Semir sah enttäuscht auf den Kaffeebecher-Plan eins war also bereits fehl geschlagen. In der Tasche seiner Jeans hatte er die zweite Tablette-die musste Maria nehmen-koste es, was es wolle! Er überlegte fieberhaft, wie er das anstellen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass sie das freiwillig wohl nie machen würde. Jetzt konnte er nur hoffen, dass Jenny draußen den Wachmann ablenkte, wie vereinbart und das Datenmaterial auch nicht aufgezeichnet wurde. Er trat nahe ans Bett heran und fragte: „Wie viele Männer außer meinem Kollegen haben sie zuvor im Keller gefangen gehalten?“, um Maria nicht misstrauisch zu machen. Die Kamera war in seinem Rücken, direkt über der Tür angebracht, wie er beim Eintreten registriert hatte. „Selbstgefällig lehnte Maria sich in ihre Kissen zurück. „Das können sie selber heraus finden-ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts!“, gab sie schnippisch zurück und in diesem Moment schoss auch schon Semir´s Hand vor und drückte an ihrem Hals kraftvoll auf einen bestimmten Punkt, wie jeder Polizist im Selbstverteidigungstraining lernte. Maria machte noch den Mund auf, um zu schreien, aber dann wurde sie auch schon ohnmächtig.
Blitzschnell zog Semir die winzige Tablette aus seiner Tasche, drückte sie aus dem Blister und steckte sie weit in Maria´s Rachen. Hoffentlich landete die nicht in der Lunge, dann wäre nämlich guter Rat teuer! Als Maria wieder zu sich kam, hielt er ihr das Wasserglas vor die Nase und sagte unschuldig: „Was war denn gerade mit ihnen los? Sie sind plötzlich ohnmächtig geworden?“, und Maria funkelte ihn böse an, hustete ein wenig, rang nach Luft und trank schnell einen Schluck Wasser. „Halten sie mich für total verblödet?“, fauchte sie ihn an. „Sie haben mich soeben mit einem Karategriff kampfunfähig gemacht, denken sie, ich habe das vergessen-was sollte das?“, fragte sie, aber Semir sah sie nur verächtlich an. Jetzt hieß es gut zu schauspielern, damit sie nicht Lunte roch. „Ich wollte ihnen nur einmal demonstrieren, wie es ist, wenn man sich nicht wehren kann, wie sie es mit meinem Kollegen gemacht haben. Aber nun zurück zum Thema: Wie viele Männer haben sie entführt und in ihrem Keller gequält und wie lange ging das schon?“, fragte er nochmal und Maria erwiderte: „Wie oft soll ich ihnen noch sagen-ohne meinen Anwalt sage ich kein Wort!“, und nun zuckte Semir mit den Schultern und trat den Rückzug an. „Wir sehen uns beim nächsten Verhör-dann meinetwegen gemeinsam mit ihrem Anwalt, aber seien sie versichert-sie werden sich da nicht heraus winden können, wir haben genügend Beweise!“, tönte er und trat rasch an die Zimmertür, klopfte und bat heraus gelassen zu werden.
Jenny saß immer noch auf dem Schreibtisch und hatte den Beamten in ein angeregtes Gespräch verwickelt. Obwohl sie sehr schlank war, verdeckte sie durch den geschickten Winkel immer noch den Blick auf einen Teil der Monitore. Sie hatte vorher bemerkt, wie warm es wäre und die beiden obersten Blusenknöpfe geöffnet. Die Blicke des dicklichen Beamten ruhten begehrlich auf ihr und während er ihr von seinem Hund erzählte-Frau und Kinder unterschlug er natürlich- und sie beteuerte, wie sehr sie Tiere liebte, hatte sie gehofft, dass Semir schnell machte, bevor der Mann ihr zu nahe kam.
„Und-warst du erfolgreich mit deiner Befragung, damit wir weiter ermitteln können?“, fragte sie den kleinen türkischen Polizisten als der Schließer ihm die Türe geöffnet hatte und der erwiderte: „Ohne ihren Anwalt sagt sie kein Wort und Kaffee wollte sie auch keinen-möchten sie?“, fragte er und stellte den verbliebenen Kaffeebecher auf den Tisch vor den Beamten. Natürlich hatte er den mit der aufgelösten Tablette zuvor im Waschbecken im Zimmer ausgeleert und den anderen nicht angerührt. „Oh ja-gerne, Kollege!“, strahlte der Mann und wandte sich dann noch plump an Jenny: „Wenn sie meinen Hund mal kennen lernen wollen, können wir uns gerne treffen!“, tönte er und Jenny nickte wortlos, knöpfte ihre Bluse zu und strebte Richtung Ausgang. „Ja vielleicht!“, sagte sie schnell und war heilfroh, als sie im nächsten Raum ihre Waffen wieder bekamen und auf dem Besuchsprotokoll unterschrieben.
Endlich im Wagen angelangt, fragte sie Semir erwartungsvoll: „Warst du erfolgreich?“, und als der mit einem Grinsen nickte und ihr im Losfahren erzählte, wie er es angestellt hatte, berichtete Jenny ihrerseits, dass der Beamte ihr beinahe an die Wäsche gegangen wäre. „Ich habe nur gehofft, dass du schnell machst, aber ich bin sicher, der hatte keinen Blick für die Monitore!“, berichtete sie und Semir bedachte sie mit einem offenen Lächeln. „Nun sei nachsichtig-der ist auch nur ein Mann und sieh es als Kompliment für deine Attraktivität-aber danke Jenny-ich hätte nicht gewusst, was ich ohne dich gemacht hätte. Ich bringe dich jetzt in die PASt zurück und fahre dann wieder zu Ben ins Krankenhaus“, teilte er seine weiteren Pläne mit, aber da läutete sein Handy. Über die Freisprechanlage nahm er das Gespräch an-Hartmut war der Anrufer. „Einstein was gibt’s?“, fragte er und der sagte bedrückt: „Semir-kannst du bitte in der KTU vorbei kommen, ich habe keine guten Neuigkeiten!“, berichtete er und der kleine Türke beteuerte, dass er in wenigen Minuten dort sein würde.
Ben sah aufgeregt zu seiner Frau: „Sarah-hat Semir die zweite Spritze gefunden? Ich war vorher so sehr mit mir selber beschäftigt, dass ich vergessen habe zu fragen. Ich habe ihn zu dir geschickt, aber jetzt kommst du zu mir und von Semir ist nichts zu sehen-weißt du was?“, fragte er und Sarah nickte. „Schatz-die Spritze wurde gefunden und sie war leer. Allerdings ist Semir gerade dabei, deiner Entführerin die „Pille danach“ zu verabreichen, mach dir keine Sorgen!“, sagte sie liebevoll und jetzt atmete er auf. Als er dann aber sah, wie Sarah plötzlich fröstelte und erneut immer blasser wurde, befahl er regelrecht: „Du gehst jetzt bitte sofort wieder auf dein Zimmer und legst dich hin. Ich werde hier gut versorgt und meines Wissens sind auch keine Eingriffe mehr geplant. Ich werde jetzt ein wenig schlafen-und du auch, wir müssen doch beide bald wieder fit werden-für unsere Kinder! Hast du von denen etwas gehört?“, fragte er und Sarah berichtete, dass sie kurz zuvor mit Hildegard telefoniert hatte. „Den Kindern geht es gut, der einzige, der ein wenig Sorgen macht, ist Lucky, der ist traurig und mag nicht fressen. Allerdings leckt und bewacht er die Lämmer, ich denke, sobald einer von uns die Klinik verlassen kann, kommt das schon wieder ins Lot, aber er ist doch ein sensibler Hund!“, berichtete sie und Ben nickte gedankenverloren. „Ja-er gehört einfach zu unserer Familie, wir müssen schauen, dass wir bald wieder hier raus kommen und ich bin so froh, dass wir Hildegard haben, so haben wir wenigstens wegen der Kinder keine Sorgen!“, bemerkte er und nun fielen ihm beinahe die Augen zu.
Inzwischen war Schichtwechsel und Andy hatte seine Betreuung wie am Vortag übernommen. „Sarah-ich rufe den Fahrdienst-geh du wieder in dein Bett, ich passe schon auf Ben auf!“, bemerkte der und lagerte ganz nebenbei seinen Patienten neu, unterpolsterte dessen Unterkörper und legte auch eine dick eingepackte Kühlkompresse zwischen dessen Beine. „Hochlagern und kühlen hat der Urologe angeordnet“, erklärte er sein Tun und Ben ließ sich vertrauensvoll versorgen, auch wenn dort unten alles drückte und sich wund anfühlte. Als Sarah wieder mit dem Rollstuhl abgeholt worden war, fielen ihm endgültig die Augen zu und er hoffte einfach auf Semir. Der würde alles tun, damit diese Sache wieder in Ordnung kam!