Nachdem die Angehörigen weg waren, war im Patientenzimmer geschäftiges Treiben ausgebrochen. Die Angestellte aus dem Katheterlabor desinfizierte ihre Hände chirurgisch und legte Sterilkittel und Handschuhe an-Haube und Mundschutz trug sie schon, genauso wie die beiden Kardiologen und nun wurden vom anreichenden Intensivpfleger geschäftig Einmalverpackungen aufgerissen, ein steriler Instrumententisch vorbereitet und der Kardiotechniker machte das handliche Gerät betriebsfertig, indem er es an das Stromnetz und die zentrale Sauerstoffversorgung anschloss. „Falls man einen Transport fahren müsste oder der Strom ausfällt, was wir ja am Nachmittag erst hatten, hält die interne Batterie mindestens eine Stunde und für alle Fälle befindet sich an dem Gerät auch noch eine Handkurbel, mit der man auch ohne Strom die Zentrifugalpumpe am Laufen halten könnte!“, erklärte er den Studenten. „Auch die Sauerstoffflasche ist für diesen Zweck immer dabei, das ist Vorschrift.“
Als die Fachkraft aus dem Katheterlabor die steril verpackten Schläuche angereicht bekam, befüllte sie sie mit Ringerlösung, damit es zu keiner Luftembolie kommen konnte und versah sie dann mit den dafür vorgesehenen Verschlusskappen. Dann überreichte sie den Teil, der in das Gerät kam und unsteril werden durfte, dem Kardiotechniker, der sie nun in die Pumpe einlegte. Das Ganze geschah relativ zügig, denn niemand konnte sagen, wie lange Ben´s Herz noch durchhalten würde.
Der Anästhesist hatte derweil Ben aufgedeckt und zunächst unsteril mittels Sonographie eine orientierende Darstellung der Hals- und Leistengefäße gemacht. „Wir nehmen die Leistengefäße!“, beschloss der Kardiologe, der einen prüfenden Blick auf das Ultraschallgerät geworfen hatte. Nun strich der Pfleger großzügig die Leistenregion nach oben bis zum Bauchverband und unten bis Mitte der Oberschenkel dreimal mit farbiger Desinfektionslösung ab, man deckte Ben komplett steril ab und als er sich ein wenig regte, als er unbewusst die Manipulationen an seinem Unterleib wahrnahm, erhöhte der Anästhesist die Sedierung ein wenig. „Wir relaxieren ihn vorsichtshalber, bis die Leistengefäße, vor allem die Arterie, punktiert sind!“, beschloss er und der Intensivpfleger, der kaum wusste, wo er zuerst hinfassen sollte, rief schnell seiner Kollegin zu, die gerade über den Flur lief: „Bring mir doch bitte eine Ampulle Pancuronium!“, das war ein lange wirkendes Muskelrelaxans, das Ben die nächsten mindestens 20 Minuten daran hindern würde, mit irgendeinem Muskel auch nur zu zucken.
Als der Patient das bekommen hatte, suchte der Kardiologe zuerst auf der einen Seite die Vena femoralis auf, punktierte sie problemlos und brachte mit Seldingertechnik das dicke Schläuchlein ein, befüllte es mit einer Mischung aus Heparin und steriler Kochsalzlösung und nähte es mit einer speziellen Nahttechnik an Ben fest. An der gegenüberliegenden Seite suchte man nun unter Tasten und Ultraschallkontrolle-der Schallkopf war dafür steril verpackt worden-die Arteria femoralis auf und als man die punktierte, kam es trotz aller Vorsicht zu einer größeren Blutung. „OK-jetzt kriegt er auf jeden Fall eine Konserve, wir müssen ihm alle Sauerstoffträger anbieten, die möglich sind!“, beschloss der Intensivarzt, der den Monitor und alles andere immer im Blick hatte.
In diesem Moment flimmerte Ben erneut und der Kardiologe, der leider gerade nicht vom Tisch weg konnte, weil er mit dem Daumen die dicke Kanüle in der Arterie verschließen musste, aus der sich Ben sonst verbluten würde, bekam trotz Gummihandschuhen ebenfalls einen Stromschlag ab, der ihn zusammen zucken und für einen Moment blass werden ließ, aber immerhin ließ er nicht los. „Auch wenn ich weiss, dass mir nichts geschieht, aber das ist schon sehr unangenehm!“, befand er, befüllte nun auch das zweite Schläuchlein mit der Mischung, so dass Ben initial zwar schon Heparin bekam, aber eben nur eine kleine Menge von 150 I.E.. Der arterielle Zugang wurde nun ebenfalls extra gut vernäht ein kleiner Abzweig, der das Bein versorgte eingebracht und nun ging alles ganz schnell. Der Kardiotechniker reichte das eingelegte Schlauchsystem an, man verband das mit den liegenden Kanülen und nur Minuten später nahm das kleine lebensrettende Gerät seine Arbeit auf.
„Eigentlich muss man das in dieser Funktion, wenn man es über einen arteriellen und einen venösen Schenkel betreibt nicht mehr als ECMO bezeichnen, sondern als ECLS, also extracorporeal life support. Im Prinzip haben wir hier eine kleine Herz-Lungenmaschine vor uns!“, wurden die Studenten belehrt und der Cardiotechniker nahm jetzt in Absprache mit den beiden Kardiologen die Feinabstimmung vor. Man entnahm dann Blut sowohl aus der Arterie am Arm, als auch aus dem ZVK, um den Erfolg und die Einstellung des Geräts zu optimieren und der Anästhesist schraubte ebenfalls an der Beatmungsmaschine herum. Die inzwischen eingetroffene Blutkonserve gab man nach dem Bedsidetest gleich über einen Zulauf am venösen Teil des Schlauchsystems und nachdem man die Leisten gründlich von dem ausgetretenen Blut gesäubert hatte, wurden die Zugänge steril verbunden, die Abdecktücher entfernt und die blutige Unterlage durch leichtes Drehen unter Ben heraus geholt.
Als Minuten später Sarah und Semir wieder auf der Intensiv eintrafen, sah Semir erstaunt auf seinen Freund. Als sie vor einer guten halben Stunde gegangen waren, war der grau und eingefallen gewesen, man hatte das Gefühl gehabt, einen Sterbenden vor sich zu haben, aber jetzt hatte sein Gesicht wieder Farbe bekommen und er schlief entspannt und friedlich vor sich hin. „Es ist wie ein Wunder!“, flüsterte er und Sarah, die jetzt langsam wieder Hoffnung zu schöpfen begann, stimmte ihm zu. „Ja die moderne Medizin kann Wunder vollbringen-hoffen wir, dass Ben sich erholt!“, sagte sie und langsam konnten die beiden sich ein wenig entspannen.
Obwohl Semir´s Anruf gegen fünf sowohl bei Andrea, als auch bei Natascha Verzweiflung hatte aufkommen lassen, wollten sie die Mädchen damit nicht belasten. „Heute wird doch das neue Einkaufszentrum eröffnet- mit Hüpfburg, Kinderschminken, tollen Eröffnungsangeboten und freien Getränken-eigentlich hatte ich den Kindern versprochen, dass wir da zusammen hingehen.“, überlegte Andrea und Natascha gab zu bedenken: „Wir können Ben sowieso nicht helfen-die Ärzte werden sicher ihr Möglichstes tun, aber es bringt ihm nichts, wenn wir deswegen hier zuhause sitzen bleiben und die Wände anstarren. Vielleicht wäre es vernünftig, wenn wir zusammen mit den Mädels dorthin gehen, dann sind die abends müde und sie haben mir den ganzen Nachmittag schon erzählt, wie sie sich darauf freuen, das wäre fast gemein, wenn sie jetzt nicht dürften!“, sagte sie und so saßen sie wenig später in der Straßenbahn, die sie zum nahe gelegenen Einkaufszentrum brachte. Andrea hatte Natascha eine Jacke geliehen, die war ihr zwar zu groß, aber wenigstens war sie warm und als sie am Zentrum ankamen, tobten die Kinder wenig später auf der Hüpfburg. Natascha unterhielt sich erst eine Weile mit Andrea und erzählte von ihrem Praktikum im Kindergarten während ihrer Schulzeit, aber plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt.
Der Ehrengast, der das Zentrum eröffnet hatte, ging noch umringt von Securitys übers Gelände und als Natascha ihn erkannte und ihr plötzlich die Zusammenhänge klar wurden, erblasste sie. „Andrea-ich muss noch dringend etwas erledigen, wartet nicht auf mich!“, flüsterte sie und war wenig später in der Menge verschwunden.