Ben war wie vor den Kopf gestoßen! Das konnte doch nicht wahr sein! Er, der fitte, sportliche Mann, der seinem Körper Höchstleistungen abverlangte und das als Selbstverständlichkeit hinnahm, dass das klappte. Der zwar schon des Öfteren schwer verletzt worden war, sich aber immer wieder erholt hatte und zwar schneller als erwartet-er war nun auf eine Maschine angewiesen, um am Leben zu bleiben? Klar hatte man das schon hin und wieder mal gehört, dass jemand Herzprobleme hatte-aber das waren doch irgendwelche anderen-er persönlich kannte niemanden! Obwohl, halt, sein Vater hatte schon mit dem Herzen zu tun gehabt! Gerade bei Julia´s Hochzeit, hatte er einen Infarkt oder zumindest sowas Ähnliches gehabt, weil er sich so aufgeregt hatte, aber das war lange vergessen, der war wieder fit und arbeitete wie ein Verrückter, um seine Firma am Laufen zu halten und entgegen aller guten Vorsätze kümmerte er sich kaum um seine Familie und seine Enkelkinder hatten auch keinen Bezug zu ihm, dazu sahen sie ihn zu selten.
Er selber hatte doch nur nach Sarah gesucht-das musste sein Herz doch aushalten! Myokarditis-das Wort hatte er noch nie zuvor gehört und jetzt konnte er ohne Unterstützung von Maschinen nicht überleben? Zumindest hatte sich Sarah´s Erklärung so angehört und wenn er das richtig verstanden hatte, stand es in den Sternen ob, oder in welchem Zeitrahmen er wieder gesund wurde. Momentan war alles zu viel für ihn, ein trockenes Schluchzen stieg aus seiner Kehle, er spannte die Muskeln an, der Monitor alarmierte-und dann bekam er plötzlich einen Stromschlag, der ihn von den Beinen geholt hätte, wenn er nicht schon gelegen hätte! Voller Panik schnappte er nach Luft, er hatte nirgendwo hin gefasst und was er außerdem nicht verstand-Sarah hatte seinem Freund zuvor nach einem Blick auf den Monitor zugerufen: „Semir-lass seine Hand los, sonst kriegt du eine mit, wenn der Defi auslöst!“ und alle beide waren dann einen Schritt zurück getreten.
Nun lag er schluchzend und völlig fertig da, der Stationsarzt stürzte auf den Alarm hin ins Zimmer und als er das zitternde Häufchen Elend im Bett sah, wurde ihm bewusst, was geschehen war. Wie jetzt auch Sarah und Semir wieder, fasste er Ben an und versuchte, zu ihm durch zu dringen, der von der ganzen Situation maßlos überfordert war und nicht wusste, was gerade mit ihm passiert war. Er war schon mit Elektrofolter traktiert worden, aber da war dann jemand vor ihm gestanden und hatte den Teaser angesetzt-jetzt geschah das einfach so und anscheinend wusste das Sarah auch schon vorher!
„Herr Jäger, versuchen sie sich zu beruhigen-ich erkläre ihnen, was gerade geschehen ist!“, sagte er und langsam war Ben wieder so weit, dass er zuhören konnte. „Ihr Herz ist infolge einer verschleppten Grippe schwer geschädigt und reagiert mit Rhythmusstörungen darauf. Sie hatten mehrfach Kammerflimmern und weil sich die Situation nicht medikamentös beherrschen ließ, mussten wir sie des Öfteren defibrillieren. Nun kann man das nicht unendlich oft von außen machen, auch weil das schwere Verbrennungen am Brustkorb hinterlässt!“, fuhr er fort und jetzt war Ben plötzlich klar, warum es da so weh tat-er hatte anscheinend wirklich Brandverletzungen. „Wir haben ihnen deswegen einen Herzschrittmacher mit implantiertem Defibrillator eingesetzt, der misst die Herzaktion und wenn das Herz nicht mehr richtig arbeitet, versucht er es mit elektrischer Stimulation wieder in Takt zu bringen. Wenn das nicht gelingt, oder es-wie eben passiert-ins Kammerflimmern kommt, löst nach einer gewissen Zeit der Defi aus, versetzt dem Herzen einen Stromschlag und dadurch ist es sozusagen wieder in Nullstellung und kann seinen eigenen Rhythmus finden-manchmal auch unterstützt vom Takten des Schrittmacheraggregats. Für sie ist dieses Gerät lebensrettend, allerdings ist aktuell der Herzmuskel selber noch so schwer entzündet, dass er nicht ausreichend pumpen kann, um ihren Organismus, also das Gehirn und alle Organe ausreichend mit sauerstoffhaltigem Blut zu versorgen. Auch ist ihre Lunge ebenfalls durch den Infekt angegriffen, so dass einfach der Gasaustausch nicht mehr funktioniert hat. Sie wären vorgestern gestorben und deshalb haben wir ihnen notfallmäßig dieses Herz-Lungen-Unterstützungssystem eingebaut, das vorübergehend die Arbeit von Herz und Lunge ganz oder teilweise übernehmen kann. Wir hoffen jetzt, dass sich der Herzmuskel durch die Ruhe und Entlastung wieder erholt und wir dann im Verlauf von Tagen bis Wochen die Leistung der Maschine immer weiter herunter fahren können, wenn ihr eigenes Herz wieder Kraft bekommt. „Und wenn das nicht passiert?“, fragte Ben jetzt tonlos, denn er hatte sehr deutlich die Worte: „Wir hoffen-wenn“ und „eventuell“ verstanden und auch Sarah hatte vorher so merkwürdig rum gedruckst.
Der Arzt sah ihn prüfend an-war er wirklich schon so weit, dass er die Wahrheit vertragen konnte? Allerdings war sein Patient ein erwachsener Mensch, der ein Recht darauf hatte, über seinen Zustand informiert zu werden. Das war ja mit ein Grund gewesen, warum man ihn hatte wach werden lassen. Er stand nicht mehr unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder Opiaten und irgendwann musste er es ja erfahren: „Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass der Herzmuskel so schwer geschädigt ist, dass er sich nicht mehr erholt. Dann haben wir zwei Möglichkeiten-entweder wir setzen sie als Notfall ganz oben auf die Transplantationsliste und hoffen ein Spenderherz für sie zu bekommen, oder wir bauen ein anderes Kunstherz ein-da gibt es inzwischen einige Modelle, mit denen man längerfristig überleben und auch nach Hause gehen kann!“, sagte er und jetzt war Ben fürchterlich geschockt, ihm wurde ganz anders und er merkte, wie das Herz in seiner Brust erneut Kapriolen schlug. Der Monitor gab wieder schrille Alarmtöne von sich, alle ließen ihn los, als wenn er die Krätze hätte und wieder bekam er einen Elektroschock verpasst, der ihn sich verkrampfen, nach Luft schnappen und ihn aufschreien ließ. Als es vorbei war und er schluchzend nach Atem rang, fragte Sarah, der jetzt selber die Tränen aus den Augen liefen, so schlimm war das anzuschauen: „Verdammt noch mal-warum wird er denn nicht wie üblich ohnmächtig, bevor der Defi einen Schock abgibt?“, und der Kardiologe erklärte es ihr und den anderen: „Normalerweise ist ein Defibrillator so programmiert, dass er zeitverzögert auslöst. So wird der Patient erst bewusstlos, weil in der kurzen Zeit der ungeregelten Herzaktion das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird. Läuft allerdings ein Herzunterstützungssystem, wird der Kopf, wie auch der restliche Körper ja kontinuierlich mit sauerstoffreichem Blut durchspült und die Ohnmacht tritt nicht ein. Wir können ihm höchstens ein leichtes Beruhigungs- und Schmerzmittel geben, damit er es nicht mehr als ganz so schlimm empfindet und vielleicht muss der Defi ja bald schon nicht mehr so oft einspringen!“, versuchte er zu trösten, aber seine Zuhörer waren nun völlig verzagt-oh Gott-was hatte man Ben angetan?
Natascha starrte auf den Mann im grauen Kittel. Nun fiel ihr plötzlich ein, dass sie ihn aus dem Club kannte-er hatte gelegentlich den Türsteher besucht. Verdammt-hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu! Gerade wollte sie nach Hilfe schreien, da schloss sich eine große Hand, bedeckt mit Einmalhandschuhen, um ihren Mund. Den Monitor legte der Mann mit einem einzigen Knopfdruck so weit lahm, dass der drei Minuten keinen Alarm gab-das würde genügen, um die tödliche Dosis Toilettenreiniger, die er in einer großen Spritze aufgezogen in der Tasche trug, zu injizieren. Danach würde er in aller Ruhe verschwinden und bis die Ärzte reagieren könnten, wäre Natascha schon vergiftet und vielleicht würde auch niemals jemand darauf kommen, was geschehen war, denn eine Lungenembolie zum Beispiel, konnte ähnliche Symptome machen. Natascha kämpfte wie eine Löwin, biss durch den Handschuh hindurch den Mann in die Handfläche, denn sie merkte-gerade ging es wieder ums Überleben! Allerdings war sie immer noch geschwächt und konnte nicht verhindern, dass der eine Verschlusskappe ihres ZVK abschraubte und dann die Spritze ansetzte.
Der junge Sanitäter in Ausbildung war von der Leitstelle angerufen worden. „Hör mal-könntest du vielleicht einspringen-einer unserer Kollegen hat sich kurzfristig mit akutem Brechdurchfall krank gemeldet!“, hatte der Koordinator ihn gefragt. Stefan hatte kurz überlegt und dann zugesagt. Schon in Dienstkleidung war er auf dem Weg zur Wache schnell auf die Intensivstation gesprungen, um Natascha Bescheid zu sagen. Er wäre zwar viel lieber bei ihr gesessen, aber das konnten sie ja noch nachholen und jetzt würden die Schwestern dort sowieso auf der Besuchszeit beharren, weil sie außer Lebensgefahr war. Er hatte sich wirklich Hals über Kopf in die junge Frau verliebt und er hatte durchaus das Gefühl, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Nun sauste er ohne zu läuten auf die Intensivstation-immerhin war er im Dienst und hatte dadurch Sonderrechte-na ja, redete er sich zumindest ein-aber er wäre ja auch gleich wieder weg. Beinahe wäre er in der Eile über ein frisches Bett geflogen, das mitten im Gang stand, aber als er dann ins Intensivzimmer trat, wo die Patientin im vorderen Bett immer noch selig schlief, meinte er seinen Augen nicht zu trauen und sein Herz setzte vor Entsetzen beinahe zu schlagen aus!