Sarah hatte ebenfalls die Augen ein wenig geschlossen und auch Semir war in seinem Stuhl fast ein wenig eingenickt-zu viel war einfach in den letzten Stunden geschehen. Auf der Intensiv hatte inzwischen die Spätschicht übernommen und die nächste Schicht lauschte ungläubig den Erzählungen der Kollegen. Sie hatten teilweise aus dem Radio schon davon gewusst, dass in ihrem Krankenhaus ein flüchtiger Mörder erschossen worden war, aber dass das hier auf ihrer Intensiv geschehen war und wie die näheren Umstände waren, dass Sarah verletzt worden war, ihre andere Kollegin stationär auf der Unfallstation lag und Herr Jäger zweimal beinahe umgebracht worden wäre und nun mit einer Kehlkopfquetschung beatmet da lag, das erfuhren sie erst jetzt. Als die Übergabe am Bett stattfand, wurde Semir ein wenig hinaus geschickt und beschloss auf einen Happen zu Essen und einen Kaffee in die Cafeteria zu gehen und Sarah trug ihm noch auf, doch bitte Hildegard Bescheid zu sagen und gab ihm deren Nummer.
Sarah war froh, dass eine befreundete Kollegin übernahm, denn sie musste langsam mal aufs Klo, aber sobald sie versuchte sich aufzurichten, wurde ihr immer noch schwindlig und so blieb ihr nichts anderes übrig, als auf die Schüssel zu gehen und da war ihr eine Frau einfach lieber als ihr Kollege. Ben allerdings wäre vermutlich eher von einem Mann als Betreuer angetan, aber der bekam das gerade sowieso nicht mit, obwohl er ja nur flach sediert war.
Als Sarah fertig war, saugte ihre Kollegin Ben ab und da riss der panisch die Augen auf und wollte nach oben fassen, was allerdings durch die Handfixierungen nicht möglich war. Man gab ihm einen Bolus an Schlafmittel, woraufhin er wieder wegpennte, aber trotzdem hatte Sarah voller Mitleid die Panik und das Entsetzen in seinen Augen gesehen, als er so plötzlich geweckt worden war und sich nicht ausgekannt hatte. Sie versuchte ihm beruhigend zuzureden, aber irgendwie war sie räumlich zu weit weg, als dass Ben sie mit seinen ganzen Medikamenten und dem Fieber wahrgenommen hätte. Wenig später war Semir zurück und nahm wieder seinen Platz an der Seite seines Freundes ein, der sich langsam begann unruhig herumzuwerfen. Er berichtete Sarah von der Reaktion ihrer Kinderfrau und richtete ihr liebe Grüße und Besserungswünsche aus, dann aber nahm er fest Ben´s Hand in die seine, sprach mit ihm und der beruhigende Klang der vertrauten Stimme ließ Ben wieder einschlafen.
Am späten Nachmittag kam noch der HNO-Arzt und sah mit einer Glasfiberoptik in Ben´s Hals, sprühte lokal ein Medikament auf die immer noch geschwollenen Stimmbänder, wozu man Ben gut sedieren musste, weil er sofort panisch zu würgen begann und sich auch erbrach-nur gut, dass der Tubus gut geblockt war! „Heute ist an eine Extubation noch nicht zu denken, ich schlage vor, ihm nochmals Cortison intravenös zu geben, ihn über Nacht gut schlafen zu legen, damit er sich erholen kann und eine Magensonde würde ich ebenfalls empfehlen, damit der saure Magensaft ablaufen kann-der reizt sonst das geschwollene Gewebe noch zusätzlich!“ verkündete der Doktor und so legte die betreuende Schwester Ben noch eine Magensonde, mitleidig beobachtet von Semir und Sarah, denn obwohl man die Notwendigkeit einsah, tat er ihnen doch leid. Als sich dann allerdings fast ein Liter grünlich atonischer Magensaft in den Beutel entleerte, war Sarah doch froh, dass man es gemacht hatte, denn das hatte ihn sicher auch gedrückt und siehe da, danach war er auch deutlich ruhiger.
Wenig später sah auch die Urologieprofessorin mit ihren beiden Studenten noch vor dem Nachhausegehen nach ihm. Gerade der jungen Frau stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als sie ihren Patienten vom Vormittag so elend daliegen sah. Um Himmels Willen, der hatte heute ordentlich was mitgemacht-dabei hätte ihre Behandlung alleine vermutlich schon gereicht! Allerdings standen die Blutungen, die Blasenspülung funktionierte und so konnte man wenigstens auf dieser Baustelle sozusagen aktuell Entwarnung geben.
Zur Nacht wurde er nochmals gelagert, man wusch ihn kühl ab, gab ihm einen weiteren Liter Flüssigkeit und stellte das sedierende Medikament höher, damit er schlief. Sarah hatte eine Suppe vertragen und konnte sich zwar noch nicht aufrichten, aber sie fühlte sich besser und der Schwindel ließ langsam nach. „Semir es wird Zeit, dass du auch in dein Bett kommst!“ sprach sie aus, was Semir die ganze Zeit vermieden hatte zu fragen. Er wäre natürlich auch über Nacht da geblieben, aber wenn Ben jetzt sowieso vor sich hin schlief, konnte er eigentlich gar nichts machen und so verabschiedete er sich herzlich und sank wenig später erschöpft zuhause aufs Sofa und erzählte Andrea im Detail, was heute alles geschehen war.