Zwei Reiterinnen waren mit ihren Pferden und einem Hund durch die Wälder in der Nähe des Wasserspeichers unterwegs, als sie plötzlich einen Schuss hörten. „Verdammt-jetzt jagen die schon mitten am Vormittag!“ sagte die eine der beiden und rief ihren Golden Retriever bei Fuß, der daraufhin brav direkt neben dem Pferd her trottete. Die Pferde hatten sich durch den Knall nicht beirren lassen, die beiden Frauen hörten ein Auto abfahren, aber vor einem Gebüsch in der Nähe der Wanderhütte begannen die Tiere aufgeregt zu schnauben und zu tänzeln, der Goldie steckte seine Nase in den Wind, witterte gründlich und wartete bloß auf die Erlaubnis auf Spur gehen zu dürfen, was ihm aber versagt wurde, denn in diesem Augenblick hatten die beiden Frauen den Umriss eines menschlichen Körpers entdeckt. Die eine sprang behände vom Pferd, drückte die Zügel der anderen Reiterin in die Hand, legte den Hund ab und wenige Sekunden später kehrte sie mit blassem Gesichtsausdruck vom Gebüsch auf den Weg zurück und zückte ihr Handy. „Da drin liegt ein Toter!“ sagte sie tonlos und schon war die 110 gewählt und die Polizeiroutine lief an.
Corinna hatte erst einmal die halbe Nacht damit verbracht, Tim zu beschäftigen, der nach dem ausgedehnten Mittagsschlaf jetzt zu Höchstform auflief. Er war wild und tobte mit ihr durch die Schutzwohnung, während Sarah sich mehr um die immer noch kränkelnde und weinerliche Mia-Sophie kümmerte und sehr froh über die Unterstützung ihrer Cousine war. Zuhause hätte Ben jetzt seinen Sohn übernommen und wilde Jungenspiele mit ihm gespielt. Ob das wohl noch ging, wenn Ben in Zukunft auf den Rollstuhl angewiesen war? Sie würden ihr Leben vermutlich komplett umstellen müssen, wenn er aus der Klinik kam, aber sie alle würden lernen, damit zurecht zu kommen, da war sich Sarah ganz sicher und gerade Kinder gingen mit sowas ja sehr unkompliziert und pragmatisch um. Und eine kleine Resthoffnung blieb ja doch, dass Alles nicht so schlimm war, aber die verbot sich Sarah gerade. Wenn man jetzt vom Schlimmsten ausging, konnte man nur positiv überrascht werden. Der erste Schritt war geschafft, Ben war operiert, er lebte und das war das Wichtigste. Sie hatte mit ihm sprechen können, Semir war bei ihm, das war schon mal was, auch wenn sie eine furchtbare Sehnsucht nach ihrem geliebten Mann hatte!
In der Nacht bekam das Baby dann auch noch starken Durchfall, vermutlich aufs Antibiotikum und Sarah kam vor lauter Wickeln kaum mehr nach-oh je, da würden sie am nächsten Tag nochmals zum Kinderarzt müssen und sich weitere Medikamente holen. Irgendwann so gegen zwei fielen dann alle in einen Erschöpfungsschlaf und erwachten erst so gegen neun. Auf dem alten Handy war eine Nachricht von Semir, dass Ben die Nacht gut verbracht hatte und so bemühte sich Sarah, noch während sie frühstückten, um einen erneuten Termin beim Kinderarzt, verständigte dann Jenni und die versprach, pünktlich um 10.30 Uhr bei ihnen zu sein und wieder die Fahrt zu übernehmen.
So war kurz nach zehn Corinna alleine in der Wohnung und jetzt hielt sie es einfach nicht mehr aus. Wenn sie Klaus eine kurze Mitteilung, nein besser ein Video, auf sein Handy schickte, würde es schon nicht so schlimm sein, sie verging einfach vor Sehnsucht nach ihm und wenn sie auch nur eine kurze Antwort bekam, dass es ihm gut ging, wäre sie schon zufrieden. Um diese Zeit machte er meistens eine Kaffeepause und da mailten sie öfter mal miteinander oder schickten sich liebevolle Grüße und Bilder über WhatsApp und er konnte das ja danach sofort löschen. So nahm sie das Handy, schaute, ob das Licht passte und drehte dann ein kurzes Selfie von sich. „Mein lieber Schatz, ich vermisse dich und hoffe, dir geht es gut! Unsere Flitterwochen habe ich mir anders vorgestellt, aber vielleicht können wir uns schon bald wieder in die Arme schließen!“ sagte sie in die Kamera, formte zum Abschied einen Kussmund und drückte dann ohne lange nachzudenken auf „Senden“.
Der Scheich nahm neugierig das Handy zur Hand, gerade war eine Whats App-Nachricht eingegangen, die er, ohne sich zu genieren, öffnete. Ihn scherte die Privatsphäre anderer Menschen einen Dreck, sein einziges Lebensziel war die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse und die Vermehrung von Macht und Einfluss, so war er schon von klein auf erzogen worden. Als er das Video angesehen hatte, pfiff er durch die Zähne. Als Absender stand „Corinna alt“ darunter, denn Klaus hatte die vorige Nummer seiner Frau nicht gelöscht, sondern nur die neue hinzu gefügt und jetzt wusste der Scheich, dass die Frau, wenn das Video nicht gefaked war, wohl nicht in dem Haus in Mündling anzutreffen war. Dennoch fuhren sie in aller Ruhe erst zum Hotel, ließen sich ihre Koffer, die sie schnell gepackt hatten-etwas was sie zuhause vom Personal würden erledigen lassen-zum Wagen bringen, checkten aus und machten sich erst dann auf den Weg. Sie hatten das Handy aufgemacht und nachgesehen, ob da irgendeine Wanze darin versteckt war, aber zu ihrer Befriedigung war es sauber und in Windeseile hatten sie zuvor im Hotelzimmer die Pläne erst auf einen Laptop gezogen und dann auf zwei USB-Sticks gesichert, von denen jeder der beiden jetzt einen am Mann trug. Auf dem Handy hatten sie sie dann gelöscht. Via Satellitenbild hatten sie dank Google Maps noch eine weitere Information erhalten und als sie jetzt vom Hotelparkplatz fuhren und nach links auf die Donautalstraße abbogen, kamen ihnen eine ganze Menge an Polizeifahrzeugen mit Blaulicht entgegen-so wie es aussah, war die Leiche schon gefunden worden. Allerdings behelligte sie niemand und so waren sie kurze Zeit später auf dem Weg Richtung Köln, denn wenn ein Scheich etwas haben wollte, dann bekam er es-so war er aufgewachsen! Das Handy wurde kurze Zeit später an einem Rastplatz im Mülleimer entsorgt, nicht dass da doch noch jemand auf die Idee kam es zu orten und das Versprechen eines Scheichs einem Ungläubigen gegenüber galt sowieso nicht!
Ben hatte gut geschlafen, aber die betreuende Pflegekraft war am Morgen mit den Blutgasen nicht sonderlich zufrieden. Allerdings wurde Ben jetzt erst einmal von der Frühschicht, in der ihn ein älterer Pfleger übernahm, gründlich gewaschen und aß danach auch sein Frühstück, wobei ihm sein Freund half, der selber aber erst einmal nur einen Kaffee trank. Semir war so schlau gewesen, Hartmut zu bitten, ihm doch frische Klamotten und Toilettenartikel an der Pforte zu hinterlegen, wenn er nach Augsburg fuhr, das war nämlich kein Umweg und Semir hatte das Gefühl, allmählich zum Himmel zu stinken. So holte er sich danach die kleine Tasche, die dort für ihn bereit stand, ging in aller Ruhe Duschen, Umziehen und in ein Cafe in der Nähe der Klinik Frühstücken und kehrte erst dann zu Ben zurück. Der war ja schließlich kein Baby mehr, kam auch mal eine Weile ohne ihn zurecht und war außerdem immer noch erstaunlich guter Dinge. Auch telefonierte der kleine Polizist mit Andrea, schrieb Sarah eine Nachricht und sprach auch mit der Chefin und informierte sie persönlich über die neuesten Entwicklungen. Mit einem Packen lieber Grüße von Allen kehrte er ganz optimistisch dann zu Ben zurück und erschrak fürchterlich, als er das Intensivzimmer nun betrat.