Als Ben stöhnend zu sich kam, war er im Laderaum eines Fahrzeugs, das sich schwankend bewegte. Seine Hände und Füße waren mit Kabelbindern gefesselt und als er aufsah, war neben ihm ein schlanker Mann im gut sitzenden Anzug, der auf dem Kopf eine schwarze Maske trug, so dass man seine Gesichtszüge nicht erkennen konnte. Er hatte eine Waffe auf ihn gerichtet und sagte spöttisch: „Na ist unser Bulle wieder aufgewacht?“ und Ben sah, dass er seine Brieftasche in der Hand hielt und aufmerksam deren Inhalt studierte. „Aha, Ben Jäger heißt du also!“ sagte der Mann, während ihn Ben wütend betrachtete. Nun holte er ein Ultraschallbild seines Babys hervor, das Ben immer bei sich trug und Ben sagte scharf: „Legen sie das weg!“ und nun lachte der Entführer. „So, so, man wird also Papa-oder ist das Kind vielleicht schon da?“ fragt er, aber Ben starrte nur an die Wand des Mercedes. Verdammter Mist-nicht schon wieder seine Familie. Es war noch keine drei Monate her, dass seine schwangere Freundin und er selbst Opfer eines brutalen Verbrechers geworden waren. Sie hatten alle nur knapp überlebt und ihn plagten deswegen noch jede Nacht Alpträume, raubten ihm den Schlaf und ließen ihn zitternd aufwachen, weil er sich und Sarah wieder in den Händen des Chemikers sah.
Der Mann im Anzug sagte weiter: „Nein, das Kind ist noch nicht geboren, sonst hättest du das Foto durch ein anderes ersetzt, aber das ist eigentlich auch egal, denn es ändert nichts daran, was ich mit dir vorhabe!“ sagte er und warf nach vorne einen Blick zum Fahrer. Das Auto war jetzt eine Weile auf einer asphaltierten Straße gefahren, nun rumpelte es wieder und dann hielt das Fahrzeug mit laufendem Motor an, der Fahrer, den Ben ja am Rastplatz schon gesehen hatte und der deswegen unvermummt war, stieg aus und öffnete eine Art Stadeltor, stieg wieder ein, setzte ein Stück vor und stellte dann den Motor des Kleinbusses ab. Nun stieg er wieder aus dem Fahrzeug, schloss das Tor, öffnete dann die hinteren Flügeltüren, ließ sie offen stehen und kam zu Ben und dem Maskierten. Er übernahm nun die Waffe und hielt Ben in Schach, während der Mann im Anzug seelenruhig ein kleines Päckchen weißes Pulver aus einer großen Reisetasche zog. Entsetzt beobachtet von Ben nahm er einen kleinen Gaskocher heraus, entzündete die Flamme und regelte sie ab. Dann holte er einen Löffel hervor, streute die Hälfte des Pulvers hinein, gab eine Flüssigkeit- vermutlich Säure- hinzu und erhitzte die Mischung über dem Gaskocher. Als sich das Pulver in der Flüssigkeit durch Kochen gelöst hatte, nahm er eine Spritze und eine Kanüle aus ihrer Einmalverpackung, zog geschickt den Löffelinhalt auf und dann stand er vor Ben, dem das Herz bis zum Hals schlug. Verdammt, er hatte keine Ahnung, was die Typen mit ihm vorhatten, aber was der Maskierte da eben gemacht hatte, war die Zubereitung eines „Schusses“ wie die Junkies sagten. Was war wohl in der Spritze und hatten die vor ihn jetzt damit umzubringen?
Obwohl-wenn sie das vorgehabt hätten, dann hätten sie ihn und Semir ja bei ihrem Wagen erschießen können-bewaffnet waren sie schließlich- und es war ihnen ja auch problemlos gelungen, sie beide zu überwältigen. Aber Semir und er waren ja der Überzeugung gewesen, sie wären die Jäger und nicht die Gejagten und hatten deshalb jede Vorsicht außer Acht gelassen!
Ben´s Gedanken schweiften zu Semir. War der noch an der Stelle, wo sie sich festgefahren hatten, oder war der auch niedergeschlagen worden, dann wieder aufgewacht und suchte ihn jetzt schon? Oder hatte er ihn beim Zurückrollen eventuell doch erwischt und Semir lag jetzt hilflos eingeklemmt unter dem Auto und rief erfolglos um Hilfe? Allerdings hätte der doch wohl zumindest geschrien, wenn er ihn erfasst hätte? Obwohl-hätte er das auch gehört, soviel Gas, wie er da gegeben hatte? Wenn seinem besten Freund durch sein fahrerisches Unvermögen irgendetwas passiert war, würde er seines Lebens nicht mehr froh werden! Nie mehr könnte er Andrea unter die Augen treten, er hatte sowieso schon Schuldgefühle, denn nur durch seine Neugier im Wellnessurlaub hatte er sie alle miteinander in eine dermaßen gefährliche Situation gebracht, dass sie das beinahe nicht überlebt hatten. Konnte er nicht einmal einfach wegsehen und vergessen, dass er Polizist war? Den anderen war ja auch nichts aufgefallen und er hatte sozusagen im Urlaub im Alleingang ermittelt, anstatt die Behörden vor Ort von seinen Beobachtungen zu informieren, wie es jeder andere getan hätte. Das waren die Gedanken, die ihm seit Wochen-genau gesagt seit 11 Wochen den Schlaf raubten. Wenn er dann neben Sarah lag und ihr stundenlang beim Schlafen zusah, sein Kind durch ihren Bauch hindurch berührte und sich das immer in seine Hand schmiegte, dann war er einen kurzen Moment glücklich, um dann wieder zu grübeln und sich Sorgen zu machen. Sarah hatte sich zwar wieder gut erholt, so wie er körperlich auch, obwohl ihn eine große hässliche Narbe auf seinem Bauch noch an die Attacke des Chemikers mit dem Messer erinnerte, aber jetzt hatte er alle Hoffnung darauf gesetzt, wieder zur Ruhe zu kommen, wenn er sich im Beruf zuvor ausgepowered hatte.
Es war auch schön, mit Semir wieder auf Streife zu gehen und den Alltag zu erleben, aber an seinen Schlafstörungen hatte das leider nichts geändert. Sarah hatte gewollt, dass er zum Psychologen ging, genauso wie Andrea das Semir vorgeschlagen hatte, aber sie beide waren gebrannte Kinder, weil sie da schon unliebsame Erfahrungen gemacht hatten und letztendlich den Psychologen vor einer Gangsterbande retten mussten, die den verfolgt hatte, weil er unbeabsichtigt ein brisantes Foto geschossen hatte-also mit so einer Psychoscheiße konnten sie beide nichts anfangen. Sie waren schließlich Männer und ein Mann konnte seine Probleme selber lösen-Punkt!
Als die beiden Entführer nun näher traten, war Ben, dessen Gedanken abgeschweift waren, wie sie es zur Zeit so oft taten, plötzlich wieder in der Realität. „Was habt ihr mit mir vor?“ fragte er mit einem Kloß im Hals und der Unmaskierte grinste ihn höhnisch an. „Wart´s ab!“ sagte er spöttisch und schnitt die Kabelbinder, die seine Arme fesselten, auf. „Wag´s ja nicht, dich jetzt zu wehren-wir kennen deine Adresse und werden sonst deine Familie finden und dafür bestrafen!“ sagte der Maskierte und Ben nickte eingeschüchtert. „Ach ja und du kannst ruhig schreien-hier wird dich niemand hören!“ sagte der andere noch, während er schon eine Stauung an Ben´s Oberarm anbrachte. Ben überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Wenn er sich wehrte, würde er es schaffen, die beiden Männer gleichzeitig zu überwältigen? Früher wäre das für ihn keine Frage gewesen, er hätte es einfach versucht, aber jetzt hatte er die Befürchtung, das nicht zu schaffen und wenn nur einer der beiden entkam und dann Sarah und dem Baby etwas antat, würde er mit dieser Schuld sein Leben lang nicht zurechtkommen. So blieb er also ruhig und sah beinahe fasziniert zu, wie die Nadel sich in seine pralle Vene senkte und der Inhalt der Spritze sich dorthin entleerte.