Beiträge von susan

    Es dauerte bis zur Mittagszeit bis Ben seine normale Körpertemperatur wieder erreicht hatte. Er war zwischendurch einmal abgesaugt und ein wenig anders hingelegt worden, allerdings blieb er die ganze Zeit flach auf dem Rücken, man stopfte nur einen dünnen Keil unter die Weichlagerungsmatratze, um den Schwerpunkt zu verändern, aber für die nächsten Tage war es wichtig, dass der junge Polizist auf dem Rücken liegen blieb. Der dicke Verband wirkte noch wie eine Kompression, weil ihn das Körpergewicht gegen die Matratze presste und das war auch dringend nötig, denn die Wunde blutete nach und auch die Drainagen füllten sich wieder und wieder mit Blut, so dass man beim nächsten Wechsel der Redonflaschen mit einer sterilen Entlüftungskanüle den Sog wegnahm. Man kontrollierte die Blutgase und die anderen wichtigsten Laborwerte und entschied sich, Ben noch zwei weitere Blutkonserven zukommen zu lassen.
    Semir wurde immer nach draußen geschickt, wenn an seinem Freund etwas gemacht wurde-es war hier nicht wie in der Uniklinik Köln, wo er sozusagen zum laufenden Betrieb gehört hatte, man kannte ihn nicht und wusste ja auch nicht, dass er durchaus nicht umfallen würde, wenn er Zeuge von medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen an seinem Freund wurde, aber Semir war froh, dass man ihn überhaupt dableiben ließ, denn ein Schild draußen vor der Tür hatte eigentlich streng auf die eingeschränkten Besuchszeiten hingewiesen und er war redlich froh, dass man sich in seinem Fall nicht daran hielt. Von dem Platz mit dem Handyempfang in der Besuchsecke informierte er bei so einer Gelegenheit Hartmut und der erzählte ihm seinerseits, dass es ihnen gelungen war die Pläne zu verändern und Klaus wieder wie gewohnt mit den gefakten Daten im Handy zur Arbeit gegangen war, während er sich heute im Haus die Zeit vertrieb, unter anderem mit dem Findelkater und nicht mehr nach Augsburg zu dem Kongress gefahren war. „Weisst du-meinen vorbereiteten Vortrag habe ich gestern gehalten und es war eine lange Nacht für uns alle. Außerdem hatte ich nicht den Eindruck als könne ich da noch viel lernen, die anderen Themen, die am Dienstag auf dem Programm standen, waren für mich eher langweilig, ich habe mich mal für heute dort krank gemeldet!“ berichtete er. Was Hartmut nicht wusste war, dass der Bewacher draußen ein paarmal eine Bewegung hinter den Fensterscheiben wahrgenommen hatte und jetzt zufrieden an seinen Partner weiter gab: „Corinna ist im Haus, Klaus hält sich an unsere Abmachungen!“ und so war die Anwesenheit des rothaarigen Technikers sogar von Vorteil.

    Als Semir nach einer Weile langweilig wurde, begann er Ben von seinem Gespräch mit Sarah zu erzählen. „Weißt du Ben-ich bin mir ganz sicher, dass niemand außer deiner kranken Tochter fähig war, deine Frau davon abzuhalten, zu dir zu kommen, aber sie hat sich dafür gleich telefonisch mit dem Pflegepersonal hier verbündet, um Auskunft zu erhalten. Aber ich bin ja schon froh, dass ich bei dir bleiben darf, denn ich hätte keine ruhige Minute, wenn ich nicht an deinem Bett sitzen dürfte. Und mach dir keine Sorgen wegen der Lähmung-der Professor hat einen sehr kompetenten Eindruck auf mich gemacht, der konnte hoffentlich was für dich tun und wenn nicht, dann kriegen wir das trotzdem-du bist doch fit und sportlich und ich habe mal bei einem Rollstuhlbasketballspiel zugesehen-du meine Güte, da gings vielleicht zur Sache!“ sprach er mit seinem Freund, so als wenn der nicht schlafen würde. Die betreuende Schwester hatte mit einem Schmunzeln von draußen gehört, wie der türkische Polizist mit seinem beatmeten Freund redete-ja der machte das nicht zum ersten Mal- und sie beschloss, ihn nun nicht mehr unbedingt nach draußen zu befördern, wenn sie etwas an ihrem jungen Patienten machte. Allerdings schickte sie ihn mittags noch in die Cafeteria und trug ihm auf, etwas zu essen, Kaffee und Wasser hatte sie ihm bereits gebracht, aber jetzt würde es an die Extubation gehen und da würde er sich in der ersten Zeit danach vermutlich nicht mehr wegbewegen, so wie sie ihn einschätzte, den kleinen Mann mit dem großen Herzen, wie sie ihn bei sich nannte.

    Die Blutkonserven waren eingelaufen, die Körpertemperatur im Normbereich und sogar Ben´s Gesicht war weitgehend abgeschwollen, so dass er wieder ziemlich normal aussah. Man hatte die letzte Stunde schon allmählich die Sedierung reduziert, den Beatmungsmodus auf CPAP umgestellt und somit alles gut vorbereitet. „So-wir schalten jetzt die Sedierung aus und warten ab, was passiert. Machen sie gerne weiter wie bisher, sprechen sie mit ihrem Freund-dem wird die vertraute Stimme gut tun und wenn er komplett selber atmet und auch nicht panisch wird, dann versuchen wir den Tubus heraus zu ziehen!“ erklärte die Schwester den Plan und Semir nickte-jetzt war er gefragt, das hatte er schon mehrfach mit erlebt und Ben dabei immer nach bestem Wissen unterstützt. Auch er selber war ja schon auf der Intensivstation gelegen, ebenfalls kritisch krank und beatmet und wusste, wie froh man war, wenn einem da jemand beistand, den man kannte, denn auch wenn alle zu einem sehr nett und freundlich waren, man war dieser Gerätemedizin irgendwie hilflos ausgeliefert und jedes bekannte Gesicht, jede vertraute Stimme war ein Trost in dieser schwierigen Situation, zumal es bei Ben jetzt auch noch um ganz andere Dinge ging und der anscheinend überhaupt nicht mit einer Querschnittlähmung umgehen konnte, wie der Selbstmordversuch in der Eishöhle zeigte.
    „Schwester-wie sind denn ihre Erfahrungen-müsste er jetzt gleich seine Beine wieder spüren, wenn er wach wird und die Operation geglückt ist?“ fragte Semir deshalb noch nach, aber die erfahrene Pflegerin schüttelte den Kopf. „Das wäre eher unwahrscheinlich, den Enderfolg wird erst die Zeit zeigen aber warten wirs ab, vielleicht spürt er ja mehr als wir denken, aber das ist erst der zweite Schritt-jetzt müssen wir ihn zuerst von der Beatmungsmaschine trennen!“ erklärte sie und kontrollierte nach dem Ausschalten der Perfusoren, ob die Handfixierungen stramm saßen.

    Wie geplant schlug Ben nach einer Weile die Augen auf und blickte erst ein wenig panisch um sich. Er hatte zwar schon eine ganze Weile Geräusche um sich herum wahr genommen, vor allem auch Semir´s vertraute Stimme, aber es war ihm durch die Schlafmittel egal gewesen. Jetzt tauchte er wie ein Schwimmer in einem See an die Wasseroberfläche und konnte sich auf einmal wieder erinnern. Gleichzeitig begann ihn der Tubus in seinem Hals zu stören und er kannte sich momentan nicht aus. Moment er war doch operiert worden, aber warum war dann Semir da? Und was war noch gleich der Grund für die OP gewesen? Oh Gott-seine Beine, er konnte seine Beine nicht spüren-oder vielleicht doch? Allerdings war jetzt seine Wahrnehmung durch den kratzenden Tubus eingeschränkt, er wollte etwas sagen, er bewegte die Lippen, aber das ging nicht und jetzt wollte er nach oben fassen und sich den Fremdkörper einfach heraus reißen. Semir´s Gesicht erschien über ihm und der sagte: „Ben, bleib ganz ruhig-gleich kommt der Arzt und dann bist du den Schlauch los!“ und zugleich drückte er tröstlich seine angebundene Hand. Ein fremdes Männergesicht erschien jetzt über ihm und eine Stimme fragte: „Herr Jäger-können sie mich verstehen?“ und Ben kämpfte die aufsteigende Panik nieder und nickte. „Machen sie bitte den Mund auf-ich sauge den Speichel ab, wie beim Zahnarzt!“ sagte dann der Mann, den Ben nun als Arzt identifizierte und er folgte dessen Aufforderung. Als die Mundhöhle sauber war, wurde er noch ein letztes Mal endotracheal abgesaugt, was bei vollem Bewusstsein sehr unangenehm war, aber dann machte man an seinem Gesicht herum, löste die Tubusfixierungen, entblockte den Schlauch und schon war der draußen, was Ben mit einigen kräftigen Hustenstößen, die schmerzhaft in seinen Rücken fuhren, quittierte. „Schon gut Herr Jäger-jetzt haben sie es geschafft!“ sagte nun eine weibliche Stimme, während sie erst sein Gesicht mit einem kühlen feuchten Lappen abwischte und dann eine Sauerstoffmaske locker darauf befestigte, um ihm das Atmen zu erleichtern, denn der bronchopulmonale Infekt war ja noch nicht besser geworden, allerdings eben auch nicht so schlimm, dass man ihn deswegen beatmen musste. Normalerweise hätte man jetzt das Bettkopfteil höher gestellt und den Beatmungsschlauch vielleicht auch ein wenig früher heraus gezogen, bevor der Patient ihn als dermaßen unangenehm wahr nahm, aber bei Wirbelsäulenpatienten war das leider nicht möglich, denn die mussten flach auf dem Rücken bleiben. Ben sog gierig die Luft ein und für einen Moment war seine Aufmerksamkeit jetzt von anderen Dingen als seinem Unterkörper in Anspruch genommen und er schloss nach dieser Tortur kurz die Augen, aber dann öffnete er sie wieder, fixierte Semir und sagte tonlos: „Ich spüre meine Beine immer noch nicht, aber mein Rücken tut höllisch weh!“ und dann brach er in Tränen aus.

    So-was lange währt, währt endlich gut! Jetzt hatte ich die Zeit, deine tolle, emotionale und auch ein wenig traurige Geschichte zu Ende zu lesen. Es waren wieder viele überraschende Wendungen darin. Die Gefühle der Protagonisten wurden ganz toll beschrieben und an Emotionen hat es wahrlich nicht gemangelt. Allerdings ist auch die Action nicht zu kurz gekommen, gerade die Flucht von Kevin und Annie durch den Dschungel, der Kampf und letztendlich der schreckliche Sturz waren so gut beschrieben, dass ich mehrmals die Luft angehalten habe. Das Ende allerdings ist traurig, nur kann ich ehrlich gesagt -bevor ich seine Leiche nicht höchstpersönlich gesehen habe-nicht an Kevin´s Tod glauben. Der ist doch wie eine Katze mit neun Leben ausgestattet-vielleicht hat er ja doch den Sturz in den Fluss überlebt, wurde von Indianern gerettet und hat jetzt eine Amnesie.
    Die parallele Lovestory zwischen Carina und Ben hat auch ein Open End, also bleibt viel Raum für Spekulationen, aber Annie ist gerettet, der Fall Bachmann gelöst-kein ganz schlechter Schnitt, wenn nur die Sache mit Kevin nicht wäre!
    Danke Campino für diese tolle Geschichte und jetzt kann ich mich dann ganz beruhigt auf die Neue stürzen-ich freu mich drauf!

    Nach einiger Wartezeit wurde ein Bett an ihm vorbei geschoben, darin lag Ben tief schlafend mit einem Tubus im Mund und sah ein wenig merkwürdig aufgedunsen aus, denn durch die lange Bauchlage hatte sich ein Teil der Gewebeflüssigkeit auf der Körpervorderseite angelagert und die Augen des jungen Polizisten waren zu geschwollen, was Semir allerdings keinen Deut scherte. Er sprang auf, war mit zwei Schritten am Bett und griff nach der Hand seines Freundes, die schlaff auf den Kissen lag. „Wie geht es ihm-war die Operation erfolgreich?“ sprudelte er heraus und der begleitende Intensivarzt und die Schwester, die das Bett schoben, verharrten einen Augenblick. Man musste nicht fragen, wer der kleine Mann mit den kurz geschorenen Haaren war-das hatte die Notaufnahmeschwester ihnen schon mitgeteilt- und außerdem lag ein von Ben unterzeichnetes Dokument vor, dass sie einem gewissen Semir Gerkhan gegenüber auskunftsberechtigt waren. „Ich vermute, sie sind der Freund und Kollege unseres Patienten-wir müssten ihn jetzt erst einmal versorgen, wenn sie bitte noch einen Moment hier draußen Platz nehmen. Wir holen sie dann herein und dann bekommen sie die gewünschte Auskunft von mir!“ sagte der Intensivarzt freundlich und Semir wich mit einem Nicken wieder zu seinem Stuhl zurück. Er war erst einmal froh, dass Ben lebte und die OP vorbei war, alles Weitere würde sich fügen, er konnte jetzt sowieso nichts weiter machen als abzuwarten und Sarah Bescheid zu geben. Er hatte vorhin schon heraus gefunden, dass es direkt vor dem Fenster einen Punkt gab, wo er leidlichen Handyempfang hatte und dahin ging er jetzt, nachdem sich die Türen hinter dem Bett geschlossen hatten und rief Jenny an.

    Die hatte nach einiger Überlegung bei Sarah und Corinna in der Schutzwohnung auf dem Sofa übernachtet, sie konnte die beiden Frauen jetzt einfach nicht alleine lassen und musste ja auch als Nachrichtenübermittlerin dienen. Es war eine unruhige Nacht gewesen, denn das Baby hatte viel geweint und Sarah hatte die kleine Mia-Sophie ständig durch die Wohnung getragen, ihr Tee gegeben und sah selber völlig fertig aus. Wobei es eigentlich egal war-sie hätte sowieso nicht ausruhen können, zu groß war die Sorge um ihren geliebten Mann. Wenigstens Tim hatte geschlafen und verlangte nun am Frühstückstisch sitzend, nach Kaba und einem Marmeladenbrot, das ihm auch gleich von Corinna serviert wurde, während die drei Frauen erst einmal einen starken Kaffee tranken. Als Jenny´s Handy läutete, zuckten alle drei zusammen und sahen die junge Polizistin erwartungsvoll an, die noch während sie abnahm flüsterte: „Es ist Semir!“ und dann in ihr Smartphone lauschte. Ihre angespannte Miene glättete sich und dann sagte sie kurzerhand: „Ich gebe mein Handy gleich an Sarah weiter-sprich doch mit ihr persönlich!“ und Semir wiederholte nun die Auskunft, die er gerade erteilt hatte. Die Operation war beendet, Ben war beatmet auf der Intensivstation und er würde später ein Gespräch mit dem Arzt haben und sich dann noch einmal melden. „Gott sei Dank, er lebt!“ flüsterte Sarah und die erste Anspannung fiel von ihr ab. Jetzt konnte man eh nur hoffen und beten, aber so gerne Sarah an der Seite ihres Mannes gewesen wäre, vor allem auch, weil sie die Kollegen, die Ben jetzt versorgten, auch nicht kannte, aber das war einfach unmöglich und gerade hob Mia-Sophie, die auf ihrem Arm erschöpft eingenickt war, zu einer erneuten Schreitirade an, so dass sie das Gespräch schnell beenden musste, um die kleine Madam zu beruhigen, allerdings hatte sie Semir zuvor noch um einen Gefallen gebeten, der den schmunzeln ließ.

    Ben wurde derweil auf der Intensivstation vom Transportbeatmungsgerät an das stationäre Gerät umgehängt, man nahm Blut ab und bettete ihn halbwegs bequem auf den Rücken, wusch ihn oberflächlich ab-die gründliche Körperpflege würde man später machen, wenn er warm und stabil war-tauschte den Blasenkatheter gegen einen mit Temperatursonde aus und machte dann seine Hände mit Fixies fest, denn man würde ihn nur so lange nachbeatmen, bis er warm war und ihn dann wach werden lassen. Sein Zustand ließ das zu und nachdem vermutlich noch etwa zwei bis drei Tage bis zur zweiten Operation vergehen würden, würde man ihn nicht so lange intubiert lassen, sofern sich der Atemwegsinfekt nicht verschlimmerte. Man hatte ihm schon hoch dosiert Antibiose verabreicht und es blieb zu hoffen, dass die auch gegen den pulmonalen Infekt wirksam war. Die Blutgase waren nicht allzu schlecht, das Noradrenalin war zwar nötig, um seinen Blutdruck zu stabilisieren, aber es lief in einer eher niedrigen Dosierung und nachdem der Intensivarzt ihn noch kurz durch untersucht hatte, legte man ein Thermacair Wärmegebläse über ihn, das ihn mit 38°C warmer Luft umfächelte, wechselte die ersten Drainageflaschen, die ordentlich Blut förderten, was nach so einer großen OP aber normal war und eben beobachtet werden musste und holte dann Semir herein.

    Die Schwester, die das erledigte, begann Semir freundlich auf den Anblick vorzubereiten, der ihn erwartete, aber der Deutschtürke winkte mit einer Handbewegung ab. „Lieb von ihnen, dass sie mir das alles erklären wollen, aber ich kenne das schon-es ist nicht das erste Mal, dass mein Freund beatmet und schwer krank auf der Intensivstation liegt!“ sagte er und nun nickte die Schwester und geleitete Semir zu der Einzelbox. Dort musterte er den dunkelhaarigen jungen Polizisten mit der verstrubbelten dunklen Mähne, griff erneut nach seiner schlaffen und immer noch kalten Hand und lauschte dann aufmerksam den Worten des Intensivarztes während er die Hand seines Freundes ganz fest hielt und versuchte ihm Kraft und Wärme zu übertragen. Minuten später kam dann noch der Professor persönlich zur Tür herein und nun bat Semir, dass man doch vom Festnetzmobilteil aus eine Verbindung zu Jenny´s Handy herstellte, die ihm zugesichert hatte, momentan noch in der Schutzwohnung zu verweilen. So erfuhr nun Sarah aus dem Munde des leitenden Operateurs, wie die OP verlaufen war und dass man jetzt einfach abwarten musste, ob irgendwelche Funktionen zurück kamen. „Sie sind ja vom Fach, wie ich gehört habe!“ redete der Arzt ins Telefon. „Der Sphinktertonus war teilweise erhalten, was ein gutes Zeichen ist, jetzt sind wir gespannt, was Herr Jäger angibt, wenn er wach wird. Angesichts der Schwere der Operation ist der Zweiteingriff nicht vor Donnerstag geplant, wenn ich die Cages einsetze wird mir der leitende Viszeralchirurg zur Seite stehen, das ist hier im Haus so üblich!“ erklärte er und Sarah bedankte sich zunächst einmal.

    Als der Professor und auch der Intensivarzt den Raum verlassen hatten, blieb die betreuende Schwester mit Ben und Semir im Zimmer und musterte ihre Geräte, ob alles in Ordnung war, bevor sie sich ihrer weiteren Arbeit beim nächsten Patienten widmen würde. Das Telefon lag auf einem Tischchen und Semir richtete nun Sarah´s Bitte aus. Vorhin hatte er den Professor nicht vor den Kopf stoßen wollen, aber jetzt war er mit der Pflegekraft alleine und bat sie, doch persönlich mit Sarah zu sprechen. „Weisst du Semir-so von Intensivschwester zu Intensivschwester fließen andere Informationen, als wenn man mit den Ärzten kommuniziert!“ hatte sie ihm vorher erklärt und ihn so zum Schmunzeln gebracht und tatsächlich-kaum waren die beiden Fachkräfte telefonisch verbunden, bekam Sarah Informationen über die Beatmungseinstellung, wie hoch das Nor lief, für welchen Zeitraum das Weaning geplant war und weitere Daten, mit denen nur Fachpersonal etwas anstellen konnte. „Glaub mir-dein Mann ist bei uns, auch wenn wir nur ein Provinzkrankenhaus sind, in den besten Händen!“ versicherte die Schwester, denn so von Pflege zu Pflege war man sofort per Du. „Wir haben kein so großes Spektrum an Krankheitsbildern, wie ihr an der Uniklinik, aber was wir machen, machen wir gut!“ versicherte ihr Gegenüber und fast ein wenig erleichtert beendete nun Sarah das Gespräch. Sie hatte sich mit der Fachkraft gleich verstanden und ihr ebenfalls einige nützliche Informationen über Ben gegeben, immerhin hatte sie ihn schon mehrfach als Intensivpatienten betreut, wusste, wie er auf manche Medikamente ansprach und wie rasch er wach wurde, wenn man die Sedierung ausschaltete. Außerdem war ihr versichert worden, dass man sie sofort verständigen würde, wenn es irgendwelche Komplikationen gab und Semir würde auf ihren Mann aufpassen, das wusste sie ebenfalls sicher.

    Der bekam nun einen bequemen Stuhl neben das Bett seines Freundes gestellt und man erlaubte ihm, bei ihm zu bleiben, sofern er den Raum für pflegerische oder ärztliche Tätigkeiten verließ. Sarah hatte extra darum gebeten und das große Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Kollegen erwähnt. „Dann lasse ich sie beide jetzt zunächst einmal alleine und wir warten, bis Herr Jäger komplett aufgewärmt ist!“ bekam er noch als Information von der Schwester und Semir lehnte sich bequem zurück, ohne Ben´s Hand los zu lassen. Er war sehr froh, dass er bei ihm bleiben durfte und später würde er noch Hartmut informieren, aber das hatte noch Zeit. Sein Blick streifte den Monitor-34,8°C zeigte der an, das würde noch ein Weilchen dauern bis Ben nicht mehr so eiskalt war und so bewachte Semir den Schlaf seines Freundes und war nur froh, dass sie ihn in der Höhle gefunden hatten.

    @nicci77
    Jetzt musste ich gerade beim Durchlesen der Posts sehr grinsen-da hast du in Cold Turkey aber nur kurz reingelesen-das ist die Story mit dem kleinsten Krankenhausanteil, die ich je geschrieben habe :D , es gibt Verfolgungsjagden, Krach Bumm Bäng und auch eine Handlung-aber egal-Hauptsache mir gefällt sie und ich schreibe meine Geschichten eben primär für mich selber und nicht als Auftragsarbeit, vielleicht auch ein wenig, um meinen Beruf zu verarbeiten. ;)
    Aber ich kann dir auch die Geschichten von Campino, harukaflower, silli und Yon empfehlen von den aktuellen, die treffen einfach am meisten meinen persönlichen Geschmack und es gibt auch viele ältere Storys, die mich sehr gefesselt haben.

    @nicci77 Erst mal vielen Dank für deine ehrliche Meinung, aber ich muss da Campno leider zustimmen-lies dann besser keine meiner Storys mehr, denn das ist sozusagen das Markenzeichen meiner Geschichten-sie sind , was die Medizinthemen betrifft sehr realistisch beschrieben und diese Dinge sauge ich mir nicht aus den Fingern, sondern sie beschreiben meinen Berufsalltag-entweder man mag das, oder eher nicht, aber wie schon empfohlen, es gibt hier eine riesige Auswahl an anderen Geschichten und das ist ja das Schöne am Fanclub, hier findest du für jeden Geschmack was!
    @Campino: Grins-ja du sprichst da aus leidvoller Erfahrung, gell? Zur Erklärung: Campino wurde beim Reinlesen in meine Storys schon übel, drum hat ers dann lieber gelassen, die sind halt nur was für Frauen mit starken Nerven und keinem Ekel vor Blut! ;)

    Zunächst strich man den Rücken des Patienten dreimal mit gefärbtem Hautdesinfektionsmittel ab und klebte, nachdem das angetrocknet war, eine Inzisionsfolie darüber, damit auf gar keinen Fall irgendwelche Hautkeime, die das Desinfektionsmittel überlebt haben könnten, in die Wunde gelangen konnten und nun wurde zunächst mit einem großen Hautschnitt, das Areal direkt über der Wirbelsäule eröffnet. Am großen Bildschirm, der einen Teil der Wand im OP einnahm waren die CT-Bilder angezeigt, wo man zunächst einmal die Frakturen genau erkennen konnte. Von oben nach unten begann man nun blutig die gebrochenen Wirbelkörper nacheinander frei zu legen, ohne dabei weitere Nerven oder Blutgefäße zu verletzten. Große Hämatome entleerten sich und das geschundene Gewebe war sehr schwer zu unterscheiden, aber dank der großen Erfahrung des Professors konnte man die austretenden Nerven weitgehend schonen und so manchen Nervenkanal wieder frei legen, der zuvor von Knochensplittern, gequetschten Muskeln und anderen Weichteilen verlegt gewesen war. Millimeter für Millimeter arbeitete man sich vor und die Geräusche glichen teilweise denen in einem Heimwerkerkeller. Bohrer, Fräsen und Sauger gaben Geräusche von sich, als man Knochenfragmente wieder zusammensetzte, mit Schrauben, Platten und Stäben stabilisierte und immer wieder Palacos, also Knochenzement benötigte, um all zu zerstörten Knochen wieder aufzubauen und aufzufüllen. „Gott sei Dank ist er jung und sportlich, so hat der Knochen eine ausreichende Dichte und bietet auch dem Osteosynthesematerial Halt!“ bemerkte der Professor, während er eine plötzlich auftretende Blutung routiniert stillte.
    Inzwischen dauerte die Operation schon mehr als drei Stunden, man hatte Ben, der sonst weiter auskühlen würde, obwohl er mit warmen grünen Tüchern zugedeckt war, über die Schulterpartie ein spezielles Wärmegebläse gelegt, das mit 38°C warme Luft ohne Verwirbelungen auf ihn blies und ihm half, seine Temperatur zu halten. Man hatte den Wirbelkanal an mehreren Stellen eröffnet und das darin in Rückenmarksflüssigkeit schwimmende Lumbalmark vorsichtig dekomprimiert und prüfte praktisch Millimeter für Millimeter die freie Beweglichkeit. An einer Stelle, die vermutlich hauptsächlich für die Lähmung verantwortlich war, war ein riesiger Bluterguss nicht nur außen herum, sondern auch innerhalb des Markstrangs. Unendlich vorsichtig präparierte der Neurochirurg, der dazu eine Lupenbrille trug die einzelnen Fasern frei-eine falsche Bewegung und die dauerhafte Querschnittlähmung war sicher und Ben´s Schicksal besiegelt, wenn er sich nicht sogar hier und sofort auf dem OP-Tisch verblutete.

    Die Narkoseärztin hatte inzwischen alle Hände voll zu tun, denn teilweise ohne dass man eine Ursache erkennen konnte, wechselte Ben´s Blutdruck zwischen hohen und niedrigen Werten, er brauchte abwechselnd Katecholamine, dann wieder Volumen und dann musste man den Blutdruck medikamentös herunter spritzen, denn wenn der Druck hochging, begann es immer stark zu bluten. Die körpereigenen Regelmechanismen versuchten auf ihre Weise mit dem spinalen Schock umzugehen. Die zweite Blutkonserve hing und dabei würde es nicht bleiben, denn die auftretenden Blutungen waren nicht unerheblich und das erste Saugerglas war schon ziemlich voll mit Blut und Spülflüssigkeit.
    Nach vier Stunden Operationsdauer begannen sich die Operateure und auch die Anästhesie rotierend abzulösen. Inzwischen war der Morgen angebrochen und durch die doppelten Glasscheiben des Operationstrakts konnte man einen herrlichen Sonnenaufgang beobachten-nur hatte keiner Zeit, diese wunderbare Bild zu betrachten, denn die ganze Konzentration galt dem Patienten auf dem Tisch den man so optimal wie möglich versorgen wollte. Weil das Krankenhaus im Vergleich zu so manchen Großkliniken eher überschaubar war, fast jeder jeden kannte und die Buschtrommeln in der Provinz via WhatsApp Tag und Nacht funktionierten, hatten einige Mitarbeiter der Operationsabteilung das Haus früher als sonst betreten und unterstützten nun die hart arbeitenden Kollegen. Alle außer dem Professor, der den Tisch nur im äußersten Notfall verlassen würde, hatten sich zwischendurch unsteril gemacht, einen Kaffee getrunken und ein paar Kekse gegessen, die Toilette aufgesucht und sich dann von neuem steril gewaschen und frisch angezogen. Der Assistenzarzt, der derweil die Ambulanz versorgt hatte und auch für die gesamten anderen unfallchirurgischen Patienten des Hauses verantwortlich gewesen war, kam als Ablöse nun auch an den Tisch, aber mehr als Haken halten und den Sauger bedienen, durfte er zu seinem größten Bedauern nicht machen.

    Ben´s Kreislauf wurde mit zunehmender Operationsdauer immer instabiler, auch weil sein Körper die Flüssigkeit der Schwerkraft folgend, nach vorne verschob. Mehrfach nahm man Blut ab und kontrollierte die Blutgase, den Hb und die Elektrolyte, wozu das Laborpersonal, das eigentlich nur Rufbereitschaft hatte, extra aufblieb. Man glich fehlende Elektrolyte aus, nahm warme Infusionslösungen und neben weiteren Blutkonserven bekam Ben auch noch aufgetaute Gefrierplasmen und Humanalbumin zugeführt. Endlich, nach mehr als sieben Stunden, waren alle Wirbelfrakturen versorgt, das Rückenmark war innerhalb des wieder hergestellten Spinalkanals frei beweglich und jetzt konnte man nur abwarten ob die Schädigungen der Nerven irreparabel waren, oder doch zumindest Teilempfindungen und motorische Fähigkeiten wiedererlangt werden konnten. Allerdings würde man-wie schon geplant-in einer weiteren Operation noch von ventral, also vom Bauch her, sogenannte Cages einsetzen, das waren eine Art Platzhalter, die als künstliche Bandscheiben dienten und die Abstände der Wirbelkörper aufrecht erhalten sollten, aber dazu musste Ben sich erst einmal stabilisieren und dieser Eingriff würde nicht vor übermorgen erfolgen, dazu brauchte man dann auch einen Viszeralchirurgen. Der Professor war verhalten optimistisch, als er nun endlich auch den Tisch verließ und seine Oberärzte die Hautnähte durchführten.

    In den anderen Sälen war inzwischen das Routineoperationsprogramm angelaufen und als man auf die Uhr sah war es kurz nach acht am Morgen. „Wir verlegen ihn primär erst einmal nachbeatmet auf die Intensivstation. Wenn es möglich ist, ihn nach ein paar Stunden zu extubieren, dann machen wir das, aber erst einmal muss er aufgewärmt werden!“ informierte die Narkoseärztin den Hauptoperateur und der nickte. Die Intensivstation war schon vorab informiert worden und ein Einzelzimmer mit Beatmungsgerät stand für Ben bereit. Als letzten Akt nach der Hautnaht, dem Einlegen mehrerer Saugdrainagen und dem Verband, fassten nun wieder alle mit an, um Ben auf den Rücken zurück zu drehen. Momentan schoss der Blutdruck in die Höhe, um kurz darauf wegen der erneuten Flüssigkeitsverschiebungen abzusacken, aber mit gutem Medikamentenmanagement gelang es, ihn halbwegs stabil zu bekommen und langsam brachte man ihn mit einem Transportbeatmungsgerät zur Schleuse, wo der Intensivarzt und seine betreuende Schwester mit allerlei Equipement schon bereit standen, um ihn zu übernehmen.

    Semir hatte tatsächlich ein paar Stunden geschlafen, aber um sechs erwachte er voller Unruhe. Leise wusch er sich mit den bereit liegenden Utensilien, putzte seine Zähne und zog seine Klamotten wieder an. Wie es Ben wohl ging? Das Telefon hatte noch nicht gebimmelt und er machte sich dann auf den Weg zur Notaufnahme, wo nach seinem Läuten auch die nette Schwester, die ihm das Zimmer zugewiesen hatte, heraus kam. „Moment-ich rufe mal im OP an, wie es aussieht!“ sagte sie freundlich, um ihm wenig später mitzuteilen: „Der Eingriff ist noch in vollem Gange, es verläuft aber alles nach Plan. Vermutlich wird ihr Kollege wie vorgesehen so zwischen acht und neun fertig sein-trinken sie erst mal einen Kaffee und dann können sie gerne vor der Intensivstation im ersten Stock warten, bis er an ihnen vorbei gefahren wird, ich sage, bevor ich jetzt nach Hause gehe, meinen Kollegen dort oben Bescheid!“ teilte sie ihm freundlich mit und zeigte ihm noch, wo ein Kaffeeautomat stand. Semir bedankte sich, trank zwei Tassen Kaffee, der erstaunlich gut schmeckte, schrieb Jenny eine WhatsApp, dass die OP noch im Gange war und planmäßig verlief und setzte sich dann voller Unruhe auf einen der gepolsterten Stühle vor der Intensivstation.

    Von Ben hatte eine Mischung aus Angst, Aufregung und Resignation Besitz ergriffen, nachdem Semir am Eingang zur OP-Abteilung zurück geblieben war. Die Schwester, die die Liege schob, versuchte ihm gut zuzureden, aber das war vergebene Liebesmüh. „Es wird schon alles gut werden, sie sind beim Professor in besten Händen!“ sagte sie begütigend, aber Ben erwiderte: „Nur Wunder kann der auch keine vollbringen!“ und nun gab die Schwester darauf keine Antwort, sondern rangierte neben das Schleusenband und jetzt wurde Ben erst Recht mulmig, als auf der anderen Seite vier grün vermummte Personen standen, um ihn in Empfang zu nehmen. Zu allem Unglück merkte er auch noch, wie es streng zu riechen begann-oh Gott-war das er gewesen? Schnell entfernte man die Überwachungselektroden, legte die Infusionsflaschen auf ihn, nachdem man die Rollklemmen geschlossen hatte und nahm das Arteriensystem aus der Halterung und stöpselte es auf der sterilen Seite wieder an den neuen Monitor. Die Schwester kippte die Vakuummatratze leicht an, damit das Fließband darunter fahren konnte und um Ben begann vor Aufregung alles vor den Augen zu verschwimmen, als sich das Band langsam in Bewegung setzte. Viele Hände griffen nach ihm, stabilisierten ihn und nun wurde die Vakuummatratze plötzlich ganz weich, als man das Ventil öffnete, Luft hineinströmte und die kleinen Kügelchen, die sich um seinen Körper perfekt an modelliert hatten, plötzlich auseinander gingen. „Wir drehen én bloc, Herr Jäger machen sie sich bitte, soweit es möglich ist, steif!“ kommandierte der Professor und Ben erhaschte einen Blick in das freundlich lächelnde Gesicht seiner Narkoseärztin, die sich ebenfalls schon umgezogen hatte, bevor seine Welt plötzlich kippte und ihm brutal schwindlig wurde. Irgendwie merkte er, dass man an seinem Po herum machte-oh Gott-hatte er jetzt wirklich vor allen Leuten unter sich gelassen? Moment, aber wie konnte er da etwas merken? Er hatte doch ab der Hüfte abwärts gar kein Gefühl? Nun wurde es plötzlich kalt an seinem Anus-eiskalt. „Spüren sie das, Herr Jäger?“ drang die ruhige Stimme des Professors, die verhaltene Autorität und doch Freundlichkeit ausstrahlte, an sein Ohr und er stammelte leise: „Es fühlt sich kalt an!“ „Spüren sie sonst etwas-Schmerz? Druck?“ folgte die nächste Frage, auf die er aber nicht so genau Antwort wusste und jetzt wurde er plötzlich wieder auf den Rücken gedreht, lag jetzt auf dem OP-Tisch und blickte in mehrere freundlich lächelnde Gesichter, soweit man das über den dicht schließenden OP-Masken erkennen konnte. „Sehr gut, Herr Jäger, am After laufen sehr viele Nerven zusammen, diese Tests zeigen uns, dass die Nervenbahnen nicht völlig zerstört sind, was ihre Prognose natürlich verbessert. Ich kann ihnen natürlich nichts versprechen, aber vielleicht können wir zumindest Teilfunktionen und Empfindungen wieder möglich machen!“ bekam er die ruhige Auskunft und jetzt übernahmen die Anästhesieschwester und die zugehörige Ärztin für eine Weile das Kommando, während die Operateure noch kurz in den Aufenthaltsraum gingen und ein paar Schluck Cola tranken, auch ihnen würde körperlich die nächsten Stunden viel abverlangt werden und sie würden den Tisch nur im äußersten Notfall verlassen, um zur Toilette zu gehen, oder etwas zu trinken.

    Ben´s Blutdruck war inzwischen wieder im Normbereich, er war stark in die Höhe geschossen, als man an seinem After herum manipuliert hatte, ihn zuerst sauber gemacht hatte und dann Schmerz, Druck, Berührung und Kälte mit Nadeln, Eisstückchen und dem behandschuhten Finger geprüft hatte. Der Blutdruckanstieg war aber nicht alleine aus Scham und Aufregung resultiert, sondern ein typisches Zeichen des spinalen Schocks bei Rückenmarksverletzungen, wo der Körper Regulationsmechanismen teils überschießend einsetzte, gerade bei Manipulationen an Blase und Mastdarm, aber jetzt würde man den Patienten schlafen lassen, damit er davon nichts mehr mitbekam. Allerdings war wegen der Blutdruckschwankungen eine Narkose bei so ausgedehnten Eingriffen an der Wirbelsäule auch für jeden Narkosearzt eine Herausforderung, obwohl der junge Patient ja eigentlich völlig Herz-Kreislauf-gesund war.

    Alles war für die Intubation vorbereitet, Ben lag mit warmen grünen Tüchern zugedeckt auf dem Rücken, sah an die Decke und dachte an Sarah und die Kinder-und auch an Semir, der sein Fels in der Brandung war, als er noch ein: „Schlafen sie gut!“ hörte, bevor er plötzlich weg war, als man das Narkosemittel in den ZVK spritzte. Die Intubation klappte gut und man verklebte den Tubus sorgfältig, denn er durfte während der Operation in Bauchlage auf gar keinen Fall verrutschen, denn bis man den Patienten notfalls gedreht hätte-eventuell bei eröffnetem Spinalkanal- wäre er alternativ erstickt, oder die ganze OP wäre umsonst gewesen und die Lähmung sogar verschlimmert oder man riskierte eine Infektion des Rückenmarkskanals.
    Man fuhr Ben nun in den Saal, wo einer der Ärzte sich schon steril angezogen hatte und zunächst einmal, assistiert von einem jungen Assistenzarzt, der ansonsten nur zusehen oder ablösen würde, die Wundversorgungen an der Leiste, dem Rumpf und dem Oberarm vornahm. Die Wunden wurden alle gereinigt, teilweise ein wenig ausgeschnitten, um saubere Wundränder zu bekommen, die verletzte Vene wurde abgebunden und die immer noch liegende Klemme entfernt und auch diese Verletzung schichtweise verschlossen. „Wie verzweifelt muss er gewesen sein, um so etwas zu tun!“ sagte der Assistenzarzt nachdenklich und voller Mitleid und alle Anwesenden nickten mit betroffenen Gesichtern, auch wenn Wirbelsäulenverletzungen hier an der Tagesordnung waren-dennoch machte jedes Einzelschicksal betroffen. Nun wurden die Wunden alle verbunden und die beiden Operateure und die instrumentierende Schwester entsorgten die Instrumente und zogen auch die kontaminierten Kittel aus. Die Schwester desinfizierte ihre Hände sofort von Neuem und zog sich wieder steril an, um die Vorbereitungen für den großen materiellen Aufwand für die Wirbelsäulen –OP, die mit vielen Instrumentensieben, Bohrern und anderen technischen Geräten gemacht wurde, zu vervollständigen-im Hintergrund war da schon eine Menge vorbereitet und abgedeckt. Man wollte die Keime, die sich sicher schon in den jetzt zuerst versorgten Wunden befunden hatten, nicht am Rücken haben-das war ein hochsteriler Eingriff und man hatte dort vor Wundinfektionen massiv Angst.
    So fuhr man einen zweiten OP-Tisch daneben, dort waren schon verschiedene Polster und andere Lagerungshilfsmittel bereit und nun traten alle Mitglieder des OP-Teams dazu und unter dem Kommando des Professors drehte man den tief schlafenden Ben behutsam, ohne weitere Verletzungen des Rückenmarks zu riskieren auf den Bauch, wo er die nächsten Stunden in einer Art Hockstellung liegen würde, damit man gut an den Rücken heran kam. Die Anästhesistin hielt dabei den Tubus fest und verwaltete die Kabel-jeder hatte genau seinen Bereich, wofür er zuständig war. Während die Operateure sich nun steril wuschen prüfte der Springer, also die unsterile OP-Schwester die Lagerung, versicherte sich, dass Ben so lag, dass er sich nicht wund lag, polsterte hier noch etwas ab, schob dort noch ein paar Kompressen unter, prüfte, ob der Katheter ablaufen konnte und nirgendwo etwas umgeschlagen war und als das alles passte, war die sterile Waschung des Professors und seiner Mannen beendet und der Eingriff konnte beginnen.

    Als Semir das Behandlungszimmer wieder betrat, hatte Ben im Unterarm einen arteriellen Zugang stecken, der gerade von der Schwester verklebt wurde, während die Narkoseärztin mit einem sterilen Tischchen, grün angezogen in der Ecke stand und darauf wartete, dass sie nun auch noch den ZVK legen konnte. Ein paar Tränen hingen in seinem Augenwinkel und Semir war mit ein paar Schritten bei seinem Freund. „Wars schlimm?“ fragte er mitleidig, während er nach der Hand des dunkelhaarigen Polizisten griff und als Ben keine Antwort gab, war ihm klar, dass der Eingriff gerade kein Sonntagsspaziergang gewesen war. „Wenn sie bitte draußen warten würden?“ sagte die Schwester, aber nun schüttelte Ben den Kopf und ließ einfach Semir´s Hand nicht mehr los. „Nein er soll dableiben, sonst lasse ich gar nichts mehr machen!“ stieß er hervor und so postierte man den kleinen türkischen Polizisten so, dass er nicht störte, während die Ärztin nun begann, oberhalb des Schlüsselbeins Ben´s Oberkörper abzustreichen. Wieder wurde Ben steril abgedeckt und als sich nun die Nadel für die örtliche Betäubung und danach die dicke Punktionskanüle in ihn bohrte, klammerte er sich an Semir´s Hand fest, gab aber keinen Mucks von sich. Auch die Anlage des zentralen Venenkatheters gestaltete sich schwierig, weil, wie zuvor die Arterie, durch den Blutverlust auch die Vene schlecht gefüllt war und der Blutdruck ebenfalls unter 100 systolisch war, was die Punktion und das anschließende Vorschieben des Katheters auch bei starker Kopftieflage schwierig machte. Doch endlich war auch das geschafft und als es bei der Annaht nochmals kurz piekte, gab Ben zwar einen kleinen Seufzer von sich, aber mit der Unterstützung seines Freundes hatte er die vorbereitenden Eingriffe jetzt hinter sich. Man wischte das Blut weg, machte noch kurz eine Röntgenaufnahme des Thorax, um die Position des mehrlumigen Schläuchleins zu kontrollieren-dazu konnte man die Röntgenplatte direkt in ein Fach unter die Liege schieben, so dass Ben nicht umgelagert werden musste-und als die korrekte Lage des Venenkatheters bestätigt war, wurde der mit ordentlich warmer Vollelektrolytlösung befeuert und auch das Thermacair lief auf Hochtouren, um die Zieltemperatur zu erreichen.

    „Ben-ich habe mit Sarah gesprochen, du sollst dich unbedingt hier operieren lassen, sie hat über diesen Professor Erkundigungen eingezogen, der scheint wirklich ein Spezialist auf seinem Gebiet zu sein. Ihr und Corinna geht es gut, nur Mia-Sophie wird anscheinend gerade krank, ansonsten hätte deine Frau sich vermutlich durch nichts und niemanden davon abhalten lassen, zu dir zu eilen! Sie lässt dir schöne Grüße ausrichten und ich soll dir sagen, dass sie dich liebt und auch wenn die Lähmung nicht reversibel ist, werden wir alle zusammen das wuppen.“ erzählte er und Ben war einen Moment abgelenkt: „Meine arme Kleine-was fehlt ihr denn? Ach verdammter Mist-ich würde so gerne Sarah jetzt unterstützen, kranke Kinder sind sehr anstrengend, aber stattdessen liege ich hier und bin ein Krüppel!“ stieß er voller Kummer hervor und seine Augen wurden schon wieder verdächtig feucht. „Jetzt mach mal halblang-noch besteht ja eine kleine Chance dass das nicht so bleibt und auch wenn, dann machen wir uns später darüber Gedanken, wie wir das organisieren-jetzt hast du erst mal ne große OP vor dir!“ schalt Semir seinen Freund und spürte, wie dessen Nerven blank lagen. Die Schwester nahm nun für einen Augenblick die Papierzudecke des Wärmegeräts weg und rasierte, soweit sie ran kam, die ganze Schambehaarung ab, was Ben erröten ließ, obwohl er wusste, dass die Pflegekraft auch nur ihren Job machte. Aber trotzdem war es peinlich, an Stellen, wo man sonst nur selber hin langte, oder vielleicht noch die Partnerin, von einer fremden Frau angefasst zu werden. Die war sehr freundlich, sprach mit ihm und versuchte ihn abzulenken, aber trotzdem war es unangenehm und als man seinen Unterkörper noch mit einem feuchten Tuch von den letzten Haarresten befreit hatte und die Decke wieder über ihm lag, entwich ihm ein Seufzer der Erleichterung, der gleich von einem quälenden Husten gefolgt wurde, was die Anästhesistin mit besorgter Miene verfolgte. Ach je-da war anscheinend wirklich eine schwere Bronchitis im Anmarsch, auch wenn das Röntgenbild noch keinen Anhalt für eine Pneumonie bot, aber ihr Patient war durch seine Verletzungen und die daraus resultierende Immobilität hochgradig gefährdet-wenn das nicht noch Probleme machte!
    Ben schloss nun die Augen ein wenig und als die Temperaturanzeige nun immer mehr Richtung 36°C wanderte, war niemand froher als er-er wollte jetzt endlich schlafen und nicht mehr denken-das Beste wäre sowieso, wenn er nicht mehr aus der Narkose aufwachen würde!
    Der Professor war inzwischen auch eingetroffen, trotz Nebel hatte er mit seinem Porsche gut Gas gegeben und nachdem er seinen neuen Patienten und auch Semir kurz begrüßt hatte, verschwand er aus dem Raum und sagte: „Herr Jäger-ich schaue mir jetzt am PC noch ihre Bilder an und dann sehen wir uns in Kürze im OP!“ und nun wurden auch schon die ganzen Befunde in einer provisorischen Kurve zusammen gepackt und der Patient in die Operationsabteilung gebracht. Semir lief noch mit, bis zu der grünen Schiebetür, wünschte Ben von Herzen alles Gute und blieb dann ganz verloren vor der Tür stehen, als sich die hinter seinem Freund geschlossen hatte, sein Kopf war wie ausgehöhlt und die Sorge erfüllte ihn.

    Wenig später kam die Notaufnahmeschwester wieder heraus und schob die Liege und darauf die Vakuummatratze mit. „Wollen sie nicht nach Hause oder ins Hotel gehen? Wenn die OP für acht Stunden geplant ist, wird sie vermutlich auch so lange dauern und sie sehen selber ganz schön müde aus!“ sagte sie freundlich, aber Semir schüttelte den Kopf. Auch wenn das vielleicht ein Blödsinn war-er konnte jetzt das Krankenhaus nicht verlassen, da würde er Ben sonst gefühlsmäßig im Stich lassen. Eigentlich war sowas nicht erlaubt aber die Schwester hatte Mitleid mit dem netten türkischen Polizisten, der anscheinend eine sehr enge Bindung zu seinem Kollegen hatte und so gab sie ihm den Schlüssel zu einem Bereitschaftszimmer und sagte: „Legen sie sich hin-da ist alles drin, was man so zum Übernachten braucht. Ich bitte meine Kollegen im OP, sie auf dem Apparat dort anzurufen, wenn Herr Jäger ausgeschleust wird!“ und wenig später streckte sich Semir in T-Shirt und Boxershorts auf dem Bereitschaftsbett aus. Eigentlich hatte er nicht gedacht, dass er schlafen könnte, zu sehr war er aufgewühlt, aber nachdem er Jenni und Hartmut noch eine Whats App geschrieben hatte, fielen ihm doch irgendwann die Augen zu-sein Körper verlangte sein Recht und er wusste nicht, wozu er seine Kräfte noch brauchen würde!

    „Herr Jäger, wir haben uns ihre anderen Verletzungen angeschaut und auch die Laborwerte. Der Blutverlust, den sie bisher hatten, ist zwar erklecklich, aber nicht lebensbedrohlich, vermutlich auch, weil die Blutung in der Leiste rechtzeitig gestoppt wurde. Der Hb lag bei acht, was uns normalerweise auch nicht so große Sorgen machen würde, ein gesunder junger Körper holt das innerhalb weniger Tage bis Wochen auf. Was aber dramatisch ist, ist die Verletzung an ihrer Wirbelsäule. Sie haben da eine sogenannte verschobene Impressionsfraktur, das heißt, mehrere Wirbel sind gebrochen und haben sich durch den Aufprall mit den Beinen voraus, ineinander verschoben. Dabei wurden die austretenden Nerven alle gequetscht, aber vor allem das Rückenmark selbst. Wir haben aber eine Nachricht für sie, die ein klein wenig Spielraum für Hoffnung lässt. Wie wir auf den MTR-Bildern sehen konnten, ist das Rückenmark nicht durchtrennt, es besteht also die Chance, dass sie zumindest Teilempfindungen in der unteren Körperhälfte zurückgewinnen könnten. Wenn wir sie dann aus der Vakuummatratze haben, werden wir da auch nochmals einen Test machen, aber das wird erst in der Operationsabteilung erfolgen. Ihnen steht jetzt ein großer Eingriff bevor, der auch einen hohen Blutverlust bedeuten kann, deshalb werden gerade Blutkonserven für sie eingekreuzt. Wir werden versuchen die Wirbelkörper, die zum Teil geborsten sind, mittels Osteosynthese, Metallstäben, Schrauben und Klammern so zu stabilisieren, dass der Rückenmarkskanal und die austretenden Nerven wieder Platz haben und dann muss man sehen, ob noch etwas an Nervenimpulsen weitergeleitet werden kann, aber das wird sich erst nach der OP zeigen. Wir werden erst einmal dorsal rangehen, das bedeutet, sie werden intubiert, auf den Bauch gelegt und wir operieren erst einmal von hinten. In Anbetracht ihrer Verletzungen wird das allerdings vermutlich nicht ausreichen und wir werden in einem zweiten Eingriff von ventral, also über den Bauch eingehen. Allerdings bekommen sie und auch wir Operateure dazwischen mindestens einen Tag Verschnaufpause, die sie auf der Intensivstation verbringen werden, wir wissen noch nicht, ob wir sie nachbeatmen müssen, oder ob der Narkosearzt sie wach werden lässt-das hängt ein wenig davon ab, wie es ihnen während und nach dem Eingriff, der wegen seiner Komplexität auf etwa 8 Stunden geplant ist, geht. Wir raten ihnen auf jeden Fall in den Eingriff und auch die Gabe von Blutkonserven einzuwilligen, denn auch wenn sich an der momentan bestehenden Querschnittslähmung vielleicht nichts ändern sollte, wird ihre Pflegefähigkeit erhöht, das heißt, man kann sie frühzeitig in den Rollstuhl setzen und mobilisieren, während sie bei konservativer Therapie jetzt etwa drei Monate flach auf dem Rücken liegen müssten, mit einer großen Gefahr sich wund zu liegen, eine Lungenentzündung oder eine Thrombose zu erleiden bis die Knochenbrüche irgendwie verheilt wären und keine Chance auf irgendeine Erholung des Rückenmarks bestehen würde.“ klärte ihn der Orthopäde auf und Ben sagte mit schwacher Stimme: „Da muss ich nicht lange nachdenken-natürlich willige ich ein!“ und Semir nickte dazu. „Ich möchte sie bitten, mir das hier noch zu unterschreiben und die Narkoseärztin wird sie dann noch für die Narkose, einen arteriellen Zugang und einen zentralen Venenkatheter aufklären-das brauchen wir auch noch dazu und die OP kann auch erst beginnen, wenn ihre Körpertemperatur über 36°C liegt. Wir werden jetzt also zusätzlich ein Warmluftgebläse einsetzen, um sie zu erwärmen, sie sind ja immer noch eiskalt!“ fügte der Neurochirurg nach einem Blick auf den Monitor hinzu.

    Inzwischen hatte man in Ben´s intakter Leiste eine Temperatursonde platziert und weil die Körpertemperatur jetzt immerhin aus dem gefährlichen Bereich für Herzrhythmusstörungen war, konnte man mit der Erwärmung Gas geben und wenig später blies das Thermacair ein Warmluftgebläse warme Luft auf Ben´s ausgekühlten Körper und seine Zähne, die begonnen hatten aufeinander zu schlagen, hörten nach einiger Zeit wieder auf damit und er begann sich ein klein bisschen wohler zu fühlen. „Ach ja-eine gute Neuigkeit habe ich auch noch für sie: Unser Chefarzt der Wirbelsäulenchirurgie-eine absolute Kapazität auf seinem Gebiet mit viel Erfahrung mit derartigen Verletzungen- der zugleich auch in München eine Professur hat und eigentlich dort wegen des Nebels über Nacht bleiben wollte, ist schon auf dem Weg zu uns. Er wird sie gemeinsam mit uns operieren und glauben sie uns-es gibt keinen Besseren!“ pries der Orthopäde an und irgendwie war nun auch Semir wohler-er hatte wegen dem Provinzkrankenhaus nämlich schon die größten Befürchtungen gehabt und die ganze Zeit überlegt, ob es nicht doch sinnvoller wäre, den Nebel abzuwarten und Ben in irgendein Zentrum zu verlegen, Sarah wüsste da sicher, wohin es vernünftig wäre, aber als er das einwarf, sah ihn der Orthopäde direkt an. „Je länger der Druck auf das Rückenmark andauert, desto unwahrscheinlicher ist eine Erholung-wir spielen also gegen die Zeit. Auch wenn der Nebel morgen früh weg sein sollte und man mit dem Hubschrauber irgendwohin verlegen würde, vergehen wichtige Stunden und solche Verletzungen sollen möglichst zeitnah operiert werden. Außerdem birgt ein erneuter Transport mit Erschütterungen ein weiteres Risiko und glauben sie uns-ihr Kollege ist bei uns in besten Händen. Ich kann ihnen auch raten-gehen sie kurz raus-hier drinnen haben sie leider sehr schlechten oder gar keinen Handyempfang. Googeln sie unseren Chefarzt und lesen sie auf verschiedenen Bewertungsportalen Meldungen zu ihm oder fragen sie jemanden der sich auskennt!“ und Semir nickte-genau das würde er jetzt machen und dann vor allem auch versuchen Sarah zu erreichen-Jenni musste da jetzt hinfahren, wenn sie es nicht sowieso schon lange getan hatte! So verließ Semir kurz die Notaufnahme um zu telefonieren, während die Narkoseärztin, die sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten, Ben und seine Vitalparameter aber keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, ihn aufklärte und dann auch gleich vor Ort die Arterie legte.

    Als Semir sein Handy zückte, kam auch, sobald er die abgeschirmten Räume verlassen hatte, Jenni´s Nachricht herein, dass Sarah dringend um Rückruf bat und so wählte Semir, nachdem er zuvor ganz kurz den Professor gegoogelt hatte, der anscheinend wirklich gut zu sein schien, die Nummer und hatte Sekunden später eine völlig aufgelöste Sarah am Apparat, während im Hintergrund Mia-Sophie lauthals brüllte. Semir erzählte stichpunktartig die neuesten Erkenntnisse und was genau geschehen war und Sarah bat ihn darum, kurz zu warten, sie würde ihn dann erneut anrufen. Auch sie googelte nun den Professor und rief dann zusätzlich noch den diensthabenden Wirbelsäulenchirurgen in der Uniklinik an. Der hörte den Namen und Sarah meinte fast zu vernehmen, wie er vor Ehrfurcht erstarrte. „Sarah-auch wenn das schrecklich ist, was deinem Mann geschehen ist, aber wenn dieser Professor ihn operiert, ist das das Beste, was ihm passieren kann. Dieser Mann ist eine absolute Koryphäe auf seinem Gebiet, der publiziert auch viel und ich habe auch schon verschiedene Vorträge von ihm gehört. Wir haben uns alle gewundert, warum der nicht an ner großen Uni forscht, aber der will einfach operieren und ich denke, er wird das Menschenmögliche für Ben heraus holen. Wenn er sich stabilisiert hat, kann man ihn ja dann zur Reha heimatnah verlegen, aber ab einem solchen Unfall gilt die drei Tage-Regel-man muss innerhalb dieses Zeitrahmens operieren, sonst ist keine Verbesserung mehr zu erwarten!“ klärte er Sarah auf und die rief wenig später Semir zurück. „Semir, ich denke das geht alles so in Ordnung. Die wissen in Donauwörth anscheinend was sie tun! Richte Ben von mir aus, dass ich ihn liebe und dass ich an ihn denke und ganz fest die Daumen drücke, dass es ihm bald besser geht. Ich werde sobald wie möglich zu ihm kommen, aber jetzt ist auch noch Mia-Sophie krank, ich könnte hier gar nicht weg, sogar wenn Jenni mich ließe. Und wenn die Lähmung nicht reversibel ist-gut dann wird es für uns trotzdem weiter gehen, zusammen kriegen wir das, richte ihm das bitte aus!“ bat sie und Semir hörte gerührt zu. Ja das stimmte-sie alle zusammen würden das wuppen, egal wie es ausging, aber eine kleine Hoffnung bestand ja immerhin-zumindest hatte er den Arzt so verstanden- und so würde er Ben ausrichten, dass auch Sarah für die sofortige OP war.

    Hartmut und Klaus hatten die Nachricht von Ben´s Auffinden erst erleichtert und dann, als sie von den ersten Diagnosen hörten, voller Sorge und Kummer registriert. Semir versprach sie auf dem Laufenden zu halten und so machten sie ihren Job fertig und wenig später waren die Hubschrauberpläne geändert und nur ein absoluter Profi konnte feststellen, was diesen Hubschrauber am Fliegen hindern würde. Hartmut war am Rückweg vom Kongress nicht direkt zum Haus des Brautpaars gefahren, sondern hatte Semir´s Wagen in Josef´s Garage gestellt und der hatte ihn nach der Arbeit vom Haus seiner Eltern mit genommen. Klaus´ Mutter hatte Corinna´s angebliche Erkrankung zum Anlass genommen, einen schmackhaften Eintopf vorzubereiten, damit ihre Schwiegertochter, die sie sehr mochte, wieder zu Kräften kam und so hatten die Männer auch gleich etwas zu essen, während sie über den Plänen brüteten. Die Mutter des Bräutigams machte sich ebenfalls ihre eigenen Gedanken-gerade als man ein Auto mit Kölner Kennzeichen in ihrer Garage unterbrachte und der Rotschopf, der das gefahren hatte, sich in Klaus´ Wagen duckte, als der weiter fuhr, aber sie wusste, ihr Mann und ihr Sohn würden schon das Richtige tun und so fragte sie nicht weiter nach.
    Klaus war auf dem Heimweg von der Arbeit noch schnell an einem Supermarkt vorbei gefahren und hatte dort Katzenfutter eingekauft und der kleine schwarze Kater war anscheinend schon ganz zuhause in seinem neuen Reich, strich ihnen um die Beine und stürzte sich nach der Begrüßung voller Begeisterung auf das schmackhafte Futter. Man konnte von der Doppelgarage ungesehen ins Haus gelangen und Klaus hatte auch die Rollos geschlossen, so dass man von draußen nicht hereinsehen konnte und das war auch gut, denn nach der Arbeit war er wieder unauffällig beschattet worden und der Mann der ihm gefolgt war, übergab jetzt die Nachtwache an seinen zweiten Kumpanen, denn er musste ja morgen wieder fit sein und Klaus nicht aus den Augen lassen.
    Er hatte mit den Scheichs telefoniert, denen mitgeteilt, dass der Konstrukteur ganz normal zur Arbeit gegangen war, Corinna zuhause war und sich draußen vermutlich aus Angst nicht sehen ließ, er aber nicht sagen konnte, ob die Pläne schon abfotografiert waren. „Warte bis Mittwoch-erst da versuchst du an sein Handy zu kommen!“ lautete der Auftrag und so ging der eine der Verbrecher zu Bett während der andere sich im unauffällig abseits geparkten Wagen einen Kaffee aus der Thermoskanne einschenkte und sich auf eine lange Nacht einstellte. „Verdammter Werner-gerade jetzt machst du dich aus dem Staub und ich kriege wieder nicht genügend Schlaf!“ knurrte der Bewacher, ohne zu ahnen, dass sein Knastkollege gerade auf der Intensivstation des Nördlinger Krankenhauses ums Überleben kämpfte.

    Jenni war derweil schweren Herzens zu Sarah gefahren. So eine Nachricht überbrachte man nicht am Telefon. Als sie bei der Schutzwohnung unweit des Kölner Doms ankam, betätigte sie die Türglocke nach einem bestimmten Signal und schon wurde geöffnet. „Gibt es Neuigkeiten?“ fragte Sarah aufgeregt und drückte die quengelnde Mia-Sophie an sich, die hoch rote Bäckchen hatte und sehr misslaunig war. „Ja, aber ich komm erst mal rein!“ sagte Jenni, ging mit den beiden Frauen, die schon im Bett gelegen hatten, aber nicht zur Ruhe gekommen waren, ins Wohnzimmer und nun erwartete Sarah eine schreckliche Nachricht, denn Jenni´s Miene war düster und was würde sie sonst mitten in der Nacht herführen? Tim wenigstens schlief selig und während das Baby jetzt zu weinen begann, erzählte Jenni, dass Semir Ben gefunden hatte, dass der aber schwer verletzt war und jetzt im örtlichen Krankenhaus behandelt wurde. „Jenni-wie schlecht geht es ihm und warum bist du so komisch!“ wollte Sarah nun wissen und schob Mia-Sophie einen Schnuller in den Mund, um sie wenigstens kurzfristig zum Schweigen zu bringen. „Sarah-Ben hat nach einem Sturz eine Querschnittlähmung erlitten und wird wohl noch heute Nacht operiert werden, mehr kann ich dir leider auch noch nicht sagen, aber Semir hält mich auf dem Laufenden!“ sagte Jenni und Sarah sah sie einen Moment völlig entsetzt an und auch Corinna hielt die Luft an. Das war ja schrecklich!
    „Oh Gott-wie wird er wohl damit zurechtkommen, aber Hauptsache er lebt!“ flüsterte Sarah leise und Jenni sah sie erstaunt an. Sie wusste nicht, wie sie auf so eine Nachricht reagiert hätte und Semir hatte ihr auch von Ben´s fehlgeschlagenem Selbstmordversuch berichtet, aber sie war sich gerade nicht so sicher, ob sie das Sarah in diesem Augenblick schon mitteilen sollte. „Ich muss zu ihm!“ sagte Sarah entschlossen, aber Jenni schüttelte den Kopf. „Sarah-das geht nicht. Wir können die Gefahrenlage für euch ganz schlecht einschätzen und Semir hat auch erzählt, dass in Bayern dichter Nebel herrscht, so dass kein Hubschrauber starten konnte. Ich denke aber, dass man Ben nach der Erstversorgung hierher verlegen wird, heute Nacht jedenfalls macht es keinen Sinn, wenn du dich verrückt machst oder dich ins Auto setzt. Semir ist bei ihm und hält uns auf dem Laufenden!“ beschwor sie Sarah und als Mia-Sophie nun lauthals brüllte, stellte Sarah fest, dass die ganz heiß war-oh Gott-in dieser Situation jetzt noch ein krankes Kind, aber sie hoffte jetzt nur, dass Ben das Ganze überstand-alles andere würden sie schon kriegen und so sagte sie das auch Jenni. Die schrieb Semir eine Nachricht, dass er doch bitte baldmöglichst zurück rufen sollte, denn dann wollte Sarah selber mit ihm sprechen, aber der konnte im Augenblick nicht reagieren, denn er saß jetzt wieder neben Ben und hielt dessen Hand, während die Ärzte jetzt auch noch die fertigen MRT-Bilder begutachteten.
    Ben war immer noch eiskalt, auch wenn seine Temperatur inzwischen schon um ein Grad gestiegen war. Man musste ihn aber langsam erwärmen, damit sein Herz nicht verrückt spielte. So wickelte man ihn erneut in warme Tücher, hängte angewärmte Infusionen an und kreuzte derweil einige Blutkonserven, denn die anstehende OP würde blutig werden und lange dauern-so viel wusste zumindest die Anästhesistin, die ihn betreute und jetzt traten auch der Neurochirurg und der Orthopäde zu den beiden Freunden, um den Patienten aufzuklären.

    Liebe Leser, ich geniere mich inzwischen fast, aber private Lebenskrisen verhindern, dass ich gerade an der Geschichte weiterschreiben kann. Morgen übersiedelt meine Mutter als Pflegefall zu mir, ich hoffe, mir bleibt die nächsten Tage und Wochen wenigstens ein klein wenig Luft, um diese Geschichte zu Ende zu schreiben-in meinem Kopf ist sie fertig, aber wann ich sie in den PC tippen kann, steht in den Sternen. Allerdings gibt es eben im Leben wichtigere Dinge als Storys, wobei ich natürlich tausendmal lieber mein altes Leben-wozu das Geschichtenschreiben seit einigen Jahren einfach gehört-zurück haben würde, ich hoffe ihr seid mir nicht böse und natürlich wird auch diese Geschichte zu Ende gebracht, ich weiss nur noch nicht in welchem Zeitrahmen. :(

    Die Fahrt in die Klinik dauerte nicht lange, aber trotzdem kam es Semir vor wie eine Ewigkeit. Ben hatte die Augen geschlossen und er hielt zwar seine Hand, aber er merkte, wie der sich innerlich distanzierte. Semir spürte, dass Ben jeden Lebensmut verloren hatte und sein Freund tat ihm einfach unendlich leid. Klar-mit dieser Lähmung war das Leben, so wie er es bisher kannte, vorbei, aber es gab doch sicher noch trotzdem so viel Schönes, immerhin lebte er! Allerdings konnte Semir schon verstehen, dass sein Kollege die Situation als aussichtslos empfunden hatte, aber das würde sich wieder ändern, denn eigentlich war er ein fröhlicher, positiver Mensch und daran hatte sich ja durch den Sturz nichts geändert! Sobald sie im Krankenhaus waren, musste er Hartmut verständigen und vor allem natürlich Sarah-er würde dann gleich Jenni anrufen, allerdings war er fast froh, dass er Sarah die Nachricht von der Querschnittlähmung nicht persönlich überbringen musste. Wie würde die reagieren?

    Man hatte den Patienten warm zugedeckt und trotzdem war die Hand, die Semir warm und beruhigend umfasste, eiskalt. Man hatte Ben´s Temperatur gemessen und die war nur bei 32,9°C. Man musste ihn also sorgfältig überwachen, denn alleine die Hypothermie, wie die Unterkühlung im Fachjargon hieß, konnte zu schweren Herzrhythmusstörungen führen. Die Notärztin und der Rettungsassistent beobachteten den Monitor und natürlich auch den Patienten, dessen Brust sich mühsam hob und senkte, aber die weitere Fahrt verlief ereignislos.
    Als die Tore der Halle vor der Notaufnahme sich öffneten und dann die Türen des RTW aufgemacht wurden, stand schon ein ganzer Pulk an Ärzten und Pflegepersonal bereit. Vorsichtig schob man die Trage heraus und Semir musste die Hand seines Freundes jetzt loslassen. Bis er sich versah, war die ganze Truppe in einem Schockraum verschwunden und man hob Ben mitsamt der röntgendurchlässigen Vakuummatratze auf eine Behandlungsliege. Auf dieser Matratze würde er bis zum Abschluss der Diagnostik liegen bleiben, der RTW würde nach der Übergabe des Patienten in die Wache zurück fahren, dort eine neue Matratze an Bord nehmen und diese hier bei Gelegenheit sauber gereinigt und desinfiziert wieder abholen. Das war der Vorteil der kleinen Häuser-man kannte sich und arbeitete auch an der Schnittstelle Notaufnahme und Rettungsdienst vertrauensvoll zusammen.
    Ben hatte die Augen wieder aufgemacht und musterte die Ärzte und Schwestern, die ihn alle freundlich ansprachen und versuchten, ein Band der Vertrautheit herzustellen. Man wollte Semir erst bitten, draußen zu warten, aber Ben verlangte nun wieder nach seinem Beistand und so durfte er herein kommen und lauschte der Übergabe der Notärztin, während die Notaufnahmeschwester schon flink den Monitor wechselte, die Infusion an einen Ständer hängte und die Fleecedecke des Rettungsdienstes gegen eine angewärmte grüne Krankenhauszudecke austauschte. Noch während die Notärztin sprach, hatte man Ben schon Blut aus dem Arm abgenommen, das sofort ins Labor gebracht wurde. „Ich habe hier Ben Jäger, einen sechsunddreißigjährigen Polizisten, der angeschossen und in einer Eishöhle gefangen gehalten wurde.“ begann sie zu erzählen. Der junge Neurochirurg, der auch noch nicht allzu lange am Haus arbeitete runzelte die Stirn-wo bitteschön gab es hier in der Gegend eine Eishöhle? Da musste er bei Gelegenheit mal nachfragen, aber so lauschte er einfach weiter den Worten der zierlichen Frau. „Die beiden Schussverletzungen am Arm und seitlich am Rumpf sind nicht tief und ich denke, da steckt auch kein Projektil drin, wir haben sie nur trocken verbunden. Wie er uns erzählt hat, hat Herr Jäger versucht zu fliehen und ist in der Höhle nach oben geklettert, wo eine Art natürlicher Kamin einen zweiten Ausgang ergeben hat, ist dabei angeschossen worden und abgestürzt. Die Absturzhöhe dürfte etwa fünf Meter betragen haben und er ist Beine voraus, zwar in dem flachen Eiswasser gelandet, aber das hat seinen Sturz nur unwesentlich abgebremst. Er war momentan vermutlich durch den Schmerz und den Schock bewusstlos und als er wieder zu sich gekommen ist, war er bereits mit dem Kopf unter Wasser und hat wohl aspiriert. Beim Abhören sind Rasselgeräusche zu hören, ich tippe auf eine ausgewachsene Pneumonie. Irgendwie hat er es dann geschafft aus dem Wasser zu kommen, aber seitdem besteht eine Querschnittlähmung ab der Hüfte und auch die Reflexe in der unteren Extremität sind alle erloschen, es bestand ein Harnverhalt und der Patient hatte eingestuhlt.“ erzählte sie, was Ben nun erneut die Schamesröte ins Gesicht trieb. Wie peinlich war das denn und obwohl er sich fürchterlich mies fühlte, wünschte er sich gerade sehnlich ein Mauseloch, um darin zu verschwinden und nur Semir´s Hand, die die seine beruhigend drückte, ließ ihn das irgendwie aushalten.
    „Der Kreislauf hat ebenfalls geschwächelt, er war kaltschweißig und die Temperatur liegt im gefährlich niedrigen Bereich, wir haben aber bisher keine Herzprobleme beobachtet, ihn ein wenig infundiert und ihm eine halbe Ampulle Akrinor zukommen lassen. Leider hat er seine Lage als aussichtslos eingeschätzt und versucht seine Leistenarterie in suizidaler Absicht zu öffnen, hat aber Gott sei Dank nur die Vene erwischt, die ich abgeklemmt habe“ beendete sie die Kurzübergabe und die Anwesenden schauten betroffen. Oh je-ihr neuer Patient hatte so einiges hinter sich und zu gegebener Zeit würde man auch einen Psychiater zuziehen müssen, aber jetzt würde man sich zunächst um den Körper kümmern und versuchen das Beste für ihn raus zu holen. Neben dem Notaufnahmearzt und dem Neurochirurgen waren eine Anästhesistin und ein Orthopäde anwesend und als die Notärztin und das Rettungsteam sich nun von Ben und auch Semir verabschiedet hatten, nahm man die Zudecke beiseite, bat Semir ein paar Schritte weg zu gehen und Ben hatte gerade das Gefühl, als ob sich ein Rudel Wölfe um ihn scharen würde und Tränen stiegen in seine Augen.
    Sein nackter Körper lag unter dem gleißenden Licht der Deckenlampe und er begann unkontrolliert zu zittern. Die Narkoseärztin, die für seinen Kreislauf zuständig war, sprach ihm tröstend zu, während sie seinen Brustkorb abhörte und die Vermutung mit der Pneumonie nur bestätigen konnte. Ben hatte nun eine Sauerstoffbrille auf der Nase und wurde jetzt von Kopf bis Fuß betastet, man nahm die Verbände weg und erstellte einen Neurostatus, der aber die Beobachtungen der Notärztin in vollem Umfang bestätigte. Schnell legte man erneut Verbände an, die abgeklemmte Leistenvene und die Schussverletzungen würde man später im OP versorgen, man deckte Ben wieder zu und Minuten später war er schon auf dem Weg in die Radiologie, wo man ein CT von Thorax und Wirbelsäule anfertigen würde und gleich im Anschluss noch ein MRT.
    Warme Infusionen flossen in ihn und Semir, der der Liege gefolgt war, wurde davon abgehalten, mit in die Radiologie zu spazieren. „Es tut uns leid, aber wegen der Röntgenstrahlen dürfen sie hier nicht mit hinein-warten sie bitte draußen, wir holen sie zu gegebener Zeit!“ teilte man ihm mit und nun nahm ihn der Notaufnahmearzt, der jetzt wieder zurück an seinen Arbeitsplatz ging, zur Seite: „Wir haben es hier mit Schussverletzungen zu tun und ich müsste eigentlich sofort die örtliche Polizei verständigen, jetzt habe ich es aber so aufgefasst, als ob Herr Jäger und sie beide Polizisten sind, stimmt das?“ wollte er wissen und Semir nickte und bat ihn um Stillschweigen. „Wir haben es hier mit einer verdeckten Ermittlung zu tun, je weniger davon momentan nach außen dringt, umso besser!“ sagte er und der Aufnahmearzt ließ sich seinen Dienstausweis zeigen, notierte den Namen und die Nummer und sagte: „Damit bin ich aus dem Schneider!“ und jetzt ging Semir kurz nach draußen, wo er eine gute Handyverbindung hatte und informierte Hartmut und Jenni, die beide die Luft anhielten, als sie von Ben´s Lähmung hörten, obwohl sie natürlich erst einmal froh waren, dass er lebte und gefunden war. „Hoffentlich wissen die in diesem Provinzkrankenhaus, was sie tun!“ hoffte Jenni und dem hatte Semir nichts hinzu zu fügen-aber was hatten sie bei dem immer noch dichten Nebel für Alternativen?

    Ben war schwindlig. Man hatte ihm nochmals ein Schmerzmittel gegeben, das ihn auch ein wenig ruhiger machte. Was um ihn herum gesagt wurde, verschwamm in einer Kakophonie und alles drehte sich um ihn. Zuerst schob man ihn mitsamt seiner Vakuummatratze, die fast jede Bewegung des Rumpfes unmöglich machte, in die CT-Röhre und beobachtete von draußen durch die Glasscheibe, wie die Schnittbilder angefertigt wurden. Dann kam er ins MRT, was länger dauerte und trotz Kopfhörer laut und unangenehm war, aber während die Untersuchung lief, diskutierten der Neurochirurg und der Orthopäde mit Spezialisierung auf die Wirbelsäule schon gemeinsam die CT-Bilder und planten die anstehende große OP, die aber doch eine gewisse Chance bot, dass die Lähmung dadurch zumindest inkomplett wurde, denn so wie es aussah, war das Rückenmark nicht völlig abgeschert-die näheren Befunde würde ihnen in Kürze das MRT liefern, aber klar war, dass man den OP schon mal vorbereiten konnte.

    Na klar, habe schon ne Einzelbox für ihn reserviert und unseren Wirbelsäulenspezialisten und Neurochirurgen Bescheid gesagt-klar braucht der auch Besuch und nachdem Sarah ja nicht da ist, Semir die Scheichs fassen muss und Hartmut die Hubschrauberpläne verändern muss, behauptet ihr halt einfach, ihr wärt ganz enge Verwandte, dann dürft ihr rein-wie ihr das dann Ben erklärt, ist eure Sache.
    Ach ja-und die Gästezimmer sind schon hergerichtet, du, Darcie, Mrs. Murphy und Schlumpf können auch so lange bei mir wohnen-großes Indianerehrenwort! ;)

    Fast gleichzeitig trafen der RTW und das alarmierte Feuerwehrfahrzeug ein. Die vier freiwilligen Feuerwehrmänner aus dem benachbarten Kaisheim waren motiviert, obwohl es schon nach zehn war und die ersten schon im Bett gelegen waren. Die meiste Zeit übten sie, die überwiegenden Einsätze waren Verkehrsregelungen, Binden von Ölspuren und solche Sachen. Personenrettung und das Löschen von Bränden kam eher selten vor und da wurde sich fast darum gerissen. So war binnen kurzem, obwohl immer noch dichter Nebel herrschte, der Zugang zur Höhle und das Innere mit der modernen Lichtgiraffe beinahe taghell erleuchtet, während der Rettungsassistent sich den Patienten schon mal ansah. Weil die Einsätze nicht allzu häufig waren, durfte die diensthabende hauptberufliche Notärztin ihren Bereitschaftsdienst von zu Hause aus machen, auch weil sie nur wenige Meter von der Rettungswache entfernt wohnte. Der RTW startete nach einem Notruf sofort Richtung Unfallort und ein PS-starkes Notarztfahrzeug, dessen Kofferraum ebenfalls mit medizinischem Gerät ausgefüllt war, holte die Ärztin ab und der Fahrer brachte sie nach und nahm später den Wagen auch mit zum Krankenhaus.
    So war der Rettungsassistent, ein sehr sympathischer und engagierter junger Mann Mitte dreißig, der erste Profi am Unfallort. Mit routiniertem Blick scannte er die Lage. Am Boden der Eishöhle lag ein dunkelhaariger Mann, etwa in seinem Alter, in den verschmutzten Resten eines Anzugs und eine Blutspur führte zu dem kleinen eisigen Gewässer, dessen Wasser rosa gefärbt war. Auch er erfasste sofort Ben´s blutige Hände, den scharfen Stein, der neben ihm lag und die Leistenverletzung, die von einem Helfer mit einem Verbandpäckchen und Einmalhandschuhen abgedrückt wurde. Am Kopfende des schockigen Opfers, an dessen Arm und Rumpf, als er die Wolldecke zur Untersuchung wegnahm, ebenfalls zwei vormals blutende Verletzungen zu erkennen waren, die allerdings nicht sonderlich schlimm erschienen, saß ein weiterer Mann mit kurz geschorenen Haaren, der ein wenig südländisch wirkte und anscheinend ein Vertrauter des Verletzten war, denn er kümmerte sich fürsorglich um ihn, hielt Körperkontakt und man konnte schon aus der Haltung sehen, dass er sehr besorgt war. Außerdem lag ein blutiges, zusammen geknülltes Kleidungsstück am Boden und der Mann trug nur ein T-Shirt, obwohl es in der Höhle eiskalt war-das war fast sicher der Ersthelfer! Was allerdings im Kopf des Rettungsassistenten alle Alarmglocken schrillen ließ, war die unnatürliche Lage des Opfers-er vermutete sofort, dass der eine schwere Wirbelsäulenverletzung hatte.

    Er stellte seinen Monitor ab, den er herein getragen hatte, während der Fahrer des RTW den Ulmer Einsatzkoffer mit Infusionen und Notfallmedikamenten nach brachte, ging neben dem Opfer in die Hocke und stellte sich erst einmal vor, während er schon mit seinen behandschuhten Händen-Selbstschutz ging immer vor- an der Halsschlagader nach dessen Puls tastete. „Hallo, ich bin Christian Meyer und werde sie versorgen, darf ich ihren Namen erfahren und ihr Geburtsdatum?“ fragte er freundlich und hatte bei dem geübten Griff an die Carotisarterie schon mehrere Informationen über den Zustand seines Patienten erhalten. Der Puls war schwach und fadenförmig, was auf eine Schocksymptomatik hinwies. Das Herz schlug viel zu schnell-er schätzte so um die 130 Schläge pro Minute, was in Anbetracht des ganzen Blutes einen Volumenmangelschock vermuten ließ, worauf auch die eiskalte, von einem kalten Schweißfilm überzogene Haut hinwies. Wenn der Patient noch auf seine Frage antworten konnte, war das gut, ansonsten würde er sofort alles zum Intubieren herrichten, aber Ben öffnete nun unendlich müde die Augen und sagte leise: „Ben Jäger!“ aber dann stockte er und schloss erschöpft wieder die Augen und flüsterte nur noch: „Semir sag du!“ denn nun hatte eine große Schwäche und auch Resignation von ihm Besitz ergriffen. Semir beeilte sich, sich ebenfalls kurz vorzustellen, er nannte Ben´s Geburtsdatum während der Rettungsassistent schon wie selbstverständlich die EKG-Elektroden, das Blutdruckmessgerät und den Sättigungsfühler anbrachte, eine Sauerstoffmaske auf Ben´s Gesicht setzte und die Flasche dazu aufdrehte. „Haben sie Schmerzen?“ fragte er und Ben nickte leicht.
    In diesem Augenblick hörten sie auch schon das Notarztfahrzeug vorfahren und Sekunden später kniete die zierliche Notärztin, die sich ebenfalls freundlich vorstellte, neben ihnen. Inzwischen hatte der Blutdruck gemessen, der nur bei 70/ 40 mm/Hg lag, die Sauerstoffsättigung war nicht messbar, weil Ben´s Extremitäten eiskalt waren und der Körper durch Zentralisation die wichtigsten Organe zu schützen versuchte und die Pulsfrequenz lag bei 130. „Was wissen wir schon?“ fragte die Ärztin ihren vertrauten Mitarbeiter, der nun bereits eine Stauung an Ben´s nicht verletztem Arm anlegte, den Hemdsärmel kurzerhand aufschnitt und versuchte einen Zugang zu legen-der andere Sanitäter hatte derweil nämlich schon die Infusion vorbereitet und übernahm nun das Abdrücken der immer noch nachsickernden Verletzung und Josef übergab mit einem Seufzer der Erleichterung diese Aufgabe. „36jähriger schockiger Patient mit stark blutender Leistenverletzung, zwei Schussverletzungen an Arm und Rumpf und vermuteter Wirbelsäulenverletzung, noch ansprechbar-aber mehr weiss ich noch nicht!“ antwortete Meyer und bei der Erwähnung der Schussverletzung versteifte sich momentan der Körper der Notärztin. Semir der sofort erfasst hatte was vorging und vor allem vermeiden wollte, dass sofort die örtliche Polizei zugezogen wurde, was bei jeder Schussverletzung Standard war, beeilte sich in seine Gesäßtasche zu fassen und seinen Dienstausweis hervor zu ziehen. „Mein Kollege Kriminalhauptkommissar Jäger und ich ermitteln in einer vertraulichen Sache-wir dürfen sie bitten, diese Informationen hier momentan nicht weiter zu leiten!“ bat er und nun entspannten sich die Körper der Helfer. Beim zweiten Versuch war es dem Rettungsassistenten gelungen eine Vene zu punktieren und schnell verklebte er den Zugang und man ließ die Infusion in Ben hinein rauschen, um den Kreislauf zu stabilisieren.

    Routiniert begann nun die Notärztin Ben von Kopf bis Fuß zu untersuchen. Sie leuchtete in seine Augen, bewegte vorsichtig den Kopf, was ihm allerdings keine Schmerzen bereitete, aber als sie sich nun vorsichtig nach unten tastete, die Brust und den Bauch befühlte und abhörte und schließlich zu den schlaff daliegenden Beinen kam, an denen sich keine Reflexe auslösen, aber die Fußpulse fühlen ließen, fragte sie ernst: „Wie ist es zu der Lähmung gekommen?“ und achtete dabei streng darauf, den Patienten momentan überhaupt nicht zu bewegen. „Ich wurde bei einem Fluchtversuch angeschossen und bin von dort oben abgestürzt und noch beinahe ersoffen-seitdem spüre ich meine Beine nicht mehr!“ antwortete Ben leise und nun bahnten sich wieder die Tränen einen Weg aus seinen Augenwinkeln und Semir hätte beinahe mit geheult, so schrecklich war alleine das Erfassen dieser schrecklichen Mitteilung. Er hatte es ja eigentlich schon gewusst, aber die ernsten Blicke der Helfer taten ein Übriges dazu. „Schaufeltrage und Vakuummatratze?“ fragte Meyer und nachdem die Notärztin genickt hatte, schickte der Rettungsassistent den Fahrer des NAW nach draußen, um das Gewünschte zu holen.

    „Meinst du, wir kriegen einen Hubbi?“ fragte die Notärztin, aber der Assistent schüttelte den Kopf. „Keine Chance bei diesem Nebel-also Donauwörth-wir sollten die schon mal alarmieren, dass wir mit einem wirbelsäulenverletzten Traumaopfer kommen, damit die schon mal alles vorbereiten können!“ schlug er vor und die Notärztin nickte. Die Klinik in der nächsten Kreisstadt hatte zwar hervorragende Wirbelsäulen-und Neurochirurgen, war aber eigentlich kein Wirbeltraumazentrum, wohin man solche Fälle normalerweise mit dem Hubschrauber verlegte-von hier aus meist nach Murnau in die Unfallklinik. Dort waren mehr Möglichkeiten gerade der Physiotherapie und der Frühreha gegeben, aber für die Erstversorgung musste die Klinik vor Ort reichen, zumal es dort auch eine gut ausgestattete Intensivstation gab. Allerdings musste man nun die Mitarbeiter, die das CT fahren würden, aus dem Bereitschaftsdienst von zuhause holen, der Neurochirurg hatte auch eine Viertelstunde Anfahrt zum Krankenhaus, etwas, was natürlich in einer großen Spezialklinik nicht vorkam, aber mit ein bisschen Vorlauf, den sie ja sowieso hatten, bis sie das Opfer geborgen hatten, würde das klappen, den jungen Mann möglichst optimal zu versorgen und so ging nun die telefonische Voranmeldung raus und die Maschinerie in der Klinik lief an.

    Die Ärztin hatte Ben derweil ein Schmerzmittel gespritzt und schaute sich nun die Leistenverletzung an. Sie fasste mit einer sterilen Klemme in die Wunde und klemmte die verletzte Vene ab, ohne dass Ben auch nur mit der Wimper zuckte. Er hatte dort anscheinend wirklich keinerlei Schmerzempfinden und allen anwesenden Helfern war klar, was er versucht hatte. „Wenn sie die Arterie erwischt hätten, die ein wenig tiefer liegt, hätte es keine Rettung gegeben!“ bemerkte die Ärztin und Ben flüsterte nun leise und schläfrig, denn das Schmerzmittel machte ihn unendlich müde: „So war mein Plan!“ und nun schwiegen alle Umstehenden betreten und überlegten, dass das zwar ein erschreckendes Geständnis war, aber menschlich völlig nachvollziehbar.
    „Herr Jäger-ich kann und will ihnen ja nichts versprechen, aber geben sie nicht auf“ versuchte ihn die Medizinerin auf zu bauen. „Wir bringen sie jetzt zu hervorragenden Ärzten, vielleicht können die ja noch etwas für sie tun und außerdem sind sie jung und stark, sie werden auch mit einer Lähmung zurecht kommen und trotzdem Lebensfreude empfinden!“ versuchte sie ihn zu trösten und Ben, der sich aktuell durch die Infusion wieder ein wenig besser fühlte zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. „Genau-damit meine Frau dann zwei Kinderwägen und nen Rollstuhl schieben kann!“ sagte er völlig mutlos und wandte den Kopf ab.
    Nachdem die Verletzungen verbunden waren und man die feuchte Hose aufgeschnitten und Ben zugedeckt hatte, kam nun noch ein unangenehmer Teil. „Herr Jäger-ihre Blase ist prall voll-wir werden ihnen vor dem Abtransport noch einen Katheter legen, damit die nicht eventuell platzt!“ informierte ihn die Ärztin und der Rettungsassistent hatte das benötigte Set derweil schon vorbereitet. Das war nicht der erste Katheter den Ben bekam, aber das Erschreckende daran war, dass er nichts, aber auch gar nichts davon spürte, wie zwischen seinen Beinen herum manipuliert wurde. „Bei einer Querschnittlähmung kommt es zu einem Harnverhalt, weil die Muskeln, die die Harnentleerung steuern ebenfalls gelähmt sind und sich leider fast immer verkrampfen, anders ist es mit der Mastdarmfunktion, da liegt meistens eine Inkontinenz vor!“ erklärte die Ärztin allen die es noch nicht wussten und nun zuckten Ben´s Schultern und ein Schluchzen entwich seiner Kehle, auch wenn Semir ihn gerade beruhigend streichelte. Na toll-er würde jetzt ins Bett kacken, Windeln brauchen und trotzdem nicht pinkeln können, von den übrigen Dingen zu was man sein Tiefparterre sonst noch benutzte, ganz zu schweigen-nein das würde er Sarah, sich und seinen Kindern nicht antun-er würde die nächste sich bietende Gelegenheit ausnutzen und sich vom Acker machen, aber diesmal endgültig.

    Sehr vorsichtig achtete die Ärztin nun darauf, dass er völlig achsenstabil lag und man schob nun die sogenannte Schaufeltrage unter ihn, eine flache Metalltrage, die man in der Mitte auseinander genommen hatte, so dass man ohne ihn zu drehen von rechts und links die beiden Teile unter ihn schieben konnte, die dann stabil mit einem genormten Verschluss miteinander verband und ihn so anheben konnte. Ben erschauerte, als das kalte Metall seine nackte Haut berührte und stöhnte auch ein wenig, denn trotz Schmerzmittel tat sein Rücken verdammt weh, aber wenig später legte man ihn auf die Vakuummatratze, entfernte sehr vorsichtig die Schaufeltrage wieder und nun war er bereit zum Transport. „Kann ich mitfahren?“ fragte Semir, der die ganze Zeit seinem Freund nicht von der Seite gewichen war und die Ärztin nickte. Der Kollege ihres Patienten würde sie nicht bei der Arbeit stören und für den jungen Mann war es schön in dieser schrecklichen Situation jemand Vertrautes um sich zu haben und deshalb stimmte sie zu und wenig später setzte sich der Rettungswagen sehr vorsichtig in Bewegung. Jede Erschütterung wäre gefährlich und so kroch das schwere Fahrzeug die ersten Meter im Zeitlupentempo dahin, bis sie auf die asphaltierte Straße kamen und jetzt nahm der Wagen endlich Fahrt auf. Semir hatte vor der Abfahrt noch alle anwesenden Helfer gebeten, erst einmal über diese ganze Sache Stillschweigen zu bewahren und auch die Höhle wieder sorgfältig zu verschließen. Auch wenn es eigentlich im Augenblick völlig unwichtig erschien, aber da war auch noch ein Kriminalfall zu lösen-nur ging Ben jetzt erst einmal vor!

    Einige Meter unter ihm lag Ben am Rande einer etwas größeren Pfütze, in der Eisbrocken schwammen. Ein Bein und eine Hand lagen halb im Wasser, das allerdings eine dunklere Färbung als normal angenommen hatte, vor allem um seinen Freund herum, denn aus dessen Leiste floss ein stetiger Strom und nun wusste Semir auch, was das Wasser dunkler färbte-es war Ben´s Blut. Er schrie voller Entsetzen: „Ben-was ist los-warte ich komme zu dir!“ denn es war noch kein Auto mit dem Höhlenschlüssel in Sicht, aber der dunkelhaarige Polizist reagierte nicht-war er etwa schon tot? Hektisch prüfte der kleine Türke die Möglichkeiten dort runter zu kommen und es war zwar ein wenig abenteuerlich, aber getrieben von der Sorge um seinen besten Freund, klemmte er sich die Taschenlampe zwischen die Zähne und machte sich an den riskanten Abstieg. Wenn er abrutschte würde er mitten in dem kleinen, flachen See landen und sich sicher schwer verletzen, also durfte das einfach nicht geschehen. Die Dunkelheit, die nur durch den Strahl der Taschenlampe, der aber jetzt ganz woanders hin leuchtete, erhellt wurde, war gespenstisch und Semir tastete sich Stück für Stück durch den zerklüfteten Fels und kletterte flink wie ein Affe nach unten.
    Endlich war er am Boden der Höhle angelangt und auch wenn er von seinem raschen Aufstieg und der Kletterpartie eigentlich erhitzt war, bemerkte er doch, dass die Temperatur in der Höhle eisig war, wie in einem Kühlschrank. Er nahm die Taschenlampe wieder in die Hand und war mit wenigen Schritten bei seinem Freund und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. Das Blut strömte immer noch aus dessen Leiste, also lebte er wohl noch und als Semir jetzt die bleichen Wangen tätschelte und dabei den kalten, klebrigen Schweiß fühlte, der den ganzen Körper seines Freundes bedeckte und der sicherlich nicht davon kam, dass ihm so warm war, schlug er plötzlich unendlich müde die Augen auf, die in tiefen Höhlen lagen und dunkel umrändert waren. „Semir lass mich gehen!“ flüsterte er, aber der hatte schon sein langärmliges Shirt ausgezogen, das er über dem T-Shirt und der Jeans trug und drückte es nun mit Kraft auf die Leistenverletzung. Mit geübtem Polizistenblick hatte er auch erfasst, woher diese stark blutende Verletzung kam-neben Ben´s erschlaffter Hand lag ein blutiger scharfer Stein und die Wunde hatte keine sauberen Schnittränder, sondern sah aus, als hätte da jemand dilettantisch herum gesäbelt-verdammt, das war ein Selbstmordversuch gewesen, aber warum zum Teufel hatte Ben das gemacht? Außerdem musste das ganz schön weh getan haben, wie verzweifelt musste man sein, sich derart zu verletzen? Ben hatte doch wissen müssen, dass er als sein bester Freund alles stehen und liegen lassen und ihn suchen und finden würde. Und so schwer war es jetzt auch nicht gewesen, mit ein wenig Zeit hätten sie ihn vermutlich auch mit der systematischen Suche gefunden.

    Semir musste schon ein wenig Kraft aufwenden, um die Blutung zum Stehen zu bringen, aber es gelang ihm und jetzt musste Ben so schnell wie möglich medizinisch versorgt werden. Der verzog auch keine Miene, dabei drückte Semir ziemlich fest und hatte im Licht der Taschenlampe, die er jetzt so neben sich gelegt hatte, dass sie den Körper seines Freundes beleuchtete, die anderen sichtbaren Verletzungen mit den Augen gescannt. Er hatte unter dem vormals blütenweißen Hemd, das jetzt schmutzig und an manchen Stellen blutig war, eine Verletzung an der Seite-vermutlich eine Schussverletzung, die aber nicht sonderlich schlimm zu sein schien und noch eine weitere am Oberarm. Die war zwar wohl tiefer und vielleicht hatte die Kugel auch den Knochen durchschlagen, aber mit Sicherheit hatte Ben schon wesentlich schwerere Verwundungen gehabt, die alle folgenlos ausgeheilt waren-warum zum Teufel hatte er dann versucht, sich umzubringen? Ben schlug nun erneut die Augen auf und flüsterte unendlich müde: „Semir hör auf-lass mich gehen-ich mag nicht mehr. Sarah soll keinen Krüppel im Haus haben, der ihr nur Arbeit und Sorgen macht!“ und nun traf es Semir wie ein Schlag und er wusste plötzlich warum Ben so überhaupt keine Schmerzen in der Leiste zu empfinden schien, warum seine Beine so schlaff da lagen und konnte jetzt auch verstehen, warum er versucht hatte, sich umzubringen-er hatte sich das Kreuz gebrochen!

    „Ben-bleib bei mir, hörst du? Wir kriegen das. Auch wenn du querschnittgelähmt bist-es gibt heute so tolle Rollstühle, wir helfen dir alle und auch du wirst wieder glücklich sein, ich versprechs dir!“ sagte er und war sich nicht ganz sicher, ob er so wirklich an das glaubte, was er gerade sagte. Das hier war sozusagen der Supergau für einen sportlichen jungen Mann-vorbei der Beruf, die Selbstständigkeit, jede Möglichkeit das Leben alleine zu meistern, alles vorbei, vielleicht nie mehr Sex, aber trotzdem war dieses Leben zu kostbar, um es einfach weg zu werfen. Semir wusste auch sicher, dass Sarah in dieser Situation genau die richtige Frau an Ben´s Seite war-sie liebte ihn und würde ihn klaglos und professionell versorgen, solange sie selber körperlich dazu in der Lage war und außerdem hatte Ben die finanziellen Möglichkeiten die beste Pflege und die modernsten Therapien und Hilfsmittel zu bezahlen, es würde weiter gehen, aber jetzt mussten sie seinen Freund erst einmal aus der Höhle und in ein Krankenhaus bringen, nicht dass sein Vorhaben doch noch gelang.

    Weil er keine Hand frei hatte und immer noch die Blutung stillte, rief er laut durch die geschlossene Tür, damit Josef ihn verstehen konnte. Es war nämlich auch sehr unwahrscheinlich, dass er hier drinnen Handyempfang hatte, aber draußen war das kein Problem. „Josef-verständige bitte die Rettung und die Feuerwehr, mein Freund ist schwer verletzt und blutet stark-die sollen sich beeilen!“ rief er und während sein Helfer den Notruf absetzte, meinte er auch schon, die Geräusche eine herannahenden Autos zu hören. Tatsächlich vernahm er, während er besorgt Ben´s verhärmtes Gesicht betrachtete und beobachtete wie sich der Brustkorb schnell hob und senkte, während der Pulsschlag rasend schnell gegen seine Finger pochte, wie sich jemand an der schweren Metalltür zu schaffen machte und wenig später das Tor aufschwang und die drei Einheimischen herein stürzten. Josef hatte fürsorglich eine Decke aus dem Wagen geholt und schlug vor, als er die beiden so nah am Wasser sah: „Ziehen wir ihn ein bisschen ins Trockene, er muss ja völlig ausgekühlt sein, oder noch besser, wir legen ihn in den Wagen, da ist es warm!“ aber Semir schüttelte den Kopf. „Wir dürfen ihn nicht bewegen-ich fürchte, er hat sich das Kreuz gebrochen!“ sagte er und nun herrschte betretenes Schweigen in der Höhle und die drei älteren Männer sahen mitleidsvoll auf den attraktiven jungen Mann am Boden. Was für eine Katastrophe-gerade hatten sie sich so gefreut, dass die Suche erfolgreich gewesen war. Sie hatten den Vorstand des Museumsvereins aus dem Bett geklingelt und der hatte ihnen verwundert, aber widerspruchslos den Schlüssel für die Eishöhle ausgehändigt. Jetzt aber schlug die Freude über die erfolgreiche Suche binnen Kurzem in großes Mitleid um und der eine oder andere dachte bei sich-vielleicht wäre es doch besser gewesen, sie hätten den jungen Mann nicht so schnell gefunden, denn das ganze Blut wies darauf hin, dass er nicht mehr sehr lange überlebt hätte.

    So aber holte Josef einen Verbandskasten aus dem Wagen, man breitete die Decke über Ben´s Oberkörper und nachdem er fachmännisch, immerhin hatte er erst kürzlich einen frischen Erste-Hilfe-Kurs absolviert, Einmalhandschuhe angezogen hatte, übernahm er nun mit einem sterilen Verbandpäckchen bewaffnet, die Blutstillung, so dass Semir seine bereits taub werdenden Arme auslockern konnte und sich nun ans Kopfende seines Freundes setzte und dem unendlich zärtlich eine verschwitzte, klebrige Haarsträhne aus dem Gesicht strich und mit einem Papiertaschentuch, das er in der Hosentasche gefunden hatte, die Tränenspuren abwischte. Die Retter hatten einen starken LED-Strahler in die Höhle gebracht, die nun hell erleuchtet war und der eine der beiden Rentner machte sich jetzt auf den Weg, um den Notarztwagen einzuweisen.
    Ben der sehr schläfrig war und sich nun in sein Schicksal fügte, denn gegen Semir hatte er sowieso keine Chance, der würde ihn nicht sterben lassen, schlug nun wieder die dunklen Augen auf, er hatte die Berührung der warmen Hand genossen. „Wie geht es Corinna?“ wollte er wissen und Semir, den eine heiße Woge der Liebe und Freundschaft überfuhr-sogar dem Tode nahe machte sich Ben noch Sorgen um andere, sagte freundlich: „Die ist in Sicherheit-Sarah, die Kinder und sie sind seit letzter Nacht in Köln in einer Schutzwohnung, mach dir keine Sorgen!“ beruhigte er ihn und Ben nickte leicht, während man nun schon in der Ferne ein Martinshorn hörte.

    Hallo Anne-also ich bin dabei bei deiner Geschichte!
    Dass das erste Kapitel einfach so verschwunden war ist sehr mysteriös-da musst du dich an Elli oder Simon wenden, denn nur ein Admin oder du selber können ein Kapitel einfach so rausnehmen. Und Regeln gibts für den FF-Bereich eigentlich keine Speziellen, du kannst so selten oder oft einstellen, wie du möchtest.
    Leider bin ich gerade zeitlich aus familiären Gründen sehr eingespannt, kann also nicht versprechen, dass ganz regelmäßig Feeds kommen, aber ich versuchs!
    Nun noch kurz zur Story: Ben wurde von seinem Vater krank gemeldet und Semir ist deswegen genauso fassungslos wie ich! Was führt Konrad nur im Schilde? Und klar kann rein theoretisch jeder Mensch einfach so ne Psychose kriegen, aber doch nicht unser Ben ;) . Ich glaube schon, dass die Klinik echt ist und was es mit dem Video auf sich hat, wirst du uns hoffentlich bald erzählen! Man kann ja auch mit Medikamenten eine akute Psychose auslösen, vermutlich wars so rum,oder doch ganz anders....hmm-schreib bitte bald weiter, damit ich nicht so viel grübeln muss!
    Ach ja Trauerkloß: Findest du nicht die Vorstellung von Ben im Flügelhemdchen, der mit nacktem Po durchs Krankenhaus streift, recht erregend? ^^ Aber ich denke eher, dass Ben einfach ne Jogginghose und ein Shirt trägt-das geht im Bett und auch außerhalb!

    So endlich habe ich mich wenigstens bei deiner Geschichte wieder auf den Stand gelesen. Die Südamerika-Kevin-Kapitel waren atemberaubend, atmosphärisch dicht und spannend-allen Respekt-und was mich zu Tränen gerührt hat war die Freude Kevin´s wegen dem Baby-ach ich würde mir so wünschen-trotz Jenny´s Alptraum-dass zwischen den beiden werdenden Eltern wieder alles in Ordnung kommt. Der soll jetzt mit seinem neuen Freund Juan Annie rausholen und dann schnellstens nach Deutschland zurück fliegen.
    Ben und Semir kommen inzwischen bei Carina weiter und die gesteht bei Ben´s professionellem Verhör auch ganz schnell. Na hoffentlich fühlt sie sich nicht wegen Drager und seinen Komplizen zu sicher, ob das wirklich so minder böse Buben sind? Ich weiss ja nicht, ob Semir´s Theorie passt! Jetzt muss der Mord an Björn nur noch bewiesen werden, das Motiv ist jetzt bekannt und jetzt hoffe ich, dass Carina die belastenden Unterlagen gut versteckt hat, am besten außerhalb des Hauses, das könnte sonst durchaus in Flammen aufgehen und dann wären mehrere Probleme Drager´s auf einmal gelöst! ;(

    Ben hatte es sich leichter vorgestellt, aber er war sehr erschöpft und weder der Stein noch die Eisstücke waren sonderlich scharf und so ging sein Plan langsam vorwärts. Immer wieder musste er Pausen machen und zwar floss nun bereits anscheinend ein wenig Blut, denn es fühlte sich klebrig an, aber so richtig tief, wo die großen Gefäße lagen, war er noch nicht vorgedrungen. Zumindest lebte er immer noch und die große Schwäche und endgültige Kälte die dann von ihm Besitz ergreifen würde und nach der er sich jetzt sehnte, war bisher noch nicht eingetreten. Ben schloss eine Weile die Augen, um Kräfte zu sammeln für den letzten Teil seines Vorhabens und formte mit dem Mund lautlos die Worte: „Verzeiht mir!“

    Während Semir hinter Josef her zum Auto hetzte und der Ortskundige dann aufs Gas ging und so schnell fuhr, wie der Nebel es erlaubte, erzählte ihm der, was er vermutete. „In den Wäldern zwischen Gunzenheim und Mündling gibt es mehrere kleine Gewässer mit sauberem, klarem Wasser. In alten Zeiten wurden aus denen im Winter, wenn strenger Frost herrschte, große Eisklötze gebrochen und mit dem Ochsenfuhrwerk zur nächsten Höhle gebracht. Vielleicht kennst du den Ausdruck „Eiskeller“-das war die gemauerte Variante, aber wo natürliche Höhlen an Nordhängen zur Verfügung standen hat man die als Aufbewahrungsort genutzt. Unsere Ahnen mochten im Sommer auch gerne ein kühles Bier und so hatten meistens die Wirte solche Eiskeller oder Eishöhlen, wo sich das Eis oft bis in den August hinein gehalten hat. Mit der Erfindung des Kühlschranks und der Gefriertruhe war das mit einem Schlag uninteressant. Wir vom Museumsverein, der sich auch auf alte Techniken und Bräuche besinnt, haben letzten Winter wie in alten Zeiten nochmals Eis gebrochen und eingelagert-dazu gibt es spezielle Werkzeuge, die wir mustergültig restauriert haben und das war ein großes Event mit vielen neugierigen Zuschauern. Sogar ein Ochsengespann mit einem original alten Wagen haben wir aufgetrieben. Im Juli ist jetzt ein weiteres Fest geplant, wo wir sehen wollen, inwieweit sich das Eis dort gehalten hat und dann Bierfässer und Limonade damit kühlen und verkaufen. Wir hier in Nordschwaben nutzen jede Gelegenheit um zu feiern, aber ich vermute jetzt, dass sich Ben in eben dieser Eishöhle befindet, die noch dazu mit einem massiven Tor verschlossen ist. Es gibt dazu zwei Schlüssel, der eine ist bei unserem Vorstand und der zweite beim Wirt des Ortes, der sozusagen von alters her die Rechte an dieser Eishöhle hat. Dort am Stammtisch ist auch die Idee entstanden und wir mussten das alte Wasser auch erst mit Hilfe der Feuerwehr abpumpen und die Höhle säubern, bevor wir das Eis hinein gebracht haben!“ erklärte er und rief dann gleich noch seine Rentnerfreunde an, die sich leider gerade in einer ganz anderen Ecke der Karab befanden, aber versprachen, so schnell es ging zurück zu fahren und einen Schlüssel zu besorgen.
    Semir überlegte, ob er das Steuer übernehmen sollte, denn er hatte jetzt das dringende Gefühl, dass die Entdeckung seines Freundes kurz bevor stand und es wahnsinnig eilte, aber da er die Straßen hier nicht kannte, würde er auch nicht schneller als Josef voran kommen, der wie ein Rennfahrer in die Kurven ging. Warum hatte nur so eine schreckliche Unruhe von ihm Besitz ergriffen? Nahm Ben gerade wieder Kontakt mit ihm auf? Ja so musste es wohl sein und Semir flüsterte angespannt: „Halt durch-wir sind bald da!“ und kaum zwanzig Minuten später bogen sie schon in den Weg ein, der zur Eishöhle führte.

    Kaum hatte Josef den Wagen abgestellt, packte Semir die starke Taschenlampe, mit der sie schon die ganze Zeit gesucht hatten und sprang aus dem Wagen. Nach einem flüchtigen Blick auf den Boden war er sich fast sicher, dass sie hier richtig waren, denn es waren mehrere frische Reifenspuren zu sehen und wenn Hartmut da die Profile prüfen würde, wäre vermutlich eine Übereinstimmung zu finden, aber das war jetzt nebensächlich, denn Semir hatte nun das Eisentor entdeckt und rief so laut er konnte: „Ben-bist du da drin?“ und dann lauschte er. Zunächst war er sich nicht ganz sicher, denn der Schall wurde durch das massive Tor ziemlich gedämpft, aber dann meinte er ein Schluchzen zu hören und tatsächlich flüsterte eine schwache Stimme, die er eindeutig als die seines Freundes erkennen konnte: „Zu spät!“
    „Ben-wir holen dich da raus!“ rief Semir aufgeregt und prüfte, ob er das Schloss irgendwie knacken konnte, aber das war so raffiniert geschmiedet, dass das nicht so leicht gehen würde und das Tor aufzubrechen würde ebenfalls schweres Gerät oder eine Sprengladung erfordern. Nun vernahm er von drinnen erneut die Stimme seines Freundes: „Semir leb wohl und sag Sarah und den Kindern, dass ich sie geliebt habe!“ konnte er verstehen, obwohl die Stimme sehr schwach war und eine panische Angst ergriff jetzt von ihm Besitz. Das klang, als wäre Ben sich sicher, dass er hier nicht mehr lebend heraus kommen würde. Was war da drinnen los? War er vielleicht mit einer Sprengladung versehen, die losging, wenn sie die Türe öffneten oder war da eine andere Gemeinheit vorbereitet? Semir rief nochmal, aber jetzt kam keine Antwort mehr. Josef telefonierte derweil aufgeregt mit seinen Freunden und sagte zu Semir: „Der eine der beiden Schlüssel, der in der Gaststube an einem Haken war, ist nicht auffindbar, meine Freunde sind gerade zum Vorstand des Museumsvereins unterwegs, hoffentlich ist der zu Hause!“

    „Ich muss da irgendwie rein-gibt es eine zweite Öffnung und wie funktioniert die Luftversorgung da drin?“ sprudelte Semir hervor und nach einer kurzen Überlegung nickte Josef. „Ich habe keine Ahnung, ob die Öffnung groß genug für einen Mann ist, aber da drin ist eine Fledermauskinderstube und ein Winterlager, die fliegen durch ein Loch in der Decke ein und aus, das eben auch als Lüftung dient!“ erzählte er und Semir musterte schon prüfend die Gegend, wo das wohl sein könnte. Die Höhle lag an einem teilweise bewachsenen Steilhang und schon machte er sich mit der Taschenlampe zwischen den Zähnen auf den mühsamen Weg nach oben. Immer wieder rutschte er vom glitschigen Fels, den der dichte Nebel feucht gemacht hatte, ab, aber mit dem Mute der Verzweiflung gelangte er immer weiter nach oben, bis er endlich zwischen lauter Brombeerranken die Öffnung fand. Josef hatte ihm zunächst folgen wollen, dann aber aufgegeben, wenn er auch noch fit war, aber für eine solch waghalsige Kletterpartie war er in seinem Alter nicht mehr eingerichtet und wenn er stürzte, wäre das künstliche Knie, das er im letzten Jahr erhalten hatte, im Eimer. Semir brach durch die Ranken, die ihm mit ihren Dornen die Haut aufrissen und dann leuchtete er mit der Taschenlampe in die Öffnung und sah etwas, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

    Obwohl jetzt zwei Suchtrupps unterwegs waren, die mehr oder minder systematisch die Wälder von Nord nach Süd durchkämmten, fanden sie nicht den kleinsten Hinweis auf Ben. Semir wurde immer frustrierter, verdammt, wo steckte sein Freund nur? Allerdings stimmte er Josef zu, der die Überlegung angestellt hatte: „Weißt du Semir-wenn wir keinen konkreten Hinweis haben und jetzt kreuz und quer durch diese riesigen Waldgebiete schießen, vergessen wir vielleicht das eine oder andere potentielle Versteck und auf dem Weg geht auch Zeit verloren. Gehen wir aber systematisch vor und er ist tatsächlich hier irgendwo, werden wir ihn über kurz oder lang finden, ich denke bis morgen Abend sind wir durch!“ gab er zu bedenken und Semir musste ihm zustimmen. „Übrigens gibt es noch eine Sage über die Harburger Karab-anscheinend hat sich das Edelfräulein aus Donauwörth, der die Wälder und Ländereien hier herum im Mittelalter gehörten, bei der Jagd verirrt und dachte, nie mehr zurück zu finden. Sie gelobte daraufhin, dass sie der Gemeinde, deren Kirchturm sie als Erstes erspähen würde, wenn Gott sie heil heraus führen würde-dazu muss man sagen, dass es hier früher ja noch Wölfe und Bären gab, da hätte sie die Nacht in der Wildnis vermutlich nicht überlebt-diese Wälder schenken würde und kurz darauf erblickte sie den Harburger Kirchturm und stand zu ihrem Wort.“ erzählte er und Semir, der auch schon gemerkt hatte, dass er hoffnungslos überfordert wäre und vermutlich ohne Navi nie mehr herausfinden würde, wenn er hier ausgesetzt würde, nickte zustimmend. Nur half dieses ganze Wissen leider seinem Freund nicht und dem ging es schlecht, das spürte Semir!

    Als am späten Vormittag Hartmut angerufen hatte, um ihm mit zu teilen, dass sie tatsächlich Ben´s Blut gefunden hatten, wuchs seine Verzweiflung-der war also auch noch verletzt-hoffentlich kamen sie noch rechtzeitig! Natürlich hatte Hartmut sofort, als er die Fingerabdrücke des Polodiebes identifiziert hatte, eine vertrauliche Mitteilung an Susanne heraus gegeben. Eine Fahndung war aktuell nicht sinnvoll, denn die örtliche Polizei würde nachfragen, oder sein Bewährungshelfer oder wer auch immer. Allerdings hatte Susanne sowohl die Fingerabdrücke als auch den Namen und das Bild des Gesuchten in ihren PC eingegeben und wenn da irgendeine Meldung auf Polizeikanälen herein kam, würde sie einen Link bekommen und Hartmut verständigen. Sie musste dazu nicht wissen, warum und weshalb, das war unwichtig, die Past-Familie hielt da einfach zusammen. Jenny hatte sich auch einmal bei Semir gemeldet und gefragt: „Habt ihr schon irgendeine Spur von Ben? Sarah ist völlig am Ende, aber ihr und Corinna und auch den Kindern geht es gut in der Schutzwohnung, es gibt keine besonderen Vorkommnisse!“ teilte sie ihm mit und Semir musste leider vermelden, dass sie bislang noch erfolglos waren.
    Hartmut begann sofort nach einem leichten Abendbrot, unterstützt von Klaus, die Daten und damit die Pläne so zu verändern, dass sie niemandem nützen würden, denn heraus zu finden, welche Daten verändert und welche korrekt waren, würde Monate dauern. Dieser Hubschrauber, der hier sozusagen virtuell konstruiert wurde, war nicht flugtüchtig, aber das so zu machen, dass ein Fachmann das nicht gleich heraus bekam, war eine Sache für sich und brachte die beiden Männer zum Schwitzen. Semir hatte darauf verzichtet, dass die beiden bei der Suche halfen, den wie ihm Josef glaubhaft versichert hatte, kannten er und seine Rentnergang die Karab, den Spielplatz ihrer Kindheit, wie ihre Westentasche, was man von Klaus nicht behaupten konnte. Es hatte bisher noch nicht zu regnen begonnen, aber es stieg dichter Nebel auf, der einen die Hand vor den Augen verschwimmen ließ. Ohne die ortskundigen Führer würde Semir hier überhaupt nichts ausrichten können, er wunderte sich fast, wie die sich überhaupt orientieren konnten.

    Plötzlich kam bei Susanne ein Link herein-der Name des gesuchten Werner Kraus war in einer Meldung über einen Verkehrsunfall erschienen. Aufgeregt öffnete Susanne, die eigentlich gerade nach Hause hatte gehen wollen, die Mitteilung auf ihrem PC und wenig später läutete das Handy des Rotschopfs, der angestrengt über den Konstruktionsplänen brütete: „Hartmut-der Typ den ihr sucht wurde das Opfer eines Verkehrsunfalls und liegt in einer Klinik ganz in eurer Nähe!“ teilte sie ihm mit und aufgeregt verständigte der Kriminaltechniker sofort Semir. „Ich muss nach Nördlingen ins Krankenhaus-vielleicht liegt dort jemand, der uns einen Hinweis auf den Verbleib Ben´s geben kann!“ teilte der daraufhin Josef mit und dieser hielt sofort an, wendete seinen Wagen und schlich langsam durch die dicke Suppe die dreißig Kilometer Richtung Nördlingen, der mittelalterlichen Stadt im Zentrum des Rieses.
    Der Rentnertrupp hatte zuhause ein kurzes Päuschen zum Brotzeit machen eingelegt, würde aber in Kürze weiter suchen. Josef hatte seinen Freunden Bescheid gegeben und Semir hatte den Eindruck, dass denen die Suche regelrecht Spaß machte-endlich war hier in der Provinz mal was los und wenn man auch momentan zum Stillschweigen verdonnert war-irgendwann würde das eine wunderbare Stammtischgeschichte geben!

    Eine halbe Stunde später kamen sie im Nördlinger Stiftungskrankenhaus an und der hilfsbereite Pförtner teilte ihnen mit, dass tatsächlich ein Werner Kraus in der Notaufnahme zu finden war. Sie fragten sich durch und als die Krankenhausmitarbeiter zunächst nicht bereit waren, eine Auskunft zu erteilen, machte sie das Vorzeigen von Semir´s Dienstausweis plötzlich gesprächig. Eine Schwester führte sie zu dem Verletzten, den es schwer er wischt hatte und der in Kürze in den OP gehen würde-er hatte sich bei dem selbst verschuldeten Frontalcrash mit einem LKW mehrere Knochen gebrochen und auch eine schwere Gehirnerschütterung, zudem war man nicht sicher, ob er nicht noch weitere innere Verletzungen hatte und so wartete man gerade auf die Auswertung des eben angefertigten CT`s, wie ihnen mitgeteilt wurde. Semir bat Josef draußen zu warten, was er jetzt vor hatte, war nichts für Laien. Ben an seiner Seite würde das verstehen, aber so schickte Semir auch die Schwester aus dem Raum und schloss die Tür. Er trat an die Liege auf der der Verletzte lag, der überall grün und blau war, dessen Arm und Bein in einer Schiene stabilisiert war und der durch seine zugeschwollenen Augen kaum etwas erkennen konnte. Anscheinend war er durch die Schmerzmittel ein wenig belämmert und so riss er verwundert die Augen auf, als Semir ihn anstieß und fragte: „ Ich bin Polizist, wo habt ihr meinen Kollegen hingebracht?“ Er brauchte einen Moment um sich zu sammeln, aber dann blickte er Semir entsetzt an. Genau deshalb war er abgehauen, damit er nicht in einen Mord verwickelt würde und hatte jetzt beim Besuch eines Freundes im Ries sein Auto zerlegt und war selber verletzt worden. Seine Kumpane mussten ihn verraten haben und er wollte doch auf keinen Fall wieder in den Bau. „Ich habe keine Ahnung wovon sie reden!“ stammelte er, aber Semir merkte sofort, dass er nicht die Wahrheit sagte. „Ich weiß, dass ihr den Polo versteckt habt und kann dich sofort wegen Autodiebstahl wieder einwandern lassen-da waren deine Fingerabdrücke drin, außerdem habt ihr die Braut entführt und betäubt, das gibt ein paar Jährchen!“ flüsterte er drohend. „Sag mir also sofort, wo ihr meinen Kollegen versteckt habt, dann überlegen wir uns vielleicht mildernde Umstände!“ lockte er, aber der Verbrecher verzog nun verächtlich den Mund, mit sowas würde er sich nicht abspeisen lassen, zumal der Typ anscheinend sogar noch Polizist war, den sie eingesperrt hatten. „Ich will nicht wieder einfahren-versprich mir, dass ich keine Anklage kriege, dann werde ich mir das überlegen!“ tönte er und fügte noch hinzu: „Und da wo dein Kollege sitzt, da ist es ziemlich kalt, eiskalt sogar, würde ich sagen, also beeil dich!“ Semir´s Gesicht veränderte sich nun und seine Hand schoss vor und packte den Verbrecher am gebrochenen Arm, was den aufheulen ließ. „Nun spuck schon aus-wo steckt mein Freund!“ knurrte er, aber in diesem Moment veränderte sich der Gesichtsausdruck des Verletzten, er sah Semir verständnislos an, als würde er in sich hinein lauschen und dann verdrehten sich plötzlich seine Augen und während am Monitor alle Alarme zu piepen begannen und nun zwei Schwestern und ein Arzt in den Schockraum rannten, kollabierte er vor Semir´s Augen und der sah fast ein bisschen fassungslos zu, wie die Medizinertruppe mit Herzdruckmassage begann. „Raus hier-wir brauchen keine neugierigen Zuschauer!“ warf der Arzt Semir regelrecht hinaus und der trat langsam und deprimiert den Rückzug an-auch wenn Werner Kraus das überleben würde, so bald wäre er nicht vernehmungsfähig.
    Fast ein wenig verzweifelt trat er zu Josef, der ihn erwartungsvoll ansah. „Er hat mir nur einen Hinweis gegeben, aber ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat-jetzt kämpft das Unfallopfer gerade ums Überleben und kann uns sicher so bald nichts mehr erzählen!“ berichtete Semir, der Josef ja nicht vollständig einweihen konnte, solange der Fall nicht abgeschlossen war. „Was für einen Hinweis hat er dir gegeben?“ fragte Josef und als Semir die Worte des Schwerverletzten rekonstruierte, veränderte sich Josef´s Gesichtsausdruck. „Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin-ja das würde passen!“ rief er aufgeregt und rannte schon vor Semir los Richtung Wagen und der sauste sofort hinterher-oh Gott, hoffentlich hatte der Einheimische die richtige Eingebung-und schon waren sie, so schnell es bei dem dichten Nebel möglich war, auf dem Rückweg in die Harburger Karab.

    Ben war den halben Tag wie in Trance neben dem Wasser gelegen. Er spürte die Kälte nicht mehr und starrte nur noch blicklos vor sich hin und merkte, wie er immer schwächer wurde und das Fieber stieg. Es würde ein langsames und vermutlich qualvolles Sterben werden und Ben hatte Angst davor. Kurz bevor es finster wurde kam ihm noch ein Einfall, wie er das Ganze beschleunigen konnte-warum war ihm das nur nicht schon früher eingefallen? Er tastete mit der Hand nach einem scharfkantigen Stein und auch im Wasser trieben ein paar messerscharfe Eisstücke. So schwer es auch ging, schob er seine Anzughose nach unten und begann, während es jetzt stockfinster wurde, damit, an seiner Leiste herum zu säbeln. Er spürte keine Schmerzen und wenn es ihm gelang die Leistenschlagader zu treffen, würde er schnell verbluten und hatte es endlich hinter sich.

    Am Morgen hatte der Anführer der drei Entführer geflucht. „Verdammt, Werner, warum gehst du nicht ans Handy!“ hatte er zu sich selber gesagt. Am Vortag hatte er seinen Wagen sauber gemacht, vor allem die Blutspuren im Kofferraum waren ein Riesenaufwand gewesen zu beseitigen, aber jetzt blinkte und blitzte wieder alles. Sie hatten eigentlich ausgemacht, dass sie zumindest stichprobenartig das Haus des Brautpaars beobachten würden, damit die nicht einfach abhauten, aber weil Werner sich nicht an seinen Auftrag hielt, funktionierte das hinten und vorne nicht. Corinna´s Wagen jedoch stand in der Einfahrt, im Haus rührte sich etwas und anscheinend hatten die frisch Vermählten auch noch Besuch, der aber am Montagmorgen zügig aus der Garage fuhr und den silbernen BMW Richtung Bundesstraße lenkte. Corinna blieb zuhause-vermutlich hatte sie sich verbarrikadiert-und Klaus fuhr weisungsgemäß in seine Firma. Er saß alleine im Wagen und sein Verfolger wartete auch eine geraume Zeit, bis er ihm folgte, auf diesen verlassenen Nebenstraßen würde das sonst auffallen, wenn er zu dicht auffuhr und er wollte auf gar keinen Fall, dass der Verdacht schöpfte, sonst würde es schwer werden an das Handy heran zu kommen. Gut er sollte sowieso bis mindestens Mitte der Woche warten, hatten ihm die Scheichs aufgetragen, denn es war fast unwahrscheinlich, dass Klaus schon am ersten Tag an die Pläne heran kam. So entging es ihm, dass Klaus eben nicht alleine im Wagen gesessen hatte und dass Josef, den er auch gut kannte- immerhin stammte er aus dem Dorf- als er an dessen Haus vorbei fuhr, sich mit einem kleinen südländisch aussehenden Mann unterhielt, bemerkte er nur ganz nebenbei und maß dem keine Bedeutung zu.
    Klaus stellte seinen Wagen am Parkplatz der riesigen Firma in der Kreisstadt ab und sein Verfolger tat es ihm gleich. Kurz hintereinander stempelten sie ab, aber während Klaus sich nun in dem militärischen Bereich mit der größten Geheimhaltungsstufe begab, schlüpfte sein Verfolger in die Latzhose und begann wie jeden Tag die Mülleimer zu leeren und die Arbeitsaufträge, die vorlagen, abzuarbeiten.

    Semir und Josef steuerten den ganzen Vormittag erfolglos ein potentielles Versteck nach dem anderen an. Semir war ganz still geworden. Er fühlte deutlich, dass es Ben miserabel ging und versuchte die emotionale Verbindung nicht abreißen zu lassen und ihm virtuell Mut zuzusprechen, aber er merkte, wie die Signale, die sein Freund aussandte schwächer und schwächer wurden. Vielleicht machten sie doch das Falsche und man sollte mit Hundertschaften die riesigen Waldgebiete hier herum durchkämmen. Vielleicht riskierte er das Leben seines Freundes, weil er sich nicht an die eigentlich zuständigen Behörden wandte, die einen viel größeren Apparat hinter sich hatten? Allerdings-wie wollte er denen glaubhaft versichern, dass Ben hier irgendwo in der Nähe war und man einen riesigen Aufwand betrieb, um den zu finden. In den Augen der Staatssicherheit war der doch nur ein kleiner Fisch und konnte ruhig geopfert werden, mit sowas musste man als Polizist eben rechnen und sogar seine Suchaktion im Kleinen würde man unterbinden, um die Erpresser nicht misstrauisch zu machen-nein Ben wäre ein Bauernopfer, dem niemand außer dessen Familie und seinen Freunden nachweinte, so wäre die Denke bei diesen Typen mit denen Semir während seiner Laufbahn bei der Autobahnpolizei leider schon oft genug zu tun gehabt hatte.
    So forderte er Josef auf, schneller zu fahren und alle nur möglichen Verstecke aufzusuchen und bei jedem anderen Ort flammte neue Hoffnung auf, die sich jedes Mal aufs Neue zerschlug.

    Sie hatten zwar Wasserflaschen dabei, aber um die Mittagszeit sagte Josef: „Wenn du nichts dagegen hast, fahre ich nur schnell in Kaisheim-das ist der Ort gleich da vorne- in der Metzgerei vorbei, da können wir uns eine warme Leberkässemmel zu Mittag holen!“ Semir, der zwar nicht wusste, was eine Leberkässemmel war, stimmte zu-auch sein Magen knurrte und anscheinend war das kein großer Umweg. Wenig später betraten sie die kleine Fleischerei, die in Bayern ja Metzgerei hieß und in der es verführerisch roch und Josef bestellte das Gewünschte. Semir wollte auch nicht fragen, ob in dieser bayerischen Spezialität wohl Schweinefleisch drin war-„was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“ dachte er und biss kurz darauf, schon wieder im Wagen sitzend, genüsslich in das Brötchen, das mit der leckeren warmen Spezialität mit Senf darauf gefüllt war. „Sowas würde Ben auch schmecken!“ erklärte Semir und nun lächelte Josef: „Nun dann müssen wir uns eben anstrengen, ihn zu finden!“ sagte er wie selbstverständlich und steuerte wenig später das nächste potentielle Versteck an.

    Semir hatte ihm unterwegs erzählt, dass sie die Handysignale aus der Gump, diesem malerischen kleinen Tümpel, an dem sie nun schon mehrfach vorbei gefahren waren, empfangen hatten und jetzt fiel Josef noch etwas ein, was allerdings die Gesichter der beiden verdüsterte. „Zu diesem Gewässer gibt es eine Sage. Klar wissenschaftlich gesehen ist es eine artesische Steigquelle, aber unseren Vorvätern war es sehr unheimlich, dass praktisch oben am Hügel, ohne eigentlichen Zulauf, so ein Gewässer, das auch über die Jahrhunderte nie versiegt ist, entstanden ist. Angeblich wurden hier beim Bau des Klosters Kaisheim die Steine dafür gebrochen und einer der Steinmetze habe gotteslästerlich geflucht. Daraufhin wurde er mitten im Steinbruch eingeklemmt und das Wasser stieg und stieg und er ist jämmerlich ersoffen, ohne dass ihm jemand zu Hilfe kommen konnte. Meine Freunde des hiesigen historischen Vereins haben schon Tauchgänge gestartet, um den Wahrheitsgehalt dieser Sage zu überprüfen und zu schauen, ob nicht vielleicht doch Skelettreste auf eine Echtheit der Sage hinweisen, allerdings nichts gefunden. Nur besteht praktisch unterirdisch durchaus noch der alte Steinbruch mit vielen Spalten, in denen sich ein Körper auch durchaus verfangen könnte-soll ich sie bitten, doch einmal hinab zu steigen? Meine zwei besten Freunde, die begeisterte Taucher sind, sind auch schon berentet und würden uns sicherlich bei der Suche helfen!“ stieß er an und Semir stimmte nach kurzer Überlegung zu. Das würde allerdings bedeuten, dass Ben bereits tot war und das war eine Möglichkeit, an die er überhaupt nicht denken wollte. Wie sollte er das nur Sarah erklären, außerdem meinte er ja auch immer noch zu fühlen, dass Ben am Leben war, aber war das überhaupt irgendwie belegbar? Nein, mit Sicherheit nicht und so griff nun Josef zum Telefon und bat seine beiden Kumpels um Hilfe, die wenig später mit voller Tauchausrüstung zur Gump gefahren kamen.

    Voller Bangen beobachtete Semir, wie der eine der beiden sich in den Taucheranzug zwängte, einen starken Unterwasserscheinwerfer mitnahm und gesichert mit einer Leine unter der Wasseroberfläche verschwand. Nur wenig später erschien er wieder an der Oberfläche und hielt ein Handy nach oben, das Semir als Ben´s Mobiltelefon identifizierte-es war, wie er sagte, nur kurz unter der Oberfläche auf einem Stein gelegen. Beim zweiten Tauchgang förderte er noch Ben´s Waffe zutage, die er am Grund gefunden hatte und die Semir wie auch das Handy sofort eintütete, damit Hartmut darauf nach Fingerabdrücken suchen konnte, aber der Taucher sagte auch: „Weil das Wasser sehr kalt und klar ist und keine Algen darin wachsen, hätte ich einen Leichnam nicht übersehen können, da ist nichts!“ und jetzt atmete Semir erleichtert auf und ließ auch seine Gefühle wieder zu. Ben war noch da-wenn auch schwach- und er lebte und jetzt waren sie schon zu Viert, denn ohne Wenn und Aber und ohne nach den Hintergründen zu fragen, machte sich nun die zweite Suchmannschaft auf den Weg, die beiden Rentner waren sogar ganz vergnügt, dass sie eine Nachmittagsbeschäftigung hatten, auch wenn man sie nicht einweihte, warum ein Mann hier irgendwo gefangen sein sollte-wichtig war, dass er gefunden wurde.

    Hartmut hatte derweil bei dem Kongress die gefundene Blutprobe zu Demonstrationszwecken verwendet und seinen Kollegen die schnellste Möglichkeit einer Genanalyse, die er entwickelt hatte, vorgeführt. Als das Profil vorlag und er den DNA-Strang isoliert hatte, glich er das schnell mit seinen vorliegenden Daten ab und musste schweren Herzens erkennen, dass es sich tatsächlich um Ben´s Blut handelte, was er Semir auch telefonisch umgehend mitteilte. Die Reifenprofile brachten sie auch nicht sehr viel weiter, obwohl ein weiterer Kollege sogar mathematische Berechnungen vorstellte, wie man aus der Tiefe der Abdrücke die Anzahl der Personen im Fahrzeug berechnen konnte-gesetzt den Fall man hatte das Fahrzeugmodell, aber das brachte Hartmut aktuell nicht weiter-sie wussten ja nicht, welcher Wagen die Reifenspuren hinterlassen hatte und einweihen wollte er die fremden Kriminaltechniker nicht, nicht dass da einer auf dumme Gedanken kam! So machte er sich nach Ende des ersten Tagungstages wieder von Augsburg aus auf die fünfzigminütige Fahrt nach Nordschwaben, wo Klaus inzwischen die Pläne tatsächlich hatte abfotografieren können und nun zuhause darauf wartete, dass Hartmut sein sorgsam gehütetes Handy entgegen nahm, während die beiden Suchtrupps immer noch die Wälder durchkämmten.

    Ben hatte sozusagen mit seinem Leben abgeschlossen, zog sich nun zum Wasser, dem er vorhin hatte gerade noch entkommen können. Mit Tränen in den Augen dachte er an das Liebste in seinem Leben und ließ dann den Kopf wie vorhin einfach in die eiskalten Fluten sinken. Leider blieb die gnädige Bewusstlosigkeit aus und Ben war sogar durch das kalte Wasser extrem wach und seine Gedanken schossen messerscharf durch seinen Kopf. Er versuchte sich zu zwingen unter Wasser zu bleiben und öffnete sogar den Mund, um das kalte Wasser einzuatmen, aber in einem Überlebensreflex schoss sein Kopf wieder aus dem Wasser und er atmete stattdessen die Höhlenluft ein. „Verdammt-ich bin sogar zu blöd mich zu ertränken!“ dachte er und blieb erschöpft, frierend und nun vor lauter Kummer schon tränenlos am Rande des Gewässers liegen.