Semir hatte den Kopfbogen mal wieder über sich ergehen lassen.“Was soll das eigentlich? Immer wenn ich gerade eingeschlafen bin,leuchtet mir jemand in die Augen.Nach was kucken sie denn da eigentlich?“ wollte er vom ausführenden Pfleger wissen.“Wir machen hier einen sogenannten Kopfbogen.Das ist eine standardisierte Untersuchung,um die Komplikationen im Verlauf eines Schädel-Hirn-Traumas von der einfachen Gehirnerschütterung bis zur Massenhirnblutung zu erkennen und zu dokumentieren.Ich leuchte ihnen dabei in die Augen und beurteile,ob und wie schnell die Pupillen sich verengen.Ich schaue ob die Pupillenweite seitengleich ist und schreibe auch auf,ob die eng,mittel oder weit sind.Wenn eine Pupillendivergenz besteht,also eine Pupille sich anders präsentiert, bei gleichen Voraussetzungen,als die andere,dann ist das ein deutliches Zeichen,dass innen im Kopf etwas abläuft,was man dann mit CCT oder anderen Untersuchungen herausfinden muss.Bei ihnen ist die Reaktion auf Licht beidseitig durch die kleine Blutung verzögert,aber sie kommt.Wir achten nun sehr darauf,ob und wann sich was verändert,um dann sofort tätig zu werden,also eine Kontrolle einzuleiten,oder auch zu operieren.“ Das war nun eine beinahe zu umfassende Antwort auf Semirs unschuldige Frage gewesen,aber immerhin wusste er jetzt genau,was die Pflegekräfte da machten und auch warum.Eine Spalte auf diesem Bogen wollte auch dokumentiert wissen,ob er die Arme und Beine seitengleich bewegen konnte und wie orientiert er im Gespräch war.Der Pfleger vergab eine hohe Punktzahl und widmete sich dann,nachdem er seine Hände desinfiziert hatte,seinem anderen Patienten.
Ben,der ja leicht auf der Seite zu Semir hingeneigt gelegen hatte,wurde nun zurück auf den Rücken gedreht,indem der Pfleger einfach die zusammengefaltete Decke seitlich unter seinem Rücken herausnahm.Er musste sie allerdings vorsichtig zwischen den ganzen Schläuchen und Kabeln herausziehen.Anschliessend wurde Semirs Kollege noch im Mund und auch endotracheal abgesaugt.Obwohl der Hustenreflex ja eigentlich ein Urreflex war,war Ben so tief sediert,dass er keine Reaktion zeigte,als der Sauger über das geschlossene Absaugsystem in seine Bronchien eingeführt wurde.Eigentlich hoffte man immer,dass sich Schleim mobilisieren liesse,den man dann auf Ereger untersuchen konnte,aber ausser ein wenig Speichel war nichts zu gewinnen.Auch im Labor auf den verschiedenen Nährböden war bisher nichts gewachsen.Nach wie vor tappte man völlig im Dunkeln und gab sozusagen auf Verdacht Breitbandantibiotika,die hoffentlich auch gegen den Haupterreger wirksam waren.Bisher sah es allerdings leider nicht so aus!
Die Blutgase des jungen Polizisten waren Dank künstlicher Lunge einigermassen stabil,aber wie ein erneut im Bett angefertigtes Röntgenbild zeigte,war die Lungenentzündung keinen Deut besser,eher noch ein wenig schlechter geworden.Nachdem man jetzt aber ohne Gefahr für den Patienten den Luftröhrenschnitt durchführen konnte,kamen der anästhesiologische Oberarzt und ein Assistent nun mit einem Eingriffs-und einem Bronchoskopiewagen näher,um den Eingriff sofort durchzuführen.Ben,der sowieso nur mit einem dünnen Laken über der Hüfte zugedeckt war,wurde am Hals rasiert und leicht erhöht gelagert.Der Assistenzarzt hatte sich steril angezogen und desinfizierte nun Bens kompletten Hals mehrmals mit klarem Desinfektionsmittel und deckte ihn ab.Das Zimmer wurde ein wenig verdunkelt und Semir,der sozusagen in der ersten Reihe sass,sah gebannt zu,wie der Oberarzt nun über einen speziellen,dichten Aufsatz mit einem Bronchoskop in Bens Luftröhre sah und von innen die geeignete Stelle ermittelte.Er leitete das starke,helle Licht der Glasfaseroptik dann so nach aussen,dass man es durch die Haut durchschimmern sah.An genau dieser Stelle machte nun der Assistenzarzt,navigiert von innen,ein kleines Schnittchen mit dem Skalpell und eröffnete so die Luftröhre.Er schob nacheinander immer grösser werdende Dehnungsstifte ein,so dass das Loch in Bens Hals immer grösser wurde.Nebenbei wischte er immer das austretende Blut weg und als die Öffnung gross genug war,schob der eine Arzt eine Trachealkanüle von aussen im selben Moment hinein,als der andere Doktor den Tubus entblockte und herauszog.Nun wurde die Beatmungskanüle unterhalb von Bens Kehlkopf innerlich geblockt und die Beatmungsschläuche daran umgehängt.Ein steriler Verband wurde neben der Kanüle auf die Halswunde gelegt und die Kanüle zusätzlich noch mit einem Haltebändchen um den Hals befestigt.Ben wurde nochmals abgesaugt und das Licht wieder angemacht.
Obwohl es Semir ja nicht direkt betroffen hatte und er auch gesehen hatte,dass Ben tief in Narkose wirklich von dem Eingriff nichts gespürt hatte,war er trotzdem ganz zittrig.Als die Ärzte und der Pfleger,der angereicht hatte den Raum verlassen hatten,sagte er zu seinem Freund:“Siehst du Ben,jetzt bin ich immer bei dir,wenn etwas gemacht wird.Auch wenn du mich vielleicht nicht hören kannst,aber ich passe auf,dass dir niemand was tut.“
Wieder schlug Bens Herz ein wenig schneller,als er die vertraute Stimme hörte.
Er hatte sich inzwischen tiefer in die Dunkelheit zurückgezogen.Das Tagesgeschäft an seinem Versteck hatte begonnen,aber er verschmolz wie ein Schatten mit dem Hintergrund und keiner bemerkte ihn.