Abends wurde Ben wieder mit dem Rollbrett auf die Thekla,den Mobilisationsstuhl gezogen und diesmal klappte es schon viel besser mit der Rumpfstabilität.Der Klettgurt wurde wieder um seinen Oberkörper geschlungen und da man das Rückenteil so kippte,dass er von hinten gestützt wurde,tat es auch nicht mehr so weh auf der Brust. Ein Tisch wurde vorne an den Stuhl angesteckt,der ihn zusätzlich stützte und dann bekam er einen Kartoffelbrei mit Sauce zu essen.Das erste annähernd richtige Essen seit Wochen! Obwohl das Geschmackserlebnis nicht gerade erste Sahne war,schluckte Ben trotzdem den Brei mit Genuss-das war einfach ein Stück Normalität und man beschloss,am nächsten Tag die Ernährungssonde zu entfernen.Wieder versuchte Ben selber zu essen und wie mittags war es noch nicht so ganz unproblematisch,aber sogar die Hand-Mundkoordination wurde immer besser.Auch die Zunge tat ihm deutlich weniger weh und die Ganzkörperschmerzen,die ihn doch sehr geplagt hatten,waren verschwunden.Nach einer halben Stunde putzte man ihm im Sitzen noch mit einer milden Zahnpasta die Zähne und heute konnte er den Schaum schon ausspucken,der an den letzten Tagen immer mit dem Sauger entfernt worden war.Das frische Gefühl in seinem Mund war einfach göttlich und Ben war sehr zufrieden,als er kurz danach wieder in sein Bett gebracht wurde.Er schaffte es auch schon selber,sich zur Seite zu drehen und als Semir noch eine kurze Runde mit dem Gehwagen durchs Zimmer lief,blieb er ein wenig bei ihm stehen und lächelte ihn zuversichtlich an. „In ein paar Tagen marschierst du mit diesem Fahrzeug rum,da bin ich mir ganz sicher!“ beschwor er seinen Freund und der nickte überzeugt.Das wäre doch gelacht,wenn das nicht klappen würde!
Noch zweimal am Abend wurde er ans T-Stück gehängt und jedesmal fiel es ihm leichter.Nach diesem für ihn ereignisreichen Tag schlief er wie ein Stein und auch Semir tat das Gleiche.Der war mit der Zeitschrift in der Hand bei Licht eingeschlafen und die Nachtschwester nahm ihm die lächelnd aus der Hand und löschte die Bettlampe.
Am nächsten Morgen wurde nach dem Waschen bei Semir eine Röntgenaufnahme im Bett gemacht und als die gut aussah,beschloss man,später die Thoraxdrainage zu entfernen.Bei Ben wurde gleich wieder die Spülung vorgenommen und wie an den vergangenen Tagen stand ihm Semir bei.Es tat Ben trotz peripherer Schmerzmittel sehr weh und er klammerte sich an Semirs Hand fest,dass die Handknöchel weiss hervortraten.Aber auch da war der Arzt sehr zufrieden. „Herr Jäger,das sieht schon ziemlich sauber aus.Das Fieber ist auch stark gesunken und die Temperatur nur noch leicht erhöht.Wenn heute die Entzündungswerte noch gefallen sind,werden wir die Drainagen morgen entfernen!“ kündigte er an,während noch ein Klebeverband befestigt wurde.Ben lockerte den Griff um Semirs Hand und der rieb sich anschliessend dieselbe-er fand es im Moment nicht so sonderlich gut,dass Ben schon wieder soviel Kraft hatte.Die Ernährungssonde wurde einfach so herausgezogen und Ben,der sich schon Wunder was dabei vorgestellt hatte,musste zwar kurz würgen,als sie an seinem Rachen vorbeiglitt,aber das wars auch schon.Was für ein schönes Gefühl,wenn nichts mehr in der Nase drückte und im Rachen kein Fremdkörper mehr war!
Heute sass Ben schon viel länger in seinem Mobilisationsstuhl und genoss seinen Kaffee aus dem Schnabelbecher und eine Portion Griessbrei.Der umgehängte Latz war zwar noch nötig,aber Ben war dermassen konzentriert bei der Sache,dass das Meiste doch in seinem Mund landete.Semir,der gleichzeitig sein Marmeladenbrötchen vertilgte,musste schmunzeln,als er Bens Bemühungen,sauber zu essen und trinken,sah.Das war wichtig für seinen Kollegen,dass das mit dem Essen wieder klappte.Der war doch normalerweise ständig am Futtern und er hatte durch die schwere Erkrankung auch stark abgenommen.Dringend nötig,dass er wieder ein bisschen Fleisch auf die Rippen bekam.
Man liess Ben noch draussen sitzen,hängte ihn ans T-Stück und als wenig später der Arzt zu Semir kam und ankündigte,die Thoraxdrainage zu entfernen,bat er die Schwester pantomimisch,den Stuhl ein wenig näher zu Semirs Bett zu fahren und diesmal nahm er die Hand seines Freundes,der ihn überrascht ansah.
Als der Klebeverband an der Thoraxdrainage entfernt wurde,verzog Semir schon das Gesicht.Jede Manipulation an dem dicken Schlauch tat ihm schweineweh und als man dann erst desinfizierte,dann die Fäden löste und danach die Drainage langsam und vorsichtig zwischen seinen Rippen herauszog,war es diesmal Semir,der laut brüllte und beinahe Bens Hand zerquetschte.Nachdem er noch verbunden war-man hatte eine luftdichte Hautschutzplatte über den Einstich geklebt und einen Verband darübergemacht-blieb Semir schweratmend auf dem Rücken liegen und erholte sich von dem Eingriff,während Ben weiter seine Hand festhielt und ihn dadurch tröstete.
Als wenig später Ben wieder zurückgefahren und ins Bett gebracht wurde,drehte sich Semir zu ihm um und sagte gerührt: „Danke Mann,das war sehr nett von dir!“ und diesmal lächelte Ben in sich hinein. „Na ja,eine Hand wäscht die andere!“ dachte er und rollte sich dann zufrieden unter seiner Decke zusammen.