Auch die beiden Ärzte hatten gesehen, was Semir fast das Herz zu Eis gefrieren ließ. „Verdammter Mist!“ fluchte der eine und befahl den Feuerwehrleuten, die Arbeit einzustellen, damit man erstens sehen konnte, wie stark es blutete und zweitens auch die Situation überhaupt einschätzen konnte. Während der Rettungsassistent eine weitere Infusion vorbereitete, die man im Schuss über den relativ großen Zugang am Hals verabreichen konnte, begann auch schon Ben´s Blutdruck zu sinken und der Herzschlag sich zu beschleunigen, was ein Zeichen für einen beginnenden Schock war. Ben begann kalt zu schwitzen und während man zusehen konnte, wie er immer blasser wurde, floss das Blut in Strömen aus seinem Rücken und beschmutzte das Betonkunstwerk. Allerdings getraute sich der Künstler, der zwar auch noch in der Nähe stand, sich aber dann ruhig verhalten hatte, keinen Ton zu sagen-zu sehr hatten ihn die Eröffnungen der Staatsanwältin erschüttert.
Der eine Notarzt fragte die Feuerwehrleute: „Wie lange brauchen sie noch, um das Betonstück abzuschneiden?“ und der eine Feuerwehrmann schätzte in Anbetracht des bisherigen Fortschritts: „Schon noch etwa 15 Minuten!“ woraufhin der Hubschraubernotarzt den Kopf schüttelte. „Die Zeit haben wir leider nicht mehr! Vermutlich ist jetzt ein großes Gefäß eröffnet, er verblutet uns unter den Händen, wenn wir jetzt nicht schnell eine Entscheidung treffen!“
Kurz beratschlagten sich die beiden erfahrenen Ärzte im Flüsterton, um sich dann knapp an ihre Assistenten zu wenden. „Den Hubschrauber in Stand by!“ befahlen sie und der Pilot, der auch bei den Rettungskräften gestanden hatte, setzte seinen Helm auf und machte sich sofort auf den Weg zu seinem Fluggerät, um den Rotor anzulassen und den Abflug vorzubereiten. Man holte aus dem RTW eine große Menge steril verpackter grüner Bauchtücher aus Baumwolle, bereitete nebenbei alles zum Intubieren vor und die beiden Ärzte zogen dann sterile Handschuhe an. Der Rettungsassistent legte noch einige steril einzeln eingeschweißte Instrumente bereit, die Trage vom Hubschrauber wurde direkt neben Ben auf den Boden gestellt und mit wenigen Worten erklärte der Hubschraubernotarzt, was sie vorhatten.
„Wir nehmen ihn jetzt trotzdem von der Spitze runter und versuchen dann vor Ort eine Blutstillung, oder zumindest ein Packing vorzunehmen. Sobald wir das haben, intubieren wir ihn und bringen wir ihn dann so schnell wie möglich in die Uniklinik. Wir können dort auf dem Dach landen und werden organisieren, dass ein OP-Team gewaschen bereitsteht, sobald wir ihn dort haben!“
Sarah streichelte immer noch liebevoll Ben´s Gesicht, der zwar nicht so richtig bei sich war, aber trotzdem die Unruhe um sich herum spürte und außerdem wohl merkte, wie es ihm von Sekunde zu Sekunde schlechter ging. Er hatte die Augen wieder weit geöffnet und fixierte Sarah, der ein schrecklicher Kloß im Hals steckte. „Kann er zuvor nochmals ein wenig Ketanest haben?“ fragte sie, ohne ihren Freund dabei aus den Augen zu lassen, aber eigentlich wusste sie die Antwort schon vorher. „Nein, das würde sein Kreislauf nicht packen! Wir hätten ihn ja schon lange intubiert und voll absediert, aber wir brauchten bis jetzt eine gewisse Menge körpereigenes Adrenalin, um die Körperspannung nicht absinken zu lassen. Allerdings ist jetzt das passiert, was wir von Anfang an befürchtet haben-die Tamponade, die das Betonstück bisher auf die Blutgefäße ausgeübt hat, ist nicht mehr wirksam, vermutlich durch seinen Aufstehversuch vorhin. Jetzt zählt die Zeit, bis wir ihn im OP haben!“ sagte der zweite Notarzt und nickte seinen Helfern zu, die wussten, was sie zu tun hatten. Man hatte Ben nun auch den Helm und den Gehörschutz abgenommen, den brauchte er jetzt nicht mehr.
Auch Semir war voller Entsetzen einen Schritt nähergetreten. Oh Gott! Hoffentlich ging das gut raus, er würde es nicht verkraften können, wenn sein Freund jetzt vor seinen Augen sterben würde! Bis er sich versah, lief die abgesprochene Aktion der Rettungskräfte an und würde Semir vermutlich noch lange in seine Träume verfolgen!