Als die Blutkonserve eingelaufen war, hatte Ben sich soweit stabilisiert, dass man daran denken konnte, ihn sauberzumachen und das Bett frisch zu beziehen. Die zuständige Intensivschwester brachte eine Waschschüssel und wollte sich gerade eine Schürze anziehen, da legte ihr Sarah die Hand auf den Unterarm. „Lass-ich mach das schon! Wenn du mir später beim Drehen und Bettbeziehen hilfst, würde es mir genügen.“ sagte sie und ihre Kollegin verließ schulterzuckend wieder das Zimmer. Ihr konnte es nur Recht sein, denn sie hatte genügend andere Arbeit! Sarah holte am Waschbecken schön warmes Wasser, gab eine rückfettende Waschlotion hinein und fing nun an, beginnend mit dem Gesicht, langsam und vorsichtig Ben den Schweiß, das Blut und den Schmutz vom Körper zu waschen. Sie reinigte ihn mit sanften, langsamen Berührungen und man sah an der Herzfrequenz, dass Ben es durchaus wahrnahm und vermutlich auch als wohltuend empfand. Mehrmals wechselte Sarah die Waschlappen, Handtücher und das Waschwasser. Fast wie ein meditativer Liebesdienst war das für Sarah und ihre Kollegin hatte mehrmals schon lächelnd durch den Türspalt der halboffenen Schiebetür gesehen und war dann leise wieder weggegangen. Normalerweise hatte man im Krankenhaus nie viel Zeit für die Ganzkörperpflege, aber Sarah cremte Ben auch noch mit wohlriechender Hautlotion ein und versuchte ihm, durch ihre pflegerische Zuwendung seinen momentanen Zustand ein wenig erträglicher zu machen. Zuletzt brauchte sie zum Drehen und Lakenwechsel zwar doch noch die Hilfe der Nachtschwester, aber sie war irgendwie sehr befriedigt, dass sie endlich etwas anderes für Ben tun konnte, als an seinem Bett zu sitzen und seine Hand zu halten.
Als ihre Kollegin ihn anschließend allerdings wieder endotracheal und im Mund absaugte, wo immer noch frisches und altes Blut von der Lungenquetschung kam, konnte sie das fast nicht ertragen, obwohl sie sowas doch täglich selber machte und ging deswegen kurz hinaus, um sich frischzumachen und nochmals zu versuchen, Semir anzurufen. Langsam begann sie sich doch Sorgen zu machen, weil der weder ans Handy ging, noch probiert hatte, zurückzurufen. Allerdings fiel ihr auch nicht ein, was sie sonst tun sollte und so ging sie nach einer Weile wieder zu Ben zurück und musste sich dabei ein Gähnen verkneifen. Es war ein langer, schrecklicher Tag gewesen und fast entzückt stellte sie fest, dass ihre Kollegen der chirurgischen Intensiv mitgedacht hatten. Die hatten ihr nämlich in ihrer Abwesenheit einen Mobilisationsstuhl, den man komplett flachstellen und wie eine Liege benutzen konnte, ins Zimmer gestellt-bezogen mit Laken, Kopfkissen und Zudecke. „Leg dich ein wenig nebenhin, es wird dir guttun!“ sagte ihre Kollegin und Sarah befolgte erleichtert ihren Rat. Obwohl die Kontrolllampen flackerten und das EKG und viele andere Meßkurven in bunten Lichtern vor sich hinschimmerten, fielen Sarah binnen kurzem die Augen zu und sie fiel in einen Erschöpfungsschlaf-denn immerhin war sie ganz nahe bei Ben und das war gut!
Semir saß inzwischen im Flugzeug und dachte fieberhaft nach, was er wohl noch tun konnte, um seine Situation zu verbessern. Heimlich versuchte er seine Hände oder Füße zu befreien, oder wenigstens die Fesseln zu lockern, aber es war vergebens, denn diejenigen, die die Kabelbinder angezogen hatten, waren Profis im Geschäft und hatten nicht vor, mit ihm irgendwelche Überraschungen zu erleben. Er konnte, wenn er sich ein wenig reckte, durch eines der kleinen Fenster hinaussehen, was da auf dem Flugfeld so los war. Er sah schwarz vermummte Gestalten-also war das SEK schon eingetroffen. In der Ferne kreisten Blaulichter, vermutlich von Feuerwehr und Rettungsdienst, sonst konnte er nicht viel erkennen. Im Jet war an der Wand eine Uhr und einerseits viel zu langsam, aber dann doch wieder rasend schnell, rückte der Zeiger vor und machte die halbe Stunde voll.
Semir´s Entführer unterhielten sich auf russisch-anscheinend waren auch sie recht aufgeregt und wagten nicht zu hoffen, dass ihr Plan klappen könnte. Einer der Männer-anscheinend ihr Anführer nach Sharpov- hatte den relativ unwirsch angesprochen und Semir konnte mehrmals den Namen Irina hören. Aha, anscheinend fanden die Leibwächter die Idee des Geiseltausches auch nicht so gelungen, aber als Sharpov dann laut und energisch etwas sagte, waren sie plötzlich wieder stumm und beobachteten durch die Fenster, ohne sich aus der Deckung zu begeben, was sich auf dem hell erleuchteten Flugfeld so abspielte. Semir´s Blick wurde nun von der Uhr magisch angezogen, denn der Zeiger rückte der halben Stunde immer näher und er versuchte auszublenden, dass ihm nun Schreckliches bevorstand.
Hoffentlich hatten sie wenigstens Andrea nicht verständigt! Die würde vor Angst um ihn wahnsinnig werden! Wie es Ben wohl ging? Er versuchte, auch um sich ein wenig abzulenken, ihm mental aus der Ferne Kraft zu spenden, aber als nun der Mann, der vorhin schon das Messer geschärft hatte, aufstand und sich ihm grinsend näherte, begann Semir der Schweiß auszubrechen und er begann stoßweise zu atmen. Jetzt war es soweit-hoffentlich waren die Schmerzen auszuhalten, denn er wollte doch den Russen kein Schauspiel bieten und schreiend um Gnade flehen!