Semir hatte voller Sorge gesehen, wie sich die Türen des RTW schlossen, der aber noch eine ganze Weile nicht los fuhr, sondern drinnen geschäftiges Treiben herrschte. Dann stolperte Sarah hinaus, nahm aber sofort neben dem Fahrer Platz und endlich setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Er hatte ein paar Worte mit der Chefin gewechselt, die ebenfalls zu ihnen geeilt war, inzwischen Hartmut aus den Klauen des Feuerwehrkommandanten befreit hatte und nun besorgt fragte: „Wie geht es Ben?“, aber Semir konnte nur hilflos den Kopf schütteln-er wusste es nicht. Er setzte sich wie in Trance in seinen BMW und folgte dem RTW, der die Uniklinik ansteuerte, wie der Notarzt ihm zuvor bereits mitgeteilt hatte. Dort war Ben bekannt, man war auf schwerste Verletzungen eingerichtet und viele spezialisierte Fachärzte arbeiteten dort eng zusammen zum Wohle der Patienten. Semir stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz ab, immer noch war es stockfinster draußen, aber das bemerkte er kaum, als er Richtung Notaufnahme ging, wo Ben gerade im Schockraum versorgt wurde. Der Rettungswagen war in die Patientenanlieferungszone gefahren und sofort hatten sich die Tore hinter ihm geschlossen.
Gerade versuchte Semir die Schwester, die probierte ihn abzuwimmeln, davon zu überzeugen, dass er dringend zu seinem Freund musste, da wurden die Türen des Schockraums geöffnet und Ben, den man nur eilig umgelagert hatte und den Dr. Burger an seine Kollegen übergeben hatte, wurde in den OP gefahren. Am Bett hingen Infusionen, Monitore, ein transportables Beatmungsgerät und viele andere medizinische Geräte und Semir erhaschte nur einen kurzen Blick auf ein blutverschmiertes Gesicht, das fast so weiß war, wie das Kissen, auf das man Ben´s Kopf gebettet hatte. Die Eile mit der man das Bett schob, verhieß nichts Gutes und Sarah, die völlig am Ende war, wollte dem Tross folgen, aber Dr. Burger hielt sie am Arm fest. Er hatte ebenfalls Semir erspäht und sagte nun mit fester Stimme: „Sie beide trinken jetzt erst einmal einen Kaffee-ich gebe ihnen einen aus-ich denke nicht, dass die Kollegen im OP ihre Hilfe brauchen!“, offerierte er und hatte schon ein paar Münzen gezückt und die in den Automaten geworfen, der im Wartebereich vor der Notaufnahme stand. „Sie können jetzt aktuell nichts für ihren Mann und Kollegen tun, der ist in guten Händen. Sie beide haben ihm heute schon mal das Leben gerettet, das genügt, jetzt sind andere dran!“, redete er auf die beiden ein, zog sich selber noch einen Kaffee und drückte Sarah, die völlig an der Kante war, auf einen Stuhl im Wartebereich.
Semir begann jetzt langsam wieder zu denken und sagte dann ruhig zu dem jungen Notarzt: „Wenn sie nicht gewesen wären, wäre Ben vermutlich schon nicht mehr am Leben-wir danken ihnen ganz herzlich!“, erwiderte er und nun sah auch Sarah auf, die erschöpft den Blick zum Boden gewandt hatte und sich mit ihren eiskalten und immer noch blutigen Händen am Kaffeebecher fest hielt. „Danke!“, flüsterte auch sie und Dr. Burger lächelte sie an. „Ich habe nur meinen Job gemacht!“, sagte er und packte dann einen Weißkittel, der gerade an ihnen vorbei lief, am Ärmel. „Würdest du bitte veranlassen, dass auch bei diesen beiden Patienten eine Blutgasanalyse gemacht wird, die den fraglichen Kohlenmonoxidanteil im Blut anzeigt? Die waren ein wenig länger als ich in dem bewussten Keller!“, fragte er den Kollegen und der nickte. Natascha kam gerade aus dem Behandlungsraum, den der Arzt gerade verlassen hatte, drückte fest eine Kompresse auf ihren Unterarm und setzte sich nun zu ihnen.
„Wissen sie-normalerweise ist das Erdgas, das in Köln verwendet wird ungiftiges Methangas, allerdings könnte es eventuell zu einem chemischen Umbau zu Kohlenmonoxid gekommen sein-meist durch unvollständige Verbrennung. Das können wir feststellen, aber das ist auch die einzige Gefahr, die für sie jetzt noch besteht, nachdem wir nicht alle gemeinsam in die Luft geflogen sind und das Erdgas auch den für uns alle notwendigen Sauerstoff nicht völlig aus dem Keller verdrängt hat. Ich denke aber nicht, dass sie und die anderen noch in Gefahr sind-allerdings sollten sie ihre Verletzung auch noch versorgen lassen!“, erklärte er und Semir sah überrascht auf seinen Oberschenkel, an den er im Augenblick keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Wenig später wurde-nachdem der Notarzt sich verabschiedet hatte- aus der Radialisarterie, sowohl von Sarah, als auch von Semir, mit einem Vakuumröhrchen Blut abgenommen und gleich im Labor mit einem speziellen Analysator geprüft. Aber wie auch in Natascha´s Probe waren keine Abweichungen von der Norm fest zu stellen, Semir´s Verletzung reinigte man, klebte ein paar Strips darauf und verband sie, es war wirklich nur ein Kratzer und so wurden sie alle ganz offiziell entlassen, oder vielmehr gar nicht erst stationär aufgenommen.
Auch die beiden Grazien, die mit ihnen im Keller gesessen hatten, hörte man plötzlich aus einem anderen Behandlungsraum heraus laut zetern. Mit bitterbösem Gesichtsausdruck gingen sie dann an der kleinen Gruppe vorbei und drückten ebenfalls Kompressen auf ihre Unterarme, sehr angenehm war eine arterielle Blutabnahme zwar wirklich nicht, aber kein Grund sich so aufzuführen: „Du hast uns das Ganze eingebrockt!“, rief Elisa Sarah zu und die konnte nur fassungslos auf die beiden Frauen starren. Keine Frage, wie es Ben ging, kein Hauch von Mitleid oder wenigstens die Erkenntnis, dass sie selber ebenfalls durch ihre Aktionen in irgendeiner Weise eine Mitschuld an dem Ganzen trugen. „Und meine versauten Klamotten krieg ich ersetzt!“, fügte Milena noch hinzu und wenn Semir jetzt nicht einen drohenden Schritt auf die beiden zugemacht und laut: „Es reicht!“, gerufen hätte, würden sie vermutlich noch weiter gemacht haben. Dann setzte er allerdings noch nach, auch wenn er wusste, dass da nichts passieren würde: „Wir werden auch noch sehen, wie der Richter entscheidet-vielleicht bewertet er euren Doppelaccount und die Schmähungen als üble Nachrede und Beleidigung, auf jeden Fall wird das geprüft werden und vielleicht ein gerichtliches Nachspiel für euch haben!“ rief er und nun trollten sich die beiden Damen, während draußen gerade die Sonne aufging. „Semir-du weisst?“, flüsterte Sarah jetzt und der kleine Türke nickte. „Ich war mit Hartmut in eurem Haus, wir haben uns deinen Laptop angeschaut, weil wir uns davon einen Hinweis auf euren Verbleib erhofft haben-wir können auch kombinieren und ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was passiert ist!“, erklärte er und Sarah lehnte sich jetzt mut- und kraftlos an ihn. „Ich hab mir schon die ganze Zeit überlegt, wie ich dir das erklären soll, aber wer sind die beiden Typen eigentlich, die uns alle entführt und Felix getötet haben?“, fragt sie jetzt und stellte dann noch ein weitaus wichtigere Frage: „Und habt ihr sie geschnappt?“
„Den einen Typen, der Ben verletzt hat ja, dem hat Hartmut eine Eisenstange auf den Kopf gedonnert, der liegt jetzt sicher unter strenger Bewachung in irgendeinem Krankenhaus und dem zweiten sind wir auf den Fersen und wir kriegen ihn auch!“, beruhigte er seine Freundin und auch Natascha atmete jetzt erleichtert auf. Auch sie hatte jetzt begriffen, dass die beiden angeblichen Zocker in Wirklichkeit Polizisten im Undercovereinsatz waren.
Sarah sah jetzt hoch, als plötzlich eine ehemalige Kollegin von der Intensiv vor ihr stand, die sie freundlich anlächelte. „Hallo Sarah!“, sagte sie. „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du dringend eine Dusche und frische Klamotten brauchst-ich gebe dir meinen Schlüssel zur Umkleide, du weisst ja, wo du alles findest und danach kommt dein Mann zu uns-wir haben schon die Voranmeldung!“, berichtete sie und musterte dann Natascha, die ebenfalls voller Blut war. „Und deine Freundin kannst du gleich mitnehmen, ich denke die Uniklinik hat vorrübergehend mal ein paar Hosen und Kittel für euch übrig!“, fügte sie hinzu und nun erhoben sich die beiden jungen Frauen und folgten der netten Schwester zum Aufzug. „Wir kommen dann wieder hierher!“, rief Sarah über die Schulter zurück und Semir nickte, hatte dann aber auch schon die Chefin erspäht, die gerade den Wartebereich der Notaufnahme betrat.
Die trat nun zu ihm und fragte zuerst mitleidig nach Ben, musterte danach ihren zwar nur leicht verletzten, aber fix und fertigen Beamten und erzählte dann, dass dem Türsteher die Flucht gelungen war. „Hartmut ist aktuell noch an der alten Fabrik und leitet die Spurensicherung, vor allem auch in der Hoffnung irgendwelche DNA oder Fingerabdrücke des zweiten Manns, der wohl unser großer Unbekannter sein dürfte, zu entdecken. Wenn das Ministerium in Düsseldorf dann aufmacht, versucht er sich dort irgendwie einzuschleichen, um heraus zu finden, von welchem PC aus die Zugriffe auf die Autorenseite stattgefunden haben, um ihn so vielleicht zu überführen!“, berichtete sie von den weiteren geplanten Vorhaben des heutigen Freitags und Semir nickte. Er sah auf die Uhr und sagte dann zur Chefin: „Wenn der Türsteher wieder entwischt ist, schweben vielleicht sowohl Natascha, als auch Sarah und Ben noch in Gefahr. Ich werde jetzt dann Andrea anrufen, die hat heute frei-vielleicht kann sie mir frische Klamotten bringen und auch Natascha, die mitgeholfen hat, Ben zu retten, mit zu uns nach Hause nehmen, da wäre sie erst einmal in Sicherheit. Ich bleibe auf jeden Fall hier in der Klinik und passe auf Sarah und Ben auf!“, erklärte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, deutete auf seine Waffe, die wieder sicher im Holster ruhte und die Chefin würde einen Teufel tun, ihm dagegen zu reden, das hätte eh keinen Zweck. „Wenn sie Unterstützung brauchen, oder nach Hause gehen möchten, melden sie sich-ich schicke dann eine Ablösung!“, versprach nun die Chefin noch und fuhr dann zur PASt, um dort das Tagesgeschäft zu übernehmen.
Noch bevor Sarah und Natascha frisch geduscht und in Klinikklamotten gehüllt, zurück kamen, war Semir schon kurz nach draußen gegangen und hatte Andrea angerufen, die aus allen Wolken fiel und sie gebeten, ihm Kleidung zu bringen und Natascha mit zu ihnen nach Hause zu nehmen. „Geht in Ordnung, Semir, sobald die Kinder in Schule und Kindergarten sind, komme ich in die Klinik-ich werde euch schon irgendwo finden!“, erklärte die und Semir lehnte sich dann auf dem Stuhl in der Wartezone zurück-hoffentlich war Ben bereits außer Lebensgefahr!