Danach wurde Ben aus dem Röntgenraum geholt und der Arzt erklärte ihm kurz, was sie gefunden hatten: „Herr Jäger, sie haben eine zweizeitige Milzruptur, die sofort operativ versorgt werden muss. Die Milz wurde bei dem Unfall verletzt, hat aber die letzten Tage in ihre Kapsel geblutet, bis sie heute geplatzt ist. Hatten sie nicht Obberbauchbeschwerden und in die Schulter ausstrahlende Schmerzen?“ wollte der Arzt von ihm wissen. Ben nickte leicht. „Doch, schon, aber ich dachte, das wären Prellungen. Außerdem hatte ich keine Zeit zum Kranksein, ich musste was sehr Wichtiges erledigen!“ erklärte er dem Doktor. „Na ich denke zum Kranksein hat ja eigentlich niemand Zeit, oder Lust, aber jetzt werden sie eine Weile bei uns verbringen müssen. Es besteht akute Lebensgefahr, sie können sich in Kürze verbluten, wenn wir sie nicht sofort operieren. Das ist eine Notfallindikation, da brauchen wir nicht einmal ihr Einverständnis!“ redete er Tacheles mit Ben, der nun wieder blass wurde. Es gab Patienten denen musste man schonungslos die Wahrheit sagen, sonst würden sie einer Therapie nicht zustimmen und Ben war so ein Kandidat, das sah er aus seiner Erfahrung.
Ben war nun alles noch vorhandene Blut aus dem Gesicht gewichen und seine Herzfrequenz beschleunigte sich nochmals. „Ich werde ihnen jetzt noch sofort einen High-Flow-ZVK in die Halsvene legen, denn es ist möglich, dass wir ihnen schnell viel Blut, oder andere Flüssigkeit zuführen müssen. Wir werden das während der Operation abgesaugte Blut aufbereiten und ihnen retransfundieren. Leider kann ich ihnen nicht versprechen, dass wir auf Fremdblut verzichten können, es ist möglich, dass wir ihnen einige Konserven zukommen lassen müssen, aber das werden wir entscheiden, wenn es so weit ist!“ erklärte er seinem Patienten, während die Schwester schon den Eingriffswagen näherfuhr und alles zum Legen eines zentralen Venenkatheters vorbereitete.
Der Arzt zog Haube und Mundschutz an, desinfizierte seine Hände, schlüpfte in einen sterilen Kittel und Handschuhe und strich rasch mit Desinfektionstupfern aus dem Abdeckset Bens rechte Halsseite ab. Er deckte ein gefenstertes Steriltuch über seinen Patienten und während er Lokalanästhetikum in eine Spritze aufzog, das die Schwester anreichte, erklärte er Ben, was er nun machen würde. „Sie bekommen da am Hals eine örtliche Betäubung und danach schiebe ich ihnen ein Schläuchlein bis kurz vors Herz in die untere Hohlvene. Damit haben wir dann einen sicheren Zugang, über den wir auch konzentrierte Medikamente, Nährlösungen, oder große Flüssigkeitsmengen zuführen können.“ Noch während er sprach, setzte er die Injektionsnadel an, sagte dann: „ Vorsicht, sticht!“ und betäubte dann mit mehreren Infiltrationen das Punktionsgebiet. Schnell nahm er die nächste Spritze, zog darin die angereichte Kochsalzlösung auf und stach mit einer langen , dicken Nadel in die Tiefe. Die Schwester kippte den Tisch noch ein wenig mehr kopfwärts und ziemlich schnell hatte der Arzt die Vena jugularis interna gefunden und punktiert.
Ben hatte rasch zu atmen begonnen. Er hatte Angst, was ihm nun alles bevorstehen würde und außerdem hatte er die dicke Nadel gesehen. Erstaunlicherweise drückte es nur ein wenig und er bemerkte kaum, wie der Seldingerdraht durch die Nadel hindurch zu seinem Herzen geschoben wurde. Die Nadel wurde ausgefädelt und der Venenkatheter über den Führungsdraht geschoben. Zur Lagekontrolle schob man den Katheter bis ins Herz vor und als typische EKG-Veränderungen über eine Direktableitung auf dem Monitor erschienen, zog man ihn wieder ein paar Zentimeter zurück. Ben schnappte nach Luft, als sein Herz zu stolpern anfing, aber der Arzt beruhigte ihn: „Das mache gerade ich mit meinem Katheter, ihr Herz ist vollkommen in Ordnung, es ist alles gut!“ und so ließ Ben den angehaltenen Atem wieder fließen und entspannte sich ein wenig, während der Arzt das Schläuchlein noch annähte. Die Schwester klebte einen Verband auf die Einstichstelle und nun kam an den dicksten der fünf Zugänge, die in diesem einen Katheter mündeten, eben dem Highflowzugang gleich eine Infusion und die anderen Schenkel ließ man durchgespült und abgeklemmt bis nach der OP.
Sie bekommen jetzt noch einen arteriellen Zugang in den Unterarm und dann geht’s los!“ sagte der Arzt und die Schwester hatte sich Bens rechten Arm gegriffen und ein wenig nach außen gedreht und desinfiziert. Nachdem er kurz getastet hatte, legte der erfahrene Notfallmediziner noch einen arteriellen Zugang in die Radialisarterie , was zwar ein wenig mehr wehtat, als das venöse Zuganglegen, aber schnell passiert war. Während auch dieser Zugang vernäht und angeschlossen wurde, hatte jemand die Zudecke zurückgeschlagen und rasierte Bens Bauch bis weit herunter.
Nun wurde seine Angst immer größer. Er kam sich so ausgeliefert vor, jeder wusste hier anscheinend genau, was er zu tun hatte und er als Person war sozusagen das Werkstück, das gerade bearbeitet wurde. Ihm wurde immer schummriger und man tauschte nach einem Blick auf die Sättigung die Sauerstoffsonde gegen eine Maske ein und bevor er sich versah, war er auf dem Weg in den OP. Jemand sprach zwar beruhigend zu ihm, aber das half recht wenig gegen seine Angst. Wie wäre es, wenn er nun sterben würde? Der Arzt hatte so etwas angedeutet, aber er hatte doch noch so viel vor. Völlig überfordert ließ sich Ben auf das Fließband der Schleuse umlagern und während der Notfallmediziner seinem Kollegen, der die Narkose machen würde, die Übergabe machte, krampfte sich Bens Herz zu einem schmerzhaften Klumpen in seiner Brust zusammen. War das nun sein Ende? Aber bevor er weiter nachdenken konnte, lag er schon zur eiligen Narkoseeinleitung auf dem Operationstisch im OP-Vorraum.