Hartmut hatte voller Entsetzen von Jenni´s und Bonrath´s Unfall gehört und eilte so schnell er konnte ins Krankenhaus. Er war Jenni schon manchmal näher gekommen und sie bedeutete ihm viel, aber so ein richtiges Paar waren sie noch nicht. Sie gingen öfter miteinander aus, jeder hatte schon in der Wohnung des anderen übernachtet, aber sonst plätscherte ihre Beziehung gerade ein wenig vor sich hin. Als er nun allerdings hörte, dass sie im Krankenhaus war, hielt ihn nichts mehr in der KTU. „Jenni-wie geht’s dir?“ fragte er besorgt. Sie war inzwischen in einem Zimmer auf der Normalstation und lächelte ihn an. „Na ja-geht schon! Ich habe zwar ein Gefühl, als wenn mich ein Panzer überrollt hätte, aber ich habe was gegen die Schmerzen gekriegt und wenn bis morgen nichts dazukommt, soll ich schon wieder entlassen werden!“ erklärte sie ihm. „Ich hol dich dann natürlich ab!“ versprach er und Jenni bedankte sich mit einem Lächeln.
Nach einem kurzen Aufenthalt fuhr er weiter in die tiermedizinische Fakultät der Uni. Im Kofferraum seines Wagens hatte er nämlich eine brisante Fracht und er hatte eine ganze Weile herumtelefonieren müssen, um jemanden zu finden, der die Hundekadaver, die man in einen dichten Leichensack gepackt hatte, obduzieren würde. Aber das musste alles seine Richtigkeit haben und Beweismittel mussten gesichert werden-unter anderem auch die Stücke, die die Hunde laut der Erzählungen Semir´s und der Chefin aus Ben gerissen und gefressen hatten. So fuhr er in den Hof, den der Professor ihm gewiesen hatte und man holte mit einem Rollwagen die Kadaver und brachte sie in einen Obduktionsraum, der nicht anders aussah, wie in der menschlichen Pathologie. Aus Interesse blieb er dabei, obwohl es ihn ganz schön ekelte und stellte dann auch den Mageninhalt sicher, in dem tatsächlich ein paar menschliche Fleischfetzen waren. „Ansonsten ist der Darm bei beiden Hunden ziemlich leer!“ erklärte der Tierarzt, der die Untersuchung vornahm. „Sie waren ansonsten zwar schlank, aber gut genährt, doch Hunger erhöht natürlich noch die Aggressivität!“ sagte er. Dann sah er sich die Gehirne an und Hartmut wunderte sich, wie klein die doch tatsächlich waren. Der Tierarzt runzelte die Stirn: „Da sind allerdings merkwürdige Veränderungen zu sehen-ich werde das mal fotografieren, dann die Gehirne konservieren und Kollegen aus aller Welt um Rat fragen, was die hatten!“ und Hartmut nickte. Zugleich gewann man noch Proben aus allen Körperflüssigkeiten und dann wurden die obduzierten Kadaver eingefroren bis die endgültigen Ergebnisse vorlagen. Danach würde man sie der Tierkörperverwertung mitgeben, wo sie verbrannt werden würden. Hartmut hatte nun die letzten Beweise gesichert und im Genlabor war man auch gerade dabei, den angetrockneten alten Gewebebatzen unter dem Schreibtisch, den Ben noch hatte bezeichnen können, zu untersuchen und wenn der von Heinze stammte, war wenigstens die Beweiskette geschlossen.
Semir war inzwischen zu dem Fahrer des verunfallten Lieferwagens gefahren und radebrechte gerade mit dessen Frau, die ihn erst nicht hereinlassen wollte, aber beteuerte, ihr Mann sei vor wenigen Stunden weggefahren und nicht zu Hause. „Kennen sie Mark Bruckner?“ fragte Semir und zeigte ihr dessen Bild, aber die Frau sah sichtlich ängstlich und gehetzt auf seinen Handybildschirm und schüttelte vehement den Kopf. Semir war sich zu hundert Prozent sicher, dass sie log, aber er konnte ihr ja das Gegenteil nicht beweisen. Kurz überlegte er, ob die beiden Flüchtigen sich wohl in der Wohnung aufhalten würden und ob es Sinn machte, wenn er da alleine reinging, oder er sich einen Untersuchungsbeschluss und Verstärkung holen sollte, aber dann fragte er die Frau einfach freundlich, ob er sich kurz drinnen umsehen dürfe und nun öffnete sie zögernd die Tür. Sie kam aus Polen, wie ihr Mann auch und dort hatte man vor der Polizei noch großen Respekt. Semir sah sich gerade ein wenig im Wohnzimmer um, da läutete das Telefon und als die Frau nach kurzem Zögern ranging, sprach sie schnell etwas auf Polnisch und Semir tat es sehr leid, dass er die Sprache nicht verstand. Ihrem Benehmen nach vermutete er, dass ihr Gatte am anderen Ende war, der ihr erklärte, wo er gerade war, oder was er vorhatte. Semir war sich nun ziemlich sicher, dass der zumindest wusste, wo sich Bruckner und Dermold aufhielten, aber die Frau legte schnell auf und blockte auf Semir´s Frage, ob das ihr Mann gewesen sei ab. „Nein-war Schwiegermutter!“ beteuerte sie und nun war Semir nochmals klar dass sie log, denn er hatte deutlich den Klang einer Männerstimme vernommen. „Können sie mir nun endlich sagen, wo ihr Mann ist, oder wie ich ihn erreichen kann?“ fragte er, aber die Frau schüttelte den Kopf.
Semir war klar, dass er aus ihr nichts mehr herausbringen würde und verabschiedete sich nun und ging zu seinem Wagen. Von dort rief er sofort Susanne an und beauftragte sie, herauszufinden, woher der letzte Anruf aufs Festnetz der Familie Strzigowski gekommen war und wenig später war klar, dass der von einem Handy ausgegangen war, das sich gerade auf der Autobahn Richtung Osten bewegte. Susanne fand dann noch heraus, dass der Mann, der ein selbstständiger Kurierfahrer war, sich am Vortag ein neues Fahrzeug geleast hatte und wenig später hatte Semir die Fahrzeugdaten in der Hand. Kurz überlegte er, aber dann rief er die Chefin an: „Ich habe keine sicheren Beweise, aber ich glaube, dass Strzigowski den beiden als Fluchthelfer dient. Die haben eine dreiviertel Stunde Vorsprung, aber ich denke, dass die sich Richtung Polen absetzen wollen-da sind ja auch die Geschäftsbeziehungen hin, so welpenhandelsmäßig. Ich werde denen jetzt folgen, denn ich glaube, dass ich die mit meinem doch PS-stärkeren Fahrzeug locker einholen kann!“ erklärte er ihr. Kim überlegte kurz und musste ihm Recht geben, dass der Verdacht ziemlich naheliegend war. „Gerkhan-ich würde ihnen gerne Verstärkung mitgeben, aber ich bin personell leider etwas knapp, wie sie ja wissen. Versprechen sie mir, dass sie die örtliche Polizei zur Verstärkung rufen, wenn sie die Flüchtigen eingeholt haben? Und denken sie daran-die haben Bonrath´s Waffe!“ warnte sie ihn, aber Semir hatte schon gewendet und war mit quietschenden Reifen Richtung Autobahn unterwegs.
Bei Ben war inzwischen der ZVK angenäht und sollte dann noch röntgenkontrolliert werden. Aber erst machten die Schwester und Sarah ihn sauber und bezogen das Bett frisch. Auch der Verband hatte wieder etwas abgekriegt und musste ebenfalls erneuert und die Wunden am Gesäß gespült und neu austamponiert werden, was erneut eine einzige Tortur für Ben war. Ein Fäkalkollektor würde wegen der Wunden am Po nicht halten, die Schüssel brachte ihn vor Schmerzen fast um und auch eine Windelhose war keine Lösung. „Wo kommt denn bloß der Durchfall her?“ stöhnte Ben, der vor Peinlichkeit am liebsten in einem Mauseloch verschwunden wäre. „Das kann ich dir schon sagen, Schatz!“ antwortete Sarah. „Der Darm ist ja das größte Entgiftungsorgan des Körpers und diese Muskelabbaustoffe wirken, obwohl sie ja eigentlich aus dem eigenen Körper kommen, wie eine Vergiftung. So versucht der Organismus wenigstens einen Teil der Gifte auszuscheiden, aber gerade dadurch verlierst du auch wichtige Stoffe und Flüssigkeit, die dein Körper eigentlich braucht!“ erklärte sie und diese Erklärung genügte Ben zwar, aber er war trotzdem ganz verzweifelt deswegen und nun wartete die nächste Peinlichkeit schon auf ihn, denn die Schwester hatte inzwischen alles zum Legen des Blasendauerkatheters hergerichtet.
„Oh nein Sarah-kannst du das nicht machen?“ stöhnte er auf, als die Schwester sterile Handschuhe anzog und das Abdeckset näher brachte, aber Sarah schüttelte den Kopf. „Nein Ben-das möchte ich nicht!“ sagte sie bestimmt und so schloss er die Augen und ließ die zugegebenermaßen unangenehme, aber nicht schmerzhafte Prozedur über sich ergehen und klammerte sich dabei an Sarah´s Hand fest. Als der Silikonkatheter geblockt in der Blase lag, schauten Sarah, der Arzt und die Schwester betreten auf den Ablaufbeutel. Nur eine kleine Menge dunkelroter, fast schwarzer, konzentrierter Urin war darin. „Das Nierenversagen ist schon in vollem Gange!“ flüsterte Sarah und die anderen nickten.