Ben fuhr am Nachhauseweg noch kurz in der KTU vorbei und brachte Hartmut, der gerade Überstunden machte, noch den Stick mit den Personalakten vorbei. Auch Susanne hätte die Daten sichten können, aber die eingescannten Passbilder waren ja teilweise schon älter und Hartmut hatte ein Programm entwickelt, dass die für den PC trotzdem lesbar machte und war gerade dabei, das einzuführen. Er hatte praktisch das Verfahren, mit dem man die natürliche Alterung am Computer simulieren konnte mit dem Polizeigesichtsscanner kombiniert und so konnten Verbrecher auch nach Jugendbildern zweifelsfrei identifiziert werden.
Hartmut pfiff durch die Zähne als er Ben sah. Der hatte zwar schon bald am Vormittag seine Jacke abgelegt und trug nun nur die Anzughose mit feinen Lederschuhen und das schwarze Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, aber er sah trotzdem irgendwie ganz anders aus, als sonst, wo er eher zu Jeans mit Löchern und bequemen Shirts tendierte. „Hey-möchtest du das nicht als neue Dienstkleidung behalten?“ fragte er scherzhaft-„die Ladys werden dahin schmelzen!“ lästerte er, aber Ben gab ihm einen derben Schubs und sah ihn ein wenig zornig an. „Halt bloß die Klappe-ich musste mich heute schon der Bürodamen erwehren, die mich mit ihren Blicken sozusagen ausgezogen haben, dabei habe ich meinen Ehering immer demonstrativ vorgestreckt, das hat die aber überhaupt nicht interessiert-das sage ich dir, da bin ich lieber bei uns in der PASt, da passiert sowas nicht!“ erklärte er, als aber Hartmut nun fragte: „Bist du dir da so sicher?“ musste er in Deckung gehen, denn Ben hatte einen herumliegenden Kugelschreiber gepackt und ihn nach ihm geworfen. Nun wurden sie aber dienstlich und als Hartmut grob die Datenmenge gesichtet hatte, versprach er einen Teil davon heute zu bearbeiten und den Rest am nächsten Vormittag.
Die Chefin und Semir hatte Ben von unterwegs aus angerufen und erzählt, dass er bisher noch keinen blassen Schimmer davon hatte, wer der Täter sein könnte und morgen seine Ermittlungen vor Ort weitergehen würden. „Dann wünsche ich ihnen einen schönen Abend Herr Jäger!“ hatte die Chefin gesagt und Semir hatte vorgeschlagen, sich abends, wenn die Kinder im Bett waren noch auf einen Absacker zu treffen. „Na hast du schon Sehnsucht nach mir-Semir!“ fragte Ben scherzhaft und sein Freund und Kollege erwiderte: „Na klar-ich kann doch ohne dich nicht leben!“ und so war das Treffen um acht ausgemacht.
Sarah, Tim und Lucky erwarteten auch schon sehnsüchtig seine Ankunft und nach einem gemeinsamen Abendbrot ging Ben-wie immer wenn er keine Spätschicht hatte- noch mit Tim und Lucky joggen, so hatte Sarah da immer ein Stündchen für sich, was sie sehr genoss. Außerdem hatte Tim nach dem Nachhausekommen immer die nötige Bettschwere und schlief bald ein und auch Lucky lag dann ausgepowered in der Ecke und rührte sich nicht mehr. „Ich treffe mich nachher noch ein wenig mit Semir, wenn du nichts dagegen hast!“ erklärte Ben und Sarah lachte: „Na habt ihr schon Sehnsucht nacheinander, weil ihr euch mal einen Tag nicht gesehen habt?“ fragte sie und Ben stöhnte: „Jetzt fang nicht du auch noch an!“ aber dann musste er doch lachen und brach nach einer erfrischenden Dusche in seinen Wohlfühlklamotten Jeans und Shirt auf, um sich mit seinem Freund zu treffen.
Er erzählte Semir von seinem Tag und der teilte ihm noch mit, dass leider keine DNA-Spuren an der Kleidung beider Opfer gefunden worden waren, was Ben aber schon von Hartmut wusste. Nach einem kurzen Abriss zur Firma Stumpf und deren Angestellten wandten sich die beiden aber vergnüglicheren Themen zu und als Ben kurz nach zehn wieder zuhause war, fühlte er sich rundum wohl, sah mit Sarah noch den Schluss eines Fernsehfilms an und dann gingen sie bald zu Bett.
Am nächsten Tag hatte Sarah bereits ein anderes Hemd und eine Kombination aus heller Hose und dunklerem Sakko hergerichtet, dazu ein sportliches Hemd und Ben schlüpfte klaglos hinein und machte sich wieder in seinem Porsche zur Firma auf. Andreas Stumpf überreichte ihm gleich einmal den Schlüssel zu einem Firmenwagen, einem schon etwas älteren, aber gepflegten Geländewagen. „Damit sitzen sie wenigstens an der Baustelle nicht auf-falls sie irgendwo vor Ort ermitteln müssen!“ sagte er mit einem Augenzwinkern und Ben nickte dankbar. Ja mit seinem Porsche wollte er wirklich nicht irgendwo in den Schlamm fahren-da war ihm sein geliebter Oldtimer doch zu wichtig!
Als Ben in sein neues Büro ging, verschwand gerade der Mann, den er gestern im Archiv kennengelernt hatte-wie hieß der noch gleich? Ach ja, Brummer-um die Ecke und ging dann die Hintertreppe hinunter. Er war auch schon ein älteres Semester, aber zu ihm hatte Andreas ihm erzählt, darum hatte Ben sich vermutlich den Namen merken können, dass der eigentlich schon berentet und sein Leben lang in einer anderen Firma im Büro tätig gewesen war. „Es ist doch traurig, wenn man nach vielen Berufsjahren nicht einmal so viel Rente bekommt, dass man sorglos seinen Lebensabend genießen kann. Seine Frau war nicht berufstätig, dessen Firma hat keine Zusatzversorgung wie wir für ihre Mitarbeiter gemacht und jetzt bessert er auf 450 €-Basis sein Einkommen auf, indem er unsere Akten auseinander nimmt, einscannt und so der Digitalisierung zuführt. Nachdem er nur ein paar Stunden täglich arbeitet und das auch keine schwere Tätigkeit ist, hat er noch auf Jahre hinaus zu tun und so ist uns beiden geholfen!“ hatte der junge Stumpf erzählt und Ben hatte zustimmend genickt. Das war zwar sicher keine sonderlich amüsante oder anspruchsvolle Tätigkeit, aber dennoch wichtig und er fand es vorbildlich, wie in dieser Firma gerade ältere Menschen geschätzt wurden. Was der Mann jetzt allerdings hier oben zu suchen hatte, war ihm nicht klar und er hatte fast den Eindruck gehabt, dass der gerade aus seinem Büro gekommen war. Er hatte es gestern nicht abgeschlossen, nachdem er ja keinerlei persönliche Dinge dort aufbewahrt hatte-allerdings hatte er heute ein schönes Foto von Sarah mit Tim und Lucky mitgebracht, das er demonstrativ auf seinem Schreibtisch aufstellte. Da würde er jedem erzählen, dass das seine kleine Familie war und damit hoffentlich den Nachstellungen ein Ende bereiten.
Um neun fand dann die angekündigte Besprechung statt-es ging da um die bereits zweite Sanierung einer Hangbrücke, die durch hohes Verkehrsaufkommen sehr belastet war. „Die staatlichen Fachkräfte haben einen dringenden Sanierungsbedarf festgestellt, wir haben wie auch schon bei der ersten Generalüberholung in den Neunzigern, damals noch unter meinem Vater, den Zuschlag erhalten und müssen nun die Arbeitsschritte und die erforderlichen Sperrungen planen. Beim letzten Mal wurde das so gehandhabt, dass zunächst die eine Hälfte der Brücke gesperrt und überholt wurde und in dieser Zeit der Verkehr einspurig über die andere Seite geleitet wurde und nach der erfolgten einseitigen Fertigstellung dann das Ganze mit der anderen Fahrbahnhälfte wiederholt wurde. Unser verstorbener Herr Schnitzer hatte die Pläne dazu schon vorbereitet und Herr Jäger sein Nachfolger, wird nun seinen Part übernehmen!“ stellte er so Ben den etwa 20 Personen, die in dem Konferenzraum saßen, vor. Es waren Vertreter der Straßenbehörden, des Bauamts, aber auch der Bauleiter, der die Maßnahme leiten sollte und andere wichtige Personen dabei. Nachdem man noch im Detail besprochen hatte, wie man vorgehen würde, bekam Ben nun den Auftrag, zusammen mit dem Bauleiter die Brücke zu inspizieren, was sie am Nachmittag miteinander erledigen wollten. Das würde ihre letzte Tat vor dem Wochenende sein, denn es war Freitag und da machte man im Baugewerbe immer ein wenig früher Feierabend und das galt hier auch in der Firmenzentrale.
Als die Besprechung zu Ende war, nahm Ben Andreas Stumpf zur Seite: „Verdammt-sie können mir doch hier keinerlei verantwortliche Tätigkeit geben, wo die Sicherheit von Menschen letztendlich davon abhängt-ich habe von der Materie ungefähr so viel Ahnung wie ein Schwein vom Stabhochsprung!“ zog Ben einen drastischen Vergleich, der Andreas zum Schmunzeln brachte. „Keine Sorge-die Sanierungspläne sind schon lange fertig und Herr Schnitzer hat mehrere Tage vor seinem Tod die zukünftige Baustelle, die anscheinend sehr marode ist, besichtigt, die Pläne gezeichnet und mir darüber Bericht erstattet, sie marschieren da also eher mit, damit niemand Verdacht schöpft. Legen sie sich einfach nicht fest, geben nur Allgemeinplätze von sich, dann wird das schon klappen!“ beruhigte er ihn und Ben atmete auf.
Dann fiel ihm allerdings auf, dass der Juniorchef ziemlich blass war und Schweißtropfen auf seiner Stirn standen. „Geht´s ihnen nicht gut?“ fragte er besorgt, aber der Mann winkte ab. „Ich brüte vermutlich was aus und werde jetzt bald Feierabend machen und mich übers Wochenende zuhause ins Bett legen!“ erklärte er und während Ben die nächsten Stunden unauffällig durchs Gebäude schlenderte, seine Augen offen hielt und immer wieder pseudomäßig ins Büro ging, bis ihn der Bauleiter wie versprochen abholen würde, sah er kurz darauf den Juniorchef vom Hof fahren.
Es waren mehrere Dinge die Ben aufgefallen waren, aber bisher hatte er noch keinen konkreten Verdacht. Er würde das einfach heute Abend mit Semir bequatschen-wenn er ebenfalls früher Feierabend hatte, konnte er den noch in der PASt antreffen und darauf freute er sich ehrlich gesagt. Dessen Menschenkenntnis und sein scharfer Verstand würden sicher mithelfen, den Fall bald zu lösen und den Mörder zu überführen!