Beiträge von susan

    Wenig später waren Sarah, Frau Brauner und Tim an der Uniklinik angekommen. Tim war natürlich im Auto eingeschlafen und nachdem er und Frederik ja sowieso nicht mit auf die Intensiv gedurft hätten, stellten sie das Auto auf einen Schattenparkplatz, öffneten die Fenster und eine Tür und zunächst blieb Frau Brauner am Wagen, während Sarah hinaufeilte, um ihren Kollegen Bescheid zu geben, dass Ben nur ganz kurz einen besonderen Besuch, der ihr sehr wichtig war, bekommen würde. „Geht klar, Sarah-weil du es bist!“ sagte die betreuende Schwester und Semir auf dem Flur, der Sarah ebenfalls erspäht hatte und die versichert hatte, dass sie nun wieder dableiben würde und sich vielmals bei ihm bedankte, rief auch gleich von ihrem Handy aus Andrea an, um seine Abholung zu organisieren.

    Sarah lief wieder hinunter und übernahm die Bewachung von Tim, Frederik und dem Wagen, während Frau Brauner sich nun zur Intensivstation begab. Sie läutete draußen und wurde auch sofort hereingebeten und zu Ben´s Zimmer geführt. Der hatte immer noch Besuch von Konrad, der ihm gerade noch Grüße von Julia ausrichtete, die ganz verzweifelt ihren Vater angerufen hatte, dass sie einfach nicht fähig war, sich auf den Beinen zu halten. „Papa sag ihr, ich freue mich, dass sie an mich denkt, aber sie soll bitte wegbleiben, bis sie wieder ganz gesund ist-wenn ich mir nämlich vorstelle ich würde jetzt ne Erkältung kriegen und müsste niesen und husten, dann wird mir ganz anders!“ überlegte Ben mit Schaudern, der sich gerade vorkam als wäre er ungefähr hundert Jahre alt, so weh tat ihm jede einzelne Gräte.
    Nun öffnete sich die Schiebetür und eine sehr gepflegte ältere Frau stand plötzlich im Zimmer und wollte gerade anheben etwas zu sagen, da fiel ihr völlig entgeisterter Blick auf Ben und seinen Vater. „Konrad-was tust du hier?“ stammelte sie beinahe und in diesem Moment fügte sich erst in ihrem Kopf das Eine zum Anderen. Konrad war aufgesprungen und hatte freudig die Arme ausgestreckt: „Hildegard-schön dich zu sehen!“ rief er herzlich und umarmte sie kurz, während Frau Brauner die Umarmung zurückgab, dann aber an das Bett trat und leise sagte: „Lange nicht gesehen Ben!“ und dem jungen Polizisten die Hand entgegenstreckte. Der sah die Frau fassungslos an, nahm mühsam ihre Hand in die Seine, erwiderte den festen Händedruck, soweit es ihm möglich war und sagte ebenfalls: „Hildegard-was führt dich denn zu mir?“ denn Sarah war ja noch nicht bei ihm gewesen und hatte ihn aufgeklärt.
    „Ben-ohne zu wissen dass Tim dein Sohn ist-wobei ich mir das eigentlich hätte denken können, denn er sieht genauso herzig aus wie du in dem Alter-ich bin die Frau, die ihn während Sarah´s Abwesenheit betreut!“ sagte sie schlicht und nun ließ Ben erleichtert den Kopf aufs Kissen zurücksinken. „Oh Mann und ich habe deswegen Sarah Vorwürfe gemacht, dabei hast du früher schon auf mich und Julia aufgepasst und wir waren immer total gerne bei euch-vor allem auch wegen der Hunde!“ erinnerte er sich.
    „Ja und ich habe euer Haus gebaut, dafür hat Jo unsere Trauringe gefertigt und ihr ward unsere Trauzeugen!“ erinnerte sich Konrad gerührt und sie schwelgten noch eine Weile in der Vergangenheit. Ben kam sogar in den Sinn, wie sein Vater ihm vor einiger Zeit erzählt hatte, dass er auf der Beerdigung seines alten Schulfreundes gewesen war und Hildegard erwähnte noch kurz, wie Sarah und sie sich kennengelernt hatten. „Weißt du Ben-manchmal macht das Schicksal doch auch etwas gut-ich werde jetzt wieder runtergehen, mit Tim zu mir nach Hause fahren und dir schicke ich deine Sarah, übrigens eine tolle Frau mit vernünftigen Ansichten, die dich von Herzen liebt, wieder herauf. Tim ist bei mir in den besten Händen und du kannst versichert sein, dass ich ihn behandle, wie meinen eigenen Enkel, der leider viel zu weit weg wohnt!“ erklärte sie und jetzt bedankte sich Ben leise und Konrad verließ nun gemeinsam mit Hildegard in angeregtem Gespräch die Intensivstation, während Ben beschämt wegen seines Misstrauens seinen Kopf ins Kissen zurücksinken ließ.

    Semir, der kurz nochmals zurückgekehrt war, um seine Reisetasche zusammenzupacken und sich zu verabschieden, hatte die Zusammenhänge relativ schnell begriffen. „Wie der Zufall so spielt!“ sagte er versonnen und da konnte ihm sein Freund nur zustimmen. Allerdings hatte Ben nun Probleme mit weiteren Schmerzen, sein rechtes Bein war dick und geschwollen und er beschloss, das Sarah zu zeigen, sobald sie wieder bei ihm war.

    Semir und Ben suchen jetzt die Eltern von Thomas Moor auf-hey Elli-ist das einer von Schiller´s Räubern? :D -sorry das war OT.
    Dessen Mutter verlässt die Wohnung wohl nicht allzu oft, sonst hätte sie ne bessere Figur. Da wollte ich auch nicht erschlagen werden-sowas habe ich in der Arbeit öfter-aktuell zwei Patientinnen mit 183kg bei 1,50m und die andere 130kg bei 1,55m-quadratisch (un)praktisch -gut....da muss man sich nicht wundern, wenn man Rückenschmerzen hat!
    Die Jungs beschließen inzwischen, nachdem Philipp die Fotos seines Vaters rausgenommen hat, Jansen um eine runde Summe zu erpressen-jetzt wirds dann gefährlich!

    Na Gott sei Dank beginnen Jenni und Bonrath nun doch gleich zu ermitteln und holen sich Ben´s Wohnungsschlüssel. Ja Leute-es ist merkwürdig dass er nicht da ist, die Tasche nicht ausgepackt ist und Blut an der Tischkante hängt! Ich hoffe ja wenigstens Hartmut zählt zwei und zwei zusammen und sicher hätte Ben seinen Freund Semir im Urlaub angerufen, wenn er die Nachrichten abgehört hätte-macht hinne-das ist vielleicht Ben´s letzt Chance!

    Ja ich finde auch, dass die Chefin sich hervorragend verhalten hat und statt auf Prinzipien herum zu reiten Fakten hat sprechen lassen und zugegeben hat, dass auch sie Kevin falsch eingeschätzt hatte-bravo!
    Allerdings stellt sich jetzt die Frage, ob seine Entlastung Kevin noch viel nutzt! Das wird nur funktionieren wenn er bis dahin noch lebt-und da habe ich so berechtigte Zweifel-auch wenn Bienert jetzt den Fall abgibt-die Zeit arbeitet gegen Kevin!

    Nach der Morgentoilette hängte man Ben erst einmal für eine Stunde an die nichtinvasive Beatmung, denn nachdem die einige Zeit weggewesen war, sank Ben´s Sauerstoffsättigung erneut, aber trotzdem fühlte er sich insgesamt besser. Als der Chirurg kam, um seine Verbände frisch zu machen, sank Ben das Herz mal wieder in die nicht vorhandene Hose. „Oh nein-Scotty beam mich weg!“ flüsterte er in die Maske, die nun für eine Weile wieder abgenommen wurde. Er biss sich auf die Lippen als man ihn auf den Bauch lagerte und erwartete wieder die fürchterlichen Schmerzen wie am Vortag, aber heute war es eigentlich halb so schlimm, da die Wundränder überwiegend rosig durchblutet waren und der graue schmierige Belag verschwunden war. Nur als die Wundtaschen saubergemacht wurden, entwich ein Stöhnen seinem Mund und er klammerte sich an Semir´s Hand wie ein Ertrinkender fest. Aber auch das war schnell vorbei, nur als die neuen Tamponaden wieder in die Löcher gestopft wurden schrie er nochmals auf, obwohl er durchaus einen Opiatbolus bekommen hatte. Der Arm und die Wunde am Hals waren reizlos und so lag er wenig später ziemlich erleichtert wieder auf der Seite und bekam zu seiner Überraschung sogar ein paar Schlückchen Wasser zu trinken. Mit Argusaugen beobachtete die Schwester ob er fähig war Flüssigkeit zu schlucken-sonst hätte man sie angedickt, aber es funktionierte und nachdem Ben nun mit der gesunden Hand auch noch selber seine Zähne geputzt hatte, war er zwar völlig erschöpft, aber trotzdem einigermaßen zufrieden. Er merkte selber, dass es aufwärts ging und mit jeder Sekunde die Sarah weg war, hatte er erstens mehr Sehnsucht nach ihr und zweitens ein fürchterlich schlechtes Gewissen, weil er sie so angegangen hatte.

    Nachdem er noch eine kurze Pause hatte, bis die Atemmaske wieder aufgeschnallt wurde, fragte er nun Semir nach einer Sache, die ihn jetzt zudem die ganze Zeit beschäftigte. Er hatte am Vortag dermaßen wirre Träume gehabt, dass er nicht mehr wusste, was Realität gewesen war und was nicht. „Semir-sag mal stimmt es dass Sarah nach Lucky gesehen hat?“ fragte er vorsichtig. Sein Freund musste ja denken er wäre völlig verblödet, aber wenn man sich etwas so sehr wünschte, dann spielte ihm seine Phantasie vielleicht doch einen üblen Streich, denn andererseits konnte er sich noch an das klare „Nein!“ aus ihrem Mund erinnern als er angesprochen hatte, Lucky zu sich zu nehmen. „Doch Ben-Sarah war gestern mit Tim und dieser Frau Brauner in der Klinik und hat ihn besucht. Anscheinend hat er erst dadurch wieder Lebensmut bekommen und hat gefressen. Sie war sogar mit ihm an der Leine ein wenig draußen und Tim war anscheinend auch begeistert von ihm!“ erzählte Semir, um gleich danach hinzuzufügen: „Das musst du ihr auch hoch anrechnen, denn wenn mein Partner nach einer Hundeattacke so daliegen würde wie du, dann würde ich vermutlich den Rest meines Lebens einen riesigen Bogen um alle Hunde machen die größer als knöchelhoch sind!“ und nun nickte Ben nachdenklich. „Weisst du Semir-ich glaube auch, dass ich in nächster Zeit einen Bogen um alle Schäferhunde schlagen werde, denn da werde ich immer den Angriff von Castor und Pollux im Hinterkopf haben. Aber mit Lucky ist das was anderes-der war von der ersten Sekunde als er da in dem Entwässerungsrohr saß mein Freund. Er hat sich wahnsinnig gefreut wenn ich in seinen Zwinger gegangen bin und ich kann mir nicht vorstellen, dass der einen Menschen beißen könnte-obwohl der ja durchaus zugepackt hat, um mich zu retten, was ihm damit ja auch gelungen ist!“ erklärte er, aber Semir gab nun zu bedenken: „Trotzdem musst du Sarah auch verstehen, falls sie sich nicht dazu durchringen kann Lucky zu euch zu nehmen. Immerhin habt ihr ein Kleinkind zuhause und Lucky ist mindestens doppelt so groß wie Tim-aber dann suchen wir eben gemeinsam einen guten Platz für Lucky und ihr schafft euch dann später, wenn Tim größer ist, einen anderen Hund an!“ versuchte er seinen Freund zu beeinflussen, aber als nun die Schwester wieder kam und erneut die Atemmaske festschnallte, meinte Semir zuvor noch zu hören: „Ich will aber nur Lucky!“ aber dann war das Sprechen bis auf Weiteres für Ben beinahe unmöglich geworden.

    Semir seufzte auf und als sein Freund die Augen schloss ging er ein wenig auf den Flur und bat die Schwestern um ein Telefon um Andrea anzurufen. Er gab ihr kurz Bescheid, dass es ihm persönlich gut ging und auch Ben auf dem Wege der Besserung war, was ihr ein erleichtertes Aufseufzen entlockte. „Ich bleibe jetzt aber noch so lange bei Ben bis Sarah wiederkommt, ich habe es versprochen und wenn es dir nichts ausmacht rufe ich dich dann an, damit du mich abholen kannst!“ fragte er und Andrea versicherte, dass das schon klar ginge. Sie war ja nur froh, dass Semir den Unfall und die Commotio anscheinend gut weggesteckt hatte und dass es jetzt auch Ben besser ging, war eine zweite gute Nachricht. Sie teilte das auch gleich den Mädchen mit und Ayda, die erst am Morgen sehr traurig gewesen war, dass der Papa entgegen seiner Versicherung in der Frühe nicht dagewesen war, war nun gleich besänftigt und begann gemeinsam mit Lilly ein paar Gute-Besserungs-Bilder zu malen, allerdings war auf jedem mindestens ein Hund zu sehen und Andrea wunderte sich nur wieder, was die Kinder doch immer alles so mitbekamen!

    Sarah hatte zunächst wütend die Intensivstation verlassen. Kaum war Ben von der Schippe gesprungen war er sie schon angegangen. Je weiter sie sich allerdings vom Krankenhaus entfernte und durch den ruhigen Samstagmorgenverkehr zu Frau Brauner fuhr, desto mehr beruhigte sie sich und konnte auch verstehen, dass Ben sich Sorgen um seinen Sohn und dessen Betreuung machte. Immerhin war ja tatsächlich Frau Brauner bis vor zwei Tagen auch für sie ein wildfremder Mensch gewesen und wenn ihr vor einer Woche jemand gesagt hätte, dass sie Tim so einfach aus der Hand geben würde, dann hätte sie das nicht geglaubt-das hier waren besondere Umstände, aber eben auch eine besondere Frau! Sie hielt noch kurz bei einer Bäckerei und kaufte eine bunte Frühstückstüte und als sie an der Haustür läutete, hörte sie ihren Sohn schon aus dem Inneren des Hauses herzhaft lachen und nun zog auch über ihr Gesicht ein breites Lächeln. Als Frau Brauner öffnete und Tim mal wieder gar keine Zeit für die Mama hatte, weil er doch mit Frederik schäkern musste, warf sie ihre Sorgen über Bord und trat einfach ein. Frau Brauner legte noch ein Frühstücksgedeck auf, als sie die bunte Tüte sah und so frühstückten die beiden Frauen erst einmal ausführlich und auch Tim ließ sich überreden einen kurzen Boxenstopp einzulegen und etwas zu essen und zu trinken. Allerdings beobachteten Sarah und Frau Brauner wie er immer wieder Stücke des Brötchens für Frederik hinunterwarf, der mit hungrigen Blicken neben dem Hochstuhl nur darauf wartete. Ein Lächeln zog über die Züge der beiden Frauen-eigentlich sollte man jetzt schimpfen, aber das war so süß und festigte die Freundschaft zwischen Kind und Hund, dass sie einfach so taten als hätten sie das nicht gesehen.
    Sarah schüttete nun Frau Brauner auch einfach ihr Herz aus und berichtete von Ben´s Zweifeln, aber andererseits auch von ihrer Freude, dass es ihm besser ging. Die ältere Frau sagte ganz ernst: „Ich kann ihren Mann durchaus verstehen-was wir beide hier gerade machen ist ja auch alles andere als üblich, aber besondere Situationen erfordern eben manchmal besondere Maßnahmen!“ gab sie zu bedenken und fragte dann: „Meinen sie, dass ich ihn kurz auf der Intensivstation besuchen sollte, falls man mich da rein lässt, damit er mich kennenlernen kann und danach vielleicht beruhigt ist?“ und Sarah stimmte ihr zu. Das war eine gute Idee!

    „Aber erst müssen wir noch nach Lucky sehen!“ bestimmte Frau Brauner und Sarah, die das eigentlich gar nicht so wahnsinnig notwendig erachtet hatte, gab sich geschlagen. So wurde Tim noch frisch gewickelt, der Tisch abgeräumt und wenig später waren die beiden Frauen, Tim und Frederik wieder auf dem Weg zur Tierklinik. „Wie schön dass sie kommen!“ rief die Tierarzthelferin von gestern, die Wochenenddienst hatte. „Lucky wartet schon sehnsüchtig auf sie!“ und gleich erhob sie sich, um voraus zur Krankenbox zu gehen. Obwohl er noch Schmerzen hatte, erhob sich Lucky sofort mit freudig gespitzten Ohren, als er die Stimmen hörte und konnte überhaupt nicht mehr aufhören zu wedeln und seine Freude zu zeigen, dass man ihn nicht vergessen hatte. Tim beugte sich mit geschäftigen Lauten vom Arm der Mama zu dem riesigen Hund und streckte die Ärmchen aus. Immerhin war er jetzt der Hundeprofi in der Familie und auf die Bitte Frau Brauner´s setzte Sarah den kleinen Mann auf den Boden. Sofort legte sich Lucky auch hin und robbte ganz vorsichtig zu Tim und beroch ihn ausführlich, während der Kleine juchzte und seine Fäuste in dem zottigen Fell vergrub. „Sarah sehen sie mal wie vorsichtig Lucky mit einem Kleinkind umgeht-der ist ein idealer Familienhund!“ pries ihn Frau Brauner an und auch Sarah war ganz gerührt von der Szene. Allerdings ging ihr das alles zu schnell und sie brauchte einfach noch Bedenkzeit, bevor sie so einen folgenschweren Entschluss fasste, einen Hund zu sich zu nehmen. Sie nahmen Tim nun wieder hoch und erneut durfte Lucky mit ihnen nach draußen und begann, obwohl er noch sichtlich steif ging und manche Bewegungen vermied, trotzdem mit Frederik zu spielen und das war ein Schauspiel das allen Zusehern gefiel. Plötzlich stand auch der Hundeführer der Polizei mit Arco bei ihnen, der sich ebenfalls nach Lucky erkundigen wollte und auch dessen Hund begann nun mitzuspielen. Allerdings war Sarah nun ganz blass geworden und hatte Tim fest an sich gedrückt-immerhin war das ein Schäferhund und die waren alle gefährlich! Sarah war immer noch sehr schweigsam, als sie nach einer halben Stunde Lucky wieder in die Krankenbox zurückbrachten und als sie im Auto saßen um zur Uniklinik zu fahren sagte sie nur: „Ich weiß nicht, ob ich das kann!“ und nun wusste auch Frau Brauner, der Sarah´s Reaktion nicht entgangen war, keine Antwort.

    Im Krankenhaus hatte Konrad inzwischen einen erneuten Versuch gestartet und tatsächlich-heute konnte er zu Ben, der war wach und die Schwester nahm ihm für kurze Zeit seine Atemmaske ab, damit er sich mit seinem besorgten Vater unterhalten konnte. Als der erzählte, was er am Vortag für eine Odyssee hinter sich gebracht hatte, um mit stundenlanger Verspätung zu seinem Sohn zu kommen, sagte Ben nur gerührt: „Danke Papa!“ und dann saß Konrad eine ganze Weile still an Ben´s Bett und genoss dessen Nähe, während Semir sich draußen ein wenig die Beine vertrat.

    Auch Hartmut hat durch Deduktion herausgefunden, dass die Gerüchte stimmen und Semir der Wagen geklaut wurde! Aber immerhin konnte er Fingerabdrücke sicherstellen und so langsam sind die Personalien der Diebe bekannt! Auch Hartmut amüsiert sich köstlich-ich denke Semir wird da noch ne ganze Weile das Gespött der PASt sein!
    Jansen hat derweil seinem Auftraggeber gebeichtet, dass er den Koffer nicht mehr hat. Und dieser dumme Junge hat sogar seinen Ausweis im Wagen verloren! Dümmer geht echt nimmer! Aber nun wird es lebensgefährlich-der Zuhälterkönig setzt seine Mannen sowohl auf den Jungen als auch auf Jansen an-ob es da noch Rettung gibt? Allerdings verstehe ich nicht, warum die belastenden Bilder erst von seinem Autraggeber zu Jansen kamen-die wurden doch in dessen Etablissements gemacht, warum hat er die nicht von Anfang an einfach behalten?

    Das ist mir mal ein zupackender Humanmediziner. Sozusagen ferngesteuert durch seinen Onkel legt er Paul einen Zugang und beginnt ihn zu infundieren-ja Pferde brauchen da andere Mengen als Menschen und sechs Liter Infusion sind fürs Erste mal genau richtig! Immerhin hat so ein Quarter ja etwa fünfunddreißig Liter Blut in sich und durch den Schock und vermutlich auch Prellungen am ganzen Körper hat der sicher nen Volumenmangel! Jetzt frage ich mich nur wie die Paul da wieder rauf bekommen wollen! Kann der laufen oder brauchen sie dazu nen Heli? So wurde nämlich das Pferd meiner Freundin einmal gerettet, das mitten im Winter in nen Fluss gefallen war!
    Alex macht sich inzwischen mit der einheimischen Kriminalbeamtin auf den Weg zu Thorsten Hecht-ich hoffe ja, dass sie den auch antreffen!

    Verdammt-jetzt haben die Verbrecher Nora und sind mit ihr geflohen! Gut dass Semir nochmals die Stallungen kontrolliert! Das SEK kannst du ja echt in der Pfeife rauchen wenn die so wenig gründlich bei der Durchsuchung von ein paar Gebäuden vorgehen! Ich mag mir gar nicht vorstellen was geschehen wäre, wenn Semir nicht nochmals zurückgegangen wäre! So aber findet er Alex und der Dickkopf versucht sogar -erfolglos-aufzustehen, als ob das irgendwas bringen würde! Statt dessen sollte er Semir lieber von Nora erzählen und dem Fluchtwagen-das wäre sinnvoller gewesen, aber bis Alex jetzt vermutlich wieder bei sich ist sind die über alle Berge!

    Konrad war spätabends in der Uniklinik eingetroffen. Der Learjet hatte in Köln keine Landeerlaubnis bekommen und so waren sie zu seinem Heimatflughafen nach Düsseldorf ausgewichen. Während sich der österreichische Pilot sofort auf den Rückweg gemacht hatte, war Konrad nun zu seinem Wagen gegangen, der dort im Parkhaus stand und hatte versucht über die A3 zu seinem Sohn zu fahren. Da war aber ein schwerer Unfall passiert und so stand Konrad nach der darauffolgenden Totalsperre erst einmal stundenlang im Stau. Er versuchte Sarah zu erreichen, aber deren Handy funktionierte ja auf Intensiv nicht und so kam er erst mitten in der Nacht an der Uniklinik an. Voller Sorge läutete er an der Tür draußen, bekam aber die Auskunft, dass sich der Zustand seines Sohnes leicht verbessert hatte und der nun schlafen würde, wie seine Schwiegertochter und der Freund ebenfalls. So hatte Konrad nur einen kurzen Blick ins Zimmer geworfen, seinen von vielen Maschinen umgebenen Sprössling besorgt betrachtet und war dann wieder nach Hause gefahren-was sollte er auch sonst tun?

    Der nächste Morgen war ein Samstag. Auch auf einer Intensivstation ging es da ruhiger zu als an Werktagen, weil die Visiten später kamen und man außer in Notfällen auch in niedrigerem Tempo arbeitete, das Telefon seltener läutete und so schob man die Schiebetüre zu Ben´s Zimmer, wo die drei Freunde selig schlummerten, ein wenig zu und ließ sie ausschlafen. In der Nacht war die Nachtschwester desöfteren an Ben´s Bett getreten, hatte das Noradrenalin reduziert wenn der Blutdruck es zuließ und für ihn schmerzfrei Blut aus der Arterie abgenommen und nach der Analyse auch die Beatmungseinstellungen verändert. Ben hatte das meistens gar nicht mitbekommen und nachdem die Schwester beobachtet hatte, dass er seine Lage immer wieder minimal veränderte, etwas woran gestern nicht im Traum zu denken gewesen wäre, verzichtete sie auch darauf ihn zu lagern, was fast mit Sicherheit nämlich alle Anwesenden im Zimmer geweckt hätte.
    So erwachten Semir und Sarah fast gleichzeitig als das lautes Geräusch einer herabfallenden Waschschüssel auf dem Flur ertönte und Sarah sah im ersten Moment erstaunt und ein wenig erschrocken zur Uhr und stellte fest dass es schon neun Uhr war. Auch Ben hatte langsam die Augen geöffnet und als Sarah nun mit prüfendem Blick ihn, den Monitor und die Beatmungseinstellungen musterte, stellte sie fest, dass alle Werte sich ziemlich gebessert hatten. Das Fieber war dank Dialyse, die immer noch langsam mit lief, bei 38°C, das Noradrenalin hatte man halbieren können und der Sauerstoffgehalt der Beatmungsluft war bei 40% angelangt. „Um Himmels Willen-so spät schon!“ bemerkte Sarah und nun nuschelte Ben etwas in seine Maske, was aber weder sie noch Semir richtig verstehen konnten. So löste Sarah die Befestigungsbänder der Atemmaske um seinen Kopf, was ihr Mann mit einem Seufzer der Erleichterung quittierte. Sarah schaltete die Maschine auf Stand-By-Modus, steckte ihm die bereitliegende Sauerstoffbrille in die Nase, drehte den Sauerstoff auf fünf Liter pro Minute auf und die Sättigung sank dabei kaum ab. „Was hattest du gesagt?“ erkundigte sie sich dann und Ben, der das Gefühl der Erleichterung ohne Atemmaske aus vollen Zügen genoss antwortete: „Ich habe gefragt, ob du etwas Wichtigeres vorhast-und übrigens-wo ist denn mein Sohn und wer passt aktuell auf ihn auf?“ wollte er wissen, denn er konnte nicht mehr unterscheiden was von dem Wahrheit und was Fiebertraum gewesen war, was ihm so im Kopf herumging.

    „Ich habe vorgestern durch Andrea eine sehr nette und kompetente ältere Frau kennengelernt. Eigentlich wollten wir nur Tim beibringen wie man sich Hunden gegenüber benimmt, aber diese sehr gut situierte Dame mit einem Golden Retriever namens Frederik hat sich von Anfang an hervorragend mit ihm verstanden und er ist jetzt seitdem bei ihr im Haus und hat auch dort geschlafen. Ich habe das Reisebett und viele andere Sachen die er braucht dorthin gebracht und Frau Brauner betreut ihn jetzt, bis es dir wieder besser geht.“ erklärte sie. Ben sagte erst gar nichts, aber dann insistierte er doch: „Sarah-du kannst doch nicht einfach unseren Sohn bei einer wildfremden Frau lassen! Ich habe gedacht der wäre bei Andrea oder Julia-sonst hätte ich das gar nicht zugelassen. Ich werde hier bestens versorgt und komme schon zurecht, was ist, wenn die doch nicht so nett ist wie du denkst und ihm was antut, ihn entführt und Lösegeld erpresst, oder ihn einfach nur vernachlässigt?“ sagte er unglücklich und jetzt war Sarah fast ein wenig sauer: „Unser Kind ist mir genauso wichtig wie dir und das weisst du!“ beschwor sie ihn. „Traust du mir nicht zu einen anderen Menschen einzuschätzen? Du verurteilst jetzt diese hoch anständige Frau, ohne sie zu kennen, dabei hat nur sie mir die Möglichkeit gegeben bei dir zu sein-Julia ist krank und bei Andrea wollte er nicht bleiben und hat sich die Seele aus dem Leib gebrüllt, während er bei Frau Brauner gerne ist, vermutlich auch wegen dem Hund!“ betonte sie heftig und nun wandte Ben traurig den Blick ab. Er wollte ja mit Sarah nicht streiten, aber er hatte aktuell eine wahnsinnige Sehnsucht nach Tim und auch Angst um ihn-eine Mutter gehörte zu ihrem Kind und stattdessen hatte sie sich ausschließlich um ihn gekümmert, was er ja ebenfalls schön fand, aber diese fremde Frau ließ ihm einfach keine Ruhe.

    Nun mischte sich Semir ein: „Jetzt streitet euch nicht. Ich habe einen Vorschlag zu machen-ich bleibe bis auf Weiteres bei dir Ben und Sarah soll schauen, dass sie zu eurem Sohn kommt und nachsieht, ob es ihm gut geht. Alles Weitere wird sich dann finden!“ bestimmte er jetzt einfach und mit dieser Regelung waren die beiden einverstanden. So brach Sarah nach einem kurzen Abstecher ins Bad auf, Semir machte schnelle Katzenwäsche und trank dann erst mal eine Tasse Kaffee und aß ein belegtes Brötchen das ihm die Schwestern brachten und sah dann zu, wie bei Ben erst die Dialyse abgehängt wurde und half dann dabei ihn zu waschen. „War das jetzt blöd von mir?“ fragte Ben leise seinen Freund, aber der schüttelte den Kopf. „Ich kann deine Sorge ja verstehen, aber was hätte Sarah denn machen sollen-gestern hatten wir Angst dich zu verlieren und sie hätte es sich nie verziehen, wenn sie da nicht bei dir gewesen wäre!“ gab er zu bedenken und jetzt wurde Ben ganz still.

    Mann was bin ich froh-Paul lebt! er ist zwar schwer traumatisiert und braucht jetzt echt dringend nen Tierarzt, sonst kollabierte er, aber immerhin nimmt er wenigstens kurzzeitig Kontakt mit Semir auf-was bin ich froh!
    Übrigens wäre mir persönlich bei meinen Pferden ein erfahrener alter Praktiker in Rente in so einer Situation immer tausendmal lieber als so ein Jungspund frisch von der Uni, der außer Theorie noch nicht viel weiss! Aber Semir macht das total richtig und gemeinsam werden sie den kranken Paul schon wieder flott kriegen!

    Hui-da ist aber brisantes Material im Koffer und Philipp erkennt sogar seinen Vater von hinten-der arme Tropf, sowas würde mich fertig machen!
    Aber dieser Jansen ist ja echt mutig! Meldet doch tatsächlich den Verlust eines Koffers in dem sich lauter belastendes Material befindet bei der Polizei! Ich wünsche ihm dass er ordentlich eins auf den Deckel kriegt, aber die Autoknackerjungs schweben jetzt wirklich in großer Gefahr!
    Und Semir muss jetzt aushalten dass Ben ihn verspottet-gut man sagt ja immer, wer den Schaden hat....aber Ben soll mal ganz vorsichtig sein-schnell dreht sich der Spieß nämlich um!

    Man konnte im Verlauf der nächsten Stunden den Sauerstoffgehalt und die Beatmungsdrücke ein wenig herunterfahren und langsam begannen Sarah und Semir sich ein wenig zu entspannen. Als man es nun doch wagte Ben die Atemmaske kurz abzunehmen, hatte sein Gesicht an den Auflageflächen rote Striemen und er sah ganz verquollen aus, aber immerhin lief er eine kurze Zeit ohne Atemunterstützung schon nicht mehr blau an, obwohl die Sättigung durchaus noch absank, aber so konnte Sarah sein Gesicht abwaschen, seinen Mund auswischen und die Lippen eincremen. Nun verstand man auch was Ben zu sagen versuchte und er griff nun mit beiden Händen, obwohl der operierte Arm ebenfalls noch schweinemäßig weh tat, ihrer beiden Hände und sagte leise: „Danke!“ und Sarah drückte ihm noch einen liebevollen Kuss auf die Stirn, bevor sie die Atemmaske wieder festschnallte. Mit der niedrigeren Laufrate waren die Kreislaufschwankungen auch nicht mehr besorgniserregend und so hatte sich die Dialyseschwester, als die Maschine zuverlässig und ohne Alarme lief, in ihre Abteilung zurückgezogen und die Blutwäsche wurde nun von den Intensivpflegekräften überwacht.
    Man lagerte Ben noch ein wenig bequemer, tauschte vorsichtig, damit die dicken blutgefüllten Schläuche nicht auseinander gingen, das verschwitzte Leintuch aus und als Ben nun halbwegs erfrischt in seinem Bett lag, schob Sarah´s Kollegin den flach gestellten Mobilisationsstuhl mit Kopfkissen und Zudecke wieder zur Tür herein und rangierte ihn neben Ben´s Bett, soweit man da mit den ganzen Geräten und Maschinen hin kam. Auch Semir´s Liegestatt stand ja noch im Zimmer und zögernd suchte nun auch der sein Lager auf. Ben hatte sich ein bisschen entspannt und die Augen geschlossen und so wagten es Sarah und Semir sich ebenfalls ein wenig flach zu legen und als kurz darauf die Nachtschwester ins im Halbdämmer liegende Zimmer sah, in dem viele Maschinen vor sich hin blinkten, da waren alle drei Insassen in einen Erschöpfungsschlaf gefallen und leise verließ sie wieder den Raum-es sah so aus, als würde die Therapie anschlagen!

    Hartmut hatte sich wieder neben Jenni ins Bett gelegt und betrachtete liebevoll seine schlafende Freundin und Kollegin-jetzt würde er dranbleiben an der Beziehung-er hatte gemerkt wie wichtig sie ihm war! Er hörte noch mehrmals eine Kirchenglocke schlagen aber irgendwann war auch er eingeschlafen und kam endlich vollständig zur Ruhe.

    Auch in Aurelia´s Wohnung war Ruhe eingekehrt. Sie hatte selber gegen den Wundschmerz noch einen bitter schmeckenden, aber wohltuenden Kräutertrank zu sich genommen und nach kurzer Überlegung auch Agathe davon angeboten, die tatsächlich aus einem kleinen Schüsselchen ein paar Schluck genommen hatte. Darin waren nur selbst gesammelte Heilkräuter, also nichts, was Mensch oder Tier schaden würde und so setzte Agathe sich auf die hölzerne Kopfstütze von Aurelia´s Bett, die vorsichtshalber auf dem Boden davor noch Zeitungspapier ausgebreitet hatte, damit der nicht beschmutzt wurde und steckte müde ihren Kopf unter den gesunden Flügel, der Leguan legte sich auf den Bettvorleger und die Katzen rollten sich am Fußende des großen Bettes zusammen und alle schliefen nun und waren zufrieden, dass ihr kleiner friedlicher Alltag wieder ein wenig zurück war.

    Im fernen Polen tranken Dermold, Bruckner und Strzigowski so einiges an selbst gebranntem Wodka und erwachten am Morgen mit schrecklichen Kopfschmerzen-es wurde langsam Zeit, dass ihre Papiere fertig wurden, das Geld eintraf und sie Flüge buchen konnten!

    Lucky lag in der Tierklinik derweil in seiner Krankenbox. Er hatte abends noch einmal gefressen und wartete nun hoffnungsvoll darauf, dass die Menschen, die so gut nach Herrchen rochen, wieder zurückkamen und ihn zu seiner Bestimmung brachten.

    Also Anschiss abgeholt-Kopf noch drauf, jetzt geht´s ans Ermitteln!
    Aha Jansen scheint selber gar kein so schlechtes Gewissen zu haben-also nehme ich an der sagt die Wahrheit, dass sich in dem Koffer wichtige Unterlagen eines Mandanten befunden haben. Ist der jetzt Anwalt, Steuerberater oder was sonst? Oder habe ich das vielleicht überlesen, aber egal auf jeden Fall gibt es anscheinend einen Dritten, der sehr interessiert am Erhalt der Papiere ist-ich fürchte das wird den jungen Autoknackern noch mächtig Ärger einbringen!

    Also ich bin mir sicher dass Semir Benni´s ersten Wunsch höchstpersönlich erfüllt-entweder der will nur zusehen wie Semir einen Stunt hinlegt, oder doch mit im Auto sitzen-oder eben beides hintereinander-das kriegen die schon hin!
    Nun sehen allerdings Semir, Anna und die Chefin nach Paul. Ja das ist manchmal schwierig einen Tierarzt zu kriegen und vor allem wenn der dann kilometerweit durch unwegsames Gelände zu einem Pferd fahren soll, wo er mit dem Auto gar nicht hinkommt und man weiss nicht einmal ob Paul überhaupt noch lebt! Da werden sie wohl erst noch nachsehen müssen und dann über den Pferdehof wo Sandy steht den Haus-und Hoftierarzt informieren müssen, der kommt dann vielleicht-falls man ihn überhaupt noch braucht ;( .
    Ach ja und danke überhaupt dass wir Frauen um die fünfzig doch manchmal noch rüstig sind-Semir, der ja auch schon um die fünfzig ist und ich bedanken uns herzlich- wir können ja am nächsten Fantreffen mal einen kleinen Konditionswettkampf machen Melanie-mal sehen wer gewinnt ;) !

    Die Stimmung im Büro hast du hervorragend wiedergegeben-vor allem hat mir gefallen, dass du Ben´s Herz nicht in die Hose, sondern anderswohin hast rutschen lassen-das ist aktuell der richtige Ort, wenn man das Verhalten von ihm und Jenni richtig deutet :D !
    Und wenn A....noch ein Kompliment für Bienert ist, dann möchte ich die anderen Kraftausdrücke die Ben für ihn übrig hat gar nicht wissen.
    Aber jetzt überlegen die drei rational was sie tun können und ich denke auch, dass es eine gute Idee ist, die Chefin einzuweihen. Klar droht der Fleischwolf, aber nachdem Anna Engelhardt ihre Mannen auseinander genommen hat, wird sie sie fein säuberlich wieder zusammensetzen und mit ihnen gemeinsam überlegen, wie man Kevin helfen kann-und dass der Hilfe braucht wissen wir ja inzwischen!

    Hartmut schreckte mitten in der Nacht hoch. Er hatte von Ben geträumt. Der hing am Rande einer Schlucht, die viele hundert Meter nach unten ging. Semir und er versuchten gerade verzweifelt ihn zu retten, aber so sehr sie sich auch bemühten, sie kamen einfach nicht ran. Voller Panik sah er, wie sich Ben´s Griff zu lockern begann und er unweigerlich in die Tiefe stürzen würde, wenn nicht sofort Hilfe kam. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck rührte Hartmut bis ins Mark und plötzlich hatte sein Freund auch noch so eine komische Atemmaske auf. Seine eigene Angst und Panik nahmen gleichermaßen zu und dann wachte er auf und musste sich erst einmal orientieren, wo er überhaupt war und was geschehen war. Jenni lag friedlich schlafend neben ihm und nun stand er voller schlechten Gewissens auf. Ben kämpfte im Krankenhaus um sein Leben und er machte sich mit Jenni einen schönen Abend. Freilich hatte er die vermutliche Ursache für Ben´s Befinden herausgefunden, aber davon alleine wurde er nicht gesund und er hatte schon verdammt krank ausgesehen, als er ihn vor wenigen Stunden verlassen hatte. Was wäre, wenn der jetzt gerade im Todeskampf lag und sein Unterbewusstsein ihm dessen letzte Hilferufe signalisiert hatte? Man hörte doch immer davon, dass angesichts des Todes die Dimensionen verschwammen und Zeit und Raum plötzlich keine Rolle mehr spielten? Wollte Ben mit ihm Kontakt aufnehmen, weil es irgendetwas gab, was nur er für ihn tun konnte?
    Hartmut war ins Bad gegangen und klatschte sich mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Dann zog er kurz entschlossen sein Handy hervor und wählte die Nummer der Uniklinik. Während er dem Tuten im Hörer lauschte, wurde der Kloß in seinem Hals immer größer. Was wäre, wenn er gleich eine schreckliche Nachricht kriegen würde?

    Sarah und Semir hatten voller Sorgen neben Ben Platz genommen. Er war fast nicht mehr bei sich und die Dialyse schlauchte nun natürlich noch zusätzlich seinen Kreislauf, so dass man das Noradrenalin mehr und mehr steigern musste. Nach etwa einer Stunde musste man die Fördermenge reduzieren, weil er nun fast keinen Druck mehr aufbaute, aber nachdem man so reagiert hatte, stabilisierte sich sein Zustand wieder ein bisschen. Semir war kurz zurückgetreten, denn der hinzu gerufene Dialysearzt hatte seinen Freund sorgenvoll kurz durch untersucht, bevor er diese Maßnahme anordnete und Semir ertappte sich nun, wie er seine Fingernägel vor Anspannung schmerzhaft in seine Handflächen bohrte. Mit reduzierter Fördermenge allerdings erholte Ben sich wieder ein wenig und Semir konnte erneut neben seinem Kopf Platz nehmen, ihn anfassen und ihm mental alle Kraft senden, die er nur erübrigen konnte.
    Sarah hatte voller Anspannung zu sprechen begonnen. Sie erzählte von Tim und wie süß der gerade war. Wie er brabbelte und gurrte und lachte, wie der Blitz irgendwohin krabbelte und sie erzählte von Frau Brauner und was für ein Geschenk Gottes diese Frau für ihre Familie war, ohne dass Ben auch nur den Hauch eines Verstehens signalisierte. War der überhaupt noch bei sich? Oder hatte die Bewusstlosigkeit schon von ihm Besitz ergriffen? Allerdings zeigte sich ein positiver Effekt der Dialyse: Seine Temperatur, die zuletzt bei 41,5°C gewesen war, was ja seinen Organismus zusätzlich geschlaucht hatte, war durch diese effektive Kühlung auf 40°C gesunken und fiel stetig weiter. Sarah musste innerlich zwar trocken auflachen, denn es war schon erstaunlich dass man sich über vierzig Grad Fieber freuen konnte, aber angesichts der vorigen Entwicklung war das dennoch ein Fortschritt.
    Irgendwann erzählte nun Sarah von ihrem Tag mit Tim und Frau Brauner, vor allem auch weil sie wollte, dass Ben ihre Stimme hörte und sich nicht aufgab, wenn er an Tim dachte, der ihn doch so notwendig brauchte! „Und stell dir vor Ben-ich war dann mit Tim und der netten Frau Brauner und deren Retriever Frederik in der Tierklinik und wir haben Lucky besucht. Jetzt kenne ich also den Hund, der dir das Leben gerettet hat!“ erzählte sie und nun hatte man den Anschein als hätte Ben gerade den Kopf ein wenig zu ihr gewandt. Ermutigt berichtete Sarah weiter: „Der lag in der Klinik in einer Krankenbox und wollte nicht fressen und nicht aufstehen. Die Tierarzthelferin meinte noch er würde sterben, wenn er nicht bald was isst und dann haben Tim und ich ihn erst einmal gestreichelt. Der ist ja wirklich riesig, aber ganz brav, wie alle die ihn kennen mir versichert haben. Tim fand ihn auf jeden Fall klasse, aber ich glaube der findet gerade alles was vier Beine und ein Fell hat toll!“ plapperte sie weiter. „Wir wollten ihn füttern, aber er hat auch von uns nichts genommen, bis Frederik, diese kleine goldene Fressmaschine wie ihn sein Frauchen immer bezeichnet, an seinen Napf gegangen ist. Plötzlich ist er aufgestanden, hat den Rest aufgefuttert und dann waren wir sogar mit ihm noch draußen und er hat herumgeschnüffelt!“ erzählte sie weiter und nun sah auch Semir, dass Ben seine bisher geschlossenen Augen geöffnet hatte. Er versuchte etwas zu sagen, aber weil das unter der Maske nicht so richtig ging und Ben auch viel zu erschöpft war, musste man ihm fast von den Lippen ablesen, aber als Sarah sich konzentrierte meinte sie, dass er in Abwandlung der berühmten Comicfiguren sagte: „Tim und Lucky!“ statt Tim und Struppi und jetzt musste sogar Semir lächeln. Der bekam doch etwas mit und dass er schon wieder Interesse an etwas zeigte war doch ein gutes Zeichen. Nun allerdings schloss Ben die Augen wieder, aber das nächste Blutgas war schon ein wenig besser und man konnte den Sauerstoff der durch das CPAP-Gerät in ihn floss auf 90% reduzieren-wenigstens ein kleiner Fortschritt!

    So vergingen die Stunden bis weit nach Mitternacht plötzlich die Nachtschwester mit dem Stationstelefon in der Hand vor ihnen stand: „Da möchte ein gewisser Herr Freund Auskunft über den Zustand von Herrn Jäger haben, ich darf dem nichts sagen, aber wollen sie vielleicht?“ sah sie fragend in die Runde und Semir erhob sich nun, streckte sich, denn er war irgendwie ganz steif und eingerostet-immerhin hatte er auch überall Prellungen-und übernahm das Telefon. Hartmut sprudelte am anderen Ende der Leitung einige Sätze heraus, so dass Semir sogar lächeln musste, weil er anscheinend so ein schlechtes Gewissen hatte. „Hartmut nein-du musst dir keine Gedanken machen, dass du nach Hause gegangen bist-wir sind bei Ben und du hättest hier weiter ja auch nichts tun können, es war schon wichtig genug, dass du durch deine Detektivarbeit einen Behandlungsansatz geliefert hast, aber ich glaube es geht ihm ein klein bisschen besser als zu der Zeit als du gegangen bist!“ sagte er und musterte Sarah dazu fragend und die nickte mit einem kleinen Lächeln. Irgendwie ging es zwar verdammt langsam, aber Semir hatte Recht-die Tendenz ging aufwärts und als nun Ben im Zeitlupentempo den Daumen nach oben streckte, ergriff eine große Erleichterung von Semir Besitz.

    Ja da sollte Semir lieber gleich die Wahrheit sagen-zu viele wissen Bescheid wie es wirklich war! Aber sowas ist natürlich nur zu peinlich, ist aber auch in Wirklichkeit schon vorgekommen, wie ich mich erinnern kann! Allerdings hätte man zum Sicherstellen der Fingerabdrücke den Wagen vermutlich gar nicht abzuschleppen brauchen-das wäre vor Ort ne Sache von zehn Minuten für nen erfahrenen Spurensicherer gewesen-welch ein Aufwand!
    Die Jungs sind sich inzwischen uneinig. Einer davon will aussteigen und arbeiten (brav!), aber dann sind die anderen nicht mehr seine Freunde-ich befürchte da wird der Gruppenzwang siegen!

    Mit ein paar kurzen Worten erklärte der Nephrologe was sie vor hatten und auch Hartmut stand plötzlich in der Zimmertür. Semir sprang auf und eilte zu ihm, während Sarah half Ben für den Eingriff flach auf den Rücken zu lagern, obwohl ihm das noch mehr Pein bereitete und gerade das Flachliegen bei seiner Atemnot schlimm war. „Hartmut hast du herausgefunden, warum es Ben so schlecht geht?“ fragte Semir und sein Kollege nickte. „Frau Krüger und ich haben bei der Hausdurchsuchung Bruckner´s diese merkwürdigen Fläschchen neben dem Hundefutter gefunden und die haben mein Interesse geweckt-ich hoffe nur, dass ich noch rechtzeitig war!“ erklärte Hartmut nun tonlos, denn er hatte mit einem Blick erfasst wie wahnsinnig kritisch es um Ben stand. Semir sagte leise: „Das hoffe ich auch!“ und ging dann mit dem Techniker ein wenig hinaus. In dem Zimmer war schon genügend medizinisches Fachpersonal und Sarah würde genügen um Ben zu beruhigen, da wollte er nicht stören.
    Semir trat mit Hartmut vor die Intensiv und bat um dessen Handy, um kurz Andrea anzurufen. „Andrea- wie mir der behandelnde Arzt vorher mitgeteilt hat, kann ich ab sofort entlassen werden. Allerdings geht es Ben massiv schlecht und ich möchte ihn im Augenblick nicht alleine lassen. Wir sehen zwar gerade einen kleinen Lichtstreif am Horizont, weil unser Teufelskerl Hartmut herausgefunden hat, was Ben so vergiftet hat, aber ob die Therapie anschlägt müssen wir jetzt einfach abwarten!“ erklärte er seiner Frau und die wünschte Ben aus der Ferne nochmals gute Besserung und Semir versprach das auszurichten-falls sein Freund das in seinem Zustand überhaupt erfassen konnte!

    Hartmut sah nun auf die Uhr-es war nach fünf- und ihm fiel ein, dass er ja Jenni versprochen hatte noch bei ihr vorbei zu sehen. „Semir, ich mache dann Feierabend-richte Ben auch von mir noch alles Gute aus und ich drücke die Daumen, dass wir noch rechtzeitig waren!“ verabschiedete er sich und eilte frohgemut zu Jenni, die ihn mit einem Kuss auf die Wange begrüßte. Eigentlich hatte er vorgehabt irgendwann nach Hause zu gehen, aber dann unterhielten sie sich angeregt, aßen eine Kleinigkeit zum Abendbrot und landeten irgendwann im Bett, wobei Jenni durch ihre Prellungen doch sehr gehandikaped war und nur kuscheln wollte. So schliefen sie unter Streicheln ein und Hartmut schalt sich, warum er ihre Beziehung eigentlich so hatte schleifen lassen-hier neben ihm lag doch eine wahrhafte Traumfrau!

    Der Dialysearzt hatte sich derweil grün vermummt und stach nun direkt unter Ben´s Schlüsselbein auf der unverletzten Halsseite zuerst eine Lokalanästhesie und legte dann unter vielen Mühen den Dialysekatheter. Man musste dazu das Bett in Kopftieflage bringen, an Ben´s Arm ziehen und mit allen Tricks arbeiten, da trotz Ultraschallkontrolle das Gefäß miserabel darzustellen und wegen der schlechten Füllung unheimlich schwer zu punktieren war. Fast eine halbe Stunde zog sich die Tortur hin und Sarah beobachte verzweifelt wie Ben schwitzte, unter der Maske ächzte und irgendwann vor Erschöpfung ganz ruhig wurde-sie befürchtete schon, dass der Monitor nun gleich alarmieren würde und sein Herz immer langsamer schlagen und schließlich stehenbleiben würde, aber da hatte es der Dialysearzt geschafft, nähte in Windeseile den Katheter an und schon schob die Dialyseschwester das Blutwäschegerät, das sie schon nach Anweisung vorbereitet hatte, zur Tür herein. Man hatte auch beschlossen Ben zwei Konserven zukommen zu lassen, denn dann standen ihm wieder mehr Sauerstoffträger zur Verfügung und wenig später hatte man ihn wenigstens wieder ein kleines Bisschen zur Seite gelagert und startete die Dialyse.
    Der Intensivarzt war ebenfalls die ganze Zeit nicht von der Seite seines im Augenblick kritischsten Patienten auf der Station gewichen und aus den Augenwinkeln hatte Sarah schon gesehen wie einer ihrer Kollegen den Notfallwagen vor der Tür postiert hatte, alles zum Intubieren hergerichtet und Suprarenin, das Notfallmedikament zur Reanimation schlechthin, aufgezogen hatte. Alle ihre Kollegen hatten die gleiche Befürchtung gehabt wie sie und Semir, der sein Bett ganz in die Ecke geschoben und darauf wieder Platz genommen hatte, hatte die angespannte Stimmung im Zimmer auch bemerkt.
    Als man nun das große Licht wieder anmachte, die Dialyseschwester mit Mundschutz und sterilen Handschuhen die Schläuche ihres Geräts, das sie bediente wie ein Rennfahrer seinen Rennwagen oder wie Sarah ihre geliebten Beatmungsmaschinen, mit dem Patienten verband, lag eine große Spannung über dem Raum. Wie würde Ben die Dialyse vertragen-würde sein Kreislauf schlapp machen, oder gab es sonst Komplikationen? Langsam begannen sich die Pumpen zu drehen und man hatte auch die Temperatur so eingestellt, dass Ben´s Blut effektiv gekühlt wurde. Erst begann man mit einer langsamen Laufrate, führte ihm auch gleich die beiden Konserven durch die Maschine zu und aufatmend registrierte Sarah, dass er es erstaunlicherweise ganz gut vertrug. Langsam ließ die Anspannung im Zimmer nach und als nach fünfzehn Minuten der Intensivarzt und der Dialysearzt den Raum verließen, nahm Semir wieder am Kopfende von Ben´s Bett auf seinem Stuhl Platz. Sie hatten wieder ein wenig Hoffnung geschöpft und schweigend beobachtete Semir seinen schwerst kranken Freund-die nächsten Stunden würden zeigen, ob er ihn behalten konnte und Tim mit einem Vater oder als Halbwaise aufwachsen würde!