holte, einen flachen Behälter auf dem alles Zubehör zum Zugang legen und Blut abnehmen bereit lag und dazu noch eine Infusion und ein Schmerzmittel, das der Arzt angeordnet hatte.
Semir setzte sich still neben seinen vor Schmerzen und Stress zitternden Freund, nahm dessen Hand und sagte liebevoll: „Ben-die kriegen das schon wieder hin, mach dir keine Sorgen!“ beruhigte er ihn und als Ben nun zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor presste: „Sarah-oh Gott-es tut mir so leid!“ konnte sein Freund ihn beruhigen: „Ben sie steht draußen, aber ich soll dir ausrichten dass sie dich von Herzen liebt und sich um dich Sorgen macht, aber das durchaus verstehen kann, dass du ihre Berührung noch nicht ertragen kannst!“ und nun war Ben sehr erleichtert. Bereitwillig streckte er dem Arzt seinen Arm hin, damit der den Zugang legen konnte. Der nahm auch gleich noch Blut ab, aber als das Schmerzmittel dann in seine Adern rauschte, seufzte Ben vor Erleichterung auf-der Schmerz war nun nicht mehr so ganz unerträglich.
Sarah hatte ihren Kollegen draußen angstvoll aufgehalten: „Ist es schlimm?“ wollte sie wissen, aber der zuckte nur mit den Schultern und murmelte etwas von Auskunftssperre und nun lehnte sich Sarah entmutigt an die Wand im Flur und kämpfte um ihre Fassung. Ben allerdings hatte das Wort gehört und siedend heiß fiel es ihm ein, dass er die ja noch nicht widerrufen hatte. Noch während der Pfleger und Semir sein Bett packten und Richtung Tür rollten, sagte er laut und deutlich zum Arzt: „Die Auskunftssperre ist für meine Frau und meinen Freund hier aufgehoben!“ und nun lächelte ihn Sarah aus der Entfernung mit tränenverschmierten Augen an und flüsterte: „Alles Gute mein Schatz!“ und trotz aller Schmerzen lächelte er zurück. Er wusste überhaupt nicht, was in ihn gefahren war, aber als Sarah ihm so nahe gekommen war und ihn berührt hatte, hatte in seinem Oberstübchen etwas ausgesetzt und er hatte wieder Estelle vor sich gesehen, wie sie über ihn hergefallen war.
Nun aber rollte er Richtung Urologie und mit jedem Meter, dem er dieser verhassten Abteilung näher kam, nahm die Beklemmung zu. Dort wurde er allerdings freundlich von dem Arzt begrüßt, der ihn damals behandelt hatte. Keine Schwester war in der Nähe und Sarah war zwar dem kleinen Konvoi gefolgt, hatte aber die Treppe genommen, denn im Fahrstuhl wäre die Nähe für Ben sicher unerträglich. „Na Herr Jäger-mein Kollege vermutet, dass ihre Schmerzen wieder von der Niere kommen, dann schauen wir uns das mal an!“ sagte er und Ben´s Blick wanderte angstvoll zu dem bereit stehenden Untersuchungsstuhl, aber der Arzt holte nur ein Ultraschallgerät herbei, bestrich seinen Oberbauch und die Flanke mit Gel und besah sich dann aufmerksam die wabernden Schatten auf dem Monitor, während Ben alleine vom Druck des Schallkopfs an die Decke hätte gehen können und verhalten aufstöhnte. „Na da haben wirs schon-wie ich bereits vermutet habe, befinden sich noch Steinreste im Nierenkelchsystem und dem Harnleiter. Allerdings sind die so klein, dass die der Körper selber nach draußen befördern kann. Außerdem liegt ja die Harnleiterschiene, also ist der Ablauf des Urins gesichert und es besteht keine Gefahr für die Niere. Momentan ist von meiner Seite auch keine Intervention nötig, sie bekommen wie das letzte Mal ein krampflösendes Medikament in die Infusion und dazu gut Schmerzmittel. Trinken sie viel und wenn es geht, laufen sie herum, dann rutschen die Steine noch leichter durch. Ich weiss, das ist sehr schmerzhaft und unangenehm, aber aktuell nicht gefährlich-ich wünsche ihnen alles Gute und wenn es bis morgen nicht besser ist, schaue ich sie mir natürlich nochmals an, aber ich glaube, der Harnleiter wird es bald geschafft haben, die Fremdkörper in die Blase befördert zu haben. Dann müssen sie natürlich auch noch raus kommen, was beim Urinieren nochmals weh tun kann, aber wie gesagt-es ist nicht lebensbedrohlich, obwohl es sich so anfühlt-Kolikschmerzen sind eben einfach stark!“ versicherte er ihm und nun fiel Ben und Semir gleichermaßen ein Stein vom Herzen.
Der Arzt füllte noch schnell den Konsilschein aus, schrieb die Medikamentenverordnung darauf und wenig später war das Bett, gefolgt von Sarah, wieder auf dem Weg zurück zur Normalstation. Semir ließ sich einen Augenblick zurückfallen, als sie vor dem Aufzug warten mussten: „Sarah-er hat kleine Nierensteine, die aber von selber abgehen sollen, hat der Urologe gesagt!“ berichtete er ihr und nun war auch Sarah erleichtert. Klar waren Nierenkoliken sehr schmerzhaft, aber wenn die Steine klein waren, waren sie nicht gefährlich und langsam konnte sie sich wieder entspannen. Was für eine Aufregung, aber jetzt konnten sie wieder ein wenig positiver in die Zukunft sehen und wenn es Ben besser ging, weiter an seinen Problemen arbeiten!