Beiträge von susan

    So wurde Ben also aus dem Zimmer gefahren und mitsamt seinem Bett auf einem zugigen Flur abgestellt. Er fühlte sich fürchterlich elend, einsam und verlassen und war diesen fremden Menschen hier ohne Verständigungsmöglichkeit hilflos ausgeliefert. Was hatten die nur jetzt wieder mit ihm vor? Gut der Pfleger der gerade den Verband ausgetauscht hatte, hatte nebenbei einige beruhigende Worte an ihn gerichtet und hatte versucht vorsichtig zu sein. Auch hatte er anscheinend den Arzt geholt, der die Notfallversorgung vorgenommen hatte, aber bei dem spürte Ben schon die Abneigung-der war ihm nicht wohl gesonnen! Der Doktor hatte irgendwas angeordnet und dann hatte der Pfleger sein Bett rausgefahren und ihn hier abgestellt. So stark Ben´s Schmerzen und Schwäche auch waren, er nahm durchaus seine Umwelt noch war und ihn ekelte es vor dieser schmuddeligen Umgebung mit den abgeplatzten Fliesen und dem verschmierten Schmutz auf dem Boden, der anscheinend schon ewig keinen Putzlumpen mehr gesehen hatte. Als er rätselte, was sich in der dunklen Ecke dort bewegte wurde ihm auf einmal klar, dass das Kakerlaken waren und zwar nicht eine oder zwei, sondern ganze Heerscharen! Als er die Augen kurz schloss, musste er sie aber dann schnell wieder aufreißen, denn vor seinem inneren Auge kam auf einmal eine Riesenkakerlake, die noch dazu die Gesichtszüge des unsympathischen Arztes trug, auf ihn zu.
    Rollbare Tragen wurden geschäftig an ihm vorbeigefahren, er sah in ängstliche oder resignierte Gesichter. Dann öffnete sich die Tür eines Raums und man schob eine Trage heraus, auf der ein komplett zugedeckter Körper lag. Ben konnte das Blut erkennen, das die Unterlage rot gefärbt hatte und als man ein wenig ruppig die Bahre direkt neben ihm abstellte, fiel eine tote Hand herunter und hätte ihn beinahe dazu gebracht laut aufzuschreien. Wenig später wurde die Leiche von einem alten Mann abgeholt, der mit stoischem Gesichtsausdruck seine Arbeit verrichtete und man fuhr Ben nun in den Raum, in dem zuvor der Tote gewesen war. Ben wich vor Angst das Blut aus dem Gesicht. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er begann schneller zu atmen. Ein Pfleger, dessen Hosenbeine mit kleinen Blutspritzern übersät waren, griff geschäftig zu einer Art Kreissäge und begann Ben´s Gipse aufzuschneiden. Ben erwartete jede Sekunde, dass sich die rotierende Scheibe in sein Fleisch bohrte, aber stattdessen überkam ihn ein Gefühl wahnsinniger Erleichterung, als zunächst im Arm die Blutzirkulation wieder hergestellt wurde und der schreckliche Druck plötzlich weg war und dann das Bein an die Reihe kam. Allerdings wurden dort zwar die Schmerzen besser, aber das Taubheitsgefühl ging nicht weg und als er in sich hinein fühlte, war auch das zweite Bein nicht so richtig zu spüren. Er merkte schon, dass die Beine da waren und konnte sie auch unter Schmerzen bewegen, aber die Sensibilität war eindeutig gestört.
    Man wickelte noch ein paar elastische Binden nachlässig über die schweren Gipsverbände und dann schob man sein Bett in einen kleinen Nebenraum, wo eine sichtlich aufgeregte Praktikantin ihm einen Zugang legen sollte. Klar hatte sie da schon mal dabei zugesehen, aber wenn das die erfahrenen Ärzte machten, sah das so leicht aus und so ganz genau wusste sie auch nicht, wie das funktionierte mit dieser speziellen Nadel. Sie war Medizinstudentin im ersten Jahr und musste in den Semesterferien ein Pflichtpraktikum absolvieren. Sie hatte ja eigentlich gehofft, dass ein Arzt oder wenigstens eine erfahrene Pflegekraft sie anleiten würde, aber stattdessen ließ man sie mit dem jungen Mann alleine, der wirklich sehr krank aussah und dessen Augen in tiefen Höhlen lagen. Sie sagte etwas auf Arabisch zu ihm, aber er konnte sie anscheinend nicht verstehen, denn er sah sie nur fragend an. Dann sagte er krächzend etwas in einer fremden Sprache-sie vermutete, dass das Deutsch war, aber dessen war sie nicht mächtig-sie sprach nur ihre Muttersprache und Französisch. Also erinnerte sie sich, was der Arzt als erstes gemacht hatte, als sie zugesehen hatte und so legte sie einen Stauschlauch um Ben´s Oberarm und zog den so fest an, dass der zusammenzuckte. Nun versuchte sie erst in der Ellenbeuge und später immer weiter herunter eine Vene zu punktieren. Sie bohrte in der Tiefe und einmal schoss ihr hellrotes Blut entgegen-Mist, das war wohl die Arterie gewesen und schnell zog sie die Nadel, die mit jedem Stich stumpfer und stumpfer wurde, heraus. Ben kam sich vor wie ein Nadelkissen. Eigentlich war er ja nicht so empfindlich, aber man merkte deutlich, dass die junge Frau vor ihm keine Ahnung von dem hatte, was sie da tat. Durch die Austrocknung und den Blutverlust waren Ben´s periphere Gefäße sowieso schlecht gefüllt und es hätte eines erfahrenen Arztes gebraucht, um die zu punktieren, aber so endete das Fiasko erst, als die Praktikantin meinte eine Vene an seinem Handrücken getroffen zu haben. Schnell zog sie die inzwischen völlig stumpfe Nadel aus dem Plastikschläuchlein, schloss die Infusionsleitung an und verklebte das Ganze mit unzähligen Pflasterstreifen. Ben atmete nur noch erleichtert auf, denn ihm hatte es mit jedem weiteren Stich mit der immer stumpfer werdenden Nadel die Tränen in die Augen getrieben. Wenig später wurde der Pfleger zur Abholung angerufen und der handelte im Vorbeiweg mit dem Arzt noch aus, dass er ein Schmerzmittel in die Infusion geben durfte. Als Ben wieder auf seinem Platz im Krankensaal stand, konnte er nur die Augen vor Erschöpfung schließen und döste tatsächlich ein wenig ein.

    Khaled hatte Semir erklärt, dass er Hunde organisieren hatte können und als der Verwalter ängstlich fragte, wie es nun weitergehen sollte, erlaubte ihm Khaled nach Rücksprache mit Semir, zurück zur Rennstrecke zu fahren, wenn er ihnen dafür das zweite Quad hier ließ. Khaled wählte, als der Verwalter wieder zurück zu seiner Arbeitsstätte gefahren war, die Nummer, die sein Neffe ihm besorgt hatte und wartete schweigend, dass jemand ranging.

    Oh Mann-so ein fieser Cliffhanger!
    Die Stimmung in der sich Semir befindet hast du super beschrieben-ich denke jeder kennt das, wenn man was beichten oder sagen möchte und einfach an nichts mehr Spaß hat, solange das befreiende Gespräch nicht stattgefunden hat.
    Semir und André sind nun ganz alleine und irgendwie macht mich das jetzt ganz nervös-denn falls André nun doch der skrupellose Mörder sein sollte, wie die Fotos vorgaukeln-schwebt Semir in höchster Gefahr. Oh Mann-hätte der die Bilder nicht im Hotel herzeigen können oder wenigstens an einem belebteren Platz. Ich bin jetzt sehr gespannt-eher beunruhigt gespannt auf André´s Reaktion.
    Ach ja und kleiner Ausflug in den Anatomieunterricht: Mit dem Knie endet der Unterschenkel-das Teil oberhalb heisst Oberschenkel! ;)

    Hatte ich doch Recht! Nicole hat das Angebot nicht angenommen-die ist nicht bestechlich! allerdings begibt sie sich-egal wie nett sie ihre Antwort formuliert-in grösste Gefahr.
    Wenigstens haben die beiden Gauner Respekt vor Paul, der über seinen Schatten springt und auf die Typen zugeht, obwohl ihm bei der ganzen Sache nicht wohl ist. Aber sowas geht auch ohne Chip im Kopf-wenn man mit seinem Pferd eine gute Beziehung hat, wird das auch etwas für einen tun, ohne davon überzeugt zu sein. War aber gut beschrieben die Szene im Park-ich konnte mir das recht gut vorstellen.

    Semir starrte immer noch verdutzt auf den Mann in der bekannten Oberbekleidung. Dann sagte er aufgeregt zu Khaled: „Frag ihn, wo er die Jacke her hat!“ und Khaled wandte sich an den Verwalter und überschüttete ihn mit einem Schwall arabischer Worte. Der schüttelte den Kopf, gab etwas zur Antwort und Khaled dolmetschte nun: „Er sagt, die habe er sich im Souk letztes Jahr gekauft!“ und nun war Semir mit einem Satz bei dem Mann, packte ihn vorne an der Jacke und drückte ihn mit dem Rücken an den Schneepflug. „Freundchen, erzähl uns mal keinen Scheiß!“ zischte er und schüttelte den dadurch verängstigten Verwalter ein wenig. Khaled sah seinen Freund überrascht an. Es war nicht notwendig Semir´s Worte zu übersetzen, die Szene war sozusagen selbsterklärend. Semir, dessen Züge vor Zorn verzerrt waren, strahlte eine dermaßen starke Aggression aus, dass dem Verwalter sonnenklar war, dass er jetzt etwas Falsches gesagt hatte. Semir ließ den Mann nun los, blieb aber immer noch drohend vor ihm stehen. Er wandte den Kopf zu Khaled und befahl: „Sag ihm, dass diese Jacke unverkennbar die meines Freundes ist, mit der ich ihn am Freitag zum Flughafen gefahren habe. Die hat einen Fleck am Ärmel, der dort erst hingekommen ist, als wir kurz vor der Abfertigungshalle standen und Ben dort ein wenig Cola verschüttet hat. Er hat sich noch deswegen geärgert und ich habe ihm gesagt, den würde Sarah schon wieder rausbringen und er fällt auch nicht sonderlich auf. Der Typ soll jetzt mal ganz schnell sagen wo Ben ist, sonst mache ich Hackfleisch aus ihm!“ erklärte er und Khaled nickte und übersetzte dem Mann Semir´s Worte.
    Dann sagte der Verwalter etwas und nun versteinerte Khaled´s Miene und er wusste im ersten Augenblick nicht, wie er das seinem Jugendfreund beibringen sollte. „Semir-er sagt, dass Ben am Samstag beim Rennen verunglückt ist und er deshalb die Jacke hat!“ übersetzte er leise und nun starrte Semir die beiden anderen Männer voller Entsetzen an. „Frag ihn, in welchem Krankenhaus er liegt!“ forderte er rasch und nachdem Khaled wieder gedolmetscht hatte, schüttelte er langsam den Kopf. „Semir-er war so schwer verletzt, er ist nicht ins Krankenhaus gekommen!“ sagte er und nun veränderte sich Semir´s Körperhaltung.
    Gerade hatte er sich noch drohend vor dem Verwalter aufgebaut, aber jetzt sank er regelrecht in sich zusammen. Das durfte-nein das konnte nicht wahr sein! Sollte ihn sein Bauchgefühl so getrogen haben? Er hatte immer diese Gewissheit in sich getragen, dass Ben noch lebte, aber jetzt erfuhr er sozusagen dessen Todesnachricht. Das konnte und durfte einfach nicht real sein! Ben war sein bester Freund, er hatte eine Familie, die sich darauf verließ, dass er ihnen den Partner und Vater wieder zurück brachte und jetzt sollte er sich an den Gedanken gewöhnen, dass der vielleicht nie mehr nach Hause kam? Allerdings hielt die Schwäche, die sich seiner Knie bemächtigt hatte, nur einen Augenblick an. Dann sagte er in einem ruhigeren aber deshalb nicht weniger gefährlichen Ton zu Khaled: „Bevor ich Ben´s Leiche nicht gesehen habe, glaube ich gar nichts! Der Typ soll uns erzählen, was am Samstag geschehen ist, sonst werden auch seine Kinder ohne Vater aufwachsen!“ sagte er mit einem Klang in der Stimme, der Khaled beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auch der Verwalter hatte sichtlich Angst vor der Entschlossenheit, die Semir ausstrahlte und als nun die Übersetzung dazu kam, begann er beinahe zu weinen. Er lamentierte und mit einem Schwall arabischer Worte, von denen Semir nur den Namen Said Brami verstand, schilderte er Khaled, was am Samstag geschehen war.

    Der hörte intensiv zu und übersetzte dann: „Der Mann sagt, dass Ben am Samstag mit einigen anderen hier ein Rennen gefahren ist, dabei kam es zu einem Unfall. Wie genau kann oder will er uns nicht schildern, auf jeden Fall hat er dann von seinem Chef-Said Brami- den Auftrag erhalten deinen Freund mit dem Quad in die Wüste zu bringen und alle Spuren zu beseitigen.“ erklärte er und nun stellte Semir die bange Frage, die ihm die ganze Zeit auf den Nägeln brannte: „War Ben da noch am Leben?“ fragte er leise und der Verwalter, der nun Angst hatte wegen Mordes angeklagt zu werden, denn Khaled hatte beiläufig erwähnt, dass Semir Polizist mit internationalen Verbindungen sei, gab zur Antwort: „Er war zwar schwer verletzt, aber ja-er hat noch gelebt, als ich ihn weggebracht habe!“ und nun richtete sich Semir zu voller Größe auf. „Dann soll er uns sofort zu der Stelle begleiten, wo er ihn hingebracht hat!“ befahl er und so kam es, dass wenig später Semir und Khaled und der Verwalter auf zwei Quads auf dem Weg in die Wüste waren. Der Verwalter fuhr voraus und Khaled auf dem Sozius klammerte sich an Semir fest, der das zweite Quad über den Sand lenkte.
    Wenig später waren sie an dem Ort mitten in der Sahara, wo der Verwalter Ben abgelegt hatte. Zu sehen war dort allerdings nichts. Semir stieg ab und auch der Verwalter stellte sein Fahrzeug ab. „Semir, er sagt ab Sonntagmorgen hat hier ein schrecklicher Sandsturm geherrscht-Ben hatte keine Chance den zu überleben!“ übersetzte Khaled leise und Semir nickte zwar gedankenverloren, hatte aber dann mit einem raschen Griff in den Sand etwas gefunden: Ben´s Helm! Das Visier war von innen mit getrocknetem Blut verschmiert, aber als Semir ihn hochhob konnte man sehen, dass der Verschluss ordnungsgemäß geöffnet worden war. Semir begann nun voller Angst im Sand zu graben und die beiden anderen halfen ihm so gut sie konnten, aber zu Semir´s Erleichterung fanden sie nichts. Wieder hörte er in sich hinein-einen Augenblick hatte er gezweifelt, aber dann war er sich wieder ganz sicher: Ben lebte und brauchte dringend seine Hilfe! Er drehte sich zu seinem tunesischen Freund um. „Khaled-lass deine Kontakte spielen-wir brauchen Suchhunde hier-Ben muss irgendwo sein!“ und schon zückte Khaled sein Handy, um seinen Bruder anzurufen, der da sicher etwas organisieren konnte. Wenig später hatte er seinen Neffen am Apparat, der ihm nun die Nummer eines Bekannten gab, der hier in der Nähe lebte und tatsächlich Hunde hatte. Sein Name war Ismael.

    Der Arzt im Krankenhaus hatte sich inzwischen widerwillig bequemt einen kurzen Blick auf Ben´s blau verfärbte Extremitäten zu werfen: „Gut-der Gips ist zu eng-bitte aufschneiden und umwickeln!“ befahl er und wandte sich sofort wieder zum Gehen. Eigentlich war es aber auch egal, der Mann vor ihm war dem Tode geweiht und würde sowieso nicht mehr lange genug leben, als dass ein zu enger Gips noch eine Rolle spielte. Aber er würde dem Ärger mit dem Pfleger so einfach aus dem Weg gehen. Weil er heute seinen sozialen Tag hatte, ordnete er dann noch an: „Und unsere Praktikantin soll ihm eine Infusion legen!“ denn an einem Ungläubigen konnte die junge Frau durchaus üben.

    So-sie ist fertig deine Geschichte! Großes Lob, dass du es geschafft hast!
    Das letzte Kapitel fand ich sehr anrührend und der Schluss ist einfach perfekt-Milena wird uns also weiter in deinen Geschichten begleiten-das wird ein Spaß werden mit Hartmut in der KTU, da werden die klugen Gedanken nur so fliegen!
    Anfangs war die Story ein wenig konfus und man hatte Schwierigkeiten deinen Gedankensprüngen zu folgen, aber dann ist sie allmählich immer flüssiger geworden und zum Schluss bist du wieder zu alter Höchstform aufgelaufen.
    Ich hoffe die Story ist auch ein wenig ein Spiegel deines Gesundheitszustandes, denn dann sollte es dir jetzt wieder recht gut gehen, das wünsche ich dir auch von Herzen, damit du uns noch mit vielen spannenden Geschichten versorgen kannst!

    So liebe Leser-mit diesem Kapitel verabschiede ich mich zum Fantreffen-am Montagmorgen kommt das nächste Kapitel-ein schönes Wochenende euch allen, denen, die ich heute treffen werde und natürlich den Daheimgebliebenen ebenfalls!
    Eure susan

    Sarah war inzwischen im fernen Köln mit den Nerven am Ende. Nachdem sie Semir am Montagmorgen eine gute Reise gewünscht hatte, wartete sie sehnsüchtig auf neue Nachrichten. Semir hatte ihr am Abend nach der Ankunft geschrieben: „Sind gut angekommen-Ben befindet sich definitiv noch in Tunesien-gehen morgen einem Hinweis nach!“ aber seitdem hatte sie nichts mehr gehört. Am Nachmittag war Andrea mit den Mädchen zu Besuch gewesen. Die hatten Tim wie ihren kleinen Bruder behandelt, mit ihm gespielt und ihn zum Lachen und Kichern gebracht-nur Sarah war nicht nach fröhlich sein. Die Nächte waren immer noch schrecklich, denn Tim bemerkte ihre Unruhe und außerdem plagten ihn auch seine noch nicht vorhandenen Zähne. Andrea hatte sie zu sich eingeladen, auch zum Übernachten, aber Sarah hatte abgelehnt. Sie wollte zuhause auf ein Lebenszeichen ihres Verlobten warten-außerdem störte sie da niemanden, wenn sie mit Tim auf dem Arm Furchen in den Boden lief. So kontrollierte sie unzählige Male, ob ihr Handy auch geladen war, ob sie Netz hatte, ob auf dem Anrufbeantworter des Festnetztelefons keine Nachricht war und immer wieder wählte sie Ben´s Nummer-erfolglos!

    Semir war losgefahren. Eine gute Stunde waren sie nun schon unterwegs, immer am Rand der Sahara entlang. Die Straßen waren glücklicherweise schon wieder frei, denn wie Khaled von seinen Verwandten erfahren hatte, hatte am Sonntag ein starker Sandsturm geherrscht. Allerdings war es in Tunesien, wie in so vielen anderen Ländern auch-da wo einflussreiche Leute wohnten, da wurde gewissenhafter geräumt als anderswo und so war die Straße gut befahrbar. Sie hatten nach ein paar Kilometern einmal angehalten und Semir hatte Khaled auf Google Earth die genaue Lage der Rennstrecke auf seinem Smartphone gezeigt und nun navigierte ihn der zuverlässig an ihr Ziel. Semir war wie ein Jagdhund der eine Fährte aufgenommen hatte. Er streckte die Nase in den Wind und folgte unbeirrt der Spur, völlig sicher, bald das nächste Puzzleteil zu Ben´s Aufenthaltsort zu finden. Er wusste sein Freund lebte und brauchte seine Hilfe!
    Heute war ein eher kühler, trüber Tag und als sie die Rennstrecke erreichten, war der Verwalter gerade dabei mit dem Schneepflug sein Ressort vom Sand zu befreien, denn wenn es Brami einfiel, sich in einen seiner Rennwagen zu setzen und über den Asphalt zu cruisen, ob mit oder ohne Mitfahrer, dann war es seine Aufgabe, das möglich zu machen. Erstaunt sah er auf, als plötzlich vor ihm ein uralter, knallgelber Ford Galaxy anhielt. Auch er stellte den Motor des zweckentfremdeten Schneepflugs ab und stieg aus, um zu erfahren, was die Besucher wollten. Semir meinte seinen Augen nicht zu trauen, als der arabische Mann aus dem Fahrzeug kletterte-der hatte eindeutig Ben´s Jacke an!

    Der Pfleger im Krankenhaus sah bedauernd dem Jungen nach, der wie der Blitz verschwunden war, als er ihn nach den Personalien seines Onkels gefragt hatte. Na ja-da war eh kein Geld zu holen, so wie der Junge aussah, aber er machte sich nun doch daran, seinen Patienten näher zu begutachten. Als er näher kam, sah er auf den ersten Blick, dass das Glas der Thoraxdrainage schon wieder mit Blut gefüllt war-oh verdammt, das musste er dringend leeren, aber ehrlich gesagt war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass er einen dermaßen schwer Verletzten in seinem Krankensaal hatte! Ben lag mit geschlossenen Augen vor ihm. Sein Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt und als der Pfleger ihn anfasste, war er trotzdem glühend heiß. Sein Brustkorb hob und senkte sich mühsam und die Kleidung und das Bett waren mit getrocknetem Erbrochenem besudelt. Wie der Junge gesagt hatte, waren Hand und Fuß die aus den Gipsverbänden ragten, tiefblau verfärbt-da musste sofort reagiert werden, sonst würden die Extremitäten absterben! Der Pfleger zog Einmalhandschuhe aus seiner Kitteltasche, klemmte erst einmal die Thoraxdrainage ab und leerte dann das Glas, bevor er die Saugung wieder in Betrieb setzte. Ben hatte das Gesicht verzogen, als man an dem dicken Schlauch manipulierte, der aus seinem Brustkorb ragte. Mann tat das weh! Der Pfleger erneuerte auch noch den durchgebluteten Verband um die Drainage herum, allerdings war da schon eine Menge Blut auch ins Bett gelaufen und hatte ebenfalls das Bettzeug verschmutzt. Nur konnte er da nichts machen-er hatte ohne Bezahlung keine frische Wäsche auszugeben-sonst würde er Ärger mit der Krankenhausleitung bekommen.
    Nun verständigte der Pfleger wenigstens den Arzt-der musste anordnen, dass die Gipsverbände gespalten wurden, sowas durfte der Pfleger nicht alleine entscheiden. Allerdings hatte der diensthabende Arzt in der Notaufnahme wenig Lust, sich schon wieder mit dem Patienten zu befassen, der ihn gestern so beschmutzt hatte. Widerwillig versprach er, sich das später anzusehen-mit der Betonung auf später!

    Yasser hatte noch Ferien und deswegen brach er am nächsten Morgen schon wieder früh auf-angeblich um vor einem Hotel zu betteln, aber in Wirklichkeit zog es ihn mit Macht zu seinem neuen Freund. Er hatte wegen dem ein schlechtes Gewissen, denn wenn er ihm gestern nicht so viel zu trinken eingeflößt hätte, hätte er sich wohl nicht übergeben müssen! Als seine Mutter beim Frühstück verkündet hatte, dass sie heute zu Mittag aus den restlichen Hähnchenkeulen eine wohlschmeckende Suppe kochen würde, hatte Yasser im selben Augenblick daran gedacht, damit den dunkelhaarigen Mann zu laben-dann kam der vielleicht wieder zu Kräften! So ging er diesmal unbehelligt in den Krankensaal und trat an Ben´s Bett, der noch schlechter aussah als gestern. Als Yasser ihn berührte und erneut: „Hallo!“ zu ihm sagte, brachte Ben nur ein Krächzen hervor, so ausgetrocknet war er. So schlecht es ihm ging, aber der kleine Junge in den zerlumpten Kleidern war gerade sein einziger Hoffnungsschimmer und so lächelte er ihn wenigstens an. Der drehte sich wieder um, holte einen Becher mit Tee und ließ Ben erneut trinken, heute allerdings nur diese eine Tasse! Entsetzt sah Yasser nun, dass die Hand und das linke Bein seines Schützlings unter dem Gipsverband dunkelblau verfärbt waren. Er lag in dem beschmutzten, zerwühlten Bett, das Yasser gerne frisch gemacht hätte, aber er hatte leider keine Bettwäsche dabei und zuhause konnten sie auch kein Stück entbehren. Wie in vielen südlichen Ländern musste man nämlich auch in Tunesien die Bettwäsche selber mitbringen und auch selbst waschen-für solche Sachen hatte man Angehörige. Wer damit nicht aufwarten konnte, konnte sich mit Hilfe von niedrigem Pflegepersonal die Grundversorgung kaufen, wie auch eine ordentliche Schmerztherapie, aber wer kein Geld hatte, war eben auf das Mitleid anderer Angehöriger angewiesen. Zwei Betten weiter wusch gerade wieder der junge Mann seinen Großvater und Yasser erbettelte von dem ein Stück Leinentuch, das er als Waschlappen verwenden konnte. Er holte draußen eine Waschschüssel mit lauwarmem Wasser-das wenigstens bekam man vom Krankenhaus gestellt- und machte nun Ben´s Gesicht und Oberkörper frisch. Als er den blutunterlaufenen Brustkorb dabei berührte, kamen Ben, der ansonsten die Erfrischung genoss, allerdings die Tränen und so hörte Yasser erschrocken wieder auf. Ach er hatte doch auch keine Ahnung, wie man mit so einem Kranken umging-und so goss er das Wasser aus und zog den schlecht riechenden Kaftan wieder über Ben. Der hatte die Augen nun geschlossen und Yasser suchte jetzt den zuständigen Morgenpfleger. Mit erregtem arabischen Wortschwall wies er ihn darauf hin, dass die Hand und das Bein seines „Onkels“ blau angelaufen waren, als der Mann nun aber zunächst mal Yasser´s Namen und vor allem die Personalien des Patienten haben wollte, floh Yasser und verließ, ohne sich zu verabschieden, fluchtartig das Krankenhaus. Nun machte er sich auf den Weg zu einem Hotel und ließ sich dort mit gesenktem Blick vor dem Eingang zum Betteln nieder.

    Semir war inzwischen mit dem jungen Mädchen zum Stall gelaufen. Der Hengst folgte Semir vertrauensvoll und war wieder ganz brav. Der Stallknecht wollte das Tier nun übernehmen, aber Brami´s Tochter schickte ihn weg und machte sich stattdessen mit Semir´s Hilfe selber daran, das Pferd abzusatteln. Man zog ihm ein Stallhalfter an und band es an einem Ring fest, um es zu versorgen. Während Semir noch die Hufe auskratzte, stellte er dem jungen Mädchen, das er auf etwa 15 schätzte einige Fragen zur Fütterung und dem Auslauf des Hengstes. „Der ist sehr wertvoll und wird nur unterm Sattel bewegt!“ bekam er zur Antwort und nun belehrte er das junge Mädchen, dass gerade für so blütige Tiere freie Bewegung sehr wichtig war und so bekam er danach noch die ganze Reitanlage gezeigt, inclusive eigener Halle. Nachdem er ihr ans Herz gelegt hatte, doch ihren Vater zu bitten, ein Stück Auslauf einzuzäunen und dem Hengst Freiheit ohne Reiter zu ermöglichen, damit der seinen Bewegungsdrang nicht nur unterm Sattel ausleben konnte und so für sie einfacher zu händeln wurde, wechselte er wie zufällig das Thema.

    „Ach ja-am Freitag ist übrigens ein Freund von mir hierher zu Besuch gekommen!“ bemerkte er beiläufig und das Mädchen sah ihn fragend an. „Der kennt sich auch total gut mit Pferden aus!“ schwindelte Semir und zog sein Handy heraus, um der Reiterin ein Bild Ben´s zu zeigen. „Ja, der war bei uns am Freitag zum Abendessen!“ nickte das Mädchen. „Und am Samstag ist der mit den anderen zur Rennstrecke gefahren, aber seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen!“ erklärte sie und Semir hielt innerlich den Atem an. „Welche Rennstrecke meinst du? Ich bräuchte nämlich dringend was von meinem Freund!“ fragte er und nun zeigte ihm die junge Frau auf ihrem Smartphone die Karte und wo die Rennstrecke lag. „Dietmar und Günther waren noch bis Sonntag bei uns, aber dann sind die wieder heimgeflogen nach Köln-da war ich übrigens auch schon mal!“ erzählte sie freimütig-unter Reitern hatte man gleich einen Draht zueinander. Semir machte noch ein wenig Smalltalk, aber dann verabschiedete er sich von seiner neuen Freundin und ging an den Wachen vorbei zum auffälligen Wagen. Während er sich hinters Steuer gleiten ließ sagte er nur zu seinem Freund Khaled: „Ich habe eine Spur!“ und startete den Motor.

    Oh-der Anschlag hat also tatsächlich gar nicht Alex und Semir gegolten, sondern Markus Wagner, den seine eifersüchtige Ehefrau Merle so umgebracht hat, als ihr die Helden versehentlich auf der Autobahn begegnet sind. Und Kim Krüger hat auch eine Rolle in der Geschichte-als Geliebte und Auslöser des Mordes, die nun selber in höchster Gefahr schwebt.
    Semir und Alex hätten sich gar nicht so viele Gedanken darüber machen brauchen, ob sie erkannt wurden-Merle hatte sie gar nicht bewusst angesehen-aber ihr Plan geht auf-sie machen mit Kunze einen Drogendeal und sind schwups-schon in die Bande eingeschleust, auch weil Alex Insiderwissen verrät!
    Was an dem Kapitel ein wenig holprig beschrieben war, war warum die Halbjapanerin bei der Hochzeit nicht ihren Namen behalten hat, oder ihr Mann den Ihren angenommen hat-das ist heute doch noch in den meisten Ehen so, die in Deutschland geschlossen werden, obwohl rechtlich alle anderen Möglichkeiten bestehen.

    Nachdem Semir, der erstaunlicherweise gut geschlafen hatte, vom Ruf des Muezzin, der durch die Straßen der Altstadt per Lautsprecher übertragen wurde, erwacht war, stellte er mit Erleichterung fest, dass in dieser Familie niemand so streng gläubig war. Keiner breitete einen Gebetsteppich aus und verneigte sich gen Mekka, sondern man ging ganz normal seiner Morgenroutine nach und Khaled´s Bruder und die beiden Neffen gingen nach dem Frühstück mit heißem, köstlichen Mokka, wie Semir ihn liebte und der ihn vollends wach machte, zur Arbeit. Eine Nichte war Lehrerin, die verschwand etwas später und Khaled hatte inzwischen herausgefunden, wo Brami´s Wohnsitz war, wie ihm Semir aufgetragen hatte. Auch wenn sein tunesischer Freund keine Ahnung von Polizeiarbeit hatte, begriff er das System, nun einfach den Spuren Ben´s zu folgen. Außerdem lag der Wohnsitz schon mal in der ungefähren Richtung, wo das letzte Funksignal von Ben´s Handy aufgefangen worden war.

    Khaled hatte einen Mietwagen organisiert und so saß Semir wenig später am Steuer eines knallgelben, klapprigen Ford Galaxy, von dessen Seite Werbung in reißerisch roter Schrift auf Arabisch leuchtete. „Einen unauffälligeren Wagen gabs wohl nicht?“ fragte er Khaled, aber der zückte ungerührt die Schultern. Eigentlich war die ersten Meter Khaled gefahren, aber Semir kriegte es nach kurzer Zeit mit den Nerven deswegen, denn dessen Lieblingsgerät im Wagen war die Hupe und er hatte das Fenster runtergekurbelt und schrie voller Begeisterung den anderen Fahrern, die genauso laut hupten, irgendwelche Unflätigkeiten an den Kopf. So hatte Semir, nachdem sie an der nächsten Wechselstube zu einem tatsächlich wesentlich günstigeren Kurs erneut Geld gewechselt hatten, kommentarlos das Steuer übernommen und kurvte nun nach Khaled´s Anweisungen durch den chaotischen morgendlichen Stadtverkehr von Sousse. Gut-man musste westliche Verkehrsregeln und die Lichtzeichen der wenigen Ampeln einfach ignorieren, dann kam man als routinierter Fahrer eigentlich ganz ordentlich durch und so waren sie wenig später in einem nobleren Vorort der Stadt und ließen die laute stinkende City hinter sich.
    Noch eine Weile später näherten sie sich ein Stück außerhalb, einem riesigen Anwesen, das überall von einem hohen Zaun umgeben war. Drinnen grünte und blühte es, obwohl Dezember war, während außen die Sahara schon ihre ersten Ausläufer heranstreckte. Am Eingang war eine Art Pförtnerhaus, aber man konnte schon von Weitem sehen, dass dort bewaffnete Wächter patrollierten und Khaled zog den Kopf ein und sagte: „Da werden wir keine Chance haben, auch nur ansatzweise reinzukommen!“ als Semir plötzlich eine Vollbremsung machte, dass er beinahe mit dem Kopf gegen die Scheibe gedonnert wäre, denn natürlich hatte er sich aus Protest nicht angeschnallt. Gerade wollte er sich beschweren, da war Semir schon aus dem Wagen gesprungen und hatte beherzt dem schwarzen Hengst ins Zaumzeug gegriffen, der ihm zuvor beinahe in vollem Galopp ins Auto gelaufen wäre. Er hatte in letzter Sekunde bemerkt, wie die Reiterin verzweifelt versucht hatte das durchgehende Pferd zu kontrollieren, aber der war einfach bockend Richtung Tor gerannt und sie hatte sich nur mit äußerster Mühe oben halten können und hatte ihn laufen lassen müssen. Semir liebte Pferde und konnte auch gut mit ihnen umgehen, seitdem er in seiner Jugend mal eine Freundin gehabt hatte, die an der Rennbahn arbeitete und so beruhigte sich das Tier allmählich, als Semir ihm gut zuredete und ihn um sich herum im Kreis laufen ließ, anstatt ihn zu versuchen festzuhalten. Die käsebleiche junge Reiterin, die in perfektem Outfit, aber ohne Helm-sowas fand sie nämlich affig-droben saß, hatte nun ihren Sitz so halbwegs wieder gefunden und sagte leise: „Danke!“ denn sie hatte durchaus die Sprache erkannt, mit der ihr Retter das aufgeregte Pferd beruhigte. Endlich stand der nervöse Schwarze und nun rutschte die junge Frau mit wackligen Knien herunter. „Das war knapp-danke, dass sie mir geholfen haben!“ bedankte sie sich in perfektem Deutsch und warf dann einen ängstlichen Blick zu den Wachen, die natürlich auf den Tumult aufmerksam geworden waren. Wenn die das ihrem Vater petzten, würde der ihr Khalif wegnehmen, dabei liebte sie diesen wundervollen Hengst mit all seinen Macken abgöttisch, den er aus Deutschland für sie importiert hatte. Merkwürdigerweise war die Zucht von asilen Vollblutarabern in Deutschland wesentlich erfolgreicher als in den Heimatländern und so war das nicht ungewöhnlich, dass sogar Scheichs sich von dort oder aus den USA Pferde importierten. Gerade Sonderfellfarben wie lackschwarz oder auch hellbraun gab es in den Ursprungsländern selten-da waren fast alle Wüstenpferde weiss- und so machte der internationale Handel auch vor Pferden nicht Halt.
    Der schwarze Hengst hatte sich nun beruhigt, er schnaubte zwar hin und wieder, aber sonst beschnupperte er ganz interessiert den fremden Mann, der so gar keine Angst vor ihm zu haben schien, sondern statt dessen eine unheimliche Überlegenheit und Ruhe ausstrahlte. Außerdem erinnerte ihn der Klang der Worte an seine Jugend und Semir sagte nun zu dem Mädchen, denn die war trotz ihrer Aufmachung immer noch nicht mehr als ein verängstigter Teenager: „Man sollte ihn jetzt Korrektur reiten-sonst macht er das das nächste Mal gleich wieder!“ erklärte er. „Hast du denn einen Trainer an der Hand?“ fragte er, aber das Mädchen schüttelte den Kopf. Nun fragte Semir: „Darf ich?“ und wies auf den Sattel und die junge Tunesierin nickte und sagte leise: „Ja bitte-ich weiss nämlich nicht, ob ich mich da sonst nochmal drauf traue!“ und schon schwang sich Semir in den Sattel. Die Bügellänge passte und zunächst tänzelte der Hengst und versuchte auch ein wenig zu bocken und zu steigen. Semir allerdings behielt die Ruhe, ließ die Zügel ein wenig länger und trieb ihn energisch vorwärts. Wenige Minuten später lief der Hengst artige Kreise durch den Sand neben der Straße, wie er es einmal gelernt hatte und gab sich vertrauensvoll in die Hände des erfahrenen Reiters. Nach wenigen Minuten stieg Semir wieder ab und sagte: „Und jetzt du!“ und mit neuem Mut nahm die Besitzerin des Hengstes wieder im Sattel Platz. Semir ließ sie ebenfalls enge und weite Kreise um sich herumreiten und während Khaled sich die Sache erstaunt vom Auto aus betrachtete, fasste das Mädchen wieder Vertrauen-und zwar zum Pferd und auch zu ihrem neuen Reitlehrer. „Wenn du möchtest, gehe ich noch mit dir zum Stall, dann macht der nichts, wenn ich nebenherlaufe!“ bot Semir an und so verschwand er, nachdem er Khaled zugezwinkert hatte, wenig später mitsamt der jungen Frau und dem prächtigen Ross innerhalb der Festung.

    Ben hatte inzwischen die Nacht hinter sich gebracht. Das Fieber war gestiegen, ihm war zwar nicht mehr übel, aber dafür hatte er das Gefühl innerlich zu verbrennen und der Durst brachte ihn gemeinsam mit den Schmerzen beinahe um. Seine angeschwollenen Extremitäten tobten innerhalb der engen Gipsverbände und immer wieder schliefen ihm beide Beine ein. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen und es ekelte ihn vor der beschmutzten Kleidung und Wäsche und vor allem vor dem widerlichen Geschmack in seinem Mund, aber niemand machte ihn frisch. Zweimal in der Nacht schritt ein alter Mann-anscheinend der Nachtpfleger- durch die Reihen, aber der schaute anscheinend nur, ob alle Patienten in den Betten noch atmeten. Ben versuchte flüsternd auf sich aufmerksam zu machen, aber der ignorierte ihn einfach und so blieb der junge Hauptkommissar alleine mit seinen Schmerzen, der Angst und den Sorgen zurück. So langsam begann es sich heraus zu kristallisieren. Wenn ihm nicht der Zufall zu Hilfe kam, würde er anonym in diesem Krankenhaus sterben und Sarah, Tim und Semir würden nie erfahren, wo er abgeblieben war. Die vermuteten ihn in Spanien, aber dort würde ihn Semir niemals finden.

    Nun hat es Milena geschafft, kaltblütig das Programm zu installieren. Bevor Max sie aber vergewaltigen kann, stört sie die betrogene Ehefrau, die aber sofort von ihrem Gatten hingerichtet wird-der Typ kennt wirklich keine Skrupel.
    Für Semir und Kim genügt der Zeitaufschub und ihnen gelingt es, Milena nur leicht verletzt zu retten-die ist schon bald so ein Sieb wie Semir, wenn die so weitermacht. Auch Kim hat eine sympathische Rolle bei dir und als Alex und Jenny nun noch erfahren, dass Milena gerettet ist und der Fall damit beinahe gelöst, sind auch die erleichtert.
    Und Max muss meinetwegen nicht überleben, denn Typen wie der kommen noch im Knast groß raus!

    Da hat die Stadt Köln aber ne richtige Laus im Pelz sitzen! Und bisher sind Semir und Alex nicht einmal misstrauisch geworden!
    Nicole soll ein Angebot unterbreitet werden-warum bin ich mir nur so sicher, dass sie das nicht annehmen wird?

    Also Respekt Campino-die Verfolgungsjagd auf der Autobahn ,die explodierenden Flaschen und zuletzt die todesmutige Rettung des LKW-Fahrers war detailgetreu und so genau beschrieben, dass ich da nen Film drüber drehen könnte! Gott sei Dank ist die Rettung des Fahrers gelungen, aber über den Drive-by-Mörder wissen wir jetzt nur, dass der nicht nur ein excellenter Schütze, sondern auch ein hervorragender Autofahrer ist-wie wollen sie den denn jetzt kriegen?
    Die Schlussszene mit dem Gaffel-Kölsch fand ich total witzig-wer hätte Kevin zugetraut, dass er so eine Art von Humor hat! :D

    Yasser trat an das Bett des dunkelhaarigen Mannes, der ihn heute Morgen so eindringlich angesehen hatte. Dessen Lippen waren zwar nun nicht mehr so blau wie in der Früh, aber dafür trocken, rissig und aufgesprungen. Er warf sich mit geschlossenen Augen im Bett herum und murmelte unverständliche Worte. Yasser sah sich suchend um, aber nirgendwo stand ein Becher, wo etwas zu trinken darin war. Kurz entschlossen huschte er auf den Flur. Da befanden sich auf einem kleinen Wagen mehrere gefüllte Gläser und Schnabelbecher mit Tee. Yasser würde nie in seinem Leben etwas stehlen-bei aller Armut hatten ihm seine Eltern Rechtschaffenheit beigebracht, aber weil niemand da war, stand er unschlüssig vor den gefüllten Behältern. Als eine Krankenschwester des Wegs kam, fragte er unterwürfig: „Darf ich da ein Glas für meinen Onkel haben?“ und ohne zu fragen wer der Onkel war, erlaubte es die Schwester großmütig. Yasser schnappte sich einen Becher-der Tee war auch nicht mehr heiss-und ging damit zu seinem Schützling zurück. Vorsichtig berührte er ihn am Arm und Ben machte daraufhin seine fiebrigen Augen auf. Inzwischen war ihm auch nicht mehr kalt, sondern fürchterlich heiss und er hatte die Decke schon lange von sich gestrampelt, auch wenn das mit erneuten Schmerzen verbunden war. Auch wenn sein Gehirn vernebelt war, erkannte er sofort den kleinen Jungen, der heute Morgen anscheinend Hilfe für ihn geholt hatte. Ein schmerzliches Lächeln überzog seine Züge und er sagte rauh: „Hallo!“ was der Junge erwiderte und als Yasser nun den Schnabelbecher an seine Lippen hielt, trank er gierig, bis das Gefäß leer war. Yasser zögerte noch einen Augenblick, aber dann ging er wieder auf den Flur und goss aus einer Kanne die da stand, erneut Tee nach. Wieder trank Ben den ganzen Becher, aber beim dritten Becher wurde es ihm auf einmal fürchterlich schlecht und er erbrach sich. Er selber, das Bett und auch der Kaftan waren mit Erbrochenem beschmutzt und als der Pfleger, der zufällig gerade in den Saal gekommen war das sah, begann er fürchterlich zu schimpfen. Yasser floh wie von wilden Hunden gehetzt aus dem Raum, denn was der Pfleger da in Fäkalsprache rief, war alles andere als freundlich. Oberflächlich wurde der Boden unter Ben´s Bett zusammengewischt, aber er selber blieb liegen wie er war. Yasser ging jetzt lieber nach Hause-er würde am nächsten Morgen wieder kommen, wenn der Pfleger nicht mehr in der Schicht war und außerdem versammelte man sich jetzt zum rituellen Abendgebet. Pünktlich als der Muezzin den Gebetsruf erschallen ließ war Yasser zuhause und erledigte voll Insbrunst gemeinsam mit seinen Geschwistern die Pflicht seines Glaubens.

    Endlich war das Flugzeug am Flughafen von Monastir gelandet. Anders als in vielen europäischen Hauptstädten hatte dieser Flugplatz ein wenig das Flair eines Dorfbahnhofs. Die Gangway wurde noch mechanisch heran gerollt und man lief vom Flugfeld einfach quer hinüber zur Passkontrolle. Nachdem Semir und Khaled ja nur Handgepäck dabei hatten, hatten sie schnell einen Stempel in ihrem Pass und es wollte auch niemand in ihre Reisetaschen sehen. Noch vor der Passkontrolle hatten sie eine kleinere Summe tunesische Dinar am dort befindlichen Geldautomaten gezogen, man durfte nämlich kein tunesisches Geld einführen. Allerdings war der Kurs in den Wechselstuben in den Städten oft günstiger und darum wollte Khaled nicht sonderlich viel wechseln. Semir wollte sich gerade zum Gehen wenden, da gab ihm Khaled einen unauffälligen Wink. Er nahm sich zwanzig Dinar, steckte die dem Zollbeamten unauffällig zu und fragte den etwas auf Arabisch, woraufhin der die Stirn kraus zog und kurz an seinen altertümlichen Computer ging. Semir konnte in dem ganzen Kauderwelsch nur ein paar Namen verstehen:„Ben Jäger und Said Brami"-wenig später dann auch noch "Dietmar und Günther Haug." Mit einer höflichen Verneigung verabschiedete sich Khaled und während sie auf einen uralten klapprigen VW-Polo zugingen, vor dem mit breitem Grinsen ein junger Mann in Jeans, Shirt und Turban stand, der Khaled verdammt ähnlich sah, erklärte sein Freund dem deutschen Polizisten, was er in der kurzen Zeit schon herausgefunden hatte: „Brami ist mit Ben Jäger und den Haug-Brüdern am Freitag hier gelandet. Sie wurden von Brami´s Chauffeur abgeholt und die Haug-Brüder sind gestern wieder mit dem Learjet nach Deutschland zurückgereist, während Ben noch im Lande ist. Der tunesische Zoll weiss immer welche Ausländer sich im Land befinden, obwohl hier ja keine deutsche Bürokratie herrscht!“ beschied er ihm mit einem Lächeln, um dann fröhlich mit einem arabischen Wortschwall seinen Neffen zu umarmen, der sie abholen sollte: „Darf ich vorstellen-das ist Semir Gerkan und der gutaussehende junge Mann hier ist mein Neffe-wie man ja wohl unschwer erkennen dürfte!“ stellte er die beiden Männer vor.
    Nachdem man heute wohl nicht mehr viel ausrichten konnte, weil es bereits dunkel wurde, fuhren sie nach Sousse zu Khaled´s Verwandten und Semir wurde herzlich in den Familienclan aufgenommen. Semir kam sich ein wenig in seine türkische Heimat zurückversetzt vor-auch dort lief es so ab, wenn man in den großen Ferien früher immer auf Verwandtenbesuch fuhr. Seit er allerdings mit Andrea zusammen war, machten sie eher an anderen Orten Urlaub, denn seine Frau hatte dabei keinerlei Erholungseffekt und verstand auch kein Türkisch-aber die Erinnerungen an seine Kindheit waren eben immer noch da. So gingen sie bald zu Bett und Semir würde morgen seine ganze Kraft daran setzen, seinen Freund zu finden!

    Nun wird Tim von Alex verhört. Der Fünfzehnjährige hat anscheinend Erfahrung mit Heimen und gibt freimütig zu, dass er auf der Straße wohnt. Irgendwie schrecklich, aber traurige Realität in Deutschland! Allerdings lässt der nicht raus, wer der andere Junge war und ist auch sonst eher verstockt. Allerdings siezt er jetzt Alex, was beweist, dass er schon Routine im Umgang mit der Polizei hat. Vielleicht sollte man ihn zu seinem eigenen Wohl in einem geschlossenen Heim unterbringen, denn hier wächst leider die nächste Generation Knallköpfe heran! Arbeitete nicht Andrea in diesem Bereich? Ich hoffe ja, die kommen bald mit den Ermittlungen weiter und auch Semir ist in Kürze wieder gesund!

    Khaled sagte zu Semir: „Ich habe meinen Cousin gestern noch angerufen-er holt uns vom Flughafen ab und bringt uns nach Sousse zu meinen Verwandten. Dort können wir wohnen, solange wir dort sind!“ erklärte er und irgendwie war Semir erleichtert, dass sie sich wenigstens bei ihren Nachforschungen nach Ben nicht zunächst mit der Suche nach einem Hotel aufhalten mussten. In Nizza stiegen sie um, um nur gefühlte Minuten später schon wieder in Marseille zu landen-gut die Entfernung betrug auch nur 160km, wie Semir dem Routenplaner entnommen hatte. Am Flughafen Saint-Charles hatten sie einen längeren Aufenthalt und Khaled erzählte Semir, dass er schon öfter über Marseille in die Heimat geflogen war, weil von dort die beste Flugverbindung in den Maghreb war. Endlich saßen sie dort in ihrem geplanten Flieger und diesmal ging die Startbahn direkt in Richtung offene See, sie war sogar ein Stück weit dort hinein gebaut. Als sie in der Luft waren sah Semir, der einen Fensterplatz ergattert hatte, staunend auf das tiefblaue Meer, während die Maschine Kurs auf Nordafrika nahm.

    Ben merkte wie er Fieber bekam. Er war immer noch sehr schwach und nun begann er heftig zu frieren. Obwohl es in dem Raum heiß war, schüttelte es ihn und er bekam auch immer mehr Atemnot. Als die Schichtübergabe stattgefunden hatte, übernahm ein älterer Pfleger die Aufsicht über den Krankensaal. Er warf eine zweite Decke über Ben, ohne ihn aber in irgendeiner Weise anzufassen. Erst als dessen Lippen immer blauer wurden, bemerkte er, dass das mit Blut gefüllte Absaugglas schon wieder gefüllt war. Ohne die Thoraxdrainage abzuklemmen entleerte er es und in dem Moment als das Vakuum zusammenfiel meinte Ben sein letztes Stündlein hätte geschlagen, denn im selben Moment kollabierte seine linke Lunge wieder-und diesmal ganz plötzlich. Ihm wurde schwindlig und er rang nach Luft. Nachdem der Pfleger das Glas wieder angeschlossen hatte, baute sich erst langsam wieder ein Sog auf und das Blut das jetzt wieder langsam in das Glas lief, war jetzt hellrot.
    Ben ging es inzwischen so schlecht, dass er nur den Kopf herumwarf und für seine Umwelt unverständliche Sachen auf Deutsch murmelte. Er hätte in seinem Zustand auch keine Handynummer mehr nennen können, seine Lippen sprangen auf, die Zunge klebte am Gaumen und immer wieder musste er trocken husten, was ihm in Brust und Rücken fürchterlich weh tat. Verschwommen sah er, dass ihn ein Pfleger mit finsterer Miene musterte und etwas auf Arabisch zu ihm sagte, ohne dass er verstehen konnte, was der wollte. Der Pfleger dachte sich nur: „Verdammt, wenn dieser Europäer jetzt stirbt, habe ich die ganze Arbeit und er sagt mir nicht einmal seinen Namen und seinen Wohnort, damit wir für unsere Behandlung wenigstens Geld kriegen!“ Allerdings sprach der Tunesier auch nur seine Heimatsprache und ein wenig französisch-so war eine Verständigung deshalb denkbar schwierig. Der Pfleger ging in den Aufenthaltsraum, um sich vor dem Abendgebet noch einen Kaffee zu genehmigen und dann gab es im Nebenzimmer einen Notfall und er war den Rest seiner Schicht anderweitig beschäftigt.

    Inzwischen war es Abend geworden. Der kleine Yasser hatte vormittags das Geld nach Hause gebracht und wenig später war sein großer Bruder ebenfalls gekommen. Auch er war erfolgreich gewesen-er stand nämlich öfter vor einem Hotel und half die Koffer der Geschäftsreisenden und Urlauber an Ort und Stelle zu bringen. Auch zu ihm war man großzügig gewesen und so machten sich die beiden Jungs-zehn und vierzehn Jahre alt- auf in den Souk, um dort für die Familie einzukaufen. Sie erstanden einen mittleren Sack Weizengriess, mit dem man die Basis für köstlichen Couscous hatte, dazu einen Beutel Linsen und gerade war eine Ladung Hähnchenkeulen aus Europa mit dem Schiff und dem LKW eingetroffen. In Afrika rentierte sich die Hühnerzucht nicht mehr, denn in Europa wurden in der Massentierhaltung dermaßen viele Hähnchen produziert, dass der Absatz der Keulen einfach nicht funktionierte, denn die Europäer bevorzugten das Brustfleisch. So wurden große Mengen exportiert und weil die schon ein wenig angetaut waren, bekamen die Jungen eine riesige Plastiktüte voll für billiges Geld und schleppten dann ihre Einkäufe stolz und glücklich über eine Stunde zu Fuß nach Hause. Dort kochte die Mutter ein Festmahl und eine glückliche Familie saß fröhlich schwatzend um den Topf und aß gemeinsam. Nur der kranke Vater, der abgemagert bis zum Skelett in der Ecke auf seiner Matratze lag, wollte nichts essen. Ihm ging es gerade wieder sehr schlecht, aber man konnte ihm nicht mehr helfen, hatte die Heilerin gesagt.

    Es war noch nicht finster und Yasser ging der Mann von heute Morgen nicht aus dem Kopf. Wie ihn der angesehen hatte-die Blicke erinnerten Yasser an die seines Vaters. Schaute man so, wenn man dem Tod geweiht war? Kurz entschlossen machte er sich auf den Weg zur Poliklinik, die nur einen Steinwurf weit von seinem Zuhause entfernt war. Man versuchte den zerlumpten Jungen wegzuscheuchen, aber Yasser, der das von frühester Kindheit an gewöhnt war, vertrieben zu werden, schlüpfte einfach wie ein Aal zwischen den Besuchern durch und war auch schon im Krankenhaus verschwunden. Fragen konnte er niemanden, denn man hätte ihm keine Auskunft gegeben und so ging er einfach von Zimmer zu Zimmer, von Krankensaal zu Krankensaal, bis er ihn gefunden hatte.

    Wie-Nicole hat den Vorfall gar nicht gemeldet? Oder wo sonst liegt der Haken? Das ist jetzt echt merkwürdig und interessiert mich!
    Zum medizinischen Teil muss ich allerdings sagen-absolutes no go. Conny-wenn du möchtest kannst du mich gerne wegen medizinischer Fragen kontaktieren-ich werde dir das dann genau erklären, bevor du was veröffentlichst.
    Was schön an dem Kapitel ist-Alex kümmert sich um Semir-das finde ich Klasse.
    Wenn allerdings der Verdacht einer Schädelverletzung besteht, wird man immer eine CT-Untersuchung de Kopfes bevorzugen. Ein CT ist nämlich eine Röntgenuntersuchung des Kopfes-nur werden die Röntgenbilder da schichtweise halt vom Computer ausgewertet. Eine knöcherne Schädelverletzung interessiert eigentlich niemanden-ob da ein Bruch vorliegt, oder nicht, ist nicht wichtig-na ja-vielleicht für die Dauer der Krankmeldung. Was einen bei Schädelverletzungen in erster Linie interessiert ist, ob eine Hirnblutung vorliegt, weil das ein absolut lebensbedrohliches Ereignis ist. Da muss man dann eine Intensivüberwachung mit engmaschigen Kontroll-Ct´s-manchmal zweimal täglich vornehmen. Nicht jede Hirnblutung muss operiert werden, aber überwacht auf jeden Fall!
    Dazu muss man natürlich auch noch erwähnen, dass jeder Patient-sofern er noch bei Bewusstsein und Herr seiner Sinne ist-den Behandlungsvertrag mit dem Krankenhaus freiwillig eingeht. Bei ner Schädelverletzung überlegen wir uns das allerdings immer schwer, ob der Patient wirklich Herr seiner Sinne ist-sonst wird er einfach fixiert, das Vormundschaftsgericht angerufen und dann sehen wir weiter-ich möchte nämlich die Öffentlichkeit sehen, wenn ein verwirrter Mensch mit ner akuten Hirnblutung sich in den Straßenverkehr oder von ner Brücke stürzt und deshalb jemand zu Schaden kommt! Dann wäre das Krankenhaus auf jeden Fall dran und darum versucht man solche Situationen zu vermeiden.
    Ach ja und noch ein letzter Beitrag zur Sache-Leute-wenn ihr irgendwelche akuten Verletzungen habt-bitte nehmt nie ein Aspirin-so toll dieses Schmerzmittel auch wirkt-es ist neben seiner Eigenschaft als leichtes Schmerzmittel leider auch ein Thrombozytenaggregationshemmer und stört die Blutgerinnung-was z. B. gerade in dieser Story in Semirs Fall seinen Tod bedeuten könnte.
    Natürlich ist das jetzt vermutlich übertrieben, was ich hier schreibe, aber wenn auch nur einer von euch Lesern sich im konkreten Fall an meine Zeilen erinnern kann, dann wars mir das wert!

    Wenig später stellte Semir den BMW auf einem der Langzeitparkplätze ab. Klar hätte er das organisieren können, dass sie jemand herfuhr, aber nachdem sie nur kleines Gepäck hatten, hatte er beschlossen die Parkgebühr zu bezahlen-es war einfach besser wenn man nach Hause kam und dann das Auto griffbereit war-außerdem hoffte er ja, dass er bald mit Ben im Schlepptau wieder einreisen würde, er hatte eigentlich nicht vor, nur eine Stunde länger als nötig in Tunesien zu bleiben.
    Nachdem sie pünktlich gute zwei Stunden vor dem Abflug eingecheckt hatten, verbrachten sie noch eine ganze Weile auf dem Flughafengelände und gönnten sich einen Kaffee. Semir betrachtete den Duty-Free- Shop und beschloss, Andrea nach dem Rückflug ihr Lieblingsparfum von dort mitzubringen. Als er das Khaled mitteilte, lachte der auf. „Semir, wir fliegen nach Tunesien-sag mir was du brauchst und ich werde dir für einen Bruchteil dessen, was du hier zahlst, im Souk alles besorgen, was du möchtest!“ sagte er und Semir nickte dankend. Dann erzählten sie noch von alten gemeinsamen Freunden, bis es Zeit wurde die Maschine nach Nizza zu besteigen. Kurz nach dem Abflug erwähnte Semir den Namen Said Brami und erklärte Khaled, dass dem der Learjet gehörte, mit dem Ben ausgereist war und jetzt wurde Khaled plötzlich blass. „Semir-wenn ich das eher gewusst hätte, wäre ich vielleicht nicht mitgeflogen. Das ist einer der einflussreichsten Wirtschaftsmogule Tunesiens. Der hat sein eigenes Imperium erschaffen und er hat sozusagen eine Privatarmee. Wenn man sich mit dem anlegt, liegt man vielleicht bald als Skelett in der Sahara, oder wassert mit Betonschuhen im Mittelmeer!“ erklärte er Semir und dem wurde angst und bang, als er das hörte-allerdings nicht um sich persönlich, sondern um Ben. Als er dann allerdings in sich hinein hörte, war er sich sicher, dass der noch lebte-etwas anderes war er auch nicht bereit zu akzeptieren!

    Ben war derweil von der gehetzten Schwester, die zuhause fünf Kinder zu versorgen hatte und eine fast schlaflose Nacht hinter sich hatte, in den Krankensaal gebracht worden. Das Krankenhaus hatte viele Ein-und Zweibettzimmer, aber eben auch noch große Säle in denen die weniger bemittelten Patienten untergebracht wurden. Sie arretierte Ben´s Bett und steckte die Motorsaugung an die Steckdose. Dann ging sie wieder, um schon den nächsten Zugang zu holen. Nachdem Ben nach einer Weile zu Atem gekommen war-zu schlimm und schmerzhaft waren die Ereignisse der letzten Stunde gewesen-sah er sich um. Er lag ein wenig abseits in einem großen Raum. Dort waren zwölf Betten, die als einzigen Luxus Räder hatten. Das Hoch-und Flachstellen funktionierte mechanisch, nicht so luxuriös mit Elektromotor wie in den meisten deutschen Krankenhäusern. Wenn ihm also niemand half, hatte er keine Chance sein Bett zu verstellen, um bequemer zu liegen. Auch die Matratze war relativ hart und dünn, aber das war auszuhalten. Mit ihm im Saal waren die unterschiedlichsten Männer und die Geruchsbelästigung war fast nicht auszuhalten. Man konnte fast sagen, es stank hier zum Himmel. Es roch nach Erbrochenem und Fäkalien, nach menschlichem Schweiß, Angst und Schmerzen. Außer den bisher acht Mitpatienten waren eine Menge Angehörige zu Besuch-Moment-die waren nicht nur zu Besuch, sondern die pflegten ihre Väter, Brüder oder Söhne. Als Ben seinen Blick schweifen ließ, sah er wie ein junger Mann einen älteren sorgfältig wusch und danach die Bettwäsche erneuerte. Ein anderer gab einem halben Kind, das seinen Arm in einer Schiene in einem Gestell hängen hatte, etwas zu trinken und wieder ein anderer sprach ein Gebet. Ben hatte Schmerzen und Durst, aber so etwas wie eine Glocke hatte man ihm nicht gegeben, womit er sich hätte bemerkbar machen können. Also machte er nach einiger Zeit einfach die Augen zu und dämmerte vor sich hin-immerhin bekam er wieder genügend Luft. Allerdings war an Schlaf nicht zu denken, aber als die gestresste Schwester kurz nach ihm sah, hatte er die Augen geschlossen und sie ging wieder ihrer anderen Arbeit nach. Immer wenn Ben sich nur minimal bewegte, zog ein scharfer Schmerz durch seinen Rücken und er fühlte sich, als wenn man ihn durch den Fleischwolf gedreht hätte, Die Gipsverbände begannen zu drücken-anscheinend waren seine Extremitäten darin angeschwollen und er fühlte sich nach wie vor schwach und zittrig. Um die Mittagszeit öffnete sich wieder und wieder die Tür und die unterschiedlichsten Menschen brachten Töpfe und Schüsseln mit wohlschmeckendem Essen und gaben das ihren Angehörigen ein. Danach übergab sich einer und Ben wurde schon vom Geräusch schlecht. Als der Ruf des Muezzin vom nahen Minarett erklang, rollten die Menschen-Patienten wie Besucher- ihre Gebetsteppiche zum Mittagsgebet aus und erledigten ihre Pflicht nach Mekka ausgerichtet und nur die Schwerkranken waren davon ausgenommen. Wieder dämmerte Ben ein und dachte an Sarah und Tim. Verdammt, wenn er nur die Sprache verstünde und jemanden dazu bringen könnte, Sarah oder Semir anzurufen!