Ben sah voller Abneigung auf den Stuhl, aber bevor er sich versah, hatte man ihn mit dem Rollbrett hinübergezogen und fachgerecht gelagert. Kurz lag noch ein grünes Tüchlein zwischen seinen Beinen und der Anästhesist und die Schwester sortierten ihre Kabel, die Thoraxdrainage, hängten den Sauerstoff um und bereiteten alles vor, da fiel der Schwester plötzlich auf: „Mist wir haben beim Umlagern den einen Zugang rausgezogen!“ stellte sie fest, griff nach einer Kompresse und drückte auf die kurz blutende Einstichstelle. Allerdings lief der zweite Zugang mit dem Noradrenalin gut und so drehte man die andere Infusion einfach ab.
Inzwischen war die Ärztin nochmals ans Kopfende getreten: „Herr Jäger-wie sie ja wissen sind wir ein Lehrkrankenhaus der Universität und unsere angehenden Ärzte müssen etwas lernen. Hier bei mir sind meine beiden jahrgangsbesten Studenten, die sich für mein Fachgebiet, die Urologie interessieren und jetzt möchten wir sie bitten, dass sie bei der Behandlung zusehen und auch selber unter Aufsicht etwas machen dürfen. Gerade nehmen wir Harnröhrenverletzungen beim Mann durch und so habe ich jetzt alles stehen und liegen gelassen, um sie persönlich zu behandeln, denn das ist das Fachgebiet, über das ich bereits mehrfach in der Fachpresse publiziert habe! Sind sie damit einverstanden?“ fragte sie und Ben, der so überfordert war, dass er die Frage und die Konsequenzen daraus gar nicht richtig verstanden hatte, stimmte zu. Er hatte eigentlich nur kapiert, dass vor ihm eine leibhaftige Professorin stand, die ja wohl ihren Titel nicht im Lotto gewonnen hatte, die ihm freundlich etwas erklärte. Er merkte wie das Blut immer noch beständig aus ihm herausfloss, er hatte Schmerzen, wollte aber durchaus, dass das da unten wieder in Ordnung kam und auch wenn ihm das jetzt eigentlich ziemlich unangenehm war, dass der Arzt eine Frau war und auch die Studenten, die er nur am Rande wahrgenommen hatte, waren ein junger Mann und eine junge Frau, die ein wenig aufgeregt gewirkt hatten, aber ihre Polizeianwärter nahm man ja auch überallhin mit. Da musste er jetzt wohl durch und bald hatte er es hinter sich und würde wieder auf seine Station zurück zu Sarah kommen-und er hoffte jetzt einfach nur, dass mit dem Baby alles in Ordnung war.
Wenig später begann die kombinierte Behandlungs-und Unterrichtsstunde mit ihm als lebendem Objekt und als er gefühlte Stunden später wieder blass und erschöpft, voller Schmerzen, aber professionell versorgt und ohne Blutung wieder mit einem neuen Spülkatheter im Bett lag und der Geruch nach verkohlter Schleimhaut immer noch im Raum hing, schloss er die Augen und konzentrierte sich ab sofort nur noch darauf, zu vergessen was hinter ihm lag und nach vorne zu blicken, liebevoll beobachtet von Semir, der ihm die feinen Schweißperlen von der Stirn wischte.
Auf der Station angekommen wurde er wieder an seinem Bettplatz verkabelt, die Spülung angehängt und eine besorgte Sarah sah herüber. „Und wie wars?“ fragte sie, um dann sofort hinzuzufügen: „Mit dem Baby ist übrigens alles in Ordnung, ich habe neue Bilder gekriegt und es hat Purzelbäume geschlagen!“ berichtete sie und nun zog sogar ein kleines Lächeln über Ben´s gezeichnetes Gesicht, vor allem weil Semir sich beeilte, sofort die Bilder bei Sarah abzuholen und ihm zu zeigen. „Es war einfach schrecklich, Sarah, sei froh dass du nicht dabei warst!“ sagte er ehrlich, denn seine Frau hätte der Professorin vermutlich die Augen ausgekratzt, so wie die ihn geschunden hatte.
Seine betreuende Schwester wusch ihm das Gesicht mit einem feuchten Waschlappen, auch sie war irgendwie froh, dass es vorbei war und dann wurde er auch schon vorbereitet, um einen neuen ZVK zu legen, denn der eine Zugang war für seinen schlechten Zustand bei weitem nicht ausreichend.