Der Notarzt beschloss, sich erst einmal um die junge Frau zu kümmern. Der beatmete Mann schien leidlich stabil zu sein und der Polizist machte das sehr gut mit der Mund zu Nase-Beatmung, denn der Brustkorb des Patienten hob und senkte sich gleichmäßig. Bei dem schwer verletzten Patienten unten war es sehr fraglich, ob er noch eine Chance hatte. Man hatte den LUKAS, das automatische Gerät zur Herzdruckmassage auf ihn geschnallt, das ihn kontinuierlich bearbeitete, er war beatmet, die Schussverletzungen hatte man mit Druckverbänden abgedeckt und man würde ihn in Kürze in ein Krankenhaus bringen.
Als allerdings der Polizist die Treppe herunter gestürmt war und um Hilfe in der Wohnung gebeten hatte, wo ebenfalls zwei Schwerverletzte zu versorgen seien, hatte der Notarzt kurzerhand den beiden erfahrenen Rettungssanitätern unten das Feld überlassen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Im Notarzt-PKW waren ebenfalls ein Rettungskoffer, ein Beatmungsgerät und ein Monitor und so waren die beiden Medizinprofis nun mit ihrem Equipement nach oben gestürmt. Der Polizist hatte über die Leitstelle schon zwei weitere RTW´s und Notärzte angefordert-bald würde es hier von Mitarbeitern des Rettungsdienstes nur so wimmeln!
Der Sanitäter hatte die Monitorelektroden auf Sarah´s Brust aufgeklebt und man sah, dass ihr Herz raste. Sie war zwar bewusstlos, aber ihre Schutzreflexe funktionierten noch, nur der Blutdruck war sehr niedrig, aber noch messbar. Man zog ihr eine Sauerstoffmaske übers Gesicht und der Notarzt versuchte herauszufinden, was das Messer wohl für Schäden angerichtet hatte. Es war oberhalb des Nabels eingedrungen, wenn sie Glück hatten, war das Kind nicht verletzt. Allerdings war da eine Menge Blut, wenn die Mutter an einem hämorrhagischen Schock starb, war das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls verloren, denn auch durch einen Notkaiserschnitt war das in der einundzwanzigsten Schwangerschaftswoche ein extremes Frühchen, das sehr geringe Überlebenschancen hatte und wenn, dann vielleicht mit schwersten Behinderungen. Sie mussten versuchen, die Frau soweit zu stabilisieren, dass sie in einer Klinik mit neonatologischem Zentrum, wo in Köln nur die Uniklinik in Frage kam, operiert werden konnte. Der Notarzt legte eine Stauung an und Gott sei Dank schaffte er es gleich beim ersten Mal, einen großlumigen Zugang an Sarah´s Unterarm zu legen. Der wurde noch verklebt und der Sanitäter hatte inzwischen eine Infusion vorbereitet, die man nun voll aufdrehte, um den Volumenmangelschock zu bekämpfen. Ein Polizist bekam die zum Hochhalten und als der Notarzt nun Sarah´s Bauch betastete, konnte er die Kindsbewegungen spüren. „Hör mal Kleines, du wirst jetzt durchhalten!“ sagte er, der selber vier Kinder hatte. „Wir bringen deine Mami jetzt ins Krankenhaus und da kümmern die sich um euch beide!“ sprach er mit dem Ungeborenen und dem Polizisten, der die Infusion hielt und der ebenfalls Vater war, kamen beinahe die Tränen. Welches perverse Schwein war denn fähig, einer Schwangeren sowas anzutun? Man legte um das Messer herum steriles Polstermaterial, deckte Sarah warm zu und alle Anwesenden waren erleichtert, als sie nun ganz in der Nähe ein Martinshorn hörten-weitere Hilfe nahte.
Der Notarzt wechselte nur kurz die blutigen Handschuhe und wandte sich dann seinem nächsten Patienten zu. Der Monitor war bei Sarah, er zog den Pulsoximeter von ihrem Finger und stülpte ihn über Ben´s Zeigefinger. Dessen Sauerstoffsättigung war bei 91%, was unter der Beatmung mit Ausatemluft ein akzeptables Ergebnis war. Der dunkelhaarige Mann war völlig schlaff, aber die Pupillen reagierten, als er dessen Augen öffnete und hineinleuchtete. Der Puls war niedrig, aber kräftig und als sie den Blutdruck maßen, war auch der völlig stabil bei 120/80. Der Notarzt rekapitulierte, was er über Vergiftungen durch Schlangengift wusste, aber das war ehrlich gesagt relativ wenig. Er würde den Mann jetzt intubieren, um die Atemwege zu sichern und auch, um den fleißigen Ersthelfer zu entlasten und alles Weitere würde in der Klinik gemacht werden. Nachdem der Mann ja Schlangengift injiziert bekommen hatte, war es müßig nach der Schlange zu suchen, um die mitzunehmen, was draußen jetzt ihre nächste Aktion gewesen wäre. Kurz besah er sich noch die Stichverletzung im Unterbauch. Die musste auch im Krankenhaus näher begutachtet werden, im Augenblick sah sie nicht so dramatisch aus und auch die Blutung war nicht nennenswert, allerdings war es der Lage nach durchaus möglich, dass der Darm verletzt war-aber das hatte für die Erstversorgung keine Konsequenzen. Der Notarzt deckte die Wunde mit sterilen Kompressen ab, verklebte die und der Sanitäter hatte inzwischen alles zum Intubieren hergerichtet. Der Notarzt legte auch Ben einen Zugang und schloss eine Infusion an. Dann überlegte er kurz, ob er ihn in irgendeiner Weise sedieren sollte, aber dann war er sich wegen eventueller Wechselwirkungen des Schlangengiftes mit den Medikamenten unschlüssig und so überstreckte er nun dessen Kopf und schob den Tubus unter Sicht ohne jegliche Narkose durch die Stimmritze in dessen Luftröhre. Man setzte einen Ambubeutel auf und als Sekunden später ein weiterer Notarzt und mehrere Rettungsdienstler sich ins Schlafzimmer drängten, war die Erstversorgung der beiden Verletzten bereits abgeschlossen.
Unten hatte ein weiterer Notarzt die Versorgung des Polizisten übernommen und die Information war durch die Rettungsassistenten erfolgt. Er wurde mit wehenden Fahnen in einen RTW eingeladen und Minuten später war das erste Fahrzeug bereits unterwegs zum nächsten Krankenhaus. Der Polizist würde in einem anderen Zentrum als Ben und Sarah versorgt werden, die beiden würden in die Uniklinik kommen, weil nur dort eine eventuelle extreme Frühgeburt eine Überlebenschance hatte und wo Forschung und Lehre betrieben wurde, hatte vielleicht auch Ben die Möglichkeit, ein Gegengift auch ohne Schlangenbestimmung zu erhaschen.
Der Chemiker hatte inzwischen die Tür des Kinderzimmers geöffnet. Ayda und Lilly hatten sich irgendwann in der Nacht in einem Bett zusammengekuschelt. Das war vermutlich der Grund, warum sie im Augenblick auch immer zusammen schliefen. Abends brachte man jeden in sein Bett und am Morgen lagen sie meist zusammen in einem. Anscheinend wachte Lilly dann auf, packte ihre Decke und schlüpfte zu ihrer Schwester, die da aber anscheinend überhaupt nichts dagegen hatte. Andrea und Semir war das sehr recht, denn so hatten sie ihre Ruhe und die beiden Mädchen gaben sich gegenseitig Halt und Sicherheit. Ohne jegliches Bedauern musterte der Chemiker die friedlich schlafenden Kinder und begann dann außen herum das Bettzeug mit Brandbeschleuniger zu tränken.