Während der kurzen Zeit, als der Neurologe Ben untersucht hatte, war dessen Sauerstoffsättigung stark gesunken, er rang wieder mühsam nach Luft und Sarah beeilte sich, die Maske wieder auf sein Gesicht zu drücken. Was ebenfalls verhinderte, dass jemand anderes als Fachpersonal einen Patienten so bei der Atemgymnastik unterstützte, war der Alarmmodus des kleinen Beatmungsgeräts. Das gab sofort einen durchdringenden Alarmton von sich, wenn die Maske nicht dicht saß und schaltete auch nach kurzer Zeit, wenn der Alarm nicht persönlich abgearbeitet wurde, in einen kontrollierten Beatmungsmodus um, was für einen wachen Patienten fast nicht zu ertragen war. Sarah war die ganze Zeit damit beschäftigt, durch Druck auf Tasten und Bedienung eines Drehknopfs, das Gerät zur Ruhe zu bringen. Sonst wurden nicht nur alle Anwesenden im Zimmer schier wahnsinnig, sondern die ganze Station litt sozusagen mit und es waren ja nicht alle anderen Patienten sediert, vom Personal ganz zu schweigen, das sowieso einen Teil der Arbeitszeit damit verbrachte, Alarme abzuarbeiten und heraus zu filtern, welche echt waren, denn ein Großteil der akustischen Alarmtöne einer Intensiv waren Fehlalarme, aber das war überall so. Deshalb lief in den meisten Haushalten von Intensivpersonal nicht ständig das Radio, der Fernseher oder auch nur eine CD, denn man lernte Stille als wertvolles Gut zu schätzen.
Als der Neurologe den Raum mit seinem fahrbaren Gerät verlassen hatte, trat kurz darauf die Intensivschwester mit zwei Tassen Kaffee für Sarah und Semir ein, während der Facharzt sich noch mit dem Intensivarzt besprach. „Herr Jäger, wie geht es ihnen denn?“ fragte sie mitleidig und als als Antwort ein lautes Stöhnen unter der Maske hervor drang, beeilte sie sich, ihm einen erneuten Opiatbolus zu geben. Die Schwester musterte ihren Patienten besorgt und wandte sich dann an Sarah: „Was meinen sie, Frau Jäger?“ fragte sie, aber zunächst einmal bestand Sarah darauf, dass sie sich duzten-das wäre ja noch schöner-man gehörte als Krankenschwester sozusagen überall einer verschworenen Gemeinschaft an, da war das Sie einfach fehl am Platz. Also wiederholte die Schwester, nachdem sie ebenfalls ihren Vornamen genannt hatte, ihre Frage und Sarah sagte: „Ich habe ihm schon versprochen, dass er jetzt dann schlafen darf und keine Schmerzen mehr spüren wird!“ und die Schwester nickte zustimmend. „Machen wir ihn zuvor noch ein bisschen frisch und dann bereite ich alles zur Intubation vor !“ schlug sie vor und Sarah nickte. Auch Semir, der auf einem zweiten Stuhl neben Ben Platz genommen hatte und sich dabei ertappte, wie er wieder und wieder gähnen musste, wurde eingespannt. Man wusch Ben, der von klebrigem Schweiß bedeckt war, vorsichtig mit kühlem Wasser herunter, erneuerte die durchgeschwitzte Bettwäsche und Sarah hielt die ganze Zeit die Maske fest, denn ohne die, bekam Ben jetzt kaum noch Luft.
Ihm war gerade alles egal, er hatte zwar Angst davor, in Kürze komplett die Kontrolle zu verlieren und wieder einen Schlauch in den Hals geschoben zu kriegen, aber andererseits würde ihn die Luftnot dann nicht mehr plagen und er würde die unerträglichen Schmerzen nicht mehr spüren. Wie aus weiter Entfernung beobachtete er, wie der Notfallwagen ins Zimmer geschoben wurde, die Schwester verschiedene Medikamente aufzog und auf der ausklappbaren Arbeitsfläche des Notfallwagens der Tubus, das Laryngoskop, der Führungsstab, eine Magillzange und eine Blockungsspritze vorbereitet wurden. Man testete, ob der aufblasbare Cuff des blauen weichen Tubus, der auch für Langzeitbeatmungen geeignet war, dicht hielt, bestrich das Ganze mit Endosgel und als alles vorbereitet war, holte die Schwester den Intensivarzt. Die Intubation war zuvor ja schon besprochen worden und wegen Ben´s immer noch bestehender Übelkeit würde man wegen der Aspirationsgefahr von Erbrochenem eine sogenannte Ileuseinleitung mit erhöhtem Oberkörper machen. Allerdings durfte Ben sich ja wegen der Rückenop nicht aufrichten und so stellte man kurzerhand das ganze Bett schräg, was bei Ben allerdings sofort zu massiven Schwindelattacken führte. Er klammerte sich krampfhaft irgendwo fest, fixierte Sarah mit panischem Gesichtsausdruck, die ihn beruhigend anlächelte und ihre Hand auf seinem Körper ruhen ließ und nun ging alles ganz schnell. Man spritzte Ben nacheinander mehrere Medikamente und nach kurzer Zeit verdrehte er die Augen und war weg. Der Arzt schob in Windeseile, sobald die Muskulatur vom verabreichten Succhinylcholin erschlaffte, den Laryngoskopspatel in Ben´s Mund und den Tubus sofort hinterher, der dann gleich geblockt wurde-gerade noch rechtzeitig, denn schon kam ein Schwall Mageninhalt, aber dank der routinierten Schnelligkeit des erfahrenen Anästhesisten aspirierte Ben nichts davon, sondern man konnte mit dem bereitliegenden Sauger einen Teil davon absaugen und der Rest lief dann eben auf die Einmalunterlage. Ben´s Blutdruck brach für einen Moment komplett ein, aber als man das Bett nun wieder flach stellte und das Noradrenalin erhöhte, waren die Werte bald wieder in einem erträglichen Bereich. Sarah half nun Ben´s Hände zu fixieren und zuvor auf kleinen Kissen zu lagern, der Arzt hatte den Thorax abgehört, um die korrekte Tubuslage zu kontrollieren, aber beide Seiten waren gleichmäßig belüftet und so wusch man nochmals Ben´s Gesicht ab und verklebte dann den Tubus mit speziellen Tubusfixierungen in dieser Position. Mit einem sogenannten Cuffprüfer testete die Schwester den Druck in dem kleinen Ballon-dem Cuff- am Ende des Tubus, der jetzt unter der Stimmritze lag und den fest in der Luftröhre fixierte. Dieser Druck durfte nicht zu hoch sein, sonst konnte es zu Schleimhautläsionen in der Luftröhre kommen, aber er durfte auch nicht zu niedrig sein, damit das System auch dicht war und eben keine Flüssigkeit in die Lunge laufen konnte.
Nach kurzer Überlegung entschied der Arzt für den Moment eine dicke Magensonde zu legen-dauerhaft tendierte man bei beatmeten Patienten zu ziemlich dünnen Ernährungssonden aus Silikon- aber durch die war der Ablauf nicht so gewährleistet und wegen der bevorstehenden Operation wollte man den Magen gerne leer haben und so schob der Doktor noch unter Sichtkontrolle mit dem Laryngoskop auch diesen Schlauch in Ben, mittels Einblasen von Luft und dem verräterischen Gluckern über dem Magen wurde auch dessen korrekte Lage geprüft, man verklebte die Sonde und hängte einen Ablaufbeutel daran, der sich auch bald mit Magensaft, vermischt mit Speiseresten füllte. „Anscheinend hat schon seit gestern die Peristaltik nicht mehr richtig funktioniert, deshalb auch die Übelkeit!“ bemerkte der Arzt und Sarah, die gerade noch eine dünne Decke über ihren Mann breitete, der nun mit entspanntem Gesichtsausdruck schlief und die Narkosemittel und hoch dosierten Opiate jetzt über einen Perfusor erhielt, nickte. „Ich bin todfroh, dass er jetzt intubiert ist-jetzt ist mir wohler!!“ vertraute sie ihren Fachkollegen an und Semir, der die ganze Sache aus der Entfernung beobachtet hatte, verzog zweifelnd das Gesicht. So konnte auch nur eine Intensivschwester denken-er hatte Ben lieber wach und konnte mit ihm kommunizieren. Aber angesichts der ganzen Komplikationen, die seinen Freund schon wieder heimgesucht hatten und der massiven Schmerzsymptomatik musste auch er zugeben, dass es Ben-wo auch immer sich sein Bewusstsein gerade aufhielt-jetzt sicher besser ging als vorher, ohne Schmerz, ohne Angst, Sorgen und Atemnot und so nickte er und trat leise zu seinem Freund, denn er musste ihn jetzt einfach anfassen und sich vergewissern, dass er noch lebte.
Gerade hatte die Schwester das Zimmer aufgeräumt, den Notfallwagen hinaus gefahren und alles dokumentiert, da steckte eine Kollegin den Kopf zur Schiebetür herein: „Draußen ist ein Herr Freund, der möchte Herrn Jäger besuchen, ist allerdings kein naher Verwandter, wie siehts aus?“ wollte sie wissen, aber Sarah nickte mit dem Kopf: „Er darf gerne herein kommen, auch wenn Ben jetzt leider nichts mehr von seinem Besuch mit bekommt, aber Semir-ich habe dich gähnen sehen-du hast auch eine harte Zeit hinter dir, ich würde vorschlagen, du fährst nachher mit Hartmut zu Corinna und Klaus und versuchst, heute Nacht mal eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Ich werde auf jeden Fall hier bleiben und lasse dir natürlich sofort Bescheid geben, wenn sich irgendetwas verändert!“ bestimmte sie und so stand wenig später Hartmut mit seinem roten Schopf im Zimmer und musterte voller Mitleid seinen Freund und Kollegen. „Oh Mann Ben, da hat es dich mal wieder ordentlich erwischt, aber du schaffst das!“ sagte er und wandte sich dann gemeinsam mit Semir, der gegen Sarah´s Vorschlag nicht protestiert hatte, zum Gehen.