Ben wurde langsam wieder wach. Die Erinnerung an die Spülung hing noch dumpf in seinen Gedanken, aber diesmal hatte er ziemlich früh einen Opiatbolus bekommen und das Ganze nur noch so halb mitbekommen. Gut dass Semir bei ihm gewesen war, so hatte er es wenigstens halbwegs aushalten können. Er spürte eine Hand, die die seine hielt. Die war irgendwie so vertraut und dann streichelte ihn jemand ganz zart an der Stirn. Die Berührung war federleicht und zärtlich, das war wunderschön, aber nicht Semir! Der hätte ihn nie so angefasst und außerdem wären seine Hände viel grösser gewesen. Langsam schlug Ben die Augen auf und ganz nah bei ihm, war die wunderschönste Frau, die er sich vorstellen konnte. Ohne etwas zu sagen, sog er den Duft ihres leichten Parfums ein, soweit das mit der Magensonde überhaupt möglich war. Sie hatte die Bluse an, die er ihr kürzlich gekauft hatte, weil sie ihm so gut gefallen hatte und sie stand ihr immer noch so gut, wie er es in Erinnerung hatte.„Sarah!“ sagte er leise und ergriffen und die legte den Finger auf ihre Lippen und bedeutete ihm zu schweigen. „Schlaf erst noch ein bisschen, ich bin da und ich gehe auch nicht mehr weg, da kannst du sagen, was du willst!“ bedeutete sie ihm entschlossen und folgsam schloss er die Augen wieder. Es war nicht sinnvoll, Sarah zu widersprechen, wenn sie ihn so ansah. Wenig später verrieten tiefe Atemzüge, dass Ben eingeschlafen war und seinem Körper die dringend notwendige Erholung zuteilwerden ließ.
Auch Sarah konnte sich nun endlich entspannen. Versonnen hing sie ihren Gedanken nach und betrachtete den schlafenden Ben. Obwohl er durch den Kieferbruch immer noch verschwollen und entstellt war, überall Schläuche aus ihm raushingen und sein Körper infolge der Narben nie mehr so sein würde, wie vorher, liebte sie ihn mit jeder Faser. Wie kleinlich war sie gewesen, einen Streit wegen einer dummen Putzfrau anzufangen! Nun, da sie Angst gehabt hatte, ihn zu verlieren, waren die Dinge wieder an ihren richtigen Platz gerutscht. Wenn man sich das Leben wegen solcher Banalitäten schwer machte, dann war einem wirklich nicht zu helfen. Zwei Stunden vergingen und man konnte zusehen, wie Ben´s Gesichtsfarbe ein wenig rosiger wurde. Natürlich hatte er noch Fieber, was sie an seiner heißen Hand spüren konnte, aber sie wollte ihm die Ihrige nicht entziehen, auch wenn ihre Sitzposition langsam unbequem wurde. Plötzlich merkte Sarah, die gedankenlos ein wenig im Zimmer herumgeschaut hatte, dass sie jemand ansah. Ben war aufgewacht und hatte sie intensiv gemustert. Was sie wohl gerade dachte? In der ersten Sekunde hatte er Angst gehabt, dass er sich Sarah´s Anwesenheit nur eingebildet hatte und nach wie vor Semir bei ihm saß, aber als er die Augen geöffnet hatte, war er erleichtert gewesen. Nur, eigentlich hatte sich ja gar nichts geändert! Er hatte immer noch dieselben Verletzungen, die Sarah seit der Operation auch nicht mehr gesehen hatte, vorher ja, aber da war das Ausmaß noch nicht abzusehen gewesen und der Chefarzt hatte doch wahrscheinlich Recht mit seiner Vermutung.
„Sarah, ich kann das von dir nicht verlangen, dass du bei mir bleibst!“ sagte er verzweifelt, aber die sah ihn wissend an.“Und warum denkst du, dass das für mich ein Opfer ist, mit dir alt zu werden? Ich habe in dir den perfekten Mann gefunden, warum sollte ich dich so einfach ziehen lassen?“ fragte sie kampfesmutig mit blitzenden Augen. Sie war aufgesprungen und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. „Weil, ja weil ich dich nicht mehr glücklich machen kann, unsere ganze Zukunftsplanung ist durch diese Verletzungen da unten aus den Fugen geraten. Wir können vermutlich nie gemeinsame Kinder haben und im Bett…“ stammelte er und dann verstummte er, denn nun ging Sarah in die Offensive: „Ben Jäger, ob du es hören willst, oder nicht! Ich liebe dich und zwar dich als Person, nicht dieses kleine Anhängsel da unten, dem ihr Männer immer so viel Wert beimesst! Nun gut, wenn es mit den gemeinsamen Kindern nicht klappt, dann adoptieren wir eben welche und wenn du dir Sex nur mit deinem Schniedel vorstellen kannst, dann werde ich dir eben zeigen, was du mit deinen Händen, deiner Zunge und anderen Körperteilen anstellen kannst. Ich werde dich nicht mehr so einfach ziehen lassen und nur damit du´s weißt, gestern hätte ich sogar beinahe für dich getötet!“ sagte sie heftig und nun wurde Ben blass „Was hast du gerade gesagt? Ich muss mich verhört haben!“ fragte er nach, aber Sarah erzählte ihm nun:
„Deine Peinigerin, die für dieses ganze Dilemma verantwortlich ist, ist bei mir nach einem Suizidversuch als Patientin auf der Station gelandet. Sie hat mir im Detail erzählt-ohne zu wissen, wer ich bin-wie sie es genossen hat, dich zu quälen. In mir war so eine unbändige Wut, dass ich sie mit dem Tod dafür bestrafen wollte. Ich hatte die todbringende Spritze schon aufgezogen, aber durch einen glücklichen Zufall kam etwas dazwischen, was mich davon abgehalten hat. Und glaub mir, nur die Vorstellung, dass du dann alleine hier deinem Schicksal überlassen gewesen wärst und ich derweil im Knast versauert wäre, hat mich davon abgehalten, es erneut zu versuchen, darum leg dich nicht mit mir an, das sage ich dir!“ beteuerte sie mit geröteten Wangen.
Ben war ganz erschüttert und fragte dann: „Weiß Semir davon?“ und Sarah nickte. „Ich habe ihn direkt danach angerufen und er war gestern Abend noch lange bei mir. Ob ich meinen Beruf nach diesem Vorfall noch ausüben kann, steht in den Sternen, aber jetzt weißt du, wie wichtig du mir bist. Übrigens soll ich dir von Semir ausrichten, dass deine Quälerin verhaftet ist und bis zu ihrer Verlegung ins Gefängniskrankenhaus unter Bewachung steht!“ fügte sie noch hinzu und Ben streckte nun seine Arme aus: „Komm her, ich weiß nicht, wie ich das fertiggebracht habe, mir ein Leben ohne dich vorzustellen, außerdem glaube ich, ich muss ganz schön vorsichtig sein, mit dem, was ich tue oder sage-du bist ziemlich gefährlich, wenn du zornig bist!“ sagte er liebevoll und soweit es seine Verletzungen zuließen fanden sie sich in einer zärtlichen Umarmung. „Das mit dem Küssen muss ich noch ein wenig vertagen!“ flüsterte Ben und Sarah erwiderte: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!“ und dann ließ sie sich in seine Arme sinken und war ihm ganz nahe.