Beiträge von susan

    In Semir´s Kopf waren die Gedanken weiter geflossen. Verdammt-sie hatten Brami und dessen Skrupellosigkeit unterschätzt! Aber wenn das so war, war auch Ben in Gefahr! Der Tunesier würde sicher nicht davor zurückschrecken, den zu ermorden, wenn er seiner habhaft wurde. Sobald sie die schreckliche Nachricht von der Entführung seines Sohnes und seiner Schwägerin überbracht hatten, musste er sich deswegen mit der Chefin kurzschließen-auch Ben brauchte Personenschutz. Semir warf einen Seitenblick auf Sarah. Die sah innerhalb weniger Stunden um Jahre gealtert aus. Er konnte es ihr so nachfühlen, denn auch seine Töchter waren schon entführt worden und die Gedanken und Sorgen die ihm damals durch den Kopf gegangen waren, waren immer noch präsent-es war das Schrecklichste, na vielleicht außer einer Todesnachricht- was man als Eltern erleben konnte: Zu wissen, dass die eigenen Kinder irgendwo in der Hand skrupelloser Verbrecher waren. Aber auch bei ihm war es gut ausgegangen und Ayda, Lilly und auch Andrea hatten mit Hilfe von Psychologen dieses Trauma überwunden. Es hatte ihm vorhin sehr leid getan, Andrea schon wieder mitteilen zu müssen, dass sie und die Kinder in potentieller Gefahr schwebten, aber es half ja nichts und als er ihr in kurzen Worten von der Entführung Tim´s erzählt hatte, war sie sofort dafür gewesen mit den Kindern übers Wochenende unterzutauchen. Irgendwie war sich Semir sicher-bis zum Sonntag, wenn der Wirtschaftsgipfel vorbei war, war auch die Gefahr vorbei. Er konnte nur hoffen, dass es bis dahin auf ihrer Seite keine Opfer gegeben hatte.

    Nun aber hatte Sarah auf die Klingel außen an der Intensivstation gedrückt und wenig später wurden sie herein gebeten. Sarah griff unbewusst nach Semir´s Hand als sie sich dem Zimmer näherten, in dem Ben lag. Der Stationsarzt hatte sie erspäht und kam gut gelaunt auf sie zu: „Hast du schon gehört? Dein Freund konnte extubiert werden und auch die Motorik und die Sensibilität in den Beinen scheinen soweit in Ordnung zu sein. Später kommt deswegen auch noch der Neurologe und schaut sich das an. Nur die Niere macht uns Sorgen-er hat zwar angefangen ein wenig auszuscheiden, aber die Betonung liegt auf ein wenig-ich denke wir werden später einen Shaldonkatheter legen und ihn andialysieren, in der Hoffnung, dass die Nierenfunktion dann anspringt. Aber jetzt freu dich erst mal-er ist zwar noch müde, erwartet aber sicher sehnsüchtig deinen Besuch!“ plapperte er, während Semir und Sarah stehen geblieben waren.
    Als nun aber nicht einmal die Andeutung eines Lächelns über ihre Lippen kam, bemerkte der Doktor auf einmal, dass da irgendetwas gar nicht in Ordnung war und er fragte ernst: „Sarah-was ist los? Warum wirkst du so bedrückt?“ und nun antwortete sie voller Verzweiflung: „Unser Sohn ist gemeinsam mit meiner Schwägerin entführt worden-vermutlich von denselben Männern, die für Ben´s Zustand verantwortlich sind. Ich weiss gar nicht, wie ich ihm das beibringen soll!“ sagte sie und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. „Oh Gott-das ist ja schrecklich!“ rief der Arzt voller Empathie aus. „Willst du es ihm wirklich sagen? Denkst du nicht es wäre in seinem Zustand besser, wenn wir das vor ihm verheimlichen?“ wollte er wissen, aber Sarah und auch Semir schüttelten den Kopf. „Dann können wir ihn auch nicht besuchen-und das würde ihn genauso beunruhigen. Er wird es merken, dass wir uns Sorgen machen und sofort auf Tim kommen-immerhin ist er Polizist, wenn wir einfach kommen und nichts sagen-nein, es muss sein, obwohl das sicher seiner weiteren Genesung abträglich ist!“erklärte sie und der Arzt gab sich geschlagen. „Ich werde in ein paar Minuten mit einem Beruhigungsmittel zu euch kommen, dann können wir ihn absedieren, falls es notwendig ist!“ teilte er ihr mit. „Wenn du möchtest, bekommst du auch eine Tavor, ich glaube, die könntest du vertragen!“ meinte der Arzt dann noch aber Sarah schüttelte den Kopf. „Ich stille und werde nichts nehmen!“ sagte sie, deswegen musste sie sich sowieso als Nächstes Gedanken machen, aber jetzt stand ihr bevor, was ihr schon die ganze Zeit Bauchschmerzen bereitete.

    Sie atmete tief durch, ließ Semir´s Hand los und trat in das Zimmer. Ben lag blass auf dem Rücken und schien zu schlafen. Als er allerdings spürte, dass er nicht mehr alleine im Zimmer war, öffnete er die Augen und sagte müde: „Sarah was ist los? Ich habe euch auf dem Flur draußen reden gehört!“ und nun war ihr klar, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war. Sie trat an sein Bett, ergriff seine rechte Hand und sagte sanft: „Schön dass du wach bist, aber ich habe eine schlechte Nachricht!“ woraufhin er die Augen aufriss und sofort fragte: „Ist was mit Tim?“ und nun blieb Sarah nichts weiter übrig, als zu nicken. „Ja Ben-er ist zusammen mit meiner Schwägerin entführt worden!“ sagte sie und nun löste sich ein Ton aus Ben´s Brust, der klang wie ein waidwundes Tier. Semir, der kurz hinter Sarah stand lief es kalt über den Rücken. In diesem Laut lag der ganze Schmerz, den Ben aushalten musste und zugleich die Sorge um sein einziges Kind. „Oh nein!“ stöhnte er und während die Tränen über sein Gesicht liefen und der Puls und der Blutdruck in die Höhe schnellten, änderte sich in Sekundenschnelle seine Stimmung und aus tiefer Verzweiflung wurde Wut und Zorn. „Brami-ich werde ihn umbringen!“ stieß er kalt hervor „und wenn er Tim auch nur ein Härchen krümmt, wird er zuvor leiden, dass er wünscht, nie geboren zu sein!“ und nun starrten ihn Sarah und Semir fassungslos an.

    Brami und die Haug-Brüder hatten unterwegs Sarah´s Schwägerin noch die Nachricht schreiben lassen und dann hatte Brami das Handy an sich genommen, nicht ohne es zuvor auszuschalten und den Akku zu entfernen. Es würde ihnen sicher noch gute Dienste leisten, aber es durfte jetzt nicht mehr geortet werden, denn langsam näherten sie sich ihrem Versteck. Wenig später lief die ganze Truppe mit einem wachen Tim, der aus großen dunklen Augen die fremden Männer betrachtete, die Treppe hinauf und wenig später betraten sie die Wohnung, wo die Tunesier sich mit Würfelspielen die Zeit vertrieben. Brami sagte etwas auf Arabisch und der Anführer der fünf nickte. „Ich wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt!“ grinste Brami, während er die Tasche mit Tim´s Ausrüstung abstellte. Lisa die als Teenager an der Volkshochschule mehrere Arabischkurse belegt hatte, lief es kalt über den Rücken. Sie hatte leider verstanden was er gesagt hatte und wusste nun, dass ihr Leben und ihre Unversehrtheit nur bis Sonntag gewährleistet war-danach würden sie und Tim den Männern gehören und was die mit ihr und dem Baby anstellen würden, konnte sie sich leider vorstellen, so brutal und mitleidlos wie die aussahen!

    Ja-da hat vermutlich André gedacht, Frank könnte ihn entlasten-und der weiss auch mehr über diese Geschichte als er zugibt. Allerdings hat der viel zuviel Angst und so müssen Semir und André weiter nach den entlastenden Fotos suchen.
    Ich hatte auch immer Sorge dass der Typ die Nerven verliert und doch noch zur Waffe greift-oder dass irgendwelche Gorillas zur Tür hereinstürzen und Semir und André den Garaus machen, aber jetzt sind die beiden auf dem Weg zur nächsten Adresse-hoffen wir mal für André, dass sie dort Erfolg haben!

    Stenger wird zu meiner Überraschung nun doch verurteilt. Ich hatte immer darauf gewartet, dass Roth die Bombe noch platzen lässt und Torben dann seine Aussage widerruft. Ja das ist schlimm in Deutschland, dass Steuerbetrug härter bestraft wird als Gewaltverbrechen, aber immerhin bleibt Stenger fürs Erste in Haft-wobei-ich befürchte ja, dass der auf dem Transport ins Gefängnis immer noch zu fliehen versucht und da passen diesmal kein Semir und Ben auf, dass er nicht abhaut!
    Nun erfährt Benz, dass seine Tochter entführt wurde und auch Ben hat in dem Augenblick ein schlechtes Gefühl, als er Semir nicht erreicht.
    Semir halt durch-die Rettung naht! Und dann müsst ihr alle miteinander los und Leonie und Jenni befreien!

    Die Chefin, die Sarah´s Telefon auf dem Tisch abgelegt hatte sagte: „Das ist eine Kölner Festnetznummer!“ und als Sarah die Nummer erkannte wurde sie noch blasser als sie schon war: „Das ist das Krankenhaus!“ sagte sie geschockt-oh Gott, wenn jetzt mit Ben etwas war, würde sie es nicht ertragen können! „Geh nur ran!“ forderte Semir sie beruhigend auf. Egal welche Nachricht sie jetzt bekamen, das Schlimmste war immer die Unsicherheit und so drückte Sarah mit zitternden Fingern auf die passende Taste. „Sarah-hier spricht deine Kollegin Karin. Ich wollte dir nur sagen, dass dein Freund aus dem OP zurück ist und es möglich war, ihn zu extubieren. Momentan ist er noch ein bisschen müde, aber soweit ist alles gut verlaufen und stell dir vor, er spürt seine Beine!“ sprudelte die junge Schwester nur so ins Telefon. Sarah kamen vor Erleichterung fast schon wieder die Tränen. „Oh wie schön!“ rief sie. „Ich komme so bald wie möglich ins Krankenhaus!“ sagte sie und nun legte ihre Kollegin auf.

    Das Lächeln das erst noch in Sarah´s Gesicht gestanden hatte, wich nun einem Ausdruck der Verzweiflung. „Oh mein Gott-noch nie hätte ich mir mehr gewünscht, dass Ben noch schlafen würde und ich mich nun nicht mit dem Gedanken auseinander setzen müsste, ob ich es ihm sage oder nicht, dass Tim entführt wurde. Wenn er sich jetzt so aufregt, dass er einen Rückfall kriegt werde ich mich schuldig fühlen, aber er würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihn wissentlich anlügen würde!“ erklärte sie ihren inneren Zwiespalt. Auch Semir nickte und tat seine Meinung kund: „Ben kennt dich so gut Sarah-er würde es sofort merken, wenn du ihn anlügst-genauso wie er mich durchschauen würde. Uns bleibt nichts anderes übrig, als es ihm in aller Grausamkeit mitzuteilen, ich werde dich dabei aber unterstützen und mich danach direkt in die Ermittlungen stürzen. Chefin-könnten sie vielleicht statt mir die Anwohner befragen, ob die irgendwelche verdächtigen Beobachtungen gemacht haben?“ fragte Semir und Kim Krüger nickte. Selbstverständlich würde sie alles tun, damit sie die Entführer und vor allem das Baby und die junge Frau fanden.Die Schrankmann sah auf die Uhr und sagte: „Ich werde jetzt in die Staatsanwaltschaft zurückfahren und ihnen den Rücken frei halten, soweit möglich. Wenn sie irgendwelche neuen Erkenntnisse haben-bitte teilen sie die mir sofort mit!“ bat sie, während sie sich nun gemeinsam mit Semir und Sarah zu ihren Wagen begab. Semir bat Sarah in seinen BMW einzusteigen-er würde sie in dem Zustand in dem sie sich befand auf gar keinen Fall fahren lassen. Die Schrankmann stieg in ihr Fahrzeug und die Chefin würde dann mit Hartmut zurückfahren. So setzten sich die Wagen in Bewegung und Sarah bekam immer mehr Beklemmungen, je näher sie der Uniklinik kamen.
    Plötzlich stieg Semir in einer kleinen Seitenstraße abrupt auf die Bremse und griff aufgeregt zu seinem Telefon, so dass Sarah ihn verdutzt ansah. „Chefin-ich bin mir nicht sicher, ob nicht meine Familie ebenfalls in Gefahr ist-darf ich die bis ich diese Schweine gefasst habe ebenfalls in einer Schutzwohnung unterbringen?“ bat er und Kim Krüger versprach, das zu organisieren. „Ayda wird sich freuen, wenn sie morgen einen Tag schulfrei kriegt!“ überlegte Semir laut und rief als nächstes Andrea an, während er den Wagen wieder in Bewegung setzte. Dank Freisprechanlage war das möglich, aber nicht, wenn man das Handy in der Hosentasche trug. Wenig später waren sie an der Uniklinik angekommen und ihre Schritte wurden immer langsamer, während sie die Treppen zur Intensivstation hinaufstiegen.

    Ja-falls du mal keine Fanfiktions mehr schreiben möchtest, Campino, könntest du dich auf Reiseführer spezialisieren. Die Fotos könnten sich die Veranstalter dann sparen, denn du beschreibst die Gegend so bildhaft, wie es ein Foto kaum besser könnte.
    Irgendwie wird in mir der warnende Unterton immer lauter-ich befürchte, jetzt gehts gleich hart auf hart und Semir und André wären vermutlich froh, sie hätten ne Waffe!

    Nun werden Jenni und Leonie auf einen alten Bauernhof am Waldrand gebracht-hoffentlich gelingt es Jenni mit dem Kind zu fliehen, denn sonst sehe ich für beide schwarz. Stenger und seine Männer sind skrupellos und sehen Frauen und Kinder als Ware auf dem Sexmarkt, die ihnen Geld bringt und nicht als menschliche Wesen. Ich hoffe ja, dass Jenni einen Plan hat, den man auch umsetzen kann!

    Im Krankenhaus hatte man Ben im OP erst einmal umintubiert. Man brauchte nun einen sogenannten Doppellumentubus, damit man die beiden Lungenhälften unabhängig voneinander beatmen konnte. Der Einfachheit halber fädelte man den Spezialtubus über ein Bronchoskop und während man Ben relaxierte, also jegliche Muskelspannung medikamentös aufhob, wurde er erst mit reinem Sauerstoff für einige Minuten beatmet, damit sein Blut aufgesättigt war und man zog dann den liegenden Tubus heraus. Sofort öffnete daraufhin der Arzt seinen Mund mit dem Laryngoskop und schob dann unter direkter Sicht über die Tubusspitze den Schlauch mit dem schlanken Ende in den linken Hauptbronchus. Dort blockte die Anästhesieschwester den Bronchialcuff und während der Anästhesist das Bronchoskop vorsichtig zurückzog, kontrollierte er die korrekte Lage. Nun blockte man auch den Trachealcuff und so waren nun beide Lungenhälften voneinander unabhängig zu beatmen. An den Teil des Tubus der nach links ging hängte man nur das Transportbeatmungsgerät, während man an den Tubusschenkel der die rechte Seite versorgte das Narkosegerät anschloss und das Narkosegas-Sauerstoff-Gemisch insufflierte. Man verklebte den Spezialtubus noch sorgfältig im Mundbereich und bemerkte wohltuend, dass der Bart verschwunden war. Das war einfach ein Sicherheitsaspekt-wenn dieser Tubus intraoperativ verrutschte, war das eine Katastrophe und konnte den Patienten das Leben kosten!

    Nun wurde Ben auf die Seite gedreht und man stützte und polsterte seinen Körper gut ab, hängte den linken Arm in seinem Gipsverband nach oben, so dass der linke Thorax von allen Seiten gut zugänglich war. Man fixierte Ben in dieser Lage, entfernte den Verband der Thoraxdrainage, den Sarah erst morgens erneuert hatte und der schon wieder von Eiter durchtränkt war und strich den Brustkorb vom Hals bis zur Hüfte und soweit man seitlich durch die Lagerungskissen hinkam, mit Desinfektionsmittel mehrfach ab. Die Thoraxchirurgen hatten sich steril gewaschen-auch wenn das Operationsgebiet von Keimen durchseucht war-trotzdem wollte man keine Fremdkeime einbringen und so wurde Ben nun abgedeckt und jetzt bekam der Anästhesist den Auftrag, die linke Lunge langsam zusammenfallen zu lassen, damit man die alte Thoraxdrainage entfernen und den Brustkorb von innen inspizieren konnte. So geschah es, aber es war ein schwieriges Unterfangen, denn der Kreislauf des Patienten reagierte stark auf die Umverteilung der Belüftung. Man brauchte nun für die rechte Lunge höhere Beatmungsdrücke und es dauerte eine Weile bis sich Ben soweit stabilisiert hatte, dass der Narkosearzt nickte und sagte: „Ihr könnt anfangen!“

    Die CT-Bilder des Thorax wurden an den großen Bildschirm an einer Seite des OPs projeziert und die drei Operateure machten nun einen beherzten, relativ großen Schnitt und entfernten durch Sägen und Spreitzen einen Teil der Rippen, um von der Seite Zugang zum Lungengewebe zu bekommen. Als sie die Pleurahöhle nun unter Sicht eröffnet hatten, konnten sie eine Menge Eiter absaugen und der leitende Chirurg seufzte. „Na klasse-ein Pleuraempyem-das wird ihn noch eine Weile beschäftigen!“, während er sich schon vorsichtig bis zur Lunge vorarbeitete. Immer wieder kam frisches und altes Blut und der Anästhesist musste erneut eine Blutkonserve anhängen. Durch die schweren Prellungen und Knochenbrüche war die Lunge an einer Stelle verletzt und die Ärzte mussten einen kleinen Teil resezieren. „Gut-wenn sonst alles heilt wird ihn das später nicht stören, der Bezirk ist so klein, dass er den nicht vermissen wird, aber die Blutungen hätten nicht aufgehört.“ referierte der Oberarzt, denn der zweite Helfer am Tisch war Assistenzarzt im ersten Jahr und durfte außer Haken halten noch nicht viel machen, aber er lernte bei solchen Operationen vor allem durchs Zusehen. Der Operateur nahm eine sorgfältige elektrische Blutstillung vor, fasste dann mit der ganzen Hand von innen in den Brustkorb und tastete nach spitzen Knochenvorsprüngen. Das ging, weil die Lunge ja auf der linken Seite zusammengefallen und so Platz im Thorax war. Man konnte durchs Mediastinum das Herz sehen, das schnell aber regelmäßig und kräftig pumpte und der Arzt konnte mit Instrumenten eine Rippe wieder an Ort und Stelle schieben, die nach innen gespießt hatten. Nur sie würde man mit einer Cerclage stabilisieren, aber sonst heilten Rippen-und Sternumfrakturen von alleine meist ohne Probleme. Nun ging man daran den Brustkorb schichtweise dicht mit vielen Nähten zu verschließen, die entfernten Rippenstücke wieder an Ort und Stelle zu bringen und zu verdrahten und legte in den Pleuraspalt eine neue, dickere Saugdrainage.

    Der Thoraxchirurg nickte dem Anästhesisten zu: „Du kannst!“ sagte er und nun ließ der Narkosearzt die Luft wieder in die linke Lunge strömen. Die Drainagensaugung nahm mit einem frischen Pleur-Evac-System ihre Arbeit auf und wenig später hatte sich die Lunge entfaltet. Es kam auch kaum mehr Blut aus der Saugung und man eröffnete nur noch kurz die Haut über der einen verschobenen Rippe und stabilisierte die Bruchenden mit Cerclagedrähten, damit die nicht mehr nach innen rutschen konnten. Auch diesen Hautschnitt vernähte man und nun wurde, während der Narkosearzt die Narkose ausleitete, noch ein Verband gemacht und Ben wieder auf den Rücken gelagert. „Ich versuche ihn aufwachen zu lassen-es besteht eigentlich kein Anlass ihn weiter zu beatmen!“ beschloss der Anästhesist und die Thoraxchirurgen nickten. So wurde Ben nun zunehmend wacher und als sein Hustenreflex wieder funktionierte zog man kurzerhand den Spezialtubus heraus. „Guten Morgen Herr Jäger!“ sagte der Narkosearzt freundlich, aber Ben sah ihn nur kurz orientierungslos an, um dann seine Augen wieder zu schließen und die Narkose auszuschlafen.

    Er wurde in die Schleuse gebracht und die Intensiv zur Abholung angerufen. Der Stationsarzt und die betreuende Schwester waren erfreut, dass man ihn hatte extubieren können. Als man ihn zurück an seinen Bettplatz gebracht und dort verkabelt hatte, war er schon wesentlich wacher und weil er ausreichend Opiate in sich hatte war der Wundschmerz auch erträglich. Müde fiel sein Blick auf die Uhr und er fragte: „Welchen Tag haben wir heute?“ und als ihm geantwortet wurde „Donnerstag!“ da wusste er, dass ihm 20 Stunden seiner Erinnerung fehlten. Die Schwester, die sich schon gewundert hatte, dass Sarah nirgendwo zu sehen war, beschloss sie anzurufen-die würde sich freuen, dass ihr Partner extubiert und orientiert war und als er auf Nachfrage noch bestätigte, dass er seine Beine spürte, war sie selber ganz glücklich, dass sie nun so gute Nachrichten überbringen durfte.

    Also ich bin auch der Meinung, dass dem Richter die Spuren auch ohne Aussage Torben´s reichen müssten! Immerhin wurde dessen DNA unter den Fingernägeln eines getöteten Mädchens gefunden-das sind doch keine Indizien mehr, sondern klare Beweise!
    Leider hilft das Semir im Augenblick kein bisschen weiter. Der ist beinahe am Ersticken und verschlimmert mit jedem Befreiungsversuch seine Lage nur noch mehr-Semir halt still, sicher kommt bald jemand und befreit dich! Allerdings hat Semir den Köder geschluckt und ist nun der festen Überzeugung, dass Jan mit drin steckt!
    Und nun noch ein kleiner geschichtlicher Hinweis, Elli: Das Sprichwort lautet: Er sieht seine Felle davon schwimmen-und damit sind keine Fälle gemeint, sondern echte Tierhäute, das kommt nämlich aus der Gerbersprache. Im Mittelalter haben die Gerber vor der Bearbeitung die Felle gewässert und zwar meistens in kleinen Flüssen und Bächen. Gab es ein Hochwasser, schwammen die Felle davon und wer sie fand, durfte sie behalten, daher kommt der Ausdruck-und das wissen Darcie und ich seit einer Stadtführung in unserem nordschwäbischen Nördlingen bei ihrem letzten Besuch-gell schön wars, Darcie!

    Ja Campino, da siehst du, was man mit einer Geschichte so anrichten kann ;)- und dazu muss Ben nicht mal eins auf die Mütze kriegen!
    Ich fand die Eiszeit zwischen Kevin und Ben, den Vertrauensbruch, Ben´s Reue und Kevin´s Enttäuschung über dessen Worte mit wenigen Worten sehr intensiv beschrieben. Da rückt gerade der Fall beinahe in den Hintergrund-aber ich hoffe trotzdem, dass das eine heiße Spur ist und der Drive-By-Mörder bald festgenommen werden kann.

    Nachdem Semir seinem Entsetzen Ausdruck verliehen hatte, als Sarah ihm erzählt hatte, welche fürchterliche Entdeckung sie gemacht hatte, sagte er zu ihr: „Bitte fass nichts an-wir kommen sofort zu dir und bringen die Spurensicherung mit-und gib mir bitte die Telefonnummer deiner Schwägerin durch!“ was Sarah gleich erledigte. Semir drehte sich zur Chefin und zur Schrankmann um und erzählte in kurzen Worten was passiert war. „Oh Gott, die schrecken auch vor nichts zurück!“ meinte Kim Krüger und erhob sich schon und griff nach ihrer Jacke. Semir war derweil zu Susanne gelaufen und hatte um eine Handyortung gebeten. Nach kurzer Zeit teilte die ihm mit. „Im Augenblick ist das Handy aus-als es sich das letzte Mal ins Netz eingewählt hat, war das um 9.15 Uhr und zwar in der Nähe der Messe!“ teilte sie ihm mit, während sie ihm den Bereich auf der Karte zeigte und als Semir auch sie informierte-zugleich aber um Stillschweigen bat, wurde sie blass.
    Kim Krüger hatte unterdessen Hartmut zurückbeordert: „Herr Freund-wir haben einen vordringlicheren Auftrag für sie. Lassen sie ihre Truppe weiter das Gelände der Kartbahn durchkämmen, aber kommen sie bitte mit ihrer Ausrüstung zur Wohnung Ben Jäger´s -sein Sohn ist mit seiner Betreuerin entführt worden, da brauchen wir unseren besten Mann vor Ort!“ erklärte sie ihm und Hartmut versprach geschockt sofort zu kommen.

    So trafen wenig später eine Menge Menschen bei Sarah ein, die nur in Semir´s Arme fiel und haltlos zu weinen begann. Die Chefin checkte nochmal persönlich das Handy und begann sich mit Handschuhen vorsichtig umzusehen, bis wenig später auch Hartmut mit seiner Ausrüstung eintraf. Sarah hatte sich ein wenig beruhigt und fragte nur verzweifelt: „Warum nur? Weder Tim noch Lisa haben irgendeine Verbindung zu den Verbrechern-das sind doch dieselben, die Ben das angetan haben, denke ich-aber wer vergreift sich denn an einem unschuldigen Kind?“ wollte sie wissen, doch Semir zuckte die Schultern. „Die Motive weiss man nicht-ich glaube aber fest daran, dass Tim bis zum Wochenende nicht in Gefahr ist-die wollen den als Druckmittel und du hast ja gesagt, dass Nahrung, Kleidung und Windeln fehlen. Das deutet nicht daraufhin, dass sie ihm etwas antun wollen!“ beruhigte er sie und fügte im Geiste dazu: „Im Moment“, denn nach dem Wirtschaftsgipfel war den Verbrechern das Wohl des Kindes vermutlich egal.

    Während Sarah kurz zur Toilette ging wandte Semir sich an Isolde Maria Schrankmann und die Chefin und sah sie fest an: „Sie selbst wissen, wie es sich anfühlt, wenn ein Kind entführt wird. Wenn wir das dem LKA und dem BKA mitteilen sind wir raus. Die übernehmen die Ermittlungen, aber denen ist es prinzipiell egal, was mit dem Baby und der jungen Frau passiert-die wollen vordergründig den Wirtschaftsgipfel schützen und die nationale Sicherheit gewährleisten. Genauso ist es mit der Presse-für die wäre es ein gefundenes Fressen-eine Kindesentführung! Ich bitte sie beide inständig, mich und unsere eingespielte Truppe die Ermittlungen übernehmen zu lassen-ich verspreche, die anderen Behörden zuzuziehen, wenn ich nicht mehr weiter komme-keiner weiss besser als sie, wie wichtig mir dieser Fall ist-aber ich denke, wir werden ohne Einmischung von außen viel besser und flexibler reagieren können.“ bat er und nach kurzem Zögern stimmten die beiden Frauen zu. „Sie wissen, dass wir hier alle miteinander unseren Posten riskieren?“ fragte die Staatsanwältin und Semir nickte: „Dessen bin ich mir bewusst, aber lieber werde ich degradiert oder entlassen, als mit der Schuld zu leben, nicht alles versucht zu haben das Kind meines besten Freundes zu befreien!“ und nun war das beschlossene Sache. Gerade wollte Semir sich aufmachen die Nachbarn zu befragen, da läutete Sarah´s Handy und gebannt sahen nun alle auf das Display.

    Das hätte ich nicht erwartet, dass es tatsächlich zu einer Aussage von Torben kommt! Anscheinend war es den Verbrechern noch nicht möglich, ihm mitzuteilen, was mit seiner Tochter geschehen ist. Aber ich könnte den Anwalt würgen, der immer wieder auf der Unschuld des Angeklagten beharrt, obwohl die Aussage Torbens doch völlig eindeutig ist. Das arme Mädchen!

    Die Stimmung in dem Vereinsheim hast du wieder wahnsinnig gut eingefangen-ich sehe die Geweihe und ausgestopften Vögel an der Wand vor mir, die Eichenvertäfelung und den etwas ältlichen Charme dieses Raumes.
    Na klar war Gefahr im Verzug und deshalb mussten Kevin und Ben dort einbrechen-da soll sich Ben wirklich nicht so anstellen-der hat sich selber auch schon als Türöffner betätigt, genauso wie Semir! Aber mit seinen Äußerungen hat er wirklich in Kevin etwas zerbrochen und ich weiss nicht, ob der Ben je wieder vertrauen kann.
    Der rüstige Jägersmann-na hoffentlich sind dessen Augen gut, wenn der noch ne Jagdwaffe besitzt, was ich bei den Jägern hier in meiner Gegend manchmal bezweifle und immer ein ungutes Gefühl habe, wenn ich bei Dämmerung auf nem fuchsfarbenen Pferd am Waldrand entlang reite. Aber auf jeden Fall ist er kooperativ, zeigt sofort den PC und der Täter scheint sich hier sehr sicher zu fühlen, denn er hat sich nicht bemüht die Spuren zu verwischen. Ich hoffe ja jetzt unsere Helden haben Handschuhe getragen und nicht solche profanen Dinge wie z.B. Fingerabdrücke auf der Tastatur vergessen-los Hartmut ran-vielleicht findet der noch was raus oder kann zumindest weitere Spuren sichern!
    Kevin fragt derweil den Jäger nach dem besten Schützen des Vereins-bin ja gespannt, wie dessen Antwort ausfällt!

    Sarah war neben Ben gesessen und hatte seine Hand gehalten. Ihre Kollegin kam von Zeit zu Zeit, hängte Antibiotikakurzinfusionen an, erneuerte Perfusoren und half Sarah ihn immer wieder ein wenig anders zu lagern, damit er sich nicht noch mehr wund lag. Endlich kam gegen 11.00 Uhr der Abruf zum OP. Sarah half noch das Transportbeatmungsgerät anzuschließen-alles andere hatte man schon vorbereitet- und lief dann mit dem Stationsarzt und ihrer Kollegin bis zur OP-Abteilung. Mit einem zarten Kuss auf die Wange verabschiedete sie sich von Ben: „Machs gut-ich drück dir die Daumen-ich liebe dich!“ flüsterte sie, während das Bett hinter der Schiebetür verschwand.
    Kurz überlegte sie, aber dann beschloss sie, ein wenig zu Tim und ihrer Schwägerin zu fahren. Ben hätte im Augenblick nichts davon, wenn sie vor der OP-Abteilung wartete, es war wichtiger, dass sie wieder da war, wenn er zurück kam. Sie würde deshalb kurz nach Hause fahren, ihre schon wieder prallen Brüste von Tim erleichtern lassen, gemeinsam mit Lisa etwas essen und dann wiederkommen. Ihr Telefon hatte sie beim Betreten der Intensiv ausgeschaltet, weil dort die Verbindung durch die teilweisen Stahlwände sowieso nicht funktionierte. Sie vergaß auch einfach es wieder einzuschalten, sondern setzte sich in ihren Wagen und fuhr nach Hause.
    Zügig näherte sie sich ihrem Heim. Einen Gedanken hatte sie im Krankenhaus, aber der andere war schon bei ihrem Sohn, dem gegenüber sie ein schlechtes Gewissen hatte. Seit seiner Geburt waren immer entweder sie oder Ben bei ihm gewesen und jetzt hatte sie beinahe das Gefühl, ihn im Stich zu lassen. Natürlich war der bei ihrer Schwägerin in guten Händen und die betreute ihn routiniert und liebevoll, aber sobald es möglich war und Ben auf Normalstation war, würde sie ihn einfach ins Krankenhaus mitnehmen und sie würden möglichst viel Zeit als Familie miteinander verbringen. Aber erst einmal musste Ben das überleben und bei dessen Keimbelastung würde sie einen Säugling auch nicht mit auf die Intensiv nehmen. Trotz Stillen war dessen Immunsystem noch nicht ausgereift genug und er lief Gefahr, sich dort eine üble Infektion einzufangen und das würde Ben ihr nie verzeihen, wenn seinem Sohn durch ihre Unvorsichtigkeit etwas geschah!
    Sie stellte das Auto direkt vor dem Haus ab, wo gerade ein Anwohnerparkplatz frei war-lange würde sie sich ja nicht aufhalten-und lief zügig die Treppe hinauf. Während sie die Wohnungstüre aufschloss, lauschte sie schon auf etwaige Geräusche, vielleicht ein Glucksen oder Krähen von Tim, der ein rundherum fröhliches Kind war-na ja, so lange ihn nicht seine Zähne oder der Hunger plagten, aber alles blieb still. Sie trat in den großen Wohnraum und da beschlich sie schon ein komisches Gefühl. War Lisa mit Tim ein wenig rausgegangen? Aber der Kinderwagen war im Flur gestanden und Tim war doch schon ziemlich schwer, ihn länger herumzutragen war recht anstrengend. Sarah rief laut: „Lisa? Tim?“ und trat dann in das Kinderzimmer. Dort sah alles nach einem überstürzten Aufbruch aus. Schranktüren standen offen, aber von ihrem Sohn und seiner Betreuerin keine Spur. Sie kontrollierte die übrigen Räume, während ihr Atem immer schneller ging. Bereits in diesem Augenblick wusste sie, dass etwas Schreckliches geschehen war. Am Küchentresen fehlten Tim´s Fläschchen und die Fertignahrung und als Sarah nun mit zitternden Fingern nach ihrem Handy griff, um ihre Schwägerin anzurufen, was denn los sei, stellte sie erst fest, dass das ja noch ausgeschaltet war. Sie starrte auf das Display, während es sich hochfuhr und sah sofort, dass eine Nachricht von Lisa eingetroffen war-und zwar bereits um 9.15 Uhr. Als sie sie öffnete, meinte sie, ihr Herz würde aufhören zu schlagen. „Tim und ich sind entführt worden-die Polizei soll bis Sonntag die Füße still halten, sonst werden wir dafür bezahlen!“ stand da und nun sank Sarah auf das Sofa und starrte fassungslos auf ihr Smartphone. Ihre Knie waren wie Wackelpudding, aber sie wusste nur eines-sie musste sofort Semir verständigen-er würde wissen was zu tun war und deshalb wählte sie mit bebenden Fingern seine Nummer und lauschte auf das Tuten, bis er Sekunden später ranging.

    Stenger ist sehr siegessicher, dass er nicht verurteilt wird! Vermutlich hat sein Anwalt ihm gerade gesagt, dass die Entführung Leonies geklappt hat. Klar wird unter diesen Umständen Torben nicht mehr aussagen-nur-wie erfährt der davon?
    Das thailändische Mädchen erzählt in wenigen Worten von ihrem Martyrium-warum befürchte ich nun, dass Stenger da ungeschoren davonkommen könnte?

    Auch Semir war einigermaßen erholt nach seiner doch recht kurzen Nacht aufgewacht. Nach dem Frühstück mit seiner Familie fuhr er erst noch im Krankenhaus bei Ben vorbei und wurde auch gleich auf die Intensivstation gelassen. Sarah hatte schon gesagt, dass er der beste Freund ihres Lebensgefährten sei und auch jederzeit Auskunft bekommen dürfe. Semir trat an Ben´s Bett, der zwar wesentlich sauberer als gestern wirkte, aber immer noch blass, krank und fiebrig aussah. „Hallo Großer!“ sagte er liebevoll und berührte ihn kurz am Arm, ohne dass er in irgendeiner Weise reagierte. Sarah erklärte, dass gerade die Visite da gewesen war und er im Laufe des Vormittags am Brustkorb operiert werden würde. „Dann wünsche ich ihm viel Glück, dass die OP gut verläuft-ich werde jetzt mit der Chefin das tun, was er mir aufgetragen hat, nämlich die Hintergründe des Mordversuchs aufdecken und die Männer verhaften, die letztendlich dafür verantwortlich sind, wie er daliegt!“ sagte Semir entschlossen und verabschiedete sich, um zur PASt zu fahren.

    Dort erwartete ihn die Chefin schon. Semir hatte inzwischen auch seine Nachrichten auf dem Smartphone gelesen-gestern hatte er da vor Erschöpfung einfach nicht mehr drauf gesehen. Susanne hatte ihm geschrieben: „Dieser Said Brami ist gestern am Nachmittag tatsächlich in Köln gelandet-kurz nach eurer Maschine. Danach verliert sich seine Spur, aber ich bleibe dran!“ hatte sie ihm gemailt und Semir dachte nur: „Also doch-habe ich mich nicht getäuscht!“ und ging nun flotten Schrittes ins Büro der Chefin.

    „Guten Morgen Gerkhan-wie geht´s Jäger?“ fragte die und Semir zuckte mit den Schultern. „Ich komme gerade vom Krankenhaus!“ teilte er ihr mit. „Er wurde bis in die Nacht hinein operiert, dann hat man eine Pause gemacht, um ihn auf der Intensivstation zu stabilisieren, aber heute gehts weiter!“ sagte er. „Er ist intubiert und beatmet, aber seine Lebensgefährtin ist bei ihm und gibt mir sofort Bescheid, wenn sich was ändert-also können wir uns jetzt daran machen herauszufinden, ob Ben´s Verdacht begründet ist!“ offerierte er und erzählte dann der Chefin, was Ben für Vermutungen bezüglich der Terrorzelle, den Haug-Brüdern und des Anschlags auf den Wirtschaftsgipfel hatte. Die Chefin hörte angespannt zu und lehnte sich in ihrem Stuhl nach vorne. „Wenn das stimmt, Gerkhan, dann bekommen sie und Jäger eine Belobigung, denn uns ist es die ganzen Tage nicht gelungen, irgendeinen der Terroristen aufzustöbern. Wir verständigen jetzt gleich die Staatsanwaltschaft und das SEK und dann fahren wir zu dieser Kartbahn!“ sagte sie mit geröteten Wangen voller Entschlossenheit. „Anscheinend war es doch nicht verkehrt, Jäger dort inkognito ermitteln zu lassen!“ fügte sie dann noch hinzu, aber da enthielt sich Semir jeglicher Äußerung dazu. Wenn Ben da nicht eingeschleust worden wäre, würde er jetzt nicht so da liegen und ein kleiner tunesischer Junge würde jetzt auch nicht um sein Leben kämpfen.

    „Haben sie übrigens etwas vom kleinen Yasser gehört?“ fragte er und die Chefin nickte. „Ich habe heute Morgen sogar schon im Kinderkrankenhaus angerufen und in der Schutzwohnung vorbei geschaut, um diesem Arzt und den anderen Frühstück zu bringen. Dem Jungen geht es den Umständen entsprechend gut-er liegt mit seiner Mutter auf der Normalstation in einem Mutter-Kind-Zimmer und seine Familie wird ihn heute schon besuchen können-wir werden die nachmittags hinbringen lassen.“ erklärte sie in kurzen Worten und nun fiel Semir auch die Sache mit den Spielsachen ein. Die Kinder hatten da schon was hergerichtet und Andrea hatte auch noch Winterkleidung dazu gelegt, wo die Mädels entweder raus gewachsen waren, oder was sie nicht anziehen wollten, was bei Ayda gelegentlich vorkam-die musste man inzwischen zum Einkaufen schon mitnehmen. „Meine Familie hat übrigens Kleidung und Spielsachen hergerichtet, wenn ich Andrea die Adresse gebe, wird sie die Sachen sicher hinbringen, die hat nämlich gerade Urlaub!“ sagte Semir und über das Gesicht der Chefin glitt ein kleines Lächeln. „Da haben wir wohl alle dieselbe Idee gehabt!“ sagte sie und berichtete, dass sowohl sie, als auch Jenny und Bonrath warme Kleidung für die Kinder und den Vater gebracht hatten. Dieser tapferen Familie würde es nicht schlecht ergehen in Köln-sie würden denen zeigen, dass auch Deutsche gastfreundlich sein konnten!

    So erledigte die Chefin einige Telefonate, Isolde Schrankmann wurde vom Einsatz informiert und versprach, später auch zur Kartbahn zu kommen und so trafen 45 Minuten später mehrere dunkle Fahrzeuge mit getönten Scheiben am vereinbarten Treffpunkt in der Nähe des Geländes ein. Semir und die Chefin legten ihre schusssicheren Westen an und die schwarz vermummten Männer des SEK besprachen mit Semir, der dort ja immerhin schon einmal gewesen war, anhand der Satellitenansicht der Gebäude das Vorgehen. Wenig später fuhren Semir und die Chefin vor dem Haupttor vor, während die anderen Männer das Gelände unauffällig umstellt hatten. Auf das Kommando: „Zugriff!“ wurden zunächst einmal die Überwachungskameras mit gezielten Schüssen außer Betrieb gesetzt, das Tor, das mit einer dicken Eisenkette gesichert war, wurde aufgebrochen und von allen Seiten kletterten bis zu den Zähnen bewaffnete Polizisten über den Zaun. „Vorsicht-wir haben es hier vermutlich mit skrupellosen Terroristen zu tun, die schwer bewaffnet und ausgebildete Kämpfer sind!“ hatte Semir gewarnt, aber es kam keinerlei Lebenszeichen von innen. Systematisch durchsuchten sie die Gebäude, um wenig später enttäuscht festzustellen, dass die Vögel leider ausgeflogen waren. Man sah zwar die Aufenthaltsräume, in den Vorratsschränken waren viele typisch tunesische Lebensmittel und Gewürze, was schon darauf hindeutete, dass Ben´s Vermutung richtig gewesen war, aber sonst fanden sie auf den ersten Blick keinen Hinweis auf den Verbleib der Verbrecher, falls das überhaupt zutraf und hier nicht doch nur harmlose Mechaniker gearbeitet hatten. Auch die inzwischen eingetroffene Schrankmann war enttäuscht und während das SEK bis auf vier Männer, die sie weiterhin unterstützten, wieder abzog, beorderte man Hartmut mit seiner Truppe zur Spurensicherung herbei-vielleicht fand der einen Hinweis, wo die Bewohner abgeblieben waren.

    Danach fuhren Semir und die Chefin mit ihren vier Begleitern noch zu den ermittelten Wohnadressen der beiden Haug-Brüder, aber auch da trafen sie niemanden an. Die Fahndung-auch nach deren gemeldeten Fahrzeugen- wurde ausgerufen und zu guter Letzt machten sich nun die Chefin und Semir auf zum Hotel, von dem inzwischen die Meldung Brami´s eingegangen war. Aber auch da war in der reservierten Suite niemand mehr-der Industrielle war mit kleinem Gepäck gleich nach dem Frühstück abgereist.

    Inzwischen ging es schon auf Mittag zu und enttäuscht trafen sich die Chefin, Semir und die Staatsanwältin im Büro Kim Krüger´s wieder, um das weitere Vorgehen zu besprechen. In diesem Augenblick klingelte Semir´s Telefon und als er ranging wurde er nach wenigen Sekunden blass und sagte nur: „Oh mein Gott!“ woraufhin ihn Kim Krüger und die Schrankmann fragend ansahen.

    Gut-immerhin hat Jenni wirklich versucht, was in ihrer Macht steht, aber es war eben nicht von Erfolg gekrönt. So werden sie und Leonie jetzt mitgenommen-ob das allerdings so eine gute Idee ist-immerhin ist sie ausgebildete Polizistin, die wird den Ganoven noch Ärger machen!
    Jetzt denken die Verbrecher zwar daran Semir völlig kampfunfähig zu machen und ihm auch den Sender wegzunehmen, aber Jenni hat ja gehört, dass Jan mit der Sache nichts zu tun hat und auch, dass Semir den Sender hatte. Jetzt muss sie das nur überleben, dann kann sie Jan entlasten.
    Auch wird es den Verbrechern nichts bringen, Torben Benz eine SMS zu schicken-der hat doch sein Handy aus!

    Wenig später kam die Visite und der Wirbelsäulenchirurg der ihn operiert hatte, ein Viszeralchirurg, ein Unfallchirurg, ein Thoraxchirurg, ein Neurologe und mehrere anästhesiologische Oberärzte drängten mitsamt einem Schwarm Assistenten ins Zimmer, einige mussten sogar auf dem Flur draußen stehen bleiben, weil sie in dem Raum keinen Platz mehr fanden. Der diensthabende Anästhesist stellte den Patienten vor und die jeweiligen Fachgebiete referierten dann nacheinander über den momentanen Stand der Dinge. Es wurde beschlossen Ben im Laufe des Vormittags am Thorax zu operieren, aber die Knochenbrüche an Arm und Bein momentan noch unversorgt zu lassen. Das würde Narkosezeit sparen und auf einen Tag mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Man konnte ja sogar von außen sehen, dass die Achsen hinten und vorne nicht stimmten-das würde noch einiges an mühsamer, aber eben auch lange dauernder Puzzlearbeit geben!

    Yasser war noch am Vorabend in der Kinderklinik operiert worden. Dr. Amami hatte seinen deutschen Arztkollegen eine Übergabe gemacht und sich dann der Mutter angenommen, die nun gemeinsam mit ihm völlig fertig vor dem OP wartete. Er hatte etwas zu Trinken besorgt und ein paar belegte Brötchen aus der Cafeteria geholt. Sie wollte zwar zunächst vor lauter Aufregung nichts zu sich nehmen, aber er befahl ihr das regelrecht, denn sie würde ebenfalls ihre Kraft noch brauchen und so aß und trank sie zwar widerstrebend, aber immerhin. Zwei Stunden später kam eine Schwester aus der OP-Abteilung und sagte mit einem Lächeln im Gesicht: „Yasser möchte seine Mama sehen!“ und als Dr. Amami das übersetzte, sprang die Frau mit einem glücklichen Gesichtsausdruck auf und folgte eilig der Schwester in den Aufwachraum, wo Yasser zwar blass und mit vielen Infusionen, aber trotzdem guter Dinge auf seinen Besuch wartete. Er würde nicht einmal auf die Intensivstation müssen, denn man hatte die Schäden, die die Kugel angerichtet hatte, problemlos reparieren können. Aus dem dünnen Bäuchlein ragten zwar noch zwei Drainagen, aber der Junge hatte dank Schmerzmitteln keine Schmerzen und schlief nun, beschützt von seiner überglücklichen Mutter, seinen Narkoserausch aus. Dr. Amami sprach danach noch mit seinen Kollegen und es wurde ein Eltern-Kind-Zimmer organisiert in dem auch die Mutter ein Bett hatte und als sich der Arzt später mit der Angabe seiner Telefonnummer, falls es Verständigungsprobleme geben sollte, verabschiedete, um wie vereinbart mit dem Taxi zu der nahe gelegenen Schutzwohnung zu fahren, wo auch für ihn ein Bett bereit stand, hatte er gute Nachrichten für den Rest der Familie.
    Er löste sozusagen Khaled ab, der als Dolmetscher noch geblieben war, jetzt aber froh war, endlich in seine Wohnung zu dürfen. Jenni und Bonrath, die ebenfalls gewartet hatten, obwohl sie schon lange frei hatten, fuhren noch Khaled nach Hause und auch der inzwischen in der Uniklinik versorgte Chauffeur war ganz unkonventionell mit einer Polizeistreife-organisiert von Semir und Frau Krüger –eingetroffen und nun waren alle miteinander nach einem aufregenden Tag früh zu Bett gegangen. Der tunesische Arzt hatte gesehen, dass Jenni dasselbe Handymodell wie er hatte und hatte sich noch über Nacht ihr Ladegerät ausgeliehen, das sie zufällig im Wagen hatte. Seiner Frau, die aus allen Wolken gefallen war, dass er jetzt in Deutschland war, hatte er ebenfalls Bescheid gegeben und so stand einem entspannten Schlaf nichts mehr entgegen.

    Die Haug-Brüder hatten Brami von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen berichtet und der hatte nach kurzer Überlegung befohlen: „Einer von euch kommt mit mir zu der ermittelten Adresse von Jäger!“ und Günther hatte sich widerstrebend gefügt. Sie waren mit Günthers unauffälligem Wagen, der passenderweise getönte Scheiben hatte, dorthin gefahren und auf Geheiß Brami´s hatte sich der Deutsche als Paketdienst ausgegeben. Sarah´s Schwägerin hatte nichtsahnend die Tür geöffnet und sah sich wenig später zwei Männern, von denen einer eine Waffe gezückt hatte, gegenüber. „Pack ein paar Sachen für dich und das Kind ein!“ herrschte Brami sie an, während Tim, der die angespannte Situation spürte, zu weinen begann. „Und bring das Balg zum Schweigen, sonst knall ich euch beide ab!“ fügte er hinzu, um allerdings kurz darauf hinzuzufügen: „Wenn du dich ruhig verhältst wird euch nichts passieren!“ denn lebend waren die Angehörigen im Augenblick viel mehr ein Druckmittel als tot. Er würde schon dafür sorgen, dass bis zum Wochenende die Polizei die Füße still hielt und was danach kam, da machte er sich noch keine Gedanken darüber. Klar war, dass er die Frau nicht am Leben lassen konnte, denn sie konnte ihn identifizieren, aber vielleicht würden zuvor seine Männer noch ihren Spaß mit ihr haben, bevor er sie verschwinden ließ!

    Ja ich finde auch, dass Jenny statt das Essen zu servieren, lieber schnell nach ihrer Waffe gegriffen und Semir geholfen hätte, aber so werden die beiden überrumpelt wie Anfänger und Leonie ist vermutlich noch vor Beginn der Verhandlung in der Hand der Verbrecher.
    Im Gericht bleibt derweil Jan mit Torben alleine draußen-also ehrlich gesagt empfinde ich das als zweiten Fehler-Ben und Bonrath hätten lieber draußen mit ihnen gewartet-denn jetzt wird Torben wahrscheinlich mitgeteilt werden, dass seine Tochter geschnappt wurde, worauf die Aussage natürlich ins Wasser fällt.

    Anouk ist über dem Berg und nun übernehmen Semir und Alex gleich die Ermittlungen am neuen angeblichen Ziel des Attentäters. Die Krüger, die schon mit großem Aufgebot dort agiert, ist erst einmal nicht so begeistert davon, aber letztendlich lässt sie die beiden gewähren.
    Oh und Milena hat also Indikatornarben-na die werden noch öfter jucken, wenn sie mit Semir und Alex zusammenarbeitet!

    Brami rief nach einem fürstlichen Frühstück gleich Günther Haug an. „Ihr findet mir jetzt bitte die Adressen der beiden Polizisten heraus. Um meine Landsleute werde ich mich selber in der Heimat kümmern-da ist das unproblematischer. Und natürlich möchte ich das Krankenhaus erfahren, in dem Ben Jäger liegt, also ihr wisst, was ihr zu tun habt. Meine Einsatzkräfte sollen die Füße still halten und sich bis zum Samstag nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen, denn dann schlagen wir zu-ich hoffe, ihr habt ein sicheres Plätzchen für meine Männer gefunden?“ fügte er noch hinzu, denn natürlich war er am Vortag noch von der Verlegung des Unterschlupfs informiert worden. Günther bejahte und kaufte unterwegs noch Lebensmittel für die nächsten Tage für die Terroristen, nahm auch Geschirr mit und wenig später erklomm er wieder die Stufen zum vierten Stock, in dem das Versteck lag.
    Dietmar hatte inzwischen ihre Unterlagen durchgesehen. Ben Jäger hatte da eine Adresse in Düsseldorf angegeben. Dietmar runzelte die Stirn-das konnte fast nicht sein, aber als er übers Internet herauszufinden versuchte, ob das ein Fake war, wohnte da zu seinem Erstaunen tatsächlich ein Jäger-Konrad Jäger. Kurz entschlossen suchte er die Telefonnummer heraus, unterdrückte seine Handynummer und rief dort an. „Könnte ich bitte Ben Jäger sprechen?“ sagte er freundlich in den Hörer, aber die Haushälterin Konrad´s, die rangegangen war, verneinte: „Ben Jäger wohnt schon lange nicht mehr hier!“ informierte sie den Anrufer. „Ich hätte eine wichtige Lieferung zu Weihnachten für ihn, habe aber den Zettel mit seiner Adresse verloren!“ log nun Dietmar und wenig später hatte er die aktuelle Wohnanschrift von Jäger. Er hatte zwar keine Ahnung, was Brami damit wollte, aber er wurde gut bezahlt dafür, nicht allzu neugierig zu sein.
    Als nächstes telefonierte er die Kölner Krankenhäuser ab und hatte ziemlich bald in der Uniklinik einen Treffer. „Chirurgische Intensivstation-Besuche nur für Angehörige!“ lautete die Information und nun versuchte er den Namen und die Wohnanschrift des kleinen Polizisten herauszubringen, von dem ihm die Terroristen und Brami erzählt hatten, aber ohne weiteren Anhaltspunkt war das ein hoffnungsloses Unterfangen und er gab nach einer Weile unverrichteter Dinge wieder auf.

    Sarah war inzwischen auf der Intensiv angekommen und auch sofort herein gebeten worden. „Wie geht´s ihm?“ fragte sie ihre Kollegen und den Stationsarzt besorgt. „Er ist septisch bei steigendem Volumen-und Katecholaminbedarf!“ informierte man sie. „Die Niere ist nach wie vor noch nicht angesprungen, er hat nachts noch zwei Konserven gebraucht, aber wir hoffen, dass die Thoraxchirurgen heute ran können, denn was da inzwischen aus dem Pleuraraum kommt, sieht nicht sonderlich gut aus!“ wurde sie informiert. „Außerdem hat man auf dem CT gestern schon eine beginnende Pneumonie gesehen, was bei einem Hämatothorax ja eine häufige Komplikation ist-wir werden nachher nochmals eine Röntgenaufnahme anfertigen und die Laborwerte abwarten, aber geplant ist auf jeden Fall, ihn heute zumindest am Brustkorb zu operieren. Die Extremitäten eilen nicht so, das können wir auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, aber der Thoraxeingriff ist eigentlich dringend nötig!“ sagte der Arzt und Sarah nickte, während sie an Ben´s Bett trat und ihm liebevoll die verschwitzten Haare aus dem blassen Gesicht strich. Er war mit einem feuchten großen Handtuch bedeckt und das ganze Zimmer roch durchdringend nach Pfefferminzöl-damit versuchte man mechanisch die Temperatur zu senken.
    „Ich werde ihn jetzt waschen!“ verkündete sie und ihre Kollegin, die ihn in der Frühschicht betreute, schenkte ihr ein herzliches Lächeln. „Geht in Ordnung-dankeschön. Du weisst ja, wo du alles findest und zum Drehen holst du mich dann, ja?“ sagte sie und verließ den Raum. Sarah zog sich über ihre Jeans und ihr T-Shirt-den Pullover hatte sie gleich mal abgelegt, denn es war ihr jetzt schon warm genug-eine Einmalschürze und bereitete dann zunächst einmal alles zum Rasieren vor. Obwohl Ben tief sediert war, sprach sie mit ihm: „Schatz-ich mache jetzt deinen Rauschebart ab. Der wächst ja schnell wieder nach, du wirst sehen, aber das ist im Augenblick sicherer und hygienischer, weil man den Tubus besser verkleben kann!“ erklärte sie ihm und begann mit ihrer Arbeit. Danach putzte sie seine Zähne und spülte und saugte den Mund dabei gründlich ab-sie musste ihm dazu allerdings einen Sedierungsbolus geben, denn das hätte er sonst nicht toleriert. Als Nächstes wusch sie ihm mit Hilfe eines Müllbeutels als provisorischem Haarwaschbecken die Haare. Danach widmete sie sich hingebungsvoll seiner kompletten Vorderseite, soweit sie durch die Gipsverbände überhaupt hinkam. Auf der linken Brustkorbseite gruselte es sie beinahe, denn man merkte schon beim vorsichtigen Darüberfahren mit dem Waschlappen, dass das Ganze völlig instabil war. Obwohl Semir seinen Freund in Sousse ja schon einmal ein wenig gewaschen hatte, war noch eine ganze Menge Saharasand und Schmutz auf ihm zu finden und sie wechselte mehrmals das Waschwasser. Dann verband sie die Thoraxdrainage frisch und war erschrocken, wie viel gelb-rahmiger Eiter sich da neben dem Einstich entleerte-die war nicht unter sterilen Bedingungen gelegt worden, das konnte man sofort unterschreiben, aber was halfs-ohne sie, würde er vermutlich schon nicht mehr leben!
    Mit Schaudern erinnerte sich Sarah daran, was Semir ihr über die Rekonstruktion der letzten Tage die Ben in Tunesien verlebt hatte, erzählt hatte. Es war sowieso ein Wunder, dass sie ihn noch in den Armen halten konnte-sie wollte nicht undankbar sein und vertraute auch der modernen Medizin. Als ihre Kollegin ihr noch beim Rückenwaschen geholfen hatte-der Verband über der Lendenwirbelsäule, der auch den beginnenden Dekubitus am Steiß mit bedeckte, würde bis zum Drainagenzug dran bleiben- und man das Laken und die Unterlage erneuert hatte, drehten sie ihn wieder auf den Rücken zurück und legten nur ein kleines Handtuch auf seine Körpermitte. Das Fieber war während der Waschung ein wenig gesunken und er hatte auch das Drehen ganz gut vertragen, ohne mit dem Blutdruck merklich zu reagieren. „Ich denke das wird heute klappen mit der OP!“ vermutete ihre Kollegin und Sarah nickte und setzte sich, nachdem sie die Waschutensilien aufgeräumt hatte, nun neben ihren Geliebten und hielt seine Hand. „Tim isst jetzt schon mit dem Löffel und trinkt ein Fläschchen!“ erzählte sie ihm, obwohl sie wusste, dass er das in seinem augenblicklichen Zustand nicht erfassen konnte, aber vielleicht drang der Klang ihrer vertrauten Stimme und die liebevolle Berührung zu ihm durch und gab ihm Kraft-und die würde er brauchen!