Wenig später trafen Hartmut und die Spurensicherung ein. Auch die Chefin war mitgekommen. Sie setzte sich neben Ben auf die Couch und legte tröstend die Hand auf seine Schulter. „Wir werden sie schon finden, Jäger!“ sagte sie aufmunternd. Ben zermarterte sich inzwischen den Kopf, wer der Entführer seiner Freundin sein könnte, denn das war sonnenklar! Sarah war nicht freiwillig mitgegangen, irgendwer musste sie überrascht haben, als er in seine Wohnung, aus welchen Gründen auch immer, eingebrochen war. Feinde hatte er genug, aber seine Adresse stand weder im Telefonbuch, noch auf seinen Visitenkarten. In der PASt hätte die niemand rausgerückt und auch sonst war die Geschichte mehr als schleierhaft!
Nachdem Ben da wie in Trance dagehockt war, hatte Semir inzwischen mit solider Polizeiarbeit angefangen und begonnen, die Nachbarn, soweit sie zuhause waren, zu befragen. Leider hatte niemand etwas beobachtet und so konnten sie nur hoffen, dass Hartmut irgendeinen Hinweis finden würde. Als Semir nun zu seinem Freund zurückging, der immer noch keinen klaren Gedanken fassen konnte, sagte er: „Leider hat von deinen Nachbarn niemand etwas gesehen, ich würde vorschlagen, wir schauen uns auch mal das Auto an, das ist doch merkwürdig, dass das nicht in der Tiefgarage steht! Hast du vielleicht einen Ersatzschlüssel?“ fragte er und Ben erhob sich nun, obwohl ihm noch die Knie zitterten. Natürlich hatte Semir Recht-es war das Vernünftigste, jetzt zu verfahren, wie bei jedem anderen Fall auch.
Er ging an die Kommode im Flur, in der sie ihre Ersatzschlüssel usw. aufbewahrten und holte nach kurzem Zögern einen VW-Schlüssel heraus. Als sie gemeinsam die Treppe heruntergingen, wäre Ben beinahe gestrauchelt, wenn Semir ihn nicht rechtzeitig gestützt hätte. Verdammt, dass seinen Freund das dermaßen mitnahm! Semir verfluchte sich beinahe, dass er ihn gebeten hatte. Es wäre sicher besser, er würde da gar nicht mitermitteln, denn er war persönlich viel zu befangen und die Chefin war fast mit Sicherheit der gleichen Meinung! Als hätte er Semir´s Gedanken gelesen, sagte Ben: „Du brauchst nicht meinen, dass ich mich in diesem Fall ausbooten lasse. Ich werde alles tun, um Sarah zu finden und ich glaube auch, ich weiß, wer sie in seiner Gewalt hat!“
Semir sah seinen Freund herausfordernd an. „Und, was denkst du?“ fragte er, obwohl er insgeheim natürlich auch eine Meinung zu diesem Fall hatte. „Sharpov, er ist der einzige, der aktuell so einen Hass auf mich hat, dass er mich verletzen möchte!“ antwortete Ben und das waren ehrlich gesagt auch Semir´s Gedankengänge gewesen. „Hilfst du mir das Schwein zu überführen und Sarah zu befreien?“ fragte er seinen Freund und Semir nickte überzeugt. „Natürlich Ben, was denn sonst!“ antwortete er und drückte seine Hand.
Inzwischen waren sie vor Sarah´s Wagen angelangt und Ben drückte auf den Auslöser für die Zentralverriegelung. Obwohl es ja sehr unwahrscheinlich war, fasste er doch mit zitternden Händen an die Kofferraumklappe und öffnete sie vorsichtig. Fast traute er sich erst nicht hinzuschauen, aber zu seiner grenzenlosen Erleichterung war sie leer. Außer ein paar Stofftaschen für die Einkäufe befand sich nichts in dem Auto, aber als Semir und Ben es kurz durchsahen, entdeckten sie doch unter dem Beifahrersitz ein leicht blutiges Papiertaschentuch. „Hatte Sarah manchmal Nasenbluten?“ fragte Semir, aber Ben schüttelte überzeugt den Kopf. „Solange wir zusammen sind, hatte sie sowas noch nie!“ erklärte er und Semir befahl: „Pfoten weg, das soll sich Hartmut nachher auch ansehen!“ und damit traten sie den Rückweg in die Wohnung an. Ben konnte nicht feststellen, dass etwas gestohlen worden wäre und Sarah hatte auch noch dasselbe an, wie heute Morgen, als sie zusammen gefrühstückt hatten.
Während die Spurensicherung ihre Arbeit machte und Hartmut versprach, sich anschließend Sarah´s Auto vorzunehmen, hatte sich Ben wieder ein wenig gefangen. „Jäger, sie sind raus aus dem Fall, das wird ihnen wohl klar sein?“ sagte die Chefin zu ihm, aber anstatt auszuflippen oder zu explodieren, nickte Ben bloß folgsam mit dem Kopf und Semir konnte es fast nicht glauben.
Mit dem Versprechen, sich bei Semir zu melden, wenn es Neuigkeiten gab und der Ermahnung an Ben, ab sofort zuhause zu bleiben, machte sich die Chefin wieder auf den Weg zur Dienststelle, während Hartmut und sein Team noch eine ganze Weile weitermachten.
„Ich möchte nur vorsichtshalber noch Sarah´s Appartement im Schwesternwohnheim aufsuchen. Der Schlüssel dazu ist zwar weg, vermutlich hat den Sarah eingesteckt, aber vielleicht finden wir dort irgendwas, was uns weiterbringt!“ hoffte Ben und als sie im Wagen saßen machte sich Semir sofort auf den Weg dorthin. „Du brauchst der Chefin ja nichts von meiner „Mithilfe“ zu sagen“ bat Ben seinen Kollegen und der nickte. Ehrensache, dass das unter ihnen blieb.
Als sie im Wohnheim angekommen waren, läutete Ben einfach wahllos an ein paar Türglocken, bis der Summer ertönte und jemand die Haustür öffnete. Dann gingen sie gemeinsam zu Sarah´s Appartement und Ben hatte schon sein Einbruchswerkzeug gezückt, um die Tür, wenn möglich, zu öffnen, da hörten sie plötzlich Musik aus der Wohnung. Ben starrte fassungslos auf den Wohnungseingang, nur um dann heftig auf den Klingelknopf zu drücken, gleichzeitig mit der Faust an die Tür zu donnern und laut „Sarah!“ zu brüllen. Die Musik verstummte und plötzlich war alles ruhig in der Wohnung, aber Semir und Ben waren sich hundertprozentig sicher, dass sie sich nicht verhört hatten.
Ben überlegte fieberhaft, ob er seine Freundin irgendwie verletzt hatte, dass sie ihn nicht sehen wollte. Das konnte doch nicht sein, dass sie sich jetzt vor ihm versteckte. „Sarah, ich bin´s Ben, lass uns über alles reden!“ sagte er, nun ganz sanft und plötzlich drehte sich der Schlüssel, der von innen anscheinend gesteckt hatte, im Schloss und die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt. Ben meinte, seinen Augen nicht zu trauen, als er erkannte, wer vor ihm war. Brutal zwängte er den Fuß in die Tür und drängte Irina, die mit verquollenen Augen vor ihm stand in die Wohnung. Semir folgte ihm und Ben packte Irina, nicht sonderlich sanft, am Oberarm, so dass sie kurz aufschrie, da waren nämlich schon blaue Flecke drunter. „ Was geht hier vor und wo ist Sarah?“ fragte er und Semir und er warteten gespannt auf eine Antwort.