Beiträge von susan

    Sarah wurde wieder zurück in ihr Zimmer gebracht und wenig später wurde Ben in den OP gefahren. Man revidierte den Bauch, legte einen neuen VAC-Verband an und der Chirurg sagte: „Wenn das weiter alles planmäßig verläuft, können wir vielleicht übermorgen den Bauch schon zumachen!“ Und so geschah es. Semir wurde am nächsten Morgen auf Normalstation verlegt und nach kurzer Überlegung schob man Sarah in Ben´s Zimmer. Die Sedierung des jungen Polizisten wurde auch schon weiter heruntergefahren, man ließ ihn an der Maschine stundenweise spontan atmen, um die Atemmuskulatur zu trainieren und Sarah durfte nun gelegentlich mit dem Rollstuhl aus dem Bett und saß dann ganz zufrieden neben Ben, hielt seine Hand, sprach mit ihm und streichelte ihn. Mit der Nachtschwester hatte sie einen Deal und so wurden zur Nacht-die Kabel waren lang genug-die Betten zusammengeschoben und so schliefen Sarah und Ben dann direkt nebeneinander und hielten Körperkontakt. Als planmäßig der VAC-Verband entfernt und der Bauch verschlossen worden war, schaltete man die Sedierung komplett aus und ließ nur noch das starke Schmerzmittel in niedriger Dosierung weiter laufen. Ben wurde immer wacher und als ihn der Schlauch in seinem Hals zu stören begann, wurde er kurzerhand extubiert. Als er ein wenig geschafft, halbsitzend mit der Sauerstoffmaske im Bett aufgerichtet wurde, war Sarah wieder neben ihm, wischte seine schweißfeuchte Stirn und beruhigte ihn, bis er sich wieder daran gewöhnt hatte, ohne Unterstützung zu atmen.

    Wenig später-es war inzwischen Sonntag geworden-kam die halbe PASt zu Semir auf der Normalstation zu Besuch. Der durfte inzwischen alles machen und weil die Entzündungswerte rückläufig waren, hatte man für den nächsten Morgen die Entlassung geplant. „Mann dann sitze ich noch eine ganze Weile bei den Schwiegereltern!“ stöhnte Semir, denn so bald war ja nicht daran zu denken, dass er wieder etwas tun konnte mit seinem Arm, geschweige denn Auto fahren. Die Chefin hatte auch den BMW, der ja immer noch auf dem Krankenhausparkplatz gestanden war, abholen lassen und in die Dienststelle verbracht, wo er von Dieter für die Streifenfahrten mit eingeteilt wurde. Wenig später wurde es noch enger in dem Doppelzimmer, das Gott sei Dank nur mit einem Bett belegt war, denn Andrea und die Mädchen und einige Nachbarn erschienen auch noch. Bevor sie sich verabschiedeten, trat Dieter vor: „Semir, wir wollten dir nur anbieten, dass wir als deine Arbeitskollegen und Freunde beim Umzug in die Übergangswohnung helfen werden!“ sagte er und der Nachbar, der die Wohnung zur Verfügung stellte, sicherte ebenfalls seine Unterstützung zu. Andrea hatte in der Zwischenzeit von der Versicherung eine Abschlagszahlung erhalten, nachdem die Brandursache ja einwandfrei geklärt war und war für die Mädchen einkaufen gewesen. Für das Kinderzimmer erstand sie neue Möbel, die man später im renovierten Haus wieder verwenden konnte und die gleich in die neue Wohnung geliefert und dort aufgebaut wurden und Hartmut war mit einer Tinktur erschienen, mit der man den Brandgeruch aus den übrigen Möbeln größtenteils entfernen konnte.

    Als alle Besucher verschwunden waren, machte Semir sich auf den Weg zu seinem Freund und zu Sarah. Er durfte jederzeit zu Besuch auf die Intensiv kommen und traf nun Ben in ein angeregtes Gespräch mit Sarah vertieft vor. Er war zwar noch ein wenig schwach, sein Bauch spannte, aber ansonsten war er wohlauf und hatte zu Mittag sogar schon eine Suppe bekommen, was ihn nun vollends davon überzeugte, dass er auf dem Wege der Besserung war.Mit einem Lächeln und einem Handschlag, der schon wieder recht kräftig war, begrüßte er seinen Freund: „ Na, hast du doch beschlossen, demnächst wieder mit mir auf Streife zu fahren, anstatt hier faul rumzuliegen?“ feixte er, aber Ben wies mit dem Finger auf Semir´s Arm, der auf eine Schiene gelagert und bis zur Achsel hoch eingewickelt war. „Wenn der einarmige Bandit das möchte jederzeit, aber ich werde zu Dieter sagen, dass er mir deinen BMW gibt, damit der mal von einem richtigen Fahrer bewegt wird-denn du wirst vermutlich auch längere Zeit kein Lenkrad halten können!“ sagte er und nun boxte Semir ihn angedeutet in die Seite. „Vielleicht sollten wir also zuerst zu Erholungszwecken noch unseren Wellnessurlaub fortsetzen?“ sagte er dann grinsend, aber Ben wehrte nun ab. „Beim besten Willen, aber diese Moore und Höhlen waren nur halb so erholsam, wie ich mir das vorgestellt habe!“ sagte er lächelnd und nun saßen sie noch eine Weile versonnen beieinander.
    „Bei allem Übel haben wir alle miteinander noch großes Glück gehabt, dass wir das überlebt haben-auch Hintersteiner geht es ganz ordentlich, ich habe erst heute mit ihm telefoniert. Er muss zwar noch eine Weile in der Brandverletztenklinik bleiben, aber er fühlt sich schon besser und ist auch sehr froh, dass wir das doch so überstanden haben!“ erzählte Semir und Ben dachte mit Schaudern daran zurück, was alles hätte passieren können, denn natürlich war er inzwischen über alle Geschehnisse, die er verpasst hatte, aufgeklärt worden.

    Semir wurde am nächsten Tag von Andrea abgeholt und bereits am folgenden Wochenende war der große Umzugstag angebrochen. Die Möbel, die man mitnehmen würde, waren von Hartmut vorbehandelt worden und sogar die Chefin hatte nach Feierabend mit Hand angelegt, mit einer Menge Wasser jedes einzelne Stück danach gründlich zu putzen. Die Kleidung hatte man begonnen so nach und nach gründlich zu waschen und die war ebenfalls wieder verwendbar und so stand Semir dann vor seinem Haus, während fleißige Ameisen mit Schubkarren Anhängern und teilweise von Hand Möbel und Hausrat in die neue Wohnung beförderten. Die Mädchen hatten ihr neues Kinderzimmer mit aussuchen dürfen und an Spielsachen war jedem Kind ein Herzenswunsch erfüllt worden, was bei Ayda ein Barbiehaus und bei Lilly ein Playmobilreiterhof war.

    Als in groben Zügen die neue Wohnung, die ja nur einen Steinwurf vom alten Haus entfernt war, eingerichtet war, fuhr plötzlich ein Auto mit Freyunger Kennzeichen vor. Noch etwas mühsam, aber mit einem breiten Grinsen stiegen Josef und seine Schwester aus. Semir zögerte kurz, aber dann umarmte er ganz herzlich und vorsichtig den Retter seiner Familie und auch die Mädchen kamen erst schüchtern näher, aber bald plapperten sie aufgeregt und wollten dem dicken Bayern, der allerdings durchaus einige Kilo verloren hatte, in den letzten zwei Wochen, ihr neues Zuhause zeigen. Nach einer kleinen Stärkung mit Kaffee und Kuchen-vorbereitet von hilfsbereiten Nachbarn, machten sich Sepp und seine Schwester nun auf den Heimweg. „Wir haben in Würzburg Verwandte und damit es nicht zu anstrengend wird, bleiben wir bei denen einmal über Nacht!“ erklärte Elfriede und musterte besorgt ihren Bruder, der immer noch überall Verbände hatte. „Die weitere Behandlung kann ambulant am Passauer Klinikum gemacht werden und jetzt werde ich mich mal erholen, damit ich dann im Verfahren gegen Jantzer auch aussagen kann!“ erklärte Josef und als er gerade ins Auto auf den Beifahrersitz steigen wollte, drückte ihn auch Andrea noch ein wenig und sagte leise: „Danke-ohne dich würden wir jetzt alle nicht mehr hier stehen!“ und Sepp fuhr nun gerührt und mit Tränen der Freude in den Augen Richtung Heimat.

    Eine weitere Woche später wurden Sarah und Ben entlassen. Andrea war mit Susanne zuvor in deren Wohnung gewesen, hatte das blutige Bettzeug weggeworfen, alles gelüftet und geputzt und den Kühlschrank gefüllt. „Wenn ihr irgendetwas braucht-einfach anrufen!“ bläute Andrea ihnen ein. „Keiner von euch soll sich anstrengen oder was heben!" und sowohl Sarah als auch Ben nickten folgsam. Sie würden brav sein und das neu geschenkte Leben für ihre kleine Familie nicht aufs Spiel setzen. Semir, der ebenfalls zur Abholung mitgefahren war, sagte lächelnd: „Ich glaube, wir warten jetzt erst mal eine Weile, bevor wir wieder zusammen auf Wellness fahren!“ und nun konnten ihm alle nur zustimmen.
    ENDE

    Irgendwie ist mir nicht wohl dabei, wenn Yvonne die Aktion leitet-die wird sich mit Sicherheit kein Bein wegen Semir rausreißen!
    Der Gynäkologe gibt Semir ein letztes Mal zu Essen und zu Trinken, ich befürchte irgendwie, der könnte das noch brauchen! Nun wird er schlafen gelegt, aber anscheinend hat Reiners nicht vor, ihn zur Waffenübergabe mitzunehmen, sondern will ihn einfach zurücklassen. Nur-wo steckt Semir überhaupt-und wie können ihn seine Freunde finden?

    Nach einer ruhigen Nacht für alle drei Patienten wurde als Erster Hintersteiner auf Normalstation verlegt. Man hatte seine Brandverletzungen mit speziellen Wundauflagen abgedeckt, er bekam weiter Infusionen und starke Schmerzmittel, aber er durfte beginnen ein wenig herumzulaufen und zu essen und zu trinken. Als am späteren Vormittag Elfriede zu ihm kam, war sie deswegen sehr erfreut und gleich erzählte sie ihm, dass sie im Kölner Dom gewesen war und eine ganze Batterie Kerzen angezündet hatte, um den himmlischen Beistand noch etwas anzutreiben. „Frieda, dann kann ja nichts mehr schief gehen!“ sagte Josef voller Urvertrauen und dann unterhielten sie sich über Erlebnisse aus ihrer gemeinsamen Kindheit in einer rauen, armen Gegend, die Menschen hervorgebracht hatte, die nicht jeder Windstoß umwarf.

    Auch Semir hatte ein wenig ängstlich die Visite erwartet. Als man den Armverband abwickelte, war er genauso gespannt, wie die Ärzte und Schwestern, aber im Gegensatz zum Vortag waren die Wundränder frisch und gut durchblutet. Die Entfernung der Jodoformtamponaden entlockte ihm auch trotz Schmerzmedikation einen scharfen Schmerzenslaut, aber es wurde beschlossen, ihn zwar vorsichtshalber noch vorerst auf Intensiv zu lassen, er durfte aber aufstehen und normal essen und trinken. Die Schwester erneuerte den Verband und dann bekam er ein gutes Frühstück hingestellt.„Herr Jäger geht gegen Mittag wieder zum VAC-Wechsel in den OP!“ sagte der Chefarzt, war aber sehr zufrieden, dass die Entzündungswerte auch bei ihm fallend waren, die Pumpe nur noch wenig Sekret förderte und man auch die kreislaufstützenden Medikamente schon hatte ausschleichen können. Das war ein Zeichen, dass Ben nun aus der Sepsis war und sein Körper die Entzündung in seinem Bauch begann, in den Griff zu kriegen.

    Dann zog die Visite ins Nebenzimmer weiter und da lag Sarah, zwar noch blass, aber überglücklich, dass das Kind und sie wohlauf waren und ließ sich nun vom operierenden Chirurgen atemlos berichten, wie sie den Defekt in dem großen Blutgefäß bei ihr abgedeckt hatten. „Die eine Drainage darf auch schon raus, wir lassen die andere nur noch zur Sicherheit drin, damit wir sofort bemerken, falls es doch noch zu bluten anfangen sollte.“ ordnete der Chefarzt an und der Gynäkologe, der in dem Pulk ganz hinten gestanden hatte, flüsterte ihr noch zu: „Ich komme nachher und mache einen gründlichen Ultraschall!“ und nun lächelte Sarah. Es war jedes Mal wunderschön, wenn sie ihr Kind sozusagen aus der Nähe sehen konnte. Auch Sarah durfte beginnen etwas zu essen und zu trinken und wurde ihre Magensonde los. Kaum hatte sie ein wenig Tee und Pudding gegessen, da wurde auch schon das große 3-D-Ultraschallgerät herein gefahren und voller Liebe sah Sarah auf das kleine Wesen auf dem Bildschirm, das munter im Fruchtwasser schwamm, empört gegen den Schallkopf trat und dann mit einer winzigen Hand, an der man aber alle Finger deutlich erkennen konnte, nach der Nabelschnur griff. Sehr gründlich kontrollierte und vermaß der Gynäkologe mit dem Gerät, das die Bilder dreidimensional umrechnete, das Kind und warnte dann Sarah: „Wenn du nicht wissen willst, was es wird, dann schau jetzt sofort weg!“ denn man konnte zu diesem Schwangerschaftszeitpunkt und mit diesem Gerät zweifelsfrei das Geschlecht erkennen. Nach kurzem Zögern wandte Sarah tatsächlich folgsam den Blick ab-sie und Ben hatten ausgemacht, sich überraschen zu lassen und sie würde sich auch daran halten. Zum Abschluss bekam Sarah noch mehrere Ausdrucke, auf denen man die Gesichtszüge des Babys deutlich erkennen konnte und noch lange nachdem der Gynäkologe das Zimmer verlassen hatte, sah sie die Porträtfotos des Kindes an. Er hatte ihr versichert, dass mit dem Kind, soweit man das beurteilen konnte, alles in Ordnung war und sie nun die restliche Schwangerschaftsdauer mit viel Schonung durchaus genießen dürfe. „Ich gehe davon aus, dass durch die kurze Zeit der Unterversorgung keine Schäden entstanden sind!“ hatte er ihr mitgeteilt und das war so ziemlich das Schönste, was sie sich vorstellen konnte. Allerdings musste Ben das nun auch dringend erfahren!

    Als ihre Kollegin zu ihr kam und die Drainage, wie angeordnet, entfernte, bat sie sie: „Ich weiß, das macht fürchterlich viel Aufwand, aber meinst du, du könntest mich mit dem Bett zu meinem Lebensgefährten fahren? Wir brauchen ja für mich keine Überwachung, aber ich möchte ihn doch so gerne sehen!“ fragte sie und nach kurzer Überlegung stimmte die Pflegekraft zu. Natürlich war das aufwendig, aber sie konnte Sarah so gut verstehen! Nach dem, was sie die letzten Tage alles mitgemacht hatte, war das nur recht und billig, wenn sie ihren Freund wenigstens kurz zu sehen bekam. „Aber du versprichst, dass du dich nicht allzu sehr aufregst?“ versicherte sie sich, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Ich weiß, er ist beatmet und hat `ne VAC-Pumpe hängen-glaub mir, ich werde mich nicht aufregen!“ bekräftigte sie und mit einem Lächeln begann nun die Schwester, Sarah von allen nicht unbedingt nötigen Kabeln und Infusionen kurzzeitig zu befreien. Den Monitor mit der Blutdrucküberwachung nahm sie allerdings mit und ein Kollege fasste mit an, um das Bett um die Ecke ins nächste Zimmer zu rangieren.

    Semir sah erstaunt auf. Er hatte gerade ein Spiel auf seinem Smartphone gespielt, um sich die Zeit zu vertreiben, als sich plötzlich die Schiebetür weit öffnete und ein weiteres Bett hereingefahren wurde. Gerade wollte er protestieren, dass es nun aber verdammt eng werden würde, aber da sah er, wer in diesem Bett lag und glücklich lächelnd ein paar Bilder umklammert hielt. „Sarah! Wie geht´s dir?“ fragte er überrascht, während man sein Bett ein Stück zur Seite schob, um Platz für Sarah mit ihrer Liegestatt zu machen. „Danke der Nachfrage Semir, uns beiden geht´s ganz gut!“ sagte Sarah, die von ihren Kollegen auch von Semir´s plötzlichem Zusammenbruch gehört hatte, aber wusste, dass es auch dem nun besser ging. Als sie nun ganz nahe zu Ben geschoben wurde, schaute sie ihn voller Liebe an. Der Anblick schreckte sie nicht, denn es war ihr tägliches Brot auf der Intensiv, solche Patienten zu betreuen. Sie nahm wahr, dass er noch ein wenig verschwollen wirkte, aber als er nun langsam den Kopf drehte und mühsam die Augen öffnete, hätte sie weinen können vor Glück. Sie bemühte sich allerdings ruhig zu bleiben und tatsächlich stieg ihr Blutdruck zu keiner Zeit in gefährliche Bereiche. „Schatz, ich liebe dich und bin so froh, dass du lebst!“ sagte sie gerührt und streichelte ihn. „Sieh mal, ich habe Fotos von unserem kleinen Racker!“ plapperte sie dann weiter und hielt sie Ben direkt vors Gesicht. Der kniff die Augen zusammen, um scharf zu sehen und er konnte durchaus ein kleines Baby auf einer Art Foto erkennen. Ihm war zwar schleierhaft, wie man die angefertigt hatte, aber durch die Sedierung flossen seine Gedanken eh träge durch seinen Kopf. Allerdings war er sehr erleichtert, dass Sarah bei ihm und wohlauf war und als auf Sarah´s Bitten die Schwester nun seine eine Hand von der Fixierung befreite, rückte sie, so nahe es ging, zu ihm und legte die immer noch fieberheiße Hand auf ihren Bauch, in dem gerade wieder Turnstunde war. Entzückt schloss Ben die Augen und war nur noch am Fühlen. Sein Kind war erst noch munter, aber dann wurde es wieder wie auf Kommando ruhig und schmiegte sich in seine schützende Hand. Sarah legte ihre beiden Hände auf Ben´s Hand und legte sich aufatmend zurück. Angesichts dieser rührenden Szene kamen Sarah´s Kollegen beinahe die Tränen und auch Semir musste schlucken. Die Schwester legte eine leichte Decke über die beiden und verließ dann den Raum. „Ich lasse euch ein wenig alleine-sie läuten Herr Gerkan, wenn etwas ist-und in einer viertel Stunde fahre ich dich wieder zurück, Sarah!“ bestimmte sie und Semir nickte. Allerdings war ihm klar, dass da nichts sein würde, denn eine wirkungsvollere Motivation als diese hier würde es für Ben nicht geben. Der würde nun alles tun, um bald wieder gesund zu werden!

    Gut-man lernt immer dazu-das war mir völlig neu-ich kenne das Mittel nur immer als das, von dem die jungen Mädels die im Alkoholvollrausch bei uns bewusstlos eingeliefert werden, immer behaupten, sie wären damit betäubt worden. Ich kann mich aber an keinen Fall erinnern, wo man das nachweisen konnte-könnte aber auch an der kurzen Halbwertzeit liegen.
    In Deutschland ist es, auch wenn es anderweitig vielleicht einsetzbar wäre, nur zur Behandlung von Schlafstörungen zugelassen-für Narkosen haben wir hier andere Medikamente, aber ein Waffenschmuggler hält sich halt an keine Gesetze-bin trotzdem froh, dass das mein Gynäkologe nicht eingesetzt hat! Aber du hast Recht Elli-möglich wär´s!

    Ja nach der Warnung der Arzthelferin sucht Dr. Reiners gemeinsam mit Semir im Rollstuhl das Weite. Mir ist zwar nicht klar, warum der Gynäkologe für eine Hausgeburt KO-Tropfen braucht, aber ich bin auf jeden Fall froh, dass mein Gynäkologe wohl keiner Doppelbeschäftigung nachging als ich meine Kinder gekriegt habe! ;(
    Semir ist in irgendeinem Versteck angekommen und darf nun sogar kurz mit Ben sprechen-aber wie Akinna schon vermutet, wahrscheinlich eher zu kurz für eine Ortung! Aber vielleicht findet ja wirklich Susanne was heraus-irgendeine Liegenschaft, die dem Doktor gehört, wo er versteckt sein könnte.
    Ein wenig beruhigt mich, dass der Iraner ja so wie es sich anhört nichts gegen Semir persönlich hat, sondern ihn nur braucht, um die Waffen frei zu pressen. Und diese ganzen Waffenhändler-wollen die nicht alle der Freiheit und der Gerechtigkeit dienen? Gerade im Nahen Osten ist das sicher sehr ehrenhaft!

    Einige Anlieger, die anscheinend netterweise ein wachsames Auge auf ihr Haus hatten, kamen nun ebenfalls zu ihnen und so konnte Andrea dem einen gleich mitteilen, dass sie vor hatten, vorrübergehend in die Mietwohnung zu ziehen, die er Semir angeboten hatte. „Wo ist überhaupt dein Mann?“ fragte der Nachbar Andrea, über deren Gesicht nun ein Schatten flog. „Semir hat im Arm eine üble Infektion und liegt nun selber im Krankenhaus!“ berichtete sie und wenig später machten Susanne und sie sich mit vielen Gute-Besserungs-Wünschen auf den Weg mit zwei Autos zu ihren Eltern. Dort wurde Susanne stürmisch von den Mädchen begrüßt und Margot legte noch ein weiteres Gedeck für die Freundin ihrer Tochter auf. Wenig später machten sie sich gemeinsam mit den Kindern auf zum Psychologentermin und die Therapiesitzung verlief besser, als Andrea das erwartet hatte. Sie hatte-während eine Helferin und Susanne mit den Kindern spielten- der erfahrenen Kinderpsychologin von den Geschehnissen erzählt, aber die konnte sie schon nach der ersten Sitzung beruhigen. „Frau Gerkan, ihre Kinder werden das Trauma überwinden, da bin ich mir ganz sicher. Wie ich feststellen konnte, haben die auch vom Tod des Chemikers überhaupt nichts mitbekommen und sind erst vom Feuer wach geworden.“ erklärte sie „Wenn sie mit ihren Kindern in einigen Wochen ein Lagerfeuer im Garten machen können, dann haben wir es geschafft!“ fügte sie hinzu. „Der Verlust ihrer Spielsachen, des Zimmers und die Branderfahrung sind zwar schlimm, aber seien sie beruhigt, da habe ich schon üblere Dinge wieder hingekriegt. Diese Kinder sind geborgen in ihrer Familie, haben ein Nest in dem sie sich sicher fühlen können und das ist für ein Kind wesentlich wichtiger als materielle Dinge. Wenn Fragen kommen, seien sie ehrlich, versuchen sie nichts zu bagatellisieren, aber machen sie auch kein Drama draus!“ schlug sie vor und mit den nächsten Terminen auf einem Zettel verließen die vier das Büro der Psychologin.

    Während Susanne mit den Mädchen einen nahe gelegenen Spielplatz aufsuchte, ging Andrea nochmals kurz zu Semir. Voller Bangen drückte sie auf die Türglocke und war kurze Zeit später positiv überrascht, denn Semir saß gerade im Bett und löffelte ungeschickt einen Joghurt. Auch eine Wasserflasche stand vor ihm und er sagte mit breitem Grinsen: „Stell dir vor-die wollten mich hier verhungern lassen, aber denen habe ich´s schon gezeigt!“ und nun kamen Andrea beinahe Tränen des Glücks. Wenn er schon wieder Appetit hatte und auch etwas zu Essen bekam, dann würde es wohl nicht so schlimm sein! Sie erzählte ihm von der Sitzung beim Psychologen und auch das brachte Semir zum Lächeln. „Na siehst du, es wird alles gut werden, nun müssen wir nur noch Ben dazu bringen, dass er sich mal ein wenig anstrengt. Mir ist langweilig, ich würde mich viel lieber mit ihm unterhalten, aber der Herr zieht es ja vor, einfach vor sich hin zu pennen!“ beschwerte er sich und als Andrea´s Blick nun zum Nebenbett wanderte, konnte sie erkennen, dass Ben empört die Stirn gerunzelt hatte. Anscheinend bekam der sehr wohl was mit!

    Ben war im OP voller Erleichterung in die ersehnte Narkose geglitten. Er hatte solche Angst gehabt, bei vollem Bewusstsein operiert zu werden, aber die war unnötig gewesen. Nun war er in einem merkwürdigen Zustand. Er schlief vor sich hin, hatte keine Schmerzen, aber er konnte durchaus manchmal hören, was um ihn herum vorging. Gerade wenn er angefasst wurde, oder jemand direkt zu ihm sprach, konnte er sich kurz konzentrieren und verstand auch einen Teil davon, allerdings war es dann immer zu mühsam für ihn, wach zu bleiben und deshalb zog er es vor, wieder in seine Traumwelt zu gleiten. Er hörte vertraute Stimmen, dann wieder fremde, er wurde gedreht und abgesaugt und irgendwann wurde ihm mal sterbenselend und um ihn herum wurde es laut und hektisch. Danach allerdings stellte er fest, nachdem sich alles wieder beruhigt hatte, dass er sich in einem geringen Maße rühren konnte. Er blinzelte mehrmals und irgendwann schaffte er es, die Augen einen kurzen Moment zu öffnen, bevor er vor Erschöpfung wieder einschlief. Nun ging es ihm aber zügig besser, er merkte, wie seine Kraft, soweit es die Medikamente zuließen, zurückkehrte. Er wusste auch: Semir war da-er hörte immer wieder dessen Stimme und war sehr beruhigt deswegen.Als er eine kurze Zeit ein wenig wacher war, begann er Sarah zu vermissen. Er brachte in seinem wirren Kopf die Zusammenhänge nicht so richtig zueinander, aber er wusste, dass es kein gutes Zeichen war, wenn er sie nicht hören und spüren konnte. Da trat plötzlich ein fremder Mann zu ihm, legte ihm beruhigend eine Hand flach auf die Brust und sprach mit ihm. Er erzählte ihm, dass Sarah in Gedanken bei ihm war und er spürte, dass dieser Mann völlig ehrlich war und so konnte er wieder, nach einem kurzen Zeichen, dass er verstanden hatte, in den wohltuenden Schlaf tauchen, in dem sein Körper, unterstützt von den Antibiotika, den Kampf gegen die Keime in seinem Organismus aufnehmen konnte.
    Einige Zeit später-er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen war-hörte er Andrea´s Stimme, die von Semir hatte er im Unterbewusstsein schon mehrmals mitbekommen, aber jetzt beschwerte sich der doch glatt bei seiner Frau, dass er-Ben-zu faul sei, sich mit ihm zu unterhalten. Na warte! Dem würde er es zeigen!

    Nach einer Weile hatte sich Sarah´s Atem beruhigt. Man konnte die Sauerstoffmaske gegen eine Brille austauschen und der Arzt erklärte ihr: „Sarah! Bei dir war die Bauchaorta verletzt. Wir haben nur einen Patch drauf gepackt, also ist es in nächster Zeit wichtig, dass du dich überhaupt nicht anstrengst und alles vermeidest, was zu einem Blutdruckanstieg führen könnte!“ sagte er und Sarah fragte nun: „Welchen Tag haben wir heute?“ und der Doktor erklärte ihr, dass der Donnerstag Vormittag inzwischen hereingebrochen war. In der Nacht von Montag auf Dienstag war die Katastrophe passiert und nun stellte Sarah die Frage, die ihr die ganze Zeit schon bang unter den Nägeln brannte: „Was ist mit Ben Jäger, meinem Lebensgefährten?“ und nun gab der Arzt die Antwort, vor deren Konsequenz ihm schon die ganze Zeit graute, denn er befürchtete einen Blutdruckanstieg mit allen Folgen. Die Arterienkurve auf dem Bildschirm fest im Blick sagte er: „Er lebt, mach dir keine Sorgen!“

    Er überlegte derweil fieberhaft, was genau er Sarah mitteilen konnte. Alleine mit dieser Auskunft würde sie sich nicht zufrieden geben. Wenn sie das Gefühl hatte, man würde sie anlügen, würde sie sich nur umso mehr aufregen. Außerdem würde sie verlangen, dass man ihn an ihr Bett holte, wenn es ihm doch angeblich so gut ging und das war nun wirklich nicht möglich. Sarah´s Blutdruck blieb auch völlig im Normbereich, aber sie kannte den Arzt, mit dem sie öfter zusammenarbeitete gut genug, um zu merken, dass ihr der was verheimlichte. „Raus mit der Sprache!“ sagte sie deshalb einfach. „Ich werde versuchen, mich in Griff zu behalten, aber die Ungewissheit ist schlimmer als alles andere!“ und da musste er ihr innerlich zustimmen. Er nahm deshalb Sarah´s Hand und sagte: „Dein Freund liegt im Nebenzimmer. Er kann dich nicht besuchen kommen, denn er ist selber beatmet und hat einen VAC-Verband auf dem Bauch. Allerdings haben wir die Sache im Griff, du kannst mir glauben, wir passen gut auf ihn auf!“ erklärte er und Sarah nickte. „Dann war doch der Darm von der Messerattacke verletzt!“ überlegte sie und ihr Blutdruck war zwar leicht angestiegen, aber immer noch im Normbereich. Dem Arzt graute, als er daran dachte, dass Sarah über kurz oder lang erfahren würde, dass da jemand in der Notaufnahme was verbummelt hatte, aber im Augenblick brauchte sie das noch nicht zu wissen. „Er hat auch ein Schlangenserum bekommen, um die Wirkung des injizierten Giftes aufzuheben und anscheinend hat das gewirkt!“ erklärte er ihr noch, denn auch ihm waren die Umstände, wie man sie und ihren Partner aufgefunden hatte, bekannt-das hatte sich wie ein Lauffeuer im Krankenhaus verbreitet. Von der anaphylaktischen Reaktion musste sie auch noch nichts erfahren, das würde später genügen.
    „Tust du mir einen Gefallen?“ fragte Sarah den Arzt, der immer noch ihre Hand hielt und der nickte stumm. „Geh doch bitte rüber zu Ben, fass ihn an und sag´s ihm, dass ich in Gedanken bei ihm bin!“ und der Doktor nickte und verließ wenig später das Zimmer, um den Auftrag auszuführen. Sarah schloss die Augen, stellte ihr Bett ein wenig flacher und versuchte noch ein wenig auszuruhen. Immerhin, sie drei lebten und alles andere würde sich geben-und mit diesem Gedanken nickte sie noch ein wenig ein.
    Der Arzt war ins Nebenzimmer gegangen und hatte Sarah´s Auftrag ausgeführt. Auch er war nach seiner langen Intensiverfahrung der Überzeugung, dass sedierte Patienten oft mehr mitbekamen, als man dachte. „Herr Jäger!“ sagte er deshalb und legte seine Hand auf Ben´s Brust. „Ich soll ihnen von Sarah ausrichten, dass die in Gedanken bei ihnen ist. Sie kann im Augenblick noch nicht selber kommen, aber auch das wird sich bald ändern!“ fügte er hinzu und wieder konnte man erkennen, dass Ben versuchte, die Augen zu öffnen.
    Im Nebenbett hatte Semir, der gerade, bewacht von Andrea, seine Narkose ausschlief, ebenfalls seine Augen wieder geöffnet. „Geht´s Sarah gut?“ wollte er wissen und der Arzt nickte mit dem Kopf. „Sie ist extubiert-jetzt müssen nur sie und Herr Jäger noch gesund werden!“ bemerkte er und Semir sagte voller Überzeugung: „Eine unserer leichtesten Übungen!“

    Susanne hatte immer noch Nachtdienstfrei und als sie versuchte Andrea auf dem Handy zu erreichen und die nicht ranging, rief sie kurz entschlossen bei ihren Eltern an, die ihr auch gleich mitteilten, dass Andrea ins Krankenhaus gefahren war, weil von dort ein besorgniserregender Anruf gekommen sei. Margot, die am Telefon war, sprach leise, denn sie wollte die Mädchen, die langsam begannen, normal zu spielen, nicht beunruhigen. Susanne machte sich auch gleich auf den Weg und eine Stunde später kam eine Schwester zu Andrea: „Ihre Freundin wartet draußen auf sie!“ sagte sie freundlich und als Semir zu seiner Frau sagte: „Nun schau bloß zu, dass du zu deinen Eltern gehst und was in den Magen kriegst. Mir geht´s gut, du weisst doch, Unkraut vergeht nicht!“ erhob sie sich tatsächlich folgsam und ging nach einem zärtlichen Kuss auf Semir´s Wange hinaus, nicht ohne zuvor aus seinem Nachttisch den Haustürschlüssel geholt zu haben.Tatsächlich musste sie ja schon bald mit den Mädchen zum Kinderpsychologen und nachdem sie ja den Wagen ihrer Eltern dabei hatte, konnte sie das auch gar nicht delegieren.
    Susanne nahm sie auch gleich liebevoll in den Arm und nun bat Andrea, die inzwischen wieder die Hoffnung hatte, dass sich alles zum Guten wenden würde, ihre Freundin, doch mit ihr zu ihrem Haus zu kommen, damit sie ihren Wagen wieder hatte. Sie benutzen das Fahrzeug von Andrea´s Eltern, Susanne war mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Uniklinik gekommen und je näher sie der Wohnstraße kamen, in dem ihr schönes Haus mit dem Schwimmteich davor stand, desto langsamer fuhr Andrea. Was würde sie wohl erwarten? Allerdings sah das Haus von außen gar nicht so schlimm aus. Man konnte erkennen, dass das Dach provisorisch verschlossen war, aber sonst war eigentlich alles wie sonst. Mit einem Kloß in der Magengrube schloss Andrea die Tür auf. Der Gestank nach kaltem Rauch und verschmortem Plastik erfüllte den Raum, aber es liefen Entlüftungsgeräte. Eigentlich hatte Andrea vorgehabt, nur schnell ihren Autoschlüssel von der Garderobe zu nehmen, aber wie eine von außen gelenkte Marionette begann sie dann die Stufen in den ersten Stock zu erklimmen. Immer langsamer wurden ihre Schritte und sie atmete erst einmal tief durch, bevor sie um die letzte Ecke bog. Vor ihr waren die ausgebrannten Kinderzimmer. Es war dunkel, denn die geborstenen Fensterscheiben waren ja durch Bretter und Folie ersetzt und Licht ging auch nicht, wie sie unten gleich nach dem Betreten des Hauses festgestellt hatte. Eine kalte Faust griff nach ihrem Herzen, aber Susanne war dicht hinter ihr, legte den Arm um sie und sagte: „Denk dran-ihr lebt-und der Täter hat seine gerechte Strafe bekommen!“ und nun nickte Andrea langsam. Sie wandte den Blick von der dunklen Höhle, die beinahe zum Grab ihrer Kinder geworden wäre, ging dann zum Schlafzimmer und warf dort ein paar nach Rauch stinkende Klamotten in eine Reisetasche. Sie würde bei ihrer Mutter versuchen durch Waschen den Geruch herauszubekommen und wenn das nicht ging, musste man eben was Neues kaufen, aber einen Versuch war es wert. Als sie gemeinsam wieder hinuntergingen, beschloss Andrea, bevor sie die Garage betrat allerdings, dass sie es schaffen könnte zu vergessen und als ihr Blick auf Susanne fiel, die sie voller Liebe ansah, atmete sie tief durch. Mit solchen Freunden würde es möglich sein!

    Hintersteiner sah seine Schwester an. „Hmm, das ist merkwürdig, dass sich Semir nicht meldet, irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl dabei, nicht dass mit seiner Frau oder den Kindern doch etwas Schlimmeres ist!“ sagte er besorgt. „So wie ich ihn nämlich einschätze, hat der normalerweise sein Handy immer dabei-im Gegensatz zu mir!“ überlegte er. „Wie kann man da jetzt etwas herausfinden?“ fragte Frieda nachdenklich, aber da hatte Josef schon die Notrufnummer gewählt und war Sekunden später mit der PASt verbunden. Man stellte ihn nach kurzer Zeit zu Frau Krüger durch und als Josef nun deren Erklärungen lauschte, wurde sein Gesicht lang und länger. „Was ist?“ wollte Frieda angespannt wissen, aber als er aufgelegt hatte, sah Hintersteiner sie traurig an. „Stell dir vor-mein Freund Semir liegt selber auf der Intensivstation. Seine Frau und die Kinder sind wohlauf und inzwischen entlassen, aber Semir hat sich in die Schnittverletzung am Oberarm üble Keime eingefangen und kämpft jetzt in der Uniklinik um den Erhalt seines Armes, wenn nicht gar sein Leben. Und ich bin schuld, weil ich den Chemiker nicht richtig getroffen habe, so dass der nicht sofort kampfunfähig war!“ sagte er traurig und nun sah Frieda ihn unglücklich an. Ging das nun wieder los mit den Selbstvorwürfen? Nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter hatte er auch immer nach Gründen gesucht, warum die gerade zu dieser Uhrzeit auf dieser Strecke gefahren waren, auf der sie verunglückt waren. Natürlich war das Schicksal, aber Josef war lange nicht darüber hinweggekommen-war es bis heute nicht. Kein Mensch konnte so einen Schicksalsschlag einfach so wegstecken und obwohl er so rund und stabil wirkte, war ihr Sepp ein sensibler, zartfühlender Mensch, der für seine Familie und seine Freunde alles tat!
    „Josef!“ sagte sie deshalb eindringlich. Du bist nicht schuld daran, wenn es deinem Freund jetzt schlecht geht! Denk doch daran, wie viel schlechter es ihm gehen würde, wenn seine Kinder und seine Frau erstickt oder verbrannt wären. Komm wir beten jetzt für ihn und legen sein Schicksal in Gottes Hand!“ sagte sie und Josef nickte. Seine Schwester und er waren im erzkatholischen Nachkriegsbayern sehr konservativ aufgezogen worden und wenn man nicht mehr weiter wusste, dann waren der Glaube und das Gebet doch oft hilfreich. Nach dem Gebet legte Josef sich zurück und schloss die Augen. Im Moment konnte er nichts tun und durch die starken Schmerzmittel war er auch noch sehr müde. Während er sich ausruhte, betete seine Schwester noch ein Weilchen weiter und bis er sich versah, war er unter dem beruhigenden Klang ihrer Stimme eingeschlafen.

    Sarah wurde derweil von Minute zu Minute wacher. Die Beatmungsparameter waren bereit zur Extubation und inzwischen begann der Tubus sie gewaltig zu stören-schließlich bekam sie inzwischen auch überhaupt keine sedierenden Medikamente mehr. Die Kollegin, die sie betreute, holte den Arzt, der Sarah erst ein paar Fragen stellte, die sie mit Nicken oder Kopfschütteln beantwortete. Beim vorsichtigen Absaugen des Mundraums musste sie husten und bevor der Blutdruck vor Stress nun doch noch ansteigen würde, entblockte der Arzt kurzerhand den Beatmungsschlauch und zog ihn heraus. Man machte Sarah´s Hände los und fuhr das Bett in Sitzposition. Mit einer Sauerstoffmaske auf dem Gesicht rang sie erst ein wenig nach Atem, aber dann bekam sie gut Luft. Bevor sie noch nach Ben fragen konnte, begann das Kind in ihrem Bauch sich wieder zu regen-auch bei ihm war die Narkose ausgeschlafen und Sarah wurde von einer großen Dankbarkeit übermannt.

    So-jetzt wissen die also, dass Kevin Polizist ist. Zuvor hat er sich noch ne blutige Nase geholt, aber was das weiter für Konsequenzen hat, wissen wir noch nicht-allerdings befürchte ich, die Geiselnehmer ebenso wenig!
    Ich kriege übrigens jedesmal Panik, wenn ich mir vorstelle meine Nase wäre verstopft, egal ob durch Blut oder etwas anderes und ich wäre geknebelt! Ratz fatz wars das dann! Armer Kevin!

    Ben und Yvonne führen ihre Befragungen weiter. Ach deshalb war der Sohn des Generals von der Familie ausgestoßen! Weil er schwul ist, das ist aber ganz schön schwach, zumindest von der Schwester, dass sie sich da auf die Seite ihres Vaters schlägt-und das in der heutigen Zeit.
    Mark ist sofort bereit zu kooperieren, aber leider weiß er wirklich nicht, wer der Iraner sein könnte, im Gegensatz zu Oliver, der aber erst nach einigen versteckten Drohungen bereit ist, die Handynummer rauszurücken. Bin mega gespannt, wem die gehört!
    Der Gynäkologe geht inzwischen seiner Praxis nach. Ich wäre in Ohnmacht gefallen, wenn ich im fünften Monat erfahren hätte, dass ich Zwillinge kriege und ich hoffe ja, er hat seiner Patientin auch gleich eine Überweisung zum Diabetologen mitgegeben, der den Zucker einstellt und sie im Spritzen unterweist! So aber macht der Arzt früher Feierabend und macht sich ins Krankenhaus auf, um Semir zu besuchen-der wird sich freuen, seinen Retter zu sehen!

    Gut dass Kevin sich mit Ben angefreundet hat. Der unternimmt immerhin ab und an was mit ihm und holt ihn aus seiner selbst gewählten Isolation. Dass er allerdings, ohne das mitzuteilen nicht mehr bei der Mordkommission arbeitet (na bei so nem unfreundlichen Kollegen wie Erwin kein Wunder), gibt Anlass zur Sorge und gemeinsam mit Semir geht Ben der Sache auf den Grund.
    Ehrlich gesagt, ich hätte jetzt fast erwartet, dass Semir bei der Frage nach dem Urlaubsziel: "Mallorca" angibt-mal sehen, ob ich Recht habe! ;) Übrigens kann ich mir auch genau vorstellen, wie Semir da auf dem Schreibtisch sitzt-das ist für ihn eine typische Körperhaltung-dieses tolle Gefühl für Atmosphäre ist eine deiner großen Stärken, Campino!

    Kaum war das Serum injiziert, schoss Ben´s Puls in beängstigende Höhen. Er jagte flach bei einer Frequenz um die 200 Schläge pro Minute, was fast das Dreifache des Normalwerts war. Außerdem sackte der Blutdruck, der die letzten Tage immer stabil um die 120 systolisch gewesen war, so ab, dass er kaum mehr messbar war. Zugleich begann Ben sich im Gesicht zu verändern. Es schwoll in einer dermaßenen Geschwindigkeit an, dass man zusehen konnte. Während die beiden Schwestern schon mit dem Notfallwagen kamen, hatte der Arzt mit ein paar Handgriffen das Bett in Kopftieflage gebracht. Sein Patient erlitt gerade einen heftigen anaphylaktischen Schock, vermutlich auf das artfremde Eiweiß im Schlangengiftserum. Als er sah, wie das Gesicht dick wurde, dankte er Gott, dass sein Patient bereits intubiert war, denn da einen Tubus durch geschwollene Stimmlippen zu schieben, war ein Kunststück, das manchmal schief ging und man dann nur noch zur Notfallkoniotomie schreiten konnte-einem speziellen Luftröhrenschnitt. Aber das war hier Gott sei Dank nicht nötig, denn die Beatmungsmaschine pumpte fleißig weiter Luft in Ben. Nur die Beatmungsdrücke musste man erhöhen und den Sauerstoff hochstellen, da natürlich das Lungengewebe genauso anschwoll, wie der Rest des Körpers.„Bitte 1000mg Prednisolon!“ ordnete der Arzt an, denn dieses hochdosierte Cortison war in diesem Fall das Notfallmedikament schlechthin und eine der Schwestern begann sofort, die Ampulle aus dem Notfallwagen vorzubereiten. Die bestand nämlich aus Trockensubstanz und Lösungsmittel und so dauerte es etwa eine Minute, bis das Mittel fertig zur Injektion war. Die andere Schwester hatte derweil eine der hängenden Infusionen sehr schnell gestellt, denn weil die Flüssigkeit in Ben´s Körper ja aus dem Gefäßsystem ins Gewebe austrat, hatte er gerade einen Volumenmangel, obwohl ja das Wasser eigentlich in ihm war, nur eben nicht an der richtigen Stelle, nämlich im Blutkreislauf.

    "Bitte auch noch einen Perfusor mit Noradrenalin vorbereiten!“ befahl der Arzt ruhig und die eine Schwester ging kurz aus dem Zimmer, um das Gewünschte zu holen, während die andere nun das inzwischen gelöste Cortison injizierte. Langsam begann sich daraufhin die Lage zu beruhigen. Die Schwellung des Gesichts nahm nicht mehr weiter zu, die Herzfrequenz ging ein wenig zurück, zwar bei weitem nicht in den Normbereich, aber doch in Bereiche, wo das Herz ordentlich pumpte und der Körper, vor allem das Gehirn, wieder ordentlich versorgt werden konnten. Inzwischen hatte die zweite Pflegekraft den Perfusor mit dem kreislaufstützenden Medikament vorbereitet und als man den startete, war nach kurzer Zeit der Blutdruck wieder messbar und mit ein wenig Herumspielen, brachte man ihn in einen akzeptablen Bereich. „Er bekommt noch einen weiteren Liter Vollelektrolytlösung mit vier Ampullen Calcium darin über eine Stunde“, beschloss der Arzt und die Schwester spritzte die Calciumampullen in die Infusion und hängte die ebenfalls an. Langsam normalisierten sich die Werte und als der Arzt nun in Ben´s Augen leuchtete, reagierten die Pupillen sofort, was gegen eine Unterversorgung des Gehirns sprach. Noch etwas war zu bemerken. Ben war zwar sediert, aber trotzdem versuchte er, ob bewusst, oder unbewusst seine Muskeln anzuspannen und presste gegen die Beatmungsmaschine. Mit einem Lächeln sagte der Arzt: „Na immerhin hat das Serum anscheinend gewirkt!“ und dann erhöhte er die Narkosemittel noch ein wenig und die Schwester machte vorsichtshalber Ben´s Hände fest. Man brachte das Bett wieder in Normallage, denn der halbe Kopfstand des Patienten war nun nicht mehr notwendig und dann wurde der Notfallwagen aus dem Zimmer gefahren. Die nachfolgende Blutgaskontrolle erbrachte auch akzeptable Werte und als wenig später Semir wieder aus dem OP geholt wurde, hatte sich die Situation wieder beruhigt.

    Als Semir´s Bett an Ben vorbeigefahren wurde, bat der darum, dass man schnell anhielt. Mit dem gesunden Arm, in dem zwar die Arterie steckte, der aber trotzdem normal zu gebrauchen war, fasste Semir zu Ben hinüber, der zwar etwas verschwollen aussah, aber sonst friedlich in seinem Bett lag. „Schön dass du noch da bist!“ sagte Semir voller Liebe und berührte ihn kurz und er meinte daraufhin, dass Ben ein wenig mit den Augen gezwinkert hätte. Semir´s Bett wurde wieder an seinen Platz gefahren und als wenig später eine völlig aufgelöste Andrea hereingeholt wurde und ihn innig küsste, lächelte der sie an und sagte: „Ist halb so schlimm bei mir, aber ich habe es im Gefühl, Ben wird wieder!“ und damit schloss er die Augen, um seine Narkose noch ein wenig auszuschlafen.

    Als wenig später die große Visite kam, beschlossen die Weißkittel Ben gleich danach das Serum zu spritzen. Semir war schon in den OP abgerufen und eine Schwester ordnete gerade noch die Papiere und steckte die Monitore und Infusionen Semir´s auf Transportbetrieb, da nahm der Stationsarzt die gekühlte Spritze aus der Verpackung und injizierte sie komplett in Ben´s ZVK. Ein anderer Arzt schob gerade mit der Schwester Semir´s Bett aus dem Zimmer, da gingen plötzlich bei Ben eine Menge roter Alarme los. Semir rief trotz Fieber: „Halt, was ist mit meinem Freund?“ aber sein Bett wurde weiter auf den Intensivflur geschoben, während zwei Schwestern mit dem Notfallwagen in das Zimmer stürzten. Den Tränen nahe versuchte Semir aus dem Bett zu klettern, um zu seinem Kollegen zu eilen, aber der Arzt drückte ihn zurück. „Wir müssen jetzt in den OP, da wartet das ganze Team auf sie Herr Gerkan, es geht schließlich auch um ihr Leben!“ herrschte er ihn an. Semir rief völlig außer sich: „Aber was ist, wenn mit Ben jetzt etwas ist-ich würde mir nie verzeihen, wenn ich ihn alleine gelassen hätte, wenn er mich am Nötigsten braucht!“ begann er mit dem Arzt zu diskutieren, während sich sein Bett immer weiter vom Intensivzimmer entfernte. „Dann können gerade sie jetzt auch nichts machen. Meine Kollegen kümmern sich um ihn und glauben sie mir, wenn jemand mit Notfällen, egal welcher Art, umgehen kann, dann wir hier auf der Intensivstation. Legen sie sich jetzt zurück und vertrauen sie auf uns.“ sagte der nun etwas freundlicher und Semir legte sich tatsächlich mit Tränen in den Augen zurück.

    Klar hatte der Doktor Recht, aber er meinte doch, dass Ben seine Anwesenheit fühlen konnte, auch wenn er sediert war und er hätte ihm jetzt gerne beigestanden. Was war überhaupt geschehen? Der Arzt hatte das Mittel gespritzt und dann war es laut geworden, mehr hatte er nicht erkennen können.
    Bevor er sich versah, waren sie in der Operationsabteilung verschwunden und er lag auf dem Förderband, das ihn auf den Tisch transferierte. Das Letzte was er dachte, als er die Narkosespritze bekam war: „Ben, mach jetzt bloß keinen Scheiß!“ und dann schlief er ein. Er wurde problemlos intubiert und die nächste halbe Stunde revidierten die Chirurgen wieder die neu befallenen Stellen, spülten die Wunde mit antiseptischen Lösungen und legten jodoformgetränkte Tamponaden ein, was ein sehr altes Verfahren war, das schon seit vielen Jahren erfolgreich zur Behandlung infizierter Wunden eingesetzt wurde. „Das Gewebe, das wir bisher entfernt haben, kann der Körper vielleicht noch alleine ersetzen, wenn wir nochmals ran müssen, kann es sein, dass wir zur Deckung später eine Hautverpflanzung machen müssen!“ überlegte der Operateur und der Assistent meinte leise: „Na wenn wir den Arm überhaupt erhalten können!“ und das OP-Team schwieg betreten. Gerade eine Amputation bei jungen Menschen war eine schreckliche Operation, die niemand gerne machte, weil der Betroffene für sein Leben entstellt war. Aber manchmal war das doch notwendig, meist bei Knochenkrebsen oder bei Gangränen in den Beinen bei Diabetikern mit schweren arteriellen Verschlusskrankheiten, aber wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, schöpfte man erst alle anderen Möglichkeiten aus. „Hoffen wir, dass ihm das erspart bleibt!“ sagte der Operateur ernst und während der Anästhesist die Narkose ausleitete, wurde der Arm noch dick verbunden.

    Semir hatte kaum den Tubus los und begann gerade seine Gedanken zu ordnen, die immer noch träge von der Narkose reagierten, da fiel ihm siedendheiß Ben wieder ein. „Was ist mit meinem Freund?“ verlangte er heiser zu erfahren, aber die Umstehenden zuckten nur mit den Schultern-woher sollten sie das wissen? Voller Bangen fuhr Semir wenig später in seinem Bett wieder auf die Intensiv zurück. Was würde ihn da wohl erwarten?

    Sarah wurde langsam wach. Das letzte an was sie sich erinnerte, war die Schwäche und Angst um ihr Kind gewesen, als man sie in den OP gebracht hatte. Ohne sagen zu können warum, wusste sie aber, dass seitdem geraume Zeit vergangen war. Es war ruhig im Zimmer, aber sie bemerkte, spätestens als sie mühsam die Augen öffnete, dass sie auf einer Intensivstation war. Sie erkannte die Geräte, aber nun musste sie sich noch ein wenig ausruhen. Deshalb schloss sie die Augen wieder und schlief noch eine Weile weiter, bevor sie erneut wach wurde. Nun stellte sie fest, dass sie intubiert war, aber das war gar nicht so unangenehm, wie sie sich das vorgestellt hatte. Als sie allerdings vorsichtig versuchte, ihre Hände zu bewegen, um nach ihrem Bauch zu fassen, stellte sie fest, dass die festgebunden waren. Da beugte sich schon eine Kollegin, die sie vom Sehen her kannte, über sie und sagte: „Sarah, kannst du mich verstehen?“ und sie nickte mit dem Kopf. „Sobald du wach genug bist, werden wir den Tubus herausziehen, bleib ganz ruhig!“ sagte sie eindringlich und warf einen besorgten Blick auf den Monitor. Wenn Sarah´s Blutdruck in die Höhe schießen würde, würde man sie sofort wieder sedieren, aber der bewegte sich im Normbereich. Sarah versuchte mit den Lippen eine Frage zu formulieren und die Schwester, die sich schon vorstellen konnte, was sie beschäftigte, sagte lächelnd. „Sarah, deinem Kind geht es gut, es ist auch noch in dir!“ und dann machte sie vorsichtig Sarah´s eine Hand los und legte sie ihr auf den gewölbten Bauch. Nun lächelte Sarah glücklich und während die Schwester ihre Hand wieder festmachte und ein wenig an den Beatmungseinstellungen veränderte, schloss sie die Augen wieder, um Kräfte zu sammeln, für den nächsten Schritt, der ihr bevorstand.

    Gerade habe ich mit meinem Sohn telefoniert. Die Op ist gut verlaufen, allerdings ist er gestern erst zur Mittagszeit drangekommen und als ich abends die 140km nach Hause gefahren bin-mit Zwischenstop bei meiner hilfsbedürftigen Mutter-wars noch nicht so toll. Er hat auch eine schmerzvolle und unruhige Nacht hinter sich (der verunfallte Footballspieler der geschnarcht hat wie ein Walross war vielleicht mit dafür verantwortlich ;)) aber seit heute Nachmittag sind die Schmerzen im Griff, er ist schon wieder mobil und darf Ende der Woche vermutlich wieder nach Hause. Danke fürs Daumen drücken-das hat sicher geholfen und ach ja

    @Elina: Diese Situation vier instabile, beatmete Intensivpatienten auf einmal zu betreuen ist mein täglich Brot, warum sollte ich das in der Story nicht schaffen? :D Ich muss auch in der Arbeit viele Außenruminformationen verarbeiten-bzgl Lebensumständen meiner Patienten, Angehörigen, Unverträglichkeiten, Vorerkrankungen etc. Das fordert mich jetzt nicht sonderlich und nachdem ich die Geschichten ja in erster Linie für mich selber schreibe, kanns mir ja Gott sei Dank auch egal sein, ob da sich irgendein anderer dafür interessiert. Klar, wenn überhaupt keine Zugriffe mehr erfolgen kann ich ja die Veröffentlichung einstellen und die Geschichte-wie so manche andere-nur für mich und ein erlesenes Publikum weiterschreiben, aber im Augenblick sehe ich da gerade keine Veranlassung. Klar kann nicht jede Geschichte jedem gefallen, aber ich glaube das Wichtigste ist doch, dass sie dem Autor gefällt-nur aus diesem einen Grund schreibt man doch!
    Elvira: Naja-vom Zeitlichen her hatten Semir und Ben ja die vergangene Woche noch Urlaub und Ben ist jetzt ja erst den dritten Tag krank und Semir ebenfalls-in meiner Geschichte befinden wir uns gerade in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag nach dem Urlaub-ich denke nicht, dass man als Beamter wegen wenigen Tagen begründetem Krankheitsausfall entlassen werden kann! ;)

    Ja-Ben scheint grosse Entzugserscheinungen gehabt zu haben, weil er von Yvonne gar nicht genug kriegen kann, allerdings scheint das viele Testosteron sein Gehirn ein wenig benebelt zu haben-was sollte sonst die Frage, ob seine Bettgespielin der Iraner sei?
    Semir gehts besser und er genießt den Kurzbesuch seiner Familie.
    Die Sache mit dem Gips hat ja dann doch planmäßig funktioniert und nun ist Ben den eine Woche früher los, als gedacht, nur Auto fahren lässt ihn Yvonne noch nicht. Allerdings kann man feuchte Gipse nicht mit der oszillierenden Säge aufschneiden, da muss der gute alte Rabenschnabel herhalten, aber das wissen nur Insider, also seis dir verziehen, Elli. Und Ben ist wirklich hart im Nehmen, denn die Schmerzen nach fünf Wochen Ruhigstellung und dann ohne Stützverband einfach so weiter im Text machen ihm gar nichts aus-Respekt!

    Es wurde Abend und Semir wurde immer wieder kühl abgewaschen und gefragt, ob er Schmerzen habe, was er nur verneinen konnte, so gut war er mit Medikamenten versorgt. Er hatte bald bemerkt, dass er ja neben Ben lag und sah immer wieder zu ihm hinüber. Der schien friedlich zu schlafen, aber ob das auch stimmte? Irgendwie traute er der Sache nicht, denn was das Schlangengift so anrichten konnte, hatte ihm Hartmut ja in glühenden Farben geschildert. Er sah den Schwestern zu, wie sie seinen Freund immer wieder anders hinlegten, absaugten und neue Medikamente anhängten. Ohne Zudecke konnte er auch dessen Bauch mustern, der sehr merkwürdig aussah, weil man durch die durchsichtige Plastikfolie den zusammengezogenen Silberschwamm erkennen konnte und auch sah, dass die oberen Hautschichten auseinanderklafften. Als er allerdings eindringlich fragte, ob Ben auch wirklich nichts mit bekam, schüttelte die Schwester lächelnd den Kopf. „Herr Gerkan, ihr Zimmerkollege ist gut sediert. Er hat ausreichend Narkosemittel und Opiate, die ihm kontinuierlich über Perfusoren zugeführt werden. Sie müssen sich keine Sorgen machen, er spürt wirklich nichts!“ erklärte sie ihm und Semir hoffte, dass das auch wirklich wahr war. „Und wie geht es Sarah, seiner Lebensgefährtin und dem Kind?“ fragte er nach einer Weile, denn die lag dann ja wohl irgendwo ganz in der Nähe. „Auch die schläft und ist stabil, Herr Gerkan, jetzt kümmern sie sich doch bitte mal um sich, wir passen auf ihre Freunde schon auf!“ ermahnte ihn die Schwester und Semir schloss folgsam wieder die Augen.

    Irgendwann wurde das Schlangenserum mit dem Kurierdienst geliefert, aber weil es nun schon mitten in der Nacht war, entschied die diensthabende Ärztin, die Verabreichung auf den nächsten Morgen zu verschieben-jetzt kam es wohl auf ein paar Stunden auch nicht mehr an und sie hatte ja so gar keine Erfahrungen mit diesen Seren, wie bei ihnen wohl niemand, der nicht länger in einem Land gelebt hatte, in dem es viele Giftschlangen gab.

    Gegen Morgen begann Semir´s Arm trotz der Medikamente wieder zu pochen und als bei der nächsten Kontrolle die Schwester den Verband abnahm, war die Infektion weiter fortgeschritten. Die Wundränder waren schwarz und die danebenliegende Haut warf Blasen. Der diensthabende Chirurg wurde verständigt und es wurde festgelegt, dass Semir gleich in der Früh wieder operiert werden würde. Nach einer unruhigen Nacht voller Sorgen läutete bei Andrea das Telefon und der diensthabende Arzt teilte ihr mit, dass man ihren Mann leider erneut operieren musste, weil die Infektion weitergewandert war. So saß Andrea wenig später im Wagen ihrer Eltern und fuhr voller Bangen zur Uniklinik. Hörte das denn nie auf? Sie hatte inzwischen natürlich im Internet recherchiert und die Bilder darin hatten sie das Gruseln gelehrt. Auch stand dort, dass die Mortalität an dieser Erkrankung ziemlich hoch war und so hatte sie furchtbare Angst, was sie nun erwarten würde.

    Bei Sarah allerdings gab es Erfreuliches zu berichten. Ihre Werte waren alle stabil, aus den Drainagen kam nur wässriges Sekret ohne frisches Blut und als man noch eine Ultraschalluntersuchung machte, sah man, dass auch im Bauch keine freie Flüssigkeit mehr war. Das Baby schwamm zwar ebenfalls tief schlafend im Fruchtwasser, aber sein kleines Herz schlug regelmäßig und in der richtigen Geschwindigkeit, was besagte, dass es wieder gut versorgt war. „Wir werden dann ganz allmählich die Sedierungsmittel reduzieren und eine Extubation anstreben!“ beschlossen die behandelnden Ärzte und schon begann man die Perfusoren zurück zu schrauben.

    Auch Hintersteiner hatte eine ruhige Nacht verbracht und nachdem man die Brandwunden erneut versorgt hatte, es aber zu hoffen war, dass es momentan für ihn die letzte Operation gewesen sein würde-die kosmetischen Hautverpflanzungen würden erst später folgen-ließ man auch ihn aufwachen und weil er nach kurzer Zeit schon sehr gut spontan an der Maschine atmete und gezielt reagierte, zog man kurzerhand den Tubus heraus und als Elfriede am Vormittag zu Besuch kam, konnte sie sich bereits mit ihrem Bruder, der guter Dinge war, unterhalten. „Hast du was von meinem Freund Semir und seiner Familie gehört?“ löcherte Josef seine Schwester Frieda, aber die musste den Kopf schütteln. „Dann besorg mir mal mein Telefon, dann rufen wir ihn eben mal an!“ beschloss Sepp und als Elfriede die Plastiktüte mit den persönlichen Dingen ihres Bruders durchsuchte, kam tatsächlich das Handy heraus. Nachdem auf der Intensiv kein Netz zu bekommen war, ließen sich die beiden kurzerhand ein Festnetztelefon bringen und wählten gespannt Semir´s Nummer, aber außer der Mailbox ging keiner ran.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit öffneten sich die Türen der Operationsabteilung und ein schlafender, aber nicht intubierter Semir wurde herausgefahren. Mit einem Seufzer der Erleichterung konstatierte Andrea, dass der Arm zwar dick verbunden, aber noch dran war. Sie sprang zum Bett, das aber seine Fahrt nicht verlangsamte und folgte ihm. „Ich bin seine Frau, wie geht es ihm?“ fragte sie bang. „Wir bringen ihn auf die Intensivstation. Momentan konnten wir den Arm erhalten, aber es ist noch nicht ausgestanden!“ erklärte der Arzt, der am Kopfende des Bettes lief. Semir öffnete kurz die Augen, nahm Andrea zwar wahr, aber dann schlief er sofort weiter. Der ganze Trupp folgte dem Bett, aber vor der Intensivstation war dann erst einmal Schluss. „Frau Gerkan, wir holen sie herein, sobald er erstversorgt ist, dann gibt ihnen der Chirurg auch Auskunft, aber bitte jetzt einen Moment Geduld!“ beschied ihnen der begleitende Anästhesist und wenig später schlossen sich die Schiebetüren hinter Semir und seinen Betreuern.

    Etwa 5 Minuten später kam ein grün gekleideter Doktor, der sich als der Arzt vorstellte, der Semir operiert hatte, zu ihr. Der Anästhesist hatte ihn kurz angerufen, damit er mit den Angehörigen sprach und so kam es, dass Semir´s Familie und seine Kollegen nun darüber informiert wurden, was überhaupt geschehen war. „Frau Gerkan-ihr Mann hat sich in die Schnittverletzung an seinem Oberarm anscheinend üble Keime eingefangen. Es ist eine Mischinfektion: Anaerobier, also Keime, die unter Luftabschluss wachsen und Aerobier sind im Abstrich nachweisbar. Normalerweise verläuft eine solche Infektion nicht so dramatisch, weil das Immunsystem da ein Wörtchen mitzureden hat, aber anscheinend ist das bei ihrem Mann gerade nicht voll auf der Höhe!“ erklärte der Chirurg. „Das ist auch kein Wunder!“ erklärte Andrea. „Seit einigen Tagen funktioniert mein Mann nur noch unter höchstem Stress. Er hat Dinge erlebt, die ein anderer in einem ganzen Leben nicht mitmacht-es würde mich nicht wundern, wenn auch sein Körper einfach mal streikt!“ beschied sie ihm. Der Chirurg nickte. „Das muss fast so sein, denn sonst bekommt normalerweise ein ansonsten gesunder Mann in den besten Jahren, ohne irgendwelche Vorerkrankungen keine nekrotisierende Fasciitis!“ erklärte er ihr und nun sah ihn Andrea fragend an. „Was ist das?“ wollte sie wissen. „Ich habe diesen Ausdruck noch nie gehört!“ fragte sie.„Das ist eine sehr ernstzunehmende Entzündung der Haut, der Unterhaut und der Faszie, die rasant fortschreitet und unbehandelt zu Sepsis und Tod führt. Die Keime breiten sich rasend schnell aus und die einzige Chance, die ein Erkrankter hat, ist , dass man das befallene Gewebe sofort großflächig abträgt und die Wunde weit eröffnet, damit der Druck weg ist und auch Luft drankommt-so können schon die sehr gefährlichen Anerobier nicht weiterwachsen. Bei ihrem Mann besteht eine Mischinfektion, wir wissen aus dem Abstrich zwar, mit welchen Erregern wir es zu tun haben, aber das Antibiogramm läuft noch, also ob die verabreichten Antibiotika die Richtigen sind, können wir noch nicht sagen!“ erklärte er ihr. „Wir können jetzt nur hoffen, dass wir das befallene Gewebe ausreichend weit ausgeschnitten haben und es ist durchaus möglich, dass ihr Mann noch mehrfach operiert werden muss, denn wir reagieren sofort, wenn die Infektion fortschreitet. Ich muss ihnen leider auch sagen, dass wir nicht zögern werden, notfalls den Arm zu amputieren, falls wir die Infektion nicht in Griff kriegen. Das könnte eventuell die einzige Chance sein, sein Leben zu retten!“ klärte er Andrea knallhart auf und Susanne musste sie unterfassen, so schwankte sie plötzlich. Das war ja entsetzlich! Alle Anwesenden starrten den Chirurgen fassungslos an. Da bedrohte ihren gemeinsamen Freund und Kollegen mit einem Mal eine Erkrankung, von der sie noch nie etwas gehört hatten und nun bestand die Möglichkeit, dass er seinen Arm verlor, oder gar daran starb!

    Als sich Andrea ein wenig gefasst hatte, fragte sie leise: „Kann ich zu ihm?“ und der Chirurg versprach auf der Intensiv nachzusehen, ob Semir schon soweit versorgt war. Tatsächlich kam wenig später eine Schwester heraus, lächelte Andrea an und sagte. „Leider können nur nächste Angehörige herein, Frau Gerkan-sie können meinetwegen zu ihrer eigenen Unterstützung eine Begleitperson ihrer Wahl mitnehmen, aber ich darf sie sowieso bitten, nicht allzu lange zu bleiben, denn ihr Mann muss sich ausruhen und seine Narkose ausschlafen!“ Andrea nickte und bat Susanne, sie zu begleiten. So standen sie wenig später nebeneinander im Patientenzimmer und als Andrea ihren Blick über den intubierten Patienten im Nebenbett schweifen ließ, hätte sie beinahe überrascht aufgeschrien. Da lag tief schlafend und friedlich Ben und trotzdem war sie irgendwie erleichtert, dass Semir nicht alleine war. Auch wenn Ben im Moment gar nichts machen konnte, aber alleine dessen Anwesenheit würde Semir gut tun!

    Sie trat an das Bett ihres Mannes, der sehr blass in den weißen Kissen lag. Sein Arm war auf ein großes Kissen hochgelagert, er hatte im OP anscheinend einen zentralen Venenkatheter, eine Arterie und einen Blasenkatheter bekommen, damit man ihn genau überwachen konnte. Er hatte eine Sauerstoffbrille auf und als sie ihm zart über die Wange strich, öffnete er mühsam die Augen, lächelte aber, als er sie erkannte. Er hatte immer noch hohes Fieber und wusste gar nicht genau, was mit ihm los war, aber er war mit Schmerzmitteln ausreichend gedopt und irgendwie fehlte ihm auch jegliche Kraft, sich auch nur dafür zu interessieren, was ihm eigentlich fehlte. „Schatz, wie geht´s dir?“ flüsterte Andrea und er sagte, von der Intubationsnarkose noch ein wenig heiser: „Geht schon, ich bin nur müde!“ „Dann schlaf!“ sagte Andrea mit Tränen in den Augen und als Semir folgsam die Augen wieder schloss, ging sie, gestützt von Susanne, wieder hinaus. Die Schwester gab ihr noch einen Zettel, auf dem Wissenswertes zu den Besuchszeiten und allgemeinen Gegebenheiten der Intensivstation stand und versprach, dass man Andrea sofort verständigen würde, wenn sich Semir´s Zustand verschlechterte. Sie bestätigte noch Andrea´s Handynummer und die dankte Gott, dass Semir gestern daran gedacht hatte, ihr Handy und Ladegerät von zuhause mitzubringen. Sie selber war noch nicht soweit, dass sie sich ihr Haus auch nur ansehen könnte, zu tief saß noch der Schock. Als sie nun zu den anderen trat, nahmen die sie fürsorglich in die Mitte und gingen mit zu Susannes Wagen-die hatte ihre Freundin nach dem Anruf des Krankenhauses bei ihren Eltern nämlich abgeholt. Unterwegs erzählte sie den anderen noch, wie Semir ausgesehen hatte, aber als sie dann im Wagen saß, weinte sie. Was wäre, wenn sie ihn verlieren würde?

    So Leute-ihr wolltet UNERWARTETE KOMPLIKATIONEN und euer Wunsch ist mir ein Befehl :D.
    Nun brauche ich aber eure Unterstützung in Form von Daumen drücken morgen Vormittag! Mein Sohn hatte vor einigen Wochen einen kleinen Arbeitsunfall, bei dem ihm die Schulter kurz ausgekugelt war. Nun hat es sich in der Folge nicht gebessert und so wurden bei eingehenden Untersuchungen nun mehrere komplexe Schultergelenksverletzungen festgestellt ( Abriss der Bizepssehne usw). Langer Rede kurzer Sinn: Er wird morgen in München in der Sportorthopädie operiert und irgendwie hat bei der letzten OP das kollektive Daumendrücken geholfen-wer also morgen Vormittag an meinen Michael denken mag-ich würde mich freuen!
    Eure susan

    Na das war aber eine erfüllte Nacht für Ben! Und bei dem Gips stellen sich die beiden echt blöd an! Plastiktüte und Gummiband drüber und dann muss man nach dem Duschen nicht die ganze Nacht mit nem feuchten Gips vor sich hin leiden. Wobei-Ben war so erfüllt, der hat das gar nicht gemerkt! Und die Bemerkung Yvonnes ist ja voll doof-Ben hat den Gips doch nicht, um irgendeinem Arzt zu gefallen, sondern damit seine Fraktur Zeit hat zu heilen! Wenn bei mir ein Patient die Intensiv verlässt und gegen ärztlichen Rat nach Hause geht, dann ist mir das sowas von egal-man sagt ihm, warum man eine medizinische Behandlung macht und wenn er meint, er braucht die nicht, dann muss ja er mit den Folgen leben, wenns schief geht, nicht ich oder der Arzt! Das sehen wir vom Fach völlig pragmatisch!
    Aber Ben hat seine Liebesnacht genossen, jetzt fragt sich nur-verliert er Yvonne, die eine Gute ist, durch die Hand des Iraners, oder ist sie ne Böse und hat ihm die ganze Zeit nur was vorgespielt? Oder dritte Möglichkeit-er hat soeben in Ellis Geschichtenuniversum die Frau seines Lebens gefunden-bin gespannt!
    Semir dagegen ist noch ziemlich unfit, aber er hat ne gute Schwester gefunden, die das genau richtig macht! Bravo!