Semir war zügig vorangegangen. Allerdings hatte er das Problem, dass immer wieder Stollen in alle Richtungen abzweigten, die auch teilweise nach unten oder oben führten, so dass er sich nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr sicher war, ob er überhaupt in die richtige Richtung lief, oder sich nicht eher dem Berginneren näherte. Er begann, an den Wegkreuzungen mit einem großen Stein Markierungen zu ritzen, damit er zumindest wieder zu Sarah und Ben zurückfand. Plötzlich war geschehen, was er schon die ganze Zeit befürchtet hatte, er stand wieder in der großen Höhle und dann sah er etwas, was sein Blut in den Adern gefrieren ließ-der Tisch auf dem er den Übeltäter festgebunden hatte, war leer und der Mann im weißen Laborkittel der Ben so gequält hatte, war auch weg! Er verfluchte sich. Wie selbstverständlich hatte er angenommen, dass der Mann im weißen Kittel, der verschüttet unter den Steinen gelegen hatte, tot war, aber er hätte das nachkontrollieren müssen!
Sarah saß mit ihrer großen Liebe in der pechschwarzen Dunkelheit. Sie hörte Ben´s angestrengtes Atmen und meinte auch ein kleines Pfeifgeräusch dabei zu hören, als wenn er eine beginnende Lungenentzündung hätte. Das wäre ja auch kein Wunder! Die nassen Klamotten, die Kälte, die Folter, wenn er da nicht krank wurde, dann wäre es eher erstaunlich. Aber das war nicht ihr größtes Problem. Ihre Nerven waren zum Zerreissen gespannt, sie lauschte in die Schwärze und meinte nach einer Weile Geräusche zu hören, als wenn jemand leise in ihre Richtung laufen würde. Allerdings konnte es nicht Semir sein, denn der war vor nicht allzu langer Zeit ja in die Gegenrichtung verschwunden. Dann hörte sie Stimmen. Zwei Männer unterhielten sich: „Welchen Weg haben sie wohl genommen?“ fragte der eine und in der Ferne konnte Sarah um die Ecke einen schwachen Lichtschein erkennen, als wenn eine Taschenlampe unruhig über die Wände tasten würde. „Ich denke, sie sind Richtung Ausgang unterwegs!“ sagte der andere und dann bogen die beiden in den vorher abzweigenden Stollen ein und die Stimmen und das Licht entfernten sich wieder.
Sarah hatte vor Aufregung und Angst die Luft angehalten. Sie hätte überhaupt nichts machen können, wenn die beiden Männer sie gefunden hätten, sie und Ben wären wie die Opferlämmer dagesessen und hätten darauf gewartet, dass man sie umbringen würde-und dass diese Männer keine Skrupel hatten, war ihr nach dem, was sie in der Höhle beobachtet hatte, klar. Die kannten keine Gnade und Ben hatte da wohl etwas in der Höhle entdeckt, was diese Männer nicht für gut fanden und weshalb sie ihn und alle die davon Kenntnis hatten, töten würden. Sie hatte-im Gegensatz zu Semir- nämlich die Fragen des Folterers verstehen können. Er hatte von Ben wissen wollen, ob er noch irgendjemandem von seinen Beobachtungen erzählt hatte, was Ben aber, auch unter Schmerzen, immer von sich gewiesen hatte.
Gerade begann sich Sarah wieder ein wenig zu entspannen, da hörte sie erneut Schritte aus der Richtung, wo sie hergekommen waren. Die waren aber von einer einzelnen Person und ihr Gefühl sagte ihr, dass das keine Bösen waren und da bog auch schon Semir um die Ecke. Erleichtert ließ sie ihren dennoch vor Anspannung angehaltenen Atem fließen. Sie war so froh, ihn zu sehen und obwohl sie das absolut nicht vorhatte, kullerten jetzt auch bei ihr ein paar Tränen. Semir setzte sich zu ihnen auf den Boden und fragte besorgt: „Wie geht´s euch?“ und nun berichtete Sarah von ihrer Beinaheentdeckung. Semir nickte, er war so erleichtert gewesen, als er seine beiden Freunde lebend angetroffen hatte, er hatte schon das Schlimmste befürchtet!
„Allerdings denke ich, die beiden Männer kennen sich hier unten recht gut aus und wenn die dort vorne in den Stollen eingebogen sind, dann geht dieser Weg wohl Richtung Ausgang. Ab sofort bleiben wir zusammen, wir schaffen das, Sarah!“ versuchte Semir ihr Mut zu machen, aber da starrte Sarah plötzlich entsetzt auf Ben.