Nach einer zügigen Heimfahrt mit Gott sei Dank wenigen Staus und fast gleichzeitiger Ankunft der beiden Autos, lud Ben Ayda zuhause ab und machte sich wieder auf den Weg zu seiner Wohnung. Er stellte sein Reisegepäck in den Flur, schmiss seine Jacke in die Ecke und ließ sich aufs Sofa fallen, um die Post der vergangenen Woche durchzusehen. Dann stand er allerdings auf, hängte seine Jacke ordentlich an den Haken und packte seine Tasche aus. Immerhin war er in dieser Woche zu dem Entschluss gekommen, dass Sarah vielleicht ein bisschen Recht hatte und seine Unordentlichkeit manchmal nervenaufreibend war. Gut, vielleicht hatten die Gespräche mit Semir und Andrea auch etwas dazu beigetragen. Nach kurzem Überlegen stellte er sogar eine Waschmaschine an-er hoffte, dass er die richtigen Sachen miteinander reingeworfen hatte, so genau kannte er sich da nicht aus, aber gut, er war, um Sarah zu behalten bereit, sich zu bessern. Ihm hatte gerade auch der Urlaub mit Familienanschluss so gut gefallen, irgendwann wollte er eine eigene Familie und vielleicht war ja Sarah wirklich die richtige Frau dazu.
Dann sah er auf die Uhr, sprang noch kurz unter die Dusche, um den Reisestaub von sich abzuwaschen und schlüpfte dann in seinen Anzug. Sein weißes Hemd hing frisch gebügelt daneben-als er noch alleine gelebt hatte, wäre da jetzt erst eine hektische Suchaktion von statten gegangen, aber irgendwie war das schon angenehm, wenn die Dinge an ihrem Platz waren. Sein Magen knurrte inzwischen vernehmlich, aber er widerstand dem Drang, beim nächsten Schnellimbiss anzuhalten, sondern fuhr zügig durch zum Haus seines Vaters in Düsseldorf. Immerhin erwartete ihn jetzt ein Schlossdinner, da musste er schon Hunger mitbringen!
Nahezu pünktlich kam er bei seinem Vater an, stellte den Porsche in den Hof des hochherrschaftlichen Hauses, in dem er aufgewachsen war und erklomm mit wenigen Schritten die Freitreppe. Sein Vater, ebenfalls chic gestylt, erwartete ihn schon und wenig später waren sie schon im Jaguar seines Vaters unterwegs zum Schlösschen seines Geschäftsfreundes. Sein Vater erzählte Ben: „Weißt du, dieser Joachim Berghoff ist ein guter Kunde von mir. Er hat sich vor Jahren ein kleines, marodes Schlösschen am Rhein gekauft und da musste wahnsinnig viel renoviert und angebaut werden, was größtenteils unsere Firma erledigt hat-natürlich gemeinsam mit Restauratoren und dem Denkmalschutz. Das war ein Millionenprojekt, aber jetzt ist es fertig und das Schlösschen bietet alle Annehmlichkeiten eines modernen Lebens, von Bädern über Heizung, einem gedämmten Dach etc., sieht aber nach außen hin immer noch aus, wie vor 300 Jahren, als es gebaut wurde. Joachim ist ein Fanatiker, für das Geld, das er da reingesteckt hat, hätte er sich ein Anwesen bauen können, das seinesgleichen sucht, aber er wollte unbedingt diesen besonderen Touch.
Nun hatte er die Idee, da immer mal wieder Dinner unter einem besonderen Motto zu veranstalten und heute hat er die Artussage aufgegriffen. Normalerweise wären das ja 12 Ritter, aber weil man doch die Frauen nicht vor den Kopf stoßen konnte, hat er kurzerhand die Zahl verdoppelt, so dass wir jetzt genau 24 Personen sind. Ich freue mich jetzt, dass du mit mir mitkommst, denn wie gesagt, Julia wollte nicht und ich hätte sonst nicht gewusst, wen ich mitnehmen sollte, damit die Zahl auch stimmt. Joachim ist in solchen Dingen etwas sonderbar!“ erklärte er und gegen 19.30 Uhr waren sie auch schon da.
Sie wurden von echten Dienstboten empfangen, die ihnen unterwürfig den Mantel abnahmen. Ben fühlte sich nicht wohl, weil sich diese Menschen benahmen, wie wenn sie Personen zweiter Klasse wären, aber um seinen Vater nicht vor den Kopf zu stoßen, sagte er nichts, sondern lächelte die Angestellten, die für den Service sorgten, nur freundlich an.
Berghoff kam mit ausgestreckten Armen und gewinnendem Lächeln auf sie zu, aber trotzdem war er Ben von der ersten Sekunde an unsympathisch. Er war Mitte fünfzig, trug einen merkwürdigen Spitzbart und war groß und schlank. Gekleidet war er in ein historisches Gewand. Trotzdem begrüßte auch er freundlich den Geschäftspartner seines Vaters und danach die anderen Gäste. Alle waren vornehm gekleidet und innerlich stöhnte Ben auf, denn die benahmen sich alle so gestelzt und unnatürlich. Man nahm dann um einen runden Tisch Platz, in dessen Mitte ein wenig erhöht ein wunderschöner Pokal stand. „Nachdem ich leider den Heiligen Gral nicht habe erwerben können, muss halt dieses Gefäß jetzt symbolisch dafür herhalten!“ erklärte Berghoff seinen Gästen, bevor er in die Hände klatschte und das sechsgängige Menü begann. Es wurden die wunderbarsten Köstlichkeiten aufgetragen, gekocht nach Originalrezepten aus dem Mittelalter. Fasan und Wildente, abwechselnd spezielle alte Salat-und Gemüsezüchtungen wie Erdbeerspinat etc. fanden in einem exquisiten Menü Verwendung. Die Gespräche bei Tisch drehten sich hauptsächlich um geschichtliche Themen und Ben dankte Gott, dass durch den Kulturlaub der letzten Woche seine Kenntnisse wieder so weit aufgefrischt waren, dass er sich nicht blamierte.
Bevor das Dessert serviert wurde, trafen sich die Herren zu einem Glas Whiskey auf der Schlossterrasse und Ben genoss den Ausblick über den nächtlichen Rhein. Der Gastgeber gesellte sich zu ihm und höflichkeitshalber unterhielt sich Ben dann mit ihm. Irgendwie kamen sie dann darauf, dass die Tochter seines Freundes sehr enttäuscht gewesen war, dass die Königsschlösser keine Folterkammern aufzuweisen hatten, wie Ben erzählte. Mit blitzenden Augen erzählte dann sein Gastgeber: „Wenn sie da etwas ganz Besonderes sehen möchten-ich bin da gerade an einer weiteren Immobilie dran, da gibt es noch eine originale Folterkammer mit allen Geräten. Wenn sie möchten, mache ich ihnen eine Privatführung!“ erklärte er und Ben stimmte erstaunt zu, vor allem, weil Berghoff auch beteuerte, dass es nur eine Stunde Fahrtzeit von Köln wäre. Für den nächsten Nachmittag machten sie einen Termin aus. „Aber bringen sie das Kind noch nicht mit!“ bat der Schlossherr. „Machen sie sich erst mal selber ein Bild davon, ob dieser Anblick nicht zu belastend für so ein junges Ding ist!“ Ben wagte das zwar zu bezweifeln, denn Ayda hatte ihm voller Begeisterung auf ihren gemeinsamen Touren von den Folterungen und Hexenverbrennungen erzählt, die sie in der Schule durchgenommen hatten. Kinder waren da grausam und außerdem stellten sie da sicher keinen Bezug dazu her, dass an solchen Orten echten Menschen auch echte Schmerzen zugefügt worden waren. Für die war das wie ein Erlebnispark, der einem geisterbahnartig, angenehme Schauer über den Rücken rieseln ließ. Aber gut, er hatte morgen sowieso nichts vor, Sarah würde erst am Sonntag Abend zurückkommen und so konnte er gleich seine Kulturwoche noch mit einer Privatführung abrunden. Nach dem Dessert brachen die Gäste nacheinander auf und Ben war so müde und vollgegessen, dass er auf der Fahrt neben seinem Vater sogar einschlief. In Düsseldorf angekommen, verabschiedete er sich von seinem Erzeuger und machte sich gähnend auf den Weg nach Hause, wo er sofort todmüde ins Bett fiel.