Semir und Ben hatten ihre Tour durch die Nachtclubs für heute beendet. Der große Unbekannte war wie ein Hauch. Man wusste, dass er existierte, aber bisher hatten sie im Milieu nicht viel mehr als Andeutungen bezüglich seiner Identität erfahren.
Ganz zufällig hatten sie einen Taschendieb beobachtet, ihre langjährige Erfahrung als Polizisten hatte sie auf den Typen aufmerksam werden lassen. Er hatte einen älteren, anscheinend betuchten Herrn am Tresen angerempelt und die beiden hatten beobachtet, wie er blitzschnell die Brieftasche seines Opfers an sich genommen hatte, während er sich wortreich entschuldigte und seinem Opfer, dass beinahe zu Fall gekommen wäre, hoch half. Unauffällig folgten sie ihm zur Toilette, außer ihnen beiden und dem Taschendieb, der sofort in einer der Kabinen verschwand, um das Bargeld zu entnehmen und sich dann der Brieftasche zu entledigen, war niemand in dem Raum im Untergeschoß. Semir und Ben wechselten einen Blick und nickten sich zu, mehr war zu ihrer Verständigung nicht nötig und als der Taschendieb nun plötzlich einen Kopf über der Trennwand erscheinen sah und Ben, der in der Nebenkabine auf die Schüssel gestiegen war, ihn von oben frech anlächelte, sprang er mit einem Fluch hoch und riss die Tür auf, um schnellstmöglich zu verschwinden. Da stand allerdings schon Semir mit einem breiten Grinsen und hielt die Hand auf, woraufhin der Taschendieb ihm mit einer weiteren Verwünschung die Brieftasche aushändigte, er wusste, wann er verloren hatte. „Hör mal-du steckst das Geld, das sich in deiner linken Jackentasche befindet"-das hatte Ben ihm signalisiert, "jetzt wieder in die Geldbörse zurück und genau so, wie du sie dem Herrn im hellbraunen Anzug abgenommen hast, bringst du sie wieder zurück-wir dulden keine Taschendiebe in unserem Revier!“, erklärte Semir seelenruhig und machte sich mit einem kleinen Taschenmesser, das er wie zufällig aus der Hose gezogen hatte, die Nägel sauber. Ben hatte sich drohend hinter dem Dieb aufgebaut, der nun auch keine Chance zur Flucht mehr sah und jetzt widerstrebend die Scheine herauszog und wieder in die Börse zurück legte. Nach dem gleichen Schema wie vorher, lief er dann am Tisch seines Opfers vorbei, mit Argusaugen beobachtet von den beiden Polizisten, die ihre Tarnung nicht gefährdet hatten, stolperte dort angeblich und stieß wieder mit dem Herrn zusammen, der nun ärgerlich fragte: „Können sie nicht aufpassen-jetzt hätte ich mir beinahe mein Bier über das Sakko gekippt!“, während unbemerkt seine Brieftasche wieder an ihren angestammten Platz zurück wanderte und der Trickdieb sich wortreich entschuldigte. Danach wechselten die drei Männer noch einen kurzen Blick, Semir nickte und zeigte zur Tür, woraufhin sich der Dieb erleichtert aus dem Staub machte.
Als sie in dem Lokal, in dem Natascha arbeitete, Station machten, kam die gleich mit einem Lächeln an ihren Tisch und bediente sie äußerst zuvorkommend. Als sie sich ein klein wenig länger bei ihrem Mr. Sexy aufhielt, als es nötig gewesen wäre, ertönte sofort wieder der strenge Ruf des Barkeepers: „Natascha-an Tisch vier ist der Sekt alle!“, und widerstrebend löste sie sich von ihren aktuellen Lieblingsgästen, um ihrer Arbeit nach zu gehen und die gemischte Truppe am Nebentisch zu bedienen, die eine große Zeche machte, während alle abwechselnd an den verschiedenen Automaten spielten. Semir schmunzelte in sich hinein-er hatte den verzehrenden Blick bemerkt, mit dem die junge Frau seinen Partner betrachtet hatte. Als sie niemand hören konnte, flüsterte er Ben zu: „Na da ist aber jemand ordentlich in dich verknallt-halt die ruhig warm, vielleicht weiss die tatsächlich mehr, als wir uns vorstellen können, so eine freiwillige Informantin aus der Szene ist nicht schlecht!“, bemerkte er und Ben sah ihn entsetzt an: „Wie verknallt? Ich dachte sie braucht Hilfe, das ist doch noch beinahe ein Kind!“, protestierte er, aber Semir deutete ein Kopfschütteln an. „Gut-ich habe die blauen Flecke an ihren Armen auch gesehen, vielleicht braucht sie wirklich Hilfe, aber wenn sie es ablehnt von dir in ein Frauenhaus gebracht zu werden-zumindest momentan noch, dann lass es laufen und halte nur den Kontakt aufrecht, damit hilfst du ihr und indirekt vielleicht auch uns!“, bat er seinen Freund, der jetzt Natascha freundlich anlächelte, als sie an ihrem Tisch vorbei ging. „Sehen wir uns morgen? Ich ruf dich an!“, flüsterte sie ihm verschwörerisch zu und Ben nickte nun leicht, während der Barkeeper schon wieder den nächsten Auftrag für die Kindfrau hatte.
Inzwischen waren Semir und Ben bereits in der Szene bekannt, sie spielten weiter, hielten Augen und Ohren offen und als sie wieder in einem Lokal fragten, ob hier denn nirgendwo teurer gespielt würde und Semir ein Bündel Geldscheine hoch hielt, sah der Inhaber zwar verlangend auf die Scheine-wie gerne hätte er sein Hinterzimmer für die beiden Männer aufgemacht, aber der große Unbekannte steuerte das illegale Glücksspiel, legte die Lokale fest, wo und wann teuer gespielt wurde und er war heute nicht dran. „Vielleicht ein andermal, aber heute geht nichts!“, bedauerte der Betreiber des Salons und als sich Semir und Ben nun beiläufig mit dem Mann unterhielten, ließ er das auch durchblicken, dass es da eine Macht im Hintergrund gab, die die Strippen zog. Wenn man als Geschäftsinhaber dagegen aufbegehrte, wurde man entweder in einer dunklen Gasse abgepasst und bekam eine Abreibung, oder es brach ein kleines Feuer im Lokal aus, die Warnung war überdeutlich und einer der Unterweltgrößen war vor ein paar Wochen verschwunden und einige Tage später hatte man seine Leiche aus dem Rhein gezogen, angeblich ein Unfall, auch die Obduktion hatte kein Gewaltverbrechen aufdecken können, aber das besagte schließlich gar nichts. Er hatte zuvor groß getönt, dass er sich das nicht bieten lassen würde, von jemand anderem Vorschriften zu bekommen und dann auch noch einen Teil des Gewinns abzugeben, aber jetzt war er tot und in der Szene war man vorsichtig geworden-anscheinend hatte der große Unbekannte mehr Macht, als man zunächst gedacht hatte. Außerdem fand tatsächlich nie dort eine Razzia statt, wo aktuell gespielt wurde, die illegalen Zocker waren sicher wie in Abrahams Schoß. Natürlich erzählte das der Lokalbetreiber seinen neuen Gästen nicht, aber er ließ durchblicken, dass vielleicht doch bald einmal die Möglichkeit zu einem teuren Spiel hier bei ihm käme und er ihnen dann Bescheid geben würde. Semir gab ihm seine Handynummer, auch er meldete sich gerade nur mit einem einfachen „Ja!“, wenn der Anrufer ihm unbekannt war, aber den entscheidenden Hinweis hatte auch er noch nicht erhalten.
Heute wurde es extrem spät, vielmehr früh und Ben kaufte, als er um kurz nach sechs endlich todmüde nach Hause kam, noch schnell frische Brötchen beim kleinen Bäckerladen in seinem Heimatort. Neben ihm an der Theke stand eine Nachbarin, die mit Sarah Kontakt pflegte. Deren Kinder, Wilfried und Arthur waren öfter mal bei ihnen und umgekehrt passte die Frau auch auf Tim oder Mia-Sophie auf, wenn Sarah was vorhatte. „Na da muss sich Sarah ja einen jugendlichen Liebhaber zulegen, wenn du die ganze Nacht auf Achse bist, Ben!“, sagte sie scherzhaft und Ben sah sie verwirrt an, stellte aber keine weiteren Fragen. Zuhause duschte er noch kurz und schlüpfte dann zu Sarah ins Bett, die sich schlaftrunken an ihn drückte und ein liebevolles: „Guten Morgen!“ murmelte. Eine Stunde hatte sie noch, bevor sie aufstehen musste und die Kinder schliefen heute auch noch tief und fest. Fast schon wie ein Ritual erzählte Ben ihr von der vergangenen Nacht, allerdings ließ er absichtlich die Sache mit Natascha weg, da wusste er selber nicht, wie er das Sarah erklären sollte. Auch rätselte er immer noch darüber, was da die Nachbarin beim Bäcker gefaselt hatte, aber er war jetzt zu müde, um nach zu fragen. Auch Sarah hakte momentan wegen der Anruferin nicht nach, obwohl sie sich gestern sehr über sein Verhalten geärgert hatte, sie hatte den Kopf gerade mit anderen Dingen wie der Überführung ihrer beiden Kritikerinnen voll und so fiel Ben bald in einen tiefen Schlaf.
Sarah brachte, nachdem sie Tim fertig gemacht und in den Kindergarten begleitet hatte, Ben´s Erlebnisse wieder zu Papier-soeben hatten Ali und Luke wieder ein neues Abenteuer erlebt und die Sache mit dem Taschendieb eignete sich hervorragend, um groß ausgeschlachtet zu werden. Außerdem gab es in ihrer Story natürlich auch noch eine Nebenhandlung, eine emotionale Liebesgeschichte, sowas liebten ihre Leser und sie war mit ihrem neuen Kapitel dann auch ganz zufrieden und stellte es gleich ins Netz. Mal sehen, was darauf wieder für Kommentare kommen würden und was Felix für eine Idee hatte, in Sarah war jetzt der Kampfesgeist erwacht, sie würde sich nicht so schnell unterkriegen lassen!