Markus war nach dem Frühstück an Ben´s Zimmer vorbei gegangen und hatte gelauscht, ob er drinnen nichts hören konnte, aber es war totenstill. Schade, denn sie hatten es sich eigentlich zur Gewohnheit gemacht, am Samstag nach dem Frühstück miteinander zum Schwimmen zu gehen! Immerhin war das ihr letztes gemeinsames Wochenende hier in der Rehaklinik und Markus sah das realistisch. Hier waren sie bald jede freie Minute zusammen gehockt, hatten viele Gespräche geführt, sich gegenseitig aufgebaut und schon so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Aber ob sich das im Alltag halten würde? Er wusste es nicht. Er selber lebte und arbeitete in Bonn, das war freilich nicht sehr weit weg von Köln, aber trotzdem musste man sich ins Auto oder den Zug setzen und Zeit investieren, um sich zu treffen. Ben hatte ein ausgefülltes Leben mit einem Beruf, den er sehr liebte, seiner Familie, seinem Haus und dem Hund und nicht zu vergessen Semir, seinem besten Freund, den Markus ebenfalls sympathisch fand.
Bei ihm persönlich war nach der Verletzung letztes Jahr mit der Lähmung so ziemlich alles weg gebrochen, was sein Leben lebenswert machte. Seine Partnerin hatte ihn verlassen und gemeint, das würde sie nicht packen, wenn er gelähmt bliebe, Familie hatte er keine und seine Freunde und Arbeitskollegen hatten ihn anfangs nach seinem schlimmen Unfall noch im Krankenhaus besucht, aber als er dann fast ein dreiviertel Jahr in der Reha verschwunden war, waren sie nach und nach weg geblieben und er konnte ihnen deswegen gar nicht böse sein! Die größten Lichtblicke waren immer die Besuche seines dreijährigen Sohnes, aber den konnte er auch nicht überfordern. Gerade hatte er begonnen seinen Alltag neu zu ordnen und wieder arbeiten zu gehen-er war Einkäufer in einer großen Baufirma-da war er bei der Warenkontrolle abgerutscht, auf den Rücken gefallen und hatte sich erneut verletzt, diesmal aber wenigstens ohne Lähmungserscheinungen. Trotzdem sah er positiv in die Zukunft, er würde nochmals neu anfangen und das Leben auf sich zukommen lassen, immerhin war er erst Mitte dreißig.
Vorsichtshalber schickte er Ben noch eine kurze Nachricht aufs Handy-der hatte das eh auf lautlos, wenn er noch schlief, er würde ihn schon nicht wecken-„Schwimmen?“ stand da, aber als nach wenigen Minuten die WhatsApp zwar versendet, aber nicht angesehen war, packte er schulterzuckend sein Handtuch und die Badehose und machte sich alleine auf den Weg ins Schwimmbad. Schnell zog er sich in der Herrenumkleide um, sprang unter die Dusche und ging dann ins Bad. Werktags waren die Jalousien nach draußen immer geschlossen, aber am Wochenende hatte man freien Ein- und Ausblick. Seitlich ging eine Treppe hinauf, denn der Kraftraum lag ein wenig oberhalb direkt neben dem Schwimmbad und war durch eine große Glasscheibe mit Lamellen, die man als Sichtschutz elektrisch kippen konnte, davon abgetrennt. So konnten die Physiotherapeuten neben ihrer Arbeit im Geräteraum das Schwimmbad im Auge behalten und aufpassen, dass niemand ertrank. Außerdem mussten sie nicht immer außen herum, wenn sie Wassergymnastikstunden abhielten, sondern schlüpften einfach in ihre Badeschlappen und gingen die Treppe hinunter.
Die Verbindungstür stand offen und gerade wollte Markus ins Wasser gehen, da hörte er einen unterdrückten Laut aus dem Geräteraum. Als er vorhin daran vorbei gelaufen war, war der zu gewesen und als er probeweise auf die Türklinke gedrückt hatte, war die Tür abgeschlossen gewesen. Nun schickte ihn erstens die Neugier, was das wohl für ein Geräusch gewesen war und außerdem stellte es ihm gerade die Körperhaare auf, ohne dass er wusste warum. Hier war irgendetwas im Gange, was seine Ursinne beunruhigte und er stieg nun unverdrossen die Treppe hinauf und lugte durch die offen stehende Tür in den Trainingsraum.
Dort sah er etwas, was ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ben lag am Boden auf drei übereinander liegenden Gymnastikmatten, er war bereits ein wenig blau angelaufen, die pure Panik sprach aus seinem Blick und quer über seinem Hals lag eine schwer beladene Hantelstange, die ihm die Luft abdrückte, mit behandschuhten Händen fest gehalten von einem athletischen Mann mit dunklem Haarschopf, den Markus aktuell nur von hinten sehen konnte. Ben´s Hände versuchten verzweifelt die Langhantel weg zu stemmen, er war anscheinend fast nicht mehr bei Bewusstsein, seine weit aufgerissenen Augen traten aus den Höhlen und er hatte einen Knebel im Mund unter dem die verzweifelte Geräusche seines Todeskampfs hervor kamen, die Markus erst die Treppe hinauf gelockt hatten. Ohne lange nachzudenken sprang der junge Mann von hinten heran-er musste seinen Freund retten! „Hey-was tun sie da?“, schrie er, während er den schwarzhaarigen Mann, der einen kurzen Augenblick überrascht war, von Ben weg zog.
Allerdings hatte er die Rechnung ohne den Attentäter gemacht. Der war eine ausgebildete Kampfmaschine mit Muskeln wie Stahl. Während Ben weiterhin versuchte den Druck von seinem Hals zu nehmen-ein wenig Luft strömte nun wieder in ihn, als der dunkle Mann nicht mehr auf die Hantel drückte, aber die Gewichte waren viel zu schwer für seine verletzten Arme und Schultern, drehte sich der Attentäter langsam um. So konnte er nur voller Entsetzen und hilflos zusehen, wie der Mörder seinen Freund Markus wie ein lästiges Insekt abschüttelte und mit einer gezielten Geraden seitlich gegen den Kopf ausknockte. Markus schaute einen Augenblick überrascht, bevor er die Augen verdrehte und bewusstlos zu Boden sank. Mit einem Grunzen schulterte der fremdländisch aussehende Mann nun sein zweites Opfer und trug es mühelos die Treppe ins Schwimmbad hinunter. Er würde nun erst diesen Typen, der ihn von seiner Arbeit abhielt, erledigen und dann seinen Auftrag zu Ende bringen-er hatte schließlich heute Nachmittag noch etwas anderes vor!
Klar würde es befremdlich sein, wenn man später zwei Leichen fand, aber wer sagte denn, dass es nicht zwei schreckliche Unglücksfälle nebeneinander geben konnte? Auch bei Markus war von außen bisher keine Verletzung zu entdecken, so schlug der Attentäter, als er ihn zu Boden fallen ließ, dessen Kopf absichtlich noch ein wenig gegen die Badfliesen, warf den leblosen Körper dann ins Wasser und drückte ihn mit der Hand unter die Wasseroberfläche. Leider war der beim Betreten des Bades ausgerutscht, hatte sich den Kopf gestoßen, war dann ohnmächtig geworden und im Schwimmbecken ertrunken.
Ben hatte am Rande der Bewusstlosigkeit und immer noch voller Panik verfolgt, wie der Verbrecher Markus weg brachte. Obwohl er mit seinen Kräften schon völlig am Ende war, seine Arme und Schultern wie die Hölle schmerzten und es eigentlich in seinem Zustand für ihn völlig unmöglich war, mobilisierte er seine letzten Kräfte und schaffte es mit fast unmenschlicher Anstrengung die Hantel von sich runter zu drücken. Dann riss er sich den Knebel aus dem Mund und rang nach Atem-ach wie wunderbar fühlte es sich an, als wieder Sauerstoff in seine Lungen strömte! Aber er hatte keine Zeit an sich zu denken, er musste Markus zu Hilfe eilen, sonst war es um den geschehen!
Als Ben sich aufrichtete, konnte er durch die Glasscheibe mit den schräg gestellten Lamellen sehen, was ein wenig unterhalb gerade geschah. Markus´ Körper war komplett unter Wasser, der rührte sich kaum und wurde gerade von dem arabisch aussehenden Mann ertränkt. Die Gedanken in Ben´s Kopf ratterten. Auch wenn sein Rollstuhl einladend neben ihm stand-es nützte nichts, er würde zu spät kommen. Wenn er außen herum fuhr, musste er erst aus dem Geräteraum, dann zum Aufzug, der ihn das halbe Stockwerk nach unten brachte. Dann ging der offizielle Weg ins Bad erst durch die Herrenumkleide und die Duschräume und das würde einfach zu lange dauern. Seis drum-es musste jetzt einfach gehen und ohne lange nachzudenken drückte Ben nun seine Knie durch und begann-sich immer an irgendwelchen Geräten festhaltend- zögernde Schritte Richtung Treppe zu machen. Er wusste-er hatte eine kleine Chance gegen den Verbrecher, auch wenn dieser durchtrainiert war, denn auch Ben beherrschte Nahkampftechniken, während sein Freund Markus davon noch nie etwas gehört hatte. Wenn der jetzt starb und er nicht wenigstens versucht hatte, ihm zu helfen, würde er sich nie mehr im Spiegel in die Augen sehen können. Markus hatte ihm, ohne an sich zu denken, geholfen und genau dasselbe war er ihm jetzt schuldig! So wankte Ben Schritt für Schritt Richtung Treppe, ließ sich dort auf seine vier Buchstaben nieder und überwand das Stockwerk so schnell er konnte. Unten richtete er sich wieder auf und war mit einigen wenigen freien Schritten neben dem Attentäter, der gerade zufrieden die letzten Luftblasen aus Markus´ Mund aufsteigen sah. Der war noch einmal kurz zu sich gekommen und hatte verzweifelt versucht um sich zu schlagen und zur Wasseroberfläche zu kommen, aber er hatte ihn mit eisenhartem Griff unter Wasser gedrückt, das Platschen und den Todeskampf seines zweiten Opfers aus vollen Zügen genossen, war dadurch abgelenkt gewesen und war jetzt völlig überrascht, als er plötzlich von hinten angegriffen wurde.
Ben wusste-er hatte nur diese eine Chance und auch wenn er geschwächt war-mit dem Mute der Verzweiflung mobilisierte er alle Kräfte und legte seine gesamte Energie, wie sein Karatetrainer ihm immer eingebläut hatte, in seine Faust, die nun vorschnellte und mit einem gezielten Uppercut gegen das Kinn des Arabers schoss, der sofort aufgesprungen war. Der hatte gerade die Hände zum Parieren gehoben, aber als jetzt ein Schlag wie ein Vorschlaghammer an seinem Kinn explodierte, blickte er einen Augenblick überrascht auf seinen Gegner, bevor ihm die Lichter ausgingen und er auf der Stelle bewusstlos zusammen brach. Ben hatte sogar gemeint den Kieferknochen bersten zu hören und seine Hand schmerzte ebenfalls-vermutlich war da auch etwas kaputt. Aber das war ihm jetzt völlig egal-er ließ den Mörder liegen wo er war, sprang ins Becken und barg seinen Freund Markus, der mit weit geöffneten Augen leblos im Wasser trieb.