Beiträge von susan

    Sarah hatte am Abend noch mehrmals versucht, Hartmut zu erreichen und sich schließlich, als die Kinder im Bett waren, aufseufzend an Ben´s PC gesetzt und die Daten herüber gezogen. Es war ja nicht so, dass sie das nicht konnte, aber wenn man einen Mann hatte, der sowas gerne machte und dann noch ein Computergenie im Bekanntenkreis hatte, der das mit links erledigte, tendierte man dazu, solche Aufgaben abzugeben. Sie hatte mit den Kids und dem Haus auch normalerweise genügend zu tun. Der Verkäufer hatte ihr auch versprochen, dass die Ersatz-SIM-Karte per Express noch am nächsten Vormittag geliefert werden würde und Ben war so schlau gewesen, ihr eine Vollmacht mit zu geben und für Rückfragen die Telefonnummer der Autobahnpolizei anzugeben-ein Anruf des Telefonnetzbetreibers bei der Chefin hatte genügt und die neue Karte mit Ben´s alter Nummer machte sich auf den Weg. Es war kurz nach Mitternacht als Sarah sich endlich zur Ruhe begab und auch sofort einschlief.

    Hartmut und Semir keuchten zwar alle beide noch ziemlich herum, aber mit Inhalieren und bronchienerweiternden Sprays wurde es immer besser, Hartmut hatte zwar Ganzkörperschmerzen und auch Semir war nach der Explosion ganz schön hart aufgeschlagen, aber sie waren beide froh, am Leben zu sein und wurden am nächsten Morgen auch planmäßig entlassen. Semir hatte Andrea am Telefon beruhigen können und hatte sie zur Arbeit geschickt-sie würden von Jenni abgeholt werden, nur hatten beide nicht vor, sofort nach Hause zu gehen, sondern sie wollten an ihre Arbeitsstellen-Hartmut in die KTU und auch Semir in sein Büro, um heraus zu finden, wer das Attentat auf Hartmut verübt hatte. Andrea hatte Semir noch davon berichten wollen, dass nun Lilly schon zweimal von einem fremden Mann nach ihm gefragt worden war, der immer dann, wenn Andrea mit ihm sprechen wollte, verschwunden gewesen war, aber dann vergaß sie es, auch vor Erleichterung, weil es ihrem Mann wieder gut ging.

    Hartmuts Telefon hatte neben ihm auf dem Beifahrersitz gelegen und war bei der Explosion zerstört worden und Semir hatte seines ebenfalls im Wagen gehabt, wo es auch noch lag, als man endlich die Unfallstelle geräumt hatte, den BMW in die PASt fuhr und dort auf dem Parkplatz abstellte. Der Akku war fast leer und Semir hatte zwar mit einem Blick eine Menge Anrufe darauf gesehen, aber da konnte er sich momentan nicht drum kümmern-jetzt gab es Wichtigeres zu erledigen! Ein wenig keuchte er zwar noch vor sich hin, aber dann fuhr er den PC hoch und ging die Fälle der letzten Zeit durch, wo Hartmut involviert gewesen und sein Name auch genannt worden war, um irgendwelche Übeltäter zu überführen. Nachdem die das meistens erst bei der Gerichtsverhandlung erfuhren, wenn Hartmut über seine Erkenntnisse berichtete und so mit seinen Beweisen und logischen Schlussfolgerungen die Verurteilung wasserdicht machte, ging Semir weiter und weiter zurück und sah auch die Listen der kürzlich aus der Haft entlassenen Verbrecher durch. Nur eine Verbindung nach Nordschwaben stellte er nicht her-dazu war ja auch noch nichts Wesentliches auf seinem PC!

    Ben hatte in den Fängen des sedierendes Medikaments vor sich hin geschlafen. In der Nacht war er nochmals kurz wach geworden und hatte dringend verlangt, seinen Freund anrufen zu dürfen-er musste einfach wissen, was mit dem und Hartmut war, aber die Nachtschwester hatte das verweigert und ihm eine weitere Beruhigungsspritze verabreicht. Was fiel ihrem Patienten denn ein? Anscheinend war der doch noch ein wenig durcheinander-man konnte doch nicht mitten in der Nacht alle möglichen Leute aus dem Bett hauen! Aber er war kreislaufstabil, das Kathetern hatte die Schwester für ihn übernommen und er hatte es in seinem Dämmerschlaf kaum mitgekriegt. Am frühen Morgen roch es auch unangenehm im Zimmer und so hatte man Ben, der davon überhaupt nichts mit bekommen hatte, sauber gemacht und er war erst kurz nach sieben wieder völlig zu sich gekommen. Er hatte zwar noch einen Kopf auf, als wenn er drei Tage durch gesoffen hätte, aber immerhin war er wieder klar und als er nun der Frühdienstschwester, die zum Waschen kam, erklärte, warum er sich gestern so aufgeregt hatte und dass er befürchtete, dass ein guter Freund bei dem schrecklichen Unfall gestern in Köln ums Leben gekommen und dass sein Partner auch nicht erreichbar gewesen war und er deswegen in furchtbarer Sorge lebte, nahm die seine Befürchtungen ernst und ließ ihn vom Stationstelefon aus erneut Semir anrufen-allerdings weiterhin erfolglos. Bei den Gerkhans zuhause ging auch nur der Anrufbeantworter ran-Ben hatte unglücklicherweise Andrea knapp verpasst, die kurz zuvor das Haus verlassen hatte und dann brauchte man das Telefon und Ben bekam erst einmal Frühstück, denn die Reha würde pünktlich weiter gehen, außer der Arzt schrieb ihn krank.

    Ben kam sich ziemlich verlassen vor, aber dann beschloss er, seinen ersten Physiotermin mit aller Kraft wahr zu nehmen-er konnte, was auch immer geschehen war, seinen Freunden nur helfen, wenn er wieder fit war und danach hatte er eine Pause von einer Stunde bis zur nächsten Anwendung, da würde er-von welchem Telefon aus auch immer-in der PASt anrufen und sich diesmal nicht von Susanne abwimmeln lassen, denn inzwischen war er überzeugt, dass die ihm etwas verheimlicht hatte, um ihn nicht aufzuregen. Mit etwas Abstand konnte er das auch verstehen-man hatte ja gesehen, wie er auf die Erkenntnis reagiert hatte, die er aus den vorliegenden Informationen gezogen hatte-das war weder professionell noch sonst etwas gewesen, sondern die pure Panik und die Angst um seine Freunde hatte ihn austicken lassen. Wenn etwas geschehen war, konnte er es sowieso nicht ändern und so turnte er mit aller Kraft unter Anleitung in seinem Bett und heute konnte er sich schon viel länger ohne Schwindelattacke aufrecht halten.

    Nach der Sporteinheit verlangte er-nun wieder halbwegs ruhig- das Stationstelefon, das ihm auch gleich gebracht wurde und als er nun die Nummer der PASt wählte und Susanne ran ging, ließ er sie erst gar nicht zu Wort kommen. „Susanne-ich weiß, dass gestern ein schlimmer Unfall passiert ist und du mich nur schützen wolltest, aber die Ungewissheit ist furchtbarer als alles andere!“, sprudelte er hervor. „Bitte sag mir jetzt und gleich, was mit Hartmut und Semir passiert ist-ich kann es ertragen, egal, was du mir jetzt mitteilst!“, aber statt ihm eine Erklärung zu geben, knackte es in der Leitung und als Ben nun Semir´s vertraute Stimme hörte, die sich ein wenig rau mit „Gerkhan!“, meldete, schossen ihm vor Erleichterung die Tränen der Freude aus den Augen-so viel zum Thema, was er gerade alles aushalten konnte.
    „Semir-wie geht es dir und was ist mit Hartmut und warum konnte ich dich seit gestern nicht erreichen?“, wollte er auch sofort wissen und Semir bekam erst in diesem Augenblick ein schlechtes Gewissen. Er hatte zwar schon kurz daran gedacht, Ben Bescheid zu geben, war aber dann der Überzeugung gewesen, dass der von dem Unfall ja überhaupt nichts mitgekriegt hatte und man ihn deshalb auch nicht unnötig beunruhigen musste. Jetzt verheimlichte er aber nichts mehr, sondern teilte seinem Freund einfach der Reihe nach mit, was gestern geschehen war und dass Hartmut zwar verprellt und hustend, aber ansonsten weitgehend unversehrt, in der KTU hockte und voller Kummer die Überreste seiner Lucy untersuchte.
    „Ben-ich komme dich heute Abend besuchen-wann ist es denn vom Zeitlichen gesehen günstig?“ fragte er nun und Ben teilte ihm nach einem Blick auf den Rehaplan den Zeitpunkt mit, wann er mit allen Anwendungen fertig war. „Und Semir!“, fügte er noch hinzu. „Hier gibt es abends immer nur kaltes Abendbrot. Kannst du mir, wenn du eh in diese Richtung fährst, bitte eine Currywurst mit Pommes von unserem Lieblingsimbiss mitbringen?“, bat er und Semir versprach schmunzelnd, das zu tun. Das war wieder sein alter Ben und ab jetzt würde der überall wieder mit einbezogen werden-in drückte ordentlich das schlechte Gewissen, dass er ihn hatte außen vor halten wollen.
    Bei Ben wurden danach die Fäden am Rücken gezogen, was aber nur ein wenig zwickte, er lauschte danach einem Vortrag, wo Markus heilfroh war, ihn wieder munter zu sehen und ließ dann erneut die manuelle Therapie über sich ergehen. Heute tat es schon nicht mehr ganz so schlimm weh wie gestern-anscheinend war die Sedierung gar nicht so schlecht gewesen, weil sich da auch die Muskulatur entspannt hatte.

    Eine Ergotherapeutin bearbeitete nach dem überaus gesunden Mittagessen seine Beine, folgte mit ihren Griffen und Hilfsmitteln den Nervenbahnen und heute war das Gefühl schon wieder ein Stück weiter nach unten gewandert. „Herr Jäger, das wird!“, freute sie sich mit ihm und mit neuer Motivation legte sich Ben ins Zeug. Nach weiteren zwei Therapien-diesmal in der Gruppe, wozu nur er und der beatmete Patient im Bett gebracht wurden, war sein Tagesprogramm endlich beendet und Ben hätte sich jetzt nach einer Dusche gesehnt. Er würde nachher Sarah bitten, ihm beim Frischmachen ein wenig zu helfen, aber es war schon wohltuend, seine eigenen Sportklamotten zu tragen. Das Aufrichten klappte nun auch schon viel länger und als dann erst Sarah mit den Kids und seinem neuen Handy und kurz darauf Semir mit der Currywurst eintrafen, hatte Ben endlich wieder das Gefühl zu leben!

    Nur ein kleiner Kurzkurs in Bayerisch für Zuagroaste, Preissn und anderes G´schwerl, wie mein Onkel-waschechter Oberbayer, jetzt sagen würde ( Übersetzung: für Zugereiste, Preussen und äh andere Leute ;) ). Wenn jemand in Bayern absteht, dann wird er blass, ihm wird übel, das Blut versackt in seinen Beinen, er ist also vor lauter Schreck oder aus welchen Grund auch immer, kurz vor einer Ohnmacht. Mir war übrigens mal wieder nicht bewusst, dass das ein regionaler Ausdruck ist-auch ich lerne durch eure Feeds immer wieder aufs Neue hinzu, mich mal ordentlich auszudrücken. ^^ Aber bei uns ist ein freundschaftliches: "Saupreiss, varreckter!" auch keine Beleidigung, sondern eher eine joviale Belobigung, je nach Tonfall!

    Die Stimmung die Ben befällt, als er Gabriel folgt und sogar neben ihm Platz nimmt, ist irgendwie gruselig. Obwohl Ben dann wie ein Polizist reagiert und Gabriel fixiert und durchsucht, sieht das nicht wie eine normale Verhaftung/ Durchsuchung oder wie auch immer aus! Gabriel hat aktuell auch tatsächlich keine Waffe dabei, aber wie wir wissen, hat er keine Skrupel, die auch tödlich zu benutzen, aber er ist eben so verblendet, dass er noch denkt, Gott spricht durch seinen Mund. Ich tippe mal darauf, dass die Sprache Hebräisch ist-hoffentlich findet sich bald jemand, der übersetzen kann, was da Gabriel von sich gibt!
    Was geschieht als Nächstes? Auf jeden Fall ist Ben völlig neben der Kappe wegen dem Engel-hoffentlich behält er die Oberhand!

    Nachdem Ben das Abendessen wieder alleine in seinem Zimmer eingenommen hatte, wurden seine Sorgen immer größer, einerseits hatte er Angst vor der Zukunft und dann beunruhigte es ihn, dass sich Semir nicht wenigstens kurz bei Sarah gemeldet und Grüße hatte ausrichten lassen. Er fühlte es, da war etwas passiert! Als die Schwester das Essenstablett abräumte, sah sie gleich, dass es ihrem neuen Patienten psychisch nicht gut ging, etwas was sehr normal hier war, denn die meisten Patienten mit schweren Rückenverletzungen standen an einem Scheitelpunt ihres Lebens, das sich völlig ändern würde nach so einem Trauma. Allerdings war ja am Nachmittag die Frau mit den süßen Kindern da gewesen, also die hatte anscheinend wenigstens keine Trennungsgedanken, etwas was leider häufig vorkam! Es hatte sich einmal einer ihrer Patienten versucht aus dem Fenster zu stürzen, weil seine Frau ihm knallhart gesagt hatte, dass sie sich ein Leben an der Seite eines Krüppels nicht vorstellen könne und ihn einfach verlassen hatte. Aber so eine Beziehung hatte schon vorher nicht funktioniert und der Mensch selber änderte sich ja nicht durch die Verletzung. Dieser junge Polizist wirkte sehr nett und er würde seinen Weg machen und auch, falls er nicht mehr völlig gesund wurde, mit Hilfe seiner Familie und seiner Freunde seinen Platz im Leben wiederfinden. Sie redete kurz mit ihm, aber dann musste sie sich um ihre anderen Patienten kümmern und ihr fiel etwas ein. „Herr Jäger-wenn sie möchten lasse ich jetzt einfach ihre Zimmertüre offen, das ist bei uns das Zeichen, dass die Patienten, die ihr Bett noch nicht selber verlassen können, Lust auf Gesellschaft haben. Vielleicht sieht der eine oder andere bei ihnen rein-soll ich das machen?“ fragte sie und Ben nickte stumm. Irgendwie war das Alleinsein gerade quälend und wenn er sein Handy hätte, hätte er auch jemanden-vor allem Semir-anrufen können. Aber das würde wohl noch bis morgen warten müssen und er hoffte auch, dass Hartmut auch gleich Zeit hatte, die Daten zu installieren-oder vielleicht funktionierte ja die Karte aus seinem alten Handy, das angeblich ebenfalls noch bei Hartmut lagerte, noch, dann wäre es dreimal einfacher. Er wusste aber Hartmut´s Nummer nicht auswendig und so würde sich Sarah darum kümmern müssen. Er wollte auch dasselbe Modell wieder haben, das war noch ziemlich neu gewesen, es sollte für Sarah kein Problem darstellen, auftragsgemäß am Heimweg beim Elektromarkt vorbei zu fahren und schnell diesen Kauf zu tätigen-an Geld mangelte es bei ihnen ja nicht!

    So blieb also die Türe offen und nach kurzer Überlegung gab die Schwester, die Markus irgendwo herum lümmeln sah, dem auch einen Tipp. Der hatte sich schon mit ihrem neuen Patienten unterhalten, war bereits zum zweiten Mal da und konnte den Dunkelhaarigen sicher aufmuntern oder zumindest ablenken. So klopfte es wenig später pro forma an der offenen Zimmertüre und schon humpelte Markus mit seinen beiden Krücken herein und begrüßte seinen neuen Freund mit einem breiten Lächeln. „Hey!“ sagte er, setzte sich auf einen Stuhl und Ben erwiderte den Gruß. Erst unterhielten sie sich eine Weile über belanglose Sachen, dann teilte Markus Ben mit, dass er am Nachmittag Sarah und die Kids gesehen hatte und er sagte ehrlich: „Deine Frau schaut sehr sympathisch und hübsch aus und deine Kinder sind einfach Zucker, die haben mich beide angelächelt, ich bin beinahe dahin geschmolzen. Dein Sohn sieht aus wie du und die Kleine wie ein Püppchen und ist ein Ebenbild deiner Frau, ich würde sagen, das habt ihr gut hingekriegt!“ teilte er Ben mit und der war erst geschmeichelt, erzählte dann aber Markus, dass auch gleich das Chaos ausgebrochen war, als er nur kurz mit seinen Kindern alleine geblieben war. „Weisst du, ich habe mich so minderwertig und hilflos gefühlt-ich kann, so wie es mir im Augenblick geht, nicht einmal fünf Minuten auf meinen Nachwuchs aufpassen, wie soll das nur werden?“ fragte er bang, aber Markus erzählte nun von sich und voller Erstaunen erfuhr Ben, dass sein Freund ebenfalls schon gelähmt gewesen war.
    „Ich hatte letztes Jahr einen Autounfall mit Wirbelfrakturen und die haben mich hier wieder gut hingekriegt. Jetzt bin ich-nachdem ich gerade wieder ein paar Wochen in der Arbeit war-von einer Rampe gerutscht und habe mir wieder etwas am Wirbel weggesprengt. Ich wurde erneut operiert und jetzt hoffe ich, dass ich bald wieder so fit bin wie vorher-lange genug hat es gedauert, aber es kann klappen, glaub es mir!“, machte er seinem neuen Bekannten Mut. „Ich bin zwar nicht verheiratet, habe aber einen dreijährigen Sohn, der bei seiner Mutter lebt. Ich habe in der Kur jemanden kennen gelernt, aber die Beziehung ist gerade am Wachsen, da weiss ich noch nicht, was draus wird, aber unsere Jungs würden sich sicher gut verstehen-vielleicht müssen wir da mal ein Treffen arrangieren, wenn Lukas mich besuchen kommt!“ schlug er vor und irgendwie tat das Gespräch Ben total gut.

    Nach einer Weile fiel Ben´s Blick auf Markus´ Mobiltelefon, das sich unmissverständlich unter der Brusttasche seines Shirts abzeichnete. „Ich hätte eine Bitte und natürlich bezahle ich dir das, aber ich müsste dringend meinen Freund anrufen, kannst du mir kurz dein Handy leihen?“ fragte er und Markus holte es sofort hervor und streckte es ihm entgegen: „Das kostet auch nichts, denkst du, ich hätte keine Flat?“ fragte er dann mit einem Grinsen und betrachtete dann das Bild von Sarah, den Kindern und Lucky, das auf Ben´s Nachttisch stand, während Ben erneut erfolglos Semir´s Nummer wählte. „Der Teilnehmer wird…“, begann die Computerstimme ins Telefon zu quäken-„Mann konnte Semir nicht einmal seine Mailbox aktivieren?“, fragte sich Ben, während er auflegte.
    „Hast du übrigens schon von dem Unfall mit einem Toten in Köln heute Morgen gehört?“, fragte nun Markus und jetzt war Ben wieder ganz bei der Sache. „Das war beinahe vor meiner Haustür und mein Nachbar, der sich nachher den Unfallort angesehen hat, hat gemeint, dass da so ein Irrer mit nem Oldtimer, bei dem vermutlich die Bremsen versagt haben, in einen Tanklaster gerauscht ist. Aber angeblich hat der Fahrer das Ganze nicht überlebt!“, plapperte Markus und jetzt reihten sich in Ben´s Kopf Indiz um Indiz aneinander. Betont desinteressiert fragte er nun: „Hat dein Nachbar dir auch gesagt, was für ne Marke der Oldtimer wohl war?“ fragte er und sein neuer Freund nickte. „Das war wohl ein Toyota Supra-er hat den gleich erkannt, obwohl nicht mehr so viel von ihm übrig geblieben ist-er hatte früher nämlich selber so einen!“ erzählte er und sah dann ganz erschrocken auf Ben, der nun käsebleich geworden war und mit der Hand nach seinem Hals griff. „Ist dir nicht gut?“ fragte er und läutete auch schon der Schwester, während Ben vor Entsetzen erst einmal die Luft weg blieb.

    Markus wurde aus dem Zimmer geschickt und die Schwester holte schnell den Dienstarzt dazu, denn soeben erlitt ihr neuer Patient einen gepflegten Nervenzusammenbruch und faselte dabei immer zwei Namen-Hartmut und Semir. Man spritzte ihm Tavor und wenig später war Ben in den Klauen des Beruhigungsmittels und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sondern schlief nur noch vor sich hin. „Ich hoffe er beruhigt sich wieder-bitte überwachen sie ihn engmaschig. Wenn es nicht klappt, müssen wir ihn in ein Akuthaus verlegen, aber vielleicht geht es ihm in ein paar Stunden besser!“, ordnete der Dienstarzt, der ja Orthopäde war, an und die Schwester nickte. „Was hat ihn denn so aufgeregt?“ fragte die Pflegekraft dann Markus, der ganz besorgt vor der Zimmertüre wartete. „Ich habe mich mit ihm nur über die Explosion dieses Tanklasters heute früh in Köln unterhalten, da ist er plötzlich abgestanden und hat keine Luft mehr gekriegt!“ berichtete der junge Mann und wurde dann von der Schwester weg geschickt. „Herr Jäger braucht jetzt erst einmal Ruhe, morgen sehen wir weiter!“ beschied sie ihm und sah alle paar Minuten nach Ben, der sich aber nun kaum mehr regte, zu sehr hatte ihn das Medikament ausgeknockt.

    Der Attentäter fackelte nicht lange und fuhr erneut zur Wohnadresse seines nächsten Opfers. Wieder spielte gerade das kleine Mädchen im Garten-es war wie ein Deja-Vú, als er über den Gartenzaun rief: „He Kleine-ist dein Papa jetzt da?“ aber Lilly schüttelte den Kopf und sprang dann wieder auf, um die Mama zu holen. Allerdings brauchte der Attentäter jetzt alles andere als eine aufgeregte Mutter, die ihn eventuell auch noch beschreiben konnte und suchte deshalb rasch das Weite. Sein nächster Weg führte ihn zu dem Gutshaus und tatsächlich-diesmal war das bewohnt und eine hübsche junge Frau beaufsichtigte auf der Terrasse sitzend, einen kleinen Jungen, der im Sandkasten spielte. „Wann fahren wir wieder zu Papa-ich mag mit dem Stuhl fahren?“ wollte er quengelnd wissen und Sarah sagte freundlich: „Morgen besuchen wir den Papa wieder am Nachmittag und bringen ihm sein neues Handy, ich hoffe nur, dass ich Hartmut noch erreiche, sonst kann ich mich da heute Abend noch rumplagen und die ganzen Daten selber rüber ziehen!“ sagte sie mehr zu sich selber und drückte zum erneuten Mal auf die Wahlwiederholung, allerdings ohne Erfolg. In diesem Augenblick erspähte Lucky, der gerade im Haus gewesen war, um seinen Kauknochen zu holen, den fremden Mann, der sich hinter den Büschen verborgen hatte. Mit wütendem Bellen schoss er gegen den Gartenzaun und der Attentäter suchte schnellstmöglich das Weite. Er hatte genug gehört-morgen würde er einfach warten und dann die junge Frau beschatten-sie würde ihn zu seinem nächsten Opfer führen!

    Das war wirklich eine Überraschung, dass Caro von sich aus den Weg zu Alex findet, der eigentlich mit dem Gedanken schon abgeschlossen hatte, ihr jemals näher zu kommen. Die beiden finden sich auch körperlich sehr attraktiv und flirten-ich hatte ja schon gehofft, noch mehr, aber fürs Erste ist Caro jetzt erst einmal wieder weg gefahren, ich denke aber, sie wird wieder kommen!
    Ihre Erklärungen für die Albernheiten im Büro klingen schlüssig, ja ich kenne diese Art von Galgenhumor auch aus dem Krankenhaus, wenn du von der dritten erfolglosen Rea in deiner Schicht zurück kommst! Da dürfte uns Schwestern und Ärzten auch manchmal keiner zuhören, aber sowas dient einfach dazu, den Druck abzulassen, das kann ich nachvollziehen!
    Mal sehen in was für einer Verfassung Alex jetzt Semir vorfindet, an dem sich Tammy anscheinend ausgetobt hat!

    Das waren zwei sehr authentische Kapitel. Du hast Semir´s Zwiespalt, einerseits seinen Hass auf Bohm und dann der Zorn auf Ben, in dem er inzwischen wirklich einen Verbrecher sieht, gut rüber gebracht. Auch die Chefin ist nicht glücklich mit der Situation, lässt Semir rumschreien und bleibt selber ruhig dabei-ich weiss ja immer noch nicht, ob die irgendwie eingeweiht ist, oder nicht!
    Semir observiert danach weiter den bekannten Treffpunkt und bleibt dabei leider nicht unbeobachtet. Oh je anscheinend kommt er gerade ziemlich ungelegen auf dem Gelände der alten Ziegelei an und stellt seinen ehemaligen Freund zur Rede. Semir ist doch soviel Polizist, dass er das durchziehen würde, aber Ben kommt ihm zuvor und flüchtet. Ja mit wem wollte er sich dort treffen-irgendeinem Mafiaboss, oder doch eher mit dem Buchhalter, der das Spiel sauber mitgespielt hat und jetzt quietschlebendig dort auf seinen Kumpel Ben wartet. Den dürfte dann aber Erik nicht sehen, sonst schwebt Ben in absoluter Lebensgefahr-sehr spannend ich giere auf die Fortsetzung!

    Gerade stelle ich mir vor, wie Semir fassungslos auf die Autowracks blickt-ja das war ganz er, du hast da Semir wie er leibt und lebt eingefangen, sogar seine Stimme konnte ich mir vorstellen, als er Ben erst Vorwürfe macht und dann versucht harmlos zu klingen, als Andrea anruft! Ja so groß gerade Semir´s Sorgen deswegen sind-ich befürchte, dass Ben´s Probleme noch ein bisschen größer sind und er bald wieder von denen eingeholt wird! Außerdem kann ihm Ben-falls da keine Versicherung zahlt, ja jederzeit den fahrbaren Untersatz ersetzen, aber blöd ist die Situation trotzdem!

    Sarah hatte die Nacht mit ihren Kindern zuhause verbracht, aber es war merkwürdig, dass das Bett an ihrer Seite leer blieb. Sie stellte vor dem Einschlafen bereits Überlegungen an, ob sie gleich einen Handwerker aus dem Dorf beauftragen sollte, ihr Schlafzimmer nach unten zu verlegen, aber dann verbot sie sich das selber. Erstens hatten sie da immer noch gut Zeit, wenn Ben´s Entlassungszeitpunkt aus der Reha fest stand und zweitens kam es ihr wie Verrat an Ben vor, denn das würde bedeuten, dass sie nicht an seine völlige Genesung glaubte. Es kam eh wie es kam und wichtig war, dass er lebte und seine Kinder weder ihren Papa, noch sie ihren geliebten Mann verloren hatten. Sogar Lucky hatte zwar nach Herrchen geschnüffelt, sich aber als er nirgends zu entdecken war, dennoch zufrieden seinen Platz auf dem Boden vor Ben´s Bettseite eingenommen, wo sein Hundebett stand. Herrchen war schon öfter einmal länger weg gewesen, aber immer wieder nach Hause zurück gekehrt. Er würde in dessen Abwesenheit auf die Familie aufpassen, damit war sein Job erfüllt und der liebste Mensch in Luckys Universum wäre zufrieden mit ihm.
    Sarah hatte in der Rehaklinik gefragt, wann es denn günstig sein würde, dass sie mit den Kindern kam und hatte die Auskunft erhalten, dass Ben´s letzte Anwendung am Nachmittag um 15.30 Uhr wäre und es deshalb ab etwa 16.15 Uhr problemlos möglich wäre, ihn zu besuchen. So spielten die Kinder am Vormittag noch schön im Garten, man ging gemeinsam-Tim mit dem Dreirad und Mia-Sophie in der Kinderkarre-mit Lucky spazieren und Sarah beglückwünschte sich, dass sie im Vorjahr die Entscheidung getroffen hatten, in ein Dorf am Stadtrand von Köln zu ziehen, da war wenig Verkehr und man konnte die Kinder auch mal springen lassen. Am Anfang hatten sie zwar eine Zeit lang gedacht, dass es hier spukte, aber dann hatten Semir und Ben, nachdem Mia-Sophie unter dramatischen Umständen mit Ben als Geburtshelfer in einem Kellerverlies unweit ihres Hauses zur Welt gekommen war, den Fall gelöst und seitdem war Ruhe eingekehrt. Mittags kochte Sarah etwas und erst nachdem sie das Essen fertig hatte, wurde ihr bewusst, dass sie die gewohnte Menge zubereitet hatte, wie als wenn Ben auch mitessen würde-oh je, da würden sie die nächsten drei Tage davon satt werden, oder sie musste einen Teil davon einfrieren! Sie hatte auch Ben´s Koffer und ihre Sachen aus dem Auto geholt und die Waschmaschine lief auf Hochtouren. Sportsachen für die Reha einpacken war auch kein Problem, denn Ben hatte da eine riesige Auswahl-er war ja so oft wie möglich im Fitnessstudio, ging laufen und machte auch sonst schon immer Sport, sie musste nur die passenden Sachen auswählen und in den Koffer packen. Außerdem war er auch nicht aus der Welt und Sarah hatte fest vor, ihn regelmäßig mit den Kindern zu besuchen. Am Sonntag, war ihr gesagt worden, fanden überhaupt keine Anwendungen statt, man konnte den Kraftraum und das Schwimmbad selbstständig benutzen, aber davon war Ben noch weit entfernt, bisher war er ja noch nicht einmal im Rollstuhl gesessen!

    So verging der Tag wie im Fluge und am Nachmittag brachten sie Lucky erst zu Hildegard und dann fuhr Sarah mit den Kindern die gute halbe Stunde zur Rehaklinik und Tim fragte abwechselnd: „Sind wir bald da?“, oder „Warum ist Papa wieder im Krankenhaus?“, denn das war eine Situation, die schon häufiger vorgekommen war. Sarah hatte lange überlegt, ob sie Tim etwas von Ben´s Lähmung erzählen sollte, aber sich dagegen entschieden. Er war einfach noch zu klein, um das erfassen zu können und theoretische Erklärungen zu einer Querschnittlähmung waren sicher auch nicht angebracht. Sie würde ihm vor Ort kindgerecht erklären, dass der Papa gerade noch im Bett liegen musste und nicht laufen konnte und alles Weitere würde die Zeit zeigen. Mia-Sophie hatte unterwegs noch ein kleines Nickerchen gemacht, aber als sie sie dann auf den Arm nahm, Tim an der Hand fasste und mit schnellen Schritten in die Rehaklinik strebte, lächelten die Leute, die da herum saßen oder standen und sich unterhielten die süßen Kinder an und alle beide erwiderten offen das Lächeln, sie kannten von klein an nichts anderes.

    Ben hatte, nachdem er mit dem Diensttelefon der Schwestern vergeblich versucht hatte Semir auf dem Handy zu erreichen, am Nachmittag erst Entspannungsübungen in der Gruppe gehabt-dazu war er im Bett gebracht worden, danach hatte er eine halbe Stunde Pause, wie auch Markus, der daraufhin einfach mit in sein Zimmer gehumpelt war und sich mit ihm unterhalten hatte. Dann war die Ergotherapeutin zu ihm gekommen, während Markus mit seinen Krücken zum Stretching strebte. Danach war noch ein Vortrag zu Stressbewältigung, der Ben ziemlich skurril vorkam, denn der Redner da vorne wirkte alles andere als entspannt und hüpfte wie ein Derwisch vor seinen Zuhörern herum, die sich belustigte Blicke zu warfen und dann war sein Tagesprogramm beendet. Gerade hatte Ben sich wieder eine halbe Flasche Wasser einverleibt und sich selber kathetert, was ihm inzwischen immer selbstverständlicher von der Hand ging, da klopfte es plötzlich an der Tür und als er erwartungsvoll: „Ja bitte!“, rief, stürmte auf einmal sein Tim, den nun nichts mehr hielt, zur Tür herein, rief laut: „Papa!“, und schmiss sich in seine Arme, was Ben die Tränen der Rührung in die Augen trieb. Er drückte seinen Sohn ganz fest, küsste dann Sarah, die ebenfalls gerührt die Szene betrachtete und kitzelte dann Mia-Sophie am Bauch, was die glucksend zum Lachen brachte, während Tim nun bereits interessiert den Rollstuhl begutachtete. „Schön dass ihr da seid!“, sagte er ehrlich und Sarah legte nun seine Tochter neben ihn, ermahnte Tim brav zu sein und wandte sich dann an ihren Mann: „Ich hole nur schnell deine Sachen!“ sagte sie und während Ben nickte und sich jetzt eingehend mit seiner kleinen süßen Tochter beschäftigte, ging Sarah nur rasch zum Parkplatz um den Rollkoffer zu holen. Als sie nur Minuten später zurück kam, hörte sie Tim schon bis auf den Flur brüllen-der hatte sich nämlich die Finger am Rollstuhl eingeklemmt, allerdings war auf Ben´s verzweifeltes Läuten auch gleich eine Schwester gekommen, die ihn versuchte zu trösten, aber Mia-Sophie weinte nun ebenfalls mit und erwartete hoch genommen zu werden-kurz es herrschte Chaos, Ben lag blass und traurig und selber den Tränen nahe in seinem Bett und sagte deprimiert: „Ich bin nicht einmal fähig fünf Minuten auf meine Kinder acht zu geben-wie soll denn das nur werden?“ und Sarah hatte alle Hände damit zu tun die Situation zu schlichten. Tim war auch nichts passiert, der Schreck war größer gewesen als der Schmerz, das Baby beruhigte sich, sobald sie es hoch nahm und als Tim nun von der Schwester noch zum Trost einen Lutscher bekam, war seine Welt wieder in Ordnung, nur Ben ging das Ganze noch lange nach.

    Sarah räumte die Sachen in den Schrank, hörte sich die Erzählungen vom ersten Rehatag an, aber als Ben sie fragte, ob sie etwas von Semir gehört hätte, konnte sie nur verneinend den Kopf schütteln. „Ich habe heute in den Nachrichten etwas von der Explosion eines Tanklasters in Köln heute Morgen gesehen und da stand Stunden später noch Semir´s BMW an der Unglücksstelle. Sarah-ich erreiche ihn nicht, kannst du gleich mal versuchen, da etwas heraus zu bekommen?“ beauftragte er seine Frau, die sich auch gleich an ihr Handy hängte. „Ich brauche auch dringend eine Möglichkeit nach Draußen zu telefonieren, sonst bin ich hier völlig abgeschottet!“ verlangte Ben und weil sein Handy, seitdem es in der Gump versunken war nicht mehr ordnungsgemäß funktionierte, wie Hartmut vermeldet hatte, nachdem er die Daten darauf ausgewertet hatte, versprach ihm Sarah ein Neues zu besorgen. „Ich habe die wichtigsten Daten auf dem PC-die müsstest du mir dann rüber ziehen!“ bat er sie, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Ben-du weisst genau, dass das zeitaufwändig ist-mit den Kindern geht das untertags nicht, ich werde einfach Hartmut bitten!“ sagte sie und damit war Ben ebenfalls einverstanden. Als man aber nun den auch nicht erreichte, wurde Ben zunehmend unruhig und rief dann selber Susanne an, die ihn aber nicht beunruhigen wollte. „Ich weiss selber nicht, wo Semir und Hartmut stecken und warum Semir´s Wagen da zufällig am Unfallort gestanden hat!“, behauptete sie, „Aber ich werde ihnen mitteilen, dass du angerufen hast, wenn ich sie sehe!“, versprach sie und legte dann voller schlechten Gewissens den Hörer auf.

    Sarah packte auch noch Ben´s Tablet und einen MP3-Player aus und als sie sich eine Stunde später verabschiedete, weil die Kinder ungeduldig wurden, steckte sich Ben die Kopfhörer in die Ohren, aber obwohl jetzt seine Lieblingsmusik lief, konnte er nicht so richtig abschalten, irgendwie war da ganz tief im Inneren ein Gefühl, dass mit Semir und Hartmut irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung war.

    Der Attentäter hatte derweil dem Anwalt Bescheid gegeben, dass das erste Drittel des Auftrags ordnungsgemäß durchgeführt war und bekam auch gleich in bar einen Teil der vereinbarten Summe-jetzt würde er sich dem nächsten Opfer widmen, dazu musste er nur erst heraus finden, wo sich das aufhielt!

    Weil euch alle die Frage nach dem Handy in der Reha umtreibt-während der Behandlungen besteht in allen Rehakliniken Handyverbot, aber klar darf man abends auf dem Zimmer oder sonst in seiner Freizeit telefonieren. Allerdings war ja Ben´s Handy im Weiher versenkt und hat da Schäden davon getragen ;) -er braucht also erst ein Neues! Und stimmt, die Namenswahl war doof, aber so eine große Rolle spielt der Mitpatient Tobias jetzt nicht in der Geschichte, ich hatte da einfach nicht dran gedacht-sorry Campino, aber ich denke, ich werde ihn jetzt mal ganz schnell in Markus umtaufen . :D

    Als Ben im Zimmer angekommen war, lag auf dem Tisch schon ein fein säuberlich ausgedruckter Plan in einer Mappe. „So Herr Jäger-das ist ihr vorläufiger Rehaplan. Da stehen die Uhrzeiten und die Orte ihrer verschiedenen Behandlungen drin-und der jeweilige Behandler. Dazu ein Lageplan des Hauses und noch so einige andere Formulare, z. B. ein Selbsteinschätzungsbogen mit dem wir den subjektiven Rehabilitationserfolg prüfen. Solange sie selber noch nicht mobil sind, werden entweder wir Schwestern oder ein Fahrdienstmitarbeiter sie mit dem Bett, oder alternativ einer fahrbaren Trage zu ihren verschiedenen Anwendungen bringen, aber sobald sie wieder mobil sind, wird erwartet, dass sie sich pünktlich zu den verschiedenen Einzel- und Gruppentherapien einfinden. Normalerweise ist das Zeitfenster zwischen zwei Behandlungen ausreichend, aber wir müssen sie um Pünktlichkeit bitten, damit wir unsere Planungen, die einen großen logistischen Aufwand bedeuten, umsetzen können. Jeder Behandler bestätigt mit einer Unterschrift ihre Teilnahme, das brauchen wir auch als Nachweis für die Krankenkassen, die Berufsgenossenschaften und die Rentenversicherungen. Wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, an einem Programmpunkt nicht teilnehmen können, bitte rechtzeitig absagen-momentan noch bei uns von der Pflege, aber nach Wiedererlangung ihrer Mobilität dann unten an der Rezeption. Wenn sie mehrere Behandlungen absichtlich und unentschuldigt nicht wahrnehmen, wird die Rehamaßnahme abgebrochen-kein Kostenträger ist bereit, ihnen hier einen Erholungsurlaub zu finanzieren, darum müssen wir kontinuierliche Nachweise führen. Wenn sie vermehrt Schmerzen bekommen, bitte melden, dann wird der Arzt entscheiden, ob man bestimmte Therapien umstellt, aber wie gesagt, das können nicht sie alleine abbrechen, manche Sachen sind momentan sehr unangenehm, aber einfach notwendig und wir haben da so unsere Erfahrungen. Ich setzte sie jetzt nochmals an den Bettrand-das ist eine der Maßnahmen, die der Physiotherapeut angeordnet hat!“, bereitete sie ihn vor und wenig später war er schon wieder aufrecht. Nach kurzer Zeit wurde ihm zwar wieder schwindlig, aber trotzdem kam ihm die Spanne schon länger vor als vorher, was die Schwester, die das auf ihrer Pulsuhr gestoppt hatte, bestätigte. „Aber jetzt sehen sie sich den Plan mal in aller Ruhe durch, ich lasse ihnen einen Stift und ein Klemmbrett da und sie füllen bitte den ersten Selbsteinschätzungstest aus. Das Zeitfenster dazu ist eine viertel Stunde und danach haben sie Elektrotherapie, wie ich sehe-einer von uns holt sie dann dazu ab“, startete die Pflegekraft ihre umfangreichen Erklärungen, aber Ben hatte eine Sache heraus gehört und die wollte er nun unbedingt noch einmal bestätigt wissen. „Schwester-sie betonen immer, dass ich pünktlich sein soll-denken sie wirklich, ich bin schon so bald in der Lage mich alleine fort zu bewegen? Denn wenn sie mich fahren, dann kann ich das ja nicht beeinflussen, ob ich zu früh oder zu spät komme?“, fragte er und die ältere Pflegerin, die sicher schon viel in ihrem Leben gesehen hatte, blickte ihn überrascht an. „Natürlich bringen wir sie in Kürze aus dem Bett-oder meinen sie, wir verstehen hier unser Handwerk nicht?“, stellte sie die Gegenfrage und nun zog über Ben´s Gesicht ein glückliches Lächeln. Genau das hatte er hören wollen-er würde mit aller Kraft mitarbeiten, damit er dann bald zu spät kommen konnte, denn so gut kannte er sich-Pünktlichkeit war nicht seine Stärke, das konnte Semir mehr als bestätigen!

    Er füllte dann auch weisungsgemäß die zwei Zettel aus-es waren immer Fragen gestellt, die man dann mit einem Punktesystem bewertete. Gefragt waren die Tätigkeiten, die er schon alleine ausführen konnte, wie Hände über den Kopf, Klimmzug, Heben von Lasten, in seinem Fall Hanteln-alles was die obere Extremität betraf schnitt gut ab, anders sah es mit dem Bereich ab der Hüfte aus-da hatte er überall null Punkte. Allerdings konnte er sich doch bereits selber drehen, das Aufrichten ging zwar nur mit Hilfe und kurz, aber immerhin war er bereits zweimal am Bettrand gesessen. Er fühlte dann noch nach seiner Blase und auch wenn es ihm noch sehr widerstrebte, katheterte er sich dann erneut selber. Immerhin war das besser als wenn eine fremde Person an ihm herum manipulierte-man gab als Kranker eh so viel von seiner Würde ab, er war froh, dass er wenigstens diese Sache inzwischen schon selbstständig und alleine erledigen konnte. Ein wenig spürte er auch was, als er den Katheter einführte, auch wenn das Gefühl ein völlig anderes war als normal. Kaum war er fertig und hatte sich wieder angezogen und seine Hände mit den Feuchttüchern gereinigt, kam auch schon ein Mitarbeiter des Fahrdienstes und half ihm, sich auf eine fahrbare Liege umzulagern, die einfach leichter zu rangieren war als das sperrige Bett. „Zu den Behandlungen, die auf Behandlungsliegen stattfinden, werden sie mit diesem Ding gefahren, zu Vorträgen oder sowas, wo sie nur zuhören und still liegen müssen, im Bett“, erklärte er, während er sich schon in Bewegung setzte. Auf dieser zwar gepolsterten und mit einem dünnen Laken abgedeckten Liege ohne Zudecke war es natürlich nur halb so bequem wie im Bett, aber das war ja auch keine Liegestatt für einen längeren Zeitrahmen. „Die Rehamappe muss immer mit und ein Handtuch, das man auf die Behandlungsliegen oder Isomatten in den einzelnen Abteilungen legt. Aktuell bekommen sie noch ein Handtuch vom Haus geliehen, aber sobald ihre Frau ihre Sachen gebracht hat, nehmen sie dann bitte ein Eigenes mit“, wurde er erneut aufgeklärt und dann schob der Fahrer die Trage auch schon in den Aufzug.

    Wenig später war Ben in der physikalischen Abteilung und sah sich neugierig um. Man schob ihn in eine recht enge Kabine, dort half man ihm auf die Behandlungsliege hinüber zu rutschen und sich auf den Bauch zu legen, was jetzt doch wegen der Bauchwunde ordentlich zwickte. Ben sog scharf die Luft ein-verdammt, er hätte von der Schwester vorhin ein Schmerzmittel verlangen sollen, der Arzt hatte ja gesagt, dass das kein Problem wäre, aber jetzt wars zu spät und er würde das schon aushalten. Eine Mitarbeiterin der Abteilung beugte sich über ihn und fragte, ob er schon einmal Elektrotherapie bekommen habe, aber er verneinte. Irgendwie hatte er gerade Assoziationen mit einem elektrischen Stuhl und ihm war ein wenig bange. Als dann aber die Mitarbeiterin seine kurze Hose ein wenig nach unten schob, zwei feuchte Schwämmchen in großen Saugnäpfen rechts und links seiner Operationswunde in der Lendenpartie aufsetzte, wie der Physiotherapeut das in der Rehamappe markiert hatte und zwei weitere Elektroden an seinen Waden anbrachte, die sich dort-ohne dass er es fühlen konnte- ebenfalls festsaugten, erklärte sie ihm. „Wir arbeiten hier mit niedrigfrequentem Reizstrom, der schmerzlindernd und muskelentspannend wirkt. Die Behandlung dauert 10 Minuten und wenn ein Piepton ertönt und der Strom und der Sog ausgehen, dann dürfen sie hier ausschalten. Wenn sie wieder selbstständig sind, können sie dann den Behandlungsraum verlassen-aktuell werden sie noch abgeholt. Ich erhöhe jetzt langsam die Stromstärke-es soll nicht schmerzhaft sein, aber es ist sehr individuell, was jeder unter stark oder schwach versteht und ist auch nicht jeden Tag gleich. Es soll prickeln, aber nicht weh tun, die Muskulatur reagiert auf den Strom und der Körper versucht auch an den Beinen etwas wahr zu nehmen und das ist neben der Schmerzlinderung unser Ziel!“ erklärte sie, während sie langsam am Regler höher drehte, bis Ben „Stop!“, sagte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, erst war er sehr angespannt, gerade als ihn die Frau dann alleine ließ, nicht ohne ihm allerdings eine Glocke in die Hand zu geben, damit er sich bemerkbar machen konnte, wenn er Hilfe brauchte. Nach ein paar Minuten allerdings begann Ben sich zu entspannen und tatsächlich merkte er, wie der Schmerz im Rücken ein wenig schwächer wurde, allerdings schmerzte die Bauchwunde nach wie vor stark. Schneller als gedacht waren die zehn Minuten vorbei, Ben schaltete den Apparat weisungsgemäß aus und drehte sich, nachdem die Saugnäpfe losgelassen hatten, alleine um, was zwar auf der schmalen Liege ein wenig schwierig war, aber er hatte den Dreh im wahrsten Sinne des Wortes schon heraus. Der Fahrdienstmitarbeiter kam wieder mit seiner Trage herein gefahren, half ihm beim Rüberrutschen, packte das Handtuch ein und wenig später war Ben auf dem Weg zur manuellen Therapie, was auch immer das sein sollte-die Hälfte der Dinge, die in seinem Plan standen, kannte er noch nicht. Aber er war ganz sicher-er würde sie kennen lernen und danach stand ein Programmpunkt auf dem Plan, der ihm besonders gut gefiel: „Mittagessen,“ denn ehrlich gesagt knurrte sein Magen schon gewaltig.

    Die manuelle Therapie war dann eine Art Massage-allerdings hätte er die junge zierliche Frau die ihn behandelte, erwürgen können, denn die hatte seinen Rücken erst abgetastet und dann begonnen rechts und links der Operationswunde und auch am Gesäß die verklebten Faszien zu lösen, was furchtbar weh tat. Er bemühte sich auch, nicht zu jammern, aber manchmal musste er doch laut aufstöhnen. „So unangenehm das ist-ein Muskel, der nicht in seiner Muskelscheide gleiten kann, ist nicht trainierbar. Ich weiss, dass ich ihnen gerade weh tue, aber glauben sie mir, es ist nur zu ihrem Besten!“ erklärte sie und Ben hätte vor Hohn beinahe laut aufgelacht-ja das hatten schon viele behauptet, dass es nur gut für ihn war, wenn sie ihm weh getan hatten-gerade Typen wie Wolf Mahler oder andere Verbrecher, die ihn bereits gefoltert hatten. Das hier kam gleich danach und niemand war froher als er, als die zwanzig Minuten, die ihm gefühlt wie drei Stunden vorgekommen waren, zu Ende waren.

    Als er sich kurz danach in seinem Bett ausstreckte, erst mal eine halbe Flasche Wasser trank, denn trinken war ebenfalls sehr wichtig, war ihm schon mehrfach eingebläut worden, damit die Schlackenstoffe abtransportiert werden konnten, schaltete er dann ein wenig den Fernseher ein, bis ihm das Mittagessen gebracht wurde-er hatte eines von zwei Wahlmenüs am Morgen aussuchen können und sich für das mit Fleisch entschieden-er brauchte schließlich Kraft.

    Als er dann allerdings die Nachrichten sah, die von einem schweren Verkehrsunfall mit einem Toten am Morgen in Köln berichteten, bei dem nach einer Kollision mit einem PKW ein Tanklastzug in die Luft geflogen war und Bilder von der Unfallstelle zeigte, verging ihm schlagartig der Appetit. Der BMW, der da unauffällig, aber bereits noch Stunden nach dem Unfall, denn der Brand war schon lange gelöscht und sowas dauerte erfahrungsgemäß, am Bildrand stand, war eindeutig Semir´s Dienstfahrzeug. Was war da los gewesen? Hoffentlich war Semir selber nicht betroffen und war nur als Polizist an der Unfallstelle gewesen, aber irgendwie blieb ein ungutes Gefühl-er musste sich nachher dringend ein Telefon bringen lassen und seinen Freund anrufen, das ließ ihm keine Ruhe mehr!

    Semir rannte so schnell er konnte zu Hartmut´s Wagen. Während der LKW-Fahrer, der unverletzt geblieben war, schleunigst das Weite suchte und schrie: „Weg hier, gleich fliegt alles in die Luft!“, riss Semir verzweifelt an der Tür von Hartmut´s Lucy. Die war völlig deformiert und klemmte, Hartmut hing bewusstlos über dem Lenkrad und Blut aus einer Kopfplatzwunde färbte alles um ihn herum rot. Aber das war ihr geringstes Problem, die Flammen schlugen inzwischen höher und beißender Rauch von schmelzendem Kunststoff brachte Semir zum Husten und raubte ihm die Sicht. Mit dem Mute der Verzweiflung mobilisierte Semir alle Kraft und plötzlich hatte er die Tür auf. Mit zitternden Fingern und selber vor lauter Husten schon nicht mehr ganz fit, löste er das Gurtschloss und zerrte Hartmut, der schlaff wie ein nasser Sack in seinen Armen hing, aus dem Fahrzeug. In diesem Moment kam der wieder zu sich und als Semir ihn anbrüllte: „Hartmut lauf-hilf mir!“ denn alleine hätte er es nicht geschafft, seinen Freund in der Zeit, die ihnen noch blieb aus der Gefahrenzone zu bringen, bewegten sich seine Beine fast automatisch. Semir fasste ihn unter und schleppte und zog ihn aus dem tödlichen Bereich. Kaum waren sie ein paar Meter entfernt, stand auch der Wagen schon in hellen Flammen und wenig später holte die Druckwelle sie von den Beinen. Beide schlugen zwar hart auf dem Asphalt auf, aber immerhin sie lebten und als wenig später der Klang der Martinshörner durch den wundervollen Sommermorgen schallte, flüsterte Hartmut zwischen zwei Hustenstößen: „Semir, das war ein Attentat, ich habe genau gehört, wie eine kleine Sprengladung mir das Bremssystem zerstört hat!“ und nun blieb Semir vor Schreck der Mund offen stehen.

    Wenig später kümmerten sich ein Notarzt und einige Sanitäter um Hartmut und Semir. Gott sei Dank gab es sonst keine Verletzten und sie wurden alle beide zunächst einmal in die Uniklinik gebracht. In der Notaufnahme tummelte sich wenig später die halbe Besatzung der PASt, die von den Kollegen von dem schrecklichen Unfall verständigt worden war, denn man hatte natürlich Semir´s Wagen und ihn selber erkannt. Von Hartmut´s Lucy war nicht mehr als ein Haufen verkohltes Blech übrig, aber nach eingehender Untersuchung konnten die Ärzte bei Hartmut Entwarnung geben. „Er hat eine Rauchgasvergiftung, eine Kopfplatzwunde, die wir gestrippt haben und multiple Prellungen am ganzen Körper. Eventuell dazu noch eine leichte Gehirnerschütterung, die aber nicht dramatisch ist. Wir behalten ihn vorsorglich eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus-aber nur wegen der Gefahr des Lungenödems wegen dem eingeatmeten Gift. Er bekommt Sauerstoff und sie können ihn kurz besuchen, wenn er auf sein Zimmer gebracht wird!“, erklärte der Arzt der Chefin, die wie ein Tiger vor dem Behandlungsraum auf- und abgelaufen war.

    Andrea war inzwischen auch eingetroffen-sie war gerade ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit gewesen und hatte die Kinder unterwegs schon in Schule und Kindergarten abgeladen, als Susanne sie verständigt hatte. Voller Sorge war sie ins Krankenhaus gestürmt, ihr Wagen stand völlig verbotswidrig im absoluten Halteverbot, aber das war ihr gerade völlig egal. „Schatz-was ist mit dir, wie geht es dir?“, fragte sie panisch, aber Semir, der gierig den Sauerstoff aus der Maske sog und vor lauter Husten kaum sprechen konnte, winkte ab. „Mir gehts gut, du kannst mich gleich mitnehmen!“, setzte er an, aber als der behandelnde Arzt den Kopf schüttelte und Andrea und ihn belehrte, dass auch bei ihm die Gefahr des inneren Ertrinkens durch die Einatmung der giftigen Dämpfe bestand und er ihn eine Nacht stationär aufnehmen wollte, sah ihn seine Frau mit einem derart bösen Blick an, dass Semir sofort die Klappe hielt. „Du wirst jetzt bis morgen früh hier bleiben, wie der Doktor gesagt hat, sonst rede ich nie mehr ein Wort mit dir !“, drohte Andrea und aufseufzend fügte sich Semir in sein Schicksal. So kamen die beiden Freunde und Kollegen gemeinsam in ein Doppelzimmer und kurz darauf war das so voll, dass man sich fast nicht mehr umdrehen konnte. „Leute-uns geht’s gut, geht an die Arbeit, ab morgen unterstützen wir euch wieder!“ warf Semir unter Husten nach kurzer Zeit die ganze Truppe hinaus und griff nach dem Inhalationsapparat, den man ihm und Hartmut hergestellt hatte. Allerdings fiel ihm dann noch was ein: „Chefin-vielleicht sollten wir uns wegen Hartmut bedeckt halten. Er ist der festen Überzeugung, dass das ein Attentat war. Es wäre eventuell sinnvoll den Täter-wer immer er auch ist, aber das werde ich schon noch herausfinden-in dem Glauben zu lassen, dass sein Anschlag erfolgreich war“, überlegte er und so verkündeten wenig später die lokalen Radiosender, dass es bei der schrecklichen Explosion am Morgen in Köln ein Todesopfer gegeben hätte und der Attentäter lächelte zufrieden, als er hörte, dass er das erste Drittel seines Auftrags erfolgreich und planmäßig erledigt hatte!

    Ben war inzwischen mitsamt seinem Bett in einen Vortragssaal gebracht worden, wo bereits einige Leute auf Stühlen saßen, andere im Rollstuhl und noch ein weiterer Patient ebenfalls liegend herein gefahren wurde. Er musterte seine Mitpatienten und erntete alle möglichen Reaktionen, von freundlichem Lächeln über verlegenes Augenniederschlagen bei einigen Frauen, die sich seiner Attraktivität nicht entziehen konnten, kritischen Blicken von manchen Männern und er stellte fest, dass hier wirklich alles vorhanden war in fast allen Altersgruppen zwischen etwa sechzehn und sechzig. Der andere Patient im Bett lag ganz flach und war sogar über eine Trachealkanüle beatmet, aber er schenkte Ben ein offenes freundliches Lächeln, das er sofort erwiderte. Da gab es also durchaus jemanden, den es schlimmer erwischt hatte als ihn selber! Als der Leiter der Rehaklinik den Vortrag über die Ziele und den Ablauf einer stationären Reha erläuterte, rechtliche und organisatorische Dinge erklärte und die etwa 40 Neuankömmlinge begrüßte, schweiften Ben´s Gedanken ab. Solche Vorträge hatte er schon immer gehasst und die machten ihn schläfrig. Bevor ihm aber endgültig die Augen zu fielen, war der Vortrag zu Ende und einer seiner Mitpatienten, der mühsam mit zwei Krücken lief, trat mit einem Augenzwinkern an sein Bett: „Mann habe ich dich gerade beneidet-du hast dein Bett für ein Nickerchen gleich mitgebracht!“, flachste er und streckte dann die Hand aus: „Markus-ich hatte einen Arbeitsunfall und bin an der Wirbelsäule operiert-und wie heisst du?“ stellte er sich vor und Ben schlug mit kräftigem Händedruck ein: „Ben-bei mir wars, hmm, eher ein privater Unfall, obwohl, so ganz klar ist das nicht und ja, ich bin auch operiert!“, sagte er, denn anscheinend war sowas hier wichtig. „Ist das deine erste Reha?“, fragte nun Markus und als Ben nickte, sagte er: „Na dann viel Erfolg, wir werden uns sicher noch häufiger sehen!“, und Ben, der nun wieder in sein Zimmer gebracht wurde nickte-das vermutete er auch, aber Markus wirkte ganz nett, eigentlich freute er sich darauf!

    Semir wurde von Andrea und den Mädchen freudig empfangen. Nachdem heute ein warmer Junitag und Ayda mit den Hausaufgaben bereits fertig war, machte Andrea kurz eine Maschine mit Semir´s Wäsche an, soweit er sie nicht in Mündling bereits gewaschen hatte und dann gingen sie gemeinsam in ein Freibad in der Nähe mit einer neuen Wasserrutsche. Zu selten kam es bei ihnen vor, dass der Papa unter der Woche am Nachmittag Zeit hatte und da war es im Bad eben nicht so voll wie am Wochenende. Semir rutschte mit seinen Kindern und beim Schwimmen, Plantschen und Toben fiel der Stress mit einem Schlag von ihm ab. Er hatte ein gutes Gefühl-Ben würde alles tun, damit er so viele Funktionen zurück bekam wie möglich und sein Leben würde vielleicht anders sein als vorher, aber er war sich sicher, dass er sich an die neue Situation gewöhnen würde. Allerdings gab es ihm einen Stich ins Herz. Ob Ben noch jemals- so wie er gerade-mit seinen Kindern die Wasserrutsche benutzen könnte, stand in den Sternen.
    Sie kauften gleich im Bad noch Eis und Pommes und nachdem sie danach die glücklichen Kinder gemeinsam ins Bett gebracht hatten, kuschelten sich Semir und Andrea noch auf der Couch bei einem Glas Rotwein zusammen und erst jetzt erzählte der kleine Türke seiner Frau genau, was er die letzten Tage in Bayern erlebt hatte. Sie hatten zwar jeden Tag telefoniert, aber sich dabei im Arm zu halten, war einfach etwas anderes! Danach gingen sie bald zu Bett und Semir schlief wie ein Stein und erwachte am Morgen erfrischt. Als er zur Arbeit fuhr, erspähte er-wie so oft-einige Fahrzeuge vor sich Hartmut´s Wagen, dessen heißgeliebte Lucy. Sie fuhren beide immer pünktlich um dieselbe Zeit los und nachdem Hartmut zufällig im selben Stadtteil wie Semir lebte, war es gar keine Seltenheit, dass sie sich begegneten. Die KTU und die PASt lagen zwar ein wenig voneinander entfernt, aber die Richtung war die gleiche und der Arbeitsbeginn ebenfalls. Semir hatte laut türkische Musik laufen-etwas was sowohl Ben als auch Andrea zur Weißglut treiben konnte, aber für ihn war das entspannend und er sang gut gelaunt mit, während er in einigem Abstand Hartmut durch den morgendlichen Verkehr folgte. Es war gar nicht so viel los, die Urlaubssaison hatte bereits begonnen, viele Kölner fuhren bei dem wundervollen Wetter auch mit dem Rad und so kamen sie zügig voran. Dann näherten sie sich an einer Gefällstrecke einer Kreuzung und unmittelbar vor Hartmut schaltete die Ampel auf Rot. Semir sah voller Entsetzen, dass ein großer Tanklastzug in die Kreuzung einfuhr, aber Hartmut nicht gebremst hatte, sondern mit vollem Tempo auf das riesige Gefährt zu schoss. Dann gab es einen Knall und das hässliche Geräusch von Metall, das auf Metall quietschte. Semir beobachtete wie in Zeitlupe, wie Hartmut anscheinend bewusstlos hinterm Steuer des im Frontbereich völlig verbeulten Fahrzeugs hing und sah auch schon Benzin aus dem Tank des Oldtimers auslaufen und kurz darauf Flammen züngeln. Er schnallte sich ab, sprang aus dem Wagen und schrie den Passanten und den Insassen der stehenden Fahrzeuge zu: „Weg hier!“ während er wie ein Wahnsinniger Richtung Unfallstelle rannte.
    Der Attentäter, der Hartmut´s Wagen in einigem Abstand ebenfalls gefolgt war, wendete in einer Hofeinfahrt und sah zu, dass er wegkam, als auch schon ein lauter Knall ertönte und ein riesiger Feuerball in den morgendlichen Kölner Himmel schoss.

    Ben hatte gut geschlafen. Einmal hatte er sich in der Nacht selbstständig kathetert und die Nachtschwester, die ein paarmal nach ihrem Neuzugang gesehen hatte, konstatierte zufrieden, dass er sich anscheinend auch bewusst drehte, da musste sie keine Angst haben, dass er sich wund lag. Er hatte am Abend noch eine Schmerztablette bekommen und als am Morgen die Frühdienstschwester ihm beim Waschen half, konnte er schon ziemlich viel selber machen. „Sobald sie eine längere Zeit sitzen können, kleben wir eine Duschfolie auf die Rücken- und die Bauchwunde und dann können sie duschen. Das wird ihnen auch gut tun nach dem Sport!“ informierte sie ihn und das klang in Ben´s Ohren total verheißungsvoll. Sport und Dusche-das waren zwei Schlagworte, die ihn einem normalen Leben näher brachten und als er nun wieder in seinem Zimmer gefrühstückt hatte, kam auch schon der Physiotherapeut zu ihm, um seine spezielle Aufnahme zu machen und dann ein erstes Trainingsprogramm zu erstellen. Er stellte sich vor und wie der Arzt und die Schwester am Vortag, besah auch er sich den neuen Patienten von Kopf bis Fuß. Sehr detailliert machte er eine Bestandsaufnahme des Bewegungsspielraums, zeichnete in einen Plan die genauen Lähmungen ein, prüfte die aktiven und passiven Gelenkbeugungen und Streckungen und begann dann auch schon mit der ersten Trainingseinheit-vorerst noch im Bett im Zimmer. Jetzt verstand Ben auch, was die überall angebrachten Griffe und Bügel sollten, denn der Physiotherapeut brachte ihn erst dazu, sich mittels Technik im Bett aufzurichten und mobilisierte dann die gelähmten Beine heraus, so dass Ben für kurze Zeit an der Bettkante saß. Er stabilisierte ihn, sagte ihm worauf er achten sollte, aber nach sehr kurzer Zeit wurde Ben furchtbar schwindlig, der Schweiß brach ihm aus und er bat darum, wieder hingelegt zu werden. Schnell erledigte das der Mann, der genau wusste wie er hin fassen musste und tröstete dann seinen neuen Patienten, als dem nun die Tränen der Verzweiflung in die Augen schossen. „Wie soll denn das nur werden, wenn mir, sobald ich nur ein wenig aufrecht bin, sofort schwindlig wird-ich kann doch da keinen Sport machen und auch das Zimmer nicht verlassen!“ klagte der Dunkelhaarige, aber der Physio ließ sich von dem Anfall von Mutlosigkeit nicht aus dem Konzept bringen. „Herr Jäger das sind die typischen Nachwirkungen des spinalen Schocks bei einer Querschnittlähmung. Hier treten unbewusste Regulationsmechanismen in Kraft, die können wir zwar nicht direkt willentlich beeinflussen, aber wir können den Körper an die aufrechte Körperhaltung gewöhnen. Wir werden ihnen ab sofort mindestens jede Stunde einmal beim Aufsetzen helfen, irgendwann versackt das Blut dann nicht mehr in den Beinen, was übrigens die Ursache für den Schwindel ist. Ihr Körper und vor allem ihr Nervensystem sind lernfähig, glauben sie mir das und zusätzlich trainieren wir den Oberkörper noch im Liegen, damit ihre dort gut ausgeprägte Muskulatur in Schuss gehalten oder sogar noch weiter aufgebaut wird. Sobald dann ein längeres Sitzen möglich ist, sind sie im Rollstuhl sehr mobil, das verspreche ich ihnen, weil ihre Armmuskeln ihnen bei der Fortbewegung helfen werden. Ich bringe ihnen nachher noch Hanteln und Flexiband und zeige ihnen ein paar Übungen, die sie selber machen können. Zum vormittäglichen Vortrag, den alle neuen Rehapatienten sich anhören sollten, werden sie im Bett gebracht und da können sie auch schon die ersten Mitpatienten kennen lernen. Ich erstelle jetzt gemeinsam mit den Ärzten und Schwestern ihren speziellen Trainingsplan, den kriegen sie dann erst einmal für die erste Woche ausgedruckt-wenn ihnen etwas zu viel wird oder nicht passt, bitte jederzeit melden und ach ja-gerade in den Gruppentherapien-kein falscher Ehrgeiz, hören sie auf, wenn sie kräftemäßig an die Kante kommen, zu viel ist da fehl am Platz. Was sie diese Woche noch nicht schaffen, gelingt ihnen dann in der nächsten spielend einfach-geben sie sich selber und ihrem Körper Zeit.“, mahnte er ihn und dann stand auch schon die Schwester im Zimmer.
    „Wir müssen zum Vortrag!“, belehrte sie den Physio nach einem Blick auf die Uhr und der zog eine Grimasse. „Ach ja-Pünktlichkeit wird hier im Haus sehr groß geschrieben!“, sagte er noch und rollte mit den Augen, während er schon die Bettbremse löste und der Schwester half, die Liegestatt aus dem Zimmer zu rangieren.

    Die Hexen sind ganz schön gemein-ich kann durchaus verstehen, dass die engsten Kollegen aus dem SEK nach Rache sinnen, immerhin werden die von den beiden ganz schön gedemütigt. Parfum auf dem Shirt-Lippenstift am Hosenstall-ja genau so will man zu einer Übung antreten! Gabs da keine Kleidervorschrift, wenn die beiden Mädels immerhin in vorgeschriebener Einsatzkleidung, wenn auch etwas lässiger angezogen-erscheinen? Alex ist mal wieder hin und weg, aber als Caro ihn regelrecht abserviert, verlässt er fluchtartig die Übung, fährt nach Hause und betrinkt sich-na wenn das keine Abmahnung von der Chefin gibt! Und wer steht jetzt da vor der Tür? Semir, die Chefin als Racheengel höchstpersönlich? Oder doch Caro, die das schlechte Gewissen drückt?

    Ben hat zwar eine unruhige Nacht unter Bewachung hinter sich, aber er schickt gleich mal die Polizisten weg :S , der Dösbattel und versucht seinen potentiellen Mörder zur Rede zu stellen. Der sagt aber nichts, geht einfach voraus und wie der Rattenfänger von Hameln hat er Ben im Schlepptau, der sein Hirn anscheinend zuhause im Bett vergessen hat. Er hätte ja die uniformierten Kollegen erst mal die Personalien von Gabriel feststellen lassen können, oder wenigstens Semir Bescheid sagen-aber nein, Ben ist mal wieder im Alleingang unterwegs und ich bibbere jetzt, was in der Kirche wohl vor sich geht. Obwohl-wird Gabriel mit seiner Pseudoreligion Ben in einem geheiligten Raum etwas antun? Oder versucht er ihn zu hypnotisieren und einer Gehirnwäsche zu unterziehen? oder warten da eine ganze Schar Unterengel? Also ich hab keinen Plan, was Gabriel jetzt mit Ben vorhat, ich befürchte aber nichts Gute! ;(

    Jetzt bin ich einerseits froh, dass Ben nicht angegriffen wurde, oder den Leichnam seiner Geliebten oder des Mitbewohners im Keller entdeckt hat, aber andererseits war das natürlich eine glasklare Warnung! Meisner ist bibelfester als Ben und versteht sofort den Zusammenhang mit dem Ziegenbock als Teufelssymbol. Ich hoffe, der musste wenigstens nicht leiden-der Bock, nicht Meissner ;) , denn Tierquäler kommen bei mir ganz unten X( .
    Semir ist aber, bevor ihn Ben verständigt hat, von alleine drauf gekommen, dass Tobias sicher kein Einzeltäter war, was jetzt durch den Fund des toten Tieres nochmals bekräftigt wurde.

    Danke für die Info-und wem sagst du das, dass es manchmal einfach wichtigere Dinge als das Schreiben gibt, aber Hauptsache deine Story geht irgendwann weiter und landet nicht bei den vielen anderen "Unvollendeten" -es wäre schade drum!

    Wo steckt die Krüger? irgendwie hast du das gerade nicht zufällig beschrieben, Mikel! Entweder der ist was passiert, oder sie versucht gerade gemeinsam mit den Leuten vom LKA, BKA oder welcher Behörde auch immer einen Weg zu finden, um Ben´s Tarnung nicht zu beschädigen.
    Ben hat sich inzwischen zugesoffen und wacht jetzt mit nem riesigen Kater wieder auf. Ja ich hoffe natürlich wie Trauerkloß, dass das Ganze nur eine Scharade war, aber so ganz sicher bin ich mir eben nicht :/ .

    Sarah war derweil zu Hildegard gefahren. Tim spielte versunken im Sandkasten im Garten und Mia-Sophie machte gerade im Kinderwagen daneben, der im Schatten der Markise stand, ein kleines Nachmittagsschläfchen. Lucky und Frederik lagen hechelnd unter einem großen Baum, denn Hildegard war vorhin mit ihnen im Park Gassi gewesen und die beiden wohlerzogenen Hunde hatten dort andere Hundekumpels getroffen und mit denen gespielt und getobt, was die Kinder begeistert beobachtet hatten. Als nun Sarah läutete und von Hildegard in den Garten geführt wurde, tanzte auf einmal ein überglücklicher Lucky um sie herum und gab Laute des Entzückens von sich, die man dem grauen Riesen gar nicht zugetraut hätte. Tim sah auf und sprang dann sofort aus der Sandkiste, rief laut: „Mama!“, und schmiss sich in ihre Arme. Von dem Lärm wachte auch Mia-Sophie auf, die erst den Mund kurz zu einem Weinen verzog, aber dann, als Sarah sie liebevoll heraus nahm und ebenfalls an sich drückte, mit einem Glucksen den Kopf an ihrer Schulter barg und die kleinen Ärmchen um sie schlang.
    Sarah setzte sich und die Tränen des Glücks liefen über ihre Wangen, jetzt erst wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihre Kinder vermisst hatte! „Wo ist der Papa?“, fragte Tim und sah sich suchend um, aber jetzt musste Sarah ihm das erklären: „Tim, der Papa kann so bald noch nicht zu uns kommen, der ist in einer Klinik, aber ganz bald gehen wir ihn besuchen, er freut sich schon auf euch!“ sagte sie und nun nickte Tim altklug und sagte: „Papa ist krank!“ und darauf konnte Sarah nichts erwidern, obwohl die Sache ja eigentlich viel komplizierter war.

    Hildegard brachte der jungen Frau einen Kaffee und stellte selbst gebackene Kekse auf den Tisch, bei deren Herstellung Tim ihr geholfen hatte, wie er stolz in seiner Kindersprache erzählte. Sarah war von Herzen froh, dass ihre Kinder so liebevoll betreut wurden und berichtete nun ihrer Vertrauten erst einmal persönlich, wie es Ben so ging und dass er jetzt voller Motivation steckte. „Morgen werde ich ihn mit den Kindern kurz besuchen und ihm seine Sachen bringen. Ich freue mich aber jetzt auf unser Zuhause und wollte dich bloß fragen, ob ich dir morgen Lucky nochmals kurz vorbei bringen darf, während wir in die Rehaklinik fahren. Ich kann ihn ja schlecht im heißen Wagen lassen und wie lange wir weg sind, weiss ich auch noch nicht!“ erklärte sie und Hildegard nickte mütterlich. „Na klar bringst du Lucky vorbei und du weisst ja-auch du und die Kinder sind immer gern gesehene Gäste hier bei mir-wobei Tim und Mia-Sophie eigentlich keine Gäste, sondern fast ein wenig hier zuhause sind und darüber freue ich mich sehr, denn die beiden sind mir unheimlich ans Herz gewachsen!“, sagte sie freundlich und nachdem sie eine ungefähre Zeit ausgemacht hatten, Sarah ihren Kaffee ausgetrunken und die Kekse probiert und gelobt hatte, half sie ihr, die Kinder zum Wagen zu bringen und anzuschnallen. Lucky war ebenfalls wie selbstverständlich in seine Box im Kofferraum gesprungen-jetzt gings heim, allerdings hatte er genau gerochen, dass Herrchen nicht dabei war und auch schon länger nicht mehr in dem Wagen gesessen hatte. Sarah hatte am Herweg noch ein paar frische Kleinigkeiten eingekauft, denn wer hätte auch ahnen können, als sie zu dem Wochenendtrip nach Bayern aufgebrochen waren, dass sie erst knappe drei Wochen später wieder heimkehren würden und Ben´s und damit auch ihrer aller Leben sich vielleicht grundlegend gewandelt hatte?
    Gott sei Dank hatte sie in ihrem Heimatort eine liebe Nachbarin, die ihr wie selbstverständlich die Blumen in Haus und Garten gegossen und auch gelüftet hatte, nachdem sie von Jenni Bescheid bekommen hatte, so roch die Luft auch nicht abgestanden und alles hätte sein können wie immer, wenn nicht Ben´s ungewisses Schicksal im Raum gestanden hätte. Aber gemeinsam würden sie das schaffen-da war sich Sarah ganz sicher!

    Bei Ben in der Klinik war inzwischen die Schwester ins Zimmer getreten und hatte auf dem Tisch einige Utensilien abgelegt, was Ben sozusagen das Herz in die Hose rutschen ließ. „Herr Jäger-jetzt schauen wir erst einmal gemeinsam, wie voll ihre Blase ist und entscheiden dann, ob jetzt schon Zeit zum Kathetern ist, oder noch nicht!“ sagte sie freundlich und schlug wie selbstverständlich seine Decke zurück. Momentan schob sie nur seine kurze Sporthose ein wenig nach unten und fühlte auf seinen Bauch. „So Herr Jäger, jetzt müssen sie zunächst einmal lernen, ihre Blase zu tasten. Erst wenn sie mindestens auf der Hälfte der gedachten Linie zwischen dem Bauchnabel und dem Schambeinhöcker steht, ist es sinnvoll sie zu entleeren. So oft wie nötig, aber eben auch nicht zu häufig, ist die Devise, weil natürlich jedes Kathetern wieder ein Infektionsrisiko birgt. Ich fühle sie erst kurz über dem Schambein, also ist sie noch nicht voll genug-jetzt versuchen sie es!“ ermunterte sie ihn und führte seine Hand, die er zögernd auf seinem Bauch abgelegt hatte. Ben runzelte die Stirn und versuchte konzentriert zu tasten und tatsächlich-wenn man wusste, wie sich das anfühlte, war es gar nicht so schwer. „Und was machen wir jetzt?“ fragte er unsicher und die Schwester schlug lächelnd die leichte Sommerdecke wieder über ihn. „Abwarten und Tee trinken!“, ist jetzt die Antwort, die sich regelrecht anbietet!“ erwiderte sie freundlich und mit einem Lächeln, während sie ihre Hände am Spender, der im Zimmer hing, desinfizierte.

    „Ich bringe ihnen jetzt erst einmal ihr Abendbrot, normalerweise legen wir Wert darauf, dass unsere Patienten die Mahlzeiten gemeinsam im Speisesaal einnehmen, aber mit ihnen müssen wir erst Rollstuhltraining machen, ihr Kreislauf wird das lange Sitzen noch nicht mitmachen, aber das ist normal nach einer solchen Verletzung und dauert ein wenig!“ erklärte sie sachlich und Ben war einerseits froh, dass die Schwester so nett und kompetent wirkte, aber andererseits war ihm ganz schön bange vor dem, was ihm bevor stand. Trotzdem aß er seine zwei belegten Brote und trank auch Tee und Wasser dazu, denn sein Verstand sagte ihm, dass er da ja sowieso nicht drum rum kam und tatsächlich, eine Stunde später war es so weit und er konnte seine Blase auf der angegebenen Höhe tasten.

    „Ich glaube es ist so weit!“, vermeldete er mit einem Kloß im Hals, als die Schwester das Tablett abräumte. „Gut in ein paar Minuten bin ich bei ihnen!“, sagte sie freundlich und tatsächlich stand sie kurz darauf vor ihm. „Jetzt zunächst einmal ein paar Erklärungen: Gute Vorbereitung und hygienisches Vorgehen ist bei dieser Sache sehr wichtig. Wenn sie den Dreh erst einmal heraus haben, ist es nicht schwierig, sie werden hier einige Patienten und Patientinnen kennen lernen, die den ISK-den intermittierenden Selbstkatheterismus- schon seit Jahren problemlos praktizieren. Prinzipiell gilt aber-nie gewaltsam vorgehen und Kraft anwenden, sonst können sie sich selber schwer verletzen. Die Einmalkatheter sind in der Handhabung praktischer, als der Dauerkatheter aus Silikon mit dem sie gekommen sind, die sind nämlich ein wenig steifer, hydrophil beschichtet, so dass kein Gleitmittel nötig ist und lassen sich gut vorschieben, ohne dass sie den Katheter selber vorne anfassen müssen, was wiederum zu einer Verkeimung führen könnte. Das Erste was sie normalerweise tun, bevor sie beginnen, ist ihre Hände gründlich zu waschen-wir machen das jetzt kurz am Bett mit der Waschschüssel“, sagte sie und brachte ihm auch schon die nötigen Utensilien und ein Einmalhandtuch zum Abtrocknen, während sie sein Kopfteil ein wenig höher fuhr, was er auch zum Essen schon hatte kurze Zeit aushalten können.
    „Dann legen sie sich Sprühdesinfektionsmittel und den Katheter bereit und öffnen die Verpackung nur hinten, wo sie ihn auch anfassen. Es gibt jetzt zwei Variationen-Patienten die mobil sind, setzen sich oft dazu auf die Toilette und lassen den Harn dorthinein ablaufen-in ihrem Fall brauchen wir aber einen Ablaufbeutel, der ist ebenfalls steril verpackt, den setzen sie jetzt bitte einmal auf!“, sagte sie und zögerlich öffnete Ben die Verpackung und steckte den Beutel ans Katheterende auf. „Ich empfehle ihnen, gerade bis sie ein wenig Routine haben, die Hose ganz herunter zu schieben, damit ihre Kleidung nicht stört!“ wies sie ihn dann an und folgsam entledigte sich Ben seiner Hose ein Stück weit. „Jetzt nehmen sie das Desinfektionsspray und besprühen damit erst ihre Fingerspitzen und dann den Harnröhreneingang, die Vorhaut müssen sie dazu natürlich zurück schieben!“ leitete ihn die Schwester an und jetzt vergaß Ben ganz sich zu genieren, denn die sachlichen professionellen Erklärungen ließen da keine Scham zu-das war eine Sache die gemacht werden musste und irgendwie erleichterte es ihn, als die Schwester dezent darauf hinwies, dass hier in der Klinik viele Patienten waren, die dasselbe praktizierten wie er.
    „Jetzt nehmen sie den Katheter, ziehen ihn mit einer Hand aus der Packung und achten darauf, nirgends hinzukommen-dann ist er nämlich unsteril und muss entsorgt werden. Das passiert schon mal, aber lieber werfen sie einen kontaminierten Katheter weg. So ein Ding kostet zwar etwa drei Euro, aber die Kosten dafür werden von den Kassen übernommen und jeder Harnwegsinfekt ist bei einem Querschnittgelähmten ne Riesensache!“, fuhr die Schwester mit der Erklärung fort. „Noch ein kleiner Tipp aus der Praxis-manchmal klebt die Verpackung ein wenig fest-die meisten nehmen die dann mit den Zähnen, bis das Schläuchlein frei ist, so geht das am besten. So jetzt halten sie ihren Penis kopfwärts und führen den Katheter einfach ein. Wenn ein Widerstand kommt, hören sie bitte sofort auf, dann ziehe ich mir sterile Handschuhe an und schaue was los ist, aber sonst machen sie jetzt einfach und wir sehen, ob es klappt!“ sagte sie und Ben atmete einmal tief ein, überwand sich und tat, was die Schwester gesagt hatte-fühlen tat er sowieso fast nichts dort unten. Wenig später füllte sich der Beutel, der zwischen seinen Beinen lag mit Urin und als es aufhörte zu laufen, wurde er noch angewiesen, den Katheter ein wenig zu drehen und zurück zu ziehen, damit auch noch der letzte Rest entleert wurde. „Wenn Harnreste in der Blase verbleiben, können sich die infizieren, deshalb ist es wichtig, die Blase immer vollständig leer zu machen, jetzt ziehen sie den Katheter heraus und werfen ihn mitsamt dem Beutel daran in den Abfalleimer, den ich ihnen nebens Bett gestellt habe!“ folgte die letzte Anweisung und aufatmend machte Ben, was ihm aufgetragen wurde. „So fertig, das haben sie gut gemacht, ich bringe ihnen noch einen feuchten Waschlappen für ihre Hände, sie können sich wieder anziehen und ab sofort werde ich mich um diese Sache nur noch kümmern, wenn es Probleme gibt, scheuen sie sich aber nicht, mich oder jede andere Pflegekraft zu fragen. Ich lege einige Katheter ins Nachtkästchen, das Spray bleibt auch da und für unterwegs gibt es auch desinfizierende Feuchttücher für die Hände-da stelle ich ihnen jetzt eine Packung her, damit sie gerade auch nachts ganz unabhängig sind, bis sie das Bett selbstständig verlassen können!“, sagte sie noch und ging auch schon aus dem Zimmer, während Ben seine Hose wieder mühsam nach oben bastelte und das Bett flach stellte. Eigentlich war das gar nicht so schlimm gewesen und er war jetzt fast ein bisschen stolz auf sich.

    Die Übung geht schon mal gut los-allerdings musste ich mir wirklich das Lachen verkneifen, als ich mir Semir im Rugbyanzug vorgestellt habe!
    Die Chefin unterschätzt die beiden Mädels bisher, aber ich bin mir fast sicher, dass die noch eines Besseren belehrt wird!
    Das mit dem Angriff mit Erbsenpistolen auf die edelsten Teile der Kollegen ist schon gemein, aber tödlich endet sowas normalerweise nicht!
    Bin gespannt wie die Übung weiter geht und was du dir ausgedacht hast, Valentina!