Nach dem arteriellen Zugang erhielt Ben noch einen zentralen Venenkatheter. Dazu musste er wieder auf den Rücken gedreht werden und als man ihn anfasste, schlug er kurz die Augen auf, sah verständnislos um sich und presste gegen die Beatmungsmaschine. Sofort gab ihm die Intensivschwester einen Bolus des Opiats und des Schlafmittels. Man sedierte die Patienten nur so tief wie nötig, denn diese ganzen Medikamente gingen auf den Kreislauf. Aber bald ließ er sich wieder problemlos beatmen und Sarah, die entsetzt ihren Atem angehalten hatte, ließ ihn nun ebenfalls wieder fließen. Ihr Verstand sagte ihr freilich, dass Ben gar nicht richtig wach gewesen war, aber insgeheim musste sie schon feststellen, dass es etwas anderes war, wenn da irgendein Patient lag, oder der Lebenspartner! Nichtsdestotrotz legte der routinierte Intensivmediziner in Windeseile einen fünflumigen Venenkatheter über Ben´s Schlüsselbeinvene in die große Hohlvene und nun konnte man endlich die Infusionen und Medikamente in den Perfusoren in den richtigen Geschwindigkeiten und Konzentrationen laufen lassen. In die peripheren Gefäße konnte man scharfe Lösungen z.B. gar nicht fließen lassen, da das die Venenwände gereizt, oder zerstört hätte. Beim Fünflumenkatheter kontrollierte man im Anschluss die korrekte Lage kurz vor dem Herzen noch mit einer Röntgenaufnahme. Das dicke Rohr hätte sonst leicht Herzrythmusstörungen hervorgerufen und nachdem Ben da ja eh schon gefährdet war, wollte man das nicht riskieren.
Außerdem war eine Röntgenaufnahme des Thorax auch im Hinblick auf die vermutete Lungenkontusion sinnvoll und so hoben Sarah und ihre Kollegin den schlaffen Patienten auf die Röntgenplatte und verließen dann alle kurz den Raum, bis die Röntgenassistentin den Auslöseknopf des Röntgengeräts wegen der Strahlenbelastung für die Mitarbeiter von außerhalb des Zimmers gedrückt hatte. Ben hatte man einen Unterleibsschutz aufgelegt und als Sarah und die anderen die Platte und die Bleischürze entfernten, ging ein Drainagebeutel ab und das Bett war voller Blut und Spülflüssigkeit. Allerdings war Ben´s Kreislauf gerade wieder ziemlich instabil durch die Flüssigkeitsverschiebungen bei der Lageänderung und so wurde nur schnell ein frischer Ablaufbeutel aufgeklebt, eine provisorische Unterlage eingelegt, damit Ben nicht in seinem Blut lag und dann ließ man ihn sich erst ein wenig erholen. Als die Intensivschwester ihn nun noch endotracheal absaugte, kam eine Menge älteres Blut aus der Lunge und auch im Urinbeutel war die Farbe eher rot als gelb.
„Sarah, du weißt doch, dass er mit Sicherheit nochmal was verlieren würde. Durch die Massentransfusion ist halt seine Gerinnung auch völlig durcheinander. Wir kontrollieren das jetzt und gleichen aus, was er braucht und wenn das halt noch die eine oder andere Konserve ist, dann bekommt er die eben. Reg dich nicht auf, das kriegen wir schon!“ sagte ihre Kollegin tröstend, die das Entsetzen Sarah´s bemerkt hatte. „Wenn er sich wieder ein wenig stabilisiert hat, machen wir ihn gemeinsam sauber, aber so lange setzt du dich jetzt wieder zu ihm und hältst seine Hand. Das war jetzt auch für ihn sehr anstrengend, jetzt müsst ihr beide erst wieder zur Ruhe kommen!“
Sarah nickte-sie wusste ja, dass die erfahrene Intensivschwester Recht hatte. Sie deckten ihn zu und weil die Temperatur erneut auf 34.5°C gefallen war, kam auch das Gebläse wieder zum Einsatz und langsam kam auch Sarah ein wenig runter. Still saß sie neben dem Bett und betrachtete die Gesichtszüge ihres Freundes. Wie lange es wohl dauern würde, bis er sie wieder bewusst wahrnahm?
Am Flughafen war inzwischen hektische Aktivität zu verzeichnen. Der Leiter des SEK besprach mit Frau Krüger die weitere Vorgehensweise. „Wir können unmöglich das Leben Semir´s gefährden, aber wir können die Verbrecher auch nicht entkommen lassen. Es steht auch völlig außer Frage, dass wir Frau Bukow da in Gefahr bringen und uns auf irgendwelche Tauschgeschäfte einlassen!“ sagte der SEK-Einsatzleiter eindringlich. „Was wir leider auch nicht haben ist Zeit und für eine Hinhaltetaktik sind diese Verbrecher viel zu professionell aufgestellt. Die werden nicht lange fackeln und Semir ein Körperteil nach dem anderen abschneiden, wenn wir auf Zeit spielen. Ich würde vorschlagen, wir gehen zum Schein auf die Forderungen ein, besorgen eine kleine Geschäftsmaschine, die sich für die Flucht eignen würden, benutzen eine Ablenkungsstrategie und stürmen irgendwie das Flugzeug!“ schlug er vor. „Aber wie soll das funktionieren-wie uns Semir mitgeteilt hat, wird er von neun, vermutlich bis an die Zähne bewaffneten Männern, festgehalten!“ sagte Frau Krüger verzweifelt, aber der SEK-Mann lächelte sie an: „Ich habe schon so eine Idee, wie das klappen könnte!“ sagte er beruhigend und ging zu seinen schwarz gekleideten, vermummten Männern, um sich wegen seines Plans mit ihnen zu beratschlagen.
Andrea kam fast gleichzeitig mit Frau Schrankmann, dem Innenminister und dem Bürgermeister der Stadt Köln am Flughafen an. Während draußen ein Rettungs-und Feuerwehrwagen nach dem anderen auffuhr, versuchte Andrea verzweifelt, den uniformierten Polizisten an der Absperrung davon zu überzeugen, sie reinzulassen. Während die Prominenz schon lange in Richtung Einsatzleitung unterwegs war, diskutierte sie unter Tränen, bis zufällig Dieter Bonrath in ihre Richtung sah und sich sofort aufmachte, sie näherzuholen. „Andrea nicht weinen, wir holen ihn da raus!“ sagte er tröstend und legte beschützend den Arm um sie, während sie langsam näher an den Ort des Geschehens gingen.