Adalbert Stumpf hatte nach einigem Suchen den Schlüssel für den Waffenschrank gefunden. Er hatte ihn mit Klebeband hinten in seiner Nachtkästchenschublade versteckt gehabt, sich aber erst nach einiger Zeit daran erinnert. Mit triumphierendem Blitzen in den Augen marschierte er leise zum Waffenschrank und nahm eine seiner Jagdwaffen heraus, die passende Munition dazu und strich liebevoll über den Lauf. Obwohl sie schon jahrelang nicht mehr in Gebrauch gewesen war, war sie gut geölt weggesperrt worden und bei dem gleichmäßig temperierten Raum war das, als hätte man sie erst gestern abgefeuert. Leise schlich also Adalbert unbemerkt von seiner Frau, die die Kinder gerade Gemüse schnippeln ließ, was sie sehr gerne machten, nach draußen in den Garten und bewegte sich im Schutz der Büsche zu dem Ort, wo er vorhin den Mann mit der Armbrust gesehen hatte.
Brummer hatte enttäuscht aufgeseufzt, als sein Opfer sich plötzlich aus dem Liegestuhl erhoben hatte und mit den Kindern ins Haus gegangen war. Gut-das war vielleicht besser so, denn eigentlich hatte er auch nicht vorgehabt den alten weißhaarigen Mann vor den Augen seiner Enkelkinder zu töten-die konnten ja schließlich nichts dafür, dass ihr Großvater so nachlässig gewesen und wegen mangelnder Baustellensicherung sein Sohn ins Verderben gestürzt war. Bei dem jungen Architekten war das was anderes gewesen-der hatte schließlich schon begonnen für diese schreckliche Firma zu arbeiten und deren Teufelswerk mit zu betreiben, da war es besser, ihm wurde beizeiten das Handwerk gelegt, damit er nicht noch mehr Unheil anrichten konnte.
So legte er sich auf der Mauer zurecht, gut geschützt hinter einem Busch, der ihn fast vollständig verbarg und machte seine Armbrust bereit. Stumpf würde bei dem schönen Wetter sicher über kurz oder lang wieder herauskommen, er musste nur Geduld haben!
Der Rettungswagen war inzwischen in der Notaufnahme der Uniklinik angekommen und ein diensthabender Pfleger sagte fast ein wenig fassungslos: „Sarah-was tut ihr denn schon wieder hier?“ denn es war kaum ein Jahr vergangen seit Ben hier zum letzten Mal aufgeschlagen war und seine Akten im PC füllten inzwischen einigen Speicherplatz. Man rollte die Trage aus dem RTW und fuhr sofort weiter in einen Behandlungsraum. Semir wurde gestützt und man setzte ihn derweil in den Wartebereich, bis ein Arzt Zeit hatte sich auch um ihn zu kümmern, aber er war kein Notfall, im Gegensatz zu Ben. Von unterwegs war er schon avisiert worden und so waren bereits ein Unfall-und ein Wiederherstellungschirurg angefordert und erwarteten, was da für eine üble Verletzung hereinkam.
Das eingespielte Team der Notaufnahme hob Ben auf die Untersuchungs- und Behandlungsliege, der durchaus wach war, aber durch das Ketamin so gedämpft, dass er erstens in Ruhe keine Schmerzen hatte, was ihn zutiefst dankbar machte, aber zudem kam es ihm so vor, als würde das Ganze um ihn herum wie ein Film ablaufen und er stände als unbeteiligter Beobachter daneben. Als man ihn allerdings bewegte, stöhnte er auf, denn das tat plötzlich schweineweh. Der Notarzt machte an den Unfallchirurgen die Übergabe, gab die Blutröhrchen vom Unfallort weiter und während man die schon ins Labor brachte, untersuchte ihn der aufnehmende Arzt erneut, so wie es der Notarzt am Unfallort schon getan hatte. Als man ihn drehte um die Blutergüsse auf der Rückseite anzuschauen, schrie Ben auf, woraufhin er ein wenig Piritramid intravenös bekam. Die ganze Zeit hielt Sarah seine Hand und redete ihm beruhigend zu. Ihr wäre es lieber gewesen man hätte ihn sofort am Unfallort intubiert, dann würde er jetzt von dieser ganzen Quälerei nichts mitbekommen, aber statt dessen fuhr man ihn jetzt erst einmal mitsamt den Vakuumschienen die ja röntgendurchlässig waren, durchs Notfall-CT und Sarah musste draußen warten, denn die hohe Röntgenstrahlung wäre eine Katastrophe fürs ungeborene Baby gewesen, gerade jetzt wo sie noch am Anfang der Schwangerschaft war.
Man sah dann, dass Ben eine größere Blutansammlung im Pleuraraum hatte, die dringend drainiert werden musste und um beide Nieren waren ebenfalls Ergüsse zu sehen. Die Bauchorgane hingegen schienen unverletzt und wie sie schon fast erwartet hatten, wollten die Unfall- und Wiederherstellungschirurgen noch ein MRT des rechten Fußes und des Arms, außerdem zog man noch einen Neurologen zu, der die Nervenleitung im Arm messen sollte. Diese ganzen Untersuchungen, die aber zügig von Statten gehen mussten, damit man so wenig Zeit wie möglich verlor, verlangten aber, dass er wach war und auch, dass die Blutsperre am Arm, den man schon aus der Schiene genommen hatte, bald geöffnet würde, damit man weitere Nervenquetschungen ausschloss. So entschloss man sich die Amputationsverletzung sofort in örtlicher Betäubung zu nähen, ihm für alle Fälle einen mehrlumigen ZVK zu legen und einen Blasenkatheter einzuführen. Erst dann würde man die Beinschiene entfernen und ins MRT fahren und das mit der Thoraxdrainage machte man von der Sauerstoffsättigung abhängig, wenn diese fiel, bekam er sie sofort, ansonsten später in Narkose.
Sarah hatte gespannt zugehört, was für Diagnosen bisher gestellt waren und wie der weitere Behandlungsplan aussah-da würde in der nächsten Stunde, bevor er endlich schlafen durfte, noch so einiges auf ihren Mann zukommen, aber sie würde die ganze Zeit bei ihm bleiben und ihm beistehen, wie sie ihm versicherte. Als Ben im CT gewesen war, hatte sie kurz Hildegard angerufen und die von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt. Die war zwar einerseits froh, dass man Ben lebend gefunden hatte, war aber auch entsetzt, als sie die Schwere der Verletzungen erfuhr. „Sarah-bleib du bei deinem Mann-du weisst, Tim und Lucky sind bei mir gut aufgehoben. Ich werde auch Konrad verständigen, aber sonst bleiben dein Kind und natürlich dein toller Hund einfach bis auf Weiteres bei mir und du meldest dich, wenn du etwas brauchst-und ach übrigens-richte Ben von mir eine gute Besserung aus und achte auch ein wenig auf dich und das Baby, iss und trink was, nicht dass du noch umfällst!“ sagte sie eindringlich und Sarah kaufte sich daraufhin am Automaten gleich eine Limo und einen Müsliriegel, obwohl sie gerade weder Hunger noch Durst verspürte, aber Hildegard hatte Recht-auch sie würde ihre Kräfte noch brauchen!