Ben hatte sich auf dem Bauch liegend in seinen Strohsack vergraben und war tatsächlich erst einmal tief und fest vor Erschöpfung eingeschlafen. Irgendwann-er hatte keine Ahnung, wie spät es war- erwachte er, weil sein Fuß fürchterlich weh tat. Als er sich in dem matten Dämmerlicht stöhnend aufrichtete, meinte er mindestens 100 Jahre alt zu sein. Jedes einzelne Gelenk bereitete ihm Schmerzen, sein Rücken brannte und pochte, aber am Allerschlimmsten tobte sein Fuß, der in der Eisenfessel steckte. Als er ihn sich ansah, war ihm auch klar, warum. Er war dick angeschwollen und weil die Blutzufuhr durch die Eisenfessel beinahe unterbrochen war, war er blaurot verfärbt. Verzweifelt versuchte er durch Massieren und Reiben seine Extremität zum Abschwellen zu bringen, aber momentan hatte er keine Chance. Er sprach laut in die Kameras und bat um Hilfe, aber natürlich kam keine Reaktion. Schließlich überlegte er logisch, legte sich wieder flach auf den Boden in die Kuhle, wobei das kalte Gestein seinem Rücken sogar wohl tat, bettete den Fuß auf den Strohsack, damit der hoch lag und so vielleicht abschwellen konnte und fiel irgendwann wieder in einen unruhigen Dämmerschlaf.
Sarah hatte noch einmal versucht, Ben zu erreichen, aber nur die Mailbox ging ran. Wütend und traurig fiel endlich auch sie in einen unruhigen Schlaf, bis sie der Wecker zum Frühdienst um fünf aus dem Bett riss. Sie duschte und machte sich dann, ohne Ben nochmals zu versuchen, anzurufen-er könnte sich schließlich auch mal melden- auf den Weg auf ihre Station zum Frühdienst.
Berghoff hatte zuhause in seinem Arbeitszimmer noch das Video der Folterung bearbeitet. Sorgsam verschloss er zuvor die Tür, damit kein Bediensteter, oder seine Frau ihn dabei störte. Er passte den Ton an und er musste zugeben, beim nochmaligen Anblick der Folterung und dem Anhören Ben´s verzweifelter Schreie, liefen ihm wohllüstige Schauer den Rücken herunter. Er fertigte einige Kopien an, wovon er eine sogleich in einen Umschlag steckte, um sie an seinen Kunden zu schicken und stellte Ausschnitte davon als Appetithäppchen ins Internet. Diese geheimen Gruppe, die sich harmlos „Vergangenheitsforum“ nannte, der auch PC-Fachleute angehörten, hatte dermaßen starke Schutzmaßnahmen im Netz ergriffen, dass man schon sehr versiert sein musste, um an die Identität der User und überhaupt auf ihre Seite zu kommen. Ihre Kommunikation funktionierte aber wunderbar und kaum 30 Minuten nachdem die Ausschnitte online waren, hatte Berghoff bereits die nächsten verbindlichen Anmeldungen vorliegen, die erste schon nachmittags und von einer Frau.
Semir hatte mit Andrea und den Kindern das Wochenende noch ausklingen lassen und machte sich nach dem Frühstück auf den Weg zu Ben. Punkt 7.30 Uhr stand er mit dem silbernen Dienst-BMW vor dessen Wohnung und drückte auf den Klingelknopf. Niemand öffnete. Semir versuchte es auf dem Handy, aber außer der Mailbox ging niemand ran. Semir läutete an einer anderen Wohnungstür, nachdem er sich als Polizist erkenntlich gegeben hatte, wurde ihm die Haustür geöffnet und nun versuchte er durch lautes Trommeln an die Wohnungstür, seinen Freund zu wecken. Als er allerdings auch damit keinen Erfolg hatte, ging er schulterzuckend zum Wagen und fuhr in die PASt. Vielleicht war Ben doch schon dort. Er hatte zwar einen Ersatzschlüssel zu Ben´s Wohnung, wie der auch einen von ihm, aber der lag bei ihm zu Hause, seitdem Ben mit Sarah zusammen war.
Auch in der Autobahndienststelle war von Ben nichts zu sehen und auch keiner der Kollegen wusste etwas. Semir ging nun bedauernd zur Krüger-er hätte Ben diesen Anschiss gerne erspart, aber inzwischen war ihr Dienstbeginn bereits eine halbe Stunde überschritten und nach dem Urlaub musste man sich bei der Chefin zurückmelden. „Guten Morgen Herr Gerkan, wie war ihr Urlaub?“ fragte sie ihn-„und wo zum Teufel steckt Jäger?“ hängte sie dann noch an. „Der Urlaub war sehr erholsam, ich war mit meiner Familie und Ben bis Freitag im Allgäu, aber wo er steckt, weiß ich nicht!“ antwortete Semir wahrheitsgemäß. Er hatte schließlich alles versucht, das Unheil von Ben abzuwenden, aber der musste einfach lernen, pünktlich zu sein. „Wenn er kommt, schicken sie ihn bitte sofort zu mir, ich bin am Überlegen, ob ich ihm nicht eine Abmahnung erteilen soll, wegen chronischen Zuspätkommens!“ ordnete die Chefin wütend an und teilte Semir dann die wissenswerten dienstlichen Neuigkeiten und ihren Arbeitsplan für den heutigen Tag mit.
Semir trank erst mal einen Kaffee, fuhr den Computer hoch und versuchte ständig Ben zu erreichen. Auch bei Sarah auf dem Handy probierte er es, aber auch da ging niemand ran. Die hatte ihr Telefon in ihrem Spind im Krankenhaus eingeschlossen, da auf der Intensivstation kein Empfang möglich und außerdem gar keine Zeit für Privatgespräche war. Als es 11.00 Uhr geworden war, ohne dass Semir ein Lebenszeichen von seinem Freund erhalten hatte, packte er seine Jacke, um alleine auf Streife zu fahren. Dabei fuhr er nochmals erfolglos an Ben´s Wohnung vorbei. Schließlich bat er Susanne, doch Ben´s Handy zu orten, was aber nicht gelang. Langsam begann Semir unruhig zu werden. Ben hatte ja lange Gespräche mit ihm und Andrea geführt und ihnen versichert, dass er wieder versuchen wollte, mit Sarah ins Reine zu kommen. Vielleicht hatten die einen Streit gehabt, oder sowas? Semir, der ja wusste, auf welcher Station sie arbeitete und auch, dass sie Frühdienst hatte, fuhr kurz vor ihrem Dienstschluss in der Uniklinik vorbei und besuchte sie an ihrer Arbeitsstelle. Als er sie fragte, wo Ben sei, zuckte sie die Schultern und sagte trotzig: „Das interessiert mich nicht!“ und erst, als sie näher miteinander sprachen, bekamen es sowohl Semir, als auch Sarah mit der Angst zu tun. Semir wartete Sarah´s Dienstschluss ab und gemeinsam fuhren sie dann zu Ben´s Wohnung. Mit geübtem Polizistenauge musterte Semir die Wohnung, gut, die sah aus, wie zu Ben´s Junggesellenzeiten, dann sahen sie in die Garage und stellten fest, dass Ben´s Porsche verschwunden war. Eine Nachbarin erzählte, dass er am Samstag am frühen Nachmittag weggefahren wäre und konnte auch beschreiben, was er angehabt hatte, was Sarah nach Durchsicht seiner Klamotten auch bestätigen konnte. Sie sah auch in die Waschmaschine, in der die feuchte Kleidung inzwischen schon zu müffeln begonnen hatte, aber Semir hinderte sie daran, die gleich nochmals durchzuwaschen.
Nun fiel Semir ein, dass Ben ja am Freitagabend mit seinem Vater zu irgendeinem Schlossdinner unterwegs gewesen war und deshalb rief er Konrad Jäger an. Der bestätigte ihre Verabredung, gab auch an, dass sie gemeinsam bei Joachim Berghoff bei dem Dinner gewesen waren, aber dass Ben mit ihm am späten Abend zurückgefahren war und dann mit seinem Porsche nach Hause fahren wollte.
Am Samstagnachmittag verlor sich Ben´s Spur und nun informierte Semir auch die Chefin. „Frau Krüger, auch wenn es nicht üblich ist, aber ich weiß ganz sicher, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Weder seine Freundin, noch sonst irgendjemand hat seit Samstag ein Lebenszeichen von Ben und das ist nicht seine Art!“ begründete er sein Bauchgefühl-und auf Semir´s Bauchgefühl konnte man sich verlassen. Susanne hatte die Krankenhäuser abtelefoniert, ohne dass ein Unfall mit einer bewusstlosen Person gemeldet worden war und nun ging die Fahndung nach Ben´s Porsche raus. Hartmut machte sich aus der KTU sofort auf den Weg zu Ben´s Wohnung, um dort vielleicht etwas herauszufinden und Sarah, die inzwischen nicht mehr wütend, sondern panisch war, machte sich die allergrößten Vorwürfe, dass sie nicht eher reagiert hatte.