Beiträge von susan

    Er schluckte schwer und Sarah, die gerade wieder Ben liebevoll den Mund mit einem Mundpflegestäbchen ausgewischt hatte, sah alarmiert zu ihm herüber. „Semir, was ist los?“ fragte sie, aber da war es schon passiert. Semir verdrehte die Augen und erbrach sich heftig. Allerdings waren durch die plötzlich nachlassende Naloxonwirkung seine Schutzreflexe nicht vollständig und so atmete er erst einmal heftig ein, bevor ein Stimmritzenkrampf dann seinen Kehlkopf verschloss und ihn innerhalb kürzester Zeit blau anlaufen ließ.

    Sarah war entsetzt zu ihm geeilt und hatte noch versucht, seinen Kopf zur Seite zu drehen, allerdings erfolglos. Während sie verzweifelt versuchte seinen Unterkiefer nach vorne zu bringen und nach dem Sauerstoff angelte, rannten schon die Kollegen mit dem Notfallwagen ins Zimmer. Eine der Schwestern hatte eine Naloxonampulle verdünnt aufgezogen und wollte sie gerade spritzen, da hob der dazugerufene Intensivdoktor die Hand. „Saugen wir ihn erst endotracheal ab-das wird uns nicht gelingen, solange er nicht ausgeknockt ist und nahm auch gleich den Sauger zur Hand. Er förderte ganze Mengen grünlichen Magensaft aus Semir´s Bronchien zutage und sog daraufhin scharf die Luft ein. „Hoffentlich gibt das keine heftige Aspirationspneumonie !“ befürchtete er, während er schon die Atemmaske und den Ambubeutel zur Hand nahm. Während die Schwester das Naloxon langsam titriert spritzte, also so, dass man aufhörte, wenn die gewünschte Wirkung eingetroffen war, beatmete er seinen Patienten mit dem Ambubeutel. Semir ließ sich die Luft erst willig einblasen, denn er war völlig weggetreten und wusste überhaupt nicht, was ihm geschah, aber als die Opiatwirkung wieder abflaute, wehrte er sich gegen die Beatmung und begann heftig zu husten. Der Arzt gab sich damit zufrieden, ihm die Maske mit dem voll aufgedrehten Sauerstoff vors Gesicht zu halten und als Semir wieder richtig wach war, erkannte er Sarah, die sich gemeinsam mit den anderen über ihn beugte und ihn besorgt ansah.

    „Was ist passiert?“ krächzte er und der Intensivarzt übernahm die Antwort, denn er sah, dass Sarah langsam an ihre Grenze kam.„Sie haben erbrochen und da leider durch das genau in diesem Moment anflutende Opiat ihre Schutzreflexe außer Kraft waren, haben sie von dem Erbrochenen eine volle Ladung eingeatmet. Wir werden das jetzt beobachten, aber es wäre möglich, dass sich durch diese Tatsache eine Lungenentzündung entwickelt, also stellen sie sich mal darauf ein, ein wenig länger als geplant, unser Gast zu sein!“ erklärte er ihm. Semir nickte ergeben, irgendwie merkte er selber, dass es ihm nicht so gut ging und so ließ er sich eine Sauerstoffmaske aufsetzen und lehnte sich dann im Bett zurück. Während er nach Luft und Fassung rang, sah er immer wieder auf die Uhr. Ihm fehlten wirklich nur fünf Minuten, aber die hatten ihn echt ausgeknockt.

    Wenig später kam die Nachtschwester, die bald Feierabend haben würde, zu ihnen. „Herr Gerkan, ihre Frau ist fertig und bereits aus der Narkose erwacht. Sie befindet sich momentan im Aufwachraum, aber sie kann weder zu ihnen, noch sie zu ihr!“ teilte sie ihm mit. „Aber es geht ihr gut und die Operation war erfolgreich, soweit man das im Augenblick beurteilen kann.“`

    Semir nickte und musste unter seiner Maske schon ein wenig nach Luft ringen. „Danke!“ stieß er hervor und Sarah, die sich wieder zu Ben gesetzt hatte, dessen Herzfrequenz während der Aktion erneut heftig angestiegen war, erhob sich sofort. „Semir, ich schaue nach Andrea und richte ihr liebe Grüße von dir aus!“ sagte sie und Semir schenkte ihr ein Lächeln. Er hätte gerne noch mehr gesagt, aber im Augenblick reichte die Luft dafür auf keinen Fall und so schloss er die Augen und wartete, was Sarah ihm zu berichten hatte.

    So, so, jetzt fährt also Kim mit Semir los und achtet auf die Einhaltung der Vorschriften. Tja, dass sie die Brüder leider nie mehr antreffen werden, können sie ja im Augenblick noch nicht wissen.
    Und Ben ist schon wieder langweilig und der startet zum Hafen. Jetzt bin ich aber froh, dass er nicht selber versucht hat, zu fahren-das ging schon mal schief!
    Aha und nun kommt er zum ersten Mal in Berührung mit nem Japaner-ich vermute, den hat er nicht zum letzten mal gesehen!

    Ja, wie wir erwartet hatten! Die beiden Verbrecherbrüder hatten nicht lange Freude an ihrer explosiven Belohnung, die Japaner machen skrupellos Nägel mit Köpfen und hätten sie mit oder ohne Druckplatten umgebracht.
    Ich befürchte, ich weiß, wer der Künstler sein dürfte, der die Druckplatten herstellen soll!

    Natürlich nehme ich die Frage nicht übel-ich habe sie nur beantwortet!
    Und da hast du recht-Qualität im Lebensmittelbereich finde ich zwar immens wichtig-möchte weder Verunreinigungen, noch verdorbene Lebensmittel konsumieren ;( , aber wie man das erreicht, davon habe ich keine Ahnung! :whistling:

    Ach Elli-du hast ja keine Ahnung, wie viel Sanitäter wissen! Tatsache ist, dass wenn große, aufregende Einsätze anstehen, die Kommunikation unter den Rettungskräften hervorragend funktioniert-es hätte also durchaus sein können, dass der da was weiß. Es ist nämlich üblich, dass man sich nach seinen kritischen Patienten im Nachhinein erkundigt und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass dieser RTW sowohl beim Einsatz am Betonkunstwerk, wo ja auch Passanten und Opfer der Massenpanik behandelt wurden, als auch am Flughafen eingesetzt wurde und wenn nicht der anwesende Sanitäter, so doch irgendeiner der Kollegen-und wir in den Sozialberufen sind alle sehr kommunikativ, auch schichtübergreifend!
    Aber genau deshalb hat Semir die Frage nach Ben ja auch einfach so in den Raum geworfen, am ehesten hätte ja Andrea Bescheid wissen können, nur war da halt augenblicklich keiner informiert. Die Verbindung Polizei-Rettungsdienst funktioniert nämlich auch sehr gut!
    Aber merk dir das-wenn du was wissen willst-frag nen Sanitäter, nen Polizisten oder ne Krankenschwester-einer von den Dreien ist informiert! :D

    Etwa eine Stunde später kam die Chefin ins Krankenhaus. Sarah´s Kollegen hielten Rücksprache und erlaubten dann einen kurzen Besuch bei ihren Männern. Am Flughafen war die Spurensicherung abgeschlossen, der Gerichtsmediziner hatte noch die drei Toten in Augenschein genommen und dann in die Pathologie bringen lassen, um sie dort in den nächsten Tagen zu obduzieren. Die diensthabenden Polizisten wurden abgezogen und das Flughafenpersonal begann mit den Aufräumarbeiten.
    Hartmut fuhr nach Hause und beschloss, die Chefin morgen zu fragen, in welches Krankenhaus das russische Model gebracht worden war-vielleicht konnte er sie bei ihrem Entzug ein wenig unterstützen!

    Die Chefin, die selber von den Ereignissen völlig überrannt und ja auch schon seit dem Morgen, also fast 24 ereignisreiche Stunden, auf den Beinen war, wollte nur noch schnell nach ihren gebeutelten Polizisten sehen, bevor sie in den wohlverdienten Feierabend ging.
    Sie begrüßte Semir mit einem Lächeln, der sich allerdings nicht freuen konnte, zu sehr machte er sich Sorgen um seine Frau. Sie überreichte ihm feierlich sein Handy und als sie dann Ben ansah, lief es ihr kalt den Rücken herunter. Dass er dermaßen angegriffen und durchscheinend aussehen würde, hatte sie nicht erwartet. Auch sie war von den ganzen blutigen Drainagebeuteln geschockt. Wenigstens war er nicht alleine und die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben waren bei ihm. Hoffentlich wurde er wieder-dabei war seine letzte schwere Verletzung noch gar nicht lange her! Unendlich sanft strich sie ihm eine verklebte Strähne aus der Stirn und Semir musste gleich schlucken, soviel Gefühl hätte er der Chefin gar nicht zugetraut. Kim Krüger lächelte Sarah an, die ganz nah bei ihrem Freund war und ihn ebenfalls anfasste. „Schön dass sie ihre Entführung wenigstens einigermaßen überstanden haben und jetzt bei Ben bleiben, ich glaube er spürt das und es tut ihm gut!“ sagte sie und wie zum Beweis beschleunigte sich Ben´s Herzschlag.

    „Ist unsere Heldin Andrea zu den Kindern gefahren?“ wollte sie dann von Semir wissen, aber der schüttelte traurig den Kopf. „Sie hat sich schwer an den Händen verletzt und wird gerade operiert!“ teilte er ihr mit. „Ach du liebe Güte, dann hat sie bei der Rettungsaktion ja doch was abgekriegt!“ sagte die Chefin bestürzt und nun war es an Semir, sie fragend anzuschauen. „Ich kann mich, seit ich im Flugzeug bewusstlos geworden bin, an nichts mehr erinnern. Ich bin erst im Krankenwagen wieder aufgewacht. Von welcher Rettungsaktion und warum „Heldin“ sprechen sie?“ wollte er nun doch wissen.
    Frau Krüger seufzte-oh je, da hatte Semir ja noch gar niemand aufgeklärt, auch Andrea nicht! „Als wir das Betäubungsgas ins Flugzeug eingeleitet hatten, wurde leider der Pilot aus irgendwelchen Gründen nicht bewusstlos und hat mit Maschinengewehrfeuer die Rettungsaktion für die Insassen unterbunden. Andrea war nicht zu halten und hat ihr Leben riskiert, um ins Flugzeug zu gelangen. Erst in letzter Sekunde konnte der Pilot, der schon auf sie angelegt hatte, von dem SEK-Mann, den wir noch auf dem Flugzeugdach hatten, unschädlich gemacht werden und Andrea ist durch die Trümmer des BMW und des Fahrwerks wie eine Wahnsinnige in die Kabine geklettert, um ihnen Erste Hilfe zu leisten-erfolgreich, wie man ja sehen kann! Vermutlich hat sie sich bei dieser Aktion auch mit den scharfen Metallteilen die Hände aufgeschnitten, anders kann ich mir das gar nicht vorstellen!“ erzählte sie die Abläufe, wie sie sie erlebt hatte.
    „Und ich habe mir das hier im Fernsehen angeschaut, worüber sich Ben dermaßen aufgeregt hat, dass er sich den geblockten Tubus gezogen hat und notfallmäßig reintubiert werden musste!“ fügte nun Sarah hinzu und Semir kamen fast die Tränen. Mit seiner Racheaktion gegen Sharpov hatte er die liebsten Menschen in seinem Umfeld in Gefahr gebracht, ob es das wert war?

    Die Chefin, die ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte, verabschiedete sich und fuhr dann schnurstracks heim in ihr kuscheliges Bett.
    „Ich muss Susanne noch Bescheid sagen, die weiß ja auch noch nichts und hütet bei uns zuhause die Kinder!“ fiel ihm dann siedendheiß ein und als Sarah dagegen nichts einzuwenden hatte, griff er gleich zu seinem Handy, um ihr Bescheid zu geben. Susanne war froh, dass es Semir soweit gut ging, aber entsetzt darüber, dass ihre Freundin gerade operiert wurde. „Susanne, ich weiß nicht, wann ich oder Andrea nach Hause dürfen, aber ich verständige Andrea´s Mutter, damit die sich um die Kinder kümmert-kannst du noch so lange bei ihnen bleiben, bis die Oma da ist?“ fragte Semir und Susanne versicherte ihm, dass sie das selbstverständlich machen würde.
    Nun begann wieder das bange Warten auf das OP-Ende, bis plötzlich Semir merkte, dass ihm schummrig wurde.

    Jetzt haben die schussligen Verbrecherbrüder doch tatsächlich nur die Hälfte ihrer Beute mitgenommen! Ja, ich denke auch, dass sie das noch bitter bereuen werden. Allerdings glauben sie, dass die Ausrede sie retten wird-was ich persönlich nicht glaube!
    Eigentlich haben sie ja sogar noch Glück gehabt, dass ihnen die Schrottkarre nicht zuvor kaputtgegangen ist und den Weg bis zum Steinbruch noch geschafft hat! Oh-und sie steigen in einen echten Oldtimer um-nen Ford Granada-ja sowas habe ich früher auch mal gefahren, allerdings waren da die Spritpreise noch billiger ^^ , denn so ein Verbrauch zwischen 15 und 20 Litern je nach Fahrstil ist heute auf Dauer unbezahlbar!

    Semir war entsetzt! Gerade war er wieder zu sich gekommen, hatte eine unangenehme medizinische Behandlung über sich ergehen lassen müssen, dann festgestellt, dass ihm eine ganze Zeitspanne fehlte und nun war nach geheimnisvollen Andeutungen des Arztes Andrea in den RTW gestiegen und konnte oder wollte momentan gar nichts davon erzählen, was in der Zwischenzeit vorgefallen war. Auf seine Frage, was denn mit ihren Händen wäre, hatte sie nur den Kopf geschüttelt und die Verbandtücher, die an manchen Stellen schon begannen durchzubluten, fester darum gewickelt. Das Einzige was sie herausbrachte, war ein erschöpftes „Ich liebe dich und bin so froh, dass du lebst!“ aber dann hatte sie einfach den Kopf auf seine Brust gelegt und erlaubt, dass er ihr sanft über die Haare strich.

    Der Sanitäter, der mit im Fahrzeug war und die Monitore im Auge behielt, konnte die grenzenlose Erschöpfung-psychisch wie physisch- dieser tapferen Frau spüren. Es war momentan nicht wichtig, diese ganze Geiselnahme aufzuarbeiten, außerdem hatte auch er nichts davon mitbekommen, was im Flugzeug eigentlich vorgegangen war. Er hatte sich auf die generalstabsmässige Rettung der Fentanylopfer vorbereitet und war genauso geschockt, wie alle anderen gewesen, als das dann so völlig aus dem Ruder gelaufen war. Diese Frau hatte ihr Leben riskiert, um ihren Mann zu retten, was ihr ja letztendlich auch gelungen war und in seinen Augen war sie eine Heldin! Ohne dass weiter gesprochen wurde, denn Semir merkte genau, dass seine geliebte Andrea völlig am Ende war und es ihr einfach guttat, nur in seiner Nähe zu sein und ehrlich gesagt, ging es ihm genauso, blieben sie still beieinander sitzen bzw. liegen. Er würde schon noch früh genug erfahren, was passiert war. Das Einzige, was er fragte war: „Was ist mit den Kindern?“ und als Andrea dann sagte: „Susanne ist bei ihnen und passt auf sie auf!“ war er momentan zufrieden.
    Eine weitere Frage brannte ihm auf der Zunge und er stellte sie einfach so in den Raum, denn vielleicht hatte der Sanitäter-woher auch immer-nähere Informationen. „Weiß man, wie es Ben geht?“ aber sowohl Andrea, als auch der Rettungsassistent schüttelten nur stumm den Kopf. Gut, Ben war in kompetenten Händen und wenn er aufwachen würde, war Sarah bei ihm, darum beschloss Semir, jetzt einfach mal abzuwarten, was weiter passieren würde.
    Nach einiger Zeit stieg der Notarzt wieder in den RTW, besah sich Andrea´s Hände und erklärte Semir, dass sie nun in die Uniklinik nach Köln fahren würden. Während Andrea nach ihrer Versorgung auch noch in ihrem Sitz angeschnallt worden war, setzte sich der Krankenwagen in Bewegung und fuhr mit Blaulicht Richtung Köln.

    Semir musterte besorgt seine Frau, die sehr erschöpft aussah. Schmerzen hatte sie seit der Medikamentengabe anscheinend keine, aber trotzdem machte sich Semir große Sorgen, wie schlimm wohl die Verletzungen an ihren Händen waren und wie sie sich die überhaupt zugezogen hatte.
    Etwa 15 Minuten später kamen sie in der Notaufnahme an und als sich die hinteren Türen des Rettungswagens öffneten, wurde für Andrea gleich eine zweite Trage bereitgehalten, auf die man sie sorgsam legte. Während Semir in den ersten Raum der Notaufnahme gefahren und vom diensthabenden Arzt dort übernommen wurde, geschah das Gleiche im Nebenzimmer mit Andrea-nur nahm die gleich der Handchirurg auf, der schon von der Leitstelle verständigt worden war. Bis sie sich versah, lag sie im Krankenhaushemdchen in einem Bett und hatte mündlich unter Zeugen ihr Einverständnis für die Operation und die Narkose erteilt, denn unterschreiben wäre nicht möglich gewesen. Als sie an Semir, der nun auch in einem Bett lag und mit einem Transportmonitor verkabelt war, vorbeigefahren wurde, wünschte ihr der viel Glück und während es für Andrea in den OP ging, wurde Semir auf die Intensivstation zur Überwachung gebracht.

    Sarah war wieder zu Ben ins Zimmer zurückgekehrt. Wenigstens war der gut sediert und schlief nun tief und fest. Sarah´s Kollegin saugte ihn ab, drehte ihn mit deren Hilfe wieder auf die andere Seite und kontrollierte die Laborwerte. Sarah setzte sich danach an sein Bett und streichelte gedankenverloren seine Hand. Sie konnte sich momentan auch nicht hinlegen, obwohl sie zu Tode erschöpft war. Zu groß war die Sorge um ihre und Ben´s Freunde. Als wenig später auf einmal die Schiebetür aufgeschoben und ein Bett hereinrangiert wurde, sah Sarah ungläubig auf den, der darin lag. Es war Semir! Während ihre Kollegen das Bett lächelnd an seinem Platz arretierten und Semir´s Verkabelung umbauten, sprang sie freudestrahlend auf und eilte an seine Seite. „Semir, wie geht´s dir?“ wollte sie von ihm wissen und auch der begrüßte sie mit einem Lächeln und meinte: „Geht so!“. Danach wanderte sein Blick allerdings besorgt zu Ben, der nun gerade so auf der Seite lag, dass Semir sein Gesicht sehen konnte. Er sah dessen geisterhafte Blässe, den Tubus in seinem Mund, die blinkenden Infusionen und Perfusoren und die mit Blut und Sekret gefüllten Beutel unten am Bett. Oh je, das sah ja übel aus, aber immerhin er lebte!
    „Andrea wird gerade an den Händen operiert!“ teilte er Sarah dann mit und die fragte: „Oh je, was ist ihr denn passiert?“ aber Semir konnte nur mit den Schultern zucken. „Ich weiß es nicht!“ gab er dann zu. Während Sarah sich nun zwischen die beiden Helden setzte, begann das nächste bange Warten auf den Ausgang der Operation. Würde diese schreckliche Nacht denn nie enden?

    Jetzt hat Yvette also doch Timos Einverständnis für ihre freizügigen Tanzdarbietungen. Und auch sie findet 200€ für ein Erstlingswerk beachtlich!
    Na ja, wenn der General von beiden Weltkriegen erzählen kann, dann muss er aber deutlich über 100 Jahre alt sein-denn 1918 war der Erste ja zuende und sogar wenn wir uns ein paar Jährchen zurückversetzen, kann da der General noch gar nicht geboren sein. Aber Elli, ich weiss, wie das zustande kommt-in unserer Kindheit gab es ja noch viele Menschen, Onkels, Grosseltern etc, die wirklich beide Kriege teils aktiv mitgemacht und davon erzählt haben. Nur sind die leider längst alle tot-sogar meine Nachbarin ist mit 103 Jahren kürzlich gestorben. So verfliegt unmerklich die Zeit!

    Der Notarzt am Flughafen hatte sich einen Überblick verschafft. Man hatte entschieden, die bewusstlosen Männer erst aus dem Flugzeug zu schaffen und draußen zu versorgen. Drei davon wurden nun zu reanimieren versucht, aber nach 30 Minuten stellte man die Bemühungen ein und stellte den Tod fest. Die übrigen vier, darunter Sharpov waren intubiert, hatten einen Zugang und das Gegenmittel erhalten, ohne daraufhin wach zu werden. Man verteilte sie auf die umliegenden Krankenhäuser und so fuhr ein RTW am anderen davon.

    Hartmut war mit Irina inzwischen zum Rollfeld gekommen und gemeinsam mit seinen Kollegen begann er mit der Spurensicherung. Zuvor hatte er sich natürlich nach Semir´s Befinden erkundigt und war froh und glücklich, dass der die Aktion anscheinend relativ unbeschadet überstanden hatte. Als er beobachtet hatte, wie Andrea ebenfalls in den RTW geklettert war und er dabei einen Blick auf den wachen Semir erhaschen konnte, konnte er seiner Arbeit erleichtert nachgehen und während die Politiker Interviews zur erfolgreichen Geiselbefreiung gaben, stand Irina verlassen und schreckensbleich neben den Rettungsmannschaften und beobachtete, wie man versuchte, ihre ehemaligen Mitstreiter wiederzubeleben. Als die Chefin nach einer Weile auf sie aufmerksam wurde, trat sie näher und ging mit ihr von einem zum anderen, woraufhin Irina ihr den vollständigen Namen sagte und sie dadurch sicher identifiziert werden konnten. Irina war nun kurz vor dem Zusammenklappen und ganz zittrig, was unter anderem auch auf den beginnenden Entzug zurückzuführen war. Auch Irina wurde nun von einem Sanitäter versorgt und Hartmut, dem gerade eingefallen war, dass er ja versprochen hatte, einen Therapieplatz für sie zu besorgen, kam nochmals kurz aus der Maschine und informierte die Chefin über ihr Vorhaben. „Erst einmal muss sie in ein Krankenhaus zum körperlichen Entzug und danach versuchen wir einen geeigneten Platz in einer Suchtklinik zu finden!“ erklärte die Chefin Hartmut, der froh war, dass er diese Verantwortung nun los war.

    Peter Jantzen, der im Fernsehen die Geiselnahme verfolgt hatte, war ebenfalls nach Köln-Bonn gefahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Völlig entsetzt hatte er zuvor vom Unfall des dunkelhaarigen Polizisten am Betonkunstwerk gehört, dieses Denkmal hatte noch niemandem Glück gebracht! Als er nach Abschluss der Rettungsmaßnahmen dort vorbeigefahren war, hatte man den Neumarkt weiträumig abgesperrt und gerade wurde das Innere der Symphonie in Grau genauer untersucht, um die Verstecke für das Rauschgift herauszufinden. Ein Insider hatte ihn angerufen und ihm von der Verhaftung des Kulturreferenten erzählt und er schämte sich für seine Politikerkollegen, die nun auch am Flughafen große Reden schwangen, während diese sympathischen Polizisten, die er kennengelernt hatte, den Kopf hinhielten. Auch deren Familien waren betroffen und obwohl er zuvor noch unschlüssig gewesen war, beschloss er nun der Politik den Rücken zuzukehren. Vielleicht hätte er sich politisch noch halten können, denn anscheinend wurde von der Bevölkerung seine Aktion gegen das Betonkunstwerk eher wohlwollend betrachtet und mit Vertuschung, würde es, wie gewohnt, schon klappen-aber nun erkannte er klar, dass er bei so einem üblen Spiel nicht mehr mitspielen wollte und erklärte vor laufenden Kameras seinen Rücktritt. Der Oberbürgermeister atmete auf, denn nun war ein Problem gelöst, das ihm schon seit Tagen schwer zu schaffen machte.

    Während sich das Rollfeld langsam leerte, stieg der Notarzt nun zu Semir und Andrea ins Auto zurück. Ihm fiel auf, wie blass die Frau war und als er ihre Hände nun mit geschultem Blick betrachtete, bemerkte er, dass die wesentlich schwerer verletzt waren, wie er auf den ersten Blick in der Maschine vermutet hatte. Außerdem begann nun auch bei Andrea der Schock und das Entsetzen durchzukommen und so bekam sie unter den besorgten Blicken Semir´s eine Infusion gelegt und ein Schmerzmittel gespritzt. „Frau Gerkan, wir nehmen sie gleich mit in die Uniklinik, für die auch ihr Mann avisiert ist. Die haben eine hervorragende Handchirurgie und so wie ich das sehe, sind bei ihnen mehrere Sehnen und Nerven durchschnitten. Sie werden noch heute Nacht deswegen operiert und so hoffen wir, die Funktionalität ihrer Hände erhalten zu können!“ erklärte er und gab gleich eine Voranmeldung ans Klinikum heraus.

    „Kann ich nicht nach Hause?“ fragte nun Semir, aber der Notarzt schüttelte den Kopf. „Sie haben eine sehr hohe Dosis Fentanyl eingeatmet-wie hoch die war, wissen wir nicht genau. Im Augenblick sind die Opiatrezeptoren in ihrem Gehirn wegen dem Naloxon, das sie bekommen haben, frei, aber erfahrungsgemäß wirkt das Gegenmittel kürzer als das Opiat, so dass sie jederzeit wieder bewusstlos werden können. Wenn das eintritt, geben wir ihnen wieder Naloxon, bis nach einigen Stunden dann auch der letzte Rest Fentanyl aus ihrem Organismus verschwunden ist. Dazu müssen sie auf einer Intensivstation überwacht werden und wir haben deswegen einen Platz in der Uniklinik für sie reserviert.“ Noch während er das sagte, hatte sich der RTW in Bewegung gesetzt und steuerte nun sein geplantes Ziel an. Die Chefin, die gerade noch Semir´s Handy aus dem BMW gefischt hatte und es ihm geben wollte, blieb zurückgelassen auf dem Rollfeld stehen-gut, dann würde sie eben später in die Uniklinik fahren und sich dort selber vom Gesundheitszustand ihrer Männer überzeugen!

    Na jetzt bin ich aber erschrocken und habe schon befürchtet, dass bei Ben mit seinen Augen was Schlimmeres passiert wäre, aber puh! Es war nur ein Kratzer, da bin ich aber froh!

    So,so und der geklaute Dienstwagen wird den Brüdern keinen Spaß machen, denn er ist sozusagen schrottreif-na klar, so ohne Öl ist da nicht lange was los mit Fahren. Allerdings haben sie ja die Diamanten und die Druckplatten schon geklaut, also haben sie ja ihr Vorhaben schon umgesetzt!
    Und während Ben sich im Bett nochmal umdreht, hatte Hartmut eine unbequeme Nacht an seinem Regal hinter sich, wie ich vermute.Hoffentlich ist es das und Semir erwartet da nicht eine andere unliebsame Überraschung!

    Im Rettungswagen hatte man Semir inzwischen verkabelt. Sein Puls war zwar immer noch verlangsamt, aber Frequenzen um die 50 Schläge pro Minute konnte man durchaus tolerieren. Sein Blutdruck war auch nicht allzu berühmt, aber auch diesen Wert konnte man momentan einfach so stehenlassen, ohne irgendeine Behandlung einzuleiten. Dank des überdosierten Opiats tolerierte er die Beatmung, die inzwischen eine Beatmungsmaschine übernommen hatte einfach und war zwar blass, schien aber nur tief zu schlafen. Als der Rettungssanitäter die Pupillenreaktion kontrollieren wollte, war das fast nicht möglich, weil sie stecknadelkopfgroß verengt waren-eine deutliche Fentanylwirkung. Die Sauerstoffsättigung zeigte dank Beatmung hervorragende Werte an, darum drehte der Sanitäter schon mal die Sauerstoffkonzentration auf 50% herunter, wobei die Werte aber alle stabil blieben.

    Der Notarzt legte nun, ohne dass nur das geringste Zucken von Semir erfolgte, einen Zugang in seinen Handrücken. Der Sanitäter schloss die vorbereitete Infusion an und dann spritzte der Notarzt das Opiatgegenmittel Naloxon. Die Opiatrezeptoren im Gehirn waren durch das Fentanyl besetzt gewesen und hatten die tiefe Bewusstlosigkeit verursacht. Als die nun durch den Antagonisten wieder frei waren, hob man so die Opiatwirkung von einer Sekunde auf die andere auf. Semir schlug verwirrt die Augen auf und hatte im Augenblick keinerlei Orientierung, wo er war. Seine letzte Erinnerung war, dass er im Flugzeug bewusstlos geworden war. Wie er jetzt in den Rettungswagen kam, war ihm völlig schleierhaft. Wenn der Sanitäter seine Hände nicht festgehalten hätte, hätte er dasselbe gemacht, wie kurz zuvor Ben im Krankenhaus-nämlich den geblockten Tubus herauszuziehen. Er hustete und das Ding in seinem Hals war nur störend und unangenehm.

    „Herr Gerkan, können sie mich verstehen?“ fragte der Notarzt und Semir versuchte seinen Hustenreiz zu unterdrücken und nickte. „Tut ihnen irgendwas weh?“ fragte der Notarzt und musste innerlich im selben Moment über seine Frage lachen. Nach einer solchen Opiatbombe waren Schmerzen vermutlich das, was am allerwenigsten zu erwarten war, aber manche Routinefragen waren einfach so im Kopf, dass man sie stellte, ohne über den Inhalt nachzudenken. Als Semir nun mit dem Kopf schüttelte, beschloss er, ihn sofort zu extubieren. Er war anscheinend klar, alle Werte im Normbereich und die Atmung funktionierte ebenfalls gut, wie die Maschine anzeigte, auf der er blitzschnell den Beatmungsmodus von kontrollierter Beatmung auf Spontanatmung mit Unterstützung umgestellt hatte.

    „Ich werde jetzt erst den Schleim absaugen, das wird etwas unangenehm werden, aber dann ziehe ich den Schlauch aus ihrem Hals-machen sie bitte den Mund weit auf!“ forderte der Notarzt und Semir, der sich vorkam, wie beim Zahnarzt, sperrte seinen Mund auf wie ein Vögelchen und erduldete es, dass man Schleim und Speichel daraus absaugte. Als man dasselbe danach mit seinen Bronchien machte, war er weniger einverstanden, denn das produzierte einen dermaßen starken Hustenreiz, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Wenn der Sanitäter seine Hände nicht festgehalten hätte, dann hätte er vermutlich dem Notarzt ordentlich eine verpasst, aber so blieb ihm nichts anderes übrig, als das auszuhalten und als der Doktor den Sauger aus seinen Bronchien zog, war er redlich froh, das überstanden zu haben!
    Nun dauerte es allerdings nicht mehr lange und der Tubus wurde entblockt und während Semir erneut hustete, aus seinen Luftwegen gezogen. Man drückte eine Sauerstoffmaske auf sein Gesicht, stellte das Kopfteil der Trage hoch und ließ seine Hände los. Nach ein paar Atemzügen hatte Semir sich wieder an eine normale Atmung gewöhnt und genoss es, die Luft ein-und ausströmen zu lassen. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, fragte er: „Wie bin ich hierhergekommen?“ und der Notarzt erklärte in kurzen Worten: „Das Flugzeug wurde mit einem Narkosegas imprägniert, so dass alle Anwesenden bewusstlos geworden sind-na wenigstens fast alle!“ fügte er hinzu-woraufhin ihn Semir fragend ansah. „Ich denke, da draußen wartet jemand, der ihnen das besser erklären kann, ich lasse sie jetzt mal rein und schaue dann, ob ich meinen Kollegen bei der Versorgung der anderen Patienten behilflich sein kann!“ sagte nun der Notarzt und gab dem Rettungssanitäter noch einige Anweisungen. Dann öffnete er die hintere Tür des RTW´s und half Andrea, die von Dieter gestützt wurde, in das Fahrzeug zu klettern. „Ihre Hände schaue ich mir später an!“ versprach er nun noch seiner beherzten Helferin und ging dann zum nächsten Fahrzeug, um seine Hilfe anzubieten.

    Im Krankenhaus war Sarah nach einer kurzen, innigen Ruhepause trotzdem unruhig geworden und wieder aufgestanden. Sie musste wissen, was am Flughafen los war! Sie ging deshalb ins Stationszimmer, wo ihre Kollegen gerade Kaffeepause machten. „Wisst ihr schon was Neues?“ fragte sie verschlafen und mit zerzausten Haaren. Die Kollegen nickten. „Die Leitstelle hat schon angerufen. Die Geiselnahme ist beendet, es hat Tote gegeben und einige Überlebende werden in kritischem Zustand auf die Kölner Krankenhäuser verteilt. Wir bekommen auch zwei Patienten, einen beatmeten Intensivpatienten und einen Zweiten, nur zur Überwachung.“ wurde sie informiert und jetzt begann auch für Sarah wieder das bange Warten, was wohl mit Semir und Andrea geschehen war.

    Also hat Timo doch keine Ahnung davon, was Yvette in der Bar so treibt!
    Mann, verdammt, für so einen Stundenlohn käme ich vielleicht auch in Versuchung mich auszuziehen-wenn es denn beim Tanzen bliebe ! Aber ich wage zu bezweifeln, dass es jemandem gefallen würde, mich nackt tanzen zu sehen :D , also stiefle ich weiter brav auf meine Intensivstation und verdiene mir da meine Brötchen!

    Ja, der nette General hat mit manchem was er sagt durchaus Recht-es gibt viele wegen Internet völlig vereinsamte Menschen ohne echte, lebendige Sozialkontakte.Der gefällt mir, der Opa!
    Leider glaube ich nicht, dass er derjenige sein wird, der ins Gras beisst-salopp gesagt! ;(

    Irina war vom Motorradfahrer zurück zu Hartmut gebracht worden, der gespannt via Tablet-PC das Geschehen am Rollfeld, das er direkt nicht einsehen konnte, verfolgte. Sie war sehr nachdenklich geworden. Eigentlich hatte sie nicht gedacht, dass sie den Flugplatz noch einmal lebend verlassen würde. Sie war eigentlich davon ausgegangen, dass sie trotz aller Zusicherungen einfach gegen Semir ausgetauscht werden würde und dann wieder in Sharpov´s Gewalt sein würde! Was das bedeutete, war ihr sonnenklar! Er würde sich an ihr rächen, weil ein Mann seines Kalibers nicht von einer Frau verlassen werden würde, ohne sie dafür grausam zu bestrafen. Ein schneller Tod war so ungefähr das Gnädigste gewesen, was sie zu hoffen wagte, deshalb hatte sie bei der Abfahrt des Motorrads auch Hartmut so böse angeschaut, obwohl ihr der irgendwie sehr sympathisch war. Der war klug und zog sein Ding durch, egal was die anderen dazu sagten-aber das lernte man vielleicht, wenn man rothaarig war!
    Wenn sie nur auch einmal in ihrem Leben diese Stärke würde aufbringen können, aber irgendwie war sie immer den Weg des geringsten Widerstands gegangen, hatte ihr gutes Aussehen für sich arbeiten lassen-und nun sah sie, wo sie damit gelandet war! Die kokainsüchtige Ex-Geliebte eines wesentlich älteren russischen Drogendealers, die vom Leben nichts mehr zu erwarten hatte.

    Hartmut half ihr vom Motorrad und der Fahrer stellte dasselbe sofort ab und zog sich den Gehörschutz aus den Ohren. „Keine Minute länger hätte ich diesen Krach ertragen können!“ moserte er, um sich danach im Laufschritt zum Einsatzort bei den Flugzeugen zurückzubegeben.
    Hartmut und Irina blieben alleine zurück. „Danke!“ sagte Hartmut schlicht und zog das Kokainpäckchen aus seiner Brusttasche und hielt es ihr entgegen. Irina, die eigentlich nichts lieber tun wollte, als sich sofort eine Linie zu ziehen, brach nun in Tränen aus. Es gab auf dieser Welt tatsächlich Männer, die sich ohne Diskussion an Abmachungen hielten? Hartmut starrte sie hilflos an. Er hatte nicht so viel Erfahrung mit Frauen, aber er hatte erwartet, dass bei Irina die Sucht stärker sein würde, als alles andere und dass sie sich vor seinen Augen die nächste Dosis verpassen würde. Er hätte darüber allerdings Stillschweigen bewahrt, denn sie hatte ihnen sehr geholfen und war ein nicht unerhebliches Risiko damit eingegangen, sich auf die knatternde Maschine zu setzen und ihm zu vertrauen!

    Das würde eh noch schwierig werden, denn im Zeugenschutzprogramm waren keine Süchtigen vorgesehen. Nachdem nach einer Weile Irina´s Weinen immer noch nicht versiegt war, zog Hartmut sie hilflos in seine Arme und sie verbarg den Kopf an seiner Brust. Nach einiger Zeit, in der die Welt für beide stillzustehen schien, räusperte sich Hartmut und sagte: „Was sollen wir tun?“ und Irina schaute ihn mit tränenumflorten Augen an. „Ich will weg von diesem Zeug und wenn du mir hilfst, dann könnte ich es vielleicht schaffen!“ sagte sie und Hartmut nickte bestätigend. „Gut, dann werde ich mich mal nach einem passenden Therapieplatz umsehen!“ sagte er fast fröhlich, um dann bestürzt über seine Weltvergessenheit, seine Aufmerksamkeit wieder dem PC zuzuwenden.

    So ganz verstehe ich das auch nicht-allerdings kann die Stuntfrau nur als supererfahrene Reiterin gelten- man sieht es auf dem Video, das vor dem Unfall gedreht wurde. Vielleicht sass aber wirklich die Darstellerin im Sattel und die Stuntfrau hat das Pferd geführt-sowas kann man ja hinterher wegretuschieren. Wenn dich so 500 kg Pferd treffen, auf dich fallen oder du irgendwie unter die Hufe kommst, dann ist das nicht komisch-mein schlimmster Reitunfall war vor neun Jahren da habe ich mich im vollen Galopp mit Pferd überschlagen, weil das vor einem auffliegenden Raubvogel scheute. Ich habe mir aber Gott sei Dank nur die Schulter gebrochen-seitdem reite ich mit Helm ! Was ich damit sagen will-Pferde sind Fluchttiere und deswegen bei aller Ausbildung unberechenbar-vermutlich wird auch die Pferdeversicherung herangezogen werden, soweit das Tier ihr nicht selber gehörte!

    Jetzt muss ich euch-bevor ich zu meiner Mutter fahre, mal schnell erklären, wie ich gerade auf das Fentanylgas komme. Auch in unserem Krankenhaus arbeiten viele russischstämmige Ärzte-na ja, sagen wir mal: Deutsche, die in Russland gelebt haben ;) , nicht dass ich da jemanden diskriminiere. Einer davon-ein sehr fähiger Anästhesist und auch menschlich ein toller Typ, hat sein Medizinstudium beim russischen Militär absolviert-weil kostenfrei für die Familie. Als nun-ich glaube es war 2002- diese tschetschenischen Geiselnehmer die Moskauer Oper überfallen haben, war er einer der Militärärzte, die dabei waren. Er hat in blühenden Farben von diesem Desaster erzählt-da wurde tatsächlich Fentanylgas in die Klimaanlage eingeleitet und es gab total viele Tote! Die Überlebenden mussten genau so versorgt werden, wie ich es euch beschreibe-also besteht da durchaus Realitätsbezug.
    Allerdings hat in Moskau kein einziger Geiselnehmer überlebt, denn denen wurde jegliche medizinische Hilfe versagt-ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich dazu sagen soll, denn ich glaube nicht, dass es in meiner Hand liegt, Gott zu spielen. Ich hoffe, ich muss nie so eine Entscheidung treffen! Ständig betreue ich Strafgefangene aus den umliegenden Gefängnissen-ich wohne da in einem Brennpunkt-aber auch die sind Menschen-manchmal nett, manchmal A...löcher-wie sonst die Bevölkerung halt auch! Ich habe aber auch schon mit verurteilten Mördern tiefschürfende Gespräche geführt-weiss nicht, was ich dazu sagen soll.
    Jedenfalls hat Andrea durch ihre blutige Aktion dafür gesorgt, dass Semir als Erster professionell versorgt wird und mit ihrer Atemspende zuvor hat sie genau das Richtige getan! Nur so zur Info!
    Ich wünsche euch allen einen schönen Tag, genießen wir den Altweibersommer-hey, wie für mich gemacht! :rolleyes:

    Auch Yvette geht ihrer Arbeit nach. Für uns normal Sterbliche sicher eine ungewohnte Vorstellung, sich von fremden Männern begrapschen zu lassen, aber das muss sie selber wissen-und Timo macht das ja anscheinend nichts aus!
    Ben spricht mit seinem Magen-ok Elli-könnte das sein, dass dir da der Otto-Sketch als Vorlage diente, so etwa: Magen an Kleinhirn... :D
    Aber einen psychologischen Traumdeutungskurs, der mir die übergroßen Brillen erklären kann, möchte ich gerne besuchen! Vielleicht führt der auch bei mir zu mehr Durchblick! ;)

    Und so geht sie zu Ende, die spannende und auch wunderschöne Geschichte. Ich muss mich Darcie anschließen-gerade gegen Schluss der Geschichte, als du die emotionalen leisen Zwischentöne vermehrt zur Geltung gebracht hast, hat sie mir von Tag zu Tag besser gefallen.
    Es war alles vertreten, was ich bei Cobra-FF´s lesen mag: Spannung bis Dramatik, Freundschaft, Zusammenhalt-Polizeiarbeit, auch ein bisschen Spaß unter Kollegen und am allermeisten hat mir natürlich gefallen, dass auch Ben wieder eine Rolle erhalten hat.
    Mach weiter so-ich hoffe stark, dass du schon an der nächsten Geschichte arbeitest!
    Zum Schluss nur eine kleine Frage zum letzten Kapitel: Semir´s Eltern, die ja in Deutschland leben, sind ein wenig außen vor-oder sind die vielleicht schon gestorben? Aber das war nur eine kleine Frage am Rande, weil ich das in der Folge ( grübel, wie heisst sie nur?) mit der türkischen Hochzeit, als Semir da mit seinem missratenen Verwandten auftaucht, so interessant fand, welches Aussehen sie sich für Semir´s Eltern ausgedacht hatten!
    Ich hoffe, du hast weiterhin viel Spaß am Schreiben, ich werde auf jeden Fall alle deine Geschichten lesen!

    Am Flughafen war inzwischen der erste Notarzt am Flugzeug eingetroffen. Obwohl scharfe Kanten, die auch mit Blut verschmiert waren, den Weg nach oben säumten, hätte niemand von den Rettungskräften verlangt, sich selber in Gefahr zu bringen und deshalb wurde auch gerade die fahrbare Gangway herangekarrt. Wenn ein gefahrloser Einstieg ins Flugzeugwrack möglich war, würden die bereitstehenden Rettungskräfte ihren Dienst tun, aber dieser engagierte Notarzt, der nebenbei Bergretter war, hatte intuitiv das Gefühl, dass nicht mehr so viel Zeit war. Er hatte den Eid des Hippokrates geschworen und würde versuchen, Leben zu retten, wenn es ihm irgendwie möglich war.

    Deshalb zog er sich, als er die scharfen Metallkanten sah, die Pulloverärmel über die Hände und erklomm so, wie kurz zuvor Andrea, die Wrackteile und betrat dann das Flugzeug. Mit routiniertem Blick erfasste er die Situation. Der vorderste Mann hatte eine Schussverletzung, die aber nicht lebensbedrohlich war, außerdem fluchte er auf russisch vor sich hin, also konnte es schon nicht so dramatisch sein, da waren die anderen Flugzeuginsassen schon schlimmer dran. Sieben tief bewusstlose Männer lagen am Boden. Bei allen changierte die Hautfarbe ins Bläuliche. Einige hatten erbrochen und er befürchtete schwer, dass sie demzufolge auch aspiriert hatten, da war dringend professionelle Hilfe nötig.

    Am Schlimmsten anzusehen war aber die Geisel, die halb im Sitzen in sich zusammengesackt war und jetzt von der Ehefrau reanimiert wurde. Der Brustkorb war blutverschmiert, er befürchtete, dass die einen Schuss abgekriegt hatte, oder anderweitig auch noch verletzt war. Deshalb entschloss er sich innerhalb von Sekunden, seine Hilfe der Geisel zukommen zu lassen, nicht den anderen Männern. Ihn hatte es zwar nicht zu interessieren, welche Patienten er behandelte und es sollte ihm auch egal sein. Als leitender Notarzt hatte man die Verletzten nach medizinischer Dringlichkeit und nicht nach anderen Kriterien einzustufen, aber anscheinend war der sitzende Mann am Schwersten verletzt. Mit zwei Schritten war er deshalb bei seinem neuen Patienten, öffnete seinen Notfallrucksack, den er wohlweislich auf seinem Rücken mitgenommen hatte und schnitt als erstes mit einer Verbandschere die Kabelbinder auf, so dass man Semir wenigstens am Boden ablegen konnte. Es war zwar eng im Flugzeug, aber so viel Platz war frei. Er bedachte Andrea, die ihn völlig panisch ansah, mit einem beruhigenden Lächeln und sagte im Brustton der Überzeugung, obwohl er sich da keineswegs sicher war: „Das kriegen wir schon!“ und begann dann seinen Patienten kurz durchzuuntersuchen.

    Überrascht stellte er keinerlei äußere Verletzungen fest, aber wo kam dann das Blut her? Als allerdings sein Blick nun auf die Hände der Frau fiel, war ihm klar, wo es herkam. Sie hatte massive, stark blutende Schnittverletzungen an beiden Händen-ah, von ihr kam dann auch das Blut draußen vor dem Einstieg. Gut, darum würde er sich später kümmern! Momentan hatte er kein Monitoring zur Verfügung, daher musste er jetzt auch auf seine fünf Sinne vertrauen und als er die Vitalzeichen prüfte, konnte er keine Eigenatmung feststellen und nur noch einen extrem verlangsamten Herzschlag. Jetzt musste es aber schnell gehen! Er zog sein Intubationsbesteck aus dem Koffer und bedeutete Andrea zur Seite zu gehen. Die tat das schluchzend und der Notarzt kauerte sich hinter Semir´s Kopf auf den Boden, überstreckte diesen und intubierte ihn routiniert. Er blockte den Tubus, hängte einen Ambubeutel daran und kontrollierte mit dem Stethoskop noch die Tubuslage. Gut, die Atemwege waren gesichert. Obwohl ihm Andrea sehr leid tat, denn ihre Hände mussten sicher fürchterlich schmerzen, bat er sie darum, nun den Ambubeutel zu übernehmen und zeigte ihr, wie sie ihn drücken sollte. Als er nochmals das Herz abhörte konnte er feststellen, dass die Frequenz wieder im Ansteigen war.

    Von draußen war das Kreischen von zerschnittenem Metall zu hören. Um einen gefahrlosen Zugang für die Retter zu schaffen, flexten die Polizisten und Flughafenmitarbeiter die Wrackteile soweit ab, dass man die fahrbare Gangway befestigen konnte. Der Notarzt im Inneren der Maschine ging nun als Erste Hilfe-Maßnahme bis Verstärkung von außen kam, von einem zum anderen Bewusstlosen und brachte den wenigstens in stabile Seitenlage. Manche zeigten noch ein wenig Eigenatmung, aber einige waren als klinisch tot zu bezeichnen. Den Mediziner schauderte es. Diese Geiselbefreiung würde mehr als ein Todesopfer kosten, da war er sich sicher!
    Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Einstieg frei wurde und der Notarzt atmete erleichtert auf, als endlich ein paar seiner Kollegen ins Flugzeug strömten. Der Pilot wurde von zwei SEK-Männern grob auf die Füße gezogen und als Erster hinaus geschafft, um den Platz freizumachen. Während sich draußen ein Notarzt seine Verletzung ansah und ihn als minderschweren Fall, der später versorgt werden konnte, einstufte, wurde er von zwei drohend blickenden SEK-Leuten mit der Waffe im Anschlag in Schach gehalten. Wenn dieser Schwachkopf nicht gewesen wäre, wäre diese Geiselnahme ohne Verletzte zu Ende gebracht worden, aber so war ein Desaster daraus geworden!

    Die erste Trage wurde ins Flugzeug gebracht und man hievte Semir vorsichtig darauf und brachte ihn nach draußen. Ein Rettungssanitäter hatte den Ambubeutel übernommen und auch tragbaren Sauerstoff mitgebracht. Er trug wie alle Ersthelfer Handschuhe und das war auch gut so, denn der ganze Beatmungsbeutel war inzwischen blutig. Man schob die Trage in den ersten Rettungswagen und der Notarzt, der ihn intubiert und inzwischen seinen Kollegen im Flugzeug kurze Übergabe gemacht hatte, kletterte ihm nach, um ihn weiter zu versorgen. Man hatte eine Decke über Andreas Schultern gebreitet und führte sie vorsichtig hinaus, wo sie von der Chefin, Jenni und Dieter in Empfang genommen wurde. Provisorisch schlang man zwei sterile Verbandtücher um ihre Hände und als Dieter sie nun vorsichtig in die Arme nahm, brach sie schluchzend zusammen. „Er darf nicht sterben!“ weinte sie und alle versuchten sie zu trösten, obwohl noch keiner sagen konnte, ob es überhaupt Überlebende geben würde.

    Im Krankenhaus hatte die Nachtschwester inzwischen den Fernseher ausgeschaltet. Weder ihrem Patienten, noch ihrer Kollegin taten die Bilder gut und sie konnten sowieso nichts ausrichten. Sarah´s Weinen war inzwischen verstummt und ihr Kopf ruhte nun ganz nah bei Ben. Sie konnte ihn riechen und fühlen und wenn die Lage auch immer noch kritisch war, hatte er reelle Chancen, das Ganze zu überstehen. Er war inzwischen gut sediert und bekam, von außen her zu beurteilen, nichts mehr mit. Wie das allerdings tatsächlich aussah, konnte niemand beantworten, denn man wusste, dass das Bewusstsein eigentlich nie völlig erlosch und zumindest Gefühlsregungen von sedierten Patienten immer wahrgenommen wurden. Langsam beruhigte sich Sarah und während 18 km entfernt am Flughafen der Kampf um Überlebende aufgenommen wurde, saugte man Ben nochmals ab, drehte ihn auf die andere Seite und kontrollierte erneut die Blutgase und das Blutbild. In den Drainagen war weiter nichts nachgelaufen und so hoffte man, dass er sich zügig erholen würde. Sarah legte sich nun doch wieder auf ihr provisorisches Bett und versuchte wenigstens ein bisschen auszuruhen. Sie hatte es so nahe neben das Patientenbett geschoben und auf die gleiche Höhe gebracht, dass sie ganz eng zu ihrem Freund rutschen und ihn berühren konnte. Mit seiner tröstenden Nähe kam sie nun ganz gut runter und döste nun doch wieder vor sich hin. Die Nachtschwester hätte zwar eigentlich aus hygienischen Gründen protestieren müssen, aber sie hielt wohlweislich ihren Mund. Die beiden taten sich gut und so musste man einfach Prioritäten setzen.
    Im Stationszimmer lief das Lokalradio und so waren die Intensivmitarbeiter immer auf dem Laufenden, was die Geiselnahme anbetraf. Als die ersten Voranmeldungen wegen Intensivbetten kamen, war ihnen klar, dass dieser Fall sie alle miteinander noch eine Weile beschäftigen würde.