Beiträge von susan

    Nach dem arteriellen Zugang erhielt Ben noch einen zentralen Venenkatheter. Dazu musste er wieder auf den Rücken gedreht werden und als man ihn anfasste, schlug er kurz die Augen auf, sah verständnislos um sich und presste gegen die Beatmungsmaschine. Sofort gab ihm die Intensivschwester einen Bolus des Opiats und des Schlafmittels. Man sedierte die Patienten nur so tief wie nötig, denn diese ganzen Medikamente gingen auf den Kreislauf. Aber bald ließ er sich wieder problemlos beatmen und Sarah, die entsetzt ihren Atem angehalten hatte, ließ ihn nun ebenfalls wieder fließen. Ihr Verstand sagte ihr freilich, dass Ben gar nicht richtig wach gewesen war, aber insgeheim musste sie schon feststellen, dass es etwas anderes war, wenn da irgendein Patient lag, oder der Lebenspartner! Nichtsdestotrotz legte der routinierte Intensivmediziner in Windeseile einen fünflumigen Venenkatheter über Ben´s Schlüsselbeinvene in die große Hohlvene und nun konnte man endlich die Infusionen und Medikamente in den Perfusoren in den richtigen Geschwindigkeiten und Konzentrationen laufen lassen. In die peripheren Gefäße konnte man scharfe Lösungen z.B. gar nicht fließen lassen, da das die Venenwände gereizt, oder zerstört hätte. Beim Fünflumenkatheter kontrollierte man im Anschluss die korrekte Lage kurz vor dem Herzen noch mit einer Röntgenaufnahme. Das dicke Rohr hätte sonst leicht Herzrythmusstörungen hervorgerufen und nachdem Ben da ja eh schon gefährdet war, wollte man das nicht riskieren.

    Außerdem war eine Röntgenaufnahme des Thorax auch im Hinblick auf die vermutete Lungenkontusion sinnvoll und so hoben Sarah und ihre Kollegin den schlaffen Patienten auf die Röntgenplatte und verließen dann alle kurz den Raum, bis die Röntgenassistentin den Auslöseknopf des Röntgengeräts wegen der Strahlenbelastung für die Mitarbeiter von außerhalb des Zimmers gedrückt hatte. Ben hatte man einen Unterleibsschutz aufgelegt und als Sarah und die anderen die Platte und die Bleischürze entfernten, ging ein Drainagebeutel ab und das Bett war voller Blut und Spülflüssigkeit. Allerdings war Ben´s Kreislauf gerade wieder ziemlich instabil durch die Flüssigkeitsverschiebungen bei der Lageänderung und so wurde nur schnell ein frischer Ablaufbeutel aufgeklebt, eine provisorische Unterlage eingelegt, damit Ben nicht in seinem Blut lag und dann ließ man ihn sich erst ein wenig erholen. Als die Intensivschwester ihn nun noch endotracheal absaugte, kam eine Menge älteres Blut aus der Lunge und auch im Urinbeutel war die Farbe eher rot als gelb.

    „Sarah, du weißt doch, dass er mit Sicherheit nochmal was verlieren würde. Durch die Massentransfusion ist halt seine Gerinnung auch völlig durcheinander. Wir kontrollieren das jetzt und gleichen aus, was er braucht und wenn das halt noch die eine oder andere Konserve ist, dann bekommt er die eben. Reg dich nicht auf, das kriegen wir schon!“ sagte ihre Kollegin tröstend, die das Entsetzen Sarah´s bemerkt hatte. „Wenn er sich wieder ein wenig stabilisiert hat, machen wir ihn gemeinsam sauber, aber so lange setzt du dich jetzt wieder zu ihm und hältst seine Hand. Das war jetzt auch für ihn sehr anstrengend, jetzt müsst ihr beide erst wieder zur Ruhe kommen!“
    Sarah nickte-sie wusste ja, dass die erfahrene Intensivschwester Recht hatte. Sie deckten ihn zu und weil die Temperatur erneut auf 34.5°C gefallen war, kam auch das Gebläse wieder zum Einsatz und langsam kam auch Sarah ein wenig runter. Still saß sie neben dem Bett und betrachtete die Gesichtszüge ihres Freundes. Wie lange es wohl dauern würde, bis er sie wieder bewusst wahrnahm?

    Am Flughafen war inzwischen hektische Aktivität zu verzeichnen. Der Leiter des SEK besprach mit Frau Krüger die weitere Vorgehensweise. „Wir können unmöglich das Leben Semir´s gefährden, aber wir können die Verbrecher auch nicht entkommen lassen. Es steht auch völlig außer Frage, dass wir Frau Bukow da in Gefahr bringen und uns auf irgendwelche Tauschgeschäfte einlassen!“ sagte der SEK-Einsatzleiter eindringlich. „Was wir leider auch nicht haben ist Zeit und für eine Hinhaltetaktik sind diese Verbrecher viel zu professionell aufgestellt. Die werden nicht lange fackeln und Semir ein Körperteil nach dem anderen abschneiden, wenn wir auf Zeit spielen. Ich würde vorschlagen, wir gehen zum Schein auf die Forderungen ein, besorgen eine kleine Geschäftsmaschine, die sich für die Flucht eignen würden, benutzen eine Ablenkungsstrategie und stürmen irgendwie das Flugzeug!“ schlug er vor. „Aber wie soll das funktionieren-wie uns Semir mitgeteilt hat, wird er von neun, vermutlich bis an die Zähne bewaffneten Männern, festgehalten!“ sagte Frau Krüger verzweifelt, aber der SEK-Mann lächelte sie an: „Ich habe schon so eine Idee, wie das klappen könnte!“ sagte er beruhigend und ging zu seinen schwarz gekleideten, vermummten Männern, um sich wegen seines Plans mit ihnen zu beratschlagen.

    Andrea kam fast gleichzeitig mit Frau Schrankmann, dem Innenminister und dem Bürgermeister der Stadt Köln am Flughafen an. Während draußen ein Rettungs-und Feuerwehrwagen nach dem anderen auffuhr, versuchte Andrea verzweifelt, den uniformierten Polizisten an der Absperrung davon zu überzeugen, sie reinzulassen. Während die Prominenz schon lange in Richtung Einsatzleitung unterwegs war, diskutierte sie unter Tränen, bis zufällig Dieter Bonrath in ihre Richtung sah und sich sofort aufmachte, sie näherzuholen. „Andrea nicht weinen, wir holen ihn da raus!“ sagte er tröstend und legte beschützend den Arm um sie, während sie langsam näher an den Ort des Geschehens gingen.

    Das geht ja schon mit megamässig Action los!-Sag bloss, warum du uns die Geschichte so lange vorenthalten hast! Bin auf jeden Fall dabei!
    Allerdings musste ich ein wenig wegen der ächzenden Substanzen grinsen...
    Hey-und Ben hätte mal lieber noch ein paar Wochen Auszeit genommen, nicht dass er jetzt versehentlich mal schnell Semir erschiesst!

    Na ich natürlich! Ich habe zwar in den Bergen schon ein wenig Höhenangst, oder wenn ich auf mein Hausdach steigen soll, um etwas zu reparieren, aber Ballonfahren ist so cool! Da meint man ja, selber zu stehen und nur die Welt um einen herum bewegt sich unmerklich-drum heisst es ja auch nicht Fliegen, weil man sich ja mit dem Wind bewegt. Also ich bin dabei, Yon! 8)

    Gut-ich kann es verstehen, dass es für Semir schwer ist, jetzt Alex auf Ben´s Platz auszuhalten, aber es bleibt ihm wohl nichts anderes übrig!
    Allerdings habe ich von meiner primär positiven Einschätzung der Kurklinik ein wenig Abstand genommen. Gerade junge, schlanke Leute wie Ben sollen nicht nur gerade so ausreichend zu Essen kriegen-sowas muss problemlos mit der Küche abzusprechen sein, allerdings verstehe ich auch Ben nicht-es gibt ja schliesslich noch nen Pizzaservice!
    Im Schwimmbad sind sie auch nicht gerade gut ausgestattet-weder ein Lifter, mit dem man Rollstuhlfahrer zu Wasser lassen kann und wenigstens ne Kunststoffnudel als Wasserauftrieb sollte auch vorhanden sein. Allerdings hat die Verrauensprobe mit Kristin ja geklappt!

    Das ist aber schön, dass du bei Leo´s Tombola was für uns abgezwackt hast! Ausser der Eintrittskarte in den Freizeitpark würde mir alles gefallen, also würde ich vorschlagen, wir Gewinner machen alle miteinander mit dem Ballon eine virtuelle Reise von London über Paris nach Pisa-und ihr anderen könnt euch danach noch im Gardaland verlustieren-nur ohne mich, ich hasse Freizeitparks!
    Aber die arme Andrea und Kemal werden tatsächlich in dem Glauben gelassen, dass Semir tot ist und funktionieren nun beide wie gewünscht.
    Auch Annika ist ein Rädchen im Getriebe, Mensch, denkt die nicht nach, wozu Leo wohl die Schlüssel braucht und dass das illegal sein könnte? Aber vielleicht erfährt sie das bald von Semir?

    Wenig später wurde er mit einem Megaphon aufgefordert, sich zu ergeben. Er reagierte nicht, sondern ließ sich von Semir die Handynummer der Chefin sagen, die der erstaunlicherweise sogar auswendig wusste. „Frau Krüger, ich spreche ausschließlich mit ihnen- sie können ihren Polizeipsychologen gerne wieder nach Hause schicken, ich falle auf so Psychogesülze nicht herein!“ teilte er ihr mit-er hatte sich das Handy eines seiner Mitarbeiter dafür geben lassen. Nach einer kurzen Pause, in der sie vermutlich das Handy auf Lautsprecher gestellt hatte, ertönte die Stimme der Chefin wieder. „Sharpov, wie geht es Herrn Gerkan? Ich will sofort mit ihm sprechen und ihn sehen, sonst können wir das Gespräch gleich abbrechen!“ sagte sie und der Polizeipsychologe verdrehte die Augen. Um Himmels Willen, das war doch keine psychologische Gesprächsführung!
    „Ich denke nicht, dass sie in der Position sind, Forderungen zu stellen, Frau Krüger, aber ich will mal nicht so sein!“ sagte er spöttisch und dann ertönte ein kleiner Schmerzensschrei, dessen Absender sie an der Stimme sofort erkennen konnte. „Lassen sie ihn sofort in Ruhe, Sharpov-wir können reden, aber wenn sie meinem Polizisten etwas antun, werden sie diesen Flughafen nicht lebend verlassen!“ rief die Chefin und der Psychologe raufte sich die Haare neben ihr. Du liebe Güte, diese Frau würde nie zu einem Verhandlungserfolg kommen, wenn sie so weitermachte und den Geiselnehmer provozierte!

    „Jetzt reden wir nicht mehr um den heißen Brei herum, ich verlange im Austausch für einen lebenden Mitarbeiter im Ganzen, ein Ersatzflugzeug, voll aufgetankt und ich hätte zusätzlich noch gerne meine liebe Irina, die sich sicher irgendwo da draußen bei ihnen rumtreibt. Sie wollte doch sowieso zurück in die Heimat, nun hat sie die einmalige Gelegenheit dazu! Und ich warne sie-versuchen sie nicht, mich hinzuhalten, oder zu veräppeln, ich beginne in einer halben Stunde damit, ihnen alle 10 Minuten, in denen nichts passiert ein Stück von Herrn Gerkan herauszuwerfen-wir werden mal mit seinen Fingern beginnen und uns dann langsam vorarbeiten!“ sagte er und Semir stellten sich die Nackenhaare auf. Das war keine leere Drohung, das war ihm klar. Du liebe Güte, ob er diese Situation irgendwie überleben konnte, ohne danach verstümmelt zu sein? Einer der Bodyguards holte in aller Ruhe ein großes Messer heraus und begann so zu tun, als würde er es schärfen, während er Semir mit sadistischem Grinsen beobachtete. „Wollen sie noch etwas sagen, Gerkan?“ fragte Sharpov und hielt Semir das Telefon an den Mund. „Chefin, bitte tun sie was er sagt, der macht neunmal ernst!“ teilte Semir verzweifelt mit und fing sich eine Ohrfeige von Sharpov ein. „Hier werden keine Informationen ausgetauscht! In Zukunft hältst du die Klappe!“ fauchte Sharpov und legte dann einfach auf.

    Andrea hatte in ihrer Verzweiflung Susanne daheim angerufen, die versprach, sofort zu kommen und auf die schlafenden Kinder aufzupassen. Die hatte bisher noch gar nicht mitgekriegt, was für ein Drama sich am Flughafen gerade abspielte. Als sie wenig später bei den Gerkan´s zuhause eintraf, setzte sich Andrea ins Auto und fuhr, alle Geschwindigkeitsregeln missachtend, durchs nächtliche Köln zum Flughafen. Hoffentlich war Semir noch nichts passiert!

    Im Krankenhaus hatte Ben´s Körpertemperatur inzwischen die 35°C Marke überschritten. Als der Arzt und eine Schwester nun mit dem Eingriffswagen zur Tür hereinkamen und das große Licht anmachten, erwachte Sarah völlig verwirrt und musste sich erst kurz orientieren. Als sie allerdings ihren immer noch geisterhaft blassen Freund beatmet vor sich liegen sah, war sie leider Gottes sofort wieder im Geschehen und streckte nach dem Aufstehen erst mal ihre schmerzenden Glieder.
    „So, als Erstes legen wir eine Arterie in die Radialis und danach einen ZVK!“ kündigte der Arzt an und die Schwester hatte schon Ben´s Arm ein wenig nach vorne gezogen und so gedreht, dass der Arzt an die typische Stelle kurz oberhalb des Daumengrundgelenks herankam. Sarah trat ein wenig zur Seite und nahm wie selbstverständlich die Hand und hielt sie ein wenig überstreckt fest, damit der Arzt gut rankam. Der nickte ihr lächelnd zu und begann sich nun erst einmal die Hände zu desinfizieren, bevor er sich steril anzog. „Wenn sie lieber rausgehen möchten, Sarah…?“ fragte er, aber die schüttelte entschlossen den Kopf. Sie würde bei Ben bleiben und alles mit ihm gemeinsam durchstehen, auch diese Routineeingriffe, deren Assistenz bei ihr zum täglichen Brot gehörte. „Mir wird schon nicht schlecht!“ teilte sie dem Arzt deshalb mit und der begann nun, seinen sterilen Tisch vorzubereiten und die Hautdesinfektion durchzuführen. Wenig später lag der arterielle Zugang in der Arterie, wurde noch gut von Sarah und ihrer Kollegin verklebt und Sarah stellte fest, dass dieser Arzt eine wahnsinnige Routine hatte. Obwohl das nicht ihre eigene Intensivstation war und sie die Mitarbeiter dort auch teilweise nur vom Sehen her kannte, fühlte sie, dass Ben dort hervorragend aufgehoben war. Gemeinsam würden sie es schon schaffen, den wieder auf die Beine zu bringen!

    Puh, das hat Semir aber toll gemacht! Trotz Gehirnerschütterung schaltet er drei bewaffnete Verbrecher aus und fährt danach sogar noch in sein Haus.
    Dass der Weg zu seiner Familie über Leo´s Club führt, hat er ja gut kombiniert, allerdings hätte er schon gleich mal in der PASt Bescheid geben können-dann hätte er auch erfahren, dass wenigstens seine Kinder in Sicherheit sind! Aber an sowas denkt er anscheinend gar nicht, sondern will sein Ding einfach durchziehen. Gut, dass Ben Bescheid weiss und auch Alex an der Sache dran ist-gemeinsam werden sie es hoffentlich schaffen, Andrea zu befreien und die Verbrecher dingfest zu machen!
    Übrigens ist das mit den Loriotsketchen so eine Sache, ich bleibe da immer bei youtube hängen und schaue und schaue....-sehr kontraproduktiv, wollte doch eigentlich vor dem Reiten noch ein paar Fenster putzen! ;)

    Okay, nachdem Kristin uns jetzt allen etwas voraus hat, :D , hilft sie Ben, sich etwas anzuziehen. Meinst du, der besitzt echt nen Pyjama, Elli? Ich dachte immer, sowas hat nur mein Mann? :rolleyes:
    Aber nun haben die zwei so engen Körperkontakt, dass es frei nach Klaus Lage, einfach Whooom gemacht hat-so lässt sich auch Ben´s anhaltend gute Laune erklären.
    Nun hat Gerner aber eine lange Behandlungspause für so einen schweren Fall gemacht, nur um danach festzustellen, dass er eigentlich gar nicht mehr so dringend gebraucht wird. Aber die Urschreitherapie war sicher sehr eindrucksvoll-für Ben und für die Mitpatienten! ;)

    Die nahmen als allererstes die Decke aus Ben`s Bett und drehten ihn auf den Rücken, damit man ihn notfalls reanimieren konnte. „0,5 mg Atropin!“ ordnete der Arzt an und eine der Schwestern zog es sofort auf und spritzte es in den Zugang an Ben´s Hals. Die Herzfrequenz betrug nur noch knappe 10 Schläge pro Minute und nun hob man den Patienten kurz an, um ein Reanimationsbrett unter seinen Rücken zu schieben. Sarah konnte nur denken: Gut, dass er es wenigstens nicht spürt-wie hätte das sonst wehgetan mit der harten Unterlage direkt an der frischen OP-Wunde. Als der Pulsschlag nochmals langsamer wurde, schlug der Arzt mit der Faust einmal mit voller Wucht mitten auf das Brustbein in den Solarplexus, das dort liegende Nervenbündel. Manchmal half so ein sogenannter präkardialer Faustschlag das Reizleitungssystem des Herzens wieder zu stimulieren und tatsächlich-war es dieser Schlag, oder wirkte das Atropin? Auf jeden Fall stieg die Herzfrequenz langsam wieder an. Erst bei 20, dann 30 Schläge pro Minute und dann pendelte sich die Frequenz so um die 80 ein.

    „Das war eine Sinusbradykardie, vermutlich wegen der Hypothermie!“ diagnostizierte der Arzt. „Bitte noch schnell ein EKG schreiben und dann wieder weitererwärmen!“ befahl er und nachdem eine Schwester das 12-Kanal-EKG geschrieben hatte, wurde das Brett wieder unter Ben herausgezogen, er selber auf die diesmal andere Seite gedreht und das Gebläse wieder unter die Zudecke gesteckt. Sarah, die immer noch zitternd in der Ecke stand und fix und fertig war, wurde wieder auf einen bequemen Stuhl neben ihren Freund gesetzt und das grelle Licht gelöscht. Als die Anspannung bei ihr nachließ, begann die Tränen zu fließen und während sie sich krampfhaft an Ben´s Hand festhielt , sagte sie leise zu ihm: „Du darfst mich nicht verlassen, hörst du, ich brauche dich doch!“ und immer wieder entrang sich ein Schluchzen ihrer Kehle. Ihre Kollegen brachten ihr eine Tasse heißen, gut gesüßten Tee und zwangen sie regelrecht, den zu trinken. Bei Ben blieb nun alles ruhig und langsam begann die Körpertemperatur zu steigen.

    Als sie bei 34°C angelangt war, beschloss Sarah es zu wagen und kurz zur Toilette zu gehen. Außerdem war ihr siedendheiß eingefallen, dass sie ja versprochen hatte, Semir Bescheid zu sagen, wenn Ben aus dem OP kam. Sie wählte seine Nummer, aber an sein Telefon ging nur die Mailbox ran. Ohne irgendetwas darauf zu sprechen, legte Sarah, ein wenig verwundert, wieder auf. Gut-Semir würde sicher zurückrufen, wenn er ihren Anruf im Speicher entdeckte. Nachdem sie sich kurz frischgemacht hatte, ging sie wieder zu ihrem Freund zurück, um ihm in diesen schweren Stunden nahe zu sein, egal, ob er es wahrnahm, oder nicht. Sie setzte sich wieder an sein Bett, legte den Kopf neben Ben auf die Decke und als wenig später ihre Kollegin ins Zimmer kam, musste sie fast lächeln, denn Sarah war in dieser, sicher sehr unbequemen Lage, einfach eingeschlafen. Leise verließ sie das Zimmer wieder. Die Überwachungsparameter waren soweit in Ordnung und jetzt konnte man sowieso nur warten, bis die 35°C erreicht waren, um dann die Verkabelung zu beginnen.

    Semir saß inzwischen weiter fest verschnürt auf seinem Sitz im Flugzeug und wartete voller Bangen, was als Nächstes geschehen würde. Während eilig der psychologisch geschulte Verhandlungsführer der Polizei herbeigerufen wurde, das SEK anrückte und nun der Flughafen gesperrt und weiträumig abgeriegelt wurde, überlegte Sharpov, wie er seine Verhandlungen am besten beginnen sollte. Er saß mit dem Polizisten als Geisel am längeren Hebel, aber nun musste bald etwas geschehen, bevor die Müdigkeit von ihnen allen Besitz ergriff. Außer für den Piloten, der ja vorgeschlafen hatte, war es für alle ein langer Tag gewesen. Aber er würde sich nicht kampflos ergeben, sondern noch diese Nacht nach Almaty zu seiner Frau und den Kindern fliegen-und er wusste auch schon, wen er noch mitnehmen würde!

    Ja silli, da muss ich dir zustimmen! Ich glaube auch nicht, dass die Friede-Freude-Eierkuchenstimmung bei Ben lange vorhält! Allerdings finde ich es gut, dass er sich von Kristin helfen lässt, im Bezug aufs Baden, als auch sonst-die hat vermutlich zwar schon mehr nackte Männer gesehen, aber ehrlich gesagt-ich hätte ihn da auch ausgezogen, ganz selbstlos natürlich! :D -pfui, Susanne!
    Ich empfinde es auch als gutes Zeichen, wenn Ben singt, aber über Semir bin ich ebenfalls verwundert! Gibt der doch am Telefon, ohne die Identität und Glaubwürdigkeit des Psychologen weiter zu prüfen, Auskunft über intime Details aus dem Leben seines besten Freundes-das hätte ich mich nicht getraut, ohne mit Ben Rücksprache zu halten! Gerade weil sich die Erfahrungen von Semir und Ben ja auch decken....

    Die armen Gerkan´s-und zwar alle-von Semir desen Verbleib momentan ungeklärt ist, über Andrea, die sich schreckliche Sorgen um Mann und Kinder macht und dann noch ihrem Schwager als Druckmittel präsentiert wird, über die Kinder, die ein besonderes Martyrium durchmachen. In diesem Alter hätten meine Kinder nie die Schals draufgelassen, aber Ayda wächst als grosse Schwester wahrlich über sich hinaus und beschützt Lilly und bringt sie beide unbeschadet zu Susanne, der vertrauten Freundin.
    Auch Kemal tut mir leid, denn auch wenn er eigentlich die Sache eingebrockt hat-jetzt muss er erkennen, dass er zwar seine Frau und sein Kind in Sicherheit bringen konnte, aber dafür die Familie seines Bruders in Gefahr gebracht hat. Ob ihm Andrea sagen kann, dass sie befürchtet jetzt Witwe zu sein und das der Grund für das Versteckspiel und die Schüsse im Wald war?
    Sehr spannend, Yon-ich hoffe, der Kurzurlaub war schön!

    Während er die Hand vom Gurtschloss nahm und blitzschnell nach seiner Waffe griff, die ja im Holster direkt daneben steckte, sagte der russische Bodyguard mit slawischem Akzent: „Das würde ich nicht tun!“ und hielt seinerseits seine entsicherte Waffe an Semir´s Schläfe. Der nahm beide Hände hoch und hoffte, dass er in einer Minute noch einen Kopf haben würde, da fuhren mit Blaulicht zwei Fahrzeuge der Flughafensicherheit an, blendeten ihre Scheinwerfer auf und fokussierten so die gespenstische Szene. Die Beleuchtung des Jets tauchte ebenfalls die Flugbahn und das geschrottete Fahrzeug in eine gespenstische Beleuchtung und als die Sicherheitsleute nun aus ihren Fahrzeugen sprangen und hinter denen in Deckung gingen, hörte Semir, wie einer hektisch ins Funkgerät rief: „Wir haben eine Geiselnahme!“ und dann wurde es gespenstisch still.

    Immer noch mit der Waffe am Kopf wurde Semir von den anderen drei grob aus dem Fahrzeug gezerrt und dann die Gangway nach oben geschleppt, ohne dass einer der Flughafensicherheitsleute zum Schuss kommen, oder sonst etwas unternehmen konnte. Semir hatte die vier Männer erkannt, die gerade dabei waren, ihn zu entführen. Es waren die Schützen, die Melanie erschossen hatten-nach ihren Fahndungsbildern waren sie für ihn klar zu erkennen. Da hatte er nicht mit Gnade zu rechnen, denn die hatten nichts zu verlieren.
    Kaum war er im Flugzeug angekommen, in dem sich außer Sharpov noch drei weitere russische Männer mit Verbrechervisagen und der Pilot befanden, wurde die Gangway wieder hochgefahren und die Tür zu seinem Gefängnis geschlossen. Sharpov baute sich drohend vor ihm auf und sagte mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme: „Guten Abend Herr Gerkan, lange nicht mehr gesehen!“ und schenkte ihm ein Haifischlächeln.

    Semir sah zu Boden und sagte gar nichts. Mann dass seine Aktion solche Folgen für ihn haben würde, hätte er sich in seinen wildesten Träumen nicht vorstellen können! Während die Bodyguards ihn professionell an Händen und Füßen mit Kabelbindern fesselten und zusätzlich noch an einem Sitz festmachten, sagte Sharpov, der zunächst auf russisch mit seinen Männern ein paar Worte gewechselt hatte- vermutlich hatten sie ihm erklärt, dass mit diesem defekten Fahrwerk keiner mehr starten würde-nun zu ihm: „Jetzt werden wir mal sehen, was dem deutschen Staat einer seiner Beamten wert ist-ich würde sagen, sie sind mein Schlüssel zur Freiheit, willkommen an Bord!“ und setzte sich dann Semir gegenüber, der nun hilflos durch die Scheiben nach draußen sehen konnte, wie die Chefin mit weiteren Polizei- und Zivilfahrzeugen am Entführungsort eintraf und mit einigem Abstand zum Flugzeug mit Schutzweste gesichert aus dem Wagen sprang, erst mal dahinter in Deckung ging und sich versuchte, einen Überblick über die Situation zu verschaffen.

    Die ersten Fernsehkameras liefen an und berichteten im Liveticker auf allen Nachrichtenkanälen, mit Bild der gespenstischen Szene aus der Entfernung, von der Geiselnahme am Köln-Bonner Flughafen. Andrea, die um sich abzulenken bis ihr Semir über Ben´s Zustand Bescheid geben würde, den Fernseher eingeschaltet hatte, starrte fassungslos auf das Wrack von Semir´s BMW, an dem man noch das Kennzeichen erkennen konnte. Eine eiskalte Hand griff nach ihrem Herzen, als sie im Hintergrund Frau Krüger, Bonrath und Jenni erkannte und sie wählte mit zitternden Händen Semir´s Handynummer. Im Fahrzeug begann der bekannte Klingelton zu ertönen,so dass die Sicherheitsleute verwundert hinsahen, aber Semir, dessen Handy da in der Halterung lag, ging natürlich nicht ran-wie sollte er auch-und Andrea wählte nun die Nummer der Chefin und sah im Fernsehen, wie die nach ihrem Telefon griff und kurz darauf am Apparat war. „Frau Krüger, sagen sie mir, dass es nicht wahr ist!“ rief Andrea mit zitternder Stimme ins Telefon, aber die Chefin sagte nur leise: „Leider doch, Andrea, leider doch!“

    Im Krankenhaus hatte Sarah ganz fest Ben´s Hand gehalten, als plötzlich ein roter Alarm an Ben´s Monitor losging. Immer langsamer schlug dessen Herz und während Sarah erschrocken aufsprang rollten ihre Kollegen schon den Notfallwagen herein und machten die helle Deckenbeleuchtung an. „Lieber Gott, bitte lass ihn nicht sterben!“ flehte Sarah, die vernünftigerweise nun einen Schritt zurückging und den Arzt und ihre Kollegen ihre Arbeit machen ließ.

    Semir öffnete benommen die Augen. Das Erste, was er sah war, dass sein neuer, silberner BMW, den er erst wenige Wochen zuvor nach einem Totalcrash bekommen hatte, nur noch ein Haufen verbeultes Blech war. Er war mit vollem Tempo schräg in das Fahrwerk des Lear-Jets gefahren und hatte dieses geschrottet. Befriedigt konstatierte er, dass Sharpov mit diesem Flugzeug wohl im Augenblick nirgendwohin mehr fliegen würde. Der Motor des BMW war ausgegangen, aber weil alle Airbags sich geöffnet hatten und er sich auch beim Aufprall bewusst steif gemacht hatte, war ihm außer Prellungen anscheinend nichts passiert, wie er nach einem kurzen Check seinerseits feststellen konnte. Hoffentlich würde die Chefin das verstehen, dass er keine andere Möglichkeit gehabt hatte, Sharpov aufzuhalten-und was war schon ein geschrottetes Auto gegen die Festnahme eines Drogendealers und Mörders?

    Konzentriert versuchte er sich abzuschnallen, denn der Gurt saß noch straff an ihm und hatte ihn zuverlässig im Sitz gehalten. Nur gab er jetzt keinen Millimeter nach und das Gurtschloss war anscheinend auch verbogen. Während er noch am Verschluss rüttelte, sah er plötzlich, wie über ihm die ausklappbare Gangway herunterfuhr und nun verstärkte er seine Bemühungen, frei zu kommen. Vermutlich würde Sharpov wissen, dass er verloren hatte und nun seine Anwälte ans Werk lassen, aber so hundertprozentig traute er ihm nicht. Vier paar Beine, gekleidet in Jeans, kamen eilig die Gangway herunter und was Semir nun den Schweiß auf die Stirn trieb, war der Anblick der Waffen, die sie alle vier in den Händen hielten. Verdammter Mist, anscheinend war Sharpov doch nicht bereit, sich kampflos zu ergeben! Verzweifelt rüttelte er an seinem Gurtschloss, aber gerade als er merkte, dass es nachgab, hörte er, wie eine Waffe entsichert wurde und erstarrte in seinem Sitz zur Salzsäule.

    Ben war inzwischen auf der chirurgischen Intensiv angelangt. Der behandelnde Arzt überlegte kurz, ob es eine gute Idee war, seine Freundin bei der Versorgung mithelfen zu lassen, aber aufseufzend konstatierte er, dass er bei einem Verbot seinerseits vermutlich das komplette Pflegepersonal gegen sich haben würde und darum hoffte er, dass Sarah´s Professionalität Oberhand vor ihren Emotionen behalten würde.

    Das Bett wurde auf seinen Bettplatz gefahren und erst einmal hängte man den Patienten an das stationäre Beatmungsgerät um, das einfach viel feiner eingestellt werden konnte, als das transportable. Der Transportmonitor wurde in die Halterung am Kopfende des Bettes gesteckt und meldete sich selbstständig am Hauptgerät an, so dass alle Daten aufgezeichnet und gespeichert wurden. Um Ben´s Oberarm war eine Blutdruckmanschette geschlungen, die alle 5 Minuten den Blutdruck maß, allerdings begannen wegen der jedesmal unterbrochenen Durchblutung nun seine Finger auf dieser Seite schon blau zu werden. Er brauchte auf jeden Fall bald eine Arterie und einen ZVK, aber als der Arzt nun auf dem Monitor die aktuelle Körpertemperatur sah, die über ein Datenkabel am Blasenkatheter aus dem Körperinneren übermittelt wurde, zeigte die nur noch 33°C an und solange sein Patient nicht mindestens 35°C Körpertemperatur erreicht hatte, würde er gar nichts machen! Die Pflegekräfte hatten an die verschiedenen Drainageklebebeutel auf Ben´s Rücken schnell sterile Ablaufbeutel angebracht und in Halterungen unten ans Bett gehängt, damit man die Wundsekretion beurteilen konnte und dann wurde Ben nur noch warm zugedeckt und das sogenannte Thermacair, ein Warm-oder Kaltluftgebläse, das stufenweise von 25°C bis 42°C eingestellt werden konnte, unter seine Decke gesteckt. Während die 42°C warme Luft nun von unten die Zudecke bauschte, hatten die Pflegekräfte einen Stuhl für Sarah neben das Bett gestellt und bedeuteten ihr, sich jetzt dorthin zu setzen und Ben´s Hand zu halten.

    Der hatte sich kurz geregt und sogar die Augen einen kleinen Spalt geöffnet, ohne aber bewusst irgendetwas um sich herum wahrzunehmen. Eine Pflegekraft hatte draußen inzwischen die Sedierungsperfusoren hergerichtet und nachdem der Blutdruck grenzwertig niedrig war, hatte man an die Nadel in der Ellenbeuge nun noch Arterenol, ein kreislaufstützendes Medikament, angehängt. Wenig später flossen das starke Schmerz-und Schlafmittel in Ben´s Venen und er schlief nun wieder ganz ruhig vor sich hin und ließ sich problemlos beatmen. Sarah saß angespannt neben ihm und hielt ganz fest seine eiskalte Hand. Auch wenn er sediert war, er würde ihre Anwesenheit spüren, sie wusste es! Der Arzt nahm aus einer Vene an der Hand noch Blut ab, damit man die aktuellen Laborwerte bestimmen konnte und dann löschte man erst einmal das grelle Licht und sorgte für eine angenehmere Beleuchtung, bis Ben soweit aufgewärmt war, dass man ihn weiter behandeln und verkabeln konnte.

    Das psychologische Gespräch geht weiter und immer mehr wird Ben´s Kampfeswillen geweckt. Er will wieder mit Semir Streife fahren und mit dessen Kindern laufen, springen und schwimmen. Der Psychologe erkennt aber auch, wie schwer Ben-auch noch von dem letzten Fall- traumatisiert ist.
    Im Anschlussgespräch mit Kristin stellt Gerner fest, dass Ben der Physiotherapeutin ausnehmend gut gefällt-obwohl er sich zur Zeit ja nicht sonderlich nett benimmt. Sie wollen Semir miteinbeziehen, was sicher eine gute Idee ist. Gemeinsam werden sie Ben schon wieder im wahrsten Sinne des Wortes, auf die Füsse bringen!

    Von unterwegs hatte Semir mit der Chefin über sein bluetooth-System konferiert. „Was sagen die am Flughafen? Ist Sharpov´s Maschine noch am Boden?“ wollte er wissen. „Semir, anscheinend im Augenblick schon noch, leider wurde die Starterlaubnis schon erteilt und die Maschine befindet sich gerade auf dem Weg zur Startbahn Nr.2!“ erklärte ihm die Chefin. „ Ich habe schon versucht, die Flughafenbetreiber vor Ort zu einem Eingreifen zu bewegen, aber bis da eine offizielle Anordnung ergeht, kann das Stunden dauern und bis dahin ist Sharpov schon lange in der Luft. Wir werden natürlich sofort versuchen, in Almaty ein Auslieferungsgesuch zu stellen, aber ob das klappt, wissen wir leider nicht!“ informierte ihn die Chefin. Semir, der inzwischen am nächtlichen Flughafen angekommen war, sah den Learjet langsam zur Startbahn 2 rollen. Wenn er jetzt versuchte, mit offiziellen Mitteln eine Zufahrtserlaubnis zum Flughafen zu erreichen, dann wäre Sharpov weg und Semir war sich sicher, dass dem in Kasachstan nichts passieren würde-zu reich und einflussreich war er geworden. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, ihn für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen und das war, jetzt den Start des Jet´s zu verhindern. Nachdem er sich kurz orientiert hatte, setzte Semir ein wenig zurück, um dann mit Vollgas auf einen Lieferweg zum Flughafen zuzuhalten, der von einem nicht sehr massiven Maschendrahttor verschlossen wurde. Es knallte, als er mit Vollgas das Tor mitnahm und damit auch schon auf dem Flughafengelände war. Hinter ihm begannen Sirenen zu heulen, aber Semir war schon auf dem Weg zum nächsten Tor, das die Start-und Landebahnen vom Rest des Flughafens abtrennte. Draußen sprangen aufgeregt gestikulierende Sicherheitsleute in ihre bereitstehenden Fahrzeuge, der Fluglotse versuchte den bereits begonnenen Start des Learjets und aller anderen Flugzeuge, die für einen vormitternächtlichen Nachtflug vorgesehen waren, abzubrechen, aber der russische Pilot tat so, als hätte er nicht gehört und begann gerade, das Flugzeug zu beschleunigen.

    Semir presste die Kiefer zusammen, schaltete auf den dritten Gang herunter und drückte, parallel zum Jet fahrend, das Gaspedal voll durch. Der Pilot sah überrascht, wie unter, bzw. neben ihm ein silberner BMW Fahrt aufnahm und bei der Beschleunigung sogar mithielt. Bevor er weiter reagieren konnte, rummste es plötzlich und der BMW war voll in das Fahrwerk des Jets gefahren. Es quietschte und ruckelte, die Passagiere des Jets wurden ordentlich durchgeschüttelt, aber dem Piloten blieb nichts anderes übrig, als nun voll auf die Bremse zu steigen und den Start abzubrechen. Sharpov hatte aus dem Fenster gesehen und erkannt, wer ihn da verfolgte. „Schnell, zieht den BMW aus dem Fahrwerk, erledigt den Fahrer, wenn das noch nötig ist und macht dann den Jet wieder starttüchtig!“ brüllte er seine Bodyguards an, die sich wieder abschnallten und nun ungeduldig warteten, dass der Pilot ihnen die Türen des Jets öffnete und sie das Flugzeug verlassen konnten.

    Während der Anästhesist, sein helfender Assistenzarzt und die Narkoseschwester Ben vorsichtig zur Schleuse rollten, griff der Springer, der danach den OP aufräumen und für die nächste Operation, eine Appendektomie, vorbereiten musste, noch kurz zum Telefon. „Die OP ist beendet, Herr Jäger wird jetzt auf die Intensivstation gebracht und ist gerade leidlich stabil!“ teilte er dem Intensivarzt der Inneren mit, der das auch gleich an Sarah weitergab. Die sprang, wie von der Tarantel gestochen, auf und raste zur Schleuse um ihren Freund mit in Empfang zu nehmen.

    Ihre Kollegen von der chirurgischen Intensivstation, die mittels Krankenhausbuschtrommel schon gehört hatten, dass Sarah´s Freund bei einem Polizeieinsatz schwer verletzt worden war und nun zu ihnen kommen sollte, begrüßten sie freundlich. Gespannt wartete Sarah mit ihren Kollegen darauf, dass der Schleusentisch herüberfuhr und ihr den wichtigsten Menschen in ihrem Leben näher brachte. Die abholenden Kollegen hatten einen Transportmonitor, ein tragbares Beatmungsgerät und mehrere Perfusoren mitgebracht. Während die Gurte gelöst wurden, die Ben bisher in Bauchlage auf dem Tisch festgehalten hatten und dann das Fließband unter ihn fuhr, machte der Anästhesist die ärztliche Übergabe an seinen abholenden Kollegen. „33jähriger Patient, wurde bei einem Sturz von einem Betonkonus gepfählt, dabei kam es zu schweren Leberverletzungen, so dass eine Leberlappenresektion nötig wurde. Er ist kreislaufinstabil, hat eine Massentransfusion mit insgesamt 16 Erythrocytenkonzentraten gebraucht, 6 FFP´s, 2000 Einheiten PPSB, AT3 und die ganze Latte an Vitaminen hat er schon bekommen. Initial war das Hb nur bei 3,1, bei der letzten Kontrolle waren wir bei 7,2. Er hat zusätzlich noch eine Nierenkontusion, so wie es aussieht eine Lungenquetschung und wird momentan mit 50% Sauerstoff kontrolliert beatmet.
    Einen Streifschuss an der Hüfte haben wir nur verbunden, den müsste man beobachten, der ist aber nicht tief und ich muss mich entschuldigen, ich konnte leider durch die Bauchlage weder eine Arterie noch einen ZVK legen, wir haben Gott sei Dank einen großen peripheren Zugang vom Notarzt in der vena carotis externa liegen und haben es noch geschafft in der Ellenbeuge einen zweiten zu legen, aber jetzt müsst ihr ihn erst mal aufwärmen, die letzte gemessene Temperatur war nur bei 33,6°C!“ informierte er den Kollegen.

    „Wir werden ihn schon noch vollständig verkabeln, keine Sorge, aber jetzt muss er sich erst einmal ein wenig stabilisieren!“ sagte der aufnehmende Intensivarzt und übernahm mit behandschuhten Händen Ben´s Kopf zur Stabilisierung und hielt dabei den Tubus eisern fest, damit der beim Umlagern nicht herausrutschte. Dann steckte sein eigenes Beatmungsgerät darauf und die Schwester der chirurgischen Intensiv wechselte noch schnell die Überwachungskabel auf das stationseigene Gerät. Sehr vorsichtig hatte man Ben nun in Seitenlage ins vorgewärmte Bett gleiten lassen und steckte gleich ein Lagerungskissen in seinen Rücken, damit er in Seitenlage transportiert werden konnte. Sarah, die einerseits entsetzt war, als sie das furchtbar niedrige Hb gehört hatte, aber andererseits heilfroh war, dass ihr Schatz noch lebte, deckte ihn schnell zu und schon ging die Fahrt zur Intensivstation los.

    Ja das ist psychologische Gesprächsführung ! Mit gezielten Fragen den Patienten so weit bringen, dass er selber feststellt, was los ist.
    Jetzt muss irgendwie Ben´s Kampfeswillen geweckt werden und immerhin lügt er den Psychologen nicht an, sondern beantwortet sehr wahrheitsgemäß dessen Fragen. Aber das wird noch ein langer Weg werden !
    Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass er nun nicht mehr jedem Psychologen blind vertraut, seitdem er und Semir in Ellis letzter Story so von einem gequält wurden!

    Der Chirurg hatte inzwischen das elektrische Messer angesetzt, das nun zischend durch das Lebergewebe fuhr. Der Vorteil daran war, dass so gleichzeitig das zerstörte Organteil abgetrennt wurde und die kleinen Blutgefäße dabei in einem Aufwasch verschweißt wurden. Trotzdem standen die Blutungen nicht sofort, sondern es lief an mehreren Stellen immer noch in kontinuierlichem Strom der rote Saft aus dem Organ, um dann abgesaugt im Sauger zu landen. Der Anästhesist war inzwischen bei der insgesamt 15. Blutkonserve angekommen und hatte im Labor gleich nochmals 5 nachkreuzen lassen. Allerdings gelang es nun die großen Gefäße so zu verschließen, dass sie Ruhe gaben und als der Chirurg nun vorsichtig nach weiteren Verletzungen und Blutungen sah, konnte er nichts mehr feststellen.

    „Bitte den Fibrinkleber vorbereiten!“ bat er die instrumentierende Schwester, die sich das Gewünschte auch gleich vom Springer anreichen ließ. Dieser Kleber bestand aus körpereigenem Material, also Fibrin, musste auch als Fremdeiweiß dokumentiert werden, aber er hatte fast dieselben Eigenschaften wie Pattex. Man konnte damit Körpergewebe kleben und eben auch Blutgefäße verschließen, die sich wegen der Schwammigkeit des Organs sonst weder unterbinden noch umstechen ließen. Der Operateur trug den nun flächig auf und es gelang ihm so auch, die kleinen Blutungen weitgehend zum Stehen zu bringen. Danach musste er zwar die Handschuhe wechseln, weil auch die klebrig waren, aber der Spezialkleber hatte seinen Dienst getan.

    Auch der Anästhesist drängte nun zur Eile. Obwohl Ben ja auf einer warmen Gelunterlage lag und gut zugedeckt war, zeigte die Temperatursonde, dass er ziemlich ausgekühlt war, was wiederum zu Herzrythmusstörungen führen konnte. Die Anästhesieschwester hatte zwar versucht mittels eines Spezialgebläses um die Schultern des Patienten ein wenig Wärme in ihn zu bringen und die laufenden Infusionen kamen alle aus dem Wärmeschrank, aber die kalten Blutkonserven senkten seine Temperatur immer weiter. Wenn man Blut langsam verabreichte, wie es normalerweise üblich war, bestand die Möglichkeit den Schlauch , durch den es in den Patienten floss, zu wärmen, so dass es mit 37°C ankam, aber leider versagte diese Methode bei der sogenannten Massentransfusion, die Ben erhalten hatte. „Es wird langsam Zeit, dass wir ihn in ein Bett und auf die Intensiv bringen, viele Reserven hat er nicht mehr!“ erklärte der Narkosearzt und der Operateur nickte folgsam. Er hatte eigentlich nicht gedacht, dass es klappen würde und wenn er das zerfetzte Leberstück ansah, das inzwischen bei der OP-Schwester in einer Edelstahlschale auf dem Instrumententisch lag, dann war er froh, sich für diese Vorgehensweise entschieden zu haben. „Hat der Patient nun Nachteile zu befürchten, weil ein Teil seiner Leber entfernt wurde?“ wollte der junge Assistenzarzt, der immer noch gewissenhaft und gefühlvoll die Haken hielt, wissen. Das würde einen Muskelkater geben! Fast eine Stunde in einer äußerst unphysiologischen Haltung am Tisch zu stehen und teilweise auch mit Kraft die stumpfen Roux-Haken auseinanderzuziehen war eine Leistung für sich. Allerdings hatte er so einen Adrenalinausstoß gehabt, dass er seine körperliche Erschöpfung gar nicht so richtig gespürt hatte. Bei einer Baucheröffnung von vorne hätte man einen Rahmen verwenden können, an dem die Haken eingehängt wurden, aber bei diesem Zugang war das leider nicht möglich.

    Der Operateur antwortete nun dem jungen angehenden Chirurgen. „Ich denke nicht, dass da von der Leber her Spätschäden auftreten. Wenn man eine Leberlappentransplantation vornimmt haben die Spender auch keine Nachteile zu befürchten, aber die nächsten Stunden und Tage werden jetzt zeigen müssen, ob unser Patient dieses große Trauma überleben kann. Auch wenn die Blutung jetzt momentan steht, ist er noch nicht überm Berg. Da kann noch so viel kommen, aber das werden unsere Anästhesisten und Intensivmediziner schon im Griff haben!“ sagte er mit einem Lächeln und begann nun schichtweise den Wundverschluss, beginnend mit einer Naht am Zwerchfell. Auch die gut ausgeprägten, aber teilweise eben auch zerfetzten Rückenmuskeln wurden sorgfältig vernäht. „Da wird er noch viel Rückengymnastik und Massagen brauchen, bis das ganze System wieder problemlos funktioniert, aber das ist erst mal Zukunftsmusik!“ sagte der Operateur und machte zügig fertig. Einige Drainagen wurden noch eingelegt und der Narkosearzt, der mehrmals einen Blick auf den Urinbeutel geworfen hatte, atmete auf. „Der wenige Urin, der während der Operation gekommen ist, ist nur leicht blutig, also gehen wir momentan nur von einer Nierenkontusion aus. Wir werden da mit Ultraschall auf Station gründlich nachschauen, aber anscheinend blutet er zumindest nicht akut ins Nierenbecken!“ informierte er den Operateur, der nun ebenfalls aufatmete. Eine weitere Operation durch den Urologen hätte sein Patient fast mit Sicherheit nicht mehr überstanden!
    Endlich wurde ein dicker Verband angelegt, mehrere Drainagebeutel angeschlossen und nun rief man die chirurgische Intensivstation zur Abholung ihres beatmeten Polytraumapatienten an.

    Semir war inzwischen mit Vollgas und Blaulicht die 18 Kilometer zum Flughafen gerast. Hoffentlich war er noch nicht zu spät!

    Oh nein!
    Das ist echt gemein Yon, an so einer Stelle eine Pause zu machen! Nachdem wir ja die Vorschau gelesen haben, kann es fast nicht Semir´s Ende sein, da im Wald, aber vermutlich soll Andrea genau das glauben.
    Die armen Kinder-werden von ihren Eltern getrennt und dann entführt! Auch wenn ihnen körperlich nichts geschieht-traumatisiert sind die allemal!
    Kenan wird mit Sicherheit alle Schlüssel nachmachen, die man ihm vorlegt-das würde ich in seiner Situation auch so machen-allerdings würden die bei mir später dann nicht passen ;) , aber schaun wir mal, was du dir da ausgedacht hast.
    Schönen Kurzurlaub und erhol dich gut! Und bis Freitag geht gar nicht! X( !

    Ja-Ben ist wirklich schwer depressiv und da muss ein Profi ran, um ihn aus dem Loch zu holen. Anscheinend kennt Gerner ihn sogar persönlich von einem früheren Fall her und kann ihm so professionell helfen.
    Warum habe ich nur gerade so ein ungutes Gefühl, weil das Wasser rauscht? Will sich Ben gerade selber ertränken, oder hilft jemand nach, oder leide ich unter Paranoia? :S

    Um sich ein wenig abzulenken fragte Semir Sarah: „Weißt du eigentlich, wo du gefangen gehalten worden bist?“ und war sehr erstaunt, als die nickte. „Doch, ich war in Chorweiler in einem Block. Da hatten sie den Keller wie ein Gefängnis umgebaut. Auf dem Hinweg hatten sie mir zwar die Augen verbunden, aber am Rückweg konnte ich alles sehen-ich weiß zwar die genaue Adresse nicht, aber ich würde das sofort wiederfinden!“ sagte sie. Nun grübelte Semir, was das wohl zu bedeuten hatte. Sharpov hatte seine Deckung völlig fallengelassen und so dumm würde er vermutlich nicht sein, dass er dachte, mit seinem Einfluss könnte er diese schwerwiegenden Verbrechen wie Mordversuch, Anstiftung zum Mord, Entführung und Körperverletzung unter den Tisch kehren. Das funktionierte vielleicht in seiner Heimat, aber die Bundesrepublik Deutschland war ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik. Also blieb als logische Schlussfolgerung, dass er bereits im Vorhinein seine Flucht geplant hatte.

    Er griff zum Telefon und rief als erstes die Chefin an. „Frau Krüger, wie steht´s mit der Hausdurchsuchung und wurde Sharpov schon geschnappt!“ wollte er von ihr wissen. Die stellte erst einmal die Gegenfrage: „Wie geht´s Ben?“ „Der wird immer noch operiert. Vor etwa 15 Minuten haben wir die Mitteilung gekriegt, dass er einigermaßen stabil ist und jetzt warten wir, bis er aus dem OP kommt!“ erklärte nun Semir. „Wir sind gerade in der Villa, aber das sieht so aus, als wäre der Vogel ausgeflogen. Die ganzen PC´s und Geschäftsunterlagen fehlen, die Einrichtung ist zwar noch da, aber viele persönliche Gegenstände sind verschwunden, ein Teil von Sharpov´s Kleidung und so manches andere. Wir haben Irina hergeholt, die hat uns sogar ein Geheimzimmer gezeigt, in dem er anscheinend den Drogenhandel organisiert hat, aber nicht einmal da ist etwas Verwertbares zurückgeblieben. Wenn wir nur einen Hinweis hätten, wo wir nach ihm suchen sollten-so wie es aussieht ist er einfach untergetaucht und hat das auch von langer Hand vorbereitet! Wir haben sein offizielles Handy geortet, aber das hatte ein Obdachloser in der U-Bahnstation in einem Mülleimer gefunden-der Kerl ist schlau, ich hoffe nur, dass wir ihn schnappen können!“ sagte die Krüger.

    „Sarah kann uns auch genau zeigen, wo sie gefangengehalten wurde. Das ist sehr merkwürdig, denn ich hätte auch nicht gedacht, dass sich der so aus der Deckung begibt-ihm muss doch klar sein, dass er für viele Jahre in den Knast wandert, wenn wir ihn geschnappt haben und da kann er sicher sein-ich werde nicht aufhören, ihn zu suchen und ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, was er Ben angetan hat!“ schwor Semir.
    Nun sagte Sarah auf einmal: „Der Flughafen-Sharpov ist am Flughafen! Ich habe gehört, wie er es gesagt hat, als wir in Chorweiler weggefahren sind! Er hat zu seinen Bodyguards etwas von Lear-Jet und Köln-Bonner Flughafen gesagt!“ Nun starrte Semir sie fassungslos an. Mann, da hatte Sarah so eine wichtige Information und hatte einfach vergessen, ihnen das mitzuteilen. Andererseits konnte er es auch wieder verstehen-die war so auf Ben fokussiert, dass ihr momentan alles andere unwichtig erschien. „Chefin haben sie gehört!“ schrie Semir fast ins Telefon, das ja immer noch mit Frau Krüger verbunden war. „Wir fahren sofort dahin und ich versuche auch zu erreichen, dass sein Jet keine Starterlaubnis bekommt, wenn er nicht schon weg ist, ich hoffe, wir schnappen ihn!“ sagte die Dienststellenleiterin und legte auf.

    Semir zögerte kurz. Was sollte er tun? Sollte er bei Sarah dableiben und warten, bis sein Freund aus dem OP kam. Gut, sie hatten gesagt, dass er stabil sei und er würde sicher danach noch eine Weile schlafen. Außerdem war ja Sarah bei ihm, er würde also nicht alleine sein, wenn er aufwachte. Sollte er-oder sollte er nicht? Was würde Ben in seiner Situation tun? Vor seinem inneren Auge erschien Ben, der sagte: „Los Semir-schnapp dir das Schwein! Das geht nicht an, dass der ungeschoren davonkommt-ich will den in Ossendorf versauern sehen und nicht in Russland im Luxus untertauchen!“ und Semir sprang kurzentschlossen auf. Sharpov´s Villa lag auch genau am entgegengesetzten Ende von Köln-er hatte Luftlinie viel näher zum Flughafen und nachdem es jetzt Nacht war, würde der Verkehr durch die Innenstadt auch keine allzu große Rolle mehr spielen. Vielleicht ging es genau um diese paar Minuten, die er eher dort sein könnte, als die Chefin und ihr Gefolge.

    „Sarah-ich fahre zum Flughafen und versuche Sharpov festzunehmen. Ich komme sobald wie möglich wieder zurück. Ruf mich an, wenn du etwas Neues erfährst!“ rief er noch und packte schon seine Jeansjacke und rannte aus dem Stationszimmer. Sarah´s Kollegen, die den letzten Durchgang der Spätschicht beendet hatten, sahen ihm verwundert nach, setzten sich aber dann zu ihrer Freundin und versuchten sie ein wenig zu trösten und abzulenken. Während Ben im OP um sein Leben kämpfte, machte sich Semir, verbissen wie ein Terrier, auf, seinen Freund zu rächen.