„Wer bist du? Schreibst du etwa auch Geschichten?“, fragte nun Milena die junge, so kindlich wirkende Frau neugierig. Sarah hatte sich inzwischen beruhigt und gemeinsam mit den beiden anderen den Kellerraum durchsucht, aber da bestand keine Möglichkeit zur Flucht. Durch ein winziges Oberlicht knapp unter der Decke war zwar die Sauerstoffversorgung gesichert und man konnte erkennen, dass es draußen noch stockfinster war, aber weil die Tür nur einen Spalt geöffnet worden war, hatten sie auch da keine Chance gehabt, ihren Entführern zu entkommen.
„Was für Geschichten?“, erwiderte Natascha unwirsch. Sie hatte noch nie freiwillig gelesen und würde in hundert Jahren nicht auf die Idee kommen etwas zu schreiben-das höchste der Gefühle war eine WhatsApp-Nachricht, oder ein kurzer Kommentar auf Facebook. „Warum bist du dann hier und wie heißt du?“, fragten nun die drei anderen und stellten sich mit ihren Vornamen vor. „Ich wollte meinem Freund einen Gefallen tun, aber das hat meinem Kollegen nicht gefallen-und ach ja-ich heiße Natascha!“, beantwortete die junge Frau die Fragen und nun versteifte sich Sarah. So häufig war der Name Natascha ja nicht und so fragte sie: „Bist du dann eine Kollegin meines Mannes und machst gerade ein Praktikum in der PASt?“, wollte sie wissen, obwohl die Frau noch verdammt jung aussah, aber da konnte man sich täuschen. Jetzt wurde sie von Natascha verständnislos gemustert. „Welche PASt-was soll das sein? Nein ich arbeite als Bedienung in einem Club und mein Freund ist der bestaussehende Mann auf Gottes Erdball!“, prahlte sie. „Und Ben wird uns hier schon rausholen!“, fügte sie hinzu und jetzt blieb Sarah die Luft weg. So viele Zufälle konnte es gar nicht geben! „Wie heißt dein Freund noch und wie genau sieht er aus?“, fragte sie nach und als Natascha den Namen Ben Käfer erwähnte und dann genauestens Sarah´s Mann beschrieb, schwankte die zwischen Fassungslosigkeit und Entsetzen. Das konnte doch nicht wahr sein! Spielte Ben tatsächlich doppeltes Spiel und hatte nebenbei eine Geliebte? Und dann noch dieses Flittchen, das auf den ersten Blick aussah wie 14, aber sich dann als halbe Prostituierte entpuppte, so wie sie sprach, ihrer Kleidung nach und auch nach dem, was sie von sich erzählte!
Elisa und Milena hatten dem Gespräch gebannt gelauscht und ihnen war Sarah´s abwehrende Haltung und ihr Entsetzen auch aufgefallen. Bekam ihre virtuelle Feindin gerade die gerechte Strafe und ihr ach so geliebter Ben/ Luke war auch nur ein Mann, der jedem fremden Rock nachlief und sie nach Strich und Faden betrog? „Ja, ja-Männer, die sind doch alle gleich, sobald da ein weibliches Wesen mal mit dem Hintern wackelt, sind sie weg-und dich lassen sie mit den Kindern sitzen!“, philosophierte Elisa, vermutlich aus eigener Erfahrung und aktuell konnte Sarah auch nicht widersprechen, zu tief saßen der Schock und das Entsetzen. Manchmal dachte sie, sie wäre in einem bösen Traum gefangen. Ihr Leben, so wie es gewesen war, ging gerade komplett den Bach runter-alles was ihr blieb, wenn sie den Kellerraum nochmals lebend verlassen sollte, waren ihre Kinder und ihre anscheinend unerwiderte Liebe zu ihrem Mann, der sie dabei nach Strich und Faden betrog. Jetzt zog sich Sarah in eine Ecke zurück und sank auf die Matratze-sie musste nachdenken und in ihrem Kopf drehte sich alles. Nebenbei war ihr jetzt verdammt kalt-kam diese Kälte von innen raus? Aber auch die leicht bekleidete Natascha fröstelte, nur die beiden anderen Grazien hatten sich aus Milena´s Koffer bedient und jeweils eine warme Jacke, bzw. einen Pulli über gezogen-die Größe passte auch. Sie dachten gar nicht daran, Sarah oder der Kindfrau ebenfalls etwas Warmes anzubieten und so zog Sarah eine der Wolldecken heran und wickelte sich ein und Natascha machte mit der zweiten Decke dasselbe.
In diesem Moment hörten sie von draußen Geräusche und ersticktes Aufstöhnen. Fand da gerade ein Kampf statt? Nun schrie ein Mann kurz und gequält auf und Sarah standen jetzt die Haare zu Berge-das war eindeutig Ben´s Stimme gewesen und als nun erneut der Riegel geöffnet und ein blutiger Körper herein geworfen wurde, erhoben sich die vier Frauen und starrten entsetzt und fassungslos auf das Bild, das sich ihnen bot.
Semir und die Chefin hatten sich am Telefon kurz geschlossen. „Mir macht es Sorgen, dass ich Ben nicht erreichen kann! Ich denke aus dem Fall sind wir raus, wir sind aufgeflogen, aber vielleicht sollten wir für alle Fälle in dem Club eine Razzia veranstalten, falls die so dumm gewesen sind und doch begonnen haben zu spielen-außerdem muss man den PC dort beschlagnahmen, nach Aussagen einer Informantin gibt es wohl ein Verteilersystem, nach dem die Spieler über aktuelle sichere Spielorte informiert werden, das kann man sicher auswerten!“, schlug Semir vor und die Chefin versprach das zu veranlassen. „Vielleicht kann Susanne herausfinden wo Ben steckt, ich fahre jetzt für alle Fälle mal die Strecke vom Club zu seinem Haus ab, nicht dass da was passiert ist!“, verkündete Semir-„und ach ja, ich glaube wir sollten auch Hartmut aus dem Bett schmeißen, Ben hat mir vorher erzählt, dass seine Frau verschwunden sei und er auf ihrem Laptop verstörende Neuigkeiten gefunden hat, mehr wollte er mir aber am Telefon nicht sagen und er klang ganz komisch dabei, ich denke da ist Hartmut unser Mann dafür!“, teilte er Kim Krüger mit und die stimmte ihm in vollem Umfang zu.
Susanne meldete sich dann auch bei Semir und sagte: „Ich habe Ben´s Aktivitätenprotokoll verfolgt-er war anscheinend am früheren Abend erst in Chorweiler-da hatte er mich zuvor gebeten das Handy seiner Frau zu verfolgen. Ich weiß, dass das nicht ganz korrekt war, das für ihn zu machen, aber ich habe ihm die ungefähre Adresse mitgeteilt, wo sich das zuletzt eingewählt hat-ich habe für ihn auch alle Krankenhäuser Kölns nach Sarah abgesucht. Dann sollte ich heraus finden, wie viele weiße Dreier-BMW mit einer bestimmten Zahlenkombination im Kennzeichen in Köln gemeldet sind, aber ich habe das erst vorhin gerade nachschauen können, irgendwie ist nämlich heute die Hölle los und ich bin im ganzen Nachtdienst bisher noch nicht dazu gekommen, mir bloß einen Kaffee zu holen.“, teilte sie Semir mit. Sie gab ihm die Adresse in Chorweiler und dann noch eine weitere in Holweide durch-es gab nämlich nur einen einzigen weißen BMW in Köln, auf den sämtliche Angaben passten und Semir notierte sich die beiden Anhaltspunkte, wobei er keine Ahnung hatte, was der Wagen mit ihrem Fall zu tun hatte. „Ben´s Handy konnte ich zuletzt vor einer dreiviertel Stunde auf halber Strecke zwischen seiner Wohnung und dem Club orten, aber jetzt ist es tot und als ich geschaut habe, wo der Dienstwagen steckt, muss ich dir leider mitteilen, dass der bei Ben zuhause steht und sich die letzten Stunden nicht mehr bewegt hat!“, gab Susanne alle Informationen weiter, um die sie gebeten worden war und jetzt lag es an dem kleinen Türken und Hartmut, da die Puzzleteile zusammen zu setzen!